Dr. med. Mabuse 149. Mai/Juni 2004 Ätherische Öle Von Eliane Zimmermann Ätherische Öle wurden im deutschsprachigen Raum lange als esoterischer Hokuspokus verkannt. Unterstützt von wissenschaftlichen Erkenntnissen über deren Wirkung etabliert sich allmählich der therapeutische Einsatz in Krankenhaus und Pflege. Eliane Zimmermann stellt den aktuellen Kenntnisstand dar. Die Wirkung gegen Bakterien und Pilze sprechen heute vor allem für den Einsatz ätherischer Öle im Krankenhaus. Die Wirkung von Ölen ist bereits in einigen hundert Studien dokumentiert, die in allgemein zugänglichen Datenbanken verfügbar sind (Harris 1997). Auch über die Verträglichkeit der Öle liegen viele Erkenntnisse vor, da die Kosmetikindustrie frühzeitig daran interessiert war, nur ausreichend getestete Öle oder deren Bestandteile zu verarbeiten. Der Begriff AromaTHERAPIE wurde in den 1930er Jahren von einem französischen Chemiker geprägt: René Gattefossé analysierte ätherische Öle nach der erfolgreichen Wundversorgung eines Arbeitsunfalles und testete daraufhin – zusammen mit Ärzten die Wirkung von Ölen bei unterschiedlichen Krankheiten. So entwickelte sich die Anwendung von natürlichen ätherischen Ölen in Frankreich zu einem Bereich der rationalen Phytotherapie, die auch heute speziell ausgebildeten Ärzten vorbehalten ist. In den sechziger Jahren entwickelten Menschen aus dem Schönheitspflege- und Massagebereich die britische Form der Aromatherapie (Tisserand 1977, Price 1983, Buckle 2003). Sie wenden die ätherischen Öle vor allem mittels Massagen und Bädern an. Durch eine einseitige und selektive Übersetzung von einigen Dutzend englischsprachigen Laien-Büchern etablierte sich Mitte der achtziger Jahre im deutschsprachigen Raum das Missverständnis, dass das Aufstellen von Duftlampen und anderer „esoterischer“ Praktiken „Aromatherapie“ sei. Mittlerweile wurde durch die Pionierarbeit einiger Krankenhäuser vor allem im süddeutschen und schweizer Raum eine klinisch orientierte Aromapflege und Aromatherapie entwickelt. Gleichzeitig wurde der Zugang zu wissenschaftlichen Studien in den letzten Jahren leichter. Noch allerdings fehlt es an Transparenz und Standards: So ist der Beschaffungsmarkt für ätherische Öle hinsichtlich der Qualität unübersichtlicher denn je. Hochqualitative ätherische Öle dürfen zudem per Gesetz nicht als Arzneimittel deklariert werden, sondern werden mit dem Aufdruck „zur Wohnraumbeduftung“ verkauft. Standardisierte Apotheken-Öle nach Deutschem Arzneibuch hingegen müssen rechtlich definierten Kriterien entsprechen und sind darum oft durch vorgeschriebene chemische Eingriffe verändert. Gerade das medizinische Personal muss sich noch bewusster machen, dass natürliche ätherische Öle nicht „Parfums“ sind, sondern dass sie durch ihre Inhaltsstoffe ein breites Spektrum an pharmakologischen Wirkungen – und unerwünschten Nebenwirkungen – auslösen können. Die Inhaltsstoffe lassen sich mittlerweile auch in der deutschsprachigen Fachliteratur nachschlagen, wenn auch nur exemplarisch, denn jeder Ernteort und Erntezeitpunkt beeinflusst die jeweilige Zusammensetzung der Öle (Zimmermann 2001, Price & Price 2003). Die einzelnen Wirkungsmechanismen sind noch nicht geklärt, man weiß aber, dass Inhaltsstoffe der ätherischen Öle auf der einen Seite die Zellmembranen der Mikroorganismen verändern, stören oder gar zerstören (Hammer 