Predigt am Karfreitag, 18.04.2014 2. Korinther 5, 19

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Predigt am Karfreitag, 18.04.2014
2. Korinther 5, 19-20: “Gottesopfer, nicht Menschenopfer“
Liebe Gemeinde!
Zwischen Himmel und Erde ist ein Riss. Jesus, Gottes Sohn, ist tot. Hingerichtet als
Verbrecher. Zwischen Himmel und Erde hängt er dort, ganz allein und verlassen. Ist Jesus von
Nazareth gescheitert? Hat er seinen Kampf für das Gute verloren? Hat das Böse gewonnen?
Zunächst sieht alles danach aus. Verschiedene Menschen stehen unter dem Kreuz. Sie blicken
hinauf und sehen einen gefolterten Mann im Todeskampf.
Einer dieser Menschen unter dem Kreuz ist Simon von Kyrene. Zur falschen Zeit war er am
falschen Ort. Und so hatten die Soldaten mit dem Finger auf ihn gezeigt: „He du, trage du das
Kreuz!“ Und so trug er das Kreuz des Jesus von Nazareth den Hügel hinauf. Die Soldaten
vollendeten ihr grausames Werk. Simons Tag war gelaufen: Den Anblick einer Kreuzigung
vergisst man nicht so schnell. Warum ausgerechnet dieser Jesus? Schon einiges hatte er über
Jesus von Nazareth gehört: Angeblich konnte er Kranke heilen. Und viele gute Dinge hat er
auch gesagt – die Wahrheit war ihm wichtig. Wahrscheinlich hatte er zu viel Wahres gesagt
über die Mächtigen. Vor der Wahrheit haben die Mächtigen Angst, und nun hängt er hier am
Kreuz. Ich halte lieber meinen Mund, man sieht ja, wohin das führt!
Unter dem Kreuz stehen auch die römischen Soldaten. Sie halten Wache, bis der Gekreuzigte
gestorben ist. Was hat er eigentlich genau verbrochen, dieser Jesus aus Nazareth? Keine
Ahnung, aber Befehl ist Befehl. Wir sollten ihn kreuzigen, und wir haben ihn gekreuzigt.
Irgendjemand muss ja für Ordnung sorgen in diesem Land, sonst wimmelt es hier bald so von
Aufständen gegen den Kaiser.
Unter dem Kreuz bleiben auch Passanten stehen: Schaulustige mit Sinn für Hohn und Spott:
„He Jesus! Es heißt, du könntest Wunder tun. Zeig uns doch mal eins!“ „He Jesus! Wenn du
Gottes Sohn bist, dann steig doch herab vom Kreuz!“ „Beweise uns doch, dass du der Messias
bist, und wir werden dir glauben!“ Auf die zynischen Bemerkungen folgt kein Wunder. Die
Passanten gehen in ihr Wochenende. „Wieder so ein falscher Messias“, denken sie. „Man sollte
es mit seiner religiösen Überzeugung halt nicht übertreiben, man sieht ja, wohin das führt.“
Links und rechts neben Jesus, da hängen zwei Verbrecher. Matthäus und Markus berichten,
dass beide Verbrecher Jesus verspotten. Es geht den Verbrechern an den Kragen. Doch auch
im Angesicht des Todes bewahren sie sich einen Schutzpanzer aus Sarkasmus: Galgenhumor
im sprichwörtlichen Sinne. Sie verlästern den, der an seinem Sterben leidet.
Weitere Menschen stehen unter dem Kreuz: Es sind die Frauen, die Jesus nachgefolgt waren.
Im Gegensatz zu den Jüngern sind die Jüngerinnen mit dabei, wenn auch in einiger
Entfernung. Fassungslos und hilflos erleben sie den Todeskampf Jesu, doch immerhin: Sie sind
in seiner Nähe.
Heute stehen auch wir unter dem Kreuz. Wir blicken in Gedanken hinauf und fragen uns:
Musste das so kommen? Warum wurde dieser Mann gekreuzigt, obwohl er doch so viel Gutes
getan hat? Es steckt einfach tief in uns drin: Wer Gutes tut, der darf doch nicht auf diese
Weise sterben!
