© Pfr. Uwe Wiegand Predigt zum Sonntag Septuagesimä am: 12.2.2017 Text: Lukas 17, 7-10 Liebe Gemeinde, Wir wolln uns nicht auf Werke gründen, weil doch kein Mensch vor Gott gerecht; und will sich etwas Gutes finden, so sind wir dennoch böse Knecht. (EG 250, Lied vor der Predigt) sind Sie beim Singen eben auch gestolpert über diese Zeilen? Ist es angemessen, so zu singen? Ist es nicht anstößig, ein solches Menschenbild zu vertreten? Gewiß, im evangelischen Glauben kommt es nicht auf die Werke an, aber darf man deshalb kein gutes Haar mehr am Menschen lassen, wie es der Liederdichter Friedrich Konrad Hiller hier tut? Als frommer, württembergischer Jurist zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert hält er an der Lehre fest, dass alle guten Taten nichts daran ändern können, dass der Mensch böse ist. "Erbsünde" nennen das die Theologen, was im praktischen Leben so problematisch sein kann. Wenn Eltern nach diesem Motto ihre Kinder erziehen "Egal was du tust, du bleibst doch schlecht" - geben sie ihnen einen schlechten Start ins Leben. Sie werden sie bei Ihnen Minderwertigkeitsgefühle schaffen, die es Ihnen schwer machen, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Um Pädagogik aber geht es hier gar nicht. Der Dichter will Gott loben und preisen für das, was er an uns getan hat da muß alles verblassen, was wir Menschen an Gutem tun. Sein Kronzeuge ist Paulus kein Mensch ist aus eigener Kraft vor Gott gerecht, wie es im Römerbrief heißt - aber auch ein Text wie der folgende, der im Lukasevangelium steht und der uns heute als Predigttext vorgegeben ist: Lk 17,7-10 Vom Knechtslohn 7 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? 9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? 10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Auch bei diesem Text kann man über manche Aussagen stolpern. Auch er ist anstößig wie der Choral von Hiller. Zunächst wundert mich, dass die Jünger, an die sich Jesus hier wendet, als Herren angesprochen werden. Sie, die einfachen Handwerker, sollen sich in einen Sklavenhalter versetzen, der in aller Seelenruhe seinen Knecht bis zum Umfallen arbeiten läßt - und dann, wenn er alles geschafft hat, nicht einmal dankt. Und wenn schon die Perspektive des Herrn anstößig ist, wieviel mehr noch der Knecht - oder wörtlich der Sklave - , der sagt: Ich bin ein unnützer, man kann auch sagen armseliger, wertloser Knecht - ich habe nur meine Pflicht und Schuldigkeit getan. Ist das nicht eine grobe Verachtung menschlichen Schaffens? Wird hier nicht die Leistung klein und das 2 Herrschaftsverhältnis groß geschrieben? Moment - könnte man einwenden. Hier geht es doch gar nicht um ein menschliches Arbeitsverhältnis, hier geht es um Gott und den Menschen. Dann aber, liebe Gemeinde, wird es eher noch schlimmer, noch anstößiger. Ist Gott etwa ein feudaler Ausbeuter, der die Menschen für sich schuften läßt und das alles für selbstverständlich hält? Ist er ein Sklaventreiber, der am Ende nicht einmal Danke sagen kann? Darf man Menschen, die arbeiten, die sich mühen wirklich als unnütz oder kaum der Rede wert bezeichnen? Menschen, die nach Geldwert geschätzt oder auch mißachtet werden. Die Anstößigkeit des Textes ist damit hinreichend gewürdigt, doch gibt er uns auch einen Anstoß zum Weiterdenken? Verhilft er uns zu einem Impuls für den Glauben, um den es in der Predigt doch gehen soll? Zunächst ist festzuhalten, dass das Gleichnis in den Ohren der Jünger Jesu wohl gar nicht so anstößig war. Jesus schildert eigentlich die gängige Praxis: Es gab