Die Frau von der Insel - Verlag für Berlin

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KULTUR
MONTAG, 29. APRIL 2013
MITTELDEUTSCHE ZEITUNG
ZEITGESCHICHTE
IN KÜRZE
IanKershaw
blickt skeptisch
aufEuropa
HUBERTUSBURG
Museums-Sprecherin:
Wir werden überrannt
WERMSDORF/MZ - Ansturm auf
Sachsens Versailles: Eine Sonderschau der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD)
zeigt Schloss Hubertusburg in
Wermsdorf (Nordsachsen) als
Ort europäischer Geschichte
(die MZ berichtete). Anlass ist
der 250. Jahrestag des Hubertusburger Friedens, der 1763
den Siebenjährigen Krieg beendete. Am ersten Publikumstag kamen Tausende Neugieriger, vorwiegend aus der Region, wie eine SKD-Sprecherin
sagte. „Wir werden überrannt.“
Die Besucher drängten sich zwischen den Vitrinen. „Die königliche Jagdresidenz Hubertusburg und der Frieden von
1763“ illustriert die Geschichte
und politische Bedeutung des
Schlosses, die Leidenschaft der
sächsischen Kurfürsten für die
Parforcejagd und höfische
Prachtentfaltung und die
Kriegsjahre. Die Ausstellung
läuft bis zum 5. Oktober.
SCHAUSPIELER
Armin Müller-Stahl in
Berliner Krankenhaus
WORPSWEDE/DPA - Wegen einer
Erkrankung hat der Schauspieler Armin Mueller-Stahl (82)
seine Teilnahme an der „Kunstund Filmbiennale Worpswede“
abgesagt. „Er ist gestern in ein
Berliner Krankenhaus gekommen“, sagte der Initiator und
Direktor der Kunst- und Filmbiennale, Jürgen Haase, am
Samstag. „Nach Auskunft seiner
Familie wird er es aber voraussichtlich am Montag schon wieder verlassen können“, sagte
Haase. Weitere Angaben machte
er nicht. Mit der Familie Mueller-Stahls sei Diskretion über
Details der Erkrankung vereinbart, sagte Haase.
LITERATUR
Staufen stellt Werk von
Peter Huchel aus
Der Historiker wird
heute 70 Jahre alt.
VON HELEN LIVINGSTONE
Von Elizabeth Shaw getuscht und 1972 veröffentlicht: Schweine als Häuslebauer. Zilli baut sein Haus aus Stroh, Billi aus Holz und Willi aus Stein.
Die Frau von der Insel
Eine Irin in Ostberlin: Die große Kinderbuch-Illustratorin erzählt
in ihren Erinnerungen, wie sie nach Deutschland kam und warum sie blieb.
ELIZABETH SHAW
VON CHRISTIAN EGER
HALLE/MZ - Ob sie mit ihrem Landsmann, dem irischen Dramatiker
George Bernhard Shaw verwandt
sei, das wurde sie in Ostberlin am
häufigsten gefragt. Gewöhnlich zögerte Elizabeth Shaw mit der Antwort. Denn die ließ der „Klassikerin des Kinderbuches“ (Gabriele
Mucchi) die Wahl.
Einerseits hätte sich die Grafikerin, die mit ihren Kinderbüchern
wie „Der kleine Angsthase“ oder
„Zilli, Billi und Willi“ zu den besten
Künstlern ihres Faches gehörte, im
Glanz des alten Bestsellerautors
sonnen, andererseits auch für eine
abrupte Enttäuschung sorgen können. Die Wahrheit war aber: Sie
wusste es nicht. Konnte es auch gar
nicht wissen. Denn alle genealogischen Unterlagen Irlands wurden
vernichtet, als der Oberste Gerichtshof in Dublin 1922 niedergebrannt wurde.
