Das Schicksal und die Ehevorstellung der Frauen im 19. Jahrhundert im Roman Effi Briest von Theodor Fontane Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Magister-Artium der Shanghai International Studies University Vorgelegt von Yang Sijing Betreut von Prof. Dr. Chen Xiaochun Shanghai, April 2009 1 Danksagung An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meinen Mitmenschen, die während des Schreibens meiner Magisterarbeit mich unterstützt haben, bedanken. Zuerst möchte ich meinem wissenschaftlichen Betreuer, Herrn Prof. Dr. Chen Xiaochun, für seine Anregungen, Hinweise und Korrektur meiner Arbeit sowie die Bereitstellung der Sekundärliteratur danken. Während der Vorbereitungszeit haben wir uns alle vier Wochen getroffen, um über die Festlegung des Themas zu diskutieren, unklare Dinge zu klären. Dabei hat er mir betreffende wissenschaftliche Materialien angeboten und mir eine Menge wichtiger Ratschläge gegeben. Bei der Korrektur hat sich Herr Prof. Chen große Mühe gegeben, um meine Arbeit inhaltlich und sprachlich zu verbessern. Unter seiner Anleitung kann es ermöglicht werden, meine Magisterarbeit rechtzeitig anzufertigen. Außerdem bin ich auch Herrn Prof. Dr. Wei Maoping, Herrn Prof. Dr. Chen Zhuangying, Herrn Prof. Dr. Wang Zhiqiang, Herrn Prof. Dr. Xie Jianwen und Frau Sandra Holtermann herzlich dankbar, die mir im Magisterstudium in verschiedenen fachlichen Richtungen recht umfangreiches Wissen vermittelt haben. Unter ihrer Anleitung habe ich germanistische Literaturtheorie, Linguistiktheorie, Übersetzungstheorie sowie interkulturelle Kommunikationstheorie kennengelernt. Zum Schluss möchte ich meinen Mitstudenten und Mitstudentinnen dafür danken, die mir bei meiner Arbeit viel geholfen haben. Herzlichen vielen Dank! Shanghai, im Mai 2009 Yang Sijing 内容摘要 冯塔纳(1819-1898)是十九世纪下半叶德国最为杰出的批判现实主义小说家, 他虽晚年才开始创作长篇小说,却取得了卓越的成果,到 1898 年去世共创作了十六 部作品,被后世尊称为“老年冯塔纳”。其晚年创作的小说被称为市民现实主义小说、 社会或婚姻小说、柏林小说,这些定义从不同角度反映了冯塔纳小说的内容、主题和 艺术形式。他晚年的作品大多以普鲁士贵族和上层市民为主人公,通过对女性婚姻家 庭问题的探讨,揭示人性自然与社会规范、道德观念之间的矛盾冲突。冯塔纳以冷静、 客观、平稳的笔调对他所处的社会和时代进行了忠实的描写和批判,在具体的普鲁士 国家机制、社会伦理道德规范和精神文化的语境中,对人与社会的关系进行了深刻探 讨。 本文选取的《艾菲·布里斯特》是十九世纪德国批判现实主义的代表作,也是冯 塔纳至今最受人们喜爱的一部作品,同时它也被学术界认为是作家艺术形式最完美、 思想结构最具代表性的作品。作者以真实的历史事件为背景,描写了普鲁士贵族女子 艾菲的婚姻及其短暂人生的悲惨遭遇。艾菲只是当时社会的一个普通人物,但是作者 通过客观忠实的描写却使一些日常世俗的东西具有了更加普遍的典型意义和深刻内 涵。由于作者对普鲁士国家政策、法律法规、社会秩序、伦理道德规范有着全面而深 刻的了解,所以他能以细腻入微的笔调使普鲁士贵族和上层市民的生活方式、等级意 识、心理状态及社交技巧在他的作品中得到再现。 从小说《艾菲·布里斯特》问世至今,这部经典作品已被很多专家学者从多方面、 不同角度进行了分析阐释,在德国,Elsbeth Hamann 出版的 Theodor Fontanes „Effi Briest“ aus erzähltheoretischer Sicht 从文本、作者、读者之间的相互关系对这部作品 进行了全面分析;Helene Herrmann 撰写的 Theodor Fontanes „Effi Briest“ 则以小说 的产生、结构、语言和主题为研究重点;在其他一些关于冯塔纳研究的著作中,有人 从普鲁士社会习俗、家庭观念和法律制度中存在的性别不平等因素出发,认为女性是 个人与社会对抗中主要的牺牲品,这部小说的女主人公艾菲就是一个典型的例子。但 是这种说法似乎在用现代女权主义的观念去解释文学史中的人物,而忽视了冯塔纳笔 下女性本身所带有的社会性。本文将以这部小说为例, 分析十九世纪女性的命运及 其爱情观、家庭观和造成这一问题的社会历史背景,强调家庭教育对子女性格、价值 2 观的形成和命运的重要影响,从社会历史和人物心理两方面揭示个人内心基本需求与 社会道德观念、习俗规范之间的冲突。 