Ideologisches Potenzial und ästhetische Strategien von Joachim Fiebach Weisen die Darstellungsstrukturen des ausdifferenzierten Theaters – das Zusammenwirken von Musik, Tanz, verbalem Ausdruck und von Masken bzw. Maskierungen – auf das Herkommen aus der allgemeinen (rituell) theatralen Prägung/Gestaltung vormoderner Gesellschaften hin, dürfte das in abgeänderter Weise auch für seine teilweise ideologischen Wirkungen (Funktionen) gelten. Kulturhistorisch signifikante Theaterkünste verhandelten wesentliche, auch entscheidende Probleme, Konflikte, Widersprüche der Gesellschaften insgesamt oder/und einzelner Klassen und sozialer Schichten ihrer jeweiligen Kontexte. Exemplarisch sind die Tragödien- und Komödien Athens aus dem 5. Jahrhundert, das japanische No und Kabuki und das Yuan-Drama (yuan zaju), das wohl erste und vielleicht bedeutendste „klassische“ Theater Chinas. Tragödie und Alte Komödie in der demokratischen Polis Athen Die Inszenierungen der vier großen Dramatiker Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes waren herausragende Momente des wohl zentralen soziokulturellen Ereignisses der athenischen Polis. Das Fest hatte auch eine wichtige außenpolitische Komponente. Es war ein grandioses Schauspiel der imperialen Macht über die griechischen „Verwandten“, zu der die demokratische Polis Athen aufgestiegen war, über die anderen Städte, die ursprünglich im Jahr 478 v. Chr. im Bündnis von Delos Athen wegen seiner strategischen Position eine Führungsrolle zugestanden und dem Stadtstaat Geld gegeben hatten, damit sich alle gegen die Perser behaupten konnten. Das Bündnis wandelte sich zu einem tributären Abhängigkeitsverhältnis. Spätestens seit der Mitte des 5. Jahrhunderts war die Ausstellung der Tribute, die die ehemaligen griechischen Bündnispartner zu erbringen hatten, ein wichtiges Moment des Festes. Im Anschluss an den Einzug der athenischen Kriegswaisen brachte man die Beiträge der anderen Städte in die Orchestra, nach Talenten in großen Gefäßen, vermutlich Tonkrügen, sortiert. Jedes Talent umfasste 6000 Drachmen, Silber im Gewicht von gut 26 Kilogramm. In einer kritischen Rückschau aus der Mitte des 4. Jahrhunderts bemerkte der Redner Isokrates, man habe das „schlimmste Strafbare“ (worst odium) getan, indem man den Überfluss der Fonds, den man aus den Tributen der Alliierten erzielte, in Geldmengen (talents) gestückelt auf die Bühne brachte – „when the theatre was full, at the festival of Dionysus“. Damals schätzten sich die Athener glücklich, ja gesegnet, an keine künftigen Konsequenzen denkend. Sie bewunderten nur den Reichtum, der unrechtmäßig in die Stadt geflossen sei, und der bald (im Peloponnesischen Krieg) das zerstören sollte, was der Stadt (Athen) rechtmäßig gehörte.136 Manifestiert in Dionysos, der mythischen Mittelpunktgestalt, erscheinen die Großen Dionysien als ein höchst dialektisches (demokratisches) Unternehmen.137 Dionysos war ein, wohl der griechische Gott, mit dem die ambivalente, paradoxe Vieldeutigkeit und/oder Widersprüchlichkeit der Dinge am radikalsten zusammengedacht und als solche (re)präsentiert werden konnten, wenn auch eine damalige Lesart des Dionysos nicht eindeutig zu ermitteln ist. Heute sieht ihn Marcel Detienne als einen „epidemischen Gott“. Epidemien seien Opfer, die man Göttern darbringt, wenn sie in ein Land oder Heiligtum einziehen. Ne ben Apollon sei Dionysos der am meisten epidemische unter den Göttern des Pantheon.138 Er sei ständig unterwegs. Man treffe ihn überall, doch „nirgendwo ist er zu Hause“. Er sei eine „Form in ewigem Wandel“, immer das Fremde. Er könne niemals sicher sein, erkannt zu werden, wenn er die fremdartige Maske einer Macht umherführt, die „keiner anderen gleicht“. Er sei eine „Maske ohnegleichen“. Sein Mythos spreche unablässig von wechselnden Epiphanien unter den Menschen: Er erscheine als Gott des Rebstocks, des Weines, und als Gott, der verbunden sei mit mania, mit ausgeprägtem „Wahnsinn“,139 der zu Mord und Befleckung führt, zugleich aber habe er eine andere Seite – das Freundliche, Behilfliche. Als wahrscheinliche Symbolfigur extremer Widersprüchlichkeit konnte er dem mythischen Denken und seinen ritualen theatralen Praktiken das prinzipiell Gegensätzliche bedeuten, das Widersprüchliche der Phänomene in sich. Mythenberichten antiker Autoren nach hatte Dionysos etwas mit beidem zu tun, „mit Gewalttätigkeit und ihrer zivilen Eindämmung, mit Töten und Essen, mit ritualer Opferung und dem ernährenden Verzehr“. Eine Kultinschrift zeigt „reale Mänaden“, die mit rohem Fleisch umgingen. Man nannte ihn „Menschen-Zerstörer“, „Esser-des-Rohen“, „Der Rasende“, „Der Wilde“. Zugleich gibt es antike Berichte, dass Rituale primär seine zivilisierende, domestizierende Rolle betonten.140 Dass die ausdifferenzierte Theaterkunst im und für das Fest eine zentrale Stellung einnahm, beleuchtet die gleichsam dialektische Verfasstheit der Polis Athen im 5. Jahrhundert, ihr zutiefst demokratisches Wesen, besonders klar. Kulturgeschichtlich vielleicht einzigartig sprachen die Tragödien, dann auch die alten Komödien – jedenfalls die erhaltenen des Aristophanes – in dem Herrschaftsspektakel, das den Stadtstaat affirmativ feierte, von den Spannungen, Konflikten und fundamentalen Widersprüchen, die sein gesellschaftliches Gefüge buchstäblich zu zerreißen drohten. Der historische Kontext war die Formierung der Sklavenhalter-Demokratie Athens im späten 6. Jahrhundert, der gewaltige Umbruch des Stadtstaates von einer von Aristokratie-Clans dominierten Gesellschaft zu einer Demokratie, in der alle freien Bürger – Männer, nicht Frauen und natürlich auch nicht die Sklaven – für Jahrzehnte politische Gleichheit hatten, jedoch keine sozialökonomische. Die hauptsächlich auf Agrikultur beruhende Gesellschaft, in der die landbesitzende Aristokratie, die in Clans organisiert war und Bauern ausbeutete, bestimmte, hatte sich um ca. 500 v. Chr. zu einem Staat entwickelt, in dem Münzwesen, kleine Warenproduktion, Minenproduktion, großhandwerkliche Produktionsstätten und vor allem Handel und Finanzwesen wesentliche Rollen spielten, die Bauern frei waren und als kleine Warenproduzenten politisch abgesicherte Existenzmöglichkeiten hatten. Mit der Entmachtung des alten Adelsrats auf dem Areopag (462/ 461 v. Chr.), wo die ungemein kompliziert gewordene attische Politik beraten worden war, wurden die Einflussmöglichkeiten der Aristokratie endgültig eingeschränkt. Mit der Volksversammlung als dem maßgebenden Organ erhielten die Mittelschichten (Kaufleute, Hand werker, Finanzleute) politisch entscheidende Macht auf der Grundlage wesentlicher, zumindest wahlaktiver Beteiligung auch der Bauernschichten und kleinen Handwerker. Athen hatte sich in der Zeit seit den Perserkriegen (Anfang des 5. Jahrhunderts) ungewöhnlich schnell verändert. Innerhalb von fünf Jahren verwandelte sich die Stadt zu einer Großmacht. Wesentlich waren der Flottenbau, den Athen drei Jahre vor der Schlacht von Salamis (480 v. Chr.) begonnen hatte, die Schlacht selbst, deren Ausgang sie entscheidend bestimmte, und die anschließende Gründung des Seebunds, in welchem Athen die Führung des weiteren Kampfes gegen das persische Reich übernahm. Die gesellschaftskritische Funktion der alten erhaltenen Komödien des Aristophanes liegt auf der Hand. Die Komödie wurde zwar erst 486 v. Chr. neben der Tragödie und dem Satyrspiel in das Festprogramm der Großen Dionysien aufgenommen, war aber viel früher in Gebrauch gewesen. Sie bildete eines der wichtigsten Foren der scharfen Kritik an bestimmten Persönlichkeiten und Institutionen Athens wie auch des „attischen Demos“ überhaupt, also des Volkes im Ganzen. Sie griff Politiker, Feldherren, Gesandte, Priester, kulturell herausragende Persönlichkeiten zum Teil aufs Schärfste an oder machte sie lächerlich; sie befasste sich grundsätzlich mit Athens Politik, besonders auch mit dem Peloponnesischen Krieg mit Sparta und der mangelnden Bereitschaft ihn zu beenden und mit der Leichtigkeit, mit der der Demos, die Wähler, sich verführen ließ. Die Tragödie dürfte jedoch als politische Kunst141 von noch größerer Bedeutung gewesen sein.142 Die fundamentalen Veränderungen seit dem 6. Jahrhundert hatten alle überkommenen Auffassungen von Ordnung in Frage gestellt. Was hatte es mit der göttlichen Gerechtigkeit, mit der so lang gehegten Vorstellung einer rechten Ordnung auf sich, wenn man davon so schnell abweichen konnte? Was sagte Zeus dazu? Als Aischylos es unternahm, die neue Ordnung mit den alten Vorstellungen in Einklang zu bringen, indem er den Umbruch in Parallele zu jener Vorzeit setzte, da Zeus’ Herrschaft noch jung gewesen war, ergab sich daraus die Frage nach dem obersten Gott und seiner Herrschaft, und sie wurde im als Fragment erhaltenen PROMETHEUS-Drama äußerst radikal beantwortet. Wahrscheinlich ist es nicht übertrieben, wenn man formuliert, so Christian Meier, dass die Entstehung der Demokratie im Mythos balanciert werden musste, dass sie auch Zeus tangierte, dass von ihr aus die ganze Welt anders erschien: „Es hing für die attischen Bürger aller Wahrscheinlichkeit nach alles noch zu sehr mit allem zusammen, insbesondere die politische Wirklichkeit mit der Religion.“ Die Tragödie enthüllte die tiefe Widersprüchlichkeit und Krisenhaftigkeit Athens, die es bis in die Katastrophe trieben. So sei es immer wieder gelungen, „statt Selbstgewißheit In-Frage-Stellung und Selbstvergewisserung stattfinden zu lassen, das heißt die Grundlagen offenzuhalten, auf denen man sich bewegte.“143 Die atemberaubend schnell verlaufenden Umbrüche, in/zu denen der Einzelne sich jetzt aktiv, als eigenständig Handelnder, tendenziell immer unabhängiger vom Wirken der Götter und anderen mythischen Konstruktionen, verhalten musste/konnte, erforderten neues Wahrnehmen und vor allem neues Durchdenken der Welt. Die Polis-Institutionen ermöglichten und drängten, vielleicht, geradezu darauf, dass der freie männliche Bürger die Dinge unter die Kontrolle eigener Entscheidungen brachte. Vernant verweist auf einen Grundgestus der Tragödie in immer wiederkehrenden Situationen, die wie Orest im zweiten Teil der ORESTIE die Figuren zwingen, notvoll die gleichsam existenzielle Frage zu stellen: „Was soll ich tun?“ 144 Argumentativ-reflexives Denken, vor-geschriebenes Theater Eine entscheidende Rolle für die theatrale Behandlung dieser Grundproblematik spielten die vor-geschriebenen, gleichsam philosophisch argumentativen Dramen-Texte. Das Vordringen der Schriftlichkeit und die Herausbildung eines neuen Denktypus, der philosophisch-rational argumentativen Reflexion, hatte in Verbindung mit den politischen Bewegungen in Richtung einer demokratischen Polis die Grundlage für das Entstehen des einzigartigen alten Theater Athens geschaffen. Bis ins späte 5. Jahrhundert v. Chr. kommunizierte man in Athen hauptsächlich mündlich. Nur ein kleiner Teil der freien Bürger (Männer) konnte lesen und schreiben. Schriftliche Kommunikation bestimmte weder die alltägliche Lebensführung noch politische Entscheidungen. Man schrieb, nach Eric Havelock, noch bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts im Wesentlichen rhythmisiert-poetisch, „narrativ“ in der Kommunikationsform des Mythischen. Das entsprach der Art, wie man in der reinen Oralität das „Eingraben“ des Gesprochenen (Gewussten) ins Gedächtnis gewährleistete. So waren auch die ersten schriftlichen Äußerungen dessen, was man gegenüber dem mythischen Denken als zumindest partiell neuartige philosophisch-abstrahierende Reflexion bezeichnen könnte, poetischen Erzählungen recht ähnlich. Aristophanes’ Komödien legen nahe, dass man bis 405 v. Chr. in tradierter Mündlichkeit, dem Face-to-Face-Unterricht lernte.145 Es waren aber die mit dem phonetischen Alphabet geschriebenen Gesetze des 6. und frühen 5. Jahrhunderts, mit denen sich die demokratische Polis herausbildete. Als eine wesentliche Komponente dieses so auch schriftlich beförderten Umbruchs bildeten sich ein neuer Denktypus und entsprechende Praktiken aus, besonders markiert durch den Beginn der antiken Philosophie. Zunächst noch in der poetisch-narrativen Äußerungsweise der tradierten oralen Kultur geschrieben, begann man im Unterschied zum mythischen oder „konkreten“ Denken Beweggründe der Dinge zu hinterfragen und in der Praxis betont reflexiv-argumentativ zu handeln. Nur so dürfte man den historischen Wandel im 5. Jahrhundert v. Chr., den „politischen Grund der Tragödie“ (Christian Meier), durchgeführt, ausgehalten und gemeistert haben. Die verschachtelnden Sätze der Tragödie, ihre kunstvoll arrangierten argumentativen Wechselreden, sprachen als neue kommunikative Form von den verwirrenden Ambivalenzen, den Konflikten und tiefsitzenden Widersprüchen der schwer entzifferbaren Umwälzungen. Es sei nicht genau auszumachen, so Meier, welche Probleme die attische Bürgerschaft mit ihrer ethischen Ausstattung, ihrer mentalen Infrastruktur hatte. Aber Spannungen, Orientierungsschwierigkeiten seien unverkennbar. Aus der Politik heraus ergaben sich immer wieder neue Probleme. Ständig musste man neu über Krieg und Frieden, Leben und Tod entscheiden. Das Politische war zuvor noch sehr im Religiösen eingebettet gewesen. So hatte sich eine immer größere Kluft zwischen Herkommen und Gegenwart aufgetan, zwischen Religion, Moral, Politik. Das warf große Probleme auf, die nirgends öffentlich diskutiert werden konnten – außer eben in der Tragödie. In ihr ließen sich Sinn-Möglichkeiten in einer völlig unsicheren Welt „durchspielen“.146 In gleichsam schmerzlicher Verdichtung konfrontierte sie die Athener, die sich als mehr oder minder autonom Handelnde zu erfahren begannen, mit dem Problem, wieweit der Mensch wirklich die Quelle seiner Handlungen ist – in der grundlegenden Unsicherheit, dem Doppeldeutigen, der wesenhaften ambiguity (Vernant)147 der gesellschaftlichen Verhältnisse, gleichsam der Welt überhaupt. Das System der Polis beruhte vor allem auf der Vorherrschaft des gesprochenen Wortes über alle anderen Instrumente der Macht. Das Wort war jetzt nicht mehr das Wort des Rituals, nicht mehr die „richtige Formel“, sondern das der kontroversen Debatten, der Diskussion, der Argumentation. Alle die Allgemeinheit betreffenden Fragen mussten sich daher in diskursiver Weise formulieren lassen, mit antithetischer Beweisfüh run g und einander entgegengesetzter Argumentation. Dafür wurden im 5. Jahrhundert Rhetorik und Sophistik ausgebildet. Im 4. Jahrhundert stellte Aristoteles Regeln des Beweises auf und setzte „der Logik des Schaubaren oder des Wahrscheinlichen, welche in den vom Zufall beherrschten Debatten der Praxis herrscht, eine dem theoretischen Wissen eigene Logik des Wahren entgegen“.148 Die Vernunft war so in Griechenland zuerst im Bereich der Politik in Erscheinung getreten und hatte dort ihre spezifische Form erhalten. Der Niedergang des Mythos begann, als man die Ordnung der menschlichen Gesellschaft zur Diskussion stellte und den Versuch unternahm, sie aus sich selbst heraus zu begründen, auf sie „die Norm der Zahl und des Maßes“149 anzuwenden. Für die Griechen der Polis gab es keinen Unterschied zwischen Mensch und citoyen (Bürger). Die Entstehung der Philosophie in Milet (Kleinasien), bei den ionischen Naturphilosophen des 6. Jahrhunderts, war tief im politischen Denken verwurzelt. Die griechische Vernunft verdankte ihre Gestalt den Beziehungen zwischen den Menschen unter - einander. Sie erlaubte, „in positiver, reflektierter und methodischer Weise auf die Menschen einzuwirken; sie ist nicht die einer Umgestaltung der Natur. In dieser ihrer Begrenztheit wie mit all den Neuerungen, die sie hervorgebracht hat, erweist sie sich als das ureigene Produkt der Stadt.