WERTE-NAVI FÜR DAS (DIGITALE) LEBEN PROF. DR. PETRA GRIMM - INSTITUT FÜR DIGITALE ETHIK, HOCHSCHULE DER MEDIEN STUTTGART 20.03.2017 KIEL ---- ZEIT FÜR WERTE ---- Werte – wozu? Eine Welt ohne Werte: vorstellbar? Prof. Dr. Petra Grimm In der Werteforschung werden verschiedene Funktionen von Werten beschrieben. Ein Konsens besteht darin, dass Werte … die Auswahl von Handlungen bei Individuen und Gruppen steuern Prof. Dr. Petra Grimm zur Rechtfertigung von Handlungen (Motive) dienen die Wahrnehmung der Welt und deren Beurteilung beeinflussen Was ist ein Wert? Prof. Dr. Petra Grimm Was ist ein Wert? Wert ist: _ _ _ _ ein Maßstab für das, was wir als gut bewerten, ein Kriterium zur Auswahl dessen, was wir anstreben sollen, ein normativer Standard zur Beurteilung unserer sozialen Umwelt, ein Kriterium für normativ Gebilligtes. (Vgl. Lautmann 1971:105) Werte sind als Vorstellungen, Ideen oder Ideale zu verstehen, sie bezeichnen, was wünschenswert ist. Werte sind bewusste oder unbewusste Orientierungsstandards und Leitvorstellungen. Prof. Dr. Petra Grimm Werte und Handlungen Handlungen sind werteabhängig ABER Werte sind nicht handlungsabhängig (vgl. Luhmann 1998, S. 341) Daraus lässt sich folgern: Werte können zwar im Einzelfall verletzt werden, aber deshalb verlieren sie noch nicht Ihren Wertanspruch. Prof. Dr. Petra Grimm Werte und Normen Aus Werten lassen sich bestimmte Regeln bzw. Vorgaben ableiten, die als Normen gelten. Normen sind Spezifikationen von abstrakten Werten. Zum Beispiel stellt die Goldene Regel eine sittliche Norm dar: „was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu“ Diese Norm bezieht sich auf den abstrakten Wert „Respekt und Anerkennung“. Prof. Dr. Petra Grimm Wertewandel Seit Mitte der 60er Jahre: kein Werteverlust, aber Wertewandel Im 20. Jahrhundert: zunehmende Individualisierung & Ausdifferenzierung der Gesellschaft Im 21. Jahrhundert: Ausweitung der Ökonomisierung der Wertesysteme tendenzieller Wandel von Pflicht- und Akzeptanzwerten (Fleiß, Disziplin, Pünktlichkeit) zu Selbstentfaltungswerten (Autonomie, Kreativität, Lebensgenuss) Akzeptanz der Pluralität von Lebensstilen Pragmatismus, Leistung, Effizienz Prof. Dr. Petra Grimm Werte-Modell Ethische Prinzipien: Verantwortung, Freiheit, Gerechtigkeit & Solidarität Wertehaltung Dimension Grundwerte der demokratischen Gesellschaft Instrumentell Werte Beispiele Achtung der Menschenwürde, Selbstbestimmung, Autonomie, Schutz der Privatsphäre, Glaubensfreiheit, freie Meinungsäußerung, freie Persönlichkeitsentfaltung Selbstbeherrschung, Empathie, Hilfsbereitschaft, Fleiß, Kreativität in Anlehnung an Funiok/Huber 2001:16 Prof. Dr. Petra Grimm Wertefelder Werte des sozialen Miteinanders Selbstentfaltungswerte z.B. Freundschaft, Toleranz, Kommunikationsfähigkeit z.B. Autonomie, Freiheit, Kreativität Werte zur Stabilisierung des Gemeinwesens Hegemoniewerte z.B. Gerechtigkeit, Pflichtbewusstsein, Sicherheit z.B. Respekt, Macht, Unterordnung Hedonistische Werte Abstrakt-fundamentale Werte z.B. Abwechslung, Genuss, Spaß, Schönheit z.B. Glück, Familie, Liebe, Besitz Prof. Dr. Petra Grimm Wertefelder Welche Werte gelten als moralische? Moralische Wertefelder außermoralische Wertefelder Werte des sozialen Miteinanders Werte zur Stabilisierung des Gemeinwesens Selbstentfaltungswerte Abstrakt-fundamentale Werte Hedonistische Werte Prof. Dr. Petra Grimm Hegemoniewerte Werte und Lebenswelt „Lebenswelten werden unübersichtlich, verändern sich immer schneller, werden komplexer; Bezugspunkte, Orientierungsinstanzen und Identifizierungsmuster verschwinden im Prozess der Deinstitutionalisierung, mit dem neue Freiheiten entstehen und klassische Sicherheiten fragil werden.