关键字:人性自然、社会道德观念、爱情观 3 Abstract Theodor Fontane (1819-1898) war einer der herausragendsten deutschen Schriftsteller von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und gehörte zu dem bekanntesten Romanautor des Realismus. Zwar begann er recht im Alter die Romane zu schreiben, aber er erzielte sensationelle Erfolge. Bis 1898 hat er insgesamt 16 Romane geschrieben. Deshalb wird er als „alter Fontane“ bezeichnet. Diese von ihm im Alter geschriebenen Romane nennt man auch bürgerliche Realismusromane, Gesellschaftsromane oder Eheromane. Solche Bezeichnungen spiegeln deutlich den Inhalt, die Motive und die künstliche Form von Fontanes Romanen wider. In diesen Romanen bringt der Autor durch die Diskussion der Frauenlage in der familiären und gesellschaftlichen Umgebung Licht in die Konflikte zwischen menschlicher Natur und gesellschaftlichen Regeln sowie der Moralauffassung. Durch objektive und ehrliche Schilderung übt Theodor Fontane scharfe Kritik an der damaligen Gesellschaft. In der vorliegenden Arbeit konzentriere ich mich auf die Interpretation des Romans Effi Briest, der sowohl ein repräsentativer Gesellschaftsroman des Realismus im 19. Jahrhundert, als auch ein für den Leser beliebtester Roman Fontanes ist. Vor dem Hintergrund des realen historischen Ereignisses stellt Fontane in diesem Roman die Ehe und das tragische Schicksal der Hauptfigur Effi dar, die aus der preußischen Adelschicht stammt. Obwohl Fontane eine alltägliche Geschichte erzählt, die ohne Leidenschaft, ohne dramatische Konflikte ist, versteckt sich aber große Katastrophe. Deshalb hat der Roman einen allgemeinen Sinn und ist sogar von aktueller Bedeutung. Weil der Autor Bescheid über die damalige Gesellschaft, die althergebrachte Sitte sowie Ethik etc. wusste, konnte er die Lebensweisen, das Hierarchiebewusstsein, den Geisteszustand sowie die Gesellschaftsfähigkeit des Adels akribisch und virtuos in seinem Roman darstellen. Seit der Veröffentlichung von Effi Briest wird dieser Roman von vielen Fontane-Forschern unter verschiedenen Aspekten interpretiert. Eine wesentliche Analyse wird von Helene Herrmann vorgelegt. Er untersucht die Vorgeschichte, die Entstehung, den Aufbau, die sprachliche Gestalt, die Motive und die Symbolik des Romans. Elsbeth Hamann hat diesen 4 Roman unter besonderer Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen Autor, Erzählwerk und Leser analysiert. Bei der Interpretation dieses Romans nahmen auch viele andere Fontane-Forscher Rücksicht auf die geschlechtliche Ungleichheit hinsichtlich der Sitten, des Familiensinns und der Gesetze von Preußen und gingen davon aus, dass die Frauen zum Opfer des Konflikts zwischen Individuum und Gesellschaft wurden. Die Hauptfigur Effi Briest in diesem Roman ist ein typisches Beispiel. Meiner Meinung nach wird die selbstverständliche Gesellschaftlichkeit der Frauen bei der oben erwähnten Ansicht ignoriert. In meiner Arbeit werden die Ehevorstellung und die Gründe für das tragische Schicksal der Frauen analysiert. Dabei wird der Einfluss der elterlichen Erziehung auf die charakterliche Entwicklung und die Wertanschauung des Kindes hervorgehoben und die Konflikte zwischen Natur und Kultur werden aufgedeckt. Stichwörter: menschliche Natur, gesellschaftliche Moralauffassung, Ehevorstellung 5 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung………………………………………………………………….7 2. Historischer Hintergrund des Romans…………………………………10 2.1 Theodor Fontane als Autor des poetischen Realismus………………………...…10 2.2 Entstehungsgeschichte von Effi Briest ……………………………………..……..15 2.3 Inhaltsangabe von Effi Briest…….......................................…………………….17 3. Frauenfrage im 19. Jahrhundert am Beispiel von Effi Briest...............19 3.1 Frauenlage als Gegenstand der Gesellschaftsromane von Theodor Fontane……...19 3.2 Die Lage der Frauen in Preußen des 19. Jahrhunderts……..