“ 150 Der Lyriker und Staatsmann Solon kommunizierte Ende des 6. Jahrhunderts noch öffentlich in einer Form, die normalerweise dem geschlossenen Kreis von Aristokraten bei einem Festmahl vorbehalten war. In Versen verkündete er stolz, dank ihm sei heute die Erde Attikas, die früher versklavt gewesen war, frei. Er befreite die Athener, indem er die Schuldknechtschaft verbot. Im archaischen Sparta und Athen hatte man Aufgaben des Gesetzgebers mit poetischen und religiösen Mitteln vorbereitet und begleitet, die auf die Macht von Gesang, Beschwörungen, Reinigungsriten, Einführung von Kulten zurückgriffen. Wahrsager, Magier, in den göttlichen Dingen versiert, Gesetzgeber, Staatsmann – diese Funktionen waren noch miteinander verbunden. Das stand in deutlichem Kontrast zu Inhalten und Ausdrucksformen der Reformen des Kleisthenes. Seine tiefgreifenden Veränderungen in der institutionellen Ordnung hatten einen geistigen Hintergrund. Sie setzten neue Denkformen voraus, die nicht mehr so stark in religiösen Übersetzungen verankert waren. Man arbeitete einen „abstrakteren Raum“ aus, der mit der politischen Organisation verbunden war, und mit dem prytaneischen Kalender, der neben den religiösen gestellt wurde, eine bürgerliche Zeit. Die politische Organisation, der bürgerliche Raum, die Zeit der Polis wurden durch Zahlen bemessen und bestimmt, nach einem Dezimalsystem, das die duodezimale Zeitrechnung ablöste und dennoch in der Tradition wurzelte.151 Die Struktur des alten Komödien- und Tragödientheaters verweist auf diese Dialektik von „Altem“ und „Neuem“. Im 5. Jahrhundert wirkte das vor-geschriebene Wort noch untrennbar zusammen mit Musik und Tanz. Das jetzt ausdifferenzierte Theater war in diesem Sinne so „synthetisch“, „poetisch“ wie „archaische“ festlich-rituelle Theatralität. Die Kostümierungen der Alten Komödie stammten aus theatralen Praktiken des mythischen Denkens: Phallus, gepolsterte Leibteile, groteske Masken und Darstellungen sozialer und politischer Phänomene im Agieren von Tierchören (Wespen, Vögeln).152 Als gleichsam strukturell notwendige Äußerungsweise des neuen argumentativreflexiven (Be-)Denkens und Behandelns einer höchst kompliziert-komplexen, nahezu unauflösbaren Widersprüchlichkeit der Dinge waren die Schrift bzw. das Schreiben, das Vor-Geschriebene, die kommunikative Grundlage des athenischen Theaters.153 Das Denken des Ambivalenten, Widersprüchlichen, des Paradoxen der Dinge kann sich auch rein oral äußern, nicht zuletzt in solchen mehrdimensional-dialektischen Praktiken wie afrikanischen und indianischen Festen und Ritualen, auf die noch einzugehen ist. Aber: Die Schrift ermöglicht, Phänomene gleichsam in der ihr eigenen komplexen Struktur darzustellen. Im Aufschreiben, theatral gesehen im Vor-Schreiben ganzer Vorgänge und ihres wesentlichen Elements, des Sprechens, sind stark reflexive Momente, das insistierende und sich widersprechende Befragen von Situationen und der in ihnen Handelnden sowie das Argumentative und somit auch das Dialogisch-Ambivalente möglicher Aktionen vielleicht überhaupt erst in ihrer Spezifik zu fassen. Die potenziell lange, mit verschiedenen Versionen experimentierende Schreib-Arbeit lässt optimale verbal-schriftliche Formen für entsprechende Äußerungen finden (ertasten). Schrift kann das festhalten, was improvisierend, in mündlicher Probier-Arbeit produziert wird, ein für die theatrale Behandlung komplexer Prozesse und Haltungen potenziell gewichtiger Vorteil gegenüber nur oraler Produktion. Nach Walter Ong tendieren auf dem Moment der Produktion beharrende Performances zum oftmaligen, leicht modifizierten Wiederholen von Bildern; sie realisieren ein „Aggregat“ von Sätzen, die hintereinandergestellt sind und sich überwiegend mit der Formel „und“ aufeinander beziehen. (Vor-)Geschriebenes dagegen könne Kompliziertes in kausal verschachtelnden Sätzen adäquater vermitteln. Mündlichkeit benutze mehr Additives als Subordinierendes, wie das orale Muster der biblischen Genesis-Geschichte zeige. Sie produziere/spreche eher aufzählend als analytisch. Das sei eng mit der Abhängigkeit von Formeln verbunden, die für die Gedächtnis-Reproduktion notwendig sind. Das dürfte, auf Theaterkunst bezogen, ver- bzw. behindern, komplizierte, widersprüchliche Sachverhalte in der ihnen spezifischen Äußerungsweise zu vermitteln. Dagegen könne das Handschreiben Redundanz ausschließen; es sei etwa zehnmal langsamer als das Sprechen. „Mit Schreiben ist der Geist in ein verlangsamtes Muster gezwungen, das ihm die Möglichkeit gewährt, […] seine eher normalen, redundanten Prozesse zu reorganisieren.“154 Ein Grundgestus der Tragödie, die oft wiederkehrende Situation, die die Figuren zwingt, notvoll die existenzielle Frage „Was soll ich tun?“ zu stellen, beförderte eine neuartige Rationalität des Argumentierens. Diese übersetzte sich generell in neue Merkmale des Theatralen und speziell in eine neue Struktur von Theater(-kunst), in das Philosophieren, das vielseitige Reflektieren von Ereignissen, in das mühevolle Abwägen des Chors, besonders der Tragödien, von Motiven und Entscheidungen für Handlungen und in die Dialoge/ Wechselreden der einzelnen Figuren, die „dramatisch“ Gegensätze verhandeln. Die Spannungen zwischen alten Vorstellungs- und Gefühlswelten des mythischen Denkens und der Zwang zu einer anderen, der „neuen Rationalität“ konnte die Tragödie besonders eindrücklich durchspielen, indem sie ihr Publikum – dank des Chors – „mit verschiedenen Weisen konfrontierte, das Geschehen zu ‚reflektieren‘, zum Teil auch zu deuten“.155 Die seit Langem bekannte „tragische Ambiguität“ ist „tief in der Sprache verankert“.156 Fielen dem Einzelnen jetzt neuartige Entscheidungsmöglichkeiten zu, dürfte das jedoch nicht heißen, die attische Individuation sei jener in der europäischen Neuzeit gleichzusetzen. Die politische Gleichstellung und damit die politische Mitsprache aller freien Männer beruhten auf der unbedingten Einordnung, ja Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtinteressen der Polis.157 Die erhaltenen Tragödien des 5. Jahrhunderts, ein Beispiel wäre ANTIGONE des Sophokles, behandeln oft äußerst scharfe Konflikte, die sich aus dem Zusammenstoß von Interessen und Werten der Haushaltsgemeinschaften, weitergehend einzelner Individuen (Euripides), und den Staatsinteressen der Polis ergaben. Ein zentraler Widerspruch, der gleichsam die Polis „zerriss“, war der zwischen Haushalt und Polis, den Interessen der einzelnen blutverwandtschaftlichen Zellen und der übergreifenden soziopolitischen Kräfte des spezifischen Stadtstaates, der sich seit Ende des 6. Jahrhunderts als Demokratie herausbildete. Darauf macht besonders Richard Seaford aufmerksam. Er geht davon aus, dass bei Homer Dionysos, obwohl ein sehr alter, wesentlicher Gott, überhaupt keine Rolle spielt, er für die Tragödie aber entscheidend war, zunächst insofern sie offensichtlich aus Dionysos-Ritualen erwuchs. Dionysos war vor allem Gott der Ambivalenzen, der fundamentalen Widersprüchlichkeit der Dinge, die die Grundstruktur der Tragödie bestimmte. Für Homer war das kein wesentliches Thema.158 Seaford untersucht auch die historisch sehr bedeutsame Einführung des geprägten Münzgeldes in den griechischen Stadtstaaten seit dem 6. Jahrhundert und die damit verbundenen sozioökonomischen Auswirkungen auf die Ausbildung der Tragödie als ein Hauptfeld der Auseinandersetzung mit den höchst konfliktreichen Wandlungsprozessen Athens im 5. Jahrhundert. Euripides’ ELEKTRA ähnele sehr Homers ODYSSEE, aber in Euripides’ Welt konnte eine Gemeinschaft nicht mehr durch ein paar heroische Individuen beherrscht werden. Ein unpersönliches Ding – Geld – ist erforderlich, und so ist ein Preis auf Orests Kopf ausgesetzt. Er hat kein Gefolge, da er nichts besitzt. So wird Elektras Armut auch mit dem Reichtum der Herrscher von Argos kontrastiert. Trotzdem bleibt der Held Orest erfolgreich und Elektra verhöhnt den toten Aigist, dass er sich damit gebrüstet habe, dass seine Stärke im Geld gelegen habe.159 Die einzig erhaltene Trilogie, Aischylos’ ORESTIE (558 v. Chr.?) verhandelt geschichtlich höchst bedeutsame Grundvorgänge. Ihre argumentativ-reflexiv oder diskursiv getriebenen Handlungen dürften davon sprechen, dass das Literarische, das Aufschreiben eine gleichsam notwendige Vorarbeit für die adäquate Darstellung der Geschehnisse war/ist. Im ersten Teil, AGAMEMNON, kehrt Agamemnon nach dem Sieg der Griechen über Troja zurück nach Theben. Er hatte seine Tochter Iphigenie geopfert, um Troja bezwingen zu können. Seine Frau Klytaimnestra, die jetzt mit Aigist zusammenlebt, erschlägt Agamemnon, da er seine Tochter getötet hat. Orest, Sohn Agamemnons und der Klytaimnestra, ist den Werten der patriarchalischen Blutsverwandtschaft nach genötigt, vom Gott Apoll unterstützt, die Ermordung seines Vaters zu rächen. Er erschlägt seine Mutter. Im zweiten Teil, DIE CHOEPHOREN, schlagen die Erinnyen, uralte Rachegöttinnen, Orests Wahnsinn und verfolgen ihn. Er muss sterben, da er die Mutter gemordet hat. Im dritten Teil, EUMENIDEN, ist Orest nach Athen geflohen. Hier wird verhandelt, ob er schuldig ist und zu büßen hat. Dafür plädieren die Erinnyen, da er nach alten, wohl mutterrechtlichen Normen das schlimmste Verbrechen, Muttermord, begangen hat. Apollo tritt für ihn ein, da er den schlimmen Gattenmord und den Mord an seinem Vater nur rechtens gerächt habe. Der Areopag muss entscheiden. Unentschiedenes Urteil. Die junge Göttin Athene gibt den Ausschlag: Sie spricht Orest frei. Schließlich werden die Erinnyen als zu verehrende alte Göttinnen, als Glücksspendende in die athenische Polis aufgenommen. Das Argumentativ-Reflexive ist die Triebkraft der komplizierten, höchst widerspruchsvollen Vorgänge. Nach den wie in einer oral performance epischen Schilderungen eines Turm-Wächters und des Chors Alter Männer (des Volkes) zum Krieg und Sieg der Griechen in Troja, erscheint Klytaimnestra, um zu opfern. Sie antwortet nicht auf Fragen des Chors nach dem Warum. Darauf wägt der Chor in einem Wechselgesang den gleichsam unlösbaren Konflikt der Iphigenie-Tötung ab und reflektiert über ihren „manntrotzenden“ Groll, über sie als die „tückische Herrin im Haus“ und ihre „kindesgedenkene Rachgier“.160 Der Chor ist aber der Meinung, dass das Gute siegt, beschwört Zeus – „wer“ das auch immer sein möge – und spricht von „des Denkens vergebliche[n] Qualen“, die er bannen will. Danach problematisiert er Agamemnons Tochteropfer, wägt das Für und Wider ab – „Was ist da mindren Weh’s?“ – nennt die Tat „gottlos, heillos“, die Hand zu legen an das eigene Kind „zu Frommen / Weibrächender Meerfahrt“, ein „Opfer der Schiffsweihe“, zugleich genau ausmalend, wie sich das Opfer vollzog, wie Iphigenie sich verhielt. Der Gesang schließt mit furchtsamen Fragen an die Zukunft, an das, was als Effekt (Kausalität) aus dieser Tat noch kommen werde. Darauf folgt eine Wechselrede zwischen dem Chorführer und Klytaimnestra mit sehr präzisen, kurzen Fragen und Antworten, ohne „aggretive Redundanz“ oder das formelhafte Sprechen von Personen wie in einer oral performance/Geschichtendarstellung. Das Komplizierte, die Mehrdeutigkeit der verhandelten Vorgänge, die Gegensätzlichkeit der Wertungen dessen, was das Gute ist, werden argumentativ deutlich. In einer längeren Passage singt der Chor über das Vergelten von Unrecht, den Weiberraub der Trojaner, und die Macht des Zeus, legt reflexiv seine eigene Lage dar und philosophiert, vom Kriegs-Unheilgrund, dem Frevel der Helena ausgehend, die die Griechenwelt für Troja verlassen hatte, über Moralisch-Soziales: „Sei mein Geschick niedrig, sei der Armut / Reines gewissen g’nug mir! / Schutz nicht bietet der Reichtum / Dem, der glückgesättigt / frech zertrat der Gerechtigkeit Altar, gegen Vernichtung!“ Er betont die Rolle des Volkes und mahnt verallgemeinernd: „Es lastet schwer Volkes Stimme grollverhüllt / Wer volksverflucht, büßet solches Fluches Schuld […] Unerspäht den Göttern / Bleibt nimmermehr, wer Blut vergoß; und der Erinnyen schwarze Schar / Quält den, der glücklich wider Recht ist“.161 In einem Satz wird präzise formuliert, dass die Erinnyen das Blutvergießen Agamemnons verfolgen, selbst wenn es im Interesse der Griechen geschah. Nach Ankunft des Herolds schickt sich Klytaimnestra an, Agamemnon zu empfangen und behauptet, sie habe sich völlig korrekt verhalten, keinen fremden Mann genommen. Das sei „lautre Wahrheit!“162 Die Individuen erscheinen als die für ihr Handeln Verantwortlichen; es sind ihre Taten. So bekennt sich Orest im zweiten Stück zu seiner Tat und der Chor weist Klytaim - nestras Ausflüchte ab, durch sie wirke nur ein alter Fluch. Er entgegnet: „Daß du an diesem Blut unschuldig, du Blutige, wer bezeugt’s dir?“163 In den Taten/Entscheidungen der Individuen (mit Götterhilfe) vollzieht bzw. repräsentiert sich der äußerst widersprüchliche historische Prozess des gesellschaftlichen Umbruchs mit seinen Ambivalenzen/Ungewissheiten: Klytaimnestras Mord wird bestimmt und gerechtfertigt durch ihre gleichsam mutterrechtliche gesellschaftliche Position; Agamemnon hat ihr Kind, einen Blutsverwandten, getötet. Sie hat keine schwerwiegende Blutschuld. Orests Vergehen, des Sohnes Mord an der Mutter, ist dagegen schwerste Schuld; er hat sich am eigenen Blut vergangen. Deshalb die Verfolgung durch die uralten Göttinnen. Durch die Positionen Orests/Agamemnons auf der einen und Klytaimnestras auf der anderen Seite werden die fundamentalen Widersprüche erkennbar, die sich mit der Entmachtung der alten, von blutsverwandtschaftlichen Clan- und Großfamilieninteressen bestimmten Herrschaftsverhältnisse und der Entfaltung der demokratischen Polis Athens ergaben.164 Klar wird das in den Argumentationen der Götter in den EUMENIDEN. Apollon als Gott des Olymps, in dem sich Strukturen der patriarchalischen, vaterrechtlichen Gesellschaft spiegeln, wird von Aischylos als neuer Gott gesehen, der das Recht des Mannes vertritt. Die Erinnyen zu Apollon: „Sohn des Zeus, bist ein verschmitzter Dieb! Uns greise Götter überrennst du junger Gott!