© Jörg Bickelhaupt „Was sagen Evangelische über Maria?“ 0. Vorrede Haben wir Evangelischen über Maria etwas zu sagen oder bricht das große Schweigen aus, wenn es um die Mutter Jesu geht? Als wir vor Jahren im ev. RU einer 7. Schulklasse auf Maria zu sprechen kamen, fragte ich: „Was wisst Ihr über Maria?“ - Da ist mir die Antwort einer Schülerin in Erinnerung geblieben: „Maria, die ist doch katholisch!“ Wenn wir heute und in drei Wochen über Maria nachdenken, müssen wir uns darüber klar sein: Mit Maria sind mannigfaltige Bilder, Archetypen, auch Zuschreibungen verbunden. Einen unverstellten (gar objektiven) Blick auf die Mutter Jesu zu gewinnen: unmöglich. Niemand von uns hat einen „ungefilterten Blick“ auf die Mutter Christi; auf Maria wie sie „wirklich war“ - wir alle sind von bestimmten Bildern oder Gegenbildern geprägt. 1. Einstieg Zum Einstieg ein Zitat eines (inzwischen leider verstorbenen) Theologen, der ganz fest in der katholischen Tradition stand. Auslegung Lk 1, 49: Von wem? ... - Mitraten dürfen alle Nicht-Ordinierten aus: Martin Luther: Das Magnificat verdeutscht und ausgelegt (1521): Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist, und des Name heilig ist ... Die großen Dinge sind nichts anderes, als daß sie Gottes Mutter geworden ist, in welchem Werk ihr so viele und große Güter gegeben sind, dass niemand sie begreifen kann. Denn da folget alle Ehre, alle Seligkeit, und dass sie im ganzen menschlichen Geschlecht eine einzigartige Person ist über alle, der niemand (darin) gleich ist, dass sie mit dem himmlischen Vater ein Kind, und ein solches Kind hat ... Es will auch im Herzen bedacht sein, was das sei, Gottes Mutter sein. Sie schreibts auch frei Gottes Gnade, nicht ihrem Verdienst zu. Denn obwohl sie ohne Sünden gewesen ist, ist doch diese Gnade so außerordentlich, dass sie ihrer auf keine Weise würdig gewesen. Wie sollte eine Kreatur würdig sein, Gottes Mutter zu sein? Sie sagt, ihre Nichtigkeit sei angesehen worden, und Gott habe nicht ihren Dienst damit belohnt, sondern: "Er hat große Dinge an mir getan." Von sich selbst aus hat ers getan, ohne meinen Dienst. Es kam ihr diese Botschaft ganz unversehens, wie Lukas schreibt. Aber ein Verdienst ist nicht unvorbereitet auf seinen Lohn, sondern um Lohnes willen wohl bedacht und unternommen. Es bedarf wohl auch eines Maßes, dass man den Namen nicht zu weit treibe, daß man sie eine Königin der Himmel nennt. Zwar ist das wahr, aber dadurch ist sie doch keine Abgöttin, daß sie geben oder helfen könne, wie etliche meinen, die mehr zu ihr als zu Gott rufen und Zuflucht haben. Sie gibt nichts, sondern allein Gott ... Maria: Gottes Mutter; im ganzen menschlichen Geschlecht einzigartig; frei aus Gnade, 1 ohne Verdienst; ohne Sünden; Königin des Himmels, aber keine Abgöttin ... ? Er - Martin Luther schreibt in einer Weise über Maria, die heute als „katholisch“ gelten würde. Das ist auch nicht verwunderlich – denn Luther selbst (auch die ev. Kirche) war/ist davon überzeugt, dass die Reformation nichts Neues erfunden hat, sondern „Altes“ wiederentdeckt, dass sie fest in der Tradition der einen ungeteilten Kirche stand/steht. Dieser Text aber steht doch in einer merkwürdigen Diskrepanz zu dem, wie Maria in der evangelischen Kirche lange Zeit und bis heute meist gesehen wurde/wird - .. gipfelt ja nur in dem Ausspruch „Maria, die ist doch katholisch!