“ (Hubig 2007: 23) Prof. Dr. Petra Grimm Werte der Jugendlichen Shell Jugendstudie 2015 _ Zentrale Werte: Freundschaft, Partnerschaft und Familie, Leistung, Respekt vor Gesetz und Ordnung _ Grundlegende Regeln der Gemeinsamkeit wichtiger als Kreativität oder Lebensgenuss _ Werte, die für mehr Jugendliche wichtiger geworden sind: politisches Engagement, Umweltbewusstsein, Gesundheit _ Weniger wichtig: Macht und Einfluss zu haben _ Lebenszeit und Internet: Sozialraum Internet, Ausgrenzung bei Nicht-Zugang Prof. Dr. Petra Grimm Leben in der digitalen Welt Unterhaltung Kommunikation Bequemlichkeit Konsum Soziale Anerkennung Soziale Integration Information Mobilität Prof. Dr. Petra Grimm Teilhabe Kindheit und Jugend im „Onlife“ _ Sozialer Lebensraum der Kinder und Jugendlichen ist zunehmend das Onlife. _ Sie beginnen in immer früherem Alter mit der Nutzung des Internets. _ Onlinenutzung ist mobil. _ Jugendliche werden mit einer hohen Informationsdichte konfrontiert (bspw. WhatsApp). Prof. Dr. Petra Grimm DIGITALE MEDIEN UND WERTE Medien als Wertevermittler _ Narrative Medienangebote transportieren Wertesysteme (ethische und nicht-ethische) _ Ethische Medienangebote: Thematisierung und Reflexion von Wertekonflikten und Handlungsalternativen _ Medienkompetenz: begründete Werturteile von Medienangeboten _ Medienprojekte: großes Potenzial für Wertethemen Prof. Dr. Petra Grimm Internet als Werteträger _ Verfügbarkeit (anywhere, always) _ Soziale Teilhabe _ Konnektivität bei gleichzeitiger Distanz _ Unterhaltung, Information _ Identitätsmanagement und Selbstdarstellung _ Smartphone als Wert an sich Prof. Dr. Petra Grimm DIGITALE ETHIK Digitale Ethik Ethik _ Philosophische Wissenschaft _ Reflexion _ Gute Argumente, Kriterien, Handlungsorientierung _ „Was soll ich tun?“ _ Theorie richtigen Handelns Prof. Dr. Petra Grimm Digitale Ethik Aufgaben _ Auswirkungen der Digitalisierung diagnostizieren _ Begründungen für moralisches Handeln und normative Standards _ Bei Werte- und Normenfragen: Navigationsinstrument _ Ziel: wertebezogene ‚Digitalkompetenz‘ Prof. Dr. Petra Grimm Zentrale Aufgabenfelder einer Digitalen Ethik sind: _ Schutz der Privatsphäre _ Meinungsbildung und personalisierte Information _ Verletzendes Kommunikationsverhalten _ Gefährdungspotenziale durch Medieninhalte _ Orientierungs- und Vorbildfunktion der Medien _ Ungleiche Zugangsbedingungen und Aneignungschancen Prof. Dr. Petra Grimm Wertebereiche im Umgang mit Social Media _ Informationelle Werte wie Schutz der Privatheit und Authentizität _ Kommunikationsbezogene Werte wie Toleranz und Respekt _ Inhaltebezogene Werte wie Achtung der Persönlichkeitsrechte anderer _ Distributionsbezogene Werte wie die Verhinderung der Weitergabe von verletzenden Inhalten Prof. Dr. Petra Grimm Digitalkompetenz Werte als Navigationsinstrument Konkretisierung Handlungsnormen 10 Gebote der Digitalen Ethik Prof. Dr. Petra Grimm ZEHN GEBOTE DER DIGITALEN ETHIK 10 Gebote der Digitalen Ethik Wie können wir im Web gut miteinander leben? Erstellt von Master-Studierenden der Hochschule der Medien unter der Leitung von Prof. Dr. Petra Grimm in Kooperation mit Prof. Dr. Wolfgang Schuster (Vorsitzender der Deutsche Telekom Stiftung) sowie juuuport.de (die Selbstschutzplattform von Jugendlichen für Jugendliche) Layout: Sophie Haferkorn, Masterstudentin an der Hochschule der Medien Prof. Dr. Petra Grimm 10 Gebote der Digitalen Ethik Wie können wir im Web gut miteinander leben? – Gebote 1 1. Erzähle und zeige möglichst wenig von Dir. Prof. Dr. Petra Grimm SCHUTZ DER PRIVATSPHÄRE Privatsphäre Reflexionsfragen _ Was ist für mich „privat“ und was ist „öffentlich“? ? ? Prof. Dr. Petra Grimm ? ? Privatsphäre Privatheit in unterschiedlichen semantischen Feldern _ Räume _ Handlungen/Verhaltensweisen _ Entscheidungen _ Informationen/Einstellungen Intimität Familie / intime Beziehungen Zimmer / Wohnung /Haus echte Freunde Gesellschaft / Staat / Wirtschaft Prof. Dr. Petra Grimm Privatsphäre Reflexionsfragen _ Wozu brauche ich Privatheit? ? ? Prof. Dr. Petra Grimm ? ? Privatsphäre Funktionen der Privatsphäre Funktion der Privatsphäre persönliche Autonomie zu verhindern, von anderen manipuliert, dominiert oder bloßgestellt zu werden Prof. Dr. Petra Grimm emotionaler Ausgleich frei von sozialem Druck und gesellschaftlichen Erwartungen Stress abzubauen und die innere Ruhe zu finden Selbstevaluation geschützte Kommunikation die Erfahrungen und Eindrücke aus dem Alltag zu reflektieren, einzuordnen & Schlüsse draus zu ziehen zu differenzieren, wem man was sagt; sich in einem geschützten ‚Raum‘ mit Vertrauten auszutauschen Alan F. Westin (1967) Privatsphäre Bedeutung Privatheit ist zu verstehen, „in dem Sinn, dass ich Kontrolle darüber habe, wer welchen ‚Wissenszugang‘ zu mir hat, also wer welche (relevanten) Daten über mich weiß; und in dem Sinn, dass ich Kontrolle darüber habe, welche Personen ‚Zugang‘ oder ‚Zutritt‘ in Form von Mitsprache- oder Eingriffsmöglichkeiten haben bei Entscheidungen, die für mich relevant sind“. Beate Rössler, 2001 Ethische Norm: Selbstbestimmt darüber entscheiden können, wer was wann und in welchem Zusammenhang über einen weiß. Prof. Dr. Petra Grimm Privatsphäre im digitalen Zeitalter Ein Ereignis... Quelle: www.youtube.com/ watch?v=2OxCKvIp_ZE Prof. Dr. Petra Grimm Privatsphäre im digitalen Zeitalter Folgen der Verletzung der Privatsphäre durch die Preisgabe privater Informationen durch mich selbst oder durch andere über mich (Ebene der Kommunikationspartner): Mobbing, Stalking, Identitätsdiebstahl, Beleidigungen, Bloßstellungen, Reputationsschäden, Chancenminimierung (z.B. Job), Diskriminierungen (z.B. aufgrund äußerlicher Merkmale) ... Prof. Dr. Petra Grimm 10 Gebote der Digitalen Ethik Wie können wir im Web gut miteinander leben? – Gebote 2 2. Akzeptier nicht, dass Du beobachtest wirst und Deine Daten gesammelt werden. Prof. Dr. Petra Grimm BIG DATA Big Data Trailer von Studierenden der HdM, Institut für Digitale Ethik Prof. Dr. Petra Grimm Big Data Datensammler „Netz Raum“ „Analoger Raum“ „Vernetzte Umwelt“ Soziale Medien Staatliche Stellen Smart Home Computer-Betriebssysteme Kundenkarten Self-Tracking-Devices (Fitnessarmbänder) Suchmaschinen Kreditkarten Vernetztes Auto (Smart Car) Cookies/Canvas Fingerprinting Gesundheitskarte Smart Clothes Online-Shopping Video-Überwachung Smart TV Handy/Tablet Navigationsgerät Barbiepuppen Apps Flugdaten Cloud-Computing Musik-Streamingdienste Big Data Die Vermessung des Menschen: _ Tracking _ Scoring _ Profilbildung und Klassifizierung Prof. Dr. Petra Grimm Predictive Analysis