philoART TATTOOS Symbole, die unter die Haut gehen Von Mag. Ralph Zettl Lange galt das Tätowieren als eine importierte fernöstliche Tradition aus Polynesien, beliebt bei sozialen Randgruppen, die als nicht ganz koscher galten: Matrosen, Häftlinge und Prostituierte. Mittlerweile ist Tätowieren zum Mainstream geworden: In der Altersgruppe von 14 bis 24 sind ein Viertel der Männer und die Hälfte der jungen Frauen tätowiert. Freiwillig und mit Begeisterung, meist mit Fantasiesymbolen und weil es cool ist. Das Ziel ist in erster Linie Abgrenzung von einem traditionellen Wertebild: „Ich habe ein Tattoo und bin jetzt kein Spießer mehr!“ L ange galt das Tätowieren als eine importierte fernöstliche Tradition aus Polynesien, beliebt bei sozialen Randgruppen, die als nicht ganz koscher galten: Matrosen, Häftlinge und Prostituierte. Mittlerweile ist Tätowieren zum Mainstream geworden: In der Altersgruppe von 14 bis 24 sind ein Viertel der Männer 48 Abenteuer Philosophie / Nr. 132 und die Hälfte der jungen Frauen tätowiert. Freiwillig und mit Begeisterung, meist mit Fantasiesymbolen und weil es cool ist. Das Ziel ist in erster Linie Abgrenzung von einem traditionellen Wertebild: „Ich habe ein Tattoo und bin jetzt kein Spießer mehr!“ In der Kulturgeschichte der Menschheit ist das Tätowieren kein Randphänomen: Es gibt wahrscheinlich keine größere Kulturgruppe in der Menschheitsgeschichte, in der nicht tätowiert wurde. Aus sehr verschiedenen Gründen, oft zu kultischen Zwecken und verbunden mit viel Mystik und Spiritualität. Aber auch das Gegenteil war möglich: unfreiwillig und nicht immer zum Wohle der Tätowierten. philoART eines englischen bzw. deutschen Begriffes als Indiz dafür, dass die Tradition in Europa bis dahin nicht existierte. Gibt es denn tatsächlich kein deutsches Wort dafür? Doch, das in Österreich auch heute noch verwendete umgangssprachliche „pecken“ geht auf die lateinische Wortwurzel pingere bzw. pictus zurück, was so viel wie bemalen bzw. bemalt bedeutet. Im alten Rom wurde begrifflich nicht unterschieden zwischen einer abwaschbaren Bemalung und dem dauerhaften Tattoo. Die Tradition des Tätowierens war auch bei den Kelten und Germanen bekannt und verbreitet, davon zeugt beispielsweise die Stammesbezeichnung Pikten (die Bemalten), die die Römer den kriegerischen schottischen Stämmen verliehen, und die sehr wahrscheinlich auf das Tätowieren zurückzuführen ist. Woher kommt das Tätowieren? Wer hatte den ersten „Pecker“? „Tätowieren“ oder „Tattoo“ ist ein aus dem polynesischen Begriff „tatau“ gebildetes und über die britische Marine des 18. Jahrhunderts nach Europa importiertes Kunstwort. Viele nehmen das Fehlen Da die menschliche Haut den Tod eines Menschen nur für kurze Zeit überdauert, sind archäologische Nachweise entsprechend schwierig und nur an mumifizierten Leichnamen möglich. Aber dort kann man sie in einer Häufigkeit finden, die überrascht: Bekanntestes Beispiel ist die Gletschermumie Ötzi, an deren Haut man 47 Tätowierungen in Form von Strichen, Punkten und Kreuzen nachweisen konnte. Und Ötzi ist immerhin über 5000 Jahre alt. Er stellt den ältesten in Europa nachgewiesenen Fund dar. Aber auf anderen Kontinenten geht es ebenfalls weit zurück: In Chile wurde eine 6000 Jahre alte Mumie mit einem tätowierten Schnurrbart entdeckt; bekannter ist jedoch der Fall der tätowierten ägyptischen Priesterin. Sie hieß Amunet und war eine Priesterin des Hathor-Kultes, ihr mumifizierter Leichnam wurde in Deir el-Bahari in Theben-West gefunden. Amunet lebte zur Zeit der XI. Dynastie, also im mittleren Reich vor ca. 4000 Jahren. Die großflächige Tätowierung auf ihrem Bauch besteht aus einem abstrakten Muster von Linien und Punkten, das gar nicht typisch ägyptisch aussieht. Ähnliche Muster aus dem alten Ägypten sind weder zu religiösen noch zu dekorativen Zwecken bekannt, sodass der Verdacht besteht, dass Amunet einem älte- ren nubischen Brauch folgte. Aus Nubien sind zwar menschliche Tonfigürchen mit Tattoo-artigen Mustern bekannt, jedoch