“ 2. Der heutige ökumenische Kontext Wenn man heutzutage Menschen auf der Straße fragt: Worin unterscheiden sich eigentlich die evangelische und die katholische Kirche? Sofern überhaupt noch ein Gespür für solche Unterschiede besteht, wird man zwei Antworten erhalten: Papst, Maria An dieser landläufigen Beschreibung der konfessionellen Differenz ist natürlich irgendwo auch etwas dran - aber sie führt letztlich doch am Kern der Sache vorbei/... zu den verbreiteten wechselseitigen Vorurteilen, die uns (gerade im Blick auf Maria) die Sicht versperren – ich visualisiere einige: (nur kleine Auswahl !) Vorurteile haben ja (nicht nur) eine problematische Eigenschaft: Wenn man nur lange genug sucht, findet man Phänomene, die zu bestätigen scheinen: Natürlich gibt es in der katholischen Weltkirche Formen von Marienfrömmigkeit ..., natürlich gibt es unter manchen ProtestantInnen die Ansicht, alles sei „gleich gültig“ … Vor-Urteile führen jedoch nicht weiter. Sie führen nur dazu, dass man den andern in eine Schublade steckt und gar nicht mehr hinhört oder hinsieht (weil man ja ohnehin schon alles über ihn weiß). Solche Zuschreibungen führen auch dazu: Wir sind an solchen Punkten äußerst empfindlich – kath.: Maria, Papst; ev: wenn uns unsere Kirchlichkeit abgesprochen wird. 3. … und seine historischen Hinter- und Abgründe Vorurteile haben ihre Geschichte, und die muss man kennen, will man heute zurechtkommen – denn wenn wir ohne diesen Blick hier/heute über „Maria“ sprechen, dann tappen wir in diese Zuschreibungsfalle. 2 Die Ursachen im Blick auf Maria finden wir v.a. im Verlauf von Reformation und Gegenreformation („katholische Erneuerung“) im Deutschland des 16./17 Jh. - 30-jährige Krieg als Zäsur. Das heißt zugleich: In anderen protestantischen Ländern (Skandinavien) hat sich vieles anders entwickelt. Zwei Entwicklungen sind für uns entscheidend: a. In Deutschland („Hl. Römischen Reich“) gab es eine Sondersituation – nämlich die, dass es seit der Mitte des 16. Jh. • zum einen etwa gleich viele Evangelische und Katholische gab, die sich aber • zum andern praktisch nicht kannten (weil sie nach der Regel „cuius regio“ in konfessionell separierten Gebieten wohnten); • ich weiß: eine Ausnahme hiervon stellen natürlich die freien Reichsstädte dar; auch das Judentum wäre zu nennen. D.h.: Die meisten Menschen jener Zeit kennen die andere Konfession nur vom Hörensagen (in ihren kontroverstheologischen Zerrbildern) – der ideale Nährboden für Vorurteile. Diese Situation (hatte später eine gewisse politische Parallele im deutsch-französischen Verhältnis) bestand konfessionell im Prinzip bis weit ins 20. Jh.; mein Vater erzählte mir, dass er als Junge – Zeit kurz vor/während des 2. Weltkrieges – praktisch keine Katholiken gekannt habe, weil im Ort von etwa 3.000 Einwohnern allenfalls 20 oder 30 katholisch gewesen seien – das änderte sich grundlegend mit den Flüchtlingen). Die andere Entwicklung: b. Der konfessionelle Gegensatz auf Reichsebene führte im 16./17. Jh. dazu, dass man sich theologisch je länger, je mehr gegen die anderen abgrenzte und so die eigene Position profilierte (d.h. im Blick auf den Papst und Maria): Entwicklung der römischkatholischen K. Entwicklung der evangelischen K. (Über?)-Betonung des (Papst)Amtes, damit des universalkirchlichen Aspekts Territorialisierung von Kirche (landesherrl. Kirchenregiment) - Reduktion (nicht bloß Konzentration) auf Ortskirche (Über?)