Mit der Stammbaumfrage eröffnet Elizabeth Shaw, die 1920 in Belfast geboren wurde und 1946 von
London weg nach Berlin übersiedelt war, ihre Erinnerungen. Die
waren 1990 erstmals im AufbauVerlag erschienen und liegen nun
in erweiterter Neuauflage im Verlag für Berlin-Brandenburg vor: ins
Deutsche übersetzt von Wolfgang
de Bruyn und mit einem Vorwort
von Anne Schneider, der Tochter
von Elizabeth Shaw. Ein Buch, das
man gerne zur Hand nimmt.
Denn die Frau von der irischen
Insel war - vor allem als Buchgestalterin, aber nicht nur - eine geniale, ganz und gar eigenständige
Künstlerin. Als eine von Westen
her in die spätere DDR eingereiste
Ausländerin zudem eine vergleichsweise unabhängige und genau beobachtende Zeugin des Alltags, aus der Mitte des Kulturmilieus heraus. So bietet die Shaw
Seitenblicke auf einige Akteure der
bis heute ungeschriebenen DDRKulturgeschichte der 50er Jahre.
Elizabeth Shaw und ihr Sohn Patrick in Kleinmachnow, 1950
Elizabeth Shaw:
Wie ich nach
Berlin kam
Verlag für BerlinBrandenburg,
224 Seiten,
19,95 Euro
„Wie ich nach Berlin kam“ ist das
Buch überschrieben, an dessen
Fertigstellung Elizabeth Shaw von
1988 an gearbeitet hat. Warum sie
nach Berlin kam, ist schnell beantwortet: der Liebe wegen. Die von
dem großen englischen Bildhauer
Henry Moore protegierte Künstlerin folgte ihrem 1944 geheirateten
FOTO: SHAW
Mann: dem deutschen Emigranten
und Grafiker René Graetz (19081974), der 1946 in die KPD eintrat
und von Berlin aus endlich ein neues Deutschland mitgestalten wollte. Dort wurde das junge linke Paar
sofort umworben. Graetz wurde angeboten, an der Kunstschule Weimar als Lehrer anzufangen. Was
deren Direktor, der Stalin-Allee-Architekt Hermann Henselmann,
aber ablehnte: „Ihr seid Großstadtleute und solltet in Berlin bleiben.“
Zum Glück für den Leser. Elizabeth Shaw, die zuerst für die 1949
eingestellte Satirezeitschrift „Ulenspiegel“ und unter Rudolf Herrnstadt kurzzeitig für das „Neue
- Auf den Tag genau 42 Jahre nach der Ausreise
des Lyrikers Peter Huchel aus
der DDR ist in Staufen bei Freiburg eine literarische Dauerausstellung eröffnet worden.
Sie widme sich dem Lebenswerk
Huchels, teilten die Organisatoren mit. Huchel gilt als einer
der bedeutendsten deutschen
Lyriker. Zudem befasst sich die
Ausstellung mit dem Autor Erhart Kästner. Erstellt wurde die
Schau im Stubenhaus vom Deutschen Literaturarchiv Marbach
und der Universität Freiburg.
Der Weltgeist
auf Rollschuhen
GESCHICHTE
Lukas Langhoff zeigt die Komödie „Purpurstaub“ in Dessau.
Ex-Dombaumeisterin
führt Burgenverein
VON THOMAS ALTMANN
KASSEL/DPA - Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara
Schock-Werner ist neue Präsidentin des Deutschen Burgenvereins. Die Kunsthistorikerin trete die Nachfolge von
Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein an, berichtete der Verein nach der Wahl gestern in
Kassel. Schock-Werner war seit
1995 die Vizepräsidentin, in
diesem Amt folgt ihr nun Heinrich Ico Prinz Reuß als Vertreter
der privaten Besitzer von Burgen und Schlössern. Sayn-Wittgenstein kritisierte in seiner
Abschiedsrede, dass die Auflagen zu Umwelt- und Naturschutz den Denkmalschutz immer schwieriger machten.
DESSAU-ROSSLAU/MZ - Je dunkler
desto wertvoller: Purpur ist zuerst
ein farbloser, verpulverter Schleim,
ein Schneckensekret. Es ist die Farbe von Königen und Kardinälen
und Sinnbild besonderer Zeiten.