“ Auf die Frage, warum sie nicht Klytaimnestra verfolgen, antworten sie: „Das ist mitnichten wahrer blutsverwandter Mord.“ Apoll darauf: „So mißachtet ihr Heras Bund mit Zeus“, das Eherecht der patriarchalischen griechischen Gesellschaft mit dem Verweis auf den Götterhimmel sakralisierend. Der Mord eines Weibes an einem hochstehenden Mann, dem es anvertraut ist, sei das fluchwürdigste Verbrechen. Die Frau sei nicht Erzeugerin, sondern nur Pflegerin des Kindes. Wenn entschieden wird, dass Orest freizusprechen ist, betonen die Erinnyen noch einmal: „Uralte Ordnung freilich hast du da zerstört“.165 Reflexionen unauflösbarer Widersprüchlichkeit: No-Theater No basiert, ähnlich der attischen Tragödie, auf vorgeschriebenen, reflexiv-argumentativen Texten. Art und Strukturen seines reflexiv-argumentativen Handelns und der ausgestellten Widersprüchlichkeit sind allerdings wesentlich anders.166 Die japanische Gesellschaft, der historische Kontext, in dem sich No entfaltete und wirkte, war rigide hierarchisiert und sozial streng antagonistisch gegliedert. Die Macht lag bei einer kleinen Gruppe hochadliger Clans, sehr autoritär herrschende Fürsten-Familien im Verbund mit anderen Adelsschichten. Tempel und Mönche der Shinto-Religion und des Buddhismus hatten weltanschaulich bedeutenden Einfluss, wohl bis zum 16. Jahrhundert auch durch ihre starke Wirtschaftskraft. Die große Masse der Bauern, deren Produktion die ökonomische Grundlage des Systems war, blieb politisch-sozial völlig machtlos. Der als nahezu gottgleich angesehene Kaiser stand soziokulturell an der Spitze dieser Pyramide, hatte oft aber nicht die entscheidende politische Macht. Die lag zu Zeiten der No-Blüte bei den Spitzen des Adels, den Shogunen und den Samurai. Diese gesellschaftliche Gliederung wurde bis weit nach der Blütezeit des No kaum angetastet. Allerdings gab es scharfe Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden aristokratischen Gruppen um regionale und zentrale Macht stellungen. Die Geschichte Japans vom 12. Jahrhundert bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war bestimmt durch enorme Spannungen, Unruhen und Verwüstungen adliger Machtkämpfe. Das Tokugawa-Shogunat beendete diese Situation zu Beginn des 17. Jahrhunderts, das sozial antagonistische und streng hierarchische System für mehr als zwei Jahrhunderte zementierend. No war die Kunst der soziopolitischen und religiösen Mächtigen, der Adelsschichten und der Tempel, besonders aber des Kriegeradels, der Samurai. In ihrem Wahrnehmungshorizont und nach Maßgabe ihrer grundlegenden Haltungen und Wertegefüge verhandelte es vorwiegend konfliktreiche, zerstörerische Geschicke herausragender adliger Individuen in dem höchst unruhigen, spannungsgeladenen, gefährlich wechselvollen historischen Kontext. No-Stücke können so als Varianten tragischen Theaters der Vormoderne im Sinne von Peter Szondis Sicht des Tragischen gelesen werden: Tragisch ist die Dialektik oder auch Paradoxie einer ausweglosen oder zumindest zur „Vernichtung des Agierenden“ führenden Konflikt- bzw. Widerspruchsbewegung.167 Für Zeami, den größten Künstler des No, war es selbstverständlich, dass das No vor allem für die Aristokratie, in erster Linie für den jeweiligen obersten Herrscher (Shogun) spielte, dass es seine Vorstellungen erst dann, und dann aber sofort, begann, wenn dieser den Darstellungsraum betrat. So ist auch das schwierig zu deutende Yügen oder auch Yugen, mit bzw. in dem nach Zeami die No-Kunst ihre Vollendung erreicht, ein Kennzeichen des Verhaltens der Adligen: In allen Künsten und Dingen versteht man unter Yügen die höchste Vollkommenheit. Insbesondere in unserem No hat der Stil des Yügen allerhöchsten Rang. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß das Yügen im No - besonders in die Augen fällt und den Zuschauern Genuß bereitet. Wo liegt nun dieser Bereich des Yügen? Überblicken wir die verschiedenen Arten von Menschen und wie sie sich in der Welt bewegen, so kann man sagen, daß das Verhalten der hohen Adligen, ihre feine Art und ihre überragend schöne Erscheinung das Wesen des Yügen offenbaren. So ist ohne Zweifel das Schöne und Sanfte das eigentliche Wesen des Yügen. Die vornehme, ruhige Eleganz der Erscheinung ist das Yügen der menschlichen Gestalt. 168 Man erfrage genau den „feinen, edlen Wortgebrauch, wie er sich bei vornehmen Persön - lichkeiten findet“ und falls dann „selbst das unscheinbarste Wort diesen Adel besitzt, so liegt darin das Yügen der Worte“. Wenn in der Musik die Melodie sanft dahin strömt und sich weich und gefällig anhört, „so ist dies das Yügen der Musik. Ist beim Tanz, nach genügend Ausbildung darin, die Körperhaltung schön und bewegt man die Zuschauer durch die Gefälligkeit der Gesten, so ist dies das Yügen des Tanzes. Ist bei der Darstellung der Typen die Gestalt schön, so ist das das Yügen der Darstellung.“169 Thematisiert No-Haltungen, Konfliktpotenziale und geschichtliche Erfahrungen der herrschenden Adelsschichten, vorrangig und speziell der Samurai, so ist der Buddhismus der primäre weltanschauliche Bezugsrahmen. Die Samurai-Welt, so die Forschung, sei ohne den Buddhismus, besonders des Zen, nicht zu verstehen. Als eine Schule des Mahäyäna-Buddhismus sei Zen in gewissem Maße Mystik, jedoch nicht als Weltflucht und Passivität, sondern als Versuch, in der Konzentration auf ein „geistiges Inneres“ dynamische Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen. Ideal der Zen-Anhänger ist, Erleuchtung als eine übersinnliche, intuitive Einheitserfahrung zu erreichen, um in den unaussprechlichen Bereich der Berührung des Absoluten vorzudringen und dort die große Befreiung zu erleben.170 Zen prägte die innere Beziehung eines Samurai zum Tode und zu seinem Schwert, der „Seele des Samurai“. Zen will unmittelbar, direkt die Intuition der Wahrheit vermitteln, die mit einem wirksamen Handeln verbunden ist. Sobald der Zen-Anhänger den Weg klar sieht, muss er vorwärtsgehen und nicht zurückblicken. Der Samurai soll mit dem Gedanken des Todes fertig werden. Die tiefere Einheit, die Leben und Tod verbindet, werde vom Erleuchteten er lebt. Es folgt dann jene Bereitschaft, in jedem beliebigen Augenblick das Leben hinzugeben, die grundlegend für die Haltung eines echten Samurai war. Zen lehre Auslöschung persönlicher, ich-fixierter Gefühle, so Suzuki, sowie Askese, Willenskraft und Verachtung des Todes. Für Zen gebe es keine entscheidenden Unterschiede zwischen Leben und Tod; das Land des Todes werde als bessere Welt gefasst.171 Zu dieser Haltung verhilft das Vermögen, sich dem „Funken der Eingebung“, dem Schöpferischen hinzu geben, wobei der Mensch fast passiv wie von einer höheren Macht in eine höhere Sphäre getragen wird. Nur derjenige, der dorthin eingedrungen ist, hat allein die Möglichkeit, die Zusammenhänge auch auf anderen „Wegen“ zu durchschauen, die doch zu einem wesentlich gleichen End resultat führen. Nach den Worten bedeutender Zen-Spezialisten könne man das Zen nicht in einer logischen, systematisch aufgebauten Einleitung durch Begriffe erklären.172 Die Stücke thematisieren konfliktreiche, für das adlige Individuum höchst kritische Lagen, auch soziale Spannungen, insbesondere Brüche in seiner Biografie. Sie erzählen von sehr verschiedenartigen unlösbaren Widersprüchen, in die es sich verwickelt und/oder verwickelt wird, von den Unwägbarkeiten, von der Flüchtigkeit und der Wechselhaftigkeit des irdischen Daseins, von Bitternis, zugleich aber auch von der Lust am Leben auf dieser Welt. Die Sehnsucht nach Größe, die Erfüllung der strengen Werte und Normen, die Liebe in dieser und zu dieser Welt führt die Individuen in Katastrophen, ist von einer unauflöslichen Widersprüchlichkeit bestimmt. In buddhistischer Deutung ist das irdische Dasein aber trügerischer Schein; die Auf-Lösung der unauflöslichen Widersprüchlichkeit des katastrophalen und zugleich faszinierenden Lebens bietet seine Übersteigung, der Tod, der Wechsel ins andere Sein. Die Weltsicht des No ist in eine „epische“ Dramaturgie und Darstellungsstruktur übersetzt. Die Stücke sind vorwiegend Erzählungs-Darstellungen von etwas, was bereits geschehen ist, von im irdischen Sein bedeutenden Individuen, die jetzt als andere Figuren und/oder Totengeister in Verhüllung auftreten. In Dialogen, Wechselreden, in Erzählungen und in weltanschaulichen Kommentaren und Argumentationen der einzelnen Figuren und des Chors enthüllt sich die irdische Geschichte des Toten. Die Konflikte, Leiden, zerstörerischen Krisen, die er/sie auf Erden erfuhr bzw. durchleben musste, liegen bereits in der Vergangenheit, werden in der gegenwärtigen Handlung darstellerisch enthüllt und weltanschaulich-argumentativ gedeutet.173 Beispiele sind die Heldenstücke, auch Kriegsstücke genannt. Der Shite, der Hauptdarsteller, zeigt gewöhnlich den Geist eines berühmten Samurai, der als Toter über seine Heldentaten und seine Leiden nach dem Tod berichtet. So Zeamis DIE LAUTE DES TSUNEMASA.174 Zu Beginn berichtet der Nebendarsteller, der Waki, der als ein Priester vom kaiserlichen Ninna-Tempel auftritt, vom Helden Tsunemasa aus dem Haus Taira. Er stand seit seiner frühesten Jugend in der besonderen Gunst des Kaisers und erhielt von diesem als Geschenk eine Laute. Jetzt sei Tsunemasa in einer Schlacht gefallen. Er, der Priester, habe den Befehl, für ihn die Totenfeier zu halten und die Laute Buddha als Opfergabe zu bringen. Der Chor preist den Helden und singt von der Laute. Der Geist des Tsunemasa, gespielt vom Shite, erscheint, angezogen von der Macht des Gebets: „Noch einmal erscheine ich in der Welt des Lebens.“ Ihn treibt unendliche Sehnsucht nach der Welt. Er findet im Totenreich keine Ruhe und will als Traumbild erscheinen, um noch einmal die zu sehen, die er im Leben kannte. Das Traumbild verschwindet für des Priesters Wahrnehmung immer wieder, und der Chor reflektiert, dass die Erscheinung unbeständig ist. Tsunemasa sei zurückgekehrt in „die flüchtige Welt“, nur als Traumbild, die Gestalt ist nicht zu erblicken. Dann wird von des Helden Vergangenheit am Hof und als Krieger berichtet. Der Chor wertet, er sei ein edler Mensch gewesen. Er ging den „Weg der fünffachen Tugend“, den „Weg der Menschlichkeit, des Rechtes, / Der Riten, der Weisheit und des Glaubens. / Er freute sich an Liedern der Vögel im Frühjahr, / Am Vollmondglanz im Herbst.“ Sein Herz erblühte im Schatten der Kiefern herrlich in dieser Welt „so flüchtig wie der Tau / Auf dem Gras im Kiefernschatten / Wie Blasen im Wasser so flüchtig“. Dann tritt Tsunemasa im zeremoniellen Kriegerkostüm für einen Kriegstanz auf. Der Schmerz erfasse ihn bei der Erinnerung an die Freuden des Diesseits. Das Stück endet mit diesem Tanz und dem Gesang des Chors, der offensichtlich die Tanz-Figuren deutet. Er singt beschreibend von einem Kampf mit Dämonen: „Er zieht das Schwert, sie zu erschlagen, / Doch es durchbohrt das eigene Fleisch. […] Er schämt sich der Schmerzen, / Die ihn verbrennen, ‚Keiner sehe mich so, löscht die Fackeln!‘ / So spricht er, ach der Tor / Gleicht der Motte, die ins Feuer fliegt […].“ In der „Finsternis schwindet der Schatten des Toten“.175 Der reflexive, kommentierende Bericht des Chors beschließt das Stück. Kanamis Stück KOMACHI AM GRABE, neu bearbeitet von Zeami, handelt von der Dichterin Ono no Komachi.176 Die Legende berichtet von Komachi, sie sei im 9. Jahrhundert die schönste Frau am Kaiserhof gewesen. Hochmütig habe sie Freier abgewiesen. Einem Hauptmann der Pa lastwache, der um sie warb, befahl sie, er möge einhundert Nächte zu ihrem Haus kommen und jede Nacht auf der Veranda unter ihrem Fenster verbringen. Dann werde sie ihn erhören. In der 99. Nacht geriet er auf dem Weg zu ihr in einen Schneesturm und erfror. KOMACHI AM GRABE177 zeigt, wie die alte Dichterin, von allen Freunden verlassen, als Bett lerin über Landstraßen zieht und vom rachedurstigen Geist des toten Hauptmanns verfolgt wird. In der Aus einandersetzung mit zwei Mönchen, die die Lehren der magischen Schule des Shingon-Buddhismus vertreten, vertritt Komachi Zen, der allen religiösen Zeremonien abhold ist und allein in der plötzlichen, intuitiven Schau der Wahrheit den Weg zur Erlösung sieht. Die beiden Mönche stellen sich mit einer weltanschaulichen Betrachtung vor: „Wir sind die Mönche vom Berge […] / Und sind auf dem Wege zur Hauptstadt, / Der Buddha der Vergangenheit, / Er ist entschwunden, / Der Buddha der Zukunft in dieser Welt / Noch nicht erschienen.“ In die Zwischenzeit des Traums „sind wir hineingeboren, / Was sollte uns als wahr erscheinen? / Schwer zu erhalten ist Menschengestalt, / Wir erhielten sie. / Schwer zu finden ist das Gesetz des Buddha, / Wir fanden es, / Es ist die Wurzel der Erleuchtung.“ Auf dem Bühnensteg erscheint Komachi, in der Hand einen Wanderstab: „Mein Leben gleicht den treibenden Pflanzen […] / Ach früher war mein Hochmut groß […] / Ach die Blüten fielen. / Niedriger bin ich jetzt als jede Frau.“ Sie geht auf die Bühnenfläche und sagt, sie setze sich auf einen Baumstamm. Der Erste Mönch fordert Komachi (die Bettlerin) auf, vom Baumstamm aufzustehen, da sie auf Stupa, der Verkörperung Buddhas, sitze. Komachi zweifelt, wie man den Baum als Buddha erkennen könne und fragt argumentativ: Was wäre denn seine Gestalt? Darauf der Erste Mönch: „Erde, Was ser, Feuer, Wind und Leere.“ Komachi entgegnet: fünf Elemente, fünf Kreise – das sei der Menschenkörper auch. Wo liege der Unter schied? Die Mönche betonen in Versen, Stupa vermittle Tugend, die nicht in Gestalt sichtbar, aber für Kenner sofort wahrnehmbar sei. Komachi: „Ein Gedanke läßt schon / Im Herzen Erleuchtung erstehen. / Ist das denn von geringerem Wert?“ Der Zweite Mönch: „Wenn Euer Herz erleuchtet ist, / Warum verlaßt Ihr nicht die Welt der Illusion?“ Komachi: „Nur die Erscheinung hat noch nicht die Welt verlassen, / Das Herz, das ließ sie lange schon zurück.“ In einer diskursiven weltanschaulichen Wechselrede erläutern die Mönche und Komachi, dass das Gegensätzliche zugleich immer auch das sein kann, was der Gegensatz ist – Gutes ist auch was man Böses nennt, Verblendung ist die Erleuchtung. Darauf erzählt und kommentiert weltanschaulich verallgemeinernd der Chorgesang das, was die Figuren tun: Wahrlich, im Ursprung ist kein Ding, / Keine Trennung ist zwischen Buddha und Mensch. / Die törichten Menschen dieser Welt zu retten, / Das ist der Sinn der tiefs - ten Gelübde. / Zur Rettung wird auch böse Tat. / So spricht sie, und die Mönche / Verneigen sich vor der Bettlerin, / Erleuchtet ist die Bettlerin. / Wie schwierig ist die Unterweisung dieser Mönche! Darauf fragt der Erste Mönch, wer sie sei. Komachi nennt ihren Namen. Die Mönche beklagen die schöne Dame Komachi und malen ihre Schönheit am Hofe aus. Komachi ergänzt: „Ich schrieb Gedichte, ich sang Lieder.