differentialgeometrie i–ii

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DIFFERENTIALGEOMETRIE I–II
Vorlesungsnotizen
Patrick Ghanaat
Universität Karlsruhe (TH), Juli 2000
Inhalt
1. Differenzierbare Mannigfaltigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1
2. Untermannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3. Tangentialvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
4. Ableitungen und Tangentialbündel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
5. Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
6. Tensorfelder und Faserbündel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
7. Vektorfelder und Flüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
8. Partitionen der Eins und ihre Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
9. Kurven im R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
10. Innere Geometrie der Flächen im R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
11. Gaußabbildung und zweite Fundamentalform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
12. Die Krümmungen einer Fläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
13. Eiflächen und Satz von Cohn–Vossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
14. Kovariante Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
15. Parallelverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
16. Krümmung und Flachheit von Zusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
17. Geodätische und Exponentialabbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
18. Erste Variation der Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
19. Vollständigkeit, konvexe Umgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
20. Krümmung Riemannscher Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
21. Zweite Variation der Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
22. Riemannsche Überlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
23. Jacobifelder und Indexlemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235
24. Vergleichssatz von Rauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
1. Differenzierbare Mannigfaltigkeiten
In diesem Abschnitt führen wir den für das Weitere grundlegenden Begriff der differenzierbaren Mannigfaltigkeit und den der differenzierbaren Abbildung zwischen
solchen Mannigfaltigkeiten ein.
Differenzierbare Mannigfaltigkeiten sind spezielle topologische Räume, auf denen
sich Differentialrechnung betreiben lässt. Beispiele sind die Einheitskreislinie S 1 =
{(x, y) ∈ R2 | x2 + y 2 = 1} in der Ebene, die Standard–2–Sphäre S 2 = {(x, y, z) ∈
R3 | x2 + y 2 + z 2 = 1} und allgemeinere Flächen in R3 . Weitere wichtige Beispiele
sind die Konfigurationsräume und Phasenräume der klassischen Mechanik. Eine
gemeinsame Eigenschaft dieser Gebilde M ist, dass jeder Punkt p ∈ M eine Umgebung U besitzt, die zu einer offenen Teilmenge V ⊆ Rn homöomorph ist. Indem
man q ∈ U die Koordinaten des entsprechenden Punktes in V zuordnet, kann man
ein lokales Koordinatensystem auf U einführen. Das ist aber im allgemeinen nicht
auf ganz M möglich, weil M nicht zu Rn homöomorph sein muß, und es gibt meistens auch kein für alle Zwecke bestes Koordinatensystem auf U .
Als Beispiel betrachte man etwa S 1 , aufgefasst als Konfigurationsraum (also der
Raum der möglichen Positionen) eines ebenen Pendels. In geeigneten Teilmengen
von S 1 kann man die Höhe h = y oder den Auslenkwinkel θ als lokale Koordinate
wählen. Je nach Anwendung ist das eine oder das andere günstiger. Das eigentlich
interessierende Objekt ist der Konfigurationsraum S 1 selbst. Durch Einführen
lokaler Koordinaten wie θ oder h identifiziert man Teile von S 1 mit Teilmengen
der reellen Geraden R und ist dadurch in der Lage, die Infinitesimalrechnung zur
Lösung von das Pendel betreffenden Aufgaben einzusetzen.
1.1. Definition. Ein topologischer Raum M heißt eine n–dimensionale topologische Mannigfaltigkeit, wenn gilt
(a) M ist ein Hausdorff–Raum mit abzählbarer Basis für die Topologie und
(b) M ist lokal homöomorph zu Rn , d.h. zu jedem p ∈ M existieren eine offene
Umgebung U von p und ein Homöomorphismus ϕ : U → V , wobei V ⊆ Rn offen
ist.
Jedes solche Paar (ϕ, U ) heißt eine Karte oder ein lokales Koordinatensystem am
Punkt p.
Bemerkung. Man kann zeigen, dass die Zahl n durch M eindeutig bestimmt
ist: Ein nichtleerer Raum M kann nicht zugleich eine m–dimensionale und eine n–
dimensionale topologische Mannigfaltigkeit sein, wenn m 6= n ist. Der Beweis ergibt
sich leicht aus dem Satz von der Invarianz der Dimension der Topologie: Sind zwei
nichtleere offene Teilmengen U ⊆ Rm und V ⊆ Rn homöomorph, dann ist m = n.
Version: 18. Februar 2000
1
1.2. Definition. Sei M eine topologische Mannigfaltigkeit. Ein Atlas für M ist
n
eine
S Menge A = {(ϕα , Uα ) | α ∈ Λ} von Karten ϕα : Uα → R , so dass M =
α∈Λ Uα .
1.3. Definition. Sei M topologische Mannigfaltigkeit. Ein Atlas A = {(ϕα , Uα ) |
α ∈ Λ} für M heißt differenzierbar von der Klasse C k (oder ein C k –Atlas), wenn
für alle α, β ∈ Λ mit Uα ∩ Uβ 6= ∅ der Kartenwechsel
ϕβ ◦ ϕ−1
α : ϕα (Uα ∩ Uβ ) → ϕβ (Uα ∩ Uβ )
eine C k –Abbildung ist, d.h. k–mal stetig differenzierbar (k = 0, 1, 2, . . . oder k =
∞).
Man kann sich anschaulich vorstellen, dass M durch “Verkleben” offener Teilmengen
k
von Rn entsteht, wobei die “Klebeabbildungen” ϕβ ◦ ϕ−1
α von der Klasse C sind.
Bemerkungen. (a) Die Teilmenge ϕα (Uα ∩ Uβ ) ist offen in Rn , so dass man ohne
weiteres von C k –Abbildungen auf ϕα (Uα ∩ Uβ ) sprechen kann.
Beweis. Da Uβ offen in M ist, ist Uα ∩ Uβ offen in Uα bezüglich der Unterraumtopologie. Da ϕα : Uα → ϕα (Uα ) ein Homöomorphismus ist, ist ϕα (Uα ∩ Uβ ) offen
in ϕα (Uα ). Und weil ϕα (Uα ) offen in Rn ist, ist ϕα (Uα ∩ Uβ ) offen in Rn . QED
(b) Ein C 0 –Atlas ist dasselbe wie ein Atlas im Sinne von (1.2).
(c) Jeder nur aus einer Karte bestehende Atlas ist ein C ∞ –Atlas, weil ϕ ◦ ϕ−1 =
id ∈ C ∞ ist.
1.4. Definition. Sei M eine topologische Mannigfaltigkeit und A = {(ϕα , Uα ) | α ∈
Λ} ein C k –Atlas. Eine Karte (ϕ, U ) von M heißt mit A verträglich, wenn A ∪
{(ϕ, U )} ebenfalls ein C k –Atlas ist. Ein C k –Atlas A heißt ein maximaler C k –Atlas
(oder eine differenzierbare Struktur der Klasse C k , kurz C k –Struktur ), wenn A
alle mit A verträglichen Karten enthält. Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit der
Klasse C k (kurz: C k –Mannigfaltigkeit) ist ein Paar (M, A), bestehend aus einer
topologischen Mannigfaltigkeit M und einer C k –Struktur A auf M .
Es ist üblich, in etwas ungenauer Sprechweise von der “C k –Mannigfaltigkeit M ” zu
sprechen, wenn aus dem Zusammenhang zweifelsfrei klar ist, welche C k –Struktur
A auf M gemeint ist.
1.4.1. Lemma. Sei A ein C k –Atlas auf einer topologischen Mannigfaltigkeit M .
Dann existiert genau ein maximaler C k –Atlas A0 mit A ⊆ A0 . Jeder C k –Atlas
bestimmt also eine eindeutige C k –Struktur.
Beweis. Der Atlas A0 := {(ϕ, U ) | (ϕ, U ) ist eine mit A verträgliche Karte} ist, wie
man mit Hilfe der Kettenregel überprüft, ein C k –Atlas und maximal. QED
1.5. Man kann zeigen, dass jeder maximale C 1 –Atlas einen C ∞ –Atlas enthält
(siehe M. W. Hirsch, Differential Topology, Springer–Verlag). Andererseits gibt es
2
topologische Mannigfaltigkeiten, auf denen kein C 1 –Atlas existiert (M. Kervaire,
Comment. Math. Helv. 34(1960), 257–270).
1.6. Erste Beispiele. (a) Die leere Menge ∅ mit dem leeren Atlas ist eine n–
dimensionale C ∞ –Mannigfaltigkeit für jedes n. Dieses Beispiel ist nützlich, um bei
der Formulierung von Aussagen Sonderfälle mit einzuschließen.
(b) Nulldimensionale topologische Mannigfaltigkeiten sind abzählbare Mengen M
mit der diskreten Topologie (jede Teilmenge von M ist offen).
(c) Beispiele für eindimensionale topologische Mannigfaltigkeiten sind die Einheitskreislinie (oder 1–Sphäre) S 1 , offene Intervalle (a, b) ⊆ R und die disjunkte Verei˙ 1 . Disjunkte Vereinigungen abzählbar vieler C k –Mannigfaltigkeiten
nigung S 1 ∪S
derselben Dimension sind offenbar wieder C k –Mannigfaltigkeiten.
(d) Rn mit dem Atlas {(id, Rn )}. Allgemeiner hat jeder endlichdimensionale reelle
Vektorraum E eine Standard–C ∞ –Struktur: Sei e1 . . . en eine Basis von E und sei
ϕ : E → Rn definiert durch
ϕ
n
X
i=1
λi ei = (λ1 , . . . , λn ).
Die durch den Atlas {(ϕ, E)} bestimmte C ∞ –Struktur hängt offenbar nicht von der
Wahl der Basis e1 . . . en ab.
(e) Für die n–Sphäre S n = {x ∈ Rn+1 | (x1 )2 + · · · + (xn+1 )2 = 1} gibt es
einen aus zwei Karten bestehenden C ∞ –Atlas. Seien dazu U1 = S n \{(0, 0 . . . 0, 1)}
und U2 = S n \{(0, 0 . . . 0, −1)}. Wir definieren ϕ1 : U1 → Rn , die stereographische
Projektion vom “Nordpol” (0, . . . , 0, 1) aus, und ϕ2 : U2 → Rn , die stereographische
Projektion vom “Südpol” (0, . . . , 0, −1), durch
x1
xn
,
.
.
.
,
1 − xn+1
1 − xn+1
1
xn
x
,
.
.
.
,
,
ϕ2 (x) =
1 + xn+1
1 + xn+1
ϕ1 (x) =
wobei x = (x1 , . . . , xn+1 ). Es ist ϕ1 (U1 ∩ U2 ) = ϕ2 (U1 ∩ U2 ) = Rn \{0}, und man
−1
2
berechnet
für den Kartenwechsel ϕ1 ◦ ϕ−1
2 (y) = ϕ2 ◦ ϕ1 (y) = y/||y|| , wobei ||y|| =
Pn
j 2 1/2
n
die euklidische Norm im R ist. Die durch diesen Atlas definierte
j=1 (y )
C ∞ –Struktur der Sphäre bezeichnet man auch als die “Standardstruktur”.
1.7. Bemerkung. (Produkte von C k –Mannigfaltigkeiten sind C k –Mannigfaltigkeiten.) Seien (M, A) und (N, B) zwei C k –Mannigfaltigkeiten. Dann ist
{(ϕ × ψ, U × V ) | (ϕ, U ) ∈ A und (ψ, V ) ∈ B}
offensichtlich ein C k –Atlas für M × N mit der Produkttopologie. Dabei bezeichnet
ϕ × ψ : U × V → Rm × Rn ' Rm+n die Abbildung (ϕ × ψ)(p, q) = (ϕ(p), ψ(q)).
3
1.8. Bemerkung. (Offene Teilmengen von C k –Mannigfaltigkeiten sind C k –Mannigfaltigkeiten). Sei (M, A) eine C k –Mannigfaltigkeit, und sei V ⊆ M offen. Dann
ist offensichtlich
{(ϕ|U ∩V , U ∩ V ) | (ϕ, U ) ∈ A}
ein C k –Atlas für V , versehen mit der Unterraumtopologie. Dabei bezeichnet ϕ|U ∩V
die Restriktion von ϕ auf U ∩ V ⊆ U .
1.9. Definition. Seien (M, A) eine n–dimensionale C k –Mannigfaltigkeit, (M 0 , A0 )
0
eine C k –Mannigfaltigkeit und l ≤ min(k, k 0 ). Eine stetige Abbildung f : M → M 0
heißt differenzierbar von der Klasse C l (oder eine C l –Abbildung), wenn gilt: Für
jedes (ϕ, U ) ∈ A und (ϕ0 , U 0 ) ∈ A0 mit f (U ) ∩ U 0 6= ∅ ist
0
ϕ0 ◦ f ◦ ϕ−1 : ϕ U ∩ f −1 (U 0 ) → ϕ0 (f (U ) ∩ U 0 ) ⊆ Rn
eine C l –Abbildung im üblichen Sinne des Rn . Ist speziell (M 0 , A0 ) die reelle Gerade,
versehen mit der Standardstruktur (1.6(d)), dann heißt f eine C l –Funktion.
Wir bemerken, dass die Teilmenge U ∩ f −1 (U 0 ) eine offene Teilmenge von U ist, da
f stetig ist und U 0 ⊆ M 0 offen. Also ist ϕ(U ∩ f −1 (U 0 )) offen in ϕ(U ) und daher
in Rn , da ϕ(U ) offen in Rn ist. Damit macht der Begriff der C l –Abbildung mit
Definitionsbereich ϕ(U ∩ f −1 (U 0 )) ⊆ Rn ohne weiteres Sinn. Wir werden in 1.10
sehen, dass man die Bedingung der Differenzierbarkeit von ϕ0 ◦ f ◦ ϕ−1 nicht für
alle Karten in A und A0 nachprüfen muss.
1.9.1. Bezeichnungen. Wir bezeichnen mit C l (M, N ) die Menge der C l –Abbildungen f : M → N . Diese Notation ist etwas ungenau, weil C l (M, N ) von den
differenzierbaren Strukturen A und A0 abhängt. Im Fall N = R schreiben wir
C l (M ) := C l (M, R).
1.10. Lemma. In den Bezeichnungen von 1.9.1 gilt: f ∈ C l (M, M 0 ) genau dann,
wenn zu jedem p ∈ M Karten (ϕ, U ) ∈ A an p und (ϕ0 , U 0 ) ∈ A0 an f (p) existieren,
0
so dass ϕ0 ◦ f ◦ ϕ−1 : ϕ U ∩ f −1 (U 0 ) → Rn eine C l –Abbildung ist. Insbesondere
l
gilt für reellwertige Funktionen f ∈ C (M ) genau dann, wenn f ◦ ϕ−1 ∈ C l (ϕ(U ))
ist für alle Karten (ϕ, U ) eines beliebigen Atlas A1 ⊆ A.
Beweis. Eine Implikation ist klar nach Definition von C l (M, M 0 ). Zum Beweis der
Umkehrung seien (ϕ1 , U1 ) ∈ A und (ϕ01 , U10 ) ∈ A0 beliebige Karten mit f (U1 )∩U10 6=
∅. Wir müssen zeigen, dass die Abbildung
−1
ϕ01 ◦ f ◦ ϕ−1
(U10 )) → Rn
1 : ϕ1 (U1 ∩ f
0
von der Klasse C l ist. Sei dazu x ∈ ϕ1 (U1 ∩ f −1 (U10 )). Dann gibt es Karten
0
0
0
0
−1
(ϕ, U ) mit p = ϕ−1
eine
1 (x) ∈ U und (ϕ , U ) mit f (p) ∈ U , so dass ϕ ◦ f ◦ ϕ
l
C –Abbildung ist. Es ist
0
0 −1
◦ ϕ0 ◦ f ◦ ϕ−1 ◦ ϕ ◦ ϕ−1
ϕ01 ◦ f ◦ ϕ−1
1
1 = ϕ1 ◦ (ϕ )
4
auf dem Definitionsbereich der rechten Seite. Von den drei Faktoren der rechten
0
Seite ist der erste ein Kartenwechsel von der Klasse C k , der zweite eine C l –
Abbildung und der letzte C k . Wegen l ≤ min(k, k 0 ) ist nach der Kettenregel die
zusammengesetzte Abbildung von der Klasse C l in einer Umgebung von x. Da
x ∈ ϕ1 (U1 ∩ f −1 (U10 )) beliebig war, folgt die Behauptung. QED
1.10.1. Beispiel. Seien (M, A) eine C k –Mannigfaltigkeit und (ϕ, U ) ∈ A. Dann
ist ϕ ∈ C k (U, Rn ). Das folgt aus dem Kriterium 1.10 und aus ϕ ◦ ϕ−1 = id.
1.11. Kettenregel. Seien f ∈ C k (M, N ) und g ∈ C l (N, P ). Dann ist g ◦ f ∈
C s (M, P ), wobei s = min{k, l}.
Beweis. Wir verwenden das Kriterium 1.10. Sei p ∈ M . Wir wählen Karten (ϕ, U )
an p, (ϕ0 , U 0 ) an f (p) und (ϕ00 , U 00 ) an g(f (p)). Zu zeigen ist, dass ϕ00 ◦ (g ◦ f ) ◦ ϕ−1
eine C s –Abbildung auf einer Umgebung von p ist. Nun ist
ϕ00 ◦ (g ◦ f ) ◦ ϕ−1 = ϕ00 ◦ g ◦ (ϕ0 )−1 ◦ ϕ0 ◦ f ◦ ϕ−1 .
Der erste Faktor auf der rechten Seite ist von der Klasse C l , der zweite C k , und die
Kettenregel der Differentialrechnung im Rn ergibt die Behauptung. QED
1.12. Definition. Seien M und N zwei C k –Mannigfaltigkeiten und 0 < l ≤ k.
Eine Abbildung f : M → N heißt ein C l –Diffeomorphismus, wenn f bijektiv ist,
f ∈ C l (M, N ) und f −1 ∈ C l (N, M ). Die Mannigfaltigkeiten M und N heißen C l –
diffeomorph, wenn es einen C l –Diffeomorphismus f : M → N gibt. Mit Diff l (M ) =
bezeichnen wir die Menge der C l –Diffeomorphismen von M auf sich selbst. Diff l (M )
ist nach 1.11 eine Gruppe bezüglich der Komposition von Abbildungen, die C l –
Diffeomorphismengruppe von M .
1.13. Beispiel. Wir betrachten die aus je einer Karte bestehenden Atlanten
von R, Ā1 = {(ϕ1 , R)} und Ā2 = {ϕ2 , R)} mit ϕ1 (x) = x und ϕ2 (x) = x3 .
Seien A1 und A2 die entsprechenden maximalen C ∞ –Atlanten. Dann ist A1 6= A2 ,
weil ϕ−1
/ C ∞ (R) ist. Also sind (R, A1 ) und (R, A2 ) verschiedene C ∞ –
2 ◦ ϕ1 ∈
Mannigfaltigkeiten. Sie sind jedoch diffeomorph. Ein C ∞ –Diffeomorphismus f :
(R, A1 ) → (R, A2 ) ist gegeben durch f (x) = x1/3 . Es ist nämlich ϕ2 ◦f ◦ϕ−1
1 (x) = x
und ϕ1 ◦ f −1 ◦ ϕ−1
(x)
=
x.
2
Man kann leicht zeigen, dass alle C ∞ –Strukturen auf R C ∞ –diffeomorph sind, insbesondere C ∞ –diffeomorph zur von der Karte (id, R) bestimmten Standardstruktur. Gleiches gilt (mit schwierigerem Beweis) für Rn , wenn n 6= 4. Auf R4 hingegen
gibt es, wie man seit 1983 weiß, “exotische” C ∞ –Strukturen A, für die (R4 , A) nicht
C ∞ –diffeomorph zum Standard–R4 ist.
1.14. Bemerkungen.
(a) Sind M und N zwei C k –Mannigfaltigkeiten (k ∈ {1, 2, . . . , ∞}) und sind M und
N C l –diffeomorph für ein l ∈ {1, . . . , k}, dann existiert auch ein C k –Diffeomorphismus M → N . Ein Beweis findet sich im zweiten Kapitel von M. W. Hirsch, Differential Topology, Springer–Verlag.
5
(b) Es gibt C ∞ –Mannigfaltigkeiten, die zwar homöomorph zur 7–Sphäre S 7 sind,
aber nicht C ∞ –diffeomorph zu S 7 mit der Standard–C ∞ –Struktur aus Beispiel
1.6(e). Diese exotische Sphären wurden von J. Milnor 1956 entdeckt (Ann. Math.
64(1956), 399–405). Sie können also nach (a) nicht einmal C 1 –diffeomorph zur
Standard–S 7 sein.
Wegen 1.5 und 1.14(a) ist es für viele Zwecke keine wesentliche Einschränkung, wenn
man sich bei den differenzierbaren Mannigfaltigkeiten auf C ∞ –Mannigfaltigkeiten
und C ∞ –Abbildungen beschränkt. Wir werden das im folgenden der Einfachheit
halber oft tun. Fast alle Definitionen und Resultate haben aber offensichtliche
Analoga, wenn man C ∞ durch C k mit jeweils hinreichend großem k ersetzt.
Aufgaben
1. Differenzierbarkeit. Erklären Sie, warum in Definition 1.9 vorausgesetzt
wurde, dass l ≤ min(k, k 0 ) gilt.
2. Sphäre. Wir definieren einen C ∞ –Atlas auf der Sphäre S n
+
−
−
A0 = { (ϕ+
i , Ui ), (ϕi , Ui ) | i = 1, . . . , n + 1 }
wie folgt. Es ist Ui+ = {x ∈ S n | xi > 0} und Ui− = {x ∈ S n | xi < 0}, und
ϕ+−
: Ui+− → Rn bezeichnet die Projektion
i
1
n+1
ϕ+−
) = (x1 , . . . , xbi , . . . , xn+1 ),
i (x , . . . , x
welche die i–te Komponente xi von x fortlässt. Zeigen Sie, dass A0 ein C ∞ –Atlas
ist, der dieselbe C ∞ –Struktur auf S n definiert wie der Atlas aus Beispiel 1.6(e).
3. Atlanten. Sei Dn der P
offene Einheitsball
D n = {x ∈ Rn | kxk < 1} mit der
n
j 2 1/2
euklidischen Norm kxk =
.
j=1 (x )
(a) Finden Sie einen einen C ∞ –Diffeomorphismus von D n auf Rn .
(b) Sei M eine n–dimensionale C k –Mannigfaltigkeit. Zeigen Sie, dass die C k –
Struktur von M einen C k –Atlas {(ϕα , Uα ) | α ∈ Λ} enthält mit der Eigenschaft
ϕα (Uα ) = Rn für alle α ∈ Λ.