……………………...22 3.3 Einfluss der familiären und gesellschaftlichen Umgebung auf Effis Schicksal…...26 3.3.1 Vorstellungen von Liebe und Ehe………………………………………….26 3.3.2 Charakterliche Entwicklung von Effi….........……………………………..30 3.3.3 Ehrenkodex der Gesellschaft………….…………………………………36 3.4 Das Verhältnis zwischen Effi und dem spukenden Chinesen……………………...40 4. Fontanes Erzähltechnik im Hinblick auf den poetischen Realismus....46 4.1 Sprachliche Merkmale von Effi Briest…………………………………………….46 4.2 Fontanes Vorausdeutungsstil und die Schicksalhaftigkeit des Geschehens……….53 5.Schlusswort………………………………………………………….59 6. Literaturverzeichnis…………... ... ………...…………………………...61 6 1. Einleitung Das Thema meiner Abschlussarbeit lautet: „Das Schicksal und die Ehevorstellung der Frauen im 19. Jahrhundert im Roman Effi Briest von Theodor Fontane“. Theodor Fontane (1819-1898) gehört zu dem bekanntesten deutschen Romanautor und war ein repräsentativer Schriftsteller des Realismus. Er erlangte seinen Ruhm erst recht spät, weil seine auch heute bekannten und viel diskutierten Romane in den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden. Die meisten Gesellschaftsromane von Theodor Fontane behandeln die Schicksale der Frauen, die verschiedene Bewusstseinsmodelle dargestellt haben. Deshalb bezeichnet man Fontane als den bedeutendesten Darsteller und Gestalter weiblicher Charaktere und Schicksale. 1 Die Charaktere der Frauenfiguren in Fontanes Romanen sind zwiespältig. Einerseits verfügen sie über den weiblichen Charme, das Intuitionsvermögen und die natürlichen Gefühle. Diese Eigenschaften gehören zu der von Frauen repräsentierenden Natürlichkeit der Menschen. Andererseits werden die Frauen von der gesellschaftlichen Ordnung, der Ständeordnung und dem Moralgesetz geprägt. Deshalb befinden sich die Frauen ständig in einem Dilemma zwischen ihren eigenen Gefühlen und der gesellschaftlichen Ordnung. Nachdem ich Fontanes Eheromane gelesen habe, erwecken sie bei mir großes Interesse. Denn die Romanfiguren stoßen auf die Probleme, die auch heute ihre Aktualität noch nicht verloren haben, zum Beispiel der Geschlechtunterschied bei der Familie und der Arbeit. Die Gesellschaft besteht aus den Familien, die auf der Basis der Ehe gegründet werden. In diesem Sinne geht es bei der Ehe nicht nur um Liebe, sondern wird die Ehe zur Gesellschaftseinheit, die sich am Knotenpunkt zwischen Gefühlen und gesellschaftlicher Ordnung befindet. Durch diese Gesellschaftseinheit können wir das Verhältnis zwischen Menschen und Gesellschaft besser verstehen. Den Frauenzustand und ihre Ehevorstellung im 19. Jahrhundert finde ich besonders interessant. Deshalb habe ich das als Thema meiner Arbeit gewählt. 1 vgl. Frei, Nobert: Theodor Fontane. Die Frau als Paradigma des Humanen. Literatur in der Geschichte. Bd. 3. Hain 1980. S. 80. 7 Meine Arbeit konzentriert sich auf die Interpretation vom Theodor Fontanes Roman Effi Briest, dessen Erstausgabe im Jahr 1896 herauskam. Dieser Roman wird am häufigsten diskutiert, mit dem Fontane eine Frauenfigur geschaffen, nämlich ein kindhaftes, ungestümes und risikofreudiges Mädchen Effi, in dem die normativen Vorstellungen von einer jungen Dame aus der Welt des Adels kaum ihre Entsprechung finden. 