“ Darauf deutet der Chor Komachis Geschick: „Die Weinschale brachte Trunkenheit, / Der Mond am Sternenhimmel / Warf kalten Glanz auf ihren Ärmel.“ Dann beschreibt er ihr jetzt erbärmliches Aussehen und ihre schlimme Lage und fragt, was sie in ihrem Beutel trage. Im Wechselgespräch zwischen Chor und Komachi werden ihre Kleidung und ihre Situation als wandernde Bettlerin beschrieben, und der Chor beschreibt, wie sich der Wahnsinn ihres Herzens bemächtigt, wenn niemand der Bettlerin etwas gibt. „Schrecklich verändert sich ihre Stimme.“ Darauf der Darsteller Komachis mit rauher Stimme – aus ihr spricht der Geist ihres toten Freiers –: „Heda! Gebt mir etwas! He! Ihr Mönche!“ Der Erste Mönch: „Was wollt Ihr?“ Komachi: „Bringt mich zu Komachi!“ Der Erste Mönch: „Ihr selbst seid doch Komachi […].“ Der Geist des Freiers spricht aus Komachi: „Jetzt fand die Greisin ihre Strafe. / Ach, wie liebte ich diese Frau.“ Darauf reflektiert der Chor: „In ständig neuem Groll kommt er immer wieder […] Was ist die Zeit?“ Er schildert, wie der Hauptmann über Berge wandert und der Komachi-Darsteller (der Shite) setzt einen Männerhut auf und stellt tanzend die Wege dar, die der Freier machte, und seinen Tod. Der Chor schließt mit einer Frage und Aussage das Stück: „Ist es sein Rachedurst, der sie besitzt, / der Komachi zum Wahnsinn treibt? / Für das Leben nach dem Tode / Will ich Gebete sprechen, / Denn dort allein ist Wahrheit.“ Krisen des Besonderen in einer geschlossenen Welt: Japans Kabuki Ein Jahrhundert nach der Blütezeit des No bildete sich das im Wesentlichen von den nichtadligen urbanen Schichten des vormodernen Japan getragene Kabuki aus. Die Tradition besagt, dass im Jahr 1596 eine Shinto-Priesterin in einem Flussbett bei Kyoto buddhistische Tänze aufführte, aus denen sich das zunächst von Frauen gespielte Kabuki-Theater entwickelte. In den 1620er Jahren wurde die Darstellung durch Frauen verboten. Seitdem spielen wie im No ausschließlich männliche Schauspieler Kabuki. Europäische Darstellungstechniken der Jesuiten, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Teilen Japans Theater missionierten, könnten wesentliche Anregungen für die spezifische Form des Kabuki gegeben haben, insbesondere seine für die japanische Theatertradition ungewöhnlich aufwendige technisierte Szenerie.178 Der Schwerpunkt der „synthetischen“ Darstellungsweise des bis heute lebendigen Kabuki, das Zusammenwirken von Wort, Tanz, Musik, liegt auf dem Gestisch-Tänzerischen.179 Das dürfte auch das massive Ausstellen des Künstlichen der Kostüme und der Schminkmasken in den Inszenierungen insgesamt erklären.180 Es könnte aber auch wesentlich damit zusammenhängen, dass Kabuki wie andere große vormoderne Theaterformen, etwa die athenische Tragödie und die Pekingoper, ursprünglich im Freien gespielt wurden, also durch besondere Mittel die Aufmerksamkeit des Publikum fesseln mussten. Bestimmte Schminkmasken werten zeichenhaft die moralische Verfassung von Figuren,181 und die Handhabung des Fächers kann verschiedenartige Vor gänge bedeuten, wie etwa das Reiten auf einem Pferd, das Schießen mit einem Bogen oder Öffnen einer Schiebetür.182 Bewegungen sind oft demonstrativ rhythmisiert, gleichsam organisiert durch Musik. Auffällig sind standardisierte artifizielle Gangarten und „angehaltene“ Haltungen (Posen) wie das Mie, das Drehpunkte einer Handlung genauer markiert. Eine gleichsam „realistische“ Darstellung von Haltungen wird so plötzlich verfremdend eingefroren.183 Das Verbot des Frauen-Kabuki verweist auf den konkreten historischen Kontext, auf das Tokugawa-Regime, das seit Beginn des 17. Jahrhunderts mit harter Hand alle wesentlichen gesellschaftlichen Verhältnisse zentralistisch reglementierte und Japan bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts so gut wie völlig von der Außenwelt abriegelte. Japan selbst wurde in voneinander abgeschottete Regionen eingeteilt und Wege und Brücken bewusst in schlechtem Zustand belassen, um Reisen, und daher auch den Verkehr zwischen den verschiedenen Teilen, zu erschweren.184 Mit der Zentralisierung der politischen Macht im Shogunat verlor auch der sozial privilegierte Adel politischen Einfluss. Aus Furcht vor Aufständen unterlagen die Adligen, die auf ihren Gütern verstreut im Lande, außerhalb des Sitzes des Shoguns lebten, Restriktionen. Sie durften nicht direkt mit dem Kaiser sprechen, und sie mussten, wenn sie auf ihren Gütern waren, Frauen und Kinder als Geiseln in der Hauptstadt Edo unter direkter Aufsicht des Shogun belassen. Die so hergestellte innere Sicherheit ermöglichte eine beachtliche Entwicklung der Wirtschaft, das Entstehen von Manufakturen, die rapide Urbanisierung und die Ausbildung einer breiten, ökonomisch mächtigen Kauf mannsschicht, die zwar politisch absolut ohnmächtig und stark repressiv reglementiert war, aber wirtschaftlich-finanziell immer mächtiger wurde. Das kommerzielle, gleichsam kleine Warenproduktion betreibende Kabuki entfaltete sich, im Unterschied zum No, unabhängig von den Tempeln und dem Patronat des Adels, als Theater vorrangig der Kaufleute und Handwerker in ihm zugewiesenen urbanen Vierteln. Seine herausragenden Schauspieler konnten wie ihre Hauptträger/ihre „Kunden“, die Kaufleute, zu Reichtum kommen. Der räumliche Verbund von Kabuki-Theater, Restaurants und Freudenhäusern war gleichsam Unterhaltungszentrum der Großstädte, in denen man vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag Aufführungen sah, trank, aß und geselligen Verkehr pflegte. Das erste stehende Kabuki-Theater wurde 1624 in Edo gebaut.185 Im Laufe von hundert Jahren bildete sich die im Wesentlichen bis heute benutzte Theateranlage aus: ein umschlossener rechteckiger Raum, eine flache breite Bühne mit einem langen, in mehrere Abschnitte gegliederten Laufsteg, der durch das Zuschauerparkett geht. 1717 kamen Bühne und Zuschauerraum unter ein Dach.186 In seiner gestischen, hochsymbolischen Spielweise und mit offen als „Schatten“ auf der Bühne hantierenden Helfern für die Darsteller ist Kabuki dem No ähnlich, unterscheidet sich aber wesentlich durch die bildlich-dekorativ aufwendige Bühnenausstattung mit mehrmaligen Wechseln des Bühnenbildes. Im 18. Jahrhundert benutzte Kabuki bereits die Drehbühne und Falltüren.187 Die Texte entstanden oft manufakturell, montiert aus Zuarbeiten mehrerer Textspezialisten für den Gebrauch bestimmter Schauspieler. Die zentrale Rolle der Schauspieler zeigte sich auch darin, dass Stückeschreiber nicht selten ihren Darstellern als Souffleure dienten.188 Kabuki-Stücke sprechen von den enormen soziokulturellen Spannungen der neuen Realitäten, von den Konflikten innerhalb des Adels und zwischen den sozial unterschiedlichen Schichten/Klassen und den zunehmend fühlbaren Widersprüchen zwischen dem dominanten Wertegefüge einerseits und den Lebensbedürfnissen der Individuen andererseits, insbesondere der bedeutendsten nicht-adligen Schicht, den Kaufleuten. Kabuki reagierte sehr genau auf die krisenhaften Spannungen im Tokugawa-Regime, so mit der Aufführung von CHUNGURA. Das Stück griff eine das Land bewegende tödliche Auseinandersetzung innerhalb der Welt des Adels auf. Anfang des 18. Jahrhunderts hatte ein Fürst im Shogun-Palast von Edo sein Schwert gezogen, um die Beleidigung eines anderen Fürsten zu rächen. Das wurde als Beleidigung des Sho - gun selbst und des Kaisers gesehen, der Fürst zum Tode verurteilt und der Staat konfiszierte seine Besitztümer, seinen Samurai-Vasallen so ihre Einkommensquelle nehmend. Wohl aus diesem Grund, und um ihre Samurai-Vasallen-Treue bzw. -Ehre zu bezeugen, stürmten sie das Schloss des Adligen, der ihren Herrn beleidigt hatte und töteten ihn. Dann stellten sie sich der Regierung, die sie zu Selbstmord, dem ehrenvollen Adeligen-Suizid, verurteilte. Das Ereignis wurde im Lande außerordentlich stark diskutiert, sofort für das Puppentheater, das Joruri, und für Kabuki verarbeitet.189 Am spannendsten jedoch dürfte die Problematisierung der Lebensweise urbaner Schichten, insbesondere der Kaufleute, sein, der gleichsam unlösbaren Konflikte, in die sozioökonomische Zwänge und die ideologische Herrschaft des rigiden buddhistisch-konfuzianischen Wertegefüges Individuen verwickelten und zerbrachen. Stücke von Chikamatsu Monzaemon (1653 – 1725), der aus einer niederen Samurai-Familie stammte, sprechen besonders eindringlich von sozialen Problemen und gesellschaftlichen Pflichten der Familien und des Einzelnen, von der Einordnung in die soziale und familiäre Hierarchie, vom Gehorsam gegenüber der Familie, der Klasse, des Staates, von Haltungen, die diktiert werden von den religiös-ethisch-weltanschaulichen Werten und Normen des Buddhismus und insbesondere vom Konfuzianismus, der seit dem 16. Jahrhundert in Japan immer stärkeren Einfluss bekommen hatte.190 Mit der Betonung der sozialen Hierarchie und dem Grundprinzip der absoluten Einordnung als oberste Pflicht wurde er im Togukawa-System nahezu Staatsreligion.191 Chikamatsu verdeutlicht, wie der Normen- und Wertekanon Individuen zerbricht, sie auch zur Opferung ihres Lebens bringt, um seinen Geboten gemäß moralische Integrität zu bewahren. Bezeichnend sind Titel seiner Stücke wie DIE SELBSTMORDE AUS LIEBE VON SONEZAKI, DIE SELBSTMORDE AUS LIEBE IM TEMPEL DER FRAUEN und DIE SELBSTMORDE AUS LIEBE VON AMIJIMA. In DIE SELBSTMORDE AUS LIEBE VON AMIJIMA (1720 entstanden als Puppen spiel, das wiederum auf Kabuki-Vorlagen basierte) ist Jibei, ein Kaufmann, in Liebe mit einer Kurtisane, einer sehr feinfühligen, ehrlichen Frau, entbrannt. Ein reicher Kaufmann will ihn in ihrer Gunst ausstechen und zerstören. Jibei ist verheiratet, Mitglied einer ehrbaren traditionsreichen Kaufmannsfamilie (Papierhandlung). Die Familie befürchtet, dass er Geschäft und Familie ruiniert, um die Kurtisane von ihren Schuld-Eignern loskaufen zu können. Kurtisanen lebten in Häusern, deren Besitzer sie verschuldet waren. Sie mussten freigekauft werden, wenn sie „entlassen“ werden wollten. Der Kaufmann Jibei lebt im besagten Stück schon zwei Jahre mit seiner Ehefrau nicht mehr ehelich zusammen. Diese hat menschliches Mitgefühl mit der Kurtisane, die ihr Mann nicht loskaufen kann.192 Sie ist bereit, ihre Kostbarkeiten, selbst ihre Kleider zu ver pfänden, um die Ablösungssumme zu beschaffen. Aber selbst wenn ihr Mann die Kurtisane loskaufen kann, muss er sie danach in einer eigenen Wohnung unterhalten oder sie in die Familie mitbringen. Dieses Problem ist ökonomisch und moralisch nicht lösbar, auch für seine edelmütige Ehefrau nicht. Sie, die ihrem Ehemann, dem Normengefüge entsprechend, ganz Untertan sein muss, ist zutiefst ratlos. Ihr Vater erscheint und fordert, Jibei solle sich scheiden lassen. Er will, dass seine Tochter mit ihm in sein Haus zurückkommt. Die Frau, die für ihren Mann große Zuneigung fühlt, will bei ihm bleiben, doch der Vater nimmt sie gewaltsam mit – der Gehorsam gegenüber den Eltern ist überragende Pflicht. Es kommt zur Scheidung. Es gibt für Jibei und seine geliebte Kurtisane nur einen Ausweg – den Selbstmord. Eine ganze Vorgangsreihe stellt episch-lyrisch (über Selbstreflexionen) den Weg zum Selbstmord und diesen selbst dar. Dabei wird noch einmal die Feinfühligkeit und der Edelmut der liebenden Kurtisane gezeigt, und zugleich ihr buddhistischer Glaube, dass die beiden Liebenden für alle Zeiten und in allen Welten nach diesem Selbstmord zusammen sein werden.193 In DIE SELBSTMORDE AUS LIEBE VON SONEZAKI liebt Tokubei, Angestellter eines Ladens, eine Kurtisane. Er schlägt die Frau aus, die ihm sein Onkel aus gewählt hat und muss so auf das Geld verzichten, das er für die Heirat von dem Onkel bekommen hätte. Seine Mutter hat jedoch das Geld schon erhalten und es ihm, Tokubei, gegeben. Dieser wiederum gab es seinem Freund, der ihm nun betrügerisch das Geld nicht mehr zurückgibt. Der junge Mann sieht, dem herrschenden Verhaltenskodex unterworfen, keine Möglichkeit, mit seiner geliebten Kurtisanenfrau zusammenzuleben. In die für ihr Zusammenleben völlig ausweglose Situation getrieben, beschließen sie, zusammen Selbstmord zu begehen. Der Selbstmord wird ausführlich weltanschaulich reflektiert. Die zwei Liebenden hoffen, in der nächsten Welt zusammen auf demselben Lotus wiedergeboren zu werden.194 Den jungen Mann peinigt, dass er seinem Onkel das Geld und damit die ihm erwiesene Güte nicht zurückgeben kann. Es ist unehrenhaft; er bittet um Vergebung seines Unrechttuns. Dann er sticht er die Geliebte und tötet sich selbst (schneidet sich die Kehle durch). Pragmatische Einordnung des Individuellen: Klassisches Theater in China Wann und wie sich genau ästhetisch dominiertes komplexes Theater in China ausdifferenzierte, ist nicht auszumachen. Der spielerische Umgang mit Artefakten, das Puppenspiel, war vielleicht die erste Form. Wann es sich ausgebildet hat, ist nicht bekannt. Seine Wurzel könnte das Verhältnis der Lebenden zu den Toten gewesen sein, das theatral praktizierte Denken der Lebenszyklen und der Differenzen zwischen dem Lebendigen und dem Unbeweglichen, dem Toten.195 Die Kunst des Puppentheaters als Spiel mit Holzpuppen wird in China auf Opferriten bei Bestattungen in der Shang-Dynastie (17. bis 11. Jahrhundert v. Chr.) zurückgeführt. In dieser Epoche ersetzte man Menschenopfer in Form von Sklaven nach und nach durch Tonfiguren. In der Zeit der Streitenden Reiche (481 – 221 v. Chr.) wurden aus den Tonfiguren hölzerne Puppen (mu’ou ren) – direkt übersetzt „hölzerne Puppenmenschen“. Bei Ausgrabungen in den Jahren 1953 und 1954 fand man hölzerne Figuren, die Tänzer und Sänger darstellten. In der Darstellungskunst während der Han- Dynastie (179 – 157 v. Chr.) wurden Puppen bereits benutzt. Das Theater mit Puppen, Masken und Objekten (Hand-, Schatten- und Stabpuppen sowie vielleicht auch Marionetten, die von Sängern und Tänzern beiderlei Geschlechts animiert wurden) scheint die zeichenhaftkunsthafte Spielweise in von Menschen gespielten Theaterstilen beeinflusst zu haben. So sagt man, der Mensch/Darsteller spiele eine „Puppe“, also Rolle. Wie sehr Puppentheater, Maskentheater und die späteren Schminkmasken der lokalen Musiktheaterschauspiele (Pekingoper) zusammenhängen, und zwar sowohl in ihrer religiös-zeremonialen wie auch weltlich-unterhaltenden Funktion als Volks- und Herrschaftstheater, wird deutlich am Überschneiden von Traditionslinien. Die aus der Nördlichen Qi-Zeit (550 – 577 n. Chr.) stammenden Masken mit menschlichen Gesichtern, die in der Tang-Dynastie populär wurden, sieht die chinesische Theatergeschichtsschreibung sowohl in der Tradition des Puppen- als auch des Maskentheaters.196 Nach Angaben des Historikers Sima Qian (145 – 90 v. Chr.) waren spätestens im 3. Jahrhundert Hofnarren chinesischer Könige auch professionelle Schauspieler.197 Für ein kaiserliches Bankett aus der Song-Dynastie (ca. 1000 – 1200 n. Chr.) listete das offizielle Programm unter anderem folgende Vorgänge auf: „The emperor ascends the throne; the prime minister offers wine while the oboe, accompanied by the orchestra, plays music for toasts; wine is brought in and the guests take their seats […]. Juggling and acrobatic displays […]. An actor recites speech and a poem on the virtues of the emperor and the gratitude of his subjects […]. Choral dance by children with a laudatory speech. Plays (farce and dramatic dances); after which the emperor leaves and there is an interval.