-Betonung der Mariologie in der zun. Sprach-Losigkeit im Blick auf Maria Glaubenslehre (Ekkl.) (von Maria sprechen Ev. nicht ...) M.a.W.: Man hat (tendenziell) wechselseitig alles aus der Glaubenslehre und der kirchlichen/religiösen Praxis eliminiert/an den Rand gedrängt, was entbehrlich schien und zu stark an die andere Konfession erinnerte: Maria wurde entweder sehr (zu?) stark betont – oder sie wurde vergessen (z.B. geriet in dt. Protestantismus auch das Sich-Bekreuzigen in Vergessenheit; 30jähriger Krieg als Zäsur ... (M. Luther, Kl. Kat. zum Morgen- und Abendsegen – EG 815) Die katholische Kirche wurde in der Folge (19.Jh.) erst so richtig „römisch“/ Papstkirche … - die evangelische wurde zu einer Territorial-/Konsistorialkirche aus Gnaden des Landesfürsten, was Luther niemals wollte. 3 4. Die Konsequenzen Der „Papst“ und „Maria“ wurden zu „Chiffren“ für die theologischen Unterschiede zwischen den Kirchen. Die Volksfrömmigkeit hat also gleichsam die Differenzen „chiffriert“ - und sich (via Vorurteil) lange Zeit an den Personen als Chiffren abgearbeitet, weniger an den Inhalten. Die Chiffre „Papst“ stand/steht für die theologischen Differenzen im Verständnis von der Kirche und dem Amt in der Kirche (die die Chiffren benutzen, sind sich dessen seltenst bewusst). Maria wurde zur Chiffre für die Differenzen im Verständnis von Gnade und Rechtfertigung: für die katholische Seite repräsentiert Maria die Kirche und damit den Ort, an dem Rechtfertigung sakramental vermittelt wird (Konstitution „de iustificatione“ des Tridentinums), für die evangelische Seite ist Maria Beispiel, Sinnbild für die „Rechtfertigung allein durch den Glauben“ (für das „ohn all mein Verdienst und Würdigkeit“) Ganz persönlich: Es stimmt mich traurig, dass ausgerechnet Maria (unser aller Vorbild im Glauben und der Erwählung) dass ausgerechnet sie zum ökumenischen Zankapfel wurde. Aber nun erst sind wir am Kern der Frage: 5. Was kann (nicht nur ?) aus ev. Sicht zu Maria gesagt werden? Ich will dieser Frage so nachgehen: Zunächst werfe ich einen Blick in die grundlegenden Texte a. Wie spricht die Hl. Schrift von Maria? b. Was sagen die Bekenntnisse der Kirche? Danach versuche ich, den Ansatz einer eigenen Perspektive zu formulieren. 5 a. Wie spricht die Bibel von Maria? Eine eher summarische Auflistung: Maria, Mutter Jesu, kommt im NT vor in .. Mt 1 – Genealogie (verfolgt die männl. Linie .. Joseph); Lk 1 - Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria Begegnung mit Elisabeth (Jesus – Joh. d.T.) Geburt Christi Darstellung im Tempel Lk 2 - 4 Mt 2 Lk 2 Mk 3 par. Mk 6 par. Joh 19 Apg 1 (Offb 12) - Weisen aus Morgenland, Flucht nach Äg. 12-jähriger Jesus im Tempel Begegnung Jesu mit seiner Familie am See Genezareth (indirekt) Verwerfung Jesu in Nazareth (indirekt - „Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn“) Maria, unter dem Kreuz am Anfang der Apostelgeschichte (Apostel zus. mit Maria und den Brüdern Jesu in Jerusalem; Herrenbruder Jakobus ganz wichtig in Urgemeinde) ob mit der Sonnenfrau in Offb 12 Maria gemeint ist, ist äußerst umstritten .. Ich kann hier und jetzt keine eingehende Exegese betreiben. Was mir auffällt: Wenn von Maria die Rede ist, dann stets im dir./indir. Zusammenhang mit Jesus. An drei wesentlichen Punkten sind ihre Geschichten verknüpft: • • • im Blick auf die Geburt Christi (das mag im ersten Moment banal klingen – aber man muss da genauer hinschauen) bei seinem Tod und im Blick auf die Verkündigung (des Engels/Jesu) die einen sind Jesus nachgefolgt, andere sagten, er sei verrückt („Er ist von Sinnen“). Die Begegnung mit seiner Familie am See Genezareth, auch die Verwerfung Jesu in seiner Heimatstadt Nazareth zeigt, dass „christliche Verkündigung“ - auch zu Konflikten führen kann (zwischen Jesus und Maria). Der Prophet Simeon hatte das sehr früh angekündigt, bei der Darstellung im Tempel: (Er) segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden“. 