2 Aus diesem Grund macht Effi einen folgenschweren Fehler. Sie begeht Ehebruch und beginnt mit ihrem tragischen Schicksal, was den Mittelpunkt des Werks darstellt. Die vorliegende Arbeit ist historisch ausgerichtet. Sie geht davon aus, dass Literatur von der Gesellschaft und der Kultur bestimmt und damit geschichtlich bedingt ist. Deshalb werde ich in dieser Arbeit versuchen, zu zeigen, inwiefern die Frauenfigur Effi dem damaligen Frauenbild entsprach und entsprechen musste und welche Umstände zu dem tragischen Schicksal der Frauen geführt haben. Meine Arbeit gliedert sich in drei große Teile. Im ersten Kapitel wird ausführlich über den historischen Hintergrund des Romans Effi Briest beschrieben. Zuerst gebe ich einen Überblick über den Autor und den bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert. Meiner Meinung nach leisten die Erkenntnisse über die persönlichen Lebensbedingungen des Autors Beitrag dazu, seine Ausgangslage für das Schreiben des Romans zu verstehen. Seine Denkweise, sein Verständnis vom Realismus als Epoche der Literaturentwicklung seiner Zeit und seine Vorstellungen von den Anforderungen, die an einen Roman zu stellen sind, prägen nachhaltig die Form und den Inhalt seines Werks. 3 Dann bezieht es sich auf den realen Stoff der Geschichte Effis, nämlich die Ardenne-Affäre. Dem zufolge werde ich im zweiten Kapitel auf die Frauenfrage im 19. Jahrhundert eingehen. Das steht auch im Mittelpunkt dieser Arbeit. Aus diesem Hinblick soll der Kontext gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Umstände in dieser Zeit als Hintergrund der behandelten Problematik vorausgesetzt werden. Deswegen werde ich in diesem Kapitel den Gesellschaftszustand, das Sittenbildliche sowie die Moralauffassung 2 vgl. Hamann, Elsbeth: Theodor Fontanes „Effi Briest“ aus erzähltheoretischer Sicht: unter besonderer Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen Autor, Erzählwerk und Leser. Bonn 1984. S. 79. 3 ebd., S. 41. 8 analysieren, um die Frage zu beantworten, wie und wieweit die gesellschaftliche Umgebung das Schicksal der Frauen beeinflusst. Die Positionen des Weiblichen wurden genau skizziert: die Frauen wurden für die Funktion als Gattin, Hausfrau und Mutter erzogen, während bei der Ausbildung der Männer die spätere außerhäusliche Berufsfunktion immer perfekter die Funktion des Gatten, Hausherrn und Vaters überdeckte. 4 Das hat einen großen Einfluss auf die Einstellung der Frauen zu Liebe und Ehe. Deshalb werde ich in diesem Teil untersuchen, welche Rolle Effis Einstellung zu Liebe und Ehe und ihre psychische Veranlagung für ihr tragisches Schicksal spielen. Daraus ergibt sich auch die Frage, ob Theodor Fontane in diesem Roman eine Stellungnahme zur Frauenfrage in der damaligen frauenfeindlichen Gesellschaft äußert. Der Schlussteil bezieht sich auf die Struktur des Werks und die Erzähltechnik von Theodor Fontane. Da sein Werk mit Anspielungen auf unmoralische Vorgänge oder Personen gefüllt ist, werde ich in meiner Arbeit schwerpunktmäßig diese Vorausdeutungen des Ehebruchs erläutern. 4 Hausen, Karin: Die Polarisierung der Geschlechtercharaktere: Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienlebens. In: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Stuttgart 1976. S. 367. 