2003). Auf der anderen Seite beeinflussen ätherische Öle bei systemischer (in diesem Fall stark verdünnter) Anwendung durch Einlagerung in die menschlichen Zellmembranen die dort lokalisierten Enzyme und Aufnahmevorrichtungen für Medikamente oder ähnliche Substanzen. Bei weniger starken Verdünnungen zeigen sie eine ähnliche Wirkung wie örtlich betäubende Mittel (Teuscher & al 1990). Die folgenden Beispiele relevanter Studien erläutern, wie und unter welchen Umständen ätherische Öle wirken können. Diese wurden einerseits in Laboren an Zellkulturen und Nagetieren vorgenommen aber auch bei erkrankten Menschen. Antiinfektiöse Wirkung Für den Einsatz bei Patientinnen mit bakteriellen Infekten und Pilzinfektionen ist es wichtig, vor dem therapeutischen Einsatz der Öle mittels Abstrichen sogenannte Aromatogramme herzustellen. Das ist die bei französischen Ärzten gängige Praxis; in Deutschland hat sich ein Labor in Karlsruhe seit einigen Jahren darauf spezialisiert. Ähnlich dem Antibiogramm, mit dem Antibiotika auf ihre Wirksamkeit geprüft werden, werden für das Aromatogramm Erreger des Erkrankten (Auswurf, Blut, Urin) gezüchtet. Auf die Oberfläche von Nährböden legt man Papierblättchen, die jeweils mit verschiedenen in Frage kommenden ätherischen Ölen oder mit Mischungen daraus getränkt wurden. Nach 24 Stunden Brutzeit haben sich die Keime mehr oder weniger ausgebreitet. Wenn das jeweilige ätherische Öl gewirkt hat, sieht man eine wachstumsfreie Zone rund um das getränkte Papier. Diese Zone wird in Millimetern gemessen und mit anderen Ergebnissen verglichen. Die Auswahl der Öle für die Therapie gründet auf diesen Resultaten. Dieser Labortest ist zuverlässig und jederzeit reproduzierbar, für biochemisch identische Öle erhält man übereinstimmende Ergebnisse. Stellvertretend für zahlreiche ähnliche Untersuchungen sei eine Studie aus dem vergangenen Jahr erwähnt, die in einer Reihe von 816 Labor-Versuchen den Nachweis erbracht hat, dass bestimmte ätherische Öle auch dann noch Bakterien tötend wirken, wenn Antibiotika nicht mehr wirken; das galt auch für den gefürchteten MRSA, ein Bakterienstamm, der gegen fast alle gängigen Antibiotika immun ist und der in Krankenhäusern und Pflegeheimen viele unnötige Erkrankungen verursacht (Runkel 2003). Man könnte also im klinischen Bereich solche aggressiven Keime mit einigen ätherischen Ölen eindämmen und so nicht nur enorme Kosten einsparen, sondern auch Menschenleben retten. In einer Studie der Universität Heidelberg wurde die antibakterielle Wirkung des in Mode gekommenen „Wundermittels“ Teebaum (Melaleuca alternifolia) mit dem hierzulande noch unbekannten ätherischen Öl des Manuka-Baumes (Neuseeländischer Tea Tree, Leptospermum scoparium) verglichen. Kann Teebaum bereits eine beachtliche Wirkung gegen viele Bakterien aufweisen, so wird es jedoch von Manuka bei zwei Staphylococcus aureus-Stämmen als auch bei Staphylococcus epidermidis und faecalis) um das 33-fache übertroffen. Auch die Wirkung gegen Viren von einigen ätherischen Ölen ist wissenschaftlich untersucht. Es scheint, als ob einzelne Inhaltsstoffe einiger Öle die Zellmembranen der „Antennen“ der Viren schädigen können, so dass diese nicht mehr oder zumindest weniger effektiv an die menschlichen Zellmembranen andocken können. Bei Gürtelrose können der Krankheitsverlauf und die Schmerzen oft nur mit ätherischen Ölen