5 b. Was sagen (auf der Basis des biblischen Zeugnisses) die Bekenntnisse der Kirche über Maria? Die Kirche begann in den ersten drei bis vier Jahrhunderten eher allmählich, über Maria nachzudenken; sehr frühe Belege z.B. bei Ignatius von Antiochien. Erst ab dem 4. Jh. häufen sich die kirchlichen Aussagen über Maria. Das ist kein Zufall. Die Kirche stand in jener Zeit vor der Frage schlechthin: Wer ist Jesus Christus? Arius ist vielen von Ihnen ein Begriff: Ist Jesus gottgleich oder das höchste und erste der Geschöpfe? - Jesus ist für Arius/Arianer (zugespitzt gesagt) ein Mensch mit bestimmten göttlichen Eigenschaften. Auf der anderen Seite entwickelte die Gnosis (eine der bedeutendsten antiken WA der ersten Jhe.) ihre eigenen Vorstellungen von Christus: Für „christliche Gnostiker“ war der Erlöser ein über die Erde wandelnder Gott, der nur scheinbar menschliche Züge trug. Beide Auffassungen (Arius/Gnosis) schienen in ihrem jeweiligen Sinnkontext plausibel und waren äußerst wirkmächtig – beide konnten jedoch eine zentrale Frage des Glaubens nicht wirklich beantworten: Wenn Jesus (letztlich) nur ein Mensch ist – aber auch wenn er nur Gott ist (und nur scheinbar am Kreuz gelitten hat): Wie kann er uns dann erlösen? Wer ist Jesus Christus Mensch, Gott? 5 Die Kirche antwortete darauf: Er ist beides – er ist „wahrer Gott und wahrer Mensch“. Die genaue Bestimmung dieses Verhältnisses von Gott und Mensch in Christus war jedoch lange äußerst kontrovers. Manche nahmen z.B. an, dass Jesus ganz normal als Mensch auf die Welt gekommen und (erst) in der Taufe von Gott als Sohn adoptiert wurde: „Siehe, das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ (Adoptionsformel) - Die Kirche ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Genau an diesem Punkt aber (Frage nach dem Verhältnis von Gottheit und Menschheit in Christus) „wurde Maria interessant": Im Blick auf die Mutter Jesu dominierten ab dem 4. Jh. zwei unterschiedliche Auffassungen, von unterschiedlicher Evidenz und bekenntnismäßiger Prägekraft: • Maria habe Jesus durch den Heiligen Geist empfangen, als sie Jungfrau war, und habe vor seiner Geburt mit keinem Mann verkehrt. • Sie sei auch während und nach Jesu Geburt Jungfrau geblieben und mit Josef nur dem Namen nach verheiratet gewesen („immerwährende Jungfrauschaft“, „Josefsehe“) Die erstere fand Eingang in die Glaubensbekenntnisse der Kirche – in das Apostolicum (Ursprung im röm. Taufbekenntnis): „..geboren von der Jungfrau Maria ..“ Nicänum (späten 4. Jh.): „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.“ Letzteres wurde 553 n.Chr. kanonisiert (als 2. Mariendogma; 3 . → 1854; 4 . → 1950) Seit dem 4. Jh. findet sich der Ausdruck „Gottesgebärerin“ (theotokos) in Gebeten und liturgischen Texten - einige Theologen (darunter z.B. auch ein Ambrosius von Mailand) warnten hier vor der möglichen Gefahr, dass – etwa analog zur griechischen Mythologie Maria als Göttin neben Jesus verehrt würde. „Es lenke niemand auf die Jungfrau ab. Maria war der Tempel Gottes, nicht der Gott des Tempels; folglich ist allein der anzubeten, der im Tempel tätig war.