9 2. Historischer Hintergrund des Romans 2.1 Theodor Fontane als Autor des poetischen Realismus Theodor Fontane war einer der herausragendsten deutschen Schriftsteller von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er wurde am 30. Dezember 1819 als Sohn des Apothekers Louis Henri Fontane und seiner Ehefrau Emilie in Neuruppin geboren, das damals zur „ Französischen Kolonie“ in Brandenburg- Preußen gehört 5 und am 20. September 1898 starb er an einem Herzschlag. Theodor Fontane lebte bis siebten Lebensjahr in Neuruppin. Dann übersiedelte die Familie nach Swinemünde. Die Erinnerung an die Kindheit in der typisch prosaischpreußischen Kleinstadt Neuruppin und der kleinen poetischen weltoffenen Hafenstadt Swinemünde hat einen prägenden Einfluss auf Fontanes künstlerische Produktion. Zum Beispiel lernen die Leser Swinemünde von Effi Briest als Kessin kennen. 6 Unter dem Einfluss seines Vaters brach er 1836 die Ausbildung an der Gewerbeschule ab und begann eine Ausbildung zum Apotheker. Nach Ende seiner Lehrzeit bestand er 1839 die Apotheker-Gehilfenprüfung und arbeitete dann als Apothekergehilfe kurze Zeit in Leipzig. Später wechselte er nach Dresden und schließlich arbeitete er in der Apotheke des Vaters. 7 Während seiner Zeit in Leipzig hat er sich dem politischen-literarischen „Herwegh-Klub“ angeschlossen. Inzwischen zeigte Fontane seinen jugendlichen Drang nach politischem und sozialem Aktivismus. 1843 trat Fontane in die Dichtergemeinschaft „Der Tunnel über der Spree“ ein. Bis zum Ende seiner Mitgliedschaft im Jahr 1865 entstand der Großteil seiner Balladenwerke, die damals für ihn typische Gedichtform wurden. Hier hat er mit seinen Preußenliedern „ Der alte Derffling“, „ Der alte Zietben“, 5 vgl. Jolles, Charlotte: Theodor Fontane. Stuttgart 1983. S. 23. ebd., S. 25-26. 7 vgl. Pelster, Theodor: Theodor Fontane/Effi Briest. Stuttgart 2003. S. 67 6 10 „ Der alte Dessauer“ Eindruck gemacht. 8 1848 wurde zu einem Schicksalsjahr für Fontane. Er lenkte sein schriftstellerisches Talent in neue Bahn. Er wurde Journalist und arbeitete eine Zeit lang als Korrespondent der Dresdner Zeitung. Zu dieser Zeit veröffentlichte er vier journalistische Arbeiten zu den Problemen von Einheit und Freiheit und der besonderen problematischen Stellung Preußens in der Berliner Zeitungshall. 9 Diese Arbeiten brachten ihm nicht nur großen publizistischen Erfolg, sondern auch ließen ihn in den Ruf geraten, ein Revolutionär, ein radikaler Linker sowie ein Verteidiger der März-Revolution zu sein. Fontane wurde 1850 vom „ Literarischen Kabinett“, der späteren „ Zentralstelle für Pressangelegenheiten“ angestellt. Er beschäftigte sich mit der Auswertung der Berichte aus der englischen Presse. Für diese Arbeit machte er Reisen nach London und lebte dort von 1855 bis 1859. Nach seiner Rückkehr von England arbeitete er 1860 als Redakteur bei der konservativ-reaktionären „ Neuen Zeitung“, der sog. „Kreuzzeitung“ in Berlin. Er verfasste Artikel über die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in Europa der Zeit. Als Fontane 1870 die Mitarbeit bei der Kreuzzeitung kündigte, wurde er Theaterkritiker bei der liberalen Vossischen Zeitung. 