sind keine Mumien erhalten geblieben, sodass der Beweis für Tätowierungen im antiken Nubien noch nicht erbracht ist. Es gibt aber weitere tätowierte MumienFunde in anderen Erdteilen: Das Steppenvolk der Skythen pflegte um 500 v. Chr. den Brauch großflächiger Tätowierungen. Bis heute tradierte kultische Tätowierungen sind von den Ureinwohnern Japans, den Ainu, und Völkern Polynesiens bekannt. Von dort re-importierten britische Seeleute sie im 18. Jahrhundert nach Europa. Es lässt sich also keine singuläre Quelle des Tätowierens in der Kulturgeschichte festmachen, sondern dieses Phänomen taucht unabhängig voneinander und ohne erkennbare Verbindung zu sehr unterschiedlichen Zeiten und Orten auf. Woher stammt der schlechte Ruf? Wenn Sie der Meinung sind, dass das Tätowieren etwas Verruchtes an sich hat und die Zugehörigkeit zu einer sozial problematischen Gruppe verrät, sagt das auch etwas über Sie aus: Sie sind mit großer Wahrscheinlichkeit bereits älter als 40 Jahre. Denn vor allem die ältere Generation ist von dieser Assoziation geprägt. Das hat seine Gründe: Jahrhundertelang waren Tattoos vor allem bei Matrosen und Hafenarbeitern beliebt. Wenn man in der europäischen Geschichte etwas zurückgeht, wird es noch schlimmer: Römer und Griechen verwendeten Tätowierungen in erster Linie, um Kriminelle und Sklaven so zu brandmarken, dass diese ihre Identität nicht verleugnen konnten. Auch Legionssoldaten wurden so gekennzeichnet. Damit war sichergestellt, dass der Träger auf den ersten Blick und unauslöschlich als Zugehöriger einer Gruppe identifiziert werden konnte. Eine ähnliche Funktion hatte bis um 1900 am Balkan die Tradition, christlich-katholische Mädchen mit religiösen Motiven zu tätowieren, um zu verhindern, dass sie einen Andersgläubigen heiraten und zu seinem religiösen Bekenntnis konvertieren konnten. Lange Zeit und in vielen Fällen war das Tattoo also eine Nr. 132 / Abenteuer Philosophie 49 philoART zwangsweise Markierung und diese Stigma- die lebenslang und untrennbar mit dem tisierung ist in Europa und in sehr ähnlicher Wesen und dem Charakter dieses Menschen Form im alten Japan zu finden. verbunden sind. Seit Beginn der 90er-Jahre wurde das In manchen Fällen, wie etwa in Ägypten Tätowieren aber kommerzialisiert und die und bei den Kelten, basieren die ErkenntMotive sind vielfältiger geworden: Tattoo nisse über die Funktionen der Tätowierunals Schmuck, Tattoo als Ausdruck von Indi- gen aber mangels verlässlicher Quellen auf vidualität oder Rebellion. Tattoos als Sym- Indizien und Annahmen. bole spiritueller Überzeugungen oder eine Heute ist die Wahl der Tätowierung, was Mischung aus all dem. Eine Frage am Rande: den Ort und das Motiv betrifft, stark indiWissen Sie, welchen Zweck Ötzis Tätowie- vidualisiert. Es gibt Trends, und nach wie rungen hatten? War er ein entsprungener vor haben die Tattoos die Aufgabe, eine HalHäftling oder ein Matrose? Wohl kaum. Auf- tung und Eigenschaft sichtbar zu machen. grund der genauen Platzierung der linien- „Ich habe ein Tattoo, deswegen bin ich kein und punktförmigen Zeichen auf energeti- Spießer mehr“, ist eines der verbreitetsten schen Meridianen und Akupunkturpunkten Motive. Für solche Zwecke werden meist ist man der Ansicht, dass sie medizinische dekorative Tribal-Motive keltischen oder asiatischen Ursprungs und konventionelle Gründe hatten. Ötzi hatte, wie inzwischen nachgewiesen wurde, eine Leberschwäche, Körperteile gewählt. So sind bei Männern und einige der markantesten Tätowierungen nach wie vor der Oberarm, die Schulter und waren genau an den Akupunkturpunkten der Rücken beliebt, bei Frauen die Steißrefür die Behandlung der Leber. gion, der obere Brustbereich, Gesäß und Bauch. Eine zahlenmäßige Minderheit gestaltet Welchen Zweck haben die Motive selbst und setzt sich intensiv mit Tätowierungen? ihrer Bedeutung auseinander. Diese Gruppe Abgesehen von dekorativen Zwecken ist das eigentliche Rückgrat des Trends, da und dem Tätowieren als reines Trendphä- von ihr die innovativen