damals Herren und Sklaven. Die einen hatten das Sagen und die Verantwortung, die anderen mußten vor allem die schwere, die körperlich harte Arbeit ausführen. Die Bedürfnisse des Sklaven spielten für die Herren nur so weit eine Rolle, dass der Wert der Arbeitskraft ja erhalten werden mußte. Deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass der müde Knecht zu Tisch gebeten wird, sondern, dass er erst noch etwas zu tun bekommt solange das, was an diesem Tag anliegt, noch nicht erledigt ist. Erst wenn der Tag vorbei ist, darf er sich zur Ruhe begeben. Ob der Sklave seine Arbeit als reine Pflichterfüllung sehen kann oder sich doch auch etwas Anerkennung wünscht, ist damit offen gehalten. Für uns stellt sich diese Frage aber weitaus schärfer, weil wir gewohnt sind, ein Leben nach seinen Leistungen zu beurteilen. Was jemand ist, kann man ablesen an dem, was er sich erarbeitet hat an Posten, Titeln, Erfolg. Nur seine Pflicht zu tun, reicht heutzutage in den meisten Fällen nicht aus. Selbstoptimierung bis hin zur Selbstausbeutung wird von vielen erwartet. Wenn wir die Worte aus dem NT lesen, müssen wir dabei auch bedenken, dass sich die Jünger Jesu, noch mehr aber die Zeitgenossen des Schreibers Lukas als Sklaven eines ganz anderen Herrn verstanden. Sie hatten mit ihrer Taufe einen Herrschaftswechsel vollzogen. Ob sie nun Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen, Reiche oder Arme waren - sie verstanden sich als Knechte und Mägde, Sklaven und Sklavinnen Christi - von ihm zu einem neuen Leben befreit. Nur auf den ersten Blick besteht hier ein Widerspruch zwischen Sklavendasein und Freiheit. Dadurch, dass sie Christus unterstanden, waren sie frei geworden von dem, was sie sonst beherrschte. Sie waren frei von allen Abhängigkeiten. Teilweise lösten sie sich deshalb auch aus ihren Familien, selbst wenn manche noch als Sklaven arbeiten mußten, fühlten sie sich doch innerlich frei, weil sie wußten, dass ein anderer Herr über Leben und Tod für sie war. Ihm, dem Gott Jesu Christi hatten sie alles zu verdanken und deshalb hatten sie sich ihm auch verschrieben. Ja, sie gingen soweit zu sagen, dass selbst die Taufe nicht ihr eigener Verdienst, sondern Gottes Geschenk an sie war. Auf diesem Hintergrund konnten alle guten Taten, alle frommen Werke nicht mehr als "Pflicht und Schuldigkeit" sein. Von außen betrachtet haben sich die Christen also unter den Schirm eines mächtigeren Herrn begeben, um damit vor den Zwängen und Herrschaftsansprüchen in ihrem Leben geschützt zu sein. Dieser Herr aber behandelt sie gerade nicht wie die irdischen Herren. Wir hörten in diesem Gottesdienst das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Alle bekommen von Gott den gleichen Lohn, nämlich 3 genau das, was sie brauchen um gut über diesem Tag zu kommen. Es spielt darin keine Rolle, wer wieviel und was gearbeitet hat. Der Grund für die Bezahlung ist Gottes Güte und nicht der Lohn, den sie sich erworben haben. Anders als in unserem Predigttext erscheint Gott hier außerordentlich großzügig, vor allem gegenüber jenen, die am wenigsten gearbeitet haben. Gemeinsam ist den beiden Geschichten, dass es nicht auf unseren Verdienst ankommt. Im Glauben leben wir ganz und gar aus Gottes Gnade unsere Taten ändern nichts daran. Diese Aussage ist und bleibt ein Anstoß, vielleicht sogar der größte Anstoß in unserer leistungsversessenen und an Vergleichsmaßstäben interessierten Welt. Immer wieder muß das auch in der Kirche, auch in der Gemeinde neu gelernt, neu buchstabiert werden. Wir kommen auch in