4. Beispiele. Welche der folgenden topologischen Räume sind topologische Mannigfaltigkeiten?
X1 = {(x, y) ∈ R2 | xy = 0}
X2 = {(x, y) ∈ R2 | x2 + y 2 ∈ Q\{0}},
jeweils versehen mit der von R2 induzierten Unterraumtopologie;
X3 = {(x, y) ∈ R2 | y = 0 oder (x, y) = (0, 1)}
6
versehen mit der kleinsten Topologie, die folgende Mengen enthält: alle offenen
Teilmengen der x–Achse im üblichen Sinne und alle Mengen der Gestalt {(x, y) ∈
X3 | 0 < |x| < } für > 0;
X4 = R × A
mit der Produkttopologie, wobei R mit der üblichen Topologie versehen ist und
A = R mit der diskreten Topologie. Wir nennen diese Produkttopologie die “horizontale” Topologie des R2 . Wie sehen ihre offenen Mengen aus?
5. Atlanten für Mengen. Diese Aufgabe zeigt, wie man auf Mengen die Struktur
einer Mannigfaltigkeit definieren kann, ohne zuerst die Topologie festzulegen. Seien
M eine Menge und n eine natürliche Zahl. Ein n–dimensionaler Atlas für
S M ist
eine Menge von Paaren A = {(ϕα , Uα ) | α ∈ Λ}, wobei Uα ⊂ M und M = α∈Λ Uα
ist, mit den folgenden Eigenschaften: Für alle α, β ∈ Λ gilt
(i) ϕα ist eine injektive Abbildung von Uα nach Rn ,
(ii) ϕα (Uα ) ist offen in Rn , ebenso ϕα (Uα ∩ Uβ ), und
(iii) ϕβ ◦ ϕα −1 : ϕα (Uα ∩ Uβ ) → ϕβ (Uα ∩ Uβ ) ist ein Homöomorphismus.
Zeigen Sie, dass durch die Festlegung
U ⊂ M offen :⇔ ϕα (Uα ∩ U ) ⊂ Rn ist offen für alle α ∈ Λ
eine Topologie auf M definiert wird. Wenn diese Topologie hausdorffsch ist und
der Atlas abzählbar (d.h. die Indexmenge Λ abzählbar), so wird M zu einer topologischen Mannigfaltigkeit und A zu einem Atlas im Sinne von Definition 1.2 der
Vorlesung.
7
2. Untermannigfaltigkeiten
In diesem Abschnitt führen wir zunächst eine besonders wichtige Klasse differenzierbarer Mannigfaltigkeiten ein, die der Untermannigfaltigkeiten von Rn . Danach
werden Untermannigfaltigkeiten beliebiger Mannigfaltigkeiten behandelt.
2.1. Differentialrechnung im Rn . Sei f : Rn → Rm differenzierbar. Die
Ableitung von f an der Stelle x ∈ Rn ist eine lineare Abbildung Df (x) : Rn → Rm ,
definiert durch
d 1
f (x + tv).
Df (x)v = lim (f (x + tv) − f (x)) =
t→0 t
dt 0
Ist f selbst linear, dann ist offensichtlich Df (x) = f für alle x ∈ Rn . Bezüglich der
Standardbasen in Rn und Rm entspricht Df (x) die Jacobimatrix (oder Funktionalmatrix)
 ∂f 1

∂f 1
· · · ∂x
i
n (x)
∂x1 (x)
∂f


..
..
Jf (x) =
=
(x)

.
.
i=1,...,m
∂xj
∂f m
j=1,...,n
∂f m
∂x1 (x) · · ·
∂xn (x)
Es gilt die Kettenregel: Sind f : Rn → Rm und g : Rm → Rl differenzierbar, dann
ist auch g ◦ f differenzierbar, und es ist
D(g ◦ f )(x) = Dg(f (x)) ◦ Df (x).
Die Jacobimatrix J(g ◦ f ) erhält man daher als Matrixprodukt J(g ◦ f )(x) =
Jg(f (x)) · Jf (x).
Seien U, V ⊆ Rn offen. Eine Abbildung f : U → V heißt ein C k –Diffeomorphismus
von U auf V , wenn f bijektiv ist und sowohl f als auch f −1 C k –Abbildungen sind.
Diese Definition stimmt offenbar mit der in 1.12 gegebenen überein, wenn man die
offenen Mengen V und W wie in 1.8 als Mannigfaltigkeiten betrachtet. Aus der
Infinitesimalrechnung bekannt ist der
Satz über inverse Funktionen. Seien U, V ⊆ Rn offen, f : U → V eine C k –
Abbildung (k ≥ 1) und x0 ∈ U . Ist Df (x0 ) ein Vektorraumisomorphismus, dann
existieren offene Umgebungen U 0 ⊆ U von x0 und V 0 ⊆ V von f (x0 ) dergestalt,
dass die Einschränkung f |U 0 ein C k –Diffeomorphismus von U 0 auf V 0 ist.
2.2. Satz (Äquivalente Definitionen einer Untermannigfaltigkeit von Rn+l ). Für
Teilmengen M ⊆ Rn+l und k ∈ {1, 2, 3, . . . , ∞} sind folgende Aussagen äquivalent:
Version: 18. Februar 2000
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(a) Zu jedem x0 ∈ M gibt es eine offene Umgebung U von x0 in Rn+l und eine
C k –Abbildung f : U → Rl mit Rang (Df (x)) = l für alle x ∈ U dergestalt, dass
U ∩ M = f −1 (0) := {x ∈ U | f (x) = 0}.
(b) Zu jedem x0 ∈ M gibt es eine offene Umgebung U von x0 in Rn+l und eine
Abbildung ϕ : U → Rn+l mit folgenden Eigenschaften: ϕ(U ) ⊆ Rn+l ist offen, ϕ
ist ein C k –Diffeomorphismus von U auf ϕ(U ), und
ϕ(U ∩ M ) = ϕ(U ) ∩ (Rn × {0})
= {(y 1 , . . . , y n+l ) ∈ ϕ(U ) | y n+1 = · · · = y n+l = 0}.
(c) Zu jedem x0 ∈ M gibt es eine offene Umgebung U von x0 in Rn+l , eine offene
Teilmenge W ⊆ Rn und eine C k –Abbildung ψ : W → U mit den Eigenschaften
(1) ψ ist ein Homöomorphismus von W auf U ∩ M und
(2) die Ableitung Dψ(w) ist injektiv für alle w ∈ W .
Jedes solche ψ heißt eine lokale Parametrisierung von M .
Die Eigenschaften (a), (b) und (c) kann man etwa wie folgt zusammenfassen. Die
Bedingung in (a) besagt, dass U ∩ M durch l unabhängige (im Sinne der Rangbedingung) Gleichungen f 1 (x) = 0, . . . , f l (x) = 0 definiert ist, die in (b), dass U ∩ M
nach Anwendung eines Diffeomorphismus ϕ wie eine offene Teilmenge eines linearen Unterraums von Rn+l aussieht. Bedingung (c) schließlich besagt, dass M
lokal parametrisiert werden kann.
2.3. Definitionen. Wenn M ⊆ Rn+l eine (und damit jede) der Bedingungen
(a), (b) und (c) aus Satz 2.2 erfüllt, dann heißt M eine n–dimensionale C k –
Untermannigfaltigkeit von Rn+l . Die Zahl l heißt die Kodimension von M . Für
n = 2 und l = 1 heißt M eine Fläche im R3 . Für beliebiges n und l = 1 heißt M
eine Hyperfläche im Rn+1 .
Wir werden in Satz 2.4 sehen, dass C k –Untermannigfaltigkeiten des Rn+l selbst
C k –Mannigfaltigkeiten sind, geben aber zunächst den Beweis von Satz 2.2.
(a)⇒(b) Seien U und f wie in (a), f 1 , . . . , f l die Komponenten von f . Nach
eventuellem Umnummerieren der Koordinaten kann man annehmen, dass die (l×l)–
Matrix (∂f i /∂xn+j )i,j=1,...,l an der Stelle x0 invertierbar ist. Sei ϕ : U → Rn+l
die Abbildung ϕ(x) = (x1 , . . . , xn , f 1 (x), . . . , f l (x)). Dann hat die Jacobimatrix
Jϕ(x0 ) die Gestalt
!
In×n 0
i
Jϕ(x0 ) =
,
∂f
...
∂xn+j (x0 )
wobei In×n die (n × n)–Einheitsmatrix bezeichnet. Insbesondere ist die Determinante
∂f i
det Jϕ(x0 ) = det
(x
)
6= 0.
0
∂xn+j
i,j=1,...,l
9
Nach dem Satz über inverse Funktionen existieren Umgebungen U 0 ⊆ U von x0 und
V 0 = ϕ(U 0 ) von ϕ(x0 ) dergestalt, dass ϕ|U 0 : U 0 → V 0 ein C k –Diffeomorphismus
ist. Wir zeigen
ϕ(U 0 ∩ M ) = (y 1 , . . . , y n+l ) ∈ ϕ(U 0 ) | y n+1 = · · · = y n+l = 0 .
Die Inklusion “⊆” ist klar nach Definition von ϕ. Ist umgekehrt y ein Element der
rechten Seite, dann existiert x ∈ U 0 mit y = ϕ(x) und f (x) = 0. Da x ∈ U ist und
f (x) = 0, folgt x ∈ U ∩ M . Also ist x ∈ U 0 ∩ M und y ∈ ϕ(U 0 ∩ M ).
(b)⇒(c) Seien U und ϕ wie in (b). Sei π : Rn+l = Rn × Rl → Rn die Projektion
π(x1 , . . . , xn+l ) = (x1 , . . . , xn ),
und sei i : Rn → Rn+l die Abbildung
i(x1 , . . . , xn ) = (x1 , . . . , xn , 0, . . . , 0).
Wir setzen W = π(ϕ(U ∩ M )) und definieren ψ : W → U als ψ = ϕ−1 ◦ i. Dann
ist W offen. Die Abbildung ψ ist ein Homöomorphismus von W auf U ∩ M , da i
ein Homöomorphismus von W auf ϕ(U ∩ M ) und ϕ−1 ein Homöomorphismus von
ϕ(U ∩ M ) auf U ∩ M ist. Nach der Kettenregel gilt für w ∈ W :
Dψ(w) = D(ϕ−1 )(i(w)) ◦ Di(w) = (Dϕ(ψ(w)))−1 ◦ i,
da i eine lineare Abbildung ist. Also ist Dψ(w) injektiv.
(c)⇒(a) Seien ψ, W und U wie in (c). Sei ψ(w0 ) = x0 . Wegen Rang (Dψ(w0 )) = n
kann man nach eventuellem Umnummerieren der Koordinaten annehmen, dass die
(n × n) Matrix
∂ψ i
(w
)
0
∂wj
i,j=1,...,n
invertierbar ist. Wir definieren g : W × Rl → Rn+l durch g(w, y) = ψ(w) + (0, y),
das heißt also
g(w1 , . . . , wn ,y 1 , . . . , y l ) =
ψ 1 (w), . . . , ψ n (w), ψ n+1 (w) + y 1 , . . . , ψ n+l (w) + y l .
Dann ist die Jacobimatrix
Jg(w0 , 0) =
∂ψ i /∂wj (w0 )
...
i,j=1,...,n
0
Il×l
invertierbar. Also existieren Umgebungen V ⊆ W × Rl von (w0 , 0) und U 0 von
g(w0 , 0) = x0 so, dass g : V → U 0 ein C k –Diffeomorphismus ist. Indem man V
nötigenfalls verkleinert, kann man annehmen, dass U 0 ⊆ U ist.
10
Die Menge {w ∈ W | (w, 0) ∈ V } ist offen in W , und da ψ nach Voraussetzung ein
Homöomorphismus von W auf ψ(W ) ist, ist ihr Bild {ψ(w) | (w, 0) ∈ V } offen in
ψ(W ). Nach Definition der Unterraumtopologie gibt es daher eine offene Teilmenge
U 00 ⊆ Rn+l so, dass {ψ(w) | (w, 0) ∈ V } = U 00 ∩ ψ(W ). Wegen ψ(w) = g(w, 0) ist
dies gleichbedeutend mit
U 00 ∩ ψ(W ) = g(V ∩ (W × {0})).
(∗)
Sei schließlich Ũ = U 0 ∩ U 00 und Ṽ = (g|V )−1 (Ũ ) = g −1 (Ũ ) ∩ V . Dann ist g|Ṽ ein
C k –Diffeomorphismus von Ṽ auf Ũ. Wir behaupten, dass gilt
Ũ ∩ M = g(Ṽ ∩ (Rn × {0})).
(∗∗)
Nach (∗) ist U 00 ∩ ψ(W ) ⊆ g(V ) = U 0 , also Ũ ∩ ψ(W ) = g(V ∩ (W × {0}). Wegen
ψ(W ) = U ∩ M und
V ∩ (W × {0}) = V ∩ (Rn × {0}) = Ṽ ∩ (Rn × {0})
folgt die Behauptung (∗∗).
Ist nun π : Rn+l → Rl die Projektion auf die letzten l Komponenten, dann erfüllt
f := π ◦ (g|Ṽ )−1 : Ũ → Rl die Bedingungen von (a). QED
2.4. Satz. Sei M ⊆ Rn eine n–dimensionale C k –Untermannigfaltigkeit, versehen
mit der Unterraumtopologie. Sei {ψα : Wα → Uα ∩ M | α
S∈ Λ} eine Menge lokaler
Parametrisierungen (siehe 2.1(c)) dergestalt, dass M ⊆ α∈Λ Uα . Dann ist
A = {(ψα−1 , Uα ∩ M ) | α ∈ Λ}
ein C k –Atlas für M .
Bemerkung. Die Unterraumtopologie auf M ist hausdorffsch und hat eine abzählbare Basis, da sie diese Eigenschaften von Rn+l erbt. Also ist M eine C k –Mannigfaltigkeit.
Beweis von Satz 2.4. Dass A ein Atlas ist (Definition 1.2), folgt unmittelbar aus der
Definition der lokalen Parametrisierung. Wir zeigen: Für (Uα ∩ M ) ∩ (Uβ ∩ M ) 6= ∅
ist der Kartenwechsel
ψβ−1 ◦ ψα : ψα−1 (Uα ∩ Uβ ∩ M ) → ψβ−1 (Uα ∩ Uβ ∩ M )
eine C k –Abbildung. Da ψβ−1 nicht auf einer offenen Teilmenge von Rn+l definiert
ist, ist die Kettenregel nicht unmittelbar anwendbar, und wir müssen etwas anders
argumentieren. Sei x ∈ ψα−1 (Uα ∩Uβ ∩M ). Wir zeigen, dass ψβ−1 in einer Umgebung
von x differenzierbar von der Klasse C k ist. Nach 2.2(b) gibt es eine Umgebung
11
U ⊆ Uα ∩ Uβ von ψα (x) ∈ M in Rn+l und einen C k –Diffeomorphismus ϕ : U →
ϕ(U ) ⊆ Rn+l dergestalt, dass gilt
ϕ(M ∩ U ) = ϕ(U ) ∩ (Rn × {0}).
Sei π : Rn+l ' Rn × Rl → Rn die Projektion auf die ersten n Komponenten und
sei i : Rn → Rn+l die Inklusion i(x) = (x, 0). Auf ϕ(M ∩ U ) ⊆ Rn × {0} ist i ◦ π
die Identität. Daher ist auf ψα−1 (U ∩ M )
ψβ−1 ◦ ψα = ψβ−1 ◦ ϕ−1 ◦ ϕ ◦ ψα = (ψβ−1 ◦ ϕ−1 ◦ i) ◦ (π ◦ ϕ ◦ ψα ).
Nun sind sowohl ψβ−1 ◦ ϕ−1 ◦ i = (π ◦ ϕ ◦ ψβ )−1 als auch π ◦ ϕ ◦ ψα C k –Abbildungen
zwischen offenen Teilmengen von Rn , also auch ihre Zusammensetzung ψβ−1 ◦ ψα .
QED
2.5. Spezialfälle. Wichtige Spezialfälle von 2.2 sind Niveaumengen und (global)
parametrisierte Untermannigfaltigkeiten im Rn .
(a) Niveaumengen. Seien V ⊆ Rn+l eine offene Teilmenge, f : V → Rl eine
C k –Abbildung und c ∈ Rl . Es gelte Rang (Df (x)) = l in jedem Punkt x der
Niveaumenge
f −1 (c) = {x ∈ V | f (x) = c}.
Dann ist f −1 (c) eine n–dimensionale C k –Untermannigfaltigkeit von Rn+l .
Beweis. Die Aussage folgt aus Kriterium 2.2(a), angewandt auf die Abbildung
f − c : x 7→ f (x) − c. Es bleibt nur zu zeigen, dass Rang Df (x) = l auf einer
Umgebung U von f −1 (c) gilt, nicht nur auf der Niveaumenge selbst. Dazu sei
x0 ∈ f −1 (c). Da Rang Df (x0 ) = l ist, existiert eine (l × l)–Unterdeterminante A(x)
von det(Df (x)) mit A(x0 ) 6= 0. Die Funktion x 7→ A(x) ist stetig, weil f ∈ C 1
ist. Daher ist A(x) 6= 0 auf einer Umgebung
S U (x0 ) des Punktes x0 . Es folgt
Rang Df (x) = l auf U (x0 ). Wir setzen U = x0 ∈f −1 (c) U (x0 ). QED
Derartige Niveaumengen sind also “global” durch im Sinne einer Rangbedingung
unabhängige Gleichungen
f 1 (x) = 0, . . . , f l (x) = 0
definierte Untermannigfaltigkeiten.
(b) Parametrisierte Untermannigfaltigkeiten. Sei W ⊆ Rn offen, und sei
ψ : W → Rn+l eine C k –Abbildung mit Rang Dψ(w) = n für alle w ∈ W . Wir
setzen voraus, dass ψ ein Homöomorphismus von W auf ψ(W ) ist. Dann ist ψ(W )
eine C k –Untermannigfaltigkeit von Rn+l . Dies folgt nach Kriterium 2.2(c) mit
U = Rn+l . Im Spezialfall n = 2 und l = 1 nennt man ψ(W ) eine parametrisierte
Fläche im R3 .
2.5.1. Rotationsflächen. Eine Klasse von Beispielen zu 2.5(b) liefern parametrisierte Rotationsflächen (oder Drehflächen) im R3 . Wir rotieren etwa die Kurve
12
x = a cos u + b, z = a sin u (0 < u < 2π) in der xz–Ebene (wobei a < b Konstanten
sind) um die z–Achse:
  
x
cos v
 y  =  sin v
z
0
− sin v
cos v
0

 

0
a cos u + b
(a cos u + b) cos v
 =  (a cos u + b) sin v  .
0
0
1
a sin u
a sin u
Dann definiert ϕ : (0, 2π) × (0, 2π) → R3 ,


(a cos u + b) cos v
ϕ(u, v) =  (a cos u + b) sin v 
a sin u
eine parametrisierte Fläche: Die Torusfläche, aus der die Kreise u = 0 und v = 0
entfernt sind.
2.5.2. Wir erläutern die Voraussetzungen in 2.5(b) an einfachen Beispielen.
(a) Sei ψ : R → R2 die Abbildung ψ(t) = (t3 , t3 ). Dann hat Dψ(0) = (0, 0)T den
Rang 0. Dennoch ist das Bild ψ(R) eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit von R2 .
(b) Nun sei ψ : R → R2 definiert als ψ(t) = (t2 , t3 ). Hier ist ebenfalls Dψ(0) =
(0, 0)T . In diesem Fall ist aber ψ(R) keine C 1 –Untermannigfaltigkeit von R2 .
(c) Die durch ψ(t) = (sin(t), sin(2t)) definierte Abbildung ψ : (0, 2π) → R2 ist
stetig und injektiv, und es gilt
cos(t)
Rang Dψ(t) = Rang
=1
2 cos(2t)
für alle t ∈ (0, 2π). Die Abbildung ψ ist aber kein Homöomorphismus von (0, 2π)
auf das Bild ψ((0, 2π)), denn im Gegensatz zu (0, 2π) ist ψ((0, 2π)) kompakt. Das
Bild ψ((0, 2π)) ist keine topologische Mannigfaltigkeit, daher auch keine Untermannigfaltigkeit von R2 .
2.6. Lemma (Ein Kriterium für Differenzierbarkeit).
0
(a) Sei M ⊆ Rn eine C k –Untermannigfaltigkeit, N eine beliebige C k –Mannigfals
n
s
tigkeit. Sei f ∈ C (R , N ). Dann ist die Einschränkung f |M ∈ C (M, N ).
0
(b) Sei M eine C k –Mannigfaltigkeit, N ⊆ Rn eine C k –Untermannigfaltigkeit. Sei
f ∈ C s (M, Rn ) mit f (M ) ⊆ N . Dann ist f ∈ C s (M, N ).
Wir werden den Beweis in 2.11 in allgemeinerem Rahmen nachholen. Mit Hilfe des
Lemmas lässt sich die Differenzierbarkeit von Abbildungen oft unmittelbar einsehen,
leichter als unter Verwendung von 1.9 oder 1.10. Ist etwa f : R3 → R die Abbildung
xy
,
f (x, y, z) = arctan
1 + ecos z
13
dann ist f |S 2 eine C ∞ –Funktion auf S 2 bezüglich der durch 1.6 gegebenen Standard-C ∞ –Struktur auf der 2–Sphäre S 2 ⊆ R3 .
2.7. Beispiel. Der Zylinder M = {(x, y, z) ∈ R3 | x2 +y 2 = 1} ist als Niveaumenge
von f (x, y, z) = x2 + y 2 eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit von R3 (siehe 2.4(a)). Die
punktierte Ebene N = R2 \ {0} ist als offene Teilmenge der C ∞ – Mannigfaltigkeit
R2 ebenfalls eine C ∞ –Mannigfaltigkeit. Sei ϕ : M → N die Abbildung ϕ(x, y, z) =
(ez x, ez y). Dann ist ϕ bijektiv, ϕ ∈ C ∞ (M, N ) nach 2.6(a) und man berechnet
ϕ−1 (u, v) =
√
u
v
1
,√
, ln(u2 + v 2 ) .
u2 + v 2
u2 + v 2 2
Nach 2.6(b) ist also auch ϕ−1 ∈ C ∞ (N, M ). Daher ist ϕ ein C ∞ –Diffeomorphismus
des Zylinders auf die punktierte Ebene.
Wir betrachten nun Untermannigfaltigkeiten beliebiger Mannigfaltigkeiten.
