Hokyo Morales, Präsidentin Schweizerische Buddhistische Union, zum Buddhismus, 29. August 2014 Hokyo Morales, Präsidentin Schweizerische Buddhistische Union zum Buddhismus im Rahmen des interreligiösen Sommersymposiums 29. August 2014 in Ins Bern Schweiz Ich wurde zu dieser Begegnung eingeladen, um als Vertreterin der Schweizerischen Buddhistischen Union zum Gespräch beizutragen. Der Buddhismus ist äusserst vielfältig, und eine einzige Person kann nicht im Namen aller Buddhisten sprechen. Dennoch werde ich versuchen, hier aus buddhistischer Sicht einige Gedanken mit ihnen zu teilen. Ob mein persönlicher Lebensweg dafür relevant ist, weiss ich nicht. Doch ich im Vorfeld des Symposiums wurde ich gebeten, etwas über meine Erfahrung und meine Praxis zu sagen. Ich bitte sie zu bedenken, dass die Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit der buddhistischen Lehre ebenso zahlreich sind wie die Buddhisten und meinen persönlichen Beitrag nicht als einziggültige Variante aufzufassen. Als Kind einer streng katholischen Familie konnte ich mit einer ernsthaften, konkreten Alltagspraxis, einer Praxis der kleinen Dinge, der täglichen Rituale und Momente der Stille, der Versenkung aufwachsen. Nach meinem Austritt aus der Kirche als junge Erwachsene fehlte mir dieser Aspekt : aus einem tiefen Glauben heraus eine Lebensweise zu haben, eine Richtung. Was aber ist ein tiefer Glaube ? Intellektuelle Überzeugung ? Gewissheit ? « Für-wahrhalten » ? Vertrauen ? Ist er an Glaubensinhalte gebunden ? Entspricht er Rudolf Ottos Sicht eines dem Menschen innewohnenden Wissens um das Numinöse oder ist er einfach so im Bewusstsein des Menschen verankert ? Meine Suche hat mich jedenfalls von den Büchern weg in ein Zendojo geführt wo ich die physischen und psychischen Wohltaten der Meditation zu finden hoffte. Natürlich kann man Zenmeditation als eine Art mentale Hygienetechnik verwenden, Mindfullness zur Stressbewältigung – es funktioniert ganz gut… Aber offen gestanden, so komfortabel fand ich die Lotushaltung nun doch nicht. Und von wegen den Geist beruhigen – je länger ich da sass, umso mehr kochte es in mir ! Das war vor 25 Jahren, und ich bin immer noch dort. Denn als erstes fand ich dort eine konkrete tägliche Praxis, verwendbar in allen Handlungen des Lebens, in allen Situationen. Erst nach einiger Zeit wurde mir bewusst, dass diese Praxis nicht nur tief im Buddhismus verankert ist, sondern an sich das Leben der Buddhalehre ist (in einer Ausdrucksform, die es in verschiedenen Varianten in allen buddhistischen Traditionen gibt, und die in meinem Fall von der geschichtlichen und kulturellen Entwicklung des Zen geprägt ist). Die Buddhalehre ? Erst viel später habe ich mich intellektuell damit auseinandergesetzt. Was mich bleiben liess waren weder philosophische Überlegungen noch Dogmen oder Argumente. 1 Hokyo Morales, Präsidentin Schweizerische Buddhistische Union, zum Buddhismus, 29. August 2014 Gekommen war ich mit einem Leidensdruck. Und Buddhas Lehre vom Leiden, seiner Ursache und der Möglichkeit der Befreiung sprach mich sofort an. Um sie zu verstehen braucht man keine besonderen Fähigkeiten, nur die Intelligenz des Herzens, nur die Offenheit für ein inneres Erfahren und die Bereitschaft, seine Wunden nicht mit oberflächlichen Erklärungen zuzupflastern. Ein wohl in fast allen Religionen wichtiger Aspekt ist die Gemeinschaft. Denn Religion bedeutet auch Zugehörigkeit, Liturgie und Anwendung der täglichen Praxis in der Reibung mit den andern. Dieses sich-an-den-andern reiben, die lebendige und tägliche Erfahrung der wechselseitigen Abhängigkeit ist für das Verständnis der Buddhalehre unerlässlich. Das Zusammenleben oder gemeinsame Praktizieren in einer spezifischen Glaubensgemeinschaft ist ein perfektes Übungsfeld dafür, doch der Buddhismus beschränkt den Begriff der Gemeinschaft nicht auf eine Gruppe von Gleichgesinnten. Denn er lehrt die allen Wesen innewohnende Fähigkeit zum Erwachen, zur Klarheit des Geistes, zum tiefen Erkennen des wahren Wesens aller Dinge. Diese « Buddhanatur » aller Wesen führt dann eben über die blosse Meditationstechnik für’s persönliche Wohlbefinden hinaus zu einer Religiosität, zu einem Engagement, zum tiefen Wunsch, diesen Weg wirklich zu gehen. Und sie erlaubt kein abgrenzendes, dualistisches Denken, kein Anstreben eines individuellen, persönlichen « Seelenheils ». Das Erkennen der wechselseitigen Abhängigkeit aller Wesen befähigt uns zur Entfaltung des natürlichen Mitgefühls und des natürlichen Sinns für Ethik. Es stellt den Menschen in seine eigene Verantwortung ; die Lebensregeln entspringen ganz natürlich den Grundlagen der buddhistischen Lehre. Die Praxis – Meditation, Rituale, Lebensweise - ist die Aktivierung des Erwachens, deren Verwirklichung im täglichen Leben, in allen Handlungen, deren Ausdruck, das « in-die-Tatumsetzen » der Buddhalehre, zum Wohle aller Wesen, wie wir Buddhisten gern sagen. In der Sôtôzen-Tradition, der ich angehöre ist diese präzise Aussage zentral : wir praktizieren nicht, um zum Erwachen zu gelangen sondern die Praxis selbst ist Erwachen. Unbestreitbar hat sie positive Auswirkungen auf unser Leben, strebt aber eigentlich kein bestimmtes Ziel an, sie ist nicht ein Weg zu etwas, sondern einfach nur der Weg. Im Buddhismus spielt die Meister-Schüler-Beziehung eine sehr wichtige Rolle. Denn wenn auch die Meditation zu einer gewissen psychischen Reifung verhilft, so braucht man doch einen erfahrenen Weggefährten, um die Illusion des Egos, die Unwissenheit zu durchbrechen, einen wahren Freund, der nicht davor zurückschreckt, uns aufzurütteln. Ich hatte das Glück, gleich zu Beginn einer Lehrerin zu begegnen, die dazu bereit war und mir das notwendige Vertrauen einflösste. (Diese Meisterin, Reverend Jiko Wolf leitet heute den Zentempel Kôsetsu-ji, dem ich angehöre. Ohne sie wäre ich nicht hier, um den Buddhismus zu vertreten.) Es gibt in den verschiedenen buddhistischen Traditionen zahlreiche Formen der Praxis und des Engagements. Selbstverständlich gibt es die monastische Tradition, doch ist der Buddhaweg und das Erwachen allen zugänglich. Es gibt nichts im täglichen Leben, sei es in einer Klostergemeinschaft oder in der Gesellschaft, das nicht Gelegenheit zur Praxis und zum 2 Hokyo Morales, Präsidentin Schweizerische Buddhistische Union, zum Buddhismus, 29. August 2014 Studium der Buddhalehre wäre. Ich wurde gefragt, ob ich glaube, dass meine Glaubensrichtung besonders geeignet sei, im 21. Jahrhundert einen Beitrag zu einem sinnvollen Leben zu leisten. Kürzlich las ich einen sehr interessanten Artikel des Jesuitenpaters Luc Ruedin, der davor warnt, den (interreligösen) Dialog als Gegenüberstellung oder Verhandlung zu verstehen. Ich bin buddhistische Nonne – selbstverständlich bin ich vom unermesslichen Wert der buddhistischen Praxis für unsere Gesellschaft überzeugt ! Aber zu behaupten, meine Glaubensrichtung sei geeigneter als andere wäre eine schlechte Voraussetzung für den Dialog und das Zusammenleben mit andern Religionen. Dem Buddhismus geht es in erster Linie um das Wohl aller Menschen. Für mich persönlich ist die Zenpraxis eine tägliche Einladung, die Lehre des Buddha in allen Dingen zu erproben und zu leben. Und sie ist eine konkrete Erziehung für das Leben, eine Erziehung, die uns befähigt, in allen Situationen respektvoll mit allen Wesen und allen Dingen umzugehen. Buddha hat uns die Lehre der Drei Gifte geschenkt : Unwissenheit oder Illusion, das Nichtzur-Kenntnis nehmen der wahren Natur aller Dinge (und des eigenen Selbst) ; Zorn oder Hass und Begehren. Im Umgang mit sich selbst, mit andern Menschen, mit der Gesellschaft, der Umwelt, mit den Problemen unserer Welt ist das tiefe Verstehen dieser Gifte gewiss eine wesentliche Grundlage für ein konstrutives und verantwortungsvolles Verhalten jedes Einzelnen. Es handelt sich um eine klar verständliche, allen zugängliche Herangehensweise an die universellen menschlichen Werte. Möge sie den friedlichen Austausch und das respektvolle Zusammenleben aller Überzeugungen bereichern. [email protected] 3 Hokyo Morales, Präsidentin Schweizerische Buddhistische Union, zum Buddhismus, 29. August 2014 Gemälde des Künstlers Peter Wettach. Entstanden während des Vortrags. [email protected] 4