Und doch war es bei Jesus von Nazareth Gottes Wille! Vor seiner Verhaftung im Garten
Gethsemane betet Jesus: „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. Doch
nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ (Mt 26,29b)
Warum dieser schwere Weg für Gottes Sohn? Die Antwort gibt Jesus am Abend vor seiner
Verhaftung. Beim letzten Abendmahl nimmt er einen Kelch Wein und deutet ihn auf seinen
bevorstehenden Tod: „Nehmet hin und trinket alle daraus, dieser Kelch ist der neue Bund in
meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut, sooft ihr’s
trinket, zu meinem Gedächtnis.“
Jesu Blut wird vergossen zur Vergebung der Sünden! Jesus deutet seinen Tod als Opfer für die
Menschen: „mein Blut, das für euch vergossen wird“. Der Opfergedanke war den Jüngern und
allen Juden geläufig: Einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, opferte der oberste Priester
im Jerusalemer Tempel einen Stier. Dieses Tier sollte alle Sünden des Volkes tragen und Gott
gnädig stimmen. Noch heute kennen wir den sprichwörtlichen Sündenbock. Jesus macht sich
selbst zum Sündenbock. Er selbst lebte ohne Sünde, so kann er fremde Sünde auf sich
nehmen. Er bezahlt durch seinen Tod am Kreuz für Sünden, die er nicht begangen hat.
Über viele Jahrhunderte war dieses Bild für alle Christen selbstverständlich: Jesus übernimmt
am Kreuz die Schuld der Welt, sodass Gott nicht mehr zornig auf diejenigen sein kann, deren
Schuld Jesus übernommen hat.
Aber was ist das eigentlich für ein Gott, der ein Opfer braucht, um wieder freundlich zu den
Menschen zu sein? Was ist das für ein Gott, der jährlich einen Stier oder einmalig einen
unschuldigen Menschen am Kreuz sehen will, um den Menschen ihre Sünde zu vergeben?
Diese kritischen Nachfragen werden seit der Aufklärung, also seit mittlerweile 300 Jahren,
immer wieder neu gestellt. Wollte Gott, dass Jesus als Sündenbock ans Kreuz geht?
Wenn wir in Jesus von Nazareth einen normalen Menschen sehen, dann wäre es tatsächlich ein
grausamer Gott, der ein Menschenopfer benötigt, um seinen Zorn über das angesammelte
Fehlverhalten der Menschheit zu besänftigen.
Aber: Jesus von Nazareth war kein Mensch wie du und ich. In der Sprache des Glaubens
bezeichnen wir ihn als wahren Mensch und wahren Gott zugleich. An Weihnachten feiern wir,
dass in Jesus Christus Gott in die Welt kommt. Also denken wir am Karfreitag daran, dass in
Jesus Christus Gott selbst am Kreuz stirbt. Gott selbst geht in das Reich des Todes. Man
könnte sagen: In Jesus Christus sinkt Gott so weit in die menschliche Existenz herab, dass er
sich am Kreuz selbst vergisst.
Wenn wir am Kreuz nicht nur den menschlichen Jesus, sondern auch den göttlichen Jesus
leiden und sterben sehen, dann wird am Kreuz kein Mensch geopfert. Stattdessen wird Gott
geopfert oder, genauer gesagt, Gott opfert sich selbst. Am Kreuz geschieht also kein
Menschenopfer, sondern ein Gottesopfer! Am Kreuz wird kein Mensch geopfert, um einen
zornigen Gott zu besänftigen, sondern Gott opfert sich selbst, um seine Liebe zu den zornigen
Menschen zu zeigen.
Der Apostel Paulus beschreibt das Gottesopfer am Kreuz mit den folgenden Worten: „Gott war
in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst. Er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. Er
hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter im
Namen Christi, denn Gott ermahnt durch uns […]: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Kor
5,19-20)
Lasst euch versöhnen mit Gott! Das Kreuz ist also der Ort der Versöhnung. Am Kreuz beginnt
bereits eine neue Epoche in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Schon vor Ostern,
mitten an einem finsteren Freitag, erleben Menschen diesen Neuanfang. Lukas berichtet, dass
sich einer der beiden Verbrecher Jesus anvertraut. Auch der römische Hauptmann, der den
Sohn Gottes wenige Stunden zuvor gefoltert und gekreuzigt hatte, vollzieht eine innere
Wendung und spricht den berühmten Satz: „Wahrlich, dieser [Mensch] ist Gottes Sohn
gewesen.“
Karfreitag: In den Augen der Welt erscheint dieser Tag als das bedauerliche Scheitern des
Jesus von Nazareth. Der Glaube jedoch erkennt an diesem Tag den göttlichen Neuanfang: Gott
macht sich auf den Weg in die Finsternis, um die Finsternis von innen heraus zu besiegen. Gott
macht sich auf den Weg in die Dunkelheit, um uns vor der Dunkelheit zu retten.
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle [unsere] Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus“ (Phil 4,7). Amen.
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