2.8. Definition. Sei (N, A) eine C k –Mannigfaltigkeit der Dimension n. Eine
Teilmenge M ⊆ N heißt eine m–dimensionale Untermannigfaltigkeit von N wenn
folgendes gilt: Zu jedem p ∈ M existiert eine Karte (ϕ, U ) ∈ A mit p ∈ U und mit
der Eigenschaft
ϕ(U ∩ M ) = ϕ(U ) ∩ (Rm × {0}).
Jede solche Karte (ϕ, U ) heißt eine an M angepasste Karte.
2.9. Bemerkungen. (a) Für N = Rn mit der üblichen C k –Struktur ist das die
Definition aus 2.2(b).
(b) Man kann die Definition noch erweitern, indem man für k ≤ l ≤ ∞ den Begriff der C k –Untermannigfaltigkeit einer C l –Mannigfaltigkeit einführt. Mit 2.2.(b)
haben wir das im Spezialfall l = ∞, N = Rn bereits getan, und diese Definition
(mit Hilfe von C k –Diffeomorphismen ϕ) lässt sich in naheliegender Weise verallgemeinern.
(c) Jede offene Teilmenge U ⊆ N ist eine n–dimensionale Untermannigfaltigkeit von
N . Jede Einpunktmenge {p} mit p ∈ N , oder allgemeiner jede diskrete Teilmenge
von N ist eine 0–dimensionale Untermannigfaltigkeit von N .
(d) Seien (N, A) und (N 0 , A0 ) zwei C k –Mannigfaltigkeiten und sei f : N → N 0 ein
C k –Diffeomorphismus. Eine Teilmenge M ⊆ N ist genau dann eine Untermannigfaltigkeit von N , wenn ihr Bild f (M ) eine Untermannigfaltigkeit von N 0 ist. Ist
nämlich (ϕ, U ) eine an M angepasste Karte, dann ist (ϕ◦f −1 , f (U )) eine an das Bild
f (M ) angepasste Karte. Diffeomorphismen bilden also Untermannigfaltigkeiten auf
Untermannigfaltigkeiten ab.
2.10. Lemma. (Untermannigfaltigkeiten von C k –Mannigfaltigkeiten sind selbst
C k –Mannigfaltigkeiten). Seien (N, A) eine n–dimensionale C k –Mannigfaltigkeit
14
und M ⊆ N eine m–dimensionale Untermannigfaltigkeit von N . Sei π : Rn → Rm
die Projektion π(x1 , . . . , xn ) = (x1 , . . . , xm ). Dann ist
{ (π ◦ ϕ|U ∩M , U ∩ M ) | (ϕ, U ) ∈ A an M angepasste Karte }
ein C k –Atlas. Damit wird M selbst zu einer C k –Mannigfaltigkeit.
Beweis. Sei i : Rm → Rn die Inklusion i(x) = (x, 0). Sind (ϕ1 , U1 ) und (ϕ2 , U2 ) an
M angepasste Karten, dann ist
(π ◦ ϕ2 ) ◦ (π ◦ ϕ1 )−1 = π ◦ ϕ2 ◦ ϕ−1
1 ◦i
k
eine C k –Abbildung, weil der Kartenwechsel ϕ2 ◦ ϕ−1
1 eine C –Abbildung ist. QED
2.11. Lemma. Seien M1 ⊆ N1 und M2 ⊆ N2 Untermannigfaltigkeiten der C k –
Mannigfaltigkeiten N1 und N2 , und sei f ∈ C k (N1 , N2 ). Es gelte f (M1 ) ⊆ M2 .
Dann ist f |M1 ∈ C k (M1 , M2 ), wobei M1 und M2 mit den durch 2.10 gegebenen
C k –Strukturen versehen sind.
Beweis. Sei p ∈ M1 und sei (ϕ1 , U1 ) eine an M1 angepasste Karte mit p ∈ U1 ,
(ϕ2 , U2 ) eine an M2 angepasste Karte mit f (p) ∈ U2 . Seien π und i wie im Beweis
von 2.10. Dann gilt auf (π ◦ ϕ1 )(U1 ∩ f −1 (U2 ))
(π ◦ ϕ2 ) ◦ f ◦ (π ◦ ϕ1 )−1 = π ◦ (ϕ2 ◦ f ◦ ϕ−1
1 )◦i
k
Nach Voraussetzung ist ϕ2 ◦ f ◦ ϕ−1
1 eine C –Abbildung. Lemma 1.10 impliziert die
Behauptung. QED
Aufgaben
1. Niveaumengen. Sei f : R3 → R die Funktion f (x, y, z) = x2 + y 2 + az 2 . Für
a = 0, a = 1 und a = −1 skizziere man die Niveaumengen f −1 (c) = {(x, y, z) ∈
R3 | f (x, y, z) = c} mit c ∈ R. Welche sind Untermannigfaltigkeiten von R3 ?
Welche enthalten kritische Punkte von f ?
2. Torus. (a) Sei T der Quotientenraum R2 /Z2 , versehen mit der Quotiententopologie. Dann existiert genau eine C ∞ -Struktur auf T mit der Eigenschaft, dass
die kanonische Projektion pr : R2 → T ein lokaler C ∞ –Diffeomorphismus ist: Jeder
Punkt p ∈ R2 hat eine offene Umgebung U , die durch die Einschränkung pr|U diffeomorph auf eine offene Teilmenge von T abgebildet wird.
(b) Zeigen Sie, dass
S 1 × S 1 = {(x1 , x2 , x3 , x4 ) | x21 + x22 = 1 und x23 + x24 = 1}
eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit von R4 ist.
15
(c) Finden Sie einen C ∞ –Diffeomorphismus von T auf S 1 × S 1 .
(d) Finden Sie einen C ∞ –Diffeomorphismus von T auf den Rotationstorus M ⊆ R3 ,
der (mit a > r) definiert ist durch
M = { (x, y, z) | z 2 + (
p
x2 + y 2 − a)2 = r2 }.
(e) Sei L ⊆ T das Bild der Geraden {(x, y) ∈ R2 | y = ax + b} unter der Projektion
pr. Dann gilt : L ist dicht in T genau dann, wenn a irrational ist.
3. Liegruppen. (a) Zeigen Sie, dass folgende Gruppen C ∞ –Untermannigfaltigkeiten des Raumes Rn×n der rellen (n × n)–Matrizen sind:
GL(n, R) = {A ∈ Rn×n | A invertierbar}
SL(n, R) = {A ∈ GL(n, R) | det(A) = 1}
O(n) = {A ∈ GL(n, R) | AAt = E}
Hinweis zu O(n): Betrachten Sie die durch f (A) = AAt definierte Abbildung f :
Rn×n → Rn(n+1)/2 in den Vektorraum Sym(n, R) ∼
= Rn(n+1)/2 der symmetrischen
(n × n)–Matrizen.
(b) Für G wie in (a) sind die Matrixmultiplikation µ : G×G → G und die Inversion
ι : G → G, ι(A) = A−1 C ∞ –Abbildungen.
Definition. Ein Tripel (G, µ, A), bestehend aus einer C ∞ –Mannigfaltigkeit (G, A)
mit einer Gruppenstruktur µ : G × G → G, heißt eine Liegruppe, wenn µ und die
Inversion ι : G → G C ∞ –Abbildungen sind.
4. Untermannigfaltigkeiten von R2 . Sei M = {(x, y) ∈ R2 | y 2 = x3 },
versehen mit der von R2 definierten Unterraumtopologie.
(a) M ist keine C 1 –Untermannigfaltigkeit von R2 (mit der üblichen C ∞ –Struktur).
(b) Finden Sie einen Homöomorphismus von M auf R. Verwenden Sie diesen, um
auf M die Struktur einer C ∞ –Mannigfaltigkeit zu definieren.
(c) Finden Sie eine C ∞ –Struktur A auf R2 (versehen mit der üblichen Topologie)
dergestalt, dass M zu einer C ∞ –Untermannigfaltigkeit von (R2 , A) wird. Hinweis:
Es genügt ein aus einer Karte ϕ : R2 → R2 bestehender Atlas.
16
3. Tangentialvektoren
Dass sich die anschaulichen Begriffe des Tangentialvektors und der Tangentialebene
an eine Fläche im dreidimensionalen Raum auf abstrakte Mannigfaltigkeiten übertragen lassen, die nicht in einen euklidischen Raum eingebettet sind, ist zunächst
alles andere als offensichtlich. Der Begriff des Tangentialvektors an eine differenzierbare Mannigfaltigkeit lässt sich aber auf verschiedene Arten einführen. Dieser
Abschnitt enthält einige dieser Definitionen und erklärt, in welchem Sinne sie äquivalent sind. Wir beschränken uns im Folgenden der Einfachheit halber auf C ∞ –
Mannigfaltigkeiten. Differenzierbarkeit bedeutet also Differenzierbarkeit von der
Klasse C ∞ , soweit nichts anderes festgelegt wird.
3.1. Untermannigfaltigkeiten von Rk . Sei M ⊆ Rk eine n–dimensionale
differenzierbare Untermannigfaltigkeit, und sei p ∈ M . Wir definieren provisorisch
den Tangentialraum Tp M von M im Punkt p als die Menge aller Paare (p, v) ∈
M × Rk mit folgender Eigenschaft:
Es existieren eine Zahl ε > 0 und eine C ∞ –Kurve c : (−ε, ε) → M mit
c(0) = p und (dc/dt)(0) = v.
Jedes solche Paar nennen wir einen Tangentialvektor in p. Tangentialvektoren in
p sind also, grob gesprochen, Geschwindigkeitsvektoren von Kurven, die in M verlaufen und zum Zeitpunkt t = 0 durch den Punkt p gehen. Man stellt sich ein
Element (p, v) ∈ Tp M als einen Vektor (Pfeil) mit Fußpunkt p vor. Diese anschaulich naheliegende Definition der Tangentialräume hat den Nachteil, dass sie
sich nicht unmittelbar auf beliebige C ∞ –Mannigfaltigkeiten verallgemeinern lässt.
Wir werden sie deshalb durch eine andere, allgemein verwendbare Definition ersetzen, die aber für den Fall von Untermannigfaltigkeiten M ⊆ Rk im Wesentlichen
dasselbe ergibt wie Tp M . Zunächst aber zeigen wir, dass Tp M ein Vektorraum ist.
Lemma. Seien M ⊆ Rk eine n–dimensionale differenzierbare Untermannigfaltigkeit und p ∈ M . Dann gilt für jede lokale Parametrisierung ψ : W → U ⊆ M mit
ψ(w) = p
Tp M = {p} × Dψ(w)(Rn ).
Insbesondere ist also Tp M ein n–dimensionaler Vektorraum mit den Operationen
λ1 (p, v) + λ2 (p, v2 ) = (p1 λ1 v1 + λ2 v2 )
für Skalare λi ∈ R und Vektoren (p, vi ) ∈ Tp M .
Beweis. Sei zunächst (p, v) ∈ Tp M . Zu zeigen ist, dass ein ξ ∈ Rn existiert mit
v = Dψ(w)ξ. Dazu wählen wir eine differenzierbare Kurve c : (−ε, ε) → M mit
Version: 18. Februar 2000
17
c(0) = p und dc/dt(0) = v. Nach Verkleinerung von ε kann man annehmen, dass
c((−ε, ε)) ⊆ ψ(W ) gilt. Dann ist ψ −1 ◦ c ∈ C ∞ ((−ε, ε), W ). Dies folgt aus der
Kettenregel 1.11, da wegen 2.4 ψ −1 eine Karte, also C ∞ –differenzierbar ist. Damit
ist
d dc
d −1
v = (0) =
(ψ ◦ ψ ◦ c) = Dψ(w) (ψ −1 ◦ c).
dt
dt dt
0
0
n
Umgekehrt sei nun ξ ∈ R gegeben. Dann gilt für die Kurve c(t) = ψ(w + tξ)
d dc
Dψ(w)ξ =
ψ(w + tξ) = (0),
dt 0
dt
und daher (p, Dψ(w)ξ) ∈ Tp M . QED
3.2. Definition (geometrische Definition der Tangentialräume). Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit, und seien ci = (−εi , εi ) → M (εi > 0, i = 1, 2) zwei
differenzierbare Kurven mit c1 (0) = c2 (0) = p ∈ M . Die Kurven c1 und c2 heißen
äquivalent (Schreibweise: c1 ∼ c2 ), wenn eine Karte (ϕ, U ) mit p ∈ U existiert, so
dass
d(ϕ ◦ c2 )
d(ϕ ◦ c1 )
(0) =
(0).
(∗)
dt
dt
Wir werden gleich sehen, dass ∼ eine Äquivalenzrelation auf der Menge der C ∞ Kurven c mit c(0) = p ist. Jede Äquivalenzklasse [c] heißt ein (geometrischer)
Tangentialvektor an M im Punkt p. Die Menge Tpgeo M aller Tangentialvektoren in
p heißt der (geometrische) Tangentialraum von M in p.
Bemerkung. Wenn die Bedingung (∗) für eine Karte (ϕ, U ) an p gilt, dann für
jede. Ist nämlich (ϕ1 , U1 ) eine weitere Karte an p, dann gilt
d(ϕ1 ◦ c1 )
d (ϕ1 ◦ ϕ−1 ◦ ϕ ◦ c1 )
(0) =
dt
dt 0
d(ϕ ◦ c1 )
= D(ϕ1 ◦ ϕ−1 )(ϕ(p))
(0)
dt
d(ϕ ◦ c2 )
(0)
= D(ϕ1 ◦ ϕ−1 )(ϕ(p))
dt
d(ϕ1 ◦ c2 )
=
(0).
dt
Aus dieser Bemerkung folgt unmittelbar, dass ∼ eine Äquivalenzrelation ist.
3.3. Vektorraumstruktur auf Tpgeo M . In den Bezeichnungen von 3.2 sei nun
(ϕ, U ) eine Karte an p. Dann ist die Abbildung
A : Tpgeo M → Rn ,
A([c]) :=
18
d(ϕ ◦ c)
(0)
dt
bijektiv und es gilt A−1 (v) = [c], wobei c(t) = ϕ−1 (ϕ(p) + tv). Zum Beweis dieser
Aussage verifiziert man, dass AA−1 = idRn und A−1 A = idTpgeo M gelten. Insbesondere erhält die Menge Tpgeo M von Rn die Struktur eines n–dimensionalen
reellen Vektorraumes durch “Strukturübertragung”: Für λi ∈ R und [ci ] ∈ TpgeoM
definieren wir
λ1 [c1 ] + λ2 [c2 ] = A−1 ( λ1 A[c1 ] + λ2 A[c2 ] ).
Explizit lassen sich die Vektorraumoperationen in Tpgeo M so beschreiben: Es ist
λ1 [c1 ] + λ2 [c2 ] = [c],
wobei c die Kurve
c(t) = ϕ−1 ϕ(p) + t(λ1 v1 + λ2 v2 )
mit vi = d(ϕ ◦ ci )/dt (0) bezeichnet.
Lemma. Die so definierte Vektorraumstruktur auf Tpgeo M ist unabhängig von der
Wahl der Karte (ϕ, U ) an p.
Beweis. Ist (ψ, V ) eine andere Karte an p, und bezeichnet B : Tpgeo M → Rn die
Abbildung
d(ψ ◦ c)
(0),
B([c]) =
dt
dann ist
d AB −1 (v) =
ϕ ◦ ψ −1 (ψ(p) + tv) = D(ϕ ◦ ψ −1 )(ψ(p)) v.
dt 0
Also ist AB −1 : Rn → Rn linear. Damit folgt
B −1 (λ1 B[c1 ] + λ2 B[c2 ]) = A−1 (AB −1 )(λ1 B[c1 ] + λ2 B[c2 ])
= A−1 (λ1 (AB −1 )B[c1 ] + λ2 (AB −1 )B[c2 ])
= A−1 (λ1 A[c1 ] + λ2 A[c2 ]).
QED
Ist speziell M eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit des Rk , dann ist nach 2.4 M selbst
eine C ∞ –Mannigfaltigkeit. Neben dem Tangentialraum Tp M aus 3.1 gibt es dann
denjenigen Tpgeo M aus 3.2. Ihre Beziehung klärt die folgende
3.4. Proposition. Sei M ⊆ Rk eine n–dimensionale differenzierbare Untermannigfaltigkeit von Rk und p ∈ M . Dann ist die durch
dc Ψp ([c]) = p, (0)
dt
definierte Abbildung Ψp : Tpgeo M → Tp M ein Vektorraumisomorphismus.
19
Die Notation dc/dt macht Sinn, indem man c : (−ε, ε) → M ⊆ Rk als Rk -wertige
Abbildung auffasst. Genau genommen wäre stattdessen zu schreiben d(i ◦ c)/dt,
wobei i : M → Rk die Inklusionsabbildung i(p) = p bezeichnet. Den Beweis der
Proposition überlassen wir als einfache Übung.
Wir kommen nun zu einer zweiten allgemein anwendbaren Art, Tangentialvektoren
an eine Mannigfaltigkeit zu definieren, nämlich als reellwertige Derivationen des
Ringes C ∞ (M ). Derivationen sind weniger anschaulich als Äquivalenzklassen von
Kurven, aber oft einfacher zu handhaben. Wir erklären zunächst, was Derivationen
in einem Punkt p ∈ M sind, und dann, warum der Raum Tp M dieser Derivationen
kanonisch isomorph ist zum geometrischen Tangentialraum Tpgeo M .
3.5. Definition. Sei M eine C ∞ –Mannigfaltigkeit, p ∈ M . Eine Derivation an p
ist eine R–lineare Abbildung X : C ∞ (M ) → R mit folgender Eigenschaft: Für alle
f, g ∈ C ∞ (M ) gilt die Produktregel
X(f · g) = g(p) Xf + f (p) Xg.
Die Menge Tp M aller Derivationen an p ist offensichtlich ein reeller Vektorraum,
ein Unterraum des Dualraumes von C ∞ (M ).
∂ ∈ Tp M durch
Beispiel. Sei (ϕ, U ) eine Karte an p. Wir definieren ∂x
i
p
∂(f ◦ ϕ−1 )
∂ (ϕ(p))
f
=
∂xi p
∂xi
für f ∈ C ∞ (M ) und i = 1, . . . , n. Wir werden sehen, dass diese Derivationen eine
Vektorraumbasis von Tp M bilden.
3.6. Satz. Die Abbildung Φp : Tpgeo M → Tp M , definiert durch
d Φp ([c])f =
f (c(t))
dt 0
für [c] ∈ Tpgeo M und f ∈ C ∞ (M ), ist wohldefiniert und ein Vektorraumisomorphismus.
Insbesondere ist also Tp M n–dimensional. Der Beweis von 3.6 folgt in 3.8. In der
Praxis identifiziert man oft Tp M mit Tpgeo (M ) aufgrund dieses Satzes und bezeichnet
beide Räume als den Tangentialraum von M in p. Wir werden dies später ebenfalls
tun. Aus dem Zusammenhang sollte dann jeweils klar sein, ob eine Äquivalenzklasse
von Kurven oder eine Derivation gemeint ist, wenn von einem Tangentialvektor die
Rede ist.
3.7. Eigenschaften von Derivationen. Sei M eine n–dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit und p ∈ M . Wir zeigen zunächst (in Lemma 3), dass für
20
X ∈ Tp M der Wert von Xf nur von der Einschränkung von f auf eine beliebig
kleine Umgebung U von p abhängt.
Lemma 1. Sei X ∈ Tp M , und sei c ∈ C ∞ (M ) eine konstante Funktion. Dann
gilt X(c) = 0.
Beweis. Wegen der R–Linearität und der Produktregel für X ist
X(c) = c X(1) = c X(1 · 1) = c (1 X(1) + 1 X(1)) = X(c) + X(c). QED
Lemma 2. Sei U eine Umgebung von p. Dann existieren eine Umgebung U1 ⊆ U
von p und eine Funktion σ ∈ C ∞ (M ) mit σ|U1 ≡ 1 und supp(σ) ⊆ U . Dabei
ist supp(σ) der Träger (oder Support) von σ, also der Abschluß der Teilmenge
{q ∈ M | σ(q) 6= 0} von M .
Beweis. Sei (ϕ, U0 ) eine Karte an p mit ϕ(p) = 0. Dann gibt es eine Zahl ε > 0
so, dass der euklidische Ball B(0, ε) um 0 mit Radius ε in ϕ(U0 ∩ U ) enthalten ist.
Seien U1 = ϕ−1 (B(0, ε/2)) und U2 = ϕ−1 (B(0, ε)) ⊆ U0 ∩ U . Sei η ∈ C ∞ (R) eine
Funktion mit η = 1 auf [−ε2 /4, ε2/4] und η = 0 auf R \ (−ε2 , ε2 ). Wir definieren
( 2
η kϕ(q)k , wenn q ∈ U2
σ(q) =
0,
wenn q ∈ M \ U2 .
Dann hat σ die gewünschten Eigenschaften. QED
Lemma 3. Sei U eine Umgebung von p, und seien f, g ∈ C ∞ (M ) mit f |U = g|U .
Dann gilt Xf = Xg für jede Derivation X ∈ Tp M .
Beweis. Für die Funktion h = f − g gilt h|U = 0. Es genügt zu zeigen, dass Xh = 0
ist. Wir wählen U1 und σ wie in Lemma 2. Dann ist (1 − σ)h = h auf M , und
deshalb
Xh = X((1 − σ)h) = (1 − σ)(p)Xh + h(p)X(1 − σ) = 0,
da (1 − σ)(p) = 0 und h(p) = 0. QED
Bemerkung. Als Folgerung aus Lemma 3 ergibt sich, dass man Derivationen
X ∈ Tp M auch auf Funktionen anwenden kann, die nur auf einer Umgebung U
von p definiert sind. Ist nämlich f ∈ C ∞ (U ), dann wählt man eine Funktion
g ∈ C ∞ (M ) mit g|U1 = f |U1 für eine Umgebung U1 ⊆ U von p, etwa indem man
mit U1 und σ wie in Lemma 2 definiert
σ(q)f (q), für q ∈ U
g(q) =
0,
für q ∈ M \ U .
Man setzt dann Xf := Xg. Nach Lemma 3 hängt Xf nicht von der Wahl der
Funktion g ab.
21
Eine Teilmenge V ⊆ Rn heißt sternförmig bezüglich x0 ∈ V , wenn für jeden Punkt
x ∈ V die Verbindungsstrecke {x0 + t(x − x0 ) | 0 ≤ t ≤ 1} in V enthalten ist.
Lemma 4. Sei V ⊆ Rn offen und sternförmig bezüglich 0 ∈ V . Sei f ∈ C ∞ (V ).