“198 Erst in der Zeit der Mongolenherrschaft der Yuan-Dynastie (1277 – 1367 n. Chr.) bildete sich das Yuan-Theater (Yuan zaju) heraus, das als erste große „klassische“ Form Grundzüge des chinesischen Theaters der Vormoderne bis zur Pekingoper, chinesisch dem jingju, wesentlich prägte.199 Sie hatte sich Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt und ist als traditionelles Theater bis heute lebendig geblieben. Als Vorläufer des Yuan-Theaters gelten tsa chü (oder auch zaju), „gemischte Darstellungen“ mit Gesang, Tanz und Dialogszenen, gezeigt während festlicher Bankette in der Zeit des Kaisers Song Shenzong (1048 – 1085). Es scheinen Collagen aus Gesang und Tanz, einer Haupthandlung und akrobatischen Nummern gewesen zu sein, die drei gleichsam stehende Personen/Typen vorführten, unter anderen den Clown und die Mandarin-Rolle.200 Das Yuan-Theater war/ist ein wesentlich musikalisch grundiertes „narratives“ (episches) Dramen-Theater, von dem eine Reihe von Texten in verschiedenen Drucken und Versionen, nicht zuletzt aus späteren Bearbeitungen, erhalten sind.201 Spärliche Berichte zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert und Regieanmerkungen der Textveröffentlichungen im 15. Jahrhundert deuten darauf hin, dass es schon im 13. und 14. Jahrhundert Ansätze der zeichenhaften, betont gestisch-körperlich, akrobatisch rhythmisierten und stilisierten Darstellungsweise der Pekingoper gegeben haben könnte.202 Mitte des 20. Jahrhunderts notierte Sergej Obraszow zur Darstellung des Affenkönigs (Sun Wukong), einer seit dem 16. Jahrhundert populären Figur in verschiedenen wichtigen Formen, darunter auch in jingju, der Pekingoper: Der Kampf zwischen den Affenkriegern und den Himmelsoldaten bestand ganz aus akrobatischen Bewegungen, Fällen, Sprüngen und Saltos, besonders interessant war jedoch die Akrobatik des Helden selbst […]. Mit einem Gesicht, das als Affenmaul geschminkt war, mit flinken schwarzen Augen und einem lächelnden Zähnefletschen, mit Bewegungen, die gleichzeitig geschmeidig und ein wenig tierisch plump waren, bewegte sich Li Schao-tschung über die Bühne, wie sich nur ein Mensch mit einem vollkommen durchtrainierten Körper bewegen kann. Mit einer kaum bemerkbaren Drehung des Körpers täuschte er den Krieger, der mit einem Schwert nach ihm schlug. Das Schwert fuhr nur Millimeter am Kopfe des Affenkönigs vorbei. Er fiel rückwärts hin, als wäre er erschlagen, und schnellte dann wie eine Sprungfeder hoch, wobei er seinen Gegner umstieß. Man konnte das nicht als Ballett bezeichnen, aber auch nicht als Akrobatik. […] Es war eine hervorragend gespielte Rolle.203 Die akrobatisch völlige Beherrschung des Darstellerkörpers könnte mit der überragenden Macht der Ahnen zusammenhängen und damit auch klärende Hinweise auf die Spielweise des großen vormodernen Theaters geben. Der chinesische darstellerische Körper, ob menschlich oder menschlich-artefakt (Marionetten-Meister und Marionette, Exorzist und Maske), so Jo Riley, repräsentiere einen zusammengesetzten Körper, der metaphorisch auseinandergenommen und dann erneut zusammengesetzt worden ist. Die De- bzw. Reformierung des darstellerischen Körpers geschehe im jingju während des Trainings. Derselbe Prozess sei in Begräbnisriten zu beobachten, wo man den Körper zur Vorbereitung für das Jenseits tatsächlich seziert. In beiden Fällen verläuft der Prozess des Auseinandernehmens simultan mit dem Prozess der Neuzusammensetzung, der Erschaffung eines neuen Körpers. Der neu geschaffene, neu zusammengesetzte Körper bewegt sich. Die Bewegungen, die der chinesische Darsteller aktiv macht, bezeichnen und verbinden – erschaffen – die zeitlich-räumliche Welt der Theateraufführung. Weil der chinesische Darsteller von den vielen gegenwärtig anwesenden Ahnen der Familie sowie von dem seiner Lehrer überschattet wird, stehe der Darsteller nicht allein auf der Bühne als ein Individuum, das eine Rolle zeigt. Er wird überschattet von der Anwesenheit jener aus der Vergangenheit, die immer für den Zuschauer sichtbar sind: This means that the body of the Chinese performer provides the mediation between all past times and the present. He embodies all the ancestors. […] The performer is trained to dissect parts of his corporeal body in performances as separate units of articulation – hand, eye, finger, foot. The Chinese performative body recomposes itself as marionette and marionette master. The hand may portray an aspect of the play outside, such as the geese that Yang Yuhuan sees, while the rest of the body represents the role seeing the geese. The feet designate and connect, transporting the performing body across the stage in time.204 Das führt zum soziokulturellen Wirkungspotenzial der ersten großen chinesischen Theaterform. Das China der Yuan-Zeit war durch die mongolischen Fremdherrscher sozialpolitisch streng hierarchisch organisiert worden. Der mongolische Kaiser Chinas herrschte absolut mit der Armee und der in sich sozialpolitisch sehr differenzierten Beamtenschaft als seinen Machtpfeilern. Angehörige/Individuen der oberen herrschenden, gleichsam adligen Schichten/sozialen Gruppen konnten im Militär und durch längere, rigorose Bildungsprüfungen im Verwaltungswesen Karriere machen. Die Mongolen hatten das konfuzianische Prüfungssystem unterbrochen. Wahrscheinlich war das ein nicht unwichtiger Grund, dass Vertreter der oberen intellektuellen chinesischen Gruppen bzw. der Beamtenschichten literarisch-künstlerisch aktiv wurden und für das Theater schrieben, ein offensichtlich entscheidender Vorgang für die Ausbildung des großen narrativen (epischen) Theaters der Yuan-Zeit. Es war gleichsam eine Widerstandspraktik gegen die Mongolenherrschaft mit teilweise politisch sehr kritischen Stücken. Profan-weltlich erzählen sie von scharfen, im Kern zerstörerischen Konflikten und Spannungen vor allem der oberen Schichten, die sich für sie als Träger und entscheidende Betreiber des gegebenen soziopolitischen Systems und seines dominanten weltanschaulichen, konfuzianischen Wertegefüges ergeben. Was Christina Shu-hwa Yao im Zusammenhang ihrer Untersuchung der Liebesdramen feststellt, ließe sich für das Verhältnis zwischen den gesellschaftlichen Realitäten und den Dramen der Yuan-Periode verallgemeinern: Die konfuzianische Ideologie teilte die Menschen in zwei große Klassen, in die Großen und die Kleinen. Die Großen widmen sich dem Führen/Regieren, die Kleinen dem Arbeiten. Diese Grundstruktur wird nicht in Frage gestellt, aber in ihren ständig Konflikte generierenden Mechanismen oft nackt ausgestellt. Dabei muss aber immer wieder die Werteordnung bewahrt und eine Balance hergestellt werden. Das Übergreifende sind die Familie und das gesellschaftliche System als Bezugspunkte, mit denen sich das Individuum versöhnen muss. Grundsätzlich, so Yao, seien die Felder des Persönlichen, des Individuellen und des Gesellschaftlichen, und zwar als Familie wie als Staat bzw. gesellschaftliches System, als zwei Bereiche gesehen worden. Beinahe jede philosophische Schule reflektiert die Probleme der Öffentlichkeit, des Privaten und der Wechselbeziehungen zwischen ihnen. Das Da-Sein der Gesellschaft ist für den Chinesen zu mächtig, als dass man sie übersehen kann. Sie sei eine Konstante, wie Gott im Westen, auf die sich alle Ideologien beziehen müssen, wenn sie irgendetwas Bedeutendes über den Menschen sagen wollen. Pragmatismus durchzieht alle chinesischen Ideologien in ihrer Auffassung von menschlicher Existenz. Bei allen Unterschieden ihrer Positionen werden sie vom selben Motiv getrieben – die Probleme des Menschen unter Menschen, des Individuums in der Gesellschaft zu lösen.205 In diesem Spannungsfeld liegt der konfuzianische Akzent auf der Einordnung des Individuums in die übergreifenden Ordnungen – Familie, Gesellschaft, Staat. Dafür gibt es Verhaltensnormen. Probleme entstehen oft durch das Durchbrechen der Normen.206 Der entscheidende Wertemaßstab, mit dem die Stücke die Konflikte behandeln, ist letztlich die Einordnung/Unterordnung des Individuellen unter die Familie und die gesellschaftliche Ordnung. Das betrifft die Ethik in der Machtausübung der Herrscher ebenso wie die Ethik in der Loyalität den Mächtigen gegenüber. Der Text DER REGEN AM WU-T’UNG-BAUM von Po P’u (Bai Pu) aus dem 13. Jahrhundert verdeutlicht das nüchtern-pragmatische Verhalten in den höchst konfliktträchtigen systemischen Verhältnissen und zugleich die selbstzerstörerischen Entscheidungen, zu denen sie Individuen drängen, ja zwingen. Ein Vorspiel stellt den Kaiser vor, der im Norden militärisch über den Frieden im Lande wacht. Er hat Macht über Leben und Tod. Er verschont An Lushan, einen seiner nicht-chinesischen Offiziere, der in einer Schlacht besiegt wurde, obwohl er nach den politisch-militärischen Regeln des Staates getötet werden sollte. Der Kaiser will ihn, eine gleichsam pragmatische Lösung, als sehr guten Soldaten zum Nutzen des Staates am Leben erhalten und schickt ihn an den Kaiserhof.207 Der erste Akt zeigt dann die enge Beziehung des Kaisers zu seiner Geliebten Yang. Der zweite Akt beginnt an der Grenze, wo der nicht-chinesische Offizier einen Aufstand gegen den ebenfalls nicht-chinesischen Kaiser plant. Es ist ironisch, dass während der mongolischen Fremdherrschaft der Yuan-Dynastie ein fremdherrschender Kaiser der Tang-Dynastie von einem neuen Fremdling herausgefordert wird. Der Kaiser der Tang-Dynastie dient als Metapher des verschwenderischen und sorglosen chinesischen Kaisers, der den Mongolen unterlag. Ohne jede Vermittlung wechselt die Handlung zum Kaiserpalast. Eildepeschen melden den Aufstand. Verwirrung. Die Armee der Aufständischen ist zu mächtig. Eine Verteidigung der Hauptstadt erscheint kaum möglich. Die Geliebte Yang: „Ach, wie wird es mir ergehen …“208 Im dritten Akt wird der Kaiser vom Kommandanten seiner Leibgarde und von Ministern bewegt, in ein anderes Gebiet zu gehen. Er übergibt dem Kronprinzen den Befehl über die Armee. Plötzlich, ganz unvermittelt, gerät der Heereszug ins Stocken. Das Heer fordert den Tod der Yang und ihres Bruders, den der Kaiser zum Minister ernannt hatte. Der Kaiser zögert, lässt dann den Bruder töten und stimmt dem Tod der Geliebten zu. Ihr Selbstmord erscheint als einzige Möglichkeit einer brutalen Tötung zuvorzukommen. Es ist eine Katastrophe für den Kaiser als Liebenden – er hat zu wählen zwischen der Kaiserwürde und der Liebe. Er entscheidet sich für die Interessen des Staates. Am Aktschluss singt er: „Allmählich schwindet auch dies Leben, / ein Kaiser muß sich drein ergeben. / Was nützen alle meine Klagen?“209 Das Stück dürfte metaphorisch als Kritik am chinesischen Kaiser und an Machtmissbrauch generell gelesen werden, an einem Verhalten, das die Unterwerfung des Reiches durch die aus dem Norden kommenden Mongolen ermöglichte. Es bezieht sich auf die Tang-Dynastie (618 – 907), die selbst andere Völker unterwarf, dann aber gestürzt wurde, meint jedoch wohl gleichzeitig den Song-Kaiser, der gegen die Mongolen verlor. Im Stück ist es eine Kritik am Kaiser, der wegen seines verschwenderischen Lebensstils die Staatsgeschäfte außer Acht ließ und damit den Sieg einer fremden Macht ermöglichte. So bilden Hauptteile des Stückes das ganz auf die Liebschaft und persönlichen Genuss gerichtete Verhalten des Kaisers ab. Ihm wird die Haltung des Heeres so begründet: „Die Soldaten des ganzen Heeres sagen, dass Unsittlichkeit im Reiche herrsche, die durch die Fahrt des Herrschers überallhin verbreitet werde. Wenn das Unheil durch die Umgebung des Fürsten nicht beseitigt würde, so ließe sich die Entrüstung des Volkes nicht besänftigen.“210 Schon einmal war er gewarnt worden, dass Verleumder wegen des „Einflusses der Favoritinnen“ die Soldaten aufgewiegelt hätten, worauf der Kaiser singt: „Durch Gesang und Tanz, du meinst […] dass ich mein Reich zugrunde gerichtet hätte“.211 Eine Frau, die Geliebte Yang, erscheint als die Kraft, die mit ihrer Selbst-Opferung für das gesellschaftliche Interesse das durch Machtkämpfe der Herrschenden zerrissene Land retten kann. Das Stück Ma Chih-yüans HAN-KUNG CH’IU (Herbst im Han-Palast)212 handelt von der Geschichte eines Kaisers und seiner Favoritin, die er sehr liebt. Ein mächtiger Tartarenfürst an den Nordgrenzen des Reichs bekommt ein Bildnis der Favoritin zu Gesicht, zugespielt durch einen gegen den Kaiser intrigierenden Gelehrten/Minister. Der Fürst will sie zur Frau. Eine Verweigerung des Kaisers würde als Beleidigung des Tartaren gelten und damit Krieg bedeuten, der leicht die Niederlage Chinas bringen könnte, auf jeden Fall tiefste Erschütterungen für das Land. Schwersten Herzens trennt sich der Kaiser von der Geliebten. Im Konflikt des Individuums, des „Privaten“, mit dem Gesellschaftlichen, dem Staat, dem „Funktionsträger“ Kaiser entscheidet er sich für das Letztere. Die Favoritin ist höchst edel – sie will dem Staat nicht schaden und geht zu dem Tartaren, stürzt sich aber dort, nach Erfüllung seines Gesuches in den Fluss. Sie rettet ihre Würde (Loyalität zum Kaiser) um den Preis ihres Lebens und schafft so Frieden, sichert den Bestand des Staates. Die das Selbst verleugnende Tat schafft Frieden, sichert den Bestand des Staates.213 Der Tartarenfürst erkennt ihre Größe an. Der intrigante Minister wird wegen Landesverrates und Herbeiführung des Unglücks (der Trennung der Liebenden) geköpft. Die letzten Prosaworte des Kaisers sind: „Dann schlagt […] [ihm] […] den Kopf ab und bringt ihn als Opfer den Mannen der Prinzessin dar! Das Bankettamt möge ein großes Festmahl veranstalten.