http://kiddiescornerdeals.com/wp-content/uploads/2013/10/target-big-baby-sale.jpg http://i2.cdn.turner.com/money/dam/assets/131219173524-who-hacked-target-credit-information-00000929-1280x720.jpg Prof. Dr. Petra Grimm http://www.allthingstarget.com/wp-content/uploads/2015/09/target.com-baby-deal-pic.png Predictive Analysis Anhand des Kaufverhaltens wird die Zahlungsbereitschaft des Schuldners vorhergesagt http://corp.canadiantire.ca/EN/Pages/default.aspx Prof. Dr. Petra Grimm Predictive Analysis Marriage Calculator - calculate your chances of getting divorced Every marriage goes through ups and downs. Do you think you‘ll stay married “until death do you part?“ Take our quiz based on census data and discover your odds of living “happily ever after.“ What is your gender? When did you marry? What is your education How old were you when you got married? How many years have you been married? Calculate https://www.wevorce.com/divorce-calculator/ Prof. Dr. Petra Grimm Predictive Analysis Ich hab mich neulich gefragt, warum man in der Deutschen Sprach immer noch zwischen Groß- und Kleinschreibung unterscheidet. Hier ist die Antwort. Sie ist wirklich gut zu Vögeln. Sie ist wirklich gut zu vögeln. Ich wünschte er wäre Dichter! Ich wünschte er wäre dichter! Der gefangene Floh. Der Gefangene floh. Vom Fenster aus sah sie den geliebten Rasen. Vom Fenster aus sah sie den Gaeliebten rasen. Die Spinnen. Die spinnen. http://de.webfail.com/07181c2ca27 Prof. Dr. Petra Grimm Kreditwürdigkeit ????? Verletzung der Privatsphäre Digitaler Fussabdruck Individuelle Profile Facebook Likes Psychografie Tweets - Big5 Persönlichkeit - Intelligenz - Lebenszufriedenheit - politische Ansichten - religiöse Ansichten - sexuelle Orientierung - Beruf Browserdaten Demographie Facebook Status Black Box WhatsApp Status / Kontakte und mehr... Prof. Dr. Petra Grimm Unbekannter Algorithmus und Klassifizierung - Alter - Geschlecht - Beziehungsstatus Big Data Folgen durch die unkontrollierte Verwendung von privaten Daten durch kommerzielle oder staatliche Datensammler: _ Klassifizierung _ Kommerzialisierung: „Du bist das Produkt.“ _ Überwachung Manipulation, Diskriminierung, soziale Kontrolle, Macht Prof. Dr. Petra Grimm Big Data Computerbasierte Persönlichkeitsbeurteilung Youyou, W./Kosinski, M./Stillwell, D. (2015): Computer-based personality judgments are more accurate than those made by humans. In: PNAS, January 27, 2015 , vol. 112, no. 4, S. 1038. Handlungsoptionen für Nutzer _ Schutz der Privatsphäre einfordern _ Angebote nutzen, die private Daten schützen (Threema statt Whatsapp) _ Browserverlauf und Cookies löschen oder anonym surfen (z.B. anonymox) _ Alternative Suchmaschinen nutzen (z.B. Hulbee oder Startpage) _ Verschlüsselte E-Mail-Dienste (statt Gmail) Prof. Dr. Petra Grimm Privatheitskompetenz _ die Reflexionsfähigkeit, warum private Daten als schützenswert einzustufen sind (ethische Kompetenz) _ das Wissen, wer private Daten zu welchem Zweck erhebt, verarbeitet und weitergibt (strukturelle Kompetenz) _ die Abschätzung der Folgen, die sich aus der Preisgabe privater Daten ergeben können (Risikokompetenz) _ das Wissen über Datenschutzrichtlinien und mögliche Schutzmaßnahmen (rechtliche und technische Kompetenz) Prof. Dr. Petra Grimm www.digitale-ethik.de @DigitaleEthik Digitale Ethik TV www.hdm-stuttgart.de/grimm Digital:Gut:Leben Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literaturtipps Prof. Dr. Petra Grimm