„Purpurne Nächte und güldene Tage“: Die waren schon vergangen,
als Sean O’Casey seine „hinterhältige Komödie“ verfasste, Poges und
Stoke nach Irland schickte, um ein
verfallenes
tudor-elisabethanisches Herrenhaus zu erwerben.
In der Regie von Lukas Langhoff
hatte „Purpurstaub“ am Sonnabend Premiere im Anhaltischen
Theater Dessau. Die Rede ist vom
„Versuch einer Übernahme“, einer
feindlichen wahrscheinlich, einer
des Hauses und der Komödie. Die
STAUFEN/DPA
REPRO: MZ
Investoren kommen, wie nostalgisch, aus München. Sie kaufen
kein morbides Landhaus, sondern
das gerade bespielte Theater, welches noch ganz gut beieinander ist,
auch wenn die Zukunft an maroden Balken hängen mag.
Um purpurnen Farbstoff zu gewinnen, muss der Drüsenkörper
der Schnecke zerquetscht werden.
So etwa geht Langhoff mit der Vorlage um, zermalmt Drüsenkörper,
Tudor-Villa, O’Casey-Wörter und
Beziehungen. Doch das Sekret
kommt kaum ans Licht, bleibt somit farblos. Dabei geht völlig in
Ordnung, dass weder Kulissenklamauk noch Bühnenkuh blöken,
wie in der Exempel-Inszenierung
Ende der 60er Jahre.
Geboten wird: keine Landidylle.
Der Wessi (Simon Brusis) will das
Musical, dafür rammt der Nachfahre von Poges den bayrischen Kopf
durch die ostdeutsche Holzwand.
Er hat eine Idee und keiner geht
hin. Musical ist auch Oper ohne
Subvention - und insofern keine
Zukunft. Nun rauscht aus dem
Nichts der „Starlight Express“ auf
Rollschuhen in die funktionalstrukturelle Systemtheorie von
Niklas Luhmann. Alles schick, so
hoch gebildet wie abstrus, eine Collage, verleimt mit schneller Spucke. Aber ja, die Gegenwart ist
auch zerzaust, fragmentarisch und
die Arbeitsweise von Langhoff kollegial. Jeder darf, was er mag?
Gitarre spielen (Gerald Fiedler
als Nachfahre O’Killigains), Klavier
spielen (Jan Kersjes), einer kann
sich ausziehen und zieht sich aus,
einer mit dem Kopf durch die Wand
Deutschland“ zeichnete, bietet einige reizvolle Skizzen von Menschen, denen sie nur im Ostberliner Kulturzirkel oder in der Randberliner Siedlung Kleinmachnow
begegnen konnte. Einer Art DDRKünstler-Kolonie, in der Shaw und
Graetz die frühen Jahre verlebten.
„Wir alle waren große Bewunderer Stalins und davon überzeugt,
dass alles, was aus Moskau kam,
nur Gutes sein konnte, auch wenn
es manchmal verwirrend war“,
schreibt die Shaw. Sie berichtet von
der wachsenden Isolation des Physikers und Dissidenten Robert Havemann: „Er war ein Träumer realistischer Art“. Sie erzählt von den
Landaufenthalten bei Bodo und Alma Uhse, einem Wochenende im
Waldsieversdorfer, mit einer chinesischen Seidenfahne beflaggten
Haus von John Heartfield, malt die
langen Sommer in dem noch
schwer erreichbaren Ostseebad
Ahrenshoop aus und erwähnt, wie
sie bei dem Komponisten Ernst
Hermann Meyer ein heißes Bad
nehmen wollte, und dabei sah, wie
Meyer und der Dichter Louis Fürnberg gemeinsam an dem Lied arbeiteten mit dem schlagenden Refrain „Die Partei hat immer recht“.