Dann existieren Funktionen gi ∈ C ∞ (V ) (i = 1, . . . , n) mit gi (0) = ∂f /∂xi (0) und
so, dass für alle x ∈ V gilt
f (x) = f (0) +
n
X
xi gi (x).
i=1
Beweis. Es ist
f (x) = f (0) +
Z
1
0
d
f (tx) dt = f (0) +
dt
Man setzt
gi (x) =
Z
1
0
∂f
(tx) dt.
∂xi
Z
1
0
∂f
(tx)dt · xi
∂xi
QED
3.8. Wir kommen nun zum Beweis von Satz 3.6 und zeigen zunächst, dass Φp
wohldefiniert ist. Sei (ϕ, U ) eine Karte mit p ∈ U . Dann ist
d Φp ([c])f =
(f ◦ ϕ−1 ◦ ϕ ◦ c)(t)
dt 0
d(ϕ ◦ c)
(0).
(3.8.1)
= D(f ◦ ϕ−1 )(ϕ(p))
dt
Folglich hängt Φp ([c])f nicht von c selbst, sondern nur von der Äquivalenzklasse [c]
ab. Dass Φp ([c]) eine Derivation an p ist, also Φp ([c]) ∈ Tp M gilt, ergibt sich aus
der Produktregel der Differentialrechnung.
Für den Nachweis, dass Φp : Tp M → Tp M eine lineare Abbildung ist, sei (ϕ, U )
eine Karte an p. Nach Gleichung (3.8.1) gilt dann
Φp ([c])f = D(f ◦ ϕ−1 )(ϕ(p)) A([c]),
mit A wie in 3.3. Da A und D(f ◦ ϕ−1 )(ϕ(p)) lineare Abbildungen sind, ist auch
Φp linear.
Als nächstes zeigen wir, dass Φp injektiv ist. Ist Φp ([c]) = 0, dann gilt nach (3.8.1)
für alle f ∈ C ∞ (M )
0 = Φp ([c])f
d(ϕ ◦ c)
(0)
dt
n
X
∂(f ◦ ϕ−1 )
d(ϕi ◦ c)
=
(ϕ(p))
(0).
i
∂x
dt
i=1
= D(f ◦ ϕ−1 )(ϕ(p))
22
Dabei bezeichnet ϕi die i-te Komponente von ϕ : U → Rn . Wir wählen U1 ⊆ U
und σ wie in Lemma 2 von 3.7 und setzen
σ(q)ϕj (q), für q ∈ U
f (q) =
0,
für q ∈ M \ U ,
Dann gilt f ◦ ϕ−1 (x) = xj für alle x ∈ ϕ(U1 ) und daher
0 = Φp ([c])f =
d(ϕj ◦ c)
(0).
dt
Es folgt (d(ϕ ◦ c)/dt)(0) = 0, und damit [c] = 0. Also ist Φp injektiv.
Abschließend zeigen wir, dass Φp surjektiv ist. Sei (ϕ, U ) eine Karte an p. Wir
behaupten, dass für jede Derivation X ∈ Tp M gilt
∂ Xϕ ·
X=
∂xi p
i=1
n
X
i
(3.8.2)
∂ mit den in 3.5 definierten Elementen ∂x
∈ Tp M . Daraus folgt, dass die Dimeni
p
sion von Tp M höchstens n ist. Da Φp : Tp M → Tp M injektiv und linear ist, und
da Tp M die Dimension n hat, muss dann Φp surjektiv sein.
Es bleibt Gleichung (3.8.2) zu verifizieren. Man kann annehmen, dass ϕ(p) = 0 ist,
und dass ϕ(U ) bezüglich 0 sternförmig ist. Sei f ∈ C ∞ (M ). Dann ist nach Lemma
4 für x ∈ ϕ(U )
n
X
xi gi (x),
f ◦ ϕ−1 (x) = (f ◦ ϕ−1 )(0) +
i=1
−1
i
wobei gi (0) = (∂(f ◦ ϕ )/∂x )(0) ist. Sei ϕ∗ X ∈ T0 (Rn ) die durch (ϕ∗ X)g =
X(g ◦ ϕ) für g ∈ C ∞ (Rn ) definierte Derivation. Dann ist, wenn xi die i–te Koordinatenfunktion des Rn bezeichnet,
Xf = X(f |U ) = X(f ◦ ϕ−1 ◦ ϕ)
= (ϕ∗ X)(f ◦ ϕ−1 )
n
X
= (ϕ∗ X) f (p) +
xi g i
i=1
n
X
=
(ϕ∗ X)xi · gi (0) + xi (0) · (ϕ∗ X)gi
i=1
n
X
∂(f ◦ ϕ−1 )
(0)
∂xi
i=1
X
n
∂ f da xi ◦ ϕ = ϕi ,
=
Xϕi ·
i
∂x
p
i=1
=
X(xi ◦ ϕ)
23
und Gleichung (3.9.1) ist bewiesen. QED
Korollar zum Beweis. Ist (ϕ, U ) eine Karte an p, dann ist
∂ ∂ ,...,
∂x1 p
∂xn p
eine Basis von Tp M . Unter dem Isomorphismus Φp entspricht ∂/∂xi p dem durch
die i-te Koordinatenlinie durch p gegebenen Tangentialvektor [c] mit
(i)
c(t) = ϕ−1 ϕ(p) + (0, . . . , 0, t , 0, . . . , 0) .
3.10. Transformationsverhalten bei Kartenwechsel.
Sind∂ (ϕ, U ) und (ϕ̃, Ũ )
∂ und ∂ x̃i |p , dann gilt
Karten an p mit den entsprechenden Basisvektoren ∂x
i
p
n
X
∂(ϕ̃j ◦ ϕ−1 )
∂ ∂ =
.
(ϕ(p))
∂xi p j=1
∂xi
∂ x̃j p
(3.10.1)
Zum Beweis zeigt man, dass beide Seiten, auf beliebiges f ∈ C ∞ (M ) angewandt,
dasselbe ergeben. In traditioneller Schreibweise ist der Kartenwechsel ϕ̃ ◦ ϕ−1
dadurch gegeben, dass man die Koordinaten x̃i als Funktion der xi hat, also
x̃i = x̃i (x1 , . . . , xn ),
und man schreibt ∂ x̃j /∂xi für das Element ∂(ϕ̃j ◦ ϕ−1 )/∂xi der Jacobimatrix. Man
erhält so die einprägsame Gleichung
oder, kurz und ungenau,
n
X
∂ ∂ ∂ x̃j
=
(x(p))
∂xi p j=1 ∂xi
∂ x̃j p
n
X ∂ x̃j ∂
∂
=
.
i
∂x
∂xi ∂ x̃j
j=1
(3.10.1)0
Sind X i und X̃ i die Komponenten eines Vektors X ∈ Tp M bezüglich der beiden
Basen, also
n
n
X
X
i ∂ i ∂ X=
X
=
X̃
,
∂xi ∂ x̃j i=1
p
i=1
p
dann folgt durch Einsetzen von (3.10.1) und Koeffizientenvergleich
X̃ j =
n
X
∂(ϕ̃j ◦ ϕ−1 )
(ϕ(p)) · X i .
i
∂x
i=1
24
(3.10.2)
In Matrixschreibweise wird das
 1
 1
X̃
X
 ...  = J(ϕ̃ ◦ ϕ−1 )(ϕ(p))  ...  ,
X̃ n
Xn
und in traditioneller Schreibweise
X̃ j =
n
X
∂ x̃j
i=1
∂xi
X i.
(3.10.2)0
Bemerkung. Sind umgekehrt für jede Karte (ϕ, U ) an p eines Atlas Komponenten
X 1 , . . . , X n ∈ R gegeben dergestalt, dass für je zwei Karten und die zugehörigen
Komponenten die Transformationsregel (3.10.2) gilt, dann existiert genau ein Tangentialvektor X ∈ Tp M , so dass für jede Karte des Atlas gilt
∂ X
X=
∂xi p
i=1
n
X
i
(∗)
Zum Beweis definiert man X durch (∗) bezüglich einer Karte und rechnet mittels (3.10.2) nach, dass (∗) dann für alle Karten gilt. Diese Bemerkung führt auf
eine weitere, die traditionelle Definition des Tangentialvektors als einer Größe, die
bezüglich jedes Koordinatensystems durch ein n-Tupel X 1 , . . . , X n gegeben ist mit
der Eigenschaft, dass bei Wechsel des Koordinatensystems gilt
X̃ j =
n
X
∂ x̃j
i=1
∂xi
X i.
Eine genaue Formulierung dieser Definition findet sich in Aufgabe 3.
Aufgaben
In Aufgaben 1 und 2 wird folgendes Skalarprodukt auf Tangentialräumen Tp M ⊆
Tp Rn verwendet:
n
X
h(p, v), (p, w)i :=
v i wi .
i=1
1. Lagrange–Multiplikatoren. (a) Die Untermannigfaltigkeit M ⊆ Rn sei
definiert als Niveaumenge M = f −1 (c) einer differenzierbaren Abbildung h : V →
Rl mit Rang (Dh(p)) = l für p ∈ M . Zeigen Sie, dass die Tangentialvektoren
(p, grad(hi )(p)) ∈ Tp Rn senkrecht auf dem Tangentialraum Tp M stehen und eine
Basis des Normalenraumes (Tp M )⊥ bilden.
25
(b) Die Funktion f : M → R sei differenzierbar und habe ein lokales Extremum
an der Stelle p ∈ M . Zeigen Sie, dass (p, grad(f )) ∈ (Tp M )⊥ ist. Folgern Sie, dass
Zahlen λ1 , . . . , λl ∈ R existieren mit der Eigenschaft
l
X
grad f −
λi hi (p) = 0.
i=1
2. Normalenbündel. Sei M ⊆ Rn eine C k –Untermannigfaltigkeit. Zeigen Sie
unter Verwendung lokaler Parametrisierungen, dass das Tangentialbündel T M und
das Normalenbündel T ⊥ M von M , definiert als
T M :=
[
p∈M
Tp M
und T ⊥ M :=
[
(Tp M )⊥ ,
p∈M
C k−1 –Untermannigfaltigkeiten von R2n sind.
3. Tangentialraum. Seien (M, A) eine n-dimensionale C ∞ –Mannigfaltigkeit und
p ∈ M . Sei Tripp M die Menge aller Tripel (p, ξ, (ϕ, U )), wobei ξ ∈ Rn ist und
(ϕ, U ) ∈ A eine Karte mit p ∈ U . Auf Tripp M definieren wir eine Äquivalenzrelation ∼ wie folgt:
(p, ξ, (ϕ, U )) ∼ (p, ξ 0 , (ϕ0 , U 0 )) :⇐⇒ D(ϕ0 ◦ ϕ−1 )(ϕ(p)) ξ = ξ 0
Wir definieren Tangp M := Tripp M/ ∼ als die Menge der Äquivalenzklassen.
(a) Zeigen Sie, dass ∼ eine Äquivalenzrelation ist.
(b) Zeigen Sie, dass durch
λ1 [(p, ξ1 , (ϕ, U ))] + λ2 [(p, ξ2 , (ϕ, U ))] = [(p, λ1 ξ1 + λ2 ξ2 , (ϕ, U ))]
(λi ∈ R) eine Vektorraumstruktur auf Tangp M wohldefiniert wird.
(c) Finden Sie kanonische Vektorraumisomorphismen und ihre Umkehrabbildungen von Tangp M auf Tpgeo M und Tp M , und auf Tp M im Falle von Untermannigfaltigkeiten des Rm .
26
4. Ableitungen und Tangentialbündel
Eine differenzierbare Abbildung f : M → N zwischen Mannigfaltigkeiten induziert
lineare Abbildungen Tp f : Tp M → Tf (p) N zwischen entsprechenden Tangentialräumen. Dieser linearen Abbildung Tp f , die als die Ableitung von f an der Stelle
p bezeichnet wird, ist der erste Teil des Kapitels gewidmet. Danach führen wir das
Tangentialbündel T M einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ein, die Vereinigung sämtlicher Tangentialräume Tp M . Das Tangentialbündel trägt selbst die
Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit dergestalt, dass die durch differenzierbare Abbildungen f : M → N induzierten Abbildungen T f : T M → T N
differenzierbar sind—allerdings mit Verlust einer Differenzierbarkeitsstufe, wenn f
nur endlich oft differenzierbar ist. Ersetzt man in der Definition von T M die Tangentialräume Tp M durch ihre Dualräume (Tp M )∗ , so kommt man zum Kotangentialbündel T ∗ M , das als Phasenraum in der klassischen Mechanik auftritt.
Differenzierbarkeit heißt im folgenden wieder Differenzierbarkeit von der Klasse
C ∞ , soweit nichts anderes gesagt wird. (M, A) bezeichnet eine n-dimensionale
C ∞ –Mannigfaltigkeit.
4.1. Proposition. Seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten und f :
M → N differenzierbar.
(a) Die Abbildung Tp f : Tp M → Tf (p) N , definiert durch
((Tp f )X)g = X(g ◦ f )
für X ∈ Tp M und g ∈ C ∞ (N ), ist wohldefiniert und linear.
(b) Dasselbe gilt für die Abbildung Tpgeof : Tpgeo M → Tfgeo
(p) N ,
(Tpgeo f )[c] = [f ◦ c].
(c) Mit dem in 3.6 definierten Vektorraumisomorphismus Φp : Tpgeo M → Tp M gilt
Tp f ◦ Φp = Φf (p) ◦ Tpgeo f .
∼
Teil (c) lässt sich etwas ungenau so formulieren, dass unter der Identifikation Tp M =
Tpgeo M die Abbildungen Tp f und Tpgeo f einander entsprechen. Sowohl Tp f als auch
Tpgeo f nennt man die Ableitung von f im Punkt p. Wir werden im Folgenden die
Bezeichnung Tp f für beide Abbildungen verwenden. Andere verbreitete Bezeichnungen für Tp f sind f∗p oder f 0 (p), oder auch Df (p).
Zum Beweis von 4.1(a) zeigen wir, dass in der Tat (Tp f )X ∈ Tf (p) N , also eine
Derivation an f (p) ist. Seien dazu g, h ∈ C ∞ (N ). Da X eine Derivation an p ist,
Version: 18. Februar 2000
27
gilt
((Tp f )X)(gh) = X((g ◦ f )(h ◦ f ))
= h(f (p)) X(g ◦ f ) + g(f (p)) X(h ◦ f )
= h(f (p)) ((Tp f )X)g + g(f (p)) ((Tp f )X)h,
wie behauptet. Die Linearität von Tp f ergibt sich unmittelbar aus der Definition.
Um die Wohldefiniertheit von Tpgeo f in (b) zu beweisen, verifizieren wir, dass c1 ∼ c2
impliziert f ◦ c1 ∼ f ◦ c2 . Seien dazu (ϕ, U ) eine Karte an p und (ψ, V ) eine Karte
an f (p). Dann gilt
d d (ψ ◦ f ◦ c1 ) =
(ψ ◦ f ◦ ϕ−1 ) ◦ (ϕ ◦ c1 )
dt 0
dt 0
d(ϕ ◦ c1 )
(0)
= D(ψ ◦ f ◦ ϕ−1 )(ϕ(p)) ·
dt
d(ϕ ◦ c2 )
= D(ψ ◦ f ◦ ϕ−1 )(ϕ(p)) ·
(0)
dt
d (ψ ◦ f ◦ c2 ).
=
dt 0
Die Linearität von Tpgeo f ergibt sich aus der Beschreibung der Vektorraumstruktur
von Tpgeo M in 3.3, oder auch aus (a) und (c), da Φp ein Vektorraumisomorphismus
ist. Der einfache Beweis von (c) bleibt dem Leser überlassen. QED
4.2. Eigenschaften. Wichtige Eigenschaften der Ableitung werden beschrieben
durch die Kettenregel, den Satz über inverse Funktionen und allgemeiner den Rangsatz (Aufgabe 3). Sei p ∈ M .
(a) Kettenregel. Sind f : M → N und h : N → P differenzierbar, dann ist h ◦ f
differenzierbar und
Tp (h ◦ f ) = Tf (p) h ◦ Tp f
geo
Tpgeo (h ◦ f ) = Tfgeo
(p) h ◦ Tp f
(b) Ist f : M → N ein Diffeomorphismus, dann ist Tp f (und damit auch Tpgeof )
bijektiv für alle p ∈ M .
(c) Satz über inverse Funktionen. Ist Tp f bijektiv, dann gibt es Umgebungen
U von p und V von f (p) so, dass f |U : U → V ein Diffeomorphismus ist.
Beweis. (a) Die Differenzierbarkeit von h ◦ f wurde in 1.11 gezeigt, die weiteren
Aussagen sind offensichtlich. (b) Es ist f ◦ f −1 = idN und f −1 ◦ f = idM . Auf
diese Gleichungen wendet man (a) an und erhält Tp f ◦ Tf (p) (f −1 ) = idTf (p) N und
Tf (p) (f −1 ) ◦ Tp f = idTp M . Also ist Tp f bijektiv mit inverser Abbildung Tf (p) (f −1 ).
Die entsprechende Behauptung für Tpgeo f folgt nun aus 4.1(c). Den Satz über inverse
Funktionen in (c) beweist man durch Zurückführen auf die entsprechende Aussage
in 2.1 mit Hilfe von Karten. QED
28
Definition. Eine differenzierbare Abbildung f : M → N heißt eine Immersion,
wenn Tp f injektiv ist, eine Submersion, wenn Tp f surjektiv ist, und ein lokaler
Diffeomorphismus, wenn Tp f bijektiv ist für alle p ∈ M . Eine Einbettung ist eine
Immersion f , die ein Homöomorphismus von M auf f (M ) ist.
Ein Beispiel für eine injektive Immersion, die keine Einbettung ist, findet sich in
2.5.2(c); ein Kriterium, wann injektive Immersionen Einbettungen sind, in den Aufgaben.
4.3. Beschreibung von Tp f in lokalen Koordinaten. Sei f : M → N differenzierbar. Ist (ϕ, U ) eine Karte an p ∈ M , und ist (ψ, V ) eine Karte am Bildpunkt f (p), dann hat man nach dem Korollar in 3.8 Basen ∂/∂xi |p von Tp M und
∂/∂y j |f (p) von Tf (p) N . Wir bestimmen die Matrix, welche der linearen Abbildung
Tp f bezüglich dieser Basen entspricht. Zu diesem Zweck setzen wir an
n
X
∂ j ∂ (Tp f )
=
a
i
i
j
∂x p j=1
∂y f (p)
und berechnen die Koeffizienten ai j . Für h ∈ C ∞ (N ) ist
∂ ∂ h=
(h ◦ f )
(Tp f )
∂xi p
∂xi p
∂(h ◦ f ◦ ϕ−1 )
(ϕ(p))
∂xi
∂(h ◦ ψ −1 ◦ ψ ◦ f ◦ ϕ−1 )
=
(ϕ(p))
∂xi
n
X
∂(h ◦ ψ −1 )
∂(ψ j ◦ f ◦ ϕ−1 )
=
(ψ(f (p))) ·
(ϕ(p))
j
∂y
∂xi
j=1
n ∂(ψ j ◦ f ◦ ϕ−1 )
X
∂ =
h
·
(ϕ(p)).
∂y j f (p)
∂xi
j=1
=
Es folgt
(Tp f )
n
X
∂ ∂ ∂(ψ j ◦ f ◦ ϕ−1 )
=
(ϕ(p))
·
∂xi p j=1
∂xi
∂y j f (p)
(4.3.1)
Die der Abbildung Tp f bezüglich der Basen ∂/∂xi |p von Tp M und ∂/∂y j |f (p) von
Tf (p) (N ) entsprechende Matrix ist also die Jacobimatrix von ψ ◦ f ◦ ϕ−1 an der
Stelle ϕ(p).
4.4. Tangentialvektoren an Kurven. Sei I ⊆ R ein Intervall. Wir betrachten
eine differenzierbare parametrisierte Kurve c : I → M in der Mannigfaltigkeit M .
Der Tangentialvektor (oder Geschwindigkeitsvektor ) von c an der Stelle t 0 ∈ I ist
definiert als
d ċ(t0 ) := (Tt0 c) ∈ Tc(t0 ) M.
dt t0
29
Dabei bezeichnet d/dt|t0 ∈ Tt0 I den zum Koordinatensystem (id, R) von R gehörenden Basisvektor (der konsequenterweise eigentlich mit ∂/∂x1 |t0 bezeichnet werden müsste), also die Derivation “Ableitung an der Stelle t0 ”. Nach Definition von
Tt0 c gilt für f ∈ C ∞ (M )
d (f ◦ c),
ċ(t0 )f =
dt t0
und insbesondere ċ(0) = Φp ([c]) mit dem Isomorphismus Φp : Tpgeo M → Tp M aus
3.6. Allgemeiner ist
Φp ([γ]) = ċ(t0 ),
wobei γ die Kurve γ(t) = c(t + t0 ) bezeichnet. Zum Beweis bemerkt man, dass
d d Φp ([γ])f =
f (γ(t)) =
f (c(t)) = ċ(t0 )f .
dt 0
dt t0
In lokalen Koordinaten lässt sich ċ(t0 ) wie folgt beschreiben. Sei (ϕ, U ) eine Karte
an p = c(t0 ). Dann gilt nach Gleichung (3.9.1)
∂ ċ(t0 )ϕ ·
ċ(t0 ) =
∂xi p
i=1
n
X
=
i
n
X
d(ϕi ◦ c)
i=1
dt
∂ (t0 )
.
∂xi p
(4.4.1)
Speziell für M = Rn und die Karte ϕ = id erhält man
ċ(t0 ) =
n
X
dci
i=1
dt
(t0 )
∂ ,
∂xi p
wenn ci die i–te Komponente von c ist. Insofern ist unsere allgemeine Definition
von ċ(t0 ) konsistent mit den üblichen Bezeichnungen der Differentialrechnung im
Rn .
Wir kommen nun zum zweiten Gegenstand des Kapitels, dem Tangentialbündel
einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit.
S
4.5. Tangentialbündel. Die Menge T M = p∈M Tp M aller Tangentialvektoren einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M heißt das Tangentialbündel von
M . Die Abbildung π : T M → M , die jedem Tangentialvektor X ∈ Tp M seinen
Fußpunkt p zuordnet, heißt die (kanonische) Projektion. Für U ⊆ M schreibt man
oft T M |U := π −1 (U ) und nennt T M |U die Einschränkung von T M auf U . Die
einzelnen Tangentialräume Tp M = π −1 (p) bezeichnet man auch als die Fasern des
Tangentialbündels.