“214 Im familiären Bereich kollidiert das Begehren der Individuen nach einem selbstbestimmten Leben, besonders selbstgewählter Liebesbeziehungen, mit den Interessen der Familie, mit den Vorgaben und Pflichten, die dem einzelnen aus dem jeweiligen sozialen Rang zugewachsen sind. Davon erzählt DAS WESTZIMMER215 von Wang Shifu, mit einem Anhang von Kuan Han ‘ching, heute wohl eines der berühmtesten Stücke der Yuan-Periode. Der junge Mann Chang Sheng ist auf dem Weg in eine Stadt, hält bei einem Tempel und begegnet dem schönen Mädchen Ying Ying, Tochter des früheren Premierministers, also aus hohen Adelskreisen stammend. Chang rettet Ying Ying vor Banditen, erhält aber nicht die dafür von der Mutter des Mädchens versprochene Belohnung, sie zu ehelichen. Sie ist von ihren Eltern schon viel früher einem Vetter zur Frau versprochen worden. Der Ehr- und Treuekodex zwingt die Mutter zu dieser Entscheidung. Chang spielt nachts auf der Laute süße, melancholische Melodien, die schließlich auch Ying Ying rühren. Chang dichtet ein Liebesgedicht, bittet darin Ying um ein Rendezvous. Ying darf ihre Gefühle nicht äußern. Sie muss als unverheiratete Frau äußerste Bescheidenheit und Zurückhaltung wahren. So weist sie Chang zunächst hart ab. Aber insgeheim fühlt sie sich zu Chang hingezogen. Sie äußert dieses Gefühl nur zögernd. Als sie schließlich mit ihm schläft und ein Kind erwartet, stimmt die Mutter der Verlobung und damit der künftigen Heirat zu. Jedoch unter einer Bedingung: Er muss erst in die Hauptstadt und seine Beamtenprüfung ablegen. Ohne diese, bzw. ohne die Stellung eines kaiserlichen Beamten, ist er sozial für die Familie, damit als ihr Ehegatte, nicht akzeptabel. Chang begibt sich auf die Reise in die Hauptstadt. Die Liebenden sind also für lange Zeit getrennt. Pflicht und vor allem soziale Anerkennung mit dem in einem harten Bildungsgang erworbenen Rang haben Vorrang vor persönlichen Gefühlen. Wang Shifus Stück endet mit einem düsteren Akzent. Die konfuzianische Unterordnung des Individuums unter die Familienehre und die soziale Rangordnung kehren sich gegen individuelle Liebesansprüche. An verschiedenen Stellen wird die fundamentale Konfliktsituation betont. Ying Ying singt, dass das Liebesband so schnell zerrissen sei, und ihre Zofe verallgemeinert: „Die Treue ist dem Menschen vornehmste Pflicht“. Der Weise Kung-Dse habe gesagt: „Wenn ein Mensch keine Treue hat, dann weiß ich nicht, mit welchem Rechte er sich Mensch nennt. Ein Ochsenkarren ohne Joch, ein Pferdewagen ohne Deichsel kann nicht gezogen werden.“216 Wahrscheinlich, um mögliche kritische Deutungen zu vermeiden, wurde dem Stück ein Anhang mit „glücklichem Ausgang“ hinzugefügt, der die glückliche Verheiratung der beiden zeigt. Nachdem der junge Mann die Beamtenprüfung abgelegt, also ehrenhaft seine konfuzianischen Pflichten erfüllt hat, kann die Ehe der Liebenden vollzogen werden. Er muss aber zunächst eine Staatsaufgabe übernehmen, bevor er zu seiner Geliebten kann: „Der Kaiser hat mir befohlen, zuerst in der Akademie des Pinselwaldes an der Herausgabe der Dynastischen Geschichtswerke mitzuarbeiten.“217 Sie schreibt ihm einen Brief, dass sie sich „von Sinnen“ über seine bestandene Prüfung freue. Sein Talent und sein erworbener Rang sind jetzt dem Ansehen „unserer Familie würdig.“218 Die formale Heirat droht wegen einer Verleumdung zu scheitern, doch Chang kann mit ausdrücklicher kaiserlicher Erlaubnis (einem Dekret) seine Ying heiraten: „Ich bringe Ying Ying das Diadem und die Prachtgewänder einer Beamtenfrau.“219 Das Yuan-Theater thematisierte auch scharfe soziale Unterschiede sowie Gegensätze und fundamentale Krebsschäden des rigiden soziopolitischen Systems wie die Korruption. Das zeigen Stücke über den zur Legende gewordenen Beamten bzw. Minister Pao (oder auch Bao) Zheng der Nördlichen Sung-Dynastie, der von 999 bis 1062 lebte.220 Pao war bekannt als Mann der absoluten Ehrlichkeit und der selbstlosen Hingabe an den Dienst für die Gesellschaft im Interesse des herrschenden Systems. Das KREIDEKREIS-Stückmaterial, nach dem Brecht DER KAUKASISCHE KREIDEKREIS schrieb, gehört zu diesen Dramen. Spannend ist das Stück REISVERKAUF IN CHENZHOU eines unbekannten Autors. Das Vorspiel eröffnet der Gelehrte Fan, Minister für Finanzen. Er hat einen Brief von Funktionären einer Region, in der seit drei Jahren wegen einer Dürre schlimmste Not unter den unteren Schichten herrscht. Es ist kein Korn mehr erhältlich. Der Kaiser gibt die Erlaubnis, Reis aus den Staatssilos zu einem relativ niedrigen Festpreis zu verkaufen. Die Situation wird von der Fan-Figur in epischer Selbstdarstellung erzählt. Zwei hohe Beamte sind eingeladen, um die Angelegenheit zu besprechen. Einer von ihnen, Herr Liu, schlägt seinen Sohn und seinen Schwiegersohn für die Erledigung des kaiserlichen Auftrags vor. Er beteuert, sie seien die ehrlichsten Menschen der Welt, regt im Gespräch mit ihnen aber offen an, sie sollten aus der „öffentlichen Aktion“ einen „privaten Vorteil“ ziehen und klammheimlich den vom Kaiser festgesetzten Preis einfach verdoppeln.221 Die folgenden Akte zeigen das Verhalten der beiden in der Not leidenden Region. Sie verdoppeln den Preis des freigegebenen Reises und vermischen ihn mit dreckigem Zeug, um so in ihre Tasche zu wirtschaften. In diesem Sinne instruieren sie die kleinen Verkäufer, die in der epischen Selbst-Vorstellung erzählen, ständig kleine Betrügereien zu machen. Einer der betrogenen Kunden wehrt sich gegen die zwei Beauftragten: „The two of you are plundering bandits, the bane of the people, and of no good whatsoever to the realm!“222 Er schickt seinen Sohn in die Hauptstadt, um Richter Pao zu benachrichtigen. Die Beauftragten betonen, dass sie nichts zu befürchten haben und gehen Wein trinken – sie haben ja mächtige Protektoren im Machtzentrum. In der Stadt will der hohe Beamte Liu mit den korrupten Verwandten den jungen Mann abwimmeln, doch Pao kommt und der junge Mann kann ihm, der niemals „vor den Reichen und Mächtigen“ gekniffen habe, sein Problem vortragen.223 Pao antwortet, er empfinde Hass gegen die Mächtigen und macht sich auf in die Region, um nach dem Rechten zu sehen. Der Kaiser gibt ihm ein Schwert und ein Goldenes Abzeichen – die Insignien der obersten Gerichtsbarkeit für die Region. Der korrupte Hofbeamte ist voller Furcht. In der Region erfährt Pao von der Notlage und der Korruption mit dem Reispreis.224 Als ein armer alter Mann verkleidet, wird er von den Reisverkäufern und den korrupten Funktionären verhöhnt. Pao singt: „They give no thought to the cares of ruler and subject / But love only money for sex and for drink. / Today ruined houses and people near death are common sights.“225 Er wird die verantwortlichen Korrupten alle dem Schwert überantworten. Sohn und Schwiegersohn des hohen Beamten bei Hof werden exekutiert, obwohl Letzterer beim Kaiser ein Begnadigungsgesuch einreicht. Paos letzter gesungener Satz im Stück: „Now do we see how the law of the realm / Can endure without favor through time.“226 Man könnte verallgemeinern: Scharfe, tiefgreifende Konflikte und katastrophale Antagonismen des gesellschaftlichen Systems werden ausgestellt, das System als solches wird aber nicht in Frage gestellt. Es gibt kein entschiedenes Aufbäumen des Individuums, kein drängendes Pochen auf Individualrechte. Düstere, gleichsam tragische Krisen und Widersprüche werden aufgelöst und/oder pragmatisch durch die grundsätzliche Einordnung und Unterordnung der Individuen unter die Interessen und Wertenormen der Familie und des Staats ausgehalten und beigelegt. Fehden/Kämpfe/Kollisionen unter Machthabern (Kaisern, Fürsten) und zerstörerische Auswirkungen des grundlegenden sozialen Antagonismus werden im Interesse des Staates durch Absetzen, Bestrafung, das Töten von „schlechten Herren“ entschärft, gelöst und wie im Falle der Pao-Stücke durch der Gesamtgesellschaft dienliche Gerechtigkeit bereinigt. Not, grassierende Korruption, gleichsam tragische Widersprüche/Konflikte, so wäre zu lesen, sind nicht dem System als System eingeschrieben; sie sind durch pragmatische Befolgung oder Anwendung der Wertehierarchien der gegebenen Ordnung, durch in deren Sinn tugendhaftes, moralisch richtiges Handeln zu beheben. Das Epische als Darstellungs- und Kommunikationsprinzip Auffällig ist der epische Grundzug der kulturell teilweise bis heute hochbedeutsamen traditionellen Theaterkunst Asiens. Episch im Sinne des offenen Ausstellens des Kunstmachens, markieren sie ihre spezifische Theaterrealität mit musikalisch, tänzerisch, gestisch zeichenhaften, symbolisierenden, metaphorischen Techniken und der offenen, gleichsam wilden Dramaturgie, in der sich Darsteller als Darsteller und als Rolle vorstellen und so die fiktionalen Geschichten souverän, lässig als solche dargeboten werden. „Ich bin der und der“, stellt sich der Nebenschauspieler vor und führt so das No als eine besondere Kunstrealität ein. Wahrscheinlich waren die Nachahmungs-Darstellungen, die monomanen Komponenten des collageartigen Saragaku, der direkten Vorform des No, orale Performances einzelner Figuren, also Erzähler-Darstellungen. Auch im vorwiegend komödischen Kyogen stellen sich die Darsteller direkt dem Publikum vor. Die nur kurzen, maskenlosen Kyogen-Darstellungen waren (zunächst) Bestandteil der ernsten No-Aufführungen, wurden aber (dann) als kurze weniger zeremoniell stilisierte Dialog-Stücke zu einer selbstständigen Form, die als Zwischenspiele zwischen den in der Regel eine Aufführung ausmachenden fünf No-Dramen hauptsächlich Vorgänge aus der Lebenswelt zeigten. So dürfte die alte, „archaische“ Kunst des Erzählens ein wesentliches produktives Element japanischer Aufführungsgattungen bis in die Moderne hinein gewesen sein. Der No-Experte Zeami definierte bereits den Kyogen-Spieler als Erzähler geistreicher und pointierter Geschichten.227 Im Kabuki begrüßt ein Erzähler oder Stagemanager das Publikum und führt kurz in das nun folgende Stück ein: „May I respectfully introduce our play“, beginnt SUKEROKU: FLOWER OF EDO. „May you all, East and West, find pleasure in this, our spring play.“ Danach beschreibt der Chor, der auf der Bühne mit den Schauspielern sitzt, singend die Landschaft, in denen sich die Handlung abspielen wird.228 Die fiktiven Geschichten des traditionellen Theaters Chinas sind ausladend epischepisodisch, verlaufen sprunghaft, in oft komplizierten Wendungen. Im Vorspiel zu DER REGEN AM WU-T’UNG-BAUM229 von Po P’u (Bai Pu) berichtet der Mini ster: „Mit meinen Heldenscharen schirm ich das Nordgefild, / Am Grenzwall unterwirft sich mir mancher Häuptling wild. / Im Reich herrscht tiefer Friede.“ Danach erzählt er in Prosa von sich selbst: „Mein Familienname ist Chang […] ich bin als Militärgouverneur […] angestellt. In meiner Jugend studierte ich die konfuzianischen Schriften und machte mich mit der Strategie bekannt. Als ein angesehener Offizier der Grenzwacht trage ich eine schwere Ver - antwortung.“ Der Offizier, der trotz seiner Verfehlung nicht getötet wurde und jetzt an den Kaiserhof reist, stellt sich vor und sagt jäh, ohne ein Ende seiner Erzählung anzudeuten: „Da bin ich schon am Tor seiner Residenz angelangt.“ Der Darsteller des Kaisers erscheint zuerst mit einem Bericht über die Geschichte seiner Herrschaft, und als er wieder auftritt, erzählt er zunächst: „Ich bin jetzt vom Hofe zurückgekommen und frei von Geschäften.“230 Bewegungen im Raum und Zeitverläufe werden zeichenhaft angedeutet. In der Pekingoper zeigt man die Dauer eines Marsches durch mehrmaliges Herumgehen im Kreis. Schauspieler, die der Situation/der Handlung nach an einem entfernten Ort und so für das „illusionistische“ westliche Theaterverständnis nicht „sichtbar“ sein dürften, befinden sich auf der Bühne. Ein Beispiel: Die Darstellerin eines Mädchens sitzt auf der Bühne. Sie erwartet die Brautwerberin, Vater und Mutter, die ihr eröffnen werden, dass sie einen ungeliebten Mann heiraten muss. Die drei betreten die Bühne, auf der die Darstellerin des Mädchens, so schreibt es die Geschichte vor, im oberen Zimmer wartend sitzen soll. Die drei bewegen sich in kleinen Kreisen, wobei die Darstellerinnen der Frauen ihre Kleider etwas anheben, zu werten als Zeichen, dass man Treppen steigt. Dann erst erfolgt ihre Begegnung mit dem „Mädchen“, mit deren Darstellerin sie sich „faktisch“ schon einige Zeit zusammen auf der Bühne befinden.231 Ungleich den klassischen Formen Ostasiens haben sich vom antiken Theater keine Umrisse der Darstellungsweise tradiert. Bekannt aber ist die wohl nicht unähnlich bedeutsame Rolle des Musikalischen und Tänzerischen in Athens Theater des 5. Jahrhunderts, und bis in die späthellenische Zeit spielten wohl alle Darsteller bis auf die des sogenannten Mimus in Maske, dem gleichsam aufdringlichsten Mittel, das Theatermachen im Sinne eines „epischen Theaters“ als Besonderes auszustellen. Plato weigerte sich ständig, so der Altphilologe Eric A. Havelock, „einen formalen Unterschied zwischen dem Epos und der Tragödie zu machen“, oder „zwischen Homer und Hesiod auf der einen Seite […] und den tragischen Dichtern auf der anderen“ zu unterscheiden. In der griechischen Praxis sei der epische Vortrag „ebenfalls eine Performance“ gewesen, und der Rhapsode habe augenscheinlich eine Beziehung zum Publikum gehabt, die der „eines Schauspielers analog“ war/ist.232 Als die Kunstform, in der alles „ganz in Darstellung“ besteht, hatte Plato das Spezifische der Tragödie und Komödie im Unterschied zur „epischen Dichtkunst“ definiert. Sie verbinde beides, den „Bericht des Dichters selbst“ und die „Darstellung“.233 Obwohl es keine Belege dafür gibt, dürfte, oder könnte zumindest, diese „epische Dichtkunst“, realisiert vom Rhapsoden, das Theater des dominant mündlich kommunizierenden vorklassischen Athen (Griechenlands) gewesen sein. Lass „uns nun die Tragödie vornehmen und ihren Anführer Homeros“, heißt es bei Plato.234 [Wenn] wir den Homeros hören oder einen andern Tragödiendichter, wie er uns einen Helden darstellt in trauriger Bewegung, eine lange Klagerede haltend oder auch singende und sich heftig gebärdende: so wird uns wohl zu Mute, wir geben uns hin und folgen mitempfindend, und die Sache sehr ernsthaft nehmend loben wir den als einen guten Dichter, der uns am meisten in diesen Zustand versetzt.235 Besonders auffällig ist der kommentierende und erzählende Chor der attischen Tragödien und der alten Komödie, ein konstitutives „episches“ Strukturelement, auch wenn bei Euripides gegen Ende des 5. Jahrhunderts der Chor nicht mehr die überragende Rolle wie in Aischylos’ Stücken spielte. Dessen frühe Stücke wie DIE PERSER, DIE HIKETIDEN (DIE SCHUTZFLEHENDEN) und SIEBEN GEGEN THEBEN, sowie das PROMETHEUS- Fragment erscheinen wie eine Montage von Einzel-Geschichten-Darstellungen ( oral performances). Direkte Ansprachen ans Publikum sind grundlegend für Aristophanes’ Komödien aus dem letzten Viertel des 5. Jahrhunderts, besonders die sogenannte Parabase, mit der der Autor bzw. sein Chor aktuelle politisch-kulturelle Vorgänge kommentiert und öffentliche Personen, Politiker und Dichter, scharf angreift. Exemplarisch ist das Stück DIE RITTER, 424 v. Chr. aufgeführt und mit dem 1. Preis im Wettstreit der Komödien ausgezeichnet. Es handelt vom Peloponnesischen Krieg, den Athen am Ende des Jahrhunderts verlor, und damit auch seine überragende Großmachtstellung. Die Ritter, die aristokratische Reiterei der Athener, bilden den Chor. Die Hauptfigur Demos – das Volk/die Volksversammlung, die frei votierenden, in dieser Hinsicht mächtigen freien Bürger Athens verkörpernd – ist ein schwächlicher, kauziger alter Mann. Mit ihm kritisiert Aristophanes die Ohnmacht bzw. Richtungslosigkeit des Volkes, das die korrupten, machtgierigen, Athen zerstörenden Politiker nicht zügelt, das, auf kleinliche Vorrechte fixiert, nur ständig Wahlmechanismen in der Volksversammlung vollzieht. Demos hat Sklaven. Der Paphlagonier ist der aktivste, gefährlichste, offensichtlich eine Anspielung auf den entscheidenden Stra tegen im Peloponnesischen Krieg, einen Gerbereibesitzer, also Lederhändler, der die Gruppe der „radikalen Demokratie“ anführte und die bedingungslose Fortsetzung des Krieges trotz ungeheurer Kosten für Athen betrieb. „Paphlagonier“ klingt an paphlázein an – „schwatzen, Blasen werfen“, also „bloße“ verführerische Rhetorik. Aristophanes war ein radikaler Kritiker des Kriegs, der nicht zuletzt auf Kosten der unteren freien Schichten, speziell auch der Bauern geführt wurde, wie er es in seinem späteren DER FRIEDEN thematisierte. In DIE RITTER besagt eine Orakelprophezeiung, der dritte Nachfolger des großen Perikles werde durch einen noch schlimmeren korrupten Politiker, einen Wursthändler, gestürzt. So verdrängt in der Handlung ein Wursthändler den Paphlagonier. Doch in einer aufrüttelnden Groteske wird Demos, das Volk, „jung gekocht“ und erlangt seinen Handlungswillen zurück. Zu Beginn fragt der erste den zweiten Sklaven: „Hör, soll ich nicht dem Publikum den Fall vortragen?