Kulturpolitische Miniaturen aus
einer Gesellschaft, die der Shaw
doch immer etwas fremd blieb. Die
zu verlassen für die Mutter von
zwei Kindern aber nie in Frage
kam. Auch das Irland ihrer Kindheit war ihr längst fern. Um Geld in
den Haushalt zu bringen, erfand
die Künstlerin Anfang der 60er
Jahre „Der kleine Angsthase“ und
„Gittis Tomatenpflanze“. Zwei Bestseller. Fortan war der klare und
heitere Strich der Zeichnerin Elizabeth Shaw aus der deutschen Buchwelt nicht mehr wegzudenken. Obwohl von ihrer Seite aus immer
kleine Reserviertheit blieb. Testamentarisch verfügte Elizabeth
Shaw, dass ihre Asche in die Irische See zu streuen sei, was im
Sommer 1992 geschah.
LONDON/DPA - Als Historiker ist Ian
Kershaw (Foto) gewissermaßen
der Experte für Unheil. Auf seinem
Spezialgebiet, Deutschlands düsterer Etappe der Hitlerzeit, schrieb er
Bestseller und erntete internationale Anerkennung. Seine zweibändige Hitler-Biografie gilt als Standardwerk. Für „Das Ende“ - eine
Untersuchung zur Frage, warum
Deutschland im Zweiten Weltkrieg
bis zum bitteren Ende kämpfte wurde er mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung ausgezeichnet. Am Horizont
des heutigen Europa sieht Kershaw, der heute 70 Jahre alt wird,
auch Gefahren heraufziehen.
Er sei auf lange Sicht skeptisch,
ob die Eurozone zusammengehalten werden könne, sagt der Historiker im Gespräch, „weil sie eine
wirtschaftliche
Union ohne politische Union
bildet und ich
mich nicht an
ein Beispiel in
der Geschichte
erinnern kann,
in dem das
funktioniert
hätte“. Eine politische Union
hält er aber
auch für unwahrscheinlich. „Können Sie sich das vorstellen? Eine
europäische Regierung vor einer
deutschen, einer französischen Regierung?“ Seit Beginn der Wirtschaftskrise hat die extreme Rechte in Europa an Boden gewonnen.
„Es gibt sehr unerfreuliche Anzeichen für einen neuen Nationalismus und Rassismus“, sagt Kershaw. Vergleiche zu den faschistischen Bewegungen vor dem Zweiten Weltkrieg weist er aber zurück.
„Das Erstaunliche am heutigen
Europa verglichen mit den 1920er
und 30er Jahren ist, wie wenig politische Umbrüche es gegeben hat.
Es hat keine faschistischen, autoritären oder militärischen Machtergreifungen nach Diktatorenart gegeben“, sagt der Historiker, der zuletzt an der Universität von Sheffield lehrte und 2008 in den Ruhestand ging.
Ganz sicher eine Rolle spielen
wird die EU in Kershaws nächstem
Werk zur Geschichte Europas im
20. Jahrhundert. „Das letzte Buch,
das ich schrieb, hieß ,Das Ende’,
und es hatte den netten metaphorischen Beigeschmack, dass damit
auch das Ende meiner Arbeiten
über Nazi-Deutschland gemeint
war. Es ist nun sehr schön, eine
Panorama-Studie über den gesamten Kontinent über einen langen
Zeitraum anzugehen.“
FOTO: DPA
Von links: Peter Wagner, Katja Sieder, Simon Brusis, Sebastian Müller-Stahl,
FOTO: CLAUDIA HEYSEL
Christel Ortmann, Jenny Langner und Gerald Fiedler
gehen und zwei (Katja Sieder, Peter
Wagner) können Luhmanns schwere Kost wie Zungenbrecher zelebrieren. Die Bühne (Sven Nahrstedt) ist groß, darf groß bleiben
und beschwört in gnadenloser Perspektive abgerissenen Litfaßsäulen-Charme, während die Kostüme
(Ines Burisch) das Musical auf die
glitzernde Schippe nehmen. „Das
Lachen ist eine fröhliche Erklärung
des Menschen, dass das Leben lebenswert ist“, schrieb O’Casey.
Nur: Wie macht man das? Was hier
staubt, war purpur nie, erst fahnenrot, nun pflaumenblau.
Nächste Aufführungen am 5. und
18. Mai, jeweils 17 Uhr
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