30
4.6. T M als Mannigfaltigkeit. Sei (ϕ, U ) ∈ A eine Karte. Für p ∈ U hat man die
zugehörigen Basisvektoren ∂/∂x1 |p , . . . , ∂/∂xn |p des Tangentialraumes Tp M . Wir
definieren ϕ̄ : π −1 (U ) → ϕ(U ) × Rn durch
∂ = ϕ(p), X 1 , . . . , X n .
ϕ̄
X
i
∂x p
i=1
X
n
i
Die Abbildung ϕ̄ ist offensichtlich bijektiv.
Lemma 1. Es gibt genau eine Topologie T auf T M dergestalt, dass für alle
Karten (ϕ, U ) ∈ A gilt: π −1 (U ) ist offen und ϕ̄ : π −1 (U ) → ϕ(U ) × Rn ist ein
Homöomorphismus. Diese Topologie ist hausdorffsch und hat eine abzählbare Basis.
Beweis. Wir zeigen zunächst: Wenn eine Topologie T mit den gewünschten Eigenschaften existiert, dann gilt notwendig
T = { W ⊆ T M | ϕ̄(W ∩ π −1 (U )) ⊆ Rn × Rn ist offen
für jede Karte (ϕ, U ) ∈ A }.
(∗)
Sei T eine solche Topologie, und sei W ⊆ T M offen, also W ∈ T . Dann ist
W ∩ π −1 (U ) ∈ T , und ϕ̄(W ∩ π −1 (U )) ist offen in ϕ(U ) × Rn , also in Rn × Rn , da
ϕ(U ) ⊆ Rn offen ist. Ist umgekehrt W ⊆ T M eine Teilmenge mit der Eigenschaft,
dass für jede Karte (ϕ, U ) ∈ A die Menge ϕ̄(W ∩π −1 (U )) offen in Rn ×Rn ist, dann
ist W ∩π −1 (U ) offen in π −1 (U ), da ϕ̄ ein Homöomorphismus
π −1 (U ) offen in
S ist. Da−1
−1
T M ist, ist W ∩ π (U ) auch offen in T M . Also ist W = {W ∩ π (U ) | (ϕ, U ) ∈
A} offen in T M . Damit ist (∗) verifiziert und die Eindeutigkeit von T bewiesen.
Umgekehrt sieht man leicht, dass durch (∗) tatsächlich eine Topologie mit den
geforderten Eigenschaften definiert wird. QED
Lemma 2. Seien (ϕ1 , U1 ) und (ϕ2 , U2 ) ∈ A. Dann ist der Kartenwechsel
n
n
ϕ̄2 ◦ ϕ̄−1
1 : ϕ1 (U1 ∩ U2 ) × R → ϕ2 (U1 ∩ U2 ) × R
eine C ∞ –Abbildung.
Beweis. Sei X ∈ Tp M . Wir schreiben X als Linearkombination der Basisvektoren
∂/∂xi1 |p und ∂/∂xi2 |p zu den Karten ϕ1 und ϕ2 :
X=
n
X
i=1
X1i
n
X
∂ i ∂ =
X2
.
i
i
∂x1 p i=1
∂x2 p
Ist ξ1 = (X11 , . . . , X1n ) und ξ2 = (X21 , . . . , X2n ), dann gilt nach (3.10.2)
ξ2 = D(ϕ2 ◦ ϕ−1
1 )(ϕ1 (p)) ξ1 .
31
Daher ist für (x, ξ) ∈ ϕ1 (U1 ∩ U2 ) × Rn
−1
−1
(ϕ̄2 ◦ ϕ̄−1
1 )(x, ξ) = ϕ2 ◦ ϕ1 (x), D(ϕ2 ◦ ϕ1 )(x) ξ .
Die Behauptung folgt. QED
Folgerung. Mit dem Atlas { (ϕ̄, π −1 (U )) | (ϕ, U ) ∈ A } wird T M zu einer 2n–
dimensionalen C ∞ –Mannigfaltigkeit und die Projektion π : T M → M zu einer
C ∞ –Abbildung.
Bemerkungen. (a) Ist M eine C k –Mannigfaltigkeit mit endlichem k ≥ 1, dann
ist der soeben definierte Atlas nur ein C k−1 Atlas, wie man den Kartenwechseln im
Beweis von Lemma 2 ansieht.
(b) Der Nullschnitt 0M = {0 ∈ Tp M | p ∈ M } ist eine zu M diffeomorphe Untermannigfaltigkeit von T M . Die Karten ϕ̄ sind angepasst im Sinne von Definition
2.8, und die Einschränkung π|0M der Projektion liefert den Diffeomorphismus von
0M auf M .
4.7. Die Ableitung. Für f ∈ C ∞ (M, N ) definieren wir T f : T M → T N durch
(T f )|Tp M = Tp f (siehe 4.1). Die Abbildung T f heißt die Ableitung von f .
Lemma. Bezüglich der in 4.6 definierten C ∞ –Strukturen auf T M und T N gilt
T f ∈ C ∞ (T M, T N ).
Beweis. Seien (ϕ, U ) eine Karte von M und (ψ, V ) eine Karte von N . Wir zeigen,
dass ψ̄ ◦ T f ◦ ϕ̄−1 eine C ∞ – Abbildung ist. Diese Abbildung
ψ̄ ◦ T f ◦ ϕ̄−1 : ϕ(U ∩ f −1 (V )) × Rn → ψ(f (U ) ∩ V ) × Rn ⊆ R2n
ist mit ξ = (ξ 1 , . . . , ξ n ) wegen (4.3.1) gegeben durch
(ψ̄ ◦ T f ◦ ϕ̄
−1
)(x, ξ) = ψ̄ ◦ T f
= ψ̄
X
i,j
Daher ist
X
i
ξi
∂ ξ
∂xi ϕ−1 (x)
i
∂ ∂(ψ j ◦ f ◦ ϕ−1 )
(x)
i
j
∂x
∂y f (ϕ−1 (x))
(ψ̄ ◦ T f ◦ ϕ̄−1 )(x, ξ) = (ψ ◦ f ◦ ϕ−1 )(x), D(ψ ◦ f ◦ ϕ−1 )(x) ξ ,
und die Behauptung folgt. QED
Bemerkung. Höhere Ableitungen einer Abbildung f ∈ C ∞ (M, N ) sind nun in
naheliegender Weise definiert, so etwa die zweite Ableitung als T T f = T (T f ) :
32
T T M → T T N . Dabei ist T T M = T (T M ) das Tangentialbündel der Mannigfaltigkeit T M , das man auch als das “zweite Tangentialbündel” von M von bezeichnet.
4.8. Vektorfelder. Ein C k –Vektorfeld auf M ist eine C k –Abbildung X : M →
T M mit π ◦ X = idM , das heißt also mit X(p) ∈ Tp M für alle p ∈ M . Die Menge
aller C ∞ –Vektorfelder auf M werden wir im folgenden oft mit V(M ) bezeichnen.
Sie ist ein reeller Vektorraum, und sogar ein Modul über dem Ring C ∞ (M ) der
differenzierbaren Funktionen.
Beispiel. Seien ∂/∂xi |p die durch eine Karte (ϕ, U ) an p definierten Basisvektoren
von Tp M . Dann ist die Abbildung
∂ ∂
: p 7→
∂xi
∂xi p
ein C ∞ –Vektorfeld auf U , das i–te Koordinatenvektorfeld der Karte (ϕ, U ).
Beweis. Die Abbildung ϕ̄ ◦
∂
∂xi
◦ ϕ−1 : ϕ(U ) → ϕ(U ) × Rn ist gegeben durch
∂
∂ = (x, 0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0)
ϕ̄ ◦ i ◦ ϕ−1 (x) = ϕ̄
∂x
∂xi ϕ−1 (x)
und daher von der Klasse C ∞ . QED
Lemma. Sei X : M → T M eine Abbildung mit π ◦ X = idM . Dann ist X ∈
C ∞ (M, T M ) genau dann, wenn für jede Karte (ϕ, U ) ∈ A gilt
X|U =
n
X
i=1
Xi
∂
∂xi
mit Funktionen X i ∈ C ∞ (U ).
Mit anderen Worten: X ist genau dann ein C ∞ –Vektorfeld, wenn die Komponenten bezüglich der Koordinatenvektorfelder jeder Karte C ∞ –Funktionen sind. Der
Beweis ergibt sich sofort aus ϕ̄ ◦ X ◦ ϕ−1 (x) = (x, X 1 (ϕ−1 (x)), . . . , X n (ϕ−1 (x))).
4.9. Kotangentialbündel. Ersetzt man in der Definition des Tangentialbündels
die Tp M durch ihre Dualräume, dann erhält man das Kotangentialbündel von M .
Die Analoga zu den Vektorfeldern sind dann die 1–Formen oder Kovektorfelder.—
Wir erinnern daran, dass der Dualraum V ∗ eines reellen Vektorraumes V definiert ist
als der Vektorraum aller linearen Abbildungen α : V → R. Ist v1 , . . . , vn eine Basis
von V , dann ist die duale Basis α1 , . . . , αn von V ∗ definiert durch die Bedingung
αi (vj ) = δji
33
mit dem Kroneckerdelta
δji
=
1 wenn i = j;
0 wenn i 6= j.
Definition. Der Dualraum Tp∗ M := (Tp M )∗ von S
Tp M heißt der Kotangentialraum
von M im Punkt p. Die Vereinigung T ∗ M = p∈M Tp∗ M heißt das Kotangentialbündel von M , seine Elemente heißen Kotangentialvektoren oder kurz Kovektoren. Die Projektion π : T ∗ M → M ist definiert durch π(α) = p, wenn α ∈ Tp∗ M .
Wie beim Tangentialbündel schreibt man T ∗ M |U := π −1 (U ) für U ⊆ M und
nennt T ∗ M |U die Einschränkung von T ∗ M auf U . Die einzelnen Kotangentialräume
Tp∗ M = π −1 (p) bezeichnet man auch als die Fasern des Kotangentialbündels.
Beispiel. Das Differential df |p ∈ Tp∗ M einer Funktion f ∈ C ∞ (M ) im Punkt p
ist der durch
(df |p )(X) = Xf
für X ∈ Tp M definierte Kovektor.
4.10. Koordinatendifferentiale. Sei (ϕ, U ) eine Karte, ϕ = (ϕ1 , . . . , ϕn ) :
U → Rn . Wir definieren für p ∈ U die Koordinatendifferentiale dxi |p an p als die
Differentiale der Komponentenfunktionen von ϕ, also
dxi |p := dϕi |p ∈ Tp∗ M.
Lemma. Es gilt
∂ = δji .
dx |p
∂xj p
i
Insbesondere ist dx1 |p , . . . , dxn |p eine Basis von Tp∗ M , die zu
duale Basis.
∂ ∂ ∂x1 p , . . . , ∂xn p
Beweis. Mit ϕi ◦ ϕ−1 (x1 , . . . , xn ) = xi ergibt sich
∂ ∂ ∂ i
i
dxi |p
ϕ
=
dϕ
|
=
p
∂xj p
∂xi p
∂xj p
=
∂(ϕi ◦ ϕ−1 )
(ϕ(p)) = δji . QED
∂xj
4.11. Transformationsverhalten bei Kartenwechsel. Sind (ϕ, U ) und (ϕ̃, Ũ )
Karten an p, dann gilt für die entsprechenden Koordinatendifferentiale
dxi |p =
X ∂xi
(ϕ̃(p)) dx̃j |p
j
∂
x̃
j
(4.11.1)
mit der bereits in 3.10 verwendeten Schreibweise. Zum Beweis setzt man an
X
dxi |p =
aij dx̃j |p
j
34
und bestimmt die Koeffizienten aij , indem man beide Seiten dieser Gleichung auf
∂/∂ x̃k anwendet. Es ergibt sich
∂ X
=
aij δkj
dxi |p
∂ x̃k p
j
∂(ϕi ◦ ϕ̃−1 )
(ϕ̃(p)) = aik
∂ x̃k
und damit in der Tat (∂xi /∂ x̃k )(ϕ̃(p)) = aik .
Seien nun αi und α̃i die Komponenten eines Kovektors α ∈ Tp∗ M bezüglich dieser
Koordinatendifferentiale, also
α=
n
X
i=1
αi dxi |p =
n
X
i=1
α̃i dx̃i |p .
Dann ergibt sich aus (4.11.1)
α̃j =
X ∂xi
(ϕ̃(p)) αi .
∂ x̃j
i
(4.11.2)
In Matrixschreibweise lautet das




α1
α̃1
 ...  = D(ϕ ◦ ϕ̃−1 )(ϕ̃(p) T  ... 
αn
α̃n


α1
−1 T
 ... 
= D(ϕ̃ ◦ ϕ−1 )(ϕ(p))
(4.11.3)
αn
mit der zu D(ϕ̃ ◦ ϕ−1 )(ϕ(p)) invers transponierten Abbildung.
4.12. T ∗ M als Mannigfaltigkeit. Um auf T ∗ M die Struktur einer C ∞ –Mannigfaltigkeit zu definieren, geht man wie bei T M vor. Für eine Karte (ϕ, U ) von M
definieren wir ϕ̄ : T ∗ M |U → ϕ(U ) × Rn durch
X
αi dxi |p = (ϕ(p), α1 , . . . , αn ) .
ϕ̄
i
Aus Gleichung (4.11.3) folgt, dass die Kartenwechsel ϕ̄2 ◦ ϕ̄−1
C ∞ –Abbildungen
1
sind. Definiert man die Topologie wie in Lemma 1 von 4.6, dann ergibt sich:
Folgerung. Mit dem Atlas { (ϕ̄, π −1 (U )) | (ϕ, U ) ∈ A } wird T ∗ M zu einer 2n–
dimensionalen C ∞ –Mannigfaltigkeit und die Projektion π : T ∗ M → M zu einer
C ∞ –Abbildung.
35
4.13. Eins–Formen. Eine Eins–Form (oder 1–Form) der Klasse C k auf M ist
eine C k –Abbildung α : M → T ∗ M mit π ◦ α = idM . Eins–Formen nennt man
auch Kovektorfelder. Ist (ϕ, U ) eine Karte, dann sind die Koordinatendifferentiale
dxi : p 7→ dxi |p offensichtlich Eins–Formen der Klasse C ∞ auf U .
Wie bei Vektorfeldern in 4.8 zeigt man: Eine Abbildung α : M → T ∗ M mit π ◦ α =
idM ist eine C ∞ –Eins–Form genau dann, wenn für alle Karten (ϕ, U ) ∈ A gilt
α|U =
n
X
αi dxi
i=1
∞
mit differenzierbaren αi ∈ C (U ).
4.14. Das Differential einer Funktion. Sei f ∈ C ∞ (M ). Dann ist df : M →
T ∗ M , definiert durch df (p) = df |p eine C ∞ –Eins–Form. Die Differenzierbarkeit
ergibt sich aus folgendem
Lemma. Sei f ∈ C ∞ (M ), und sei (ϕ, U ) eine Karte. Dann gilt
n
X
∂f
dxi
df |U =
i
∂x
i=1
mit den C ∞ –Funktionen
(4.14.1)
∂f
∂ f.
: p 7→
∂xi
∂xj p
Pn
i
∗
Beweis. Ist α =
i=1 αi dx |p ∈ Tp M , dann gilt für die Komponenten αj =
j
α(∂/∂x |p ). Speziell für α = df |p ist aber nach der Definition von df |p in 4.9
∂ ∂ df |p
f. QED
=
∂xj p
∂xj p
Man beachte, dass die Notation ∂f /∂xi im Lemma einiger Interpretation bedarf:
Für p ∈ U ist
∂f
∂(f ◦ ϕ−1 )
(p) =
(ϕ(p)) .
i
∂x
∂xi
Man verwendet die Notation wegen ihrer Kürze, und auch wohl, um das traditionelle
Erscheinungsbild der Formel (4.14.1) zu wahren, das der Zeit der “infinitesimalen
Größen” entstammt.
Aufgaben
1. Immersionen und Submersionen. Zeigen Sie, dass jede differenzierbare
Abbildung f : M → N geschrieben werden kann als f = g ◦ h mit einer Immersion
h : M → P und einer Submersion g : P → N . Hinweis: Wählen Sie P = M × N .
36
2. Extrema. Hat die differenzierbare Funktion f : M → R ein Extremum an der
Stelle p ∈ M , dann ist df (p) = 0.
*3. Rangsatz. Sei f : M → N eine C ∞ –Abbildung zwischen differenzierbaren
Mannigfaltigkeiten, die in einer Umgebung U0 des Punktes p ∈ M konstanten Rang
hat, d.h. für alle q ∈ U0 sei Rang(Tq f ) = r konstant. Zeigen Sie, dass Karten (ϕ, U )
an p und (ψ, V ) an f (p) existieren mit der Eigenschaft, dass für alle x ∈ ϕ(U ) gilt:
ψ ◦ f ◦ ϕ−1 (x1 , . . . , xm ) = (x1 , . . . , xr , 0, . . . , 0)
4. Einbettungen. Eine Abbildung f : M → N zwischen topologischen Räumen
heißt eigentlich, wenn das Urbild f −1 (K) jeder kompakten Teilmenge K ⊆ N kompakt ist. Seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten. Zeigen Sie:
(a) Injektive eigentliche Immersionen f : M → N sind Einbettungen.
(b) Das Bild jeder Untermannigfaltigkeit von M unter einer Einbettung f : M → N
ist eine Untermannigfaltigkeit von N .
5. Nullstellenmengen. (a) Zeigen Sie, dass jede abgeschlossene Teilmenge des
Rn die Nullstellenmenge einer C ∞ –Funktion f : Rn → R ist.
Hinweis: Finden Sie zunächst eine Funktion h ∈ C ∞ (Rn , R), die auf einem Ball
positiv ist und überall sonst verschwindet, und deren k–te partielle Ableitungen
beschränkt sind durch |∂i1 . . . ∂ik h| ≤ 2k .
(b) Verallgemeinern Sie die Aussage aus (a) auf abgeschlossene Teilmengen beliebiger differenzierbarer Mannigfaltigkeiten.
37
5. Tensoren
Viele wichtige Objekte der Differentialgeometrie sind Tensorfelder. Neben den uns
schon bekannten Vektorfeldern und Eins–Formen zählen dazu auch Riemannsche
Metriken, allgemeine Differentialformen und Krümmungstensoren, mit denen wir
uns später eingehend beschäftigen werden. In diesem Abschnitt werden zunächst
notwendige Hilfsmittel aus der linearen, genauer gesagt: multilinearen Algebra
bereitgestellt. Für einen endlichdimensionalen reellen Vektorraum V führen wir
die Tensorräume Trs (V ) ein, das sind Vektorräume, deren Elemente gewisse multilineare Abbildungen sind. So wie man linearen Abbildungen nach Wahl von Basen
ihre Matrixkoeffizienten zuordnen kann, lassen sich Tensoren A ∈ Trs (V ) durch ihre
Komponenten Ai1 ···ir j1 ···js in Bezug auf eine Basis von V beschreiben. Die Konstruktionen dieses Kapitels werden im nächsten Abschnitt auf die Tangentialräume
V = Tp M differenzierbarer Mannigfaltigkeiten angewandt.
5.1. Tensoren. Seien V ein n–dimensionaler reeller Vektorraum und V ∗ sein
Dualraum, also der Raum aller linearen Abbildungen V → R. Ein r–fach kovarianter und s–fach kontravarianter Tensor oder kurz (r, s)–Tensor auf V ist eine
R–multilineare Abbildung
A : V × · · · × V × V ∗ × · · · × V ∗ → R.
{z
} |
{z
}
|
r Faktoren
s Faktoren
Multilinearität bedeutet dabei Linearität in jeder der r + s Variablen. Die Menge
aller (r, s)–Tensoren ist ein reeller Vektorraum, den wir mit Trs (V ) bezeichnen. Wir
definieren außerdem T00 (V ) = R. Speziell ist nun
T10 (V ) = V ∗
T01 (V ) = V ∗∗ ∼
= V,
wobei der kanonische Isomorphismus V ∼
= V ∗∗ gegeben ist durch
v(v ∗ ) = v ∗ (v)
(5.1.1)
für v ∈ V und v ∗ ∈ V ∗ . Auf diese Weise liefert jedes Element v von V eine lineare Abbildung V ∗ → R, also ein Element des Dualraumes V ∗∗ = (V ∗ )∗ . Diesen
Isomorphismus werden wir im Folgenden oft stillschweigend verwenden, um V mit
T01 (V ) zu identifizieren.
Beispiele. (a) Bilinearformen auf V , also z.B. Skalarprodukte, sind Elemente von
T20 (V ).
Version: 18. Februar 2000
38
(b) Sei Hom(V, V ) der Raum der linearen Endomorphismen von V , d.h. der linearen Abbildungen (oder Vektorraumhomomorphismen) von V in sich. Man hat
einen kanonischen Isomorphismus Ψ : T11 (V ) → Hom(V, V ), definiert durch
(Ψ(A))v = A(v, ·) ∈ (V ∗ )∗ ∼
=V
für A ∈ T11 (V ) und v ∈ V . Die inverse Abbildung Ψ−1 : Hom(V, V ) → T11 (V ) ist
gegeben durch
(Ψ−1 (Ā))(v, v ∗ ) = v ∗ (Āv)
für Ā ∈ Hom(V, V ), v ∈ V und v ∗ ∈ V ∗ . Endomorphismen von V sind also im
wesentlichen dasselbe wie (1, 1)–Tensoren.
5.2. Tensorprodukt. Wir definieren eine R–bilineare Abbildung
0
0
s+s
⊗ : Trs (V ) × Trs0 (V ) → Tr+r
0 (V )
wie folgt. Für r = s = 0 oder r 0 = s0 = 0 ist ⊗ ist die übliche Multiplikation
von multilinearen Abbildungen mit reellen Zahlen, den Elementen von T00 (V ) = R.
Andernfalls definieren wir die multilineare Abbildung A ⊗ B durch
0
(A ⊗ B)(v1 , . . . , vr+r0 , v ∗1 , . . . , v ∗s+s ) =
0
A(v1 , . . . , vr , v ∗1 , . . . , v ∗s ) · B(vr+1 , . . . , vr+r0 , v ∗s+1 , . . . , v ∗s+s )
für vi ∈ V und v ∗j ∈ V ∗ . Das so definierte Tensorprodukt ist offensichtlich R–
bilinear und assoziativ, genügt also Rechenregeln
(λ1 A1 + λ2 A2 ) ⊗ B = λ1 (A1 ⊗ B) + λ2 (A2 ⊗ B)
A ⊗ (λ1 B1 + λ2 B2 ) = λ1 (A ⊗ B1 ) + λ2 (A ⊗ B2 )
(A ⊗ B) ⊗ C = A ⊗ (B ⊗ C)
für Tensoren A, B, C und Skalare λ. Insbesondere können wir mehrfache Tensorprodukte A ⊗ B ⊗ C ohne Klammern schreiben. Man beachte aber, dass im
allgemeinen A ⊗ B von B ⊗ A verschieden ist.