10 Seine Kritiken haben große Wirkung. Ebenfalls konnte er mehr Zeit seinem eigenen literarischen Schaffen widmen. Seitdem schrieb er zahlreiche Texte und Romane. In seinem letzten Jahrzehnt entstanden die Werke Vor dem Sturm, Grete Minde, Schach von Wuthenow, Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel, Effi Briest und Der Stechlin, die den Ruhm des alten Fontane begründen. In diesen Werken wird ein zeitkritisches Bild der preußischen Gesellschaft dargestellt, in der das individuelle Glück sehr eng mit den starren gesellschaftlichen Konventionen und Moralauffassungen verbunden war. Theodor Fontane hat den modernen Roman erfunden und verwirklicht. Er hielt den Roman für das gültige bleibende Dokument einer Gesellschaft, eines Zeitalters, in dem er soziale Kenntnis gestalten und vermitteln konnte. 8 vgl. Pelster, Theodor: Theodor Fontane/Effi Briest. Stuttgart 2003. S. 68. Zitiert nach: Jolles, Charlotte, S. 29. 10 Zitiert nach: Pelster, Theodor, S. 71 9 11 Mit seinen ab 1879 verfassten Ehe- und Gesellschaftsromanen sowie Novellen wurde Fontane zum herausragenden Vertreter des deutschen poetischen Realismus und zum Zeugen und Kritiker seiner Zeit. Der Begriff Realismus bezeichnet in der Literaturgeschichte die vorherrschende literarische Strömung zwischen 1850 und 1880. Als Kunstrichtung des 19. Jahrhunderts ist der Realismus als Reaktion auf den idealisierenden Klassizismus des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu verstehen. 11 Wie der Begriff anzeigt, orientiert sich der Realismus an den beobachtbaren Wirklichkeit und Tatsachen des Menschen und Natur. Die allgemeinen Merkmale des literarischen Realismus bestehen darin, dass das Leben von beliebigen Individuen in einem ganz bestimmten gesellschaftlichen, historischen Kontext geschildert wird und im Mittelpunkt der Mensch in seiner alltäglichen Arbeit und seinen gesellschaftlichen Bindungen steht. Starke Beachtung fanden beim Schreiben u.a. die Umwelt, die Details und die Entwicklung der einzelnen Charaktere. Im Werk gibt es keine pathetischen Äußerungen oder Emotionen. Alles wird vom Erzähler objektiv und nüchtern berichtet. Die Entstehung des Realismus war einerseits von der philosophischen Entwicklung des Positivismus und des historischen Materialismus abhängig. Positivismus bedeutet, dass man an den Fortschritt der Wissenschaft glaubt und man nur solche Dinge wissenschaftlich erforschen kann, die man mit Sinnen wahrnimmt. Positivisten vertraten die Meinung, dass Erkenntnis nur aus empirischer Beobachtung der Natur und aus Erfahrung abgeleitet werden könne. Der historische Materialismus betrachtet die gesellschaftliche Entwicklung des Menschen materialistisch und betont, dass das Sein über das Bewusstsein dominiert. Andererseits führte der rasante Aufschwung in Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft auch zur Entwicklung des Realismus. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich tiefgreifend verändert. Die Epoche der deutschen Literaturgeschichte zwischen 1850 und 1890 wird häufig 11 o. A. : „ Realismus“. http://de.wikipedia.org/wiki/Realismus. [2008-11-09]. 12 „bürgerlichen Realismus“ oder „poetischen Realismus“ genannt. Der Begriff des poetischen Realismus wurde vom Otto Ludwig 1871 auf den deutschen Realismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts angewandt. 