wirklich beeinflusst werden (Franchomme & Pénoël 1990, Schnaubelt 1994). Schmerzlindernde Wirkung Ätherische Öle, die bestimmte Kohlenwasserstoffe enthalten (Myrcen, p-Cymen) werden in der örtlichen Anwendung bei Schmerzzuständen eingesetzt. Eine Studie an der Universität Kiel zeigte außerdem, dass Menschen, die an Spannungskopfschmerzen leiden, mit einer 10-prozentigen alkoholischen Lösung von Pfefferminz-Öl (Mentha piperita, Leitsubstanzen Menthol und Menthon) genauso gut geholfen werden kann wie mit den beiden gängigsten Schmerzmittel-Inhaltsstoffen Paracetamol und ASS) (Göbel & al. 1998). Wirkung bei funktioneller Dyspepsie Unter der Leitung des Gastroenterologen Prof. Dr. Jürgen Hotz in Celle nahmen sechzig Patienten mit Verdauungsstörungen in einer placebo-kontrollierten Studie zweimal täglich eine Kapsel mit Pfefferminz- und Kümmel-Öl ein. Bereits nach zwei Wochen Therapie zeigten sich deutliche Besserungen der Symptome, nach vier Wochen waren diese Besserungen noch stärker ausgeprägt (May 1996). Wirkung bei Asthma und Heuschnupfen Ätherisch-Öl-Drogen werden traditionell zur Linderung von Beschwerden bei Atemwegsproblemen verwendet. In einer Doppelblindstudie konnte zeigte Professor Dr. Uwe R. Jürgens von der medizinischen Poliklinik der Universitätsklinik Bonn, dass der Hauptinhaltsstoff von Eukalyptus-Öl - 1,8-Cineol - eine ähnliche Wirkung bei Atemwegserkrankungen hat wie Cortison. Sechs Kapseln à 100 mg Cineol täglich reichen aus, um bei Asthma-Patienten die Lungenfunktion um bis zu 20 Prozent zu verbessern. Bei zwölfwöchiger Cineol-Gabe konnte die Cortison-Dosis um durchschnittlich 36 Prozent reduziert werden. Ähnlich wie Cortison verhindert Cineol die Botenstoff-Ausschüttung. Jürgens empfiehlt daher den Einsatz von Cineol in der Langzeittherapie nicht nur bei Atemwegsentzündungen sondern auch bei allergischen Reaktionen wie Heuschnupfen oder anderen cortisonpflichtigen Entzündungskrankheiten; der Einsatz von Cortison und Antihistaminika wird dadurch deutlich reduziert (Juergens 1998). Darüber hinaus lassen sich für den Einsatz von natürlichen ätherischen Ölen im klinischen Bereich mehrere Vorteile festhalten: · Einige ätherische Öle haben die Fähigkeit, multiresistente pathogene Keime „in Schach“ zu halten oder gar auszuschalten. Die amerikanische Aromatherapeutin Dr. Jane Buckle vertritt sogar die Ansicht, dass die Öle die Antibiotika der Zukunft werden könnten. Mit Hilfe des Aromatogramms sind sie bereits heute sehr gezielt einsetzbar (Buckle 2003). · Einige ätherische Öle haben eine stabilisierendeWirkung auf das Immunssystem und verbessern so den allgemeinen Gesundheitszustand von PatientInnen und Personal. · Einige ätherische Öle wirken stark entspannend und angstlösend und tragen – bei topischer Anwendung – zur Genesung, vor allem der gestressten und ängstlichen PatientInnen bei. Bei Anwendung im Raum wird der Stressfaktor „Krankenhausgeruch“ gemildert. Gleichzeitig erfolgt eine Luft-Desinfektion der Räumlichkeiten. · Der gezielte Einsatz von ätherischen Ölen beispielsweise bei Infektionen, die übel riechen, beschleunigt die Heilung und hilft Patienten und Pflegekräften, besser mit dem meist als peinlich empfundenen Geruch zurechtzukommen. Das gilt natürlich auch bei sonstigen LangzeitpatientInnen, die sich durch die eingeschränkten Hygienemöglichkeiten oft „nicht mehr riechen“ können. Hier können Waschungen und Bäder sehr hilfreich sein. · Nicht zuletzt unterstützt die Anwendung ätherischer Öle eine menschlichere Betreuung der PatientInnen. Im Unterschied zur Apparatemedizin und zur Verabreichung von vollkommen un-sinnlichen Pillen, aktivieren ätherischen Öle die Sinne (nicht nur) des kranken Menschen, lösen in ihm Gefühle und Erinnerungen aus und oft auch den Wunsch, über diese Erfahrungen zu sprechen. Deshalb es ist fast nicht möglich, die Öle lieblos und mechanisch einzusetzen. Jane Buckle drückt diese Erfordernis einer humanen Pflege so aus: „Bringing the care back into healthcare“, man müsse der Kranken- und Gesundheitspflege das Umsorgende und die Pflege zurückgeben. Zudem können so auch KrankenpflegerInnen wieder mehr Freude und Erfüllung im Beruf finden. (Diesen Aspekt wenn möglich noch ein kleiner bisschen ausbauen?) Quellen Balacs, Tony: Dermal Crossing, in The International Journal of Aromatherapy Vol. 4-2, Aromatherapy Publications, GB-Hove 1992 Brudnak, Mark A.: Cancer-Preventing Properties of Essential Oil Monoterpenes DLimonene and Perillyl-Alkohol in Positive Health, 53 Juni 2000 Buckle, Jane: Clinical Aromatherapy, Churchill Livingstone, Philadelphia 2003 Franchomme, Pierre; Pénoël, Daniel: L’aromathérapie exactement. Edition Roger Jollois, F-Limoges 1990. Göbel, Hartmut; Heinze, Axel; Dworschak, Matthias; Heinze-Kuhn, Kathja; Stolze, Henning: Wirksamkeit und Verträglichkeit von Oleum menthae piperitae-Lösung LI 170 bei Kopfschmerz vom Spannungstyp und Migräne. Schmerzklinik Kiel und Klinik für Neurologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1998 Hammer, KA, Carson, CF & Riley, TV: Improving Australian Tea Tree through selection and breeding, A Report for the Rural Industries Research and Development Corporation, 2003 Harris, Bob: The Aromatherapy Database. Essential Oil Resource Consultans Inc. , St. Hellier 1997 und www.essentialoilresource.com Juergens UR Stober M Schmidt-Schilling L Kleuver T Vetter H: Antiinflammatory effects of eucalyptol (1.8-cineole) in bronchial asthma: inhibition of arachidonic acid metabolism in human blood monocytes ex vivo. Eur J Med Res 3, 407-12 in Publikationen Medizinische Poliklinik Bonn1998 May, B. et al.:“Efficacy of a fixed peppermint oil/caraway oil combination in non ulcer dyspepsia. Arneimittel-Forschung/Drug Research 46 (II), 1149, 1996 Price, Len & Shirley: Aromatherapie – Praxishandbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe, Verlag Hans Huber, CH-Bern 2003 Runkel, Ute: Juugend forscht-Arbeit „Keimsanierung mit ätherischen Ölen – eine wirksame Methode bei Antibiotikaresistenz?“, Gelnhausen 2003 Schnaubelt, Kurt: Aromatherapy and Chronical Viral Infections, in: Aroma’93 – Conference Proceedings, Aromatherapy Publications, GB-Hove 1994 Teuscher, E., Melzig, M., Villmann, E. und Möritz, K.U.: Untersuchungen zum Wirkungsmechanismus ätherischer Öle, Zeitschrift für Phytotherapie 1990; 11: 87-92. Zimmermann, Eliane: Aromatherapie für Pflege- und Heilberufe, Sonntag Verlag, Stuttgart, 2. überarbeitete Auflage 2001 Die Autorin: Eliane Zimmermann, Jahrgang 1959, ist Autorin des Fachbuches „Aromatherapie für Pflege- und Heilberufe“ (Sonntag Verlag 2001), Duft-Designerin und Dozentin für Aromatherapie Herausgeberin der virtuellen Fachzeitschrift @romapraxis.newsletter und der LehrWebsite www.aromapraxis.de