Beispiele. (a) Für v1 , v2 ∈ V ∼
= T01 (V ) ist das Produkt v1 ⊗ v1 ∈ T02 (V ) unter
Ausnutzung des kanonischen Isomorphismus V ∼
= V ∗∗ gegeben durch
(v1 ⊗ v2 )(w∗1 , w∗2 ) = v1 (w∗1 ) v2 (w∗2 )
= w∗1 (v1 ) w∗2 (v2 ) .
(b) Für v1 , v2 ∈ V = T01 (V ) und v ∗ ∈ V ∗ = T10 (V ) ist der Tensor v ∗ ⊗ v1 ⊗ v2 ∈
T12 (V ) gegeben durch
(v ∗ ⊗ v1 ⊗ v2 )(w, w∗1 , w∗2 ) = v ∗ (w) v1 (w∗1 ) v2 (w∗2 ).
39
Man beachte, dass gilt v ∗ ⊗ v1 ⊗ v2 = v1 ⊗ (v ∗ ⊗ v2 ) = (v1 ⊗ v2 ) ⊗ v ∗ .
5.3. Lemma. Sei e1 , . . . , en eine Basis von V , und sei e∗1 , . . . , e∗n die dazu duale
Basis von V ∗ , definiert durch die Bedingung e∗i (ej ) = δij . Dann bilden die Tensoren
e∗i1 ⊗ · · · ⊗ e∗ir ⊗ ej1 ⊗ · · · ⊗ ejs
für i1 , . . . , ir , j1 , . . . , js = 1, . . . , n eine Basis von Trs (V ). Insbesondere hat dieser
Raum die Dimension nr+s .
Beweis. Wenn für einen Tensor A ∈ Trs (V ) gilt
A=
dann ist notwendig
X
Ai1 ···ir j1 ···js e∗i1 ⊗ · · · ⊗ e∗ir ⊗ ej1 ⊗ · · · ⊗ ejs ,
Ai1 ···ir j1 ···js = A(ei1 , . . . , eir , e∗j1 , . . . , e∗js ),
(5.3.1)
(5.3.2)
wie man durch Auswerten beider Seiten von (5.3.1) auf den (r + s)–Tupeln
(ek1 , . . . , ekr , e∗l1 , . . . , e∗ls )
einsieht. Daraus folgt bereits die lineare Unabhängigkeit der Elemente e∗i1 ⊗· · ·⊗ejs ,
da sich der Nulltensor A = 0 nur mit verschwindenden Koeffizienten aus ihnen linear
kombinieren lässt. Wenn man umgekehrt zu gegebenem Tensor A die Ai1 ···ir j1 ···js
durch (5.3.2) definiert, dann gilt offenbar auch (5.3.1), so dass die Elemente in der
Tat den Raum Trs (V ) aufspannen. QED
5.4. Komponenten. Die eindeutig bestimmten Koeffizienten Ai1 ···ir j1 ···js in Gleichung (5.3.1) heißen die Komponenten des Tensors A bezüglich der Basis e1 , . . . , en
von V . Viele Operationen mit Tensoren lassen sich einfach mit Hilfe ihrer Komponenten ausdrücken. So lässtP
sich der Isomorphismus Ψ : T11 (V ) → Hom(V, V ) wie
folgt beschreiben. Für A =
Ai k e∗i ⊗ ek und v ∈ V ist
Ψ(A) v = Ψ
X
X
Ai k e∗i (v) ek ∈ V .
Ai k e∗i ⊗ ek v =
Betrachtet man den oberen Index als Zeilenindex und den unteren als Spaltenindex, dann ist also Ai k gerade die Matrix des Endomorphismus Ψ(A) ∈ Hom(V, V )
bezüglich der Basis e1 , . . . , en im Sinne der linearen Algebra.
Die Komponenten eines Tensorproduktes ergeben sich einfach als Produkte der
Komponenten der Faktoren. Zum Beispiel ist
X
X
X
Aij k Bp q e∗i ⊗ e∗j ⊗ e∗p ⊗ ek ⊗ eq ,
Bp q e∗p ⊗ eq =
Aij k e∗i ⊗ e∗j ⊗ ek ⊗
40
also gilt für die Komponenten von A ⊗ B
(A ⊗ B)ijp kq = Aij k Bp q .
5.5. Basiswechsel. Ist ẽ1 , . . . , ẽn eine zweite Basis von V , und ist ẽ∗1 , . . . , ẽ∗n die
dazu duale Basis von V ∗ , dann gilt
X
X
ei =
aki ẽk und e∗i =
bik ẽ∗k
mit gewissen Koeffizienten aki und bki . Dabei ist (bki ) die zu (aki ) inverse Matrix, wie
folgende Rechnung zeigt:
X
X
X
X i m k
δli = e∗i (el ) =
bik ẽ∗k
am
bk a l δm =
bik akl
l ẽm =
m
k
k,m
k
Die Komponenten Ãk1 ···kr l1 ···ls eines Tensors A bezüglich der neuen Basis ẽ1 , . . . , ẽn
lassen sich damit wie folgt bestimmen. Es ist
X
A=
Ai1 ···ir j1 ···js e∗i1 ⊗ · · · ⊗ e∗ir ⊗ ej1 ⊗ · · · ⊗ ejs
X
=
Ai1 ···ir j1 ···js bik11 · · · bikrr alj11 · · · aljss ẽ∗k1 ⊗ · · · ⊗ ẽ∗kr ⊗ ẽl1 ⊗ · · · ⊗ ẽls
und daher
Ãk1 ···kr l1 ···ls =
X
Ai1 ···ir j1 ···js bik11 · · · bikrr alj11 · · · aljss ,
(5.5.1)
wobei die Indizes i1 , . . . , ir und j1 , . . . , js jeweils von 1 bis n summiert werden.
5.6. Kontraktion von Tensoren. Die zweite wichtige algebraische Operation auf
Tensoren nach dem Tensorprodukt ist die Kontraktion oder Spurbildung über einen
oberen und einen unteren Index. Ist zunächst A ∈ T11 (V ), dann definieren wir C11 (A)
als die Spur des Endomorphismus Ψ(A) ∈ Hom(V, V ). Dabei ist Ψ der Isomorphismus aus 5.1, und es ist zu beachten, dass die Spur eines Endomorphismus nicht
von einer Basiswahl abhängt. C11 ist eine lineare Abbildung T11 (V ) → T00 (V ) = R.
Bezüglich einer Basis e1 , . . . , en von V ist dann
X
A=
Ai j e∗i ⊗ ej
X
C11 (A) =
Ai i .
Allgemein definieren wir nun für 1 ≤ µ ≤ r und 1 ≤ ν ≤ s eine lineare Abbildung
s−1
Cµν : Trs (V ) → Tr−1
(V )
wie folgt: Cµν (A)(v1 , . . . , vr−1 , v ∗1 , . . . , v ∗s−1 ) ist die Spur des (1, 1)–Tensors
A(v1 , . . . , vµ−1 , ?, vµ , . . . , vr−1 , v ∗1 , . . . , v ∗ν−1 , ?, v ∗ν , . . . , v ∗s−1 ),
41
wobei die Fragezeichen ? Leerstellen bedeuten. Bezüglich einer Basis von V gilt
dann
X
Cµν (A) =
Ai1 ···iµ−1 kiµ ···ir−1j1 ···jν−1 kjν ···js−1 e∗i1 ⊗ · · · ⊗ e∗ir−1 ⊗ ej1 ⊗ · · · ⊗ ejs−1 ,
wobei nun auch über den Index k summiert wird. Die Komponenten von Cµν (A)
erhält man also, indem man den µ–ten unteren und den ν–ten oberen Index gleichsetzt und aufsummiert. Die Abbildung Cµν heißt die Kontraktion (oder Spurbildung,
oder auch Verjüngung) über den µ–ten unteren und ν–ten oberen Index.
5.7. Überschiebungen. Kombinationen Cµν (A ⊗ B) von Tensorprodukt und
Kontraktion bezeichnet man gelegentlich als Überschiebungen der Tensoren A und
B. Wir zeigen als Beispiel, dass das “Einsetzen” eines Vektors in einen (2, 1)–Tensor
eine solche Überschiebung ist. Seien dazu A ∈ T21 (V ) und X ∈ T01 (V ). Dann ist A
eine multilineare Abbildung A : V × V × V ∗ → R, und durch Einsetzen von X an
der ersten Stelle entsteht daraus
A(X, ·, ·) ∈ T11 (V ).
Wir zeigen
A(X, ·, ·) = C12 (A ⊗ X),
das Tensorprodukt gefolgt von einer Kontraktion. Wir verifizieren das durch Rechnen mit Komponenten, wobei wir einige Summenzeichen weglassen. Es ist
und damit
A ⊗ X = (Ai1 i2 j1 e∗i1 ⊗ e∗i2 ⊗ ej1 ) ⊗ (X j2 ej2 )
= Ai1 i2 j1 X j2 e∗i1 ⊗ e∗i2 ⊗ ej1 ⊗ ej2 ,
C12 (A ⊗ X) = Aki2 j1 X k e∗i2 ⊗ ej1
Andererseits ist
= Aki j X k e∗i ⊗ ej .
A(X, ·, ·) = (Ai1 i2 j e∗i1 ⊗ e∗i2 ⊗ ej )(X, ·, ·)
= Ai1 i2 j e∗i1 (X) e∗i2 ⊗ ej
= Ai1 i2 j X i1 e∗i2 ⊗ ej ,
und Umbenennen von Summationsindizes liefert die Behauptung.
5.8. Summationskonvention. Zur Vereinfachung der Schreibweise ist es oft
bequem, bei Rechnungen mit Tensoren die Summenzeichen fortzulassen. Dabei ist
dann vereinbart, dass über alle Indizes, die doppelt auftreten, und zwar einmal als
unterer und das andere Mal als oberer Index, zu summieren ist. Man schreibt also
zum Beispiel für A ∈ Trs (V )
A = Ai1 ...ir j1 ...js e∗i1 ⊗ · · · ⊗ e∗ir ⊗ ej1 ⊗ · · · ⊗ ejs
42
Summiert werden hier alle Indizes von 1 bis n. Spurbildung bei Tensoren geschieht
dann einfach durch Gleichsetzen eines oberen mit einem unteren Index, etwa so:
C12 (A) i2 ...ir j1 j3 ...js = Aii2 ...ir j1 ij3 ...js .
In diesem Fall ist über i zu summieren. Wir werden diese Konvention bei allgemeinen Betrachtungen im Folgenden häufig anwenden.
5.9. Allgemeinere Tensoren. Es ist gelegentlich nützlich, den Begriff des (r, s)–
Tensors dahingehend zu verallgemeinern, dass nicht notwendig die ersten r Argumente aus V und die letzten s aus V ∗ stammen müssen. Man erhält auf diese Weise
Objekte wie etwa
Ai jk l e∗i ⊗ ej ⊗ ek ⊗ e∗l ,
eine multilineare Abbildung V × V ∗ × V ∗ × V → R. Dabei ist zu beachten, dass die
Position der Indizes beschreibt, um welchen Typ von Tensor es sich handelt—und
das ist der Grund, warum wir bei den Komponenten eines Tensors bereits in (5.3.1)
die Indizes in spezieller Position geschrieben haben. Das bei dieser Schreibweise
verwendete Tensorprodukt ist aber ein anderes als das in 5.2 definierte: Nach der
Definition in 5.2 ist nämlich
e∗i ⊗ ej ⊗ ek ⊗ e∗l = e∗i ⊗ e∗l ⊗ ej ⊗ ek ,
und das ist eine multilineare Abbildung V × V × V ∗ × V ∗ → R, und nicht V ×
V ∗ × V ∗ × V → R. Beim Umgang mit den allgemeineren Tensoren hingegen bildet
man Tensorprodukte einfach durch Hintereinanderschreiben, ohne die Reihenfolge
der ei und e∗j zu ändern: Man hat wie vorher zum Beispiel
(Ai jk e∗i ⊗ ej ⊗ ek ) ⊗ (Bl m e∗l ⊗ em ) = Ai jk Bl m e∗i ⊗ ej ⊗ ek ⊗ e∗l ⊗ em ,
verzichtet aber dann darauf, e∗l vor ej zu schreiben. Betrachtet man nur rein
kovariante, also (r, 0)–Tensoren oder nur rein kontravariante, d.h. (0, s)–Tensoren,
dann stimmen beide Definitionen offensichtlich überein; für “gemischte” Tensoren
unterscheiden sie sich.
Aufgaben
1. Tensorprodukt. Seien V und W endlichdimensionale reelle Vektorräume und
V ∗ , W ∗ ihre Dualräume. Wir definieren V ⊗ W als den Vektorraum aller bilinearen
Abbildungen A : V ∗ × W ∗ → R. Für v ∈ V und w ∈ W ist das Tensorprodukt
v ⊗ w ∈ V ⊗ W definiert durch
(v ⊗ w)(v ∗ , w∗ ) = v(v ∗ ) w(w∗ ) ,
wobei wie in (5.1.1) v(v ∗ ) = v ∗ (v) ist, also V mit T01 (V ) kanonisch identifiziert
wird, und entsprechend für W .
43
← Vorsicht!
(a) Sei v1 , . . . , vn eine Basis von V und w1 , . . . , wl eine Basis von W . Zeigen Sie,
dass die Elemente vi ⊗ wµ für i = 1, . . . , n und µ = 1, . . . , l eine Basis von V ⊗ W
bilden.
(b) Sei Hom(V, W ) der Vektorraum der linearen Abbildungen von V nach W , und
sei U ein weiterer endlichdimensionaler reeller Vektorraum. Beschreiben Sie kanonische Isomorphismen
Hom(V, W ) ∼
=V∗⊗W
∗ ∼
(V ⊗ W ) = V ∗ ⊗ W ∗
V ⊗ (W1 ⊕ W2 ) ∼
= (V ⊗ W1 ) ⊕ (V ⊗ W2 )
V ⊗ (W ⊗ U ) ∼
= (V ⊗ W ) ⊗ U
jeweils mit und ohne Verwendung einer Basis.
2. Schiefsymmetrische Tensoren. Ein (r, 0)–Tensor A auf dem Vektorraum V
heißt schiefsymmetrisch, wenn für jede Permutation π der Menge {1, . . . , r} und
alle vi ∈ V gilt
A(vπ(1) , . . . , vπ(r) ) = sign(π) A(v1 , . . . , vr ) .
Dabei bezeichnet sign(π) das Vorzeichen der Permutation π, ist also +1 für gerade
und −1 für ungerade Permutationen. Zeigen Sie:
(a) Ist A ∈ Tr0 (V ) beliebig, dann ist S(A), definiert durch
S(A)(v1 , . . . , vr ) :=
1 X
sign(π)A(vπ(1) , . . . , vπ(r) ),
r! π
ein schiefsymmetrischer Tensor. Dabei ist über alle Permutationen π der Menge
{1, . . . , r} zu summieren.
(b) Die Schiefsymmetrisierung S : Tr0 (V ) → Tr0 (V ) ist eine lineare Abbildung mit
S ◦ S = S.
3. Äußeres Produkt. Sei nun Schief r (V ) der Raum der schiefsymmetrischen
(r, 0)–Tensoren. Wir definieren eine bilineare Abbildung
∧ : Schief q (V ) × Schief r (V ) → Schief q+r (V ),
das äußere Produkt oder Dachprodukt schiefsymmetrischer Tensoren, durch
A∧B =
(q + r)!
S(A ⊗ B)
q! r!
mit der Schiefsymmetrisierung S aus Aufgabe 2. Zeigen Sie:
(a) Für A ∈ Schief q (V ) und B ∈ Schief r (V ) gilt
A ∧ B = (−1)qr B ∧ A .
44
(b) Das Dachprodukt ist assoziativ:
(A ∧ B) ∧ C = A ∧ (B ∧ C)
(c) Ist α1 , . . . , αn eine Basis von V ∗ , dann bilden die Elemente
αi 1 ∧ α i 2 ∧ . . . ∧ α i r
mit i1 < i2 < . . . < ir eine Basis von Schief r (V ). Insbesondere hat dieser Raum die
Dimension nr .
45
6. Tensorfelder, Faserbündel
Ersetzt man in der Definition des Tangentialbündels T M einer differenzierbaren
Mannigfaltigkeit die Tangentialräume Tp M durch die Tensorräume Trs (Tp M ), so
gelangt man zum Bündel der (r, s)–Tensoren auf M , das selbst wieder die Struktur
eine differenzierbaren Mannigfaltigkeit trägt. Die Analoga zu den Vektorfeldern
heißen Tensorfelder. Da lokale Koordinaten Basen für die Tangentialräume T p M
liefern, lassen sich Tensorfelder durch Komponentenfunktionen beschreiben, so wie
wir das im Spezialfall der Vektorfelder und auch der Eins–Formen bereits getan
haben. In der Praxis ist ein Tensorfeld oft als eine Abbildung gegeben, die (r + s)–
Tupeln, bestehend aus r Vektorfeldern und s Eins–Formen, reellwertige Funktionen auf M zuordnet, und die multilinear über dem Ring C ∞ (M ) der differenzierbaren Funktionen ist. Eine entsprechende Charakterisierung liefert Satz 6.8.
Tensorbündel sind spezielle Beispiele von Vektorraumbündeln und, allgemeiner,
Faserbündeln. Auf diese Begriffe gehen wir zum Abschluss des Kapitels kurz ein.
Im Folgenden ist (M, A) eine n–dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit. Differenzierbarkeit bedeutet Differenzierbarkeit von der Klasse C ∞ . Wir verwenden
die Summationskonvention aus Abschnitt 5.8.
6.1. Tensorbündel. Die Menge
Trs M =
[
p∈M
Trs (Tp M )
heißt das Bündel der r–fach kovarianten und s–fach kontravarianten Tensoren, oder
kurz: Bündel der (r, s)–Tensoren auf M . Die Projektion π : Trs M → M ordnet
jedem Tensor A ∈ Trs (Tp M ) seinen Fußpunkt π(A) = p zu.
Spezialfälle sind uns bereits begegnet: Es ist T00 M = M × R, außerdem ist
[
[
T01 M =
(Tp M )∗∗ =
Tp M = T M
p∈M
T10 M
p∈M
∗
das Tangentialbündel und
= T M das Kotangentialbündel von M . Dem
Muster von T M und T ∗ M folgend, führen wir nun auf Trs M die Struktur einer
differenzierbaren Mannigfaltigkeit ein, und definieren dann (r, s)–Tensorfelder als
Schnitte des Bündels π : Trs M → M , das heißt als Abbildungen A : M → Trs M mit
π ◦ A = idM . Da die Einzelheiten denen bei T M analog sind, werden wir uns hier
kurz fassen.
6.2. Beschreibung in lokalen Koordinaten. Ist A ∈ Trs (Tp M ), und ist (ϕ, U )
eine Karte an p, dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen Ai1 ···ir j1 ···js , die Komponenten von A bezüglich der Karte (ϕ, U ) dergestalt, dass gilt
∂ ∂ ⊗
·
·
·
⊗
(6.2.1)
A = Ai1 ...ir j1 ...js dxi1 |p ⊗ · · · ⊗ dxir |p ⊗
∂xj1 ∂xjs p
Version: 18. Februar 2000
46
p
Ist (ϕ̃, Ũ ) eine weitere Karte an p, und sind ∂/∂ x̃i und dx̃i die entsprechenden
Basisfelder, dann gilt nach 3.10 und 4.11
∂ ∂ ∂ x̃j
(ϕ(p))
=
∂xi p
∂xi
∂ x̃j p
dxi |p =
∂xi
(ϕ̃(p)) dx̃j |p .
∂ x̃j
Setzt man diese Beziehungen in Gleichung (6.2.1) ein, dann erhält man für die
Komponenten von A bezüglich der Karte (ϕ̃, Ũ ) durch Koeffizientenvergleich
Ãk1 ...kr l1 ...ls = Ai1 ...ir j1 ...js
∂xi1
∂xir ∂ x̃l1
∂ x̃ls
· · · kr
· · · js
k
j
1
1
∂ x̃
∂ x̃ ∂x
∂x
(6.2.2)
Ist umgekehrt für jede Karte (ϕ, U ) am Punkt p ein nr+s –Tupel (Ai1 ···ir j1 ···js )
gegeben dergestalt, dass die Transformationsregel (6.2.2) gilt, dann gibt es genau
ein Element A ∈ Trs (Tp M ), dessen Komponenten bezüglich der Karte (ϕ, U ) die
Ai1 ···ir j1 ···js sind.
6.3. Trs M als differenzierbare Mannigfaltigkeit. Sei (ϕ, U ) eine Karte von M .
Wir definieren eine Karte
ϕ̄ : Trs M |U → ϕ(U ) × Rn
r+s
für das Tensorbündel Trs M durch
ϕ̄ Ai1 ...ir j1 ...jr dxi1 |p ⊗ · · · ⊗
∂ = ϕ(p), (Ai1 ···ir j1 ···js ) .
j
s
∂x p
Die Kartenwechsel ϕ̄ ◦ ψ̄ −1 sind wegen (6.2.2) differenzierbar. Definiert man eine
Topologie auf Trs M wie in 4.6, dann wird Trs M zu einer n + nr+s –dimensionalen
differenzierbaren Mannigfaltigkeit.
6.4. Tensorfelder. Ein (differenzierbares) (r, s)–Tensorfeld auf M ist eine (differenzierbare) Abbildung A : M → Trs M mit π ◦ A = idM . Insbesondere sind also
(0, 0)–Tensorfelder reellwertige Funktionen auf M , (0, 1)–Tensorfelder sind Eins–
Formen und (1, 0)–Tensorfelder sind Vektorfelder. Schiefsymmetrische (0, r)–Tensorfelder nennt man r–Formen oder Differentialformen vom Grad r.
Ist (ϕ, U ) eine Karte, und sind ∂/∂xi und dxj die entsprechenden Basisfelder, dann
sind
∂
∂
dxi1 ⊗ · · · ⊗ dxir ⊗ j1 ⊗ · · · ⊗ js
∂x
∂x
differenzierbare Tensorfelder, die an jeder Stelle p ∈ U eine Basis von Trs (Tp M )
bilden. Wie in 4.8 zeigt man folgendes
47
Lemma. Eine Abbildung A : M → Trs M mit π ◦ A = idM ist genau dann differenzierbar von der Klasse C k , wenn für jede Karte (ϕ, U ) ∈ A die durch
A|U =
X
Ai1 ···ir j1 ···js dxi1 ⊗ · · · ⊗ dxir ⊗
∂
∂
⊗ · · · ⊗ js
j
1
∂x
∂x
eindeutig bestimmten Komponentenfunktionen Ai1 ···ir j1 ···js ∈ C k (U ) sind.