12 Als Literaturepoche liegt er zwischen Romantik und Naturalismus. Der poetische Realismus ist die deutsche Variante des europäischen Realismus. Hier bedeutet „ poetisch“, dass der deutsche Realismus im Vergleich zu dem französischen als weniger „ realistisch“ ist. Die deutschen Realisten distanzierten sich sowohl von der Romantik als auch von einem schonungslosen Realismus. Sie versuchten aber die Wirklichkeit künstlerisch wiederzugeben und die Schönheit der Welt und die Poesie in der Wirklichkeit zu entdecken. Der deutsche Realismus wird auch als „bürgerlicher Realismus“ bezeichnet, weil die bürgerlichen Werte und Ideen eine wichtige Rolle im Realismus in Deutschland spielten. Damals war das Bürgertum Träger von Wirtschaft und Kultur. Deshalb wird das Leben des Bürgertums sowie dessen Charakter und Schicksal häufig in der Literatur widergespiegelt. Mit den Ehe- und Gesellschaftsromanen des alten Fontanes wurde er als ein Realist gekennzeichnet. Er bemüht sich darum, die Dinge und die Mitmenschen so zu nehmen, wie sie sind. Er hat keinen Sinn für Utopien und gab sich keinen Illusionen hin. 13 In seinen Werken wird man immer wieder Elemente der Wirklichkeit finden. Theodor Fontane resümiert in dem Aufsatz aus dem Jahr 1853 Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 seinen Gedanken über Realismus: Der Realismus will nicht die bloße Sinnwelt und nichts als diese; er will am allerwenigsten das bloß Handgreifliche, aber er will das Wahre. Er schließt nichts aus als die Lüge, das Forcierte, das Nebelhafte, das Abgestorbene- vier Dinge, mit denen wir glauben, eine ganze Literaturepoche bezeichnet zu haben. 14 In diesem Aufsatz definierte Fontane den Realismus als „ Widerspiegelung alles wirklichen Lebens, aller wahren Kräfte und Interessen im Element der Kunst“. In dieser Definition erklärt er, dass die Absicht des Realismus darin besteht, alles Wahre zu entdecken. Denn 12 o. A. : „ Realismus (1850-1890)“. http://www.pohlw.de/literatur/epochen/realism.htm. [2008-11-09]. vgl. Pelster, Theodor, S. 72. 14 Fontane, Theodor: Sämtliche Werke,21-1. München 1959. S. 13. 13 13 alles um uns herum ist wahr, ist wirklich. An diesem Prinzip hat der Autor in seinem künstlerischen Schaffen bis an sein Lebensende festgehalten. Dann betont Fontane, dass der Realismus nicht das gefühllose Widerspiegeln von Tatsachen und Missständen, sondern von der Kunst abhängig ist. Nach Theodor Fontane ist der poetische Realismus eine Brücke zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit. Nur wer es versteht, die Wahrheit in künstlerischer Form zu offenbaren, der kann sich als wirklicher Realist bezeichnen. In seiner Romankunst versucht Fontane eine menschliche Individualisierung in den Lebensgeschichten darzustellen und deren realistische Natürlichkeit zu entdecken. Das Wahre gab es und gibt es in der Geschichte oder einfach im menschlichen Individuum. Die Kritik in seinen Romanen betrifft Einzelpersonen, aber implizit finden wir auch Gesellschaftskritik. Nach seinem 1879 veröffentlichten ersten Zeitroman L´ Adultera, der eine Ehebeziehung des unreifen Besitzbürgertums thematisiert, benannte Fontane viele seine andere Romane mit Frauennamen, die aber von den zeitgeschichtlich-sozialen Problemen des Gründerzeitgeistes, nämlich Machtwille im Militarismus und Feudalisierung des Besitzund Bildungsbürgertums, anstatt nur von den Frauenthemen handeln. 