“ Der zweite Sklave: „Könnte gehen! Nur müssen wir / Sie bitten, sich durch Zeichen zu erklären, / Ob ihnen recht, was wir tun und sagen.“ Ans Publikum gerichtet schildert er die politische Situation – wie der Paphlagonier den alten Demos hintergeht und belügt. Der Chor tritt mit einem besonderen Versmaß und direkt ans Publikum gewendet auf. Er preist die Komödiendichter und tadelt die Athener, also das Publikum, dass sie frühere große Komödienmacher nicht genügend ehren. Dann geht er über zur Kriegssituation. Er kommentiert aus der Perspektive der Reiterei, meint aber auch, dass er im Namen des ganzen Volkes spreche, das den Frieden ersehnt, preist zugleich Athen als das größte Land der Welt, dem niemand an Macht, Reichtum und Kriegerruhm gleiche.236 Am Ende greift der Chor noch einmal in grotesker Weise scharf Politiker wie den radikalen Demokraten Hyperbolos, den Führer dieser Gruppe nach Kleons Tod 422 v. Chr., an: Die Schiffe seien zusammengekommen und hätten über die Forderung gesprochen, dass der „hyperbolisch schlechte Krätzer – der gemeine Kerl“ sie nach Karthago, also wohl in ein weiteres Kriegsabenteuer beordern wolle.237 Religiöses Theater des europäischen Mittelalters Fundamental „episch“ war auch das komplexe geistliche christliche Theater, das sich in verschiedenen Formen zwischen dem 10. und 16. Jahrhundert in Europa entfaltete, dem antik griechischen Theater nicht unähnlich erwachsen aus religiös-mythisch geprägten ritualen Praktiken und in seinen frühen Phasen – vergleichbar dem von den Tempeln geförderten No Japans – in den christlichen Institutionen gespielt. Es entwickelte sich aus Darstellungen von Kernsituationen der biblischen Geschichte, höchstwahrscheinlich aus musikalisch-dialogischen Tropen, zusammengefügt aus Mt. 28,5 – 7, Mk. 16,6 – 7, Lk. 24,5 – 8, über die Auferstehung Christus und den Gang der Marien zu seinem Grabe. Die einfachste Szenenvariante lautete in seiner erschließbaren Textgestalt: Quem quaeritits in sepulchro, o christicolae? / Jesum Nazarenum, crucifixum, o caelicolae. / Non est hic: surrexit, sicut preadixerat. / Ite, nuntiate, quia surrexit de sepulchro. (Wen sucht ihr im Grab, oh ihr Christen? Jesum Nazarenum, den Gekreuzigten, oh ihr Himmlischen. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er es verkündigte. Geht, berichtet, dass er vom Grab auferstanden ist.) Manuskripte der Kernszene fanden sich in westeuropäischen Klöstern, das früheste um das Jahr 1000 im deutschsprachigen Raum im Kloster St. Gallen.238 Es ist anzunehmen, dass Aufführungen der Szenen in den Klöstern den Klerikern als eine Art Lehrspiel dienten – dass sie aber, von Geistlichen in den öffentlichen Gottesdiensten veranstaltet, den lateinun kundigen Massen die nur lateinisch zelebrierte Passionsgeschichte sinnlich einprägsam machen konnten. Das Lehrspiel war so ein wesentliches theatrales Mittel zur Durchsetzung und Stabilisierung des christlichen Weltbildes als absolut dominanter Herrschaftsideologie. Spätestens seit dem 13. Jahrhundert hatten sich um diesen Kern weitere dialogisierte, gesungene, zunächst nur lateinisch ausagierte Szenen aus anderen Bibelstellen gruppiert, etwa: Marien melden das am Grab Erfahrene den Aposteln; Maria Magdalena wird als Einzelperson herausgestellt; die Apostel eilen zum Grab, um sich zu vergewissern (Wettlauf-Szene); Christus selbst „tritt“ auf.239 Mit der Hinzufügung von ausagierten anderen in der Bibel erzählten oder angedeuteten Ereignissen der Passion Jesu entwickelten sich so die Aufführungen in den Kirchen bis zum 13. Jahrhundert zu Osterfeiern oder auch Osterspielen. Wie erhaltene Manuskripte, gleichsam die „Textbücher“ der Vorstellungen, zeigen, variierte die Auswahl und Zusammenstellung, die genaue Struktur des Gezeigten in den verschiedenen Ländern,240 wies aber im allgemein freien, Kausales nicht beachtenden Umgang mit Raum und Zeit der dargestellten Vorgänge in die Richtung, die dann die Osterspiele außerhalb des Kirchenraumes, vor allem aber die seit dem späten 14. Jahrhundert großen Passionsaufführungen mit ihren grundlegend „epischen“ Darstellungsweisen, aufnahmen. Im Unterschied zu den großen vormodernen, professionell betriebenen Theatern Asiens gestalteten Laien, zunächst Geistliche, dann in der Regel die städtischen Bürger in Korrespondenz mit der Kirche – und wahrscheinlich in Teilen mit Aushilfe fahrender Gaukler (Histriones) – diese bedeutendste Form der europäischen religiösen Aufführungen. Ihre Spielweisen dürften in den Details eher „kunstlos“ im Vergleich zu den asiatischen gewesen sein. Veranstaltet in öffentlichen Räumen der Städte, weiteten sie sich zu mehrtägigen, im 16. Jahrhundert im französischen Valenciennes auch wochenlangen, Schauspielen aus. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden auch andere Teile der Bibel dramatisiert, bis hin zur Darstellung der mythischen Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies.241 Beispiele für die epische Dramaturgie und die Spielweise der längeren komplexen geistlichen Schauspiele sind die deutschsprachigen sogenannten Passionsspiele, die sich offenbar in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts herausbildeten.242 Von dem zweitägigen Passionsspiel von Donaueschingen, das wahrscheinlich schon im 15. Jahrhundert aufgeführt wurde,243 ist ein vollständiges Manuskript erhalten. Es enthält einen genauen Dialogtext und teilweise genaue Anweisungen, was die Darsteller zu machen haben (Gänge, Gesten, Requisiten, Kostüme244), so in der Szene, in der Judas vorbereitet wird zur Fahrt in die Hölle, manipuliert von Belzebub, dem Teufel („tüffel“), der ihn zunächst aufhängt: „Nu kumpt Belzebub, der tüffel, mit eim strick lauffen vnd gat vmb Judas schwencken.“245 Eine einfache Aufzählung der darzustellenden Szenen (Vorgangskomplexe) verdeutlicht die ausladende epische Dramaturgie. Der lateinische Gesang der Engel führt in das Schauspiel ein. Danach singt die „Judenschule“ und des Proclamators Knecht tritt in „die Mitte des Platzes“, spricht den „Allmächtigen Gott, Herrn Jesus“ an und wendet sich an all die Kinder Gottes, die nach den Zehn Geboten leben.246 Nach diesem Vorspiel zeigen die weiteren Szenen unter anderem: das Weltleben der Maria Magdalena; das Essen bei Simon und die Bekehrung der Magdalena; den Weg Jesu in den Tempel und dann seine Handlungen im Tempel; die Heilung des Kranken durch Jesus am Teich in Jerusalem; die Auferweckung des Jünglings von Naym; Jesus heilt den Marcellus im Tempel (wobei in diesem Komplex wieder ein Ortswechsel stattfindet, da sich Marcellus laut Text in den Tempel begibt); die Auferweckung des Lazarus mit mehrfachem Ortswechsel, der erzählt, wie Lazarus krank ist; Christi Einzug in Jerusalem; die Beratung der Juden im Tempel (Judas wird zum Verrat verleitet). Mit dem erneuten Auftritt des Proclamators und dem Gesang der Judenschüler wurde der erste Tag der Inszenierung abgeschlossen. Am zweiten Tag zeigte man unter anderem: das Abendmahl; die Gefangennahme Christi; Judas gibt den Juden im Tempel das Geld für den Verrat zurück, begeht Selbstmord und kommt in die Hölle; Jesus wird zu Pilatus geführt; Geißelung, Dornenkrönung und Verspottung Christi; Kreuzigung Christi (sehr ausführlich); Bestattung Christi; Auferstehung Christi; schließlich der Besuch der drei Marien am Grabe.247 Die Darstellungen waren offen, mit direkten Adressen grundsätzlich zum Publikum hin. Das Spielen wurde massiv „gezeigt“. Die Räume waren in den deutschsprachigen und französischen Passionsspielen simultan angeordnet. In der Regel gab es verschiedene Spielorte, in der DONAUESCHINGER PASSION von Anfang an markiert.248 Die Zuschauer saßen und gingen um diese „Lokale“ herum. Die Spieler befanden sich in diesen „Lokalen“, agierten, wenn ihre Szene an die Reihe kam. Man zeigte in diesem Sinne „offen“ das Darstellen. Das schloss nicht aus, dass die „Texter“, wie in Donaueschingen, an einigen Stellen bemerkten, die Darsteller müssten so tun, „als ob“ sie eine Figur seien, also auch zur Herstellung einer zu verbergenden Fiktionalität angehalten wurden. Die Geschichten französischer Mysterien entfalteten sich Szene für Szene nacheinander in „Lokalen“, die simultan auf Plattformen arrangiert waren und in denen wohl oft Zuschauer saßen, mitten in dem „fiktiven“ Geschehen und hautnah bei denen, die es machten.249 Die nicht auf Bildperspektive rechnende Raumordnung war in England anders. Hier verwendete man Prozessionsbühnen, sogenannte pageants, als Darstellungsreihen. Auf Wagen wur den einzelne Szenensequenzen dargestellt, die nacheinander am Publikum in den Straßen vorbeizogen. Manuskripte und Stadtratseintragungen zeigen, dass spätes tens seit dem 15. Jahrhundert Handwerkergilden zyklische Spiele zu biblischen Themen aufführten, in denen jeweils eine Gilde einen Vorgangskomplex auf einem Wagen inszenierte, der dann durch die Stadt gezogen wurde.250 Die detaillierte Beschreibung eines Pageant-Wagens der Inszenierungsweise der Prozessionsspiele der Stadt Chester im Jahre 1609 sieht 24 „pageants or parts“ vor, „according to the number of the Companies of the City“: [A]nd every Company brought forth their pageant, which was the carriage or place which they played in. And yearly, before these were played, there was a man fitted for the purpose which did ride […] upon St. George’s Day through the City, and there published the time and the matter of the plays in brief […]. [T]hey were played upon Monday, Tuesday, and Wednesday in Whitsun week […] [T]his pageant or carriage was a high place made like a house with two rooms, being open on the top; in the lower room they apparelled and dressed themselves, and in the higher room they played; and they stood upon six wheels.251 136 Isokrates: „On the Peace“, in: ISOKRATES, Bd. 2, ins. Engl. übers. von George Norlin, Cambridge, Mass./London 1992 [1929], S. 57 – 59. 137 Froma I. Zeitlin: „Staging Dionysos between Thebes and Athens“, in: Thomas H. Carpenter/Christopher F. Faraone (Hg.): MASKS OF DIONYSUS, Ithaca/London 1993, S. 147f. 138 Marcel Detienne: DIONYSOS. GÖTTLICHEWILDHEIT, aus dem Franz. übers. von Gabriele und Walter Eder, Frankfurt/ M. 1992, S. 10. 139 Ebd., S. 13. 140 „It was, after all, quite clear that Dionysus had something to do with both violence and its civilized containment, with killing and eating, with ritual victimization and alimentary consumption.“ Dirk Obbink: „Dionysus Poured Out: Ancient and Modern Theo ries of Sacrifice and Cultural Formation“, in: MASKS OF DIONYSUS, S. 67. Über sakramentales Weintrinken siehe S. 78: „In many parts of the Greek World (including Attica) Dionysus was associated first and foremost with the production and consumption of wine. Wine poured in honor of the god was regarded as a type of sacrifice (thusia). Drinking of the new wine in the khoes at the Anthesteria fulfilled the function of a consecrated sacrificial meal.“ 141 „Tragedy is not an art form; it is also a social institution that the city, by establishing competitions in tragedy, set up alongside its political and legal institution […]. But although tragedy […] thus appears rooted in reality, that does not mean that it is a reflection of it. It does not reflect that reality but brings it into question. By depicting it rent and divided against itself, it turns it into a problem.“ Jean-Pierre Vernant/Pierre Vidal-Naquet: MYTH AND TRAGEDY IN ANCIENT GREECE, New York 1988, S. 32f. 142 Ich folge hier wesentlich Christian Meiers und Jean-Pierre Vernants Arbeiten zum Theater des 5. Jahrhunderts und zu den Bewegungen seines übergreifenden soziopolitischen, ökonomischen und kulturellen Kontextes. 143 Meier: „Zur Funktion der Feste in Athen im 5. Jahrhundert vor Christus“, S. 583 – 586f. 144 Jean-Pierre Vernant/Pierre Vidal-Naquet: MYTH AND TRAGEDY IN ANCIENT GREECE, New York 1988, S. 44. Vgl. Alan Sommerstein: „Introduction“, in: Aischylos: ORESTEIA: AGAMEMNON. LIBATION-BEARERS. EUMENIDES, übers. und hg. von Alan Sommerstein, Cambridge/London 2008. 145 Eric A. Havelock: SCHRIFTLICHKEIT. DAS GRIECHISCHE ALPHABET ALS KULTURELLE REVOLUTION, aus dem Engl. übers. von Gabriele Herbst, Weinheim 1990, S. 77 – 142. 146 Meier: DIE POLITISCHE KUNST DER GRIECHISCHEN TRAGÖDIE, S. 236ff. 147 Vernant/Vidal-Naquet: MYTH AND TRAGEDY IN ANCIENT GREECE, S. 17 – 35. 148 Vernant: DIE ENTSTEHUNG DES GRIECHISCHEN DENKENS, S. 44f. 149 Ebd. 150 Ebd., S. 134. 151 Vernant: ZWISCHEN MYTHOS UND POLITIK, S. 104 – 109. 152 Siehe u. a. Lennart Breitholz: DIE DORISCHE FARCE IM GRIECHISCHEN MUTTERLAND VOR DEM 5. JAHRHUNDERT. HYPOTHESEN ODER REALITÄT? (= Studia Graeca et Latina Gothoburgensia X), Stockholm/Göteborg/Upsala 1960; vergl. T. B. L. Websters Neuauflage von Arthur Pickard-Cambridge: DITHYRAMB, TRAGEDY, COMEDY, Oxford 1962 [1927], S. 193 f.; Hedwig Kenner: DAS THEATER UND DER REALISMUS IN DER GRIECHISCHEN KUNST, Wien 1954. Zu Fest und musischen Tätigkeiten siehe Richard Kannicht: „Thalia. Über den Zusammenhang zwischen Fest und Poesie bei den Griechen“, in: Haug/Warning (Hg.): DAS FEST. 153 Vernant: DIE ENTSTEHUNG DES GRIECHISCHEN DENKENS, S. 47. 154 Walter J. Ong: ORALITY AND LITERACY. THE TECHNOLOGIZING OF THE WORD, London/New York 1984 [1982], S. 37 – 40. 