Beweis. Mit der Karte aus (6.3) gilt
ϕ̄ ◦ A ◦ ϕ−1 (x) = x, Ai1 ···ir j1 ···js (ϕ−1 (x)) . QED
6.5. Aus dem Lemma in 6.4 folgt unmittelbar, dass Tensorprodukte und Kontraktionen von differenzierbaren Tensorfeldern wieder differenzierbare Tensorfelder
ergeben. Nach 5.7 liefert daher auch das Einsetzen von differenzierbaren Vektorfeldern in differenzierbare Tensorfelder erneut differenzierbare Tensorfelder. Ist zum
Beispiel g ein (2, 0)–Tensorfeld, und sind X und Y Vektorfelder, dann ist g(X, Y )
das (0, 0)–Tensorfeld (also die Funktion)
(g(X, Y ))(p) = g(p)(X(p), Y (p)).
Bezüglich einer Karte (ϕ, U ) ist X|U = X i ∂/∂xi , ebenso Y |U = Y j ∂/∂y j und
g|U = gik dxi ⊗ dxk . Damit ist
∂
∂ g(X, Y )|U = gik dxi ⊗ dxk X j j , Y l l
∂x
∂x
∂ ∂ k
j l
i
dx
= gik X Y dx
∂xj
∂xl
j l i k
= gik X Y δj δl
= gik X i Y k ,
und das ist eine differenzierbare Funktion auf U , wenn die Komponenten gik , X i
und Y k differenzierbar sind.
6.6. Riemannsche Metriken. Eine Riemannsche Metrik auf M ist ein differenzierbares (2, 0)–Tensorfeld g mit der Eigenschaft, dass für jeden Punkt p ∈ M die
bilineare Abbildung
g(p) : Tp M × Tp M → R
symmetrisch und positiv definit, also ein Skalarprodukt ist. Eine Riemannsche Mannigfaltigkeit ist ein Paar (M, g), bestehend aus einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M und einer Riemannschen Metrik g auf M . Die Norm (oder Länge) eines
Vektors X ∈ Tp M ist definiert als
kXk =
p
g(p)(X, X) .
48
In lokalen Koordinaten (ϕ, U ) ist dann
g|U = gik dxi ⊗ dxk
mit den Komponentenfunktionen
gik = g(
∂
∂
,
).
i
∂x ∂xk
Die Symmetrie von g bedeutet, dass gik = gki ist, und die positive Definitheit von
g(p) ist gleichbedeutend mit gik (p)X i X k > 0 für alle (X 1 , . . . , X n ) ∈ Rn \ {0}.
6.7. Charakterisierung von Tensorfeldern. Sei V die Menge der differenzierbaren Vektorfelder auf M , und sei V ∗ die Menge der differenzierbaren Eins–Formen.
Jedes (r, s)–Tensorfeld A induziert eine Abbildung
Ā : V × · · · V × V ∗ × · · · × V ∗ → C ∞ (M )
durch
Ā(X1 , . . . , Xr , α1 , . . . , αs ) (p) := A(p)(X1 (p), . . . , αs (p))
für Vektorfelder Xi und Eins–Formen αj . Diese Abbildung Ā ist nicht nur R–
multilinear, sondern offensichtlich sogar multilinear über dem Ring C ∞ (M ) der
differenzierbaren Funktionen: Für f , g ∈ C ∞ (M ) ist
A(f X + gY, X2 , . . . , αs ) = f A(X, X2 , . . . , αs ) + g A(Y, X2 , . . . , αs ),
und Entsprechendes gilt in den übrigen Variablen. Diese Eigenschaft ist charakteristisch für Tensorfelder:
Satz. Sei
Φ : V × · · · × V × V ∗ × · · · × V ∗ → C ∞ (M )
eine Abbildung, die multilinear über C ∞ (M ) ist. Dann gibt es genau ein differenzierbares (r, s)–Tensorfeld A mit Ā = Φ.
Beweis. Wir geben den Beweis für den Fall r = 1 und s = 0 und überlassen den
allgemeinen Fall dem Lesenden. Für p ∈ M definieren wir A(p) ∈ T10 (Tp M ) durch
A(p)(Xp ) = (Φ(X))(p)
(∗)
wobei Xp ∈ Tp M ist und X ∈ V ein Vektorfeld mit X(p) = Xp .
(a) Wir zeigen zunächst, dass ein solches Vektorfeld X existiert. Sei (ϕ, U ) eine
Karte an p, und sei
X
∂ Xp =
ai
.
∂xi p
49
Man wählt eine Funktion f ∈ C ∞ (M ) mit f (p) = 1, deren Träger supp(f ) in U
enthalten ist (siehe 3.7) und setzt
X(q) =
(
f (q)
0,
P
ai
∂ ∂xi q
, falls q ∈ U ;
falls q ∈ M \U .
(b) Nun zeigen wir, dass (Φ(X))(p) nur von Xp abhängt, nicht von der Wahl des
Vektorfeldes X. Offenbar genügt es, zu zeigen, dass aus X(p) = 0 folgt (Φ(X))(p)
=
P
0. Zum Beweis hiervon seien (ϕ, U ) und f wie in (a). Dann ist X|U = X i ∂/∂xi
mit X i (p) = 0. Es ist f X i ∈ C ∞ (M ) und f ∂/∂xi ∈ V, da f außerhalb von U
verschwindet. Die Linearität von Φ über C ∞ (M ) liefert daher
f 2 Φ(X) = Φ(f 2 X)
X
∂ = Φ f2
Xi i
∂x
X
∂ i
=Φ
fX · f i
∂x
∂ X
i
=
fX · Φ f i .
∂x
Die Auswertung an der Stelle p ergibt (f (p))2 Φ(X)(p) = 0, also Φ(X)(p) = 0.
(c) Aus dem Bisherigen ergibt sich, dass für p ∈ M durch (∗) tatsächlich ein Element
A(p) ∈ T10 (Tp M ) definiert wird. Wir zeigen abschließend, dass die Abbildung A :
p 7→ A(p) differenzierbar ist. Sei (ϕ, U ) eine Karte. Dann ist
A|U =
X
Ai dxi
mit den Komponentenfunktionen Ai = A(∂/∂xi ). Wir zeigen, dass die Ai differenzierbar sind (siehe 6.4). Sei dazu p ∈ U . Nach Lemma 2 in Abschnitt 3.7
existieren eine Umgebung V ⊆ U von p und eine Funktion f ∈ C ∞ (M ) mit Träger
supp(f ) ⊆ U und mit f |V ≡ 1. Dann ist f · ∂/∂xi ∈ V (definiert als 0 außerhalb
von U ), also Φ(f ∂/∂xi ) ∈ C ∞ (M ). Außerdem gilt für die Einschränkung auf V
denn für alle q ∈ V ist
∂ Φ f i = Ai |V ,
∂x V
∂ ∂ Φ f i (q) = A(q) f (q) i = Ai (q),
∂x
∂x q
da f (q) = 1. Also ist Ai |V ∈ C ∞ (V ), und da p ∈ U beliebig war, folgt die
Behauptung. QED
50
6.8. Faserbündel und Vektorraumbündel. Die Tensorbündel einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit sind Beispiele von Faserbündeln, genauer: Vektorraumbündeln. Da diese Begriffe in den Anwendungen der Differentialgeometrie eine
wichtige Rolle spielen, gehen wir kurz darauf ein.
Faserbündel. Seien E, M und F differenzierbare Mannigfaltigkeiten, und sei
π : E → M eine differenzierbare Abbildung. Ein Faserbündelatlas (mit Faser F )
für π ist eine Menge
{ (ψα , E|Uα ) | α ∈ Λ },
wobei {Uα | α ∈ Λ} eine offene Überdeckung von M ist, E|Uα := π −1 (Uα ), und
wobei die Bündelkarten
ψα : E|Uα → Uα × F
Diffeomorphismen sind mit der Eigenschaft, dass das Diagramm
E|
 Uα

πy
Uα
ψα
−→ Uα × F

yproj1
id
−→
Uα
kommutiert, also auf E|Uα gilt π = proj1 ◦ψα . Dabei bezeichnet proj1 : Uα ×F → Uα
die Projektion auf den ersten Faktor. Daraus folgt insbesondere, dass die Abbildung
π surjektiv ist, und auch, dass an jeder Stelle e ∈ E die Ableitung Te π surjektiv ist.
Die Abbildung π ist also eine surjektive Submersion (siehe 4.2). Ein differenzierbares
Faserbündel (mit Faser F ) ist ein Tripel
(E, M, π),
bestehend aus differenzierbaren Mannigfaltigkeiten E und M und einer differenzierbaren Abbildung π : E → M , für die ein Faserbündelatlas (mit Faser F ) existiert.
Die Mannigfaltigkeit E heißt der Totalraum, M die Basis und π die Projektion des
Faserbündels. Das Urbild Ep := π −1 (p) heißt die Faser über dem Punkt p. Man
zeigt leicht, dass jede dieser Fasern Ep eine Untermannigfaltigkeit von E ist, die
vermöge der Abbildung ψα |Ep : Ep → {p} × F ∼
= F diffeomorph zu F ist. Anstelle
des Tripels (E, M, π) bezeichnet man etwas ungenau auch oft den Totalraum E als
ein Faserbündel. Dieser Totalraum ist die Vereinigung aller Fasern Ep , was zum
Namen “Faserbündel” den Anlass gegeben hat. Ein Schnitt des Faserbündels ist
eine Abbildung σ : M → E mit der Eigenschaft π ◦ σ = idM , also mit σ(p) ∈ Ep .
Beispiele. (a) Das Produktbündel mit Faser F über M ist das Faserbündel (M ×
F, M, proj1 ). Es genügt der aus nur einer Bündelkarte bestehende Faserbündelatlas
{(idM ×F , M × F )}. Schnitte sind im Wesentlichen dasselbe wie Abbildungen von
M nach F .
(b) Das Tangentialbündel (T M, M, π) einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M
ist ein Faserbündel mit Faser F = Rn . Schnitte dieses Bündels sind Vektorfelder
auf M .
51
(c) Allgemeiner ist das Tensorbündel Trs M einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit
ein Faserbündel mit Faser F = Trs (Rn ). Bündelkarten sind die Abbildungen
ψα
X
Ai1 ···ir j1 ···js dxi1 |p ⊗ · · · ⊗
p,
X
∂ :=
∂xjs p
Ai1 ...is j1 ...jr e∗i1 ⊗ · · · ⊗ e∗ir ⊗ ej1 ⊗ · · · ⊗ ejs ,
wobei e1 , . . . , en die Standardbasis von Rn bezeichnet. Schnitte des Tensorbündels
sind (r, s)–Tensorfelder.
(d) Das Einheitstangentialbündel SM ⊆ T M einer n–dimensionalen Riemannschen
Mannigfaltigkeit (M, g) ist definiert als die Menge aller Tangentialvektoren X ∈
T M der Norm ||X|| = 1. Bezeichnet π die Einschränkung der Projektion von
T M auf SM , dann ist (SM, M, π) ein Faserbündel mit Faser F = S n−1 , der
(n − 1)–dimensionalen Standardsphäre S n−1 = {x ∈ Rn | ||x|| = 1}. Schnitte dieses
Bündels sind Vektorfelder der konstanten Länge 1.
Vektorraumbündel. Vektorraumbündel sind Faserbündel, bei denen die Fasern
Ep Vektorraumstrukturen tragen, die, grob gesprochen, differenzierbar vom Punkt
p abhängen. Die genaue Definition ist wie folgt. Ein Vektorbündelatlas ist ein
Faserbündelatlas, bei dem die Faser F ein reeller Vektorraum ist und mit der Eigenschaft, dass die Bündelkartenwechsel faserweise linear sind, das heißt: Zu je zwei
Indizes α, β ∈ Λ existiert eine differenzierbare Abbildung γαβ : Uα ∩ Uβ → GL(F )
dergestalt, dass für alle (p, v) ∈ (Uα ∩ Uβ ) × F gilt
ψα ◦ ψβ−1 (p, v) = (p, γαβ (p)v) .
(6.8.1)
Dabei bezeichnet GL(F ) die Menge der Vektorraumautomorphismen von F . Ein
Vektorraumbündel oder kurz Vektorbündel ist ein Faserbündel (E, M, π) zusammen
mit einem maximalen Vektorbündelatlas. Beispiele für Vektorraumbündel sind die
Tensorbündel Trs M . Die in Beispiel (c) angegebenen Bündelkarten bilden einen
Vektorbündelatlas, den man durch Hinzunahme aller verträglichen Bündelkarten
zu einem maximalen vervollständigen kann.
Jede Faser Ep = π −1 (p) eines Vektorraumbündels wird auf folgende Weise zu einem
reellen Vektorraum. Für p ∈ Uα ist die Abbildung ψα |Ep : Ep → {p} × F eine Bijektion, und man überträgt die Vektorraumstruktur von F auf Ep : Für e1 , e2 ∈ Ep
und λ, µ ∈ R setzt man also
λe1 + µe2 := ψα−1 (p, λf1 + µf2 ),
wenn ψα (ej ) = (p, fj ) ist. Diese Definition ist unabhängig von der Wahl von ψα , weil
die Kartenwechsel faserweise linear sind. Man sieht leicht, dass die so definierten
Operationen “Addition” und “Multiplikation mit Skalaren” differenzierbare Abbildungen E × E → E bzw. R × E → E sind.
52
Ist nun π : E → M ein Vektorbündel mit Faser F und Vektorbündelatlas {(ψα ,
E|Uα ) | α ∈ Λ}, dann erhält man ein neues Vektorbündel π : E ∗ → M mit Faser F ∗ ,
das zu E duale Bündel, wie folgt. Es ist (E ∗ )p = (Ep )∗ , der Dualraum von Ep , F ∗
der Dualraum von F , und als Vektorbündelatlas wählt man {(ψα∗ , E ∗ |Uα | α ∈ Λ},
wobei ψα∗ : E|Uα → Uα × F ∗ die faserweise invers transponierte Abbildung ist, also
für p ∈ M
ψα∗ |Ep∗ : Ep∗ → {p} × F ∗
die zu ψα |Ep invers transponierte Abbildung. Man erhält demnach E ∗ aus E, indem
man faserweise zum Dualraum Ep∗ übergeht. Ebenso könnte man faserweise zum
Raum der Tensoren Trs (E) übergehen und erhielte ein Vektorbündel Trs (E) mit
Faser Trs (F ). Wendet man diese Konstruktionen speziell auf E = T M an, so erhält
man das Kotangentialbündel E ∗ = T ∗ M und das Tensorbündel Trs (E) = Trs M .
Eine allgemeine Beschreibung solcher und ähnlicher Konstruktionen findet sich in
Serge Lang’s Fundamentals of Differential Geometry.
Da die Fasern eines Vektorbündels Vektorraumstrukturen tragen, kann man ihre
Schnitte σ : M → E addieren und mit Funktionen f ∈ C ∞ (M ) multiplizieren, wie
wir das vom Spezialfall der Tensorfelder her gewohnt sind. Die Menge der Schnitte,
die oft mit Γ(M, E) oder auch nur Γ(E) bezeichnet wird, erhält so die Struktur
eines Moduls über dem Ring C ∞ (M ), und die Struktur eines Vektorraumes über
dem Körper der reellen Zahlen.
Aufgaben
1. Unterschied. Erklären Sie den Unterschied zwischen Trs (Rn ) und Trs Rn .
2. Äussere Ableitung. Sei α eine differenzierbare r–Form (siehe 6.4) auf M . Wir
definieren eine (r + 1)–Form dα wie folgt. Ist bezüglich lokaler Koordinaten (ϕ, U )
X
α|U =
αi1 ...ir dxi1 ∧ . . . ∧ dxir ,
mit dem Dachprodukt ∧ aus Aufgabe 3 von Kapitel 5, dann setzen wir
dα|U :=
X ∂αi
1 ...ir
∂xj
dxj ∧ dxi1 ∧ . . . dxir ,
(∗)
wobei ∂αi1 ...ir /∂xj wie in 4.14 definiert ist.
(a) Schreiben Sie diese Definition für die Fälle r = 0, 1, 2 explizit aus.
(b) Zeigen Sie, dass die Definition nicht von der Wahl der Karte (ϕ, U ) abhängt:
Verwendet man (∗) mit zwei verschiedenen Karten an p, so ergibt sich dieselbe
Differentialform dα.
(c) Zeigen Sie, dass für jede Differentialform α gilt ddα = 0 (Poincaré–Lemma).
3. Faserbündel. Faserbündel wurden definiert als Abbildungen, für die ein Faserbündelatlas existiert; Vektorbündel dagegen als Faserbündel (E, M, π) zusammen
53
mit einem maximalen Vektorbündelatlas, nicht als Faserbündel, für die ein Vektorbündelatlas existiert. Erklären Sie, warum. Vergleichen Sie mit den Definitionen
von topologischen und differenzierbaren Mannigfaltigkeiten im ersten Kapitel.
4. Einheitstangentialbündel. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit.
(a) Zeigen Sie: Zu jedem p ∈ M existieren eine Umgebung U von p und differenzierbare Vektorfelder e1 , · · · , en auf U mit der Eigenschaft, dass für jedes q ∈ U die
Vektoren e1 (q), · · · , en (q) eine Orthonormalbasis von Tq M bezüglich des Skalarproduktes g(q) bilden. Man nennt (e1 , · · · , en ) ein orthonormales Basisfeld auf U .
Hinweis: Wenden Sie das Orthonormalisierungsverfahren von Gram–Schmidt auf
die Basisfelder einer Karte an.
(b) Zeigen Sie mit Hilfe von Teil (a): Das Einheitstangentialbündel einer n–dimensionalen Riemannschen Mannigfaltigkeit (Beispiel (d) in 6.8) ist ein differenzierbares
Faserbündel mit Faser S n−1 .
5. Triviale Bündel. Zwei Vektorbündel (E1 , M1 , π1 ) und (E2 , M2 , π2 ) heißen
äquivalent, wenn ein fasertreuer und faserweise linearer Diffeomorphismus ihrer Totalräume existiert, d.h. ein Diffeomorphismus f : E1 → E2 mit π2 ◦ f = π1 , dessen
Einschränkung auf jede Faser E1,p diese linear auf E2,p abbildet. Ein Vektorbündel
heißt trivial , wenn es zu einem Produktbündel (M × F, M, proj1 ) (mit einem Vektorraum F ) äquivalent ist. Zeigen Sie:
(a) Ein Vektorbündel (E, M, π) ist genau dann trivial, wenn es n differenzierbare
Schnitte
σ1 , . . . , σn ∈ Γ(M, E)
gibt mit der Eigenschaft, dass für jeden Punkt p ∈ M die Elemente σ1 (p), . . . , σn (p)
eine Basis der Faser Ep bilden.
(b) Das Tangentialbündel des n–dimensionalen Torus M = T n = S 1 × . . . × S 1
(siehe Aufgabe 2, Kapitel 2) ist trivial.
6. Normalenbündel. Sei M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit einer Riemannschen
Mannigfaltigkeit (N, g). Das Tangentialbündel T M wird mit der Teilmenge
(T ι)(T M ) ⊆ T N
identifiziert, wobei T ι die Ableitung der Inklusionsabbildung ι : M → N , ι(p) = p
bezeichnet. Für p ∈ M heißt
Tp M ⊥ := { X ∈ Tp N | g(p)(X, Y ) = 0 für alle Y ∈ Tp M }
S
der Normalenraum von M im Punkt p. Die Vereinigung T M ⊥ = p∈M Tp M ⊥ heißt
das Normalenbündel von M in N .
(a) Verwenden Sie an M angepasste Karten (siehe 2.8), um einen Vektorbündelatlas
für (T M ⊥ , M, π) anzugeben.
(b) Finden Sie einen Vektorbündelatlas für das Normalenbündel des Rotationstorus
M ⊆ R3 aus Aufgabe 2d im zweiten Kapitel. Hinweis: Es genügt ein Atlas mit nur
einer Bündelkarte.
54
7. Vektorfelder und Flüsse
Differenzierbare Vektorfelder, zunächst definiert als Schnitte des Tangentialbündels
der Mannigfaltigkeit M , lassen sich auch als R–lineare Abbildungen des Raumes
C ∞ (M ) der differenzierbaren Funktionen in sich selbst charakterisieren, die eine
Produktregel erfüllen, d.h. die Derivationen im Sinne der Algebra sind. Dieser
Beschreibung ist der Anfang des Kapitels gewidmet. Sie wird dann verwendet,
um die Lieklammer [X, Y ] = XY − Y X zweier Vektorfelder einzuführen. Die
Lieklammer verleiht dem reellen Vektorraum V(M ) der C ∞ –Vektorfelder auf M
die zusätzliche Struktur einer Liealgebra.
Vektorfelder treten auch auf als Geschwindigkeitsfelder stationärer Strömungen auf
M . Man denkt sich dabei M erfüllt von einer in Bewegung befindlichen Flüssigkeit.
Die Geschwindigkeitsvektoren der (Bahnkurven der) einzelnen Flüssigkeitspartikel
bilden zu jedem festen Zeitpunkt ein Vektorfeld auf M . Wenn dieses Geschwindigkeitsfeld selbst nicht von der Zeit abhängt, dann spricht man von einer stationären
Strömung auf M . Derartige Strömungen—d.h. die einzelnen Bahnkurven—lassen
sich aus ihrem Geschwindigkeitsfeld rekonstruieren. Solche der Hydrodynamik
entstammenden Betrachtungen führen zum mathematischen Begriff des Flusses
eines Vektorfeldes und dem der Einparametergruppe von Diffeomorphismen. Diese
Dinge werden im zweiten Teil des Kapitels behandelt. Dabei ergibt sich eine geometrische Deutung der Lieklammer [X, Y ] als Ableitung von Y längs des Flusses
von X, und weiter ein Kriterium dafür, dass vorgegebene Vektorfelder Basisfelder
einer Karte sind.
Wie bisher ist (M, A) eine n–dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit, und
Differenzierbarkeit bedeutet Differenzierbarkeit von der Klasse C ∞ . Buchstaben
X, Y, . . . bezeichnen in diesem Abschnitt Vektorfelder, und V = V(M ) ist die Menge
aller differenzierbaren Vektorfelder auf M . Für den Wert X(p) eines Vektorfeldes
an einer Stelle p ∈ M schreiben wir auch Xp .