15 In einem Machtstaat wurden die Frauen verachtet. Neben dem zeitgeschichtlichen Hintergrund wurde man von Nietzsche und Schopenhauer stark beeinflusst, die die Männer für kriegstüchtig und die Frauen nur für gebärtüchtig halten, die keine geistige und körperliche Arbeit schaffen können. 16 Im Gegensatz zu dieser Einstellung empfindet Fontane, dass das Weibliche nicht geschlecht-typisch ist, sondern individuell bedingt, unabhängig von männlicher oder weiblicher Existenz. Deswegen gilt Fontane damals als demokratisch und gegen die männlich-heroischen Machtideologien. In seinen Frauenromanen stellte er seine Einfühlsamkeit für Frauen, die von der männlich egoistischen Weltanschauung ungerecht behandelt werden, und darin kritisierte er die nicht selbstbewusste Gehorsamkeit der Frauen, die wie Effi am Ende ohne Lebenskraft gestorben sind. 15 vgl. Eue-Choon Park: „ Literarische Modernität in Fontanes Realismus“. http://kgg.german.or.kr. [2008-11-21]. 16 Schopenhauer, Arthur: Sämtliche Werke in 5 Bd. Hrsg. von Wolfgang Frhr. Von Löhneysen. Darmstadt 1961. Bd. V. S. 720. 14 2.2 Entstehungsgeschichte von Effi Briest 1889 begann Theodor Fontane schon mit den Vorarbeiten zu Effi Briest. Aber erst fünf Jahre später, nämlich 1894 schloss er diesen Roman ab. Der Erstdruck erfolgte 1894 in der Deutschen Rundschau. Dann erschien 1895 die Buchausgabe des Romans. Kurz nach der Veröffentlichung gewann das Werk die besondere Gunst der Leserschaft und der Kritik. Man hielt diesen Roman für den bedeutendsten aller bisherigen Romane Fontanes. Mit dem hat sich Theodor Fontane einen festen Platz in der Weltliteratur eingenommen. In diesem Roman geht es um eine Ehebruchsgeschichte. Das Thema wurde schon vielfach in der europäischen Erzählliteratur aufgegriffen. Kurz vor der Jahrhundertwende kam er auf dieses Thema durch einen Vorfall in der Gesellschaft, der ihm vertraulich mitgeteilt wurde. Denn dem Roman liegen die realen Ereignisse der Ardenne-Affäre zugrunde. Über diesen Gesellschaftsskandal wurde Fontane von Emma Lessing informiert, die Frau des Haupteigentümers der Berliner Vossischen Zeitung ist. 17 Sie hatte das Ehepaar Ardenne persönlich gekannt und Fontane davon berichtet. Die Geschichte von Armand Baron von Ardenne und seiner Frau Elisabeth erregt nicht wenig Aufsehen. Die Hauptfigur des Romans Effi Briest ist Elisabeth Baronin von Ardenne. Elisabeth ist das jüngste von fünf Kindern und wächst wild und eigenwillig auf. 18 Wie Effi besitzt Elisabeth auch Liebe zur Natürlichkeit und Lebendigkeit. Sie hat die Werbung des fünf Jahre älteren Ardenne mehrmals abgewiesen, aber aufgrund der Intervention ihrer Mutter hat sie mit Ardenne verheiratet, als sie 19 Jahre alt war. 1873 fand die Hochzeit statt und zog das Paar nach Berlin. 1881 kehrte Ardenne als Rittmeister nach Düsseldorf zurück, Elisabeth folgte. Dort versammelten sie einen großen Freundeskreis um sich, darunter der Amtsrichter Emil Hartwich, der zehn Jahre älter als Elisabeth war. Zwischen diesem und Elisabeth entwickelte sich ein intimes Liebesverhältnis; beide haben vor, sich von ihren Ehepartnern zu trennen und zu heiraten. 17 o.A.: „Zur Entstehung des Romans und der Figur Effi Briest“. http://www.effis-zerben.de/geschichte_buch.html. [2008-11-25]. 18 Hamann, Elsbeth: Theodor Fontanes „Effi Briest“ aus erzähltheoretischer Sicht: unter besonderer Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen Autor, Erzählwerk und Leser. Bonn 1984. S. 49. 15