der Gemeinde nicht daran vorbei, Aufgaben zu verteilen und Verantwortungen festzulegen. Deshalb ist jedoch der Dienst der Küsterin nicht geringer anzusehen als der des Pfarrers, deshalb gilt die Erzieherin ebensoviel wie der Kirchenvorsteher, die Besuchsdienstmitarbeiterin ebensoviel wie der Oberkirchenrat. Deshalb ist das Beten auch ebenso wichtig wie das Reden auf der Kanzel, das Leeren der Mülltonne ebenso wertvoll wie ein gut geführtes Büro. Im Gegensatz zur Bildebene unseres Gleichnisses meine ich aber, dass gerade deshalb auch Lob und Dank unser Miteinander bestimmen sollen. Es gibt keinen unnützen Dienst, wenn verantwortungsvoll etwas für die Menschen getan wird. Jede praktische oder theoretische Arbeit verdient es, von den anderen wertgeachtet zu sein, denn sie hilft allen ein Stück weiter. Von der negativen Seite spüren das vor allem die Menschen, die meinen, keine Aufgabe mehr zu haben - die zu alt, zu schwach, zu unbegabt oder schlichtweg entlassen worden sind, weil nicht genug Arbeit für alle da ist. Wir leben aus Gottes Gnade, das ist wahr, aber wir verkümmern auch, wenn wir uns wertlos und nutzlos fühlen. Deshalb kann es sich weder bei den Arbeitern im Weinberg noch beim unnützen Knecht um Vorbilder für unser Alltagsleben handeln. Vielmehr sind beide Gleichnisse auf ihre Weise Beschreibungen dafür, dass wir erstens und letztens aus Gottes Gnade leben. Mit Glauben müssen wir empfangen, was Christi Leiden uns bereit'; im Glauben müssen wir erlangen der Seelen Heil und Seligkeit. So hat Friedrich Konrad Hiller die eingangs zitierte Strophe zu Ende gebracht. Er erinnert die Menschen, die er eben noch als böse Knecht bezeichnet hat, an Christi Leiden als Quelle des Heils. Wenn von Gott als dem Herrn und von den Christen als Sklaven die Rede ist, darf nicht vergessen werden, dass Gott sich in Christus selbst zum Knecht oder Sklaven gemacht hat. "Er wird ein Knecht und ich ein Herr - das mag ein Wechsel sein" haben wir noch vor ein paar Wochen im Weihnachtslied gesungen. Am Anfang unseres Glaubens steht nicht unser, sondern sein Werk. Am Beginn unseres gemeinsamen Weges steht, dass er sich nicht zum Herrn aufgeschwungen hat um sich von uns bedienen zu lassen. Vielmehr hat er selbst gedient, seinen Jüngern die Füße gewaschen, für uns gelitten und gestorben. Das ist der wirkliche Anstoß, der vom Bild von Herrn und Knecht ausgeht. Der, dem wir dienen müßten, hat uns schon längst gedient. Der, dem wir versuchen, irgendwie gerecht zu werden, ist uns schon längst gerecht geworden. Der, für den wir als Christen leben und arbeiten, hat sich für uns 4 schon längst dahingegeben. Die Welt der Sklaven und Herren wurde durch Jesus gründlich auf den Kopf gestellt und bis heute macht er es der Logik dieser Welt nicht leicht, ihm zu folgen. Er ist der, der alles andere als Pflicht und Schuldigkeit getan hat. In ihm hat Gott den Weg der Sklaven und Sklavinnen, den Weg des Leidens gewählt um ein neues Miteinander zu beginnen. Das ist und bleibt erstaunlich in einer Welt, die zwar offiziell zumindest in zivilisierten Staaten keine Sklaverei mehr kennt, die aber nach wie vor von der Herrschaft der einen und der Ausbeutung der anderen lebt. Ihnen redet Jesu Gleichnis gewiß nicht nach dem Mund. Vielmehr ist es in seinem Sinne, wenn diejenigen geschwisterlich leben, die wissen, dass es einen Herrn gibt, der alles für sie getan hat. Es ist nicht unnütz, was wir füreinander tun - es begründet aber nicht unser Leben und unsere Gemeinschaft, denn diesen Grund hat Gott schon längst gelegt. Amen.