7.1. Vektorfelder als Derivationen des Ringes C ∞ (M ). Sei X ein differenzierbares Vektorfeld, und sei f ∈ C ∞ (M ). Wir definieren Xf ∈ C ∞ (M ) durch
(Xf )(p) := Xp f ∈ R.
Statt Xf werden wir gelegentlich X(f ) schreiben.
Zum Beweis,Pdass die Funktion Xf ∈ C ∞ (M ) ist, sei (ϕ, U ) eine Karte. Dann ist
und X|U = X i ∂/∂xi mit Komponenten X i ∈ C ∞ (U ), und für p ∈ U gilt
(Xf )(p) =
n
X
X i (p)
i=1
Version: 18. Februar 2000
55
∂(f ◦ ϕ−1 )
(ϕ(p)) .
∂xi
Also ist
(Xf ) ◦ ϕ−1 =
∞
n
X
i=1
X i ◦ ϕ−1
∂(f ◦ ϕ−1 )
,
∂xi
und das ist in der Tat eine C –Funktion auf ϕ(U ) ⊆ Rn . Diese Beziehung zeigt
auch, dass für Funktionen f ∈ C k (M ) die entsprechende Funktion Xf ∈ C k−1 (M )
ist.
Offenbar gelten für f , g ∈ C ∞ (M ) und für λ ∈ R die Beziehungen
X(f + g) = Xf + Xg
X(λf ) = λ Xf
X(f g) = Xf · g + f · Xg
Beispiele. (a) Sei (ϕ, U ) eine Karte und sei f ∈ C ∞ (U ). Dann ist nach Definition
der Basisfelder ∂/∂xi der Karte
∂
∂(f ◦ ϕ−1 )
f=
◦ϕ,
i
∂x
∂xi
wobei auf der rechten Seite dieser Gleichung eine gewöhnliche partielle Ableitung
in Rn steht. Diese Funktion hatten wir in 4.14 bereits mit ∂f /∂xi bezeichnet.
(b) Sei (ϕ, U ) eine Karte, und sei X ein Vektorfeld auf M . Dann gilt nach Gleichung
(3.8.2)
n
X
∂
X|U =
X(ϕi ) i .
∂x
i=1
Satz. Sei A : C ∞ (M ) → C ∞ (M ) eine R–lineare Abbildung mit der Eigenschaft
A(f g) = A(f ) · g + f · A(g)
(Produktregel)
für alle f, g ∈ C ∞ (M ). Dann existiert genau ein Vektorfeld X ∈ V(M ) mit A(f ) =
Xf für alle f ∈ C ∞ (M ).
Die Produktregel besagt, dass A eine Derivation des Ringes C ∞ (M ) im Sinne der
Algebra ist. Zum Beweis des Satzes bemerken wir, dass die Abbildung f 7→ (Af )(p)
eine Derivation an p, also ein Element Xp ∈ Tp M ist (siehe 3.5 und 3.7). Wir
definieren das Vektorfeld X durch X(p) := Xp und müssen nur
P nochizeigen,i dass X
differenzierbar ist. Bezüglich einer Karte (ϕ, U ) ist X|U =
X(ϕ ) ∂/∂x . Nach
Voraussetzung ist X(ϕi ) = A(ϕi ) ∈ C ∞ (U ), und das Lemma in 4.8 ergibt die
Behauptung. QED
7.2. Lieklammer. Seien X und Y differenzierbare Vektorfelder auf M . Wir
definieren die Abbildung A : C ∞ (M ) → C ∞ (M ) durch Af = X(Y f ) − Y (Xf ),
also
(Af )(p) = Xp (Y f ) − Yp (Xf ) .
56
Eine einfache Rechnung zeigt, dass A die Voraussetzungen des Satzes in 7.1 erfüllt.
Man bezeichnet das A entsprechende Vektorfeld mit [X, Y ] ∈ V(M ) und nennt es
die Lieklammer von X und Y . Es gilt also
[X, Y ]f = X(Y f ) − Y (Xf )
oder kurz [X, Y ] = XY − Y X. Man sagt, dass X und Y kommutieren, wenn ihre
Lieklammer [X, Y ] = 0 ist.
7.3. V(M ) als Liealgebra. Eine reelle Liealgebra ist ein Paar (V, [·, ·]) bestehend
aus einem reellen Vektorraum V und einer R–bilinearen Abbildung
[·, ·] : V × V → V,
(X, Y ) 7→ [X, Y ]
mit den beiden folgenden Eigenschaften: Für alle X, Y und Z aus V gilt
[X, Y ] = −[Y, X]
[[X, Y ], Z] + [[Y, Z], X] + [[Z, X], Y ] = 0
(Schiefsymmetrie)
(Jacobi–Identität)
Lemma 1. Mit der in 7.2 definierten Lieklammer bildet der Vektorraum V(M )
eine Liealgebra.
Beweis. Bilinearität und Schiefsymmetrie sind offensichtlich. Zum Nachweis der
Jacobi–Identität berechnet man für f ∈ C ∞ (M )
[[X, Y ], Z]f = [X, Y ]Zf − Z[X, Y ]f
= XY Zf − Y XZf − ZXY f + ZY Xf ,
und Entsprechendes für die beiden übrigen Terme der Jacobi–Identität. Die Addition aller Terme ergibt Null. QED
Lemma 2. Seien f, g ∈ C ∞ (M ), und sei f X ∈ V(M ) das Vektorfeld (f X)(p) =
f (p)X(p). Dann gilt
[f X, gY ] = f g[X, Y ] + f · Xg · Y − g · Y f · X.
Beweis. Wegen (gY )h = g · Y h gilt für alle h ∈ C ∞ (M )
[f X, gY ]h = (f X)(gY )h − (gY )(f X)h
= f · X(g · Y h) − g · Y (f · Xh)
= f · (Xg · Y h + g · X(Y h)) − g · (Y f · Xh + f · Y (Xh))
= (f · g · [X, Y ] + f · Xg · Y − g · Y f · X ) h.
57
QED
7.4. Lieklammer in lokalen Koordinaten. Wir zeigen zunächst, dass die
Basisfelder jeder Karte untereinander kommutieren. Sei also (ϕ, U ) eine Karte von
M , und seien ∂/∂xi die entsprechenden Basisvektorfelder auf U . Wir behaupten,
dass gilt
h ∂
∂ i
= 0.
(7.4.1)
,
∂xi ∂xj
Zum Beweis berechnen wir für f ∈ C ∞ (M )
h ∂
∂ i
∂ ∂ ∂ ∂ , j f=
f − j
f .
i
i
j
∂x ∂x
∂x ∂x
∂x ∂xi
Nach Beispiel (a) in Abschnitt 7.1 ist
∂(f ◦ ϕ−1 )
∂
f
=
◦ϕ,
∂xi
∂xi
und daher
◦ϕ−1 )
◦ϕ−1 )
h ∂
∂ ∂(f∂x
∂ ∂(f∂x
◦ ϕ ◦ ϕ−1
◦ ϕ ◦ ϕ−1
∂ i
j
i
f=
,
◦ϕ−
◦ϕ
∂xi ∂xj
∂xi
∂xj
∂ 2 (f ◦ ϕ−1 )
∂ 2 (f ◦ ϕ−1 )
=
◦ϕ−
◦ϕ
i
j
∂x ∂x
∂xj ∂xi
=0
wegen der Vertauschbarkeit partieller Ableitungen.
P Damit ist GleichungP(7.4.1) bewiesen. Für Vektorfelder X und Y mit X|U = X i ∂/∂xi und Y |U = Y i ∂/∂xi
ergibt sich daraus nach kurzer Rechnung mittels Lemma 2 in 7.3 die Beziehung
n
X
∂
X(Y i ) − Y (X i )
[X, Y ]U =
∂xi
i=1
n ∂
X
∂
∂
.
=
Xj j Y i − Y j j Xi
∂x
∂x
∂xi
i,j=1
(7.4.2)
7.5. Der Fluss eines Vektorfeldes. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf
M . Eine Integralkurve oder Flusslinie von X ist eine differenzierbare Abbildung
c : I → M eines offenen Intervalls I ⊆ R nach M mit der Eigenschaft
ċ = X ◦ c .
(7.5.1)
Es wird also gefordert, dass der Tangentialvektor ċ(t) der Kurve c zu jedem “Zeitpunkt” t mit dem Wert X(c(t)) des Vektorfeldes an der jeweiligen Stelle übereinstimmt. In lokalen Koordinaten (ϕ, U ) lautet diese Bedingung wegen (4.4.1)
dci
(t) = X i (c(t)) ,
dt
58
i = 1, . . . , n
mit den Komponentenfunktionen ci = ϕi ◦ c. Etwas umgeschrieben werden diese
Gleichungen zu
dci
(t) = (X i ◦ ϕ−1 )(c1 (t), . . . , cn (t)) ,
dt
und das ist bei gegebenem Vektorfeld X ein (autonomes) System gewöhnlicher
Differentialgleichungen für die Funktionen c1 , . . . , cn . Der folgende Satz fasst die
wesentlichen Aussagen über Existenz, Eindeutigkeit und differenzierbare Abhängigkeit von Anfangswerten für Lösungen solcher Systeme in geometrischer Einkleidung
zusammen. Ein Beweis findet sich etwa in Serge Lang’s Fundamentals of Differential
Geometry.
Satz 1. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf M .
(a) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren ein offenes Intervall I ⊂ R mit 0 ∈ I und
eine Integralkurve cp : I → M mit cp (0) = p.
(b) Sind cp und c0p Integralkurven wie in (a), dann stimmen cp und c0p auf dem
Durchschnitt ihrer Definitionsbereiche überein. Daher gibt es ein maximales offenes
Intervall Ip ⊆ R mit der Eigenschaft, dass auf Ip eine Integralkurve cp mit cp (0) = p
existiert.
S
(c) Die Menge U = p∈M Ip × {p} ist eine offene Teilmenge von R × M . Die
durch
φ(t, p) = cp (t)
definierte Abbildung φ : U → M ist differenzierbar.
(d) Es gilt (s + t, p) ∈ U genau dann, wenn (t, p) ∈ U und (s, φ(t, p)) ∈ U ist. Ist
das der Fall, dann gilt
φ(s, φ(t, p)) = φ(s + t, p) .
(7.5.2)
Das Bild cp (Ip ) heißt der Orbit oder die Bahn des Punktes p. Die Abbildung φ
heißt der Fluss des Vektorfeldes X. Die definierenden Eigenschaften des Flusses
sind also φ(0, p) = p und 1
d φ(t, p) = X(φ(t0 , p))
(7.5.3)
dt t0
für alle (t, p) ∈ U , wobei die linke Seite dieser Gleichung den Tangentialvektor
der Kurve cp = φ(·, p) : t 7→ φ(t, p) an der Stelle t0 bezeichnet. Für Funktionen
f ∈ C ∞ (M ) bedeutet das nach Abschnitt 4.4
d
f (φ(t, p)) = (Xf )(φ(t, p)) .
dt
1
(7.5.4)
Die symbolische Schreibweise (d/dt)c oder dc/dt für den Tangentialvektor einer
Kurve c, die wir in (7.5.3) verwenden, ist verbreitet, verträgt sich aber schlecht
mit unserer Notation: Es handelt sich nicht um die Anwendung einer Derivation
(d/dt)t0 auf eine reellwertige Funktion.
59
Das Vektorfeld X heißt vollständig oder global integrierbar, wenn der Definitionsbereich des Flusses U = R × M ist, also wenn alle Integralkurven auf ganz R
existieren.
Satz 2. Jedes differenzierbare Vektorfeld mit kompaktem Träger ist vollständig.
Insbesondere ist jedes Vektorfeld auf einer kompakten Mannigfaltigkeit vollständig.
Dabei ist der Träger eines Tensorfeldes X definiert als der Abschluss der Menge
aller Punkte p ∈ M , in denen X(p) 6= 0 ist. Zum Beweis von Satz 2 genügt es zu
zeigen, dass die maximalen Definitionsintervalle Ip der Integralkurven abgeschlossen
sind. Da sie zugleich offen sind, folgt dann Ip = R, also die Vollständigkeit. Die
Ausführung des Beweises ist Inhalt von Aufgabe 4 zu diesem Kapitel.
7.6. Einparametergruppen von Diffeomorphismen. Sei X ein vollständiges
Vektorfeld mit Fluss φ : R × M → M . Für festes t ∈ R sei φt : M → M die
Abbildung
φt (p) = φ(t, p) .
Dann ist φ0 = idM die Identitätsabbildung von M , und Gleichung (7.5.2) wird zu
φs ◦ φt = φs+t .
Daraus folgt insbesondere, dass φt ein Diffeomorphismus von M auf sich ist mit
inverser Abbildung φ−t , und dass die Abbildung t 7→ φt ein Gruppenhomomorphismus von R in die Gruppe Diff(M ) := Diff∞ (M ) der C ∞ –Diffeomorphismen von M
auf sich ist.
Definition. Eine Einparametergruppe von Diffeomorphismen von M ist eine differenzierbare Abbildung ψ : R × M → M mit der Eigenschaft, dass die Abbildung
t 7→ ψt := ψ(t, ·) ein Gruppenhomomorphismus von R nach Diff(M ) ist.
Der Fluss eines vollständigen Vektorfeldes ist, wie eben bemerkt, eine Einparametergruppe von Diffeomorphismen. Umgekehrt ist jede Einparametergruppe von
Diffeomorphismen der Fluss eines eindeutig bestimmten vollständigen Vektorfeldes
X. Ist nämlich die Einparametergruppe ψ gegeben, dann definiert man X(p) mit
der Schreibweise von (7.5.3) als
d X(p) =
ψ(t, p) ,
dt 0
den Tangentialvektor an die Kurve t → ψ(t, p) an der Stelle t = 0. Man sieht
leicht ein, dass das so definierte Vektorfeld X differenzierbar ist, und die folgende
Rechnung zeigt, dass sein Fluss mit ψ übereinstimmt:
d d d ψ(t + t0 , p) =
ψ(t, ψ(t0 , p)) = X(ψ(t0 , p)) .
ψ(t, p) =
dt t0
dt 0
dt 0
60
Insgesamt haben wir damit:
Satz. Die Abbildung, die jedem vollständigen Vektorfeld seinen Fluss zuordnet, ist
eine Bijektion zwischen der Menge aller vollständigen Vektorfelder auf M und der
Menge aller Einparametergruppen von Diffeomorphismen von M .
7.7. Flüsse und Lieklammern. In diesem Abschnitt geben wir eine Deutung der
Lieklammer zweier Vektorfelder mit Hilfe von Flüssen. Sei X ein differenzierbares
Vektorfeld auf M , und sei φ : U → M mit U ⊆ R × M der Fluss von X.
Lemma 1. Sei f ∈ C ∞ (M ) und sei V ⊆ M offen mit [0, t0 ] × V ⊆ U , so dass
für 0 ≤ t ≤ t0 die Abbildung φt = φ(t, ·) auf V definiert ist. Dann existiert eine
Funktion g ∈ C ∞ ([0, t0 ] × V ) mit g0 = (Xf )|V und mit
f ◦ φt = f + t g t
auf V für 0 ≤ t ≤ t0 .
Beweis. Unter Verwendung von Gleichung (7.5.4) ist
Z
1
d
f (φst (p)) ds
ds
0
Z 1
d =
f (φσ (p)) ds
t
dσ σ=st
0
Z 1
=t
(Xf )(φst (p)) ds .
f (φt (p)) − f (p) =
0
Wir definieren
g(t, p) =
Z
1
(Xf )(φst (p)) ds . QED
0
Lemma 2. Sei Y ∈ V(M ) ein weiteres Vektorfeld. Dann gilt für alle p ∈ M
(T φ−t )Yφt (p) − Yp
t
Yp − (T φt )Yφ−t (p)
= lim
.
t→0
t
[X, Y ](p) = lim
t→0
(7.7.1)
Beweis. Die Gleichheit der beiden Grenzwerte sieht man ein, indem man t durch
−t ersetzt. Sei nun f ∈ C ∞ (M ). Wie in Lemma 1 schreiben wir f ◦ φt = f + t gt
mit g0 = Xf . Damit ist
((T φt )Yφ−t (p) )f = Yφ−t (p) (f ◦ φt )
= Yφ−t (p) f + t Yφ−t (p) gt ,
61
und folglich
lim
t→0
Y f − Y
Yp − (T φt )Yφ−t (p) p
φ−t (p) f − t Yφ−t (p) gt
f = lim
t→0
t
t
(Y f )(p) − (Y f )(φ−t (p))
= lim
− Y p g0
t→0
t
d (Y f )(φt (p)) − Yp g0
=
dt 0
= Xp (Y f ) − Yp (Xf )
= [X, Y ](p)f
wie behauptet. QED
Definition. Sei X ∈ V(M ), und sei ψ : M → N ein Diffeomorphismus. Dann ist
das Vektorfeld ψ∗ X ∈ V(N ) definiert durch
ψ∗ X = (T ψ) ◦ X ◦ ψ −1 .
Mit dieser Definition lautet Gleichung (7.7.1)
[X, Y ] = lim
t→0
Y − (φt )∗ Y
t
(7.7.2)
wobei der Limes punktweise zu verstehen ist. Ein Vektorfeld X heißt invariant
unter ψ ∈ Diff(M ), wenn ψ∗ X = X ist, wenn also gilt
(T ψ) ◦ X = X ◦ ψ .
Lemma 3. Ist φt der Fluss von X, dann ist ψ ◦ φt ◦ ψ −1 der Fluss von ψ∗ X.
Insbesondere gilt: X ist invariant unter ψ genau dann, wenn ψ ◦ φt = φt ◦ ψ ist.
Beweis. Sei p ∈ M . Da φt (p) eine Flusslinie von X ist, gilt für alle p ∈ M in der
Notation von (7.5.3)
d
φt (p) = X(φt (p)) .
dt
Damit ergibt sich
d
d
(ψ ◦ φt ◦ ψ −1 )(p) = (T ψ) (φt (ψ −1 (p)))
dt
dt
= (T ψ)X(φt (ψ −1 (p)))
= ((T ψ) ◦ X ◦ ψ −1 )(ψ ◦ φt ◦ ψ −1 (p))
= (ψ∗ X)(ψ ◦ φt ◦ ψ −1 (p)) .
Folglich ist die Kurve t → ψ ◦ φt ◦ ψ −1 (p) die Flusslinie des Vektorfeldes ψ∗ X durch
den Punkt p. QED
62
Satz. Seien φt der Fluss von X ∈ V(M ) und ψt derjenige von Y ∈ V(M ). Dann
sind folgende Aussagen äquivalent.
(a) Die Flüsse von X und Y kommutieren: φs ◦ ψt = ψt ◦ φs für alle s und t.
(b) Der Fluss von X lässt Y invariant: (φs )∗ Y = Y für alle s.
(c) Die Vektorfelder X und Y kommutieren: [X, Y ] = 0.
Beweis. Die Äquivalenz der beiden ersten Aussagen steht in Lemma 3, und (b)
impliziert (c) wegen Gleichung (7.7.2). Wir zeigen, dass umgekehrt auch (c) die
Aussage (b) impliziert. Sei also [X, Y ] = 0, und sei p ∈ M . Für die durch
c(t) = ((φt )∗ Y )(p) = (T φt )Yφ−t (p)
definierte Kurve c : (−ε, ε) → Tp M im Tangentialraum Tp M gilt
c(t + h) − c(t)
h→0
h
(T φt+h )Yφ−(t+h) (p) − (T φt )Yφ−t (p)
= lim
h→0
h
(T φt ) (T φh )Yφ−h (φ−t (p)) − Yφ−t (p)
= lim
h→0
h
(T φh )Yφ−h (φ−t (p)) − Yφ−t (p)
= (T φt ) lim
h→0
h
= (T φt ) − [X, Y ](φ−t (p))
c0 (t) := lim
= 0.
Neben Lemma 2 wurde dabei auch verwendet, dass φt+h = φt ◦ φh gilt. Also ist die
Kurve c konstant,
((φt )∗ Y )(p) = ((φ0 )∗ Y )(p) = Y (p)
und damit (φt )∗ Y = Y . QED
7.8. Basisfelder. Aus Abschnitt 7.4 ist uns bekannt, dass die Basisfelder einer
Karte untereinander kommutieren. Wir verwenden nun die Ergebnisse von 7.7, um
eine Umkehrung dieser Aussage zu beweisen.
Satz. Seien X1 , . . . , Xk kommutierende differenzierbare Vektorfelder auf M , also
[Xi , Xj ] = 0 für alle i und j. Sei p ∈ M . Die Vektoren X1 (p), . . . , Xk (p) seien
linear unabhängig. Dann existiert eine Karte (ϕ, U ) von M mit p ∈ U , deren erste
k Basisfelder mit den Xi übereinstimmen, also
X i |U =
∂
∂xi
für i = 1, . . . , k .
Beweis. Sei (ψ, W ) eine Karte von M mit p ∈ W und ψ(p) = 0. Seien e1 , . . . , en
die Standardbasisfelder des Rn . (Es ist also ei = ∂/∂xi für die Karte idRn , aber
63
das Symbol ∂/∂xi wird anderweitig benötigt.) Indem man ψ durch l ◦ ψ mit einer
geeigneten linearen Abbildung l : Rn → Rn ersetzt, kann man annehmen, dass für
i = 1, . . . , k gilt
(T ψ)Xi (p) = ei (0) .
Seien φ1 , . . . , φk die Flüsse der Vektorfelder X1 , . . . , Xk . Dann ist für hinreichend
kleine Umgebungen V ⊆ Rn von 0 die Abbildung Φ : V → M ,
Φ(x1 , . . . , xn ) := φ1x1 φ2x2 · · · φkxk ψ −1 (0, . . . , 0, xk+1 , . . . , xn )
definiert und differenzierbar. Wir zeigen zunächst, dass für x ∈ V und i = 1, . . . , k
gilt
(T Φ)ei (x) = Xi (Φ(x)) .
(7.8.1)
In der Tat ist (T Φ)ei (x) = ċ(0) mit der Kurve
c(t) = Φ(x1 , . . . , xi + t, . . . , xn )
i · · · φk ψ −1 (0, . . . , 0, xk+1 , . . . , xn ) .
= φixi +t φ1x1 · · · φc
xk
xi
Dabei wurde die Vertauschbarkeit der Flüsse verwendet, um φixi +t an die erste
Stelle zu schreiben. Die Kurve c ist also eine Integralkurve von Xi , und daher
ist insbesondere ