26 KULTUR MONTAG, 29. APRIL 2013 MITTELDEUTSCHE ZEITUNG ZEITGESCHICHTE IN KÜRZE IanKershaw blickt skeptisch aufEuropa HUBERTUSBURG Museums-Sprecherin: Wir werden überrannt WERMSDORF/MZ - Ansturm auf Sachsens Versailles: Eine Sonderschau der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) zeigt Schloss Hubertusburg in Wermsdorf (Nordsachsen) als Ort europäischer Geschichte (die MZ berichtete). Anlass ist der 250. Jahrestag des Hubertusburger Friedens, der 1763 den Siebenjährigen Krieg beendete. Am ersten Publikumstag kamen Tausende Neugieriger, vorwiegend aus der Region, wie eine SKD-Sprecherin sagte. „Wir werden überrannt.“ Die Besucher drängten sich zwischen den Vitrinen. „Die königliche Jagdresidenz Hubertusburg und der Frieden von 1763“ illustriert die Geschichte und politische Bedeutung des Schlosses, die Leidenschaft der sächsischen Kurfürsten für die Parforcejagd und höfische Prachtentfaltung und die Kriegsjahre. Die Ausstellung läuft bis zum 5. Oktober. SCHAUSPIELER Armin Müller-Stahl in Berliner Krankenhaus WORPSWEDE/DPA - Wegen einer Erkrankung hat der Schauspieler Armin Mueller-Stahl (82) seine Teilnahme an der „Kunstund Filmbiennale Worpswede“ abgesagt. „Er ist gestern in ein Berliner Krankenhaus gekommen“, sagte der Initiator und Direktor der Kunst- und Filmbiennale, Jürgen Haase, am Samstag. „Nach Auskunft seiner Familie wird er es aber voraussichtlich am Montag schon wieder verlassen können“, sagte Haase. Weitere Angaben machte er nicht. Mit der Familie Mueller-Stahls sei Diskretion über Details der Erkrankung vereinbart, sagte Haase. LITERATUR Staufen stellt Werk von Peter Huchel aus Der Historiker wird heute 70 Jahre alt. VON HELEN LIVINGSTONE Von Elizabeth Shaw getuscht und 1972 veröffentlicht: Schweine als Häuslebauer. Zilli baut sein Haus aus Stroh, Billi aus Holz und Willi aus Stein. Die Frau von der Insel Eine Irin in Ostberlin: Die große Kinderbuch-Illustratorin erzählt in ihren Erinnerungen, wie sie nach Deutschland kam und warum sie blieb. ELIZABETH SHAW VON CHRISTIAN EGER HALLE/MZ - Ob sie mit ihrem Landsmann, dem irischen Dramatiker George Bernhard Shaw verwandt sei, das wurde sie in Ostberlin am häufigsten gefragt. Gewöhnlich zögerte Elizabeth Shaw mit der Antwort. Denn die ließ der „Klassikerin des Kinderbuches“ (Gabriele Mucchi) die Wahl. Einerseits hätte sich die Grafikerin, die mit ihren Kinderbüchern wie „Der kleine Angsthase“ oder „Zilli, Billi und Willi“ zu den besten Künstlern ihres Faches gehörte, im Glanz des alten Bestsellerautors sonnen, andererseits auch für eine abrupte Enttäuschung sorgen können. Die Wahrheit war aber: Sie wusste es nicht. Konnte es auch gar nicht wissen. Denn alle genealogischen Unterlagen Irlands wurden vernichtet, als der Oberste Gerichtshof in Dublin 1922 niedergebrannt wurde. Mit der Stammbaumfrage eröffnet Elizabeth Shaw, die 1920 in Belfast geboren wurde und 1946 von London weg nach Berlin übersiedelt war, ihre Erinnerungen. Die waren 1990 erstmals im AufbauVerlag erschienen und liegen nun in erweiterter Neuauflage im Verlag für Berlin-Brandenburg vor: ins Deutsche übersetzt von Wolfgang de Bruyn und mit einem Vorwort von Anne Schneider, der Tochter von Elizabeth Shaw. Ein Buch, das man gerne zur Hand nimmt. Denn die Frau von der irischen Insel war - vor allem als Buchgestalterin, aber nicht nur - eine geniale, ganz und gar eigenständige Künstlerin. Als eine von Westen her in die spätere DDR eingereiste Ausländerin zudem eine vergleichsweise unabhängige und genau beobachtende Zeugin des Alltags, aus der Mitte des Kulturmilieus heraus. So bietet die Shaw Seitenblicke auf einige Akteure der bis heute ungeschriebenen DDRKulturgeschichte der 50er Jahre. Elizabeth Shaw und ihr Sohn Patrick in Kleinmachnow, 1950 Elizabeth Shaw: Wie ich nach Berlin kam Verlag für BerlinBrandenburg, 224 Seiten, 19,95 Euro „Wie ich nach Berlin kam“ ist das Buch überschrieben, an dessen Fertigstellung Elizabeth Shaw von 1988 an gearbeitet hat. Warum sie nach Berlin kam, ist schnell beantwortet: der Liebe wegen. Die von dem großen englischen Bildhauer Henry Moore protegierte Künstlerin folgte ihrem 1944 geheirateten FOTO: SHAW Mann: dem deutschen Emigranten und Grafiker René Graetz (19081974), der 1946 in die KPD eintrat und von Berlin aus endlich ein neues Deutschland mitgestalten wollte. Dort wurde das junge linke Paar sofort umworben. Graetz wurde angeboten, an der Kunstschule Weimar als Lehrer anzufangen. Was deren Direktor, der Stalin-Allee-Architekt Hermann Henselmann, aber ablehnte: „Ihr seid Großstadtleute und solltet in Berlin bleiben.“ Zum Glück für den Leser. Elizabeth Shaw, die zuerst für die 1949 eingestellte Satirezeitschrift „Ulenspiegel“ und unter Rudolf Herrnstadt kurzzeitig für das „Neue - Auf den Tag genau 42 Jahre nach der Ausreise des Lyrikers Peter Huchel aus der DDR ist in Staufen bei Freiburg eine literarische Dauerausstellung eröffnet worden. Sie widme sich dem Lebenswerk Huchels, teilten die Organisatoren mit. Huchel gilt als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker. Zudem befasst sich die Ausstellung mit dem Autor Erhart Kästner. Erstellt wurde die Schau im Stubenhaus vom Deutschen Literaturarchiv Marbach und der Universität Freiburg. Der Weltgeist auf Rollschuhen GESCHICHTE Lukas Langhoff zeigt die Komödie „Purpurstaub“ in Dessau. Ex-Dombaumeisterin führt Burgenverein VON THOMAS ALTMANN KASSEL/DPA - Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner ist neue Präsidentin des Deutschen Burgenvereins. Die Kunsthistorikerin trete die Nachfolge von Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein an, berichtete der Verein nach der Wahl gestern in Kassel. Schock-Werner war seit 1995 die Vizepräsidentin, in diesem Amt folgt ihr nun Heinrich Ico Prinz Reuß als Vertreter der privaten Besitzer von Burgen und Schlössern. Sayn-Wittgenstein kritisierte in seiner Abschiedsrede, dass die Auflagen zu Umwelt- und Naturschutz den Denkmalschutz immer schwieriger machten. DESSAU-ROSSLAU/MZ - Je dunkler desto wertvoller: Purpur ist zuerst ein farbloser, verpulverter Schleim, ein Schneckensekret. Es ist die Farbe von Königen und Kardinälen und Sinnbild besonderer Zeiten. „Purpurne Nächte und güldene Tage“: Die waren schon vergangen, als Sean O’Casey seine „hinterhältige Komödie“ verfasste, Poges und Stoke nach Irland schickte, um ein verfallenes tudor-elisabethanisches Herrenhaus zu erwerben. In der Regie von Lukas Langhoff hatte „Purpurstaub“ am Sonnabend Premiere im Anhaltischen Theater Dessau. Die Rede ist vom „Versuch einer Übernahme“, einer feindlichen wahrscheinlich, einer des Hauses und der Komödie. Die STAUFEN/DPA REPRO: MZ Investoren kommen, wie nostalgisch, aus München. Sie kaufen kein morbides Landhaus, sondern das gerade bespielte Theater, welches noch ganz gut beieinander ist, auch wenn die Zukunft an maroden Balken hängen mag. Um purpurnen Farbstoff zu gewinnen, muss der Drüsenkörper der Schnecke zerquetscht werden. So etwa geht Langhoff mit der Vorlage um, zermalmt Drüsenkörper, Tudor-Villa, O’Casey-Wörter und Beziehungen. Doch das Sekret kommt kaum ans Licht, bleibt somit farblos. Dabei geht völlig in Ordnung, dass weder Kulissenklamauk noch Bühnenkuh blöken, wie in der Exempel-Inszenierung Ende der 60er Jahre. Geboten wird: keine Landidylle. Der Wessi (Simon Brusis) will das Musical, dafür rammt der Nachfahre von Poges den bayrischen Kopf durch die ostdeutsche Holzwand. Er hat eine Idee und keiner geht hin. Musical ist auch Oper ohne Subvention - und insofern keine Zukunft. Nun rauscht aus dem Nichts der „Starlight Express“ auf Rollschuhen in die funktionalstrukturelle Systemtheorie von Niklas Luhmann. Alles schick, so hoch gebildet wie abstrus, eine Collage, verleimt mit schneller Spucke. Aber ja, die Gegenwart ist auch zerzaust, fragmentarisch und die Arbeitsweise von Langhoff kollegial. Jeder darf, was er mag? Gitarre spielen (Gerald Fiedler als Nachfahre O’Killigains), Klavier spielen (Jan Kersjes), einer kann sich ausziehen und zieht sich aus, einer mit dem Kopf durch die Wand Deutschland“ zeichnete, bietet einige reizvolle Skizzen von Menschen, denen sie nur im Ostberliner Kulturzirkel oder in der Randberliner Siedlung Kleinmachnow begegnen konnte. Einer Art DDRKünstler-Kolonie, in der Shaw und Graetz die frühen Jahre verlebten. „Wir alle waren große Bewunderer Stalins und davon überzeugt, dass alles, was aus Moskau kam, nur Gutes sein konnte, auch wenn es manchmal verwirrend war“, schreibt die Shaw. Sie berichtet von der wachsenden Isolation des Physikers und Dissidenten Robert Havemann: „Er war ein Träumer realistischer Art“. Sie erzählt von den Landaufenthalten bei Bodo und Alma Uhse, einem Wochenende im Waldsieversdorfer, mit einer chinesischen Seidenfahne beflaggten Haus von John Heartfield, malt die langen Sommer in dem noch schwer erreichbaren Ostseebad Ahrenshoop aus und erwähnt, wie sie bei dem Komponisten Ernst Hermann Meyer ein heißes Bad nehmen wollte, und dabei sah, wie Meyer und der Dichter Louis Fürnberg gemeinsam an dem Lied arbeiteten mit dem schlagenden Refrain „Die Partei hat immer recht“. Kulturpolitische Miniaturen aus einer Gesellschaft, die der Shaw doch immer etwas fremd blieb. Die zu verlassen für die Mutter von zwei Kindern aber nie in Frage kam. Auch das Irland ihrer Kindheit war ihr längst fern. Um Geld in den Haushalt zu bringen, erfand die Künstlerin Anfang der 60er Jahre „Der kleine Angsthase“ und „Gittis Tomatenpflanze“. Zwei Bestseller. Fortan war der klare und heitere Strich der Zeichnerin Elizabeth Shaw aus der deutschen Buchwelt nicht mehr wegzudenken. Obwohl von ihrer Seite aus immer kleine Reserviertheit blieb. Testamentarisch verfügte Elizabeth Shaw, dass ihre Asche in die Irische See zu streuen sei, was im Sommer 1992 geschah. LONDON/DPA - Als Historiker ist Ian Kershaw (Foto) gewissermaßen der Experte für Unheil. Auf seinem Spezialgebiet, Deutschlands düsterer Etappe der Hitlerzeit, schrieb er Bestseller und erntete internationale Anerkennung. Seine zweibändige Hitler-Biografie gilt als Standardwerk. Für „Das Ende“ - eine Untersuchung zur Frage, warum Deutschland im Zweiten Weltkrieg bis zum bitteren Ende kämpfte wurde er mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung ausgezeichnet. Am Horizont des heutigen Europa sieht Kershaw, der heute 70 Jahre alt wird, auch Gefahren heraufziehen. Er sei auf lange Sicht skeptisch, ob die Eurozone zusammengehalten werden könne, sagt der Historiker im Gespräch, „weil sie eine wirtschaftliche Union ohne politische Union bildet und ich mich nicht an ein Beispiel in der Geschichte erinnern kann, in dem das funktioniert hätte“. Eine politische Union hält er aber auch für unwahrscheinlich. „Können Sie sich das vorstellen? Eine europäische Regierung vor einer deutschen, einer französischen Regierung?“ Seit Beginn der Wirtschaftskrise hat die extreme Rechte in Europa an Boden gewonnen. „Es gibt sehr unerfreuliche Anzeichen für einen neuen Nationalismus und Rassismus“, sagt Kershaw. Vergleiche zu den faschistischen Bewegungen vor dem Zweiten Weltkrieg weist er aber zurück. „Das Erstaunliche am heutigen Europa verglichen mit den 1920er und 30er Jahren ist, wie wenig politische Umbrüche es gegeben hat. Es hat keine faschistischen, autoritären oder militärischen Machtergreifungen nach Diktatorenart gegeben“, sagt der Historiker, der zuletzt an der Universität von Sheffield lehrte und 2008 in den Ruhestand ging. Ganz sicher eine Rolle spielen wird die EU in Kershaws nächstem Werk zur Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. „Das letzte Buch, das ich schrieb, hieß ,Das Ende’, und es hatte den netten metaphorischen Beigeschmack, dass damit auch das Ende meiner Arbeiten über Nazi-Deutschland gemeint war. Es ist nun sehr schön, eine Panorama-Studie über den gesamten Kontinent über einen langen Zeitraum anzugehen.“ FOTO: DPA Von links: Peter Wagner, Katja Sieder, Simon Brusis, Sebastian Müller-Stahl, FOTO: CLAUDIA HEYSEL Christel Ortmann, Jenny Langner und Gerald Fiedler gehen und zwei (Katja Sieder, Peter Wagner) können Luhmanns schwere Kost wie Zungenbrecher zelebrieren. Die Bühne (Sven Nahrstedt) ist groß, darf groß bleiben und beschwört in gnadenloser Perspektive abgerissenen Litfaßsäulen-Charme, während die Kostüme (Ines Burisch) das Musical auf die glitzernde Schippe nehmen. „Das Lachen ist eine fröhliche Erklärung des Menschen, dass das Leben lebenswert ist“, schrieb O’Casey. Nur: Wie macht man das? Was hier staubt, war purpur nie, erst fahnenrot, nun pflaumenblau. Nächste Aufführungen am 5. und 18. Mai, jeweils 17 Uhr