“ Athanasius betonte: „Maria ist unsere Schwester, da wir alle aus Adam sind.“ Sie sei also ebenso auf Erlösung durch Jesus Christus angewiesen wie alle übrigen Menschen. Auch der Patriarch von Konstantinopel, Nestorius, teilte diese Sorge. Er schlug (allerdings erfolglos) den Begriff „Christusgebärerin“ (christotokos) statt theotokos vor. Das 3. Ökumenische Konzil, 431 in Ephesus, verurteilte Nestorius und kanonisierte den Begriff „theotokos“ (Gottesgebärerin). Aus heutiger Perspektive muss man freilich fragen, ob die Position des Nestorius wirklich adäquat beurteilt wurde (soweit man sie inhaltlich noch greifen kann)? Stand seine Position dem Anliegen der damaligen Klärungen wirklich entgegen oder wurde in seiner Verurteilung nicht eine bestimmte Logosphilosophie kanonisiert? Was für uns wichtig ist: Die Bezeichnung Marias als „Gottesgebärerin“ steht im Kontext der gesamtkirchlichen Klärungen zur Christologie und zur Trinitätslehre. Die Einheit des dreieinigen Gottes sowie die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in der einen Person Christi (Identität des ird. Jesus mit dem himmlischen Christus) dies wurde im Blick auf Maria dadurch bezeugt: 1. Gott (der göttliche 'logos') ist im Leib der Maria wahrhaftig Mensch geworden; Maria gab ihm seine menschliche Natur. - Maria ist die „Garantin“ dafür, dass Gott 6 in Christus wirklich und wahrhaftig Mensch geworden ist (und nicht nur scheinbar menschliche Gestalt annahm, wie die Gnosis lehrte) - „und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ..“ (Joh 1) 2. Die Annahme der menschlichen Natur im Leib der Maria geschah ohne menschliches Zutun; der Menschgewordene ist also mehr als nur ein Mensch, sondern immer auch Gott – das drückt v.a. der Begriff „Jungfrau“ aus (gegen Adoptionismus und späte Formen des Arianismus gerichtet). An dieser Stelle eine kurze interreligiöse Perspektive: Der Islam hat ja den Glauben an die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria übernommen (Sure 19, 17-21); gleichzeitig wird jedoch die Gottessohnschaft Jesu abgelehnt. Der Sinnzusammenhang des altkirchlichen Dogmas lässt das jedoch nicht zu – entweder man bejaht beides, oder man lehnt beides ab. Die Aussagen der Altkirchlichen Bekenntnisse über Maria (Apost., Nic.) stehen – kein Zufall! - im 2. Glaubensartikel, d.h.: sie sind im Blick auf Christus zu verstehen. Gott ist in/durch Maria in Christus Mensch geworden; der Menschgewordene bleibt immer auch Gott das Athanasianische Glaubensbekenntnis hat diese beiden Anliegen zusammen gefasst: „Gott ist er aus der Wesenheit des Vaters von Ewigkeit gezeugt, und Mensch ist er aus der Wesenheit der Mutter in der Zeit geboren.“ (Athanasianum) Exakt in diesem Sinne (Sprung ins 16. Jh. …) formuliert Martin Luther in seiner Auslegung zum 2. Glaubensartikel: Ich glaube, dass Jesus Christus wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein Eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit, Die Reformation hat also die Aussagen der Alten Kirche/ersten Ökumenischen Konzilien im Blick auf Maria stets rezipiert (gerade auch in der Frontstellung gegen die Leugnung der wahren Gottheit/Menschheit Christi ..): Maria (ich weiß, das hört sich für evangelische Ohren heute gewöhnungsbedürftig an) ... ist auch aus ev. Sicht „Gottesgebärerin“. Christus ist in/durch Maria wirklich Mensch geworden – und