155 Meier: DIE POLITISCHE KUNST DER GRIECHISCHEN TRAGÖDIE, S. 151, 142f. 156 Vernant/Vidal-Naquet: MYTH AND TRAGEDY IN ANCIENT GREECE, S. 18. Vgl. John J. Winkler/Froma J. Zeitlin (Hg.): NOTHING TO DO WITH DIONYSUS? ATHENIAN DRAMA IN ITS SOCIAL CONTEXT, Princeton 1990; Hans-Thies Lehmann: THEATER UND MYTHOS. DIE KONSTITUTION DES SUBJEKTS IM DISKURS DER ANTIKEN TRAGÖDIE, Stuttgart 1991. 157 Siehe Vernant: „The Individual within the City State“, in: ders.: MORTALS AND IMMORTALS. SELECTED ESSAYS, Princeton 1991; Vernant (Hg.): DER MENSCH DER GRIECHISCHEN ANTIKE, Frankfurt/M. 1993 ; Vernant/Vidal-Naquet: MYTH AND TRAGEDY IN ANCIENT GREECE, New York 1988, S. 18. 158 Richard Seaford: RECIPROCITY AND RITUAL. HOMER AND TRAGEDY IN THE DEVELOPING CITY-STATE, Oxford 1994, S. 329 – 365. Vgl. Pickard-Cambridge: DITHYRAMB, TRAGEDY, COMEDY und George Thompson: AISCHYLOS UND ATHEN. EINE UNTERSUCHUNG DER GESELLSCHAFTLICHEN URSPRÜNGE DES DRAMAS, Berlin 1957. 159 Seaford: MONEY AND THE EARLY GREEK MIND. HOMER, PHILOSOPHY, TRAGEDY, Cambridge 2004, S. 153. 160 Hier nach der alten Übersetzung von Johann Gustav Droysen zitiert, in: Aischylos: DIE SIEBEN TRAGÖDIEN, Leipzig 1967, S. 131f. 161 Ebd. 162 Ebd., S. 134 – 144. 163 Ebd., S. 171. 164 Besonders George Thomson hat den Konflikt zwischen den alten blutsverwandtschaftlichen Rechtsauffassungen und den neuen der Demokratie betont. Vgl. George Thomson: AISCHYLOS UND ATHEN. EINE UNTERSUCHUNG DER GESELLSCHAFTLICHEN URSPRÜNGE DES DRAMAS, aus dem Engl. übers. von Hans-Georg Heidenreich, Berlin 1957, S. 293 – 303. 165 Aischylos: DIE SIEBEN TRAGÖDIEN, S. 225 – 243. 166 Hisaki Hashi: ÄSTHETISCHE ASPEKTE DES NOH-THEATERS, Frankfurt/M. 1995, z. B. zur Relationalität von Leere und Fülle, zum Einfluss des Zen-Budhismus, taoistischer Elementen, der Shinto -Religion, S. 85 – 110. Siehe auch Kunio Komparu: THE NOH THEATRE. PRINCIPLES AND PERSPECTIVES, Weatherhill 1983. Meine Überlegungen sind sehr vorsichtig. Die Texte sind mir nur in Übersetzungen zugänglich. 167 Peter Szondi: „Versuch über das Tragische“, in: ders.: SCHRIFTEN (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 219), Bd. 1, Frankfurt/M. 1978, S. 159, 209. 168 Oscar Benl (Hg.): DIE GEHEIME ÜBERLIEFERUNG DES NO. AUFGEZEICHNET VON MEISTER SEAMI, aus dem Japan. übers. von Oscar Benl, Frankfurt/M. 1961, S. 104 – 108. Siehe auch Komparu: THE NOH THEATRE, S. 10 – 17. 169 Ebd. 170 Ortolani: „Das japanische Theater“, S. 336. Vgl. auch Heinrich Dumoulin: ZEN. GESCHICHTE UND GESTALT, Bern 1959. 171 Deisetz Taitaro Suzuki: ZEN UND DIE KULTUR JAPANS, Hamburg 1958, S. 33f. 172 Ortolani: „Das japanische Theater“, S. 338ff. 173 Vgl. P. G. O’Neill: EARLY No- DRAMA. ITS BACKGROUND, CHARACTER, AND DEVELOPMENT 1300 – 1450, London 1958; Günter Zobel: No-THEATER. SZENE UND DRAMATURGIE, VOLKS- UND VÖLKERKUNDLICHE HINTERGRÜNDE, Tokio 1989 [1987]. 174 Übersetzt in: VIERUNDZWANZIG No-SPIELE, aus dem Japan. übers. und hg. von Peter Weber-Schäfer, Frankfurt/M. 1961. 175 Ebd., S. 74. 176 Vgl. auch Weber-Schäfer: ONO NO KOMACHI. GESTALT UND LEBENDE IM No-SPIEL, Wiesbaden 1960. 177 Übersetzt in: VIERUNDZWANZIG No-SPIELE, S. 139 – 147. Die folgenden Zitate entstammen dieser Ausgabe. 178 Siehe Thomas F. Leims: DIE ENTSTEHUNG DES KABUKI. TRANSKULTURATION EUROPA-JAPAN IM 16. UND 17. JAHRHUNDERT, Leiden 1990, S. 2f. Leims verweist auf mögliche Einflüsse des Barocktheaters der Jesuiten wie auf westliche Einflüsse (Kleidung) auf die japanische Schicht, die „maßgeblichen Anteil an der Entstehung des Kabuki hatte“. Urkundlich ist Kabuki erstmals belegt für 1596, nach anderen Quellen für 1603, eine Zeit, als die christliche Mission in Japan ihre Blütezeit schon hinter sich hatte. Leims spricht von „dieser ersten ‚bürgerlichen‘ Theaterform Japans“. Die Kontaktnahme Japans zur westlichen Kultur, vor allem ihren Tänzen, dem Mysterienspiel, ihren Prozessionen und Missionspredigten, könnte der Initialzünder gewesen sein, der „ein in der japanischen Theatergeschichte bis dahin nicht bekanntes, völlig anders geartetes ‚neues‘ Phänomen, ein professionelles, säkulares, frei finanziertes, realistisches, mechanisierbares und in der Folge mechanisiertes Volkstheater, eben das Kabuki, entstehen ließ.“ (S. 7). Japan sei stets disponiert, sich mit ‚Fremdem‘ produktiv auseinanderzusetzen. „Dies geschah – unter Beachtung der eigenen kulturellen Gegebenheiten – durchaus selektiv, dann aber mit quasi Effekt, d. h. der Aneignung und Betrachtung des Fremden als Eigenes.“ 179 Einige Kabuki-Forscher betonen, Tanz sei das Wesen des Kabuki. Siehe A. C. Scott: THE KABUKI THEATRE OF JAPAN, London 1955, S. 83. 180 Earle Ernst: THE KABUKI THEATRE, New York 1956, S.19 – 23. Die ersten Kabuki-Aufführungen, die eher Theaterstücken als Tänzen ähnelten, so Ernst, nannte man „plays imitating things“. Diese Bezeichnung wurde einige Jahre lang anstelle des Wortes kabuki benutzt. Der Schauspieler Sakata Tojuro (1647 – 1709) war der Auffassung, ein Kabuki-Darsteller solle auf der Bühne Wirklichkeit präsentieren („should present reality on the stage“). Tamenaga lchas KABUKI-LESEBUCH aus dem Jahr 1762 forderte ein wahrheitsgemäßes und realistisches Imitieren des Betragens von Jung und Alt, Mann und Frau, Adeligen und Armen, Priestern und Laien. „Realismus“ und „Imitation“ meinten aber für japanische Darsteller und Kritiker nicht den repräsentativen, illusionistischen Realismus des westlichen Theaters. Kabuki basiert auf Tanz und bewegt sich in präzise ausgearbeiteten Rhythmen und Gesten immer in Richtung der statischen, un-realistischen Haltung, die Mie genannt wird und immer stilisiert, also „rein“ darstellerisch ist. Die Einstellung des Kabuki zum Realismus generell wurde von dem Kabuki-Darsteller Nakamura Kichiemon auf den Punkt gebracht, der, auf die Frage, warum es im Kabuki keine Frauen auf der Bühne gebe, antwortete: Das wäre zu realistisch! 181 M. Gundsi: JAPONSKIJ TEATR KABUKI, aus dem Japan. übers. von B. V. Raskina, Moskau, 1969, S. 152. 182 A. C. Scott: THE KABUKI THEATRE OF JAPAN, London 1955, S. 88. 183 Ta Senzoku: KABUKI, Tokio 1964, S. 156 – 162. 184 Ernst: THE KABUKI THEATRE, S. 4. 185 Ebd., S. 38. 186 Gundsi: KABUKI, S. 70, 276f. 187 Scott: THE KABUKI THEATRE OF JAPAN, S. 282. 188 Gundsi: KABUKI, S. 107f.; Senzoku: KABUKI, S. 111ff. 189 Siehe MASKE UND KOTHURN (1964), H. 3 – 4, S. 692ff. Zu Samurai-Stücken vgl. Monzaemon Chikamatsu: KAGEKIYO, in: JUBILÄUMSBAND. HERAUSGEGEBEN VON DER DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR NATUR- UND VÖLKERKUNDE OSTASIENS ANLÄSSLICH IHRES 60-JÄHRIGEN BESTEHENS: 1973 – 1933, Teil 1, Tokio 1933. 190 Donald Keene (Hg.): MAJOR PLAYS OF CHIKAMATSU, New York/London 1961. Vgl. auch KABUKI. FIVE CLASSIC PLAYS, hg. und übers. von James R. Brandon, Honolulu 1992. 191 Ernst: THE KABUKI THEATRE, S. 13ff. 192 Keene (Hg.): MAJOR PLAYS OF CHIKAMATSU, S. 409ff. 193 Ebd., S. 421 – 25. 194 Ebd., S. 54. 195 Jo Riley: CHINESE THEATRE AND THE ACTOR IN PERFORMANCE, Cambridge 1997, S. 148: „Die Toten in der Anderen Welt können keine realen Dinge wie im realen Leben benutzen. Die Dinge müssen daher anders oder irgendwie verändert sein [...]. Die Repräsentation einer menschlichen Figur (ou) in Holz oder einem anderen geformten Material wird als der Gefährte oder das Gegenstück zum Menschen begriffen.“ 196 Siehe Antje Budde: THEATER UND EXPERIMENT IN DER VR CHINA. KULTURHISTORISCHE BEDINGUNGEN, BEGRIFF, GESCHICHTE, INSTITUTION UND PRAXIS, Saarbrücken 2008, S. 185 – 250. Vgl. auch William Dolby: „Early Chinese Plays and Theater“, in: Colin Mackerras (Hg.): CHINESE THEATER. FROM ITS ORIGINS TO THE PRESENT DAY, Honolulu 1983; J. I. Crump: CHINESE THEATRE IN THE DAYS OF KUBLAI KHAN, Arizona 1980. 197 Siehe Faye Chunfang Fei (Hg.): CHINESE THEORIES OF THEATER AND PERFORMANCE FROM CONFUCIUS TO THE PRESENT, Michigan 1999, S. 19ff. 198 Zit. in: Tao-Ching: THE CHINESE CONCEPTION OF THEATRE, Seattle/London 1985, S. 307. 199 Unterschiede in den Stilen/Darstellungsweisen und Stückformen in den verschiedenen Regionen Chinas, insbesondere die Unterschiede zwischen den nördlichen und südlichen Teilen, können hier nicht berücksichtigt werden. Siehe dazu besonders Colin P. Mackerras: „Introduction“, in: ders.: THE RISE OF THE PEKING OPERA 1770 – 1870, Oxford 1972; Mackerras: „Introduction“, in: ders.: THE CHINESE THEATRE IN MODERN TIMES. FROM 1840 TO THE PRESENT DAY, London 1975. 200 William Dolby: „Yuan Drama“, in: Mackerras: CHINESE THEATRE, S. 19 – 25. Siehe auch Josephine Huang-Hung: „Das chinesische Theater“, in: Heinz Kindermann (Hg.): EINFÜHRUNG IN DAS OSTASIATISCHE THEATER, Wien/Köln/Graz 1985, J. I. Crump: CHINESE THEATRE IN THE DAYS OF KUBLAI KHAN, Arizona 1980. 201 Dale R. Johnson: YUAN MUSIC DRAMAS: STUDIES IN PROSODY AND STRUCTURE AND A COMPLETE CATALOGUE OF NORTHERN ARIAS IN THE DRAMATIC STYLE, Michigan 1980. 202 S. Serova: PEKINSKAJA MUSIKAL’NAJA DRAMA (Das Pekinger Musikdrama), Moskau 1970, S. 40. 203 Sergej Obraszow: THEATER IN CHINA, Berlin 1953, S. 150. 204 Jo Riley: CHINESE THEATRE AND THE ACTOR IN PERFORMANCE, Cambridge 1997, S. 314f. 205 Christina Shu-hwa Yao: CAI-ZI JIA-REN: LOVE DRAMA DURING THE YÜAN, MING AND QING PERIODS (Diss.), Stanford 1982, S. 14. 206 Ebd., S. 21 – 33. 207 Der Offizier An Lushan war eine historische Persönlichkeit. Siehe Wikipedia-Eintrag „Yang Guifei“: http://en.wikipedia.org/wiki/Yang_Guifei [Zugriff: 1.10.2014]. 208 CHINESISCHE DRAMEN DER YÜAN-DYNASTIE, aus dem Chines. übers. von Alfred Forke, hg. und eingel. von Martin Gimm, Wiesbaden 1978, S. 215. 209 Ebd., S. 229. 210 Ebd., S. 220. 211 Ebd., S. 214. Antje Buddes Anmerkungen, die einen ersten Entwurf meines Buches gelesen hat, verdanke ich das tiefere, historisch genauere „Deuten“ des Textes. 212 In: CHINESISCHE DRAMEN DER YÜAN-DYNASTIE, S. 60 – 108. 213 Unbedingt ist Antje Buddes Kommentar zum Stück anzuführen: Die Geliebte ihrerseits hat keinerlei Macht, außer durch Selbstmord ihre Würde zu beweisen. Es ist interessant in diesem Zusammenhang, dass Selbstmord in China nicht nur als Opfer, sondern auch als Zeichen des Widerstands gegen soziale Zwänge gesehen wird. Es ist die Favoritin/Konkubine, die wieder die Kohlen aus dem Feuer holen muss und mit ihrem Leben bezahlt. Es sollte erwähnt werden, dass es während der Yuan-Dynastie sowohl gemischte als auch reine Frauentheatergruppen gab. Das ist ein entscheidender Unterschied zur Pekingoper, wo konservatives neo-konfuzianisches Moraldenken Frauen von der Bühne verbannt. 214 Ebd., S. 108. 215 Wang Shifu: DAS WESTZIMMER. EIN CHINESISCHES SINGSPIEL AUS DEM 13. JAHRHUNDERT. IN DEUTSCHER NACHDICHTUNG NACH DEN CHINESISCHEN URTEXTEN DESWANG SHE-FU UND DES GUANHAN-TSCHING, aus dem Chines. übers. von Vincenz Hundshausen, Leipzig 1978 [1926]. 216 Ebd., S. 228. 217 Ebd., S. 285. 218 Ebd., S. 287. 219 Ebd., S. 313. 220 Sabine Sommer: RICHTER BAO, DER CHINESISCHE SHERLOCK HOLMES: EINE UNTERSUCHUNG DER SAMMLUNG VON KRIMINALFÄLLEN BAO GONGAN, Bochum 1994. 221 George Allan Hayden: CRIME AND PUNISHMENT INMEDIEVAL CHINESE DRAMA. THREE JUDGE PAO PLAYS OF THE YUAN AND MING DYNASTIES (= Harvard East Asian Monographies 82), Harvard 1978, S. 38. 222 Ebd., S. 46. 223 Ebd., S. 54. 224 Ebd., S. 69. 225 Ebd., S. 73. 226 Ebd., S. 78. 227 Vgl. Stanca Scholz-Cionca: ENTSTEHUNG UND MORPHOLOGIE DES KLASSISCHEN KYOGEN IM 17. JAHRHUNDERT. VOM MITTELALTERLICHEN THEATER DER AUSSENSEITER ZUM KAMMERSPIEL DES SHOGUNATS, München 1998, S. 86. 228 SUKEROKU: FLOWER OF EDO, in: KABUKI. FIVE CLASSIC PLAYS, aus dem Japan. übers. von James R. Brandon, Honolulu 1992 [1975], S. 55f. 229 Martin Grimm (Hg.): CHINESISCHE DRA MEN DER YÜAN-DYNASTIE. ZEHN NACHGELASSENE ÜBERSETZUNGEN VON ALFRED FORKE, Wiesbaden 1978, S. 187. 230 Ebd., S. 197. 231 Obraszow: THEATER IN CHINA, S. 122 f. Siehe A. C. Scott: THE CLASSICAL THEATRE OF CHINA, New York 1957, S. 101. Vgl. Serova: PEKINSKAJAMUSIKAL’NAJA DRAMA, S. 8, 11f.; Mackerras (Hg.): CHINESE THEATER; Mackerras: THE RISE OF THE PEKING OPERA. 232 Vgl. Eric A. Havelock: PREFACE TO PLATO, Cambridge, Mass. 1963, S. 8f. Vgl. Vernant: MORTALS AND IMMORTALS. SELECTED ESSAYS, Kap. 9 (The Birth of Images), Princeton 1991. 233 Vgl.: Platon: DER STAAT, in: ders.: WERKE, Bd. 3, übers. von Friedrich David Ernst Schleiermacher, Berlin 1987, S. 117. 234 Ebd., S. 318. 235 Ebd., S. 326. 236 Aristophanes: KOMÖDIEN, Bd. 1, übers. von Ludwig Seeger, Weimar 1963, S. 77. 237 Ebd., S.107. 238 Eduard Hartl: DAS DRAMA DES MITTELALTERS. SEIN WESEN UND SEIN WERDEN, Bd. 1: OSTERFEIERN (= Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Drama des Mittelalters 1), Leipzig 1937, S. 27ff. 239 Ebd., S. 29 – 38. 240 Ebd., S. 38ff. Siehe auch Karl Young: THE DRAMA OF THE MEDIEVAL CHURCH, Bd. 1, Oxford 1933. 241 Vgl. Kindermann: EUROPÄISCHE THEATERGESCHICHTE, Bd. 1; Heinrich Borcherdt: DAS EUROPÄISCHE THEATER IM MITTELALTER UND IN DER RENAISSANCE, Leipzig 1935. 242 Siehe die Dirigierrolle für das Frankfurter Passionsspiel bei Wolfgang Greisenegger: DIE REALITÄT IM RELIGIÖSEN THEATER DES MITTELALTERS, Wien 1978, S. 254ff. Die Dirigierrolle ist eine Art Szenarien-Aufriss. Der volle, „eigentliche Spieltext“ ist nicht erhalten. 243 Vgl. Hartl (Hg.): DAS DRAMA DES MITTELALTERS, Bd. 2: PASSIONSSPIELE (DAS DONAUESCHINGER PASSIONSSPIEL), Leipzig 1942. 244 Zu Kostümen siehe ebd., S. 21: Pilatus sei wohl wie ein „weltlicher mittelalterlicher Fürst und seine Frau wie vornehme adelige Dame des 15. Jahrhunderts“ gekleidet. 245 Ebd., S. 188. 246 Regieanmerkung beim Auftritt des Proclamators:„gat des PROCLAMATORS KNECHT her für in mittel platzes vnd spricht mit luter stimm ...“. Seine ersten Worten sind: „Almechtiger gott gott, herre Ihesu Christ [...]“ Dann: „Ir allerliebsten kind in gott, / [...] jeglicher genant in sinem stat / gott vns allen geben hat / die zehen gebot darnach ze leben, / den sinen ouch ewig fröd ze geben, / die sinen willen hie vff erden tünd, / Ihesum Christ, Mariae sün, / durch den wir hüt gesamlet sind [...] / ir werdent in sehen in menschlicher natur [...] / die vns armen sündern ze gut / geschechen sind vm höchsten gut, / dar vmb das er vns selig macht, / wie wohl das von vns wirt veracht [...].“ Ebd., S. 90 – 92. 247 Siehe auch Bernd Neumann: GEISTLICHES SCHAUSPIEL IM ZEUGNIS DER ZEIT. ZUR AUFFÜHRUNG MITTELALTERLICHER RELIGIÖSER DRAMEN IM DEUTSCHEN SPRACHGEBIET, 2 Bde., München 1987. 248 Siehe die Zeichnung zum ersten Tag der Luzerner Passion in Borcherdts: DAS EUROPÄISCHE THEATER IM MITTELALTER, S. 18. 249 Richard Southern: THE MEDIEVAL THEATRE IN THE ROUND. A STUDY OF THE STAGING OF THE CASTLE OF PERSEVERANCE AND RELATED MATTERS, London 1975. 250 Siehe Glynne Wickham: EARLY ENGLISH STAGES. 1300 – 1660, Bd. 1, London 1959; William Tydeman: THE THEATRE IN THE MIDDLE AGES. WESTERN EUROPEAN STAGE CONDITIONS, C. 800 – 1576, Cambridge 1978. 251 Zit. in: A. C. Cawley (Hg.): EVERYMAN AND MEDIEVAL MIRACLE PLAYS, London 1988, S. XIf. Quelle: http://www.theaterderzeit.de/buch/welt_theater_geschichte/32994/komplett/ Abgerufen am: 18.05.2017