Impulse ausgehen. nomen der heutigen Zeit gab und gibt es Die Tattoos sind auch meist mit sehr perimmer noch eine ganze Reihe von nach- sönlichen Elementen verbunden, etwa tief vollziehbaren Gründen, sich tätowieren prägenden Erlebnissen, politischen Überzu lassen. Doch dazu muss man die Wir- zeugungen und ethischen Werthaltungen. kungsweise des symbolischen Handelns Die Kunst der Motivgestaltung und die und Denkens verstehen: Tattoos sind eine Kraft des gewählten Motivs ist es dann, Möglichkeit, persönliche Eigenschaften aus diesen Eigenschaften, die man schwer und Haltungen symbolisch sichtbar und in Worte fassen kann, eine vielschichtige dauerhaft zu machen, die man einem Men- und schillernde Botschaft zur Identität des schen ansonsten nicht sofort ansehen kann. Trägers zu machen. Ein Symbol also, das In alten Traditionen waren das etwa der zur Stärkung und Sichtbarkeit der eigenen soziale Stand, bewältigte Schwierigkeiten, Identität beiträgt, das einen nicht vergessen bestandene Kämpfe, religiöse Zugehörig- lässt, wer man ist und ein unauslöschlicher keit oder Initiationsstufen. Meist gab es Begleiter für den Rest des Lebens wird. Ein in den historisch bekannten Kulturen, in Symbol, aus dem man Kraft schöpft. denen Tätowierungen weit verbreitet waren, Die Idee der Tätowierung wird heute als einen klaren Katalog von Symbolen, dessen eine subjektive und psychologische WirMotive Aussagen über den Träger möglich kung gesehen, abhängig von der Assozimachten. Eine solche Kultur ist Polynesien, ation und Interpretation des Betrachters. wo Tattoos die Kampferfahrung von Krie- Jene Kulturen und Menschen, die symbogern, soziale Funktionen im Stamm (Pries- lisch denken, schreiben den Symbolen aber ter, Richter etc.) und die wichtigen Schritte eine objektive Wirkung zu. Das Symbol im Leben (Erwachsen-Werden, Hochzeit, wird zum Träger einer Idee, einer eigenen Geburt eines Kindes etc.) symbolisieren. Es Kraft oder auch eines göttlichen Wesens, handelt sich jedenfalls um Eigenschaften, die den Tätowierten prägt, die ihn stärkt 50 Abenteuer Philosophie / Nr. 132 oder schwächt. Einmal tätowiert, kann man sich dieser Wirkung nicht mehr entziehen, sodass die Tätowierung eine seelische und spirituelle Bedeutung bekommt. Im besten Fall bietet sie so gesehen die Möglichkeit, sich untrennbar und sehr bewusst mit dem zu verbinden, was einem wichtig und heilig ist. Oder aber eben das Gegenteil. Wenn man an die medizinischen Tätowierungen denkt, wie oben im Falle von Ötzi, so erhebt sich die Frage: Was bewirken Zeichnungen auf meiner Haut, die möglicherweise Energielinien kreuzen, Energiezentren oder Organpunkte aktivieren oder sonst wie beeinflussen? Es gibt hierzu heute wenig Erfahrungen. Bekannt sind gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Piercings, insbesondere in der Mittellinie des Körpers ausgehend vom Bauchnabel. Wird die Dauerreizung vom Körper wieder ausgeglichen oder sollte man es entstören wie etwa eine Narbe? Hier muß noch geforscht werden. Kann man Tattoos wieder entfernen? Eine Tätowierung entsteht, indem man Farbtropfen mit einer Nadel oder einem anderen spitzen Gegenstand in die Haut einbringt, die dann als Fremdkörper erkannt und in einer Abwehrreaktion vom Gewebe umhüllt und eingeschlossen und dadurch stabilisiert werden. Wenn es gelingt, diese kleinen, vom Gewebe gebildeten Farbkügelchen aufzulösen, kann die Farbe vom Körper abtransportiert werden. Das ist mit Laser möglich, allerdings nur, wenn die verwendete Farbe und die Lichtfarbe bzw. Wellenlänge des Lasers sehr genau abgestimmt sind. Ansonsten erfordert es viele Sitzungen und es wird dennoch ein sichtbarer Rest bleiben. Es zeichnen sich Trends ab, dass in Zukunft bereits exakt abgestimmte Laser und Farbstoffkombinationen angeboten werden, die eine Entfernung erleichtern. Aufgrund der hohen Zahl von Mode-Tätowierungen gibt es einen entsprechenden Markt für solche removable tattoos. Womit der Zweck der Tätowierung allerdings ad absurdum geführt wird. ☐