er ist zugleich auch ganz Gott 7 geblieben, d.h.: • • Kirchliche Aussagen über Maria sind stets christologische Aussagen, im Grunde also Aussagen über Christus (siehe altkirchl. Bekenntnisse). Genau darum ist die Mariologie kein 'eigenständiger' Bereich christlicher Glaubenslehre. Und das wiederum hat Konsequenzen dafür, welche Bedeutung Maria im Glaubensleben evangelischer ChristInnen (nicht) hat – (CA 21: Ehrung ja – keine Verehrung, keine Anrufung der Hl. ...) Maria und die Heiligen verbinden uns nicht mit Gott – Gott verbindet uns mit ihnen: durch den Glauben/das Evangelium. Darum (und das mögen die katholischen Geschwister nicht als Kritik an ihrem Glauben auffassen, sondern es soll dem Verstehen Wege ebnen) … sind verehrende Formen der Marienfrömmigkeit aus evangelischer Perspektive schwer verständlich und wirken befremdlich. Maria sollte geehrt, aber nicht verehrt werden, auch nicht als Fürsprecherin angerufen werden (CA 21). – oder auch, wenn z.B. in offiziellen römisch-katholischen Verlautbarungen aus Rom am Ende (fast immer) der Bezug zur Mariologie genommen wird. Martin Luther (formulierte „hermeneutisches Prinzip“ für kirchliche Aussagen über Maria): Es muss stets deutlich werden, dass es um die Ehre Christi, nicht um die Ehre Marias geht. Über die Aussagen der Bibel hinaus dürfe „hier nichts Gewisses zu glauben gepredigt werden. Gedanken aber sind zollfrei, mag jedermann denken, was er will, aber doch, dass er keinen Artikel des Glaubens daraus mache ..“ Dennoch nimmt Maria eine herausragende Stellung unter den Glaubenden ein. Im Blick auf Christus verbürgt sie seine wahre Gottheit, v.a. aber wahre Menschheit. Eine zweite zentrale Aussage über Maria aus evangelischer Perspektive - die ich nur kurz nennen kann: Magnificat – Auslegung Luthers „Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen“; „er hat große Dinge an mir getan“; „seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten“. Maria ist die Personifikation des Menschen, der von Gott ohne eigenes Zutun, ohne Verdienst und Würdigkeit mit Gnade erfüllt wird. Als Gottes Wort sie trifft – aus dem Mund des Erzengels Gabriel, da vertraut sie dem Wort, da glaubt sie der Verheißung. Maria wird begnadet, aber nicht zur Mittlerin der Gnade. Was „Rechtfertigung durch den Glauben“ heißt – das können (auch) wir (heute) am Beispiel der Maria am besten sehen. Sie ist Vorbild im Glauben und der Erwählung. Gott nimmt uns an, er schenkt uns seine Gerechtigkeit – nicht, weil wir sie uns verdient hätten; nicht aufgrund unseres Tuns oder aufgrund unseres Ansehens/Stellung sondern aus Gnade, durch den Glauben – das Magnificat drückt genau das aus. Das heißt natürlich auch: Maria gehört aus evangelischer Sicht ganz auf die Seite des Menschen – Christus ist das Bindeglied zwischen Gott und Menschen. Ich möchte diese beiden Punkte ganz kurz auf die Genderfrage beziehen (die ich 8 ansonsten ausklammere - Geschlechtergerechtigkeit) - ich hatte eingangs ja von unseren „Bildern“ gesprochen …: Das Bild von Maria als Magd, Dienender wurde/wird ja auch missbraucht, um Frauen auf eine bestimmte Rolle festzulegen/zu unterdrücken. Wenn sich aber die wahre Menschheit/Menschlichkeit Gottes durch eine (Jung)Frau bezeugt - wenn die Bibel uns eine (Jung)Frau als die beispielhaft Gerechtfertigte vor Augen stellt - dann lässt sich mit keinem (theol.) Argument mehr eine „naturgebene“ Unterordnung der Frau unter den Mann begründen. Alle Traditionen in der Kirche (in allen Konfessionen), in denen die Unterordnung der Frau unter den Mann ontologisch begründet wurde (wird): Alle solchen Traditionen sind unter Hinweis auf das erwählende, begnadende Handeln Gottes an Maria grundsätzlich zu hinterfragen. 6. Meine persönliche Perspektive Wenn ich mich Maria annähere, weiß ich: Mit der Mutter Jesu verbinden viele Menschen tiefe Gefühle des Glaubens (und eine ebensolche Praxis ihrer Frömmigkeit) – dies respektiere ich, auch wenn ich manches inhaltlich nicht teile. D.h.: Es ist … wechselseitig wichtig, einfühlend zu sein. Den ganz Bibelfesten unter uns wird vielleicht aufgefallen sein, dass ich Ihnen vorhin (beim Aufzählen der Bibelstellen mit Maria) eine Stelle unterschlagen habe. Mt 1, 23 – der Traum Josefs vor der Geburt Jesu; das Schriftzitat Jesaja 7, 14 „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären ...“ Was aber steht in Jesaja 7, 14? - Die nächste Frage schließt sich an: Jesaja 7, 14 in welcher Fassung? Hebräischer Urtext oder die griechische Bibel, die LXX? Konkret: In der griechischen Fassung von Jes 7 (die aus dem Hebräischen übersetzt ist ) steht „parthenos“ - das ist die „Jungfrau“ (auch) im biologischen Sinn; Der Hebräische Text spricht von einer „alma“ - das ist die junge, (unverheiratete) Frau, ohne dass dies irgendwie biologisch konnotiert wäre. Eine Übersetzung der Bibel ist also nie nur eine Sache der Sprachwissenschaft oder des Wörterbuchs, sondern immer auch theologische Deutung. Matthäus schreibt sein Evangelium auf Griechisch und zitiert (natürlich) den griechischen Text, die LXX, nicht das hebr. Original. - Wir gehen wir damit um? Wie ist Mt 1, 23 auszulegen? - Ist der dortige innerbiblische Schriftbeweis theologischer Nachfrage zugänglich oder handelt es sich hier um „selbstreferentielle Faktizitäten“, die wir nicht mehr hinterfragen können und dürfen? 9 Eine ganz schwierige Frage (letztlich eine ökum. Grundfrage .. - ist der bibl. Kanon offen ..?) … genau dies aber wirkt sich auf meinen Zugang zu Maria aus: Was mir deutlich ist: Sowohl der Bibel als auch der frühen Kirche ging es nicht darum, alle Geheimnisse um die Menschwerdung Gottes rational verstehbar zu machen. Der Glaube bleibt immer auch ein Stück weit unaussprechlich. Die Kirche tat sich sehr schwer damit, sie brauchte lange, um überhaupt auszusagen, dass Jesus Gott und Mensch ist – denn was uns heute so leicht über die Lippen kommt, ist rational gesehen, paradox. Um auf Jes 7 zurück zu kommen: Ich halte eine Fixierung der „Jungfrau“ Maria auf ein biologisches Faktum (z.B. im ev.-christlichen Fundamentalismus) für unangemessen – sowohl im Blick auf die Schrift als auch im Blick auf das Bekenntnis der Kirche, schon gar im Blick auf Maria selbst: Dass Gottes Sohn Mensch wird, aus der Jungfrau geboren – das ist keine biologische Aussage, sondern eine christologisch-soteriologische – es ist Ausdruck der Einmaligkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi. Ich warne davor, eine biologische Beschreibung/bestimmte Weltsicht „zu kanonisieren“ (damit hat sich die Kirche bisher immer einen Bärendienst geleistet) - denn so wird der Glaube nicht bewahrt (was bezweckt wird) und schon gar nicht gesichert – damit soll er rational abgesichert werden: Aber gerade dadurch wird die unaussprechliche Größe des Geheimnisses Gottes rationalistisch verkürzt, nämlich auf menschlich Aus-Sagbares. Kirche sollte gut überlegen, wozu sie etwas sagt – und wozu sie (im Interesse des Glaubens und der Größe seines Geheimnisses) gerade nichts sagt. Maria – eine „Heilige“ ? ... - im Sinne des Credos alle Glaubenden „Heilige“; Dass die kath. Kirche/Papst manche Menschen „heilig spricht“ … ist ja auch so ein heikler Punkt im interkonf. Gespräch: Zu dem Procedere sage ich nichts – aber Maria ist der einzige Mensch, deren Heiligkeit (ihre kadischah) .. die Schrift selbst verbürgt. Ob es klug, wenn die Kirche dann noch (zu viel) zusätzlich dazu sagt ... Wer ist Maria für mich? (M+K) Sie ist für mich die „Gottesgebärerin“, die den Christus zur Welt brachte. Durch sie rückt Christus als Mensch an unsere Seite; Maria verbürgt mir das Geheimnis von Gottes Menschwerdung. Ich kann von ihr darum auch als von der „Jungfrau Maria“ sprechen – in dieser Bezeichnung drückt sich für mich aus: Ihre einzigartige Bedeutung unter den Menschen hat sie als von Gott Erwählte/Begnadete, nicht in ihrer Definition im Blick auf einen Mann. Maria - sie ist für mich eine große „Schwester“ im Glauben (aber auch noch mehr als dies). Sie ist ganz Mensch wie ich. Maria - eine Frau aus dem Volk des ersten Bundes bringt den Christus zur Welt. Die Kirche ist stets in die Irre gegangen, wenn sie vergessen hat, was es bedeutet, dass Jesus ein geborener Jude ist (das ist er als Sohn einer jüdischen Mutter). Gleichzeitig hat das universale Gottesvolk aus Juden und Heiden seinen Grund in Christus – und Maria (als Gewährsfrau der Menschwerdung) – sie verbürgt diese Einheit: Kirche und Israel gehören vor Gott/letzten Endes zusammen. Die Christenheit hat kaum angefangen zu begreifen, ... 10 Maria - eine ganz einfache Frau aus dem Volk (Befreiungstheologie); sie ist Sinnbild dafür, dass Gott in seinem Handeln das Unterste zuoberst kehrt; dass er die Armen und Elenden erhöht; dass sich Täler heben und Berge zusammenstürzen; dass nichts bleibt, wie es ist, wenn sich Gott auf den Weg macht. Maria als Pieta - eine Frau, die unsägliches Leid ertragen hat – unter dem Kreuz; im Angesicht ihres toten Kindes; „ein Schwert drang durch ihr Herz“ (eine Erfahrung, die viele Frauen bis heute machen müssen – wenn ihre Kinder umkommen in Kriegen, durch Krankheiten, Unfälle). Wie stark muss sie gewesen sein? Durch Maria erfahre ich, dass dieser Gott, an den ich glaube, (auch) mich rechtfertigt/so annimmt wie ich bin (obwohl ich so bin, wie ich bin); … dass Gott es gut meint mit uns. ... 7. Was ich hier und heute offen lasse Ich weiß: Zu vielem, was Sie hören wollen, habe ich noch nichts gesagt und werde heute auch nichts mehr sagen. Manche unter Ihnen fragen sich vielleicht: Was sagt er denn zur Marienverehrung/Heiligenverehrung insgesamt oder zu den Mariendogmen von 1854 und 1950 („unbefleckte Empfängnis“, „leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel“). Dazu – auch zu Fragen der Heiligen- und Marienverehrung - werden wir beim nächsten Mal (am 24.11.) kommen. Mein heutiges Schweigen hat zwei Gründe: • Der erste: Ich frage mich schon lange - damit sage ich natürlich auch schon was: (Warum) musste die (röm.-kath.) Kirche 1854 und 1950 dazu etwas sagen, konnte sie nicht schweigen („Bewahren des Geheimnisses“)? .. da möchte ich zuhören. • Der zweite Grund (von hier aus): Es ist guter ökumenischer Stil, wenn dies zunächst aus katholischer Sicht dargestellt wird – n. Mal (.. Selbstverständnis am Anfang, nicht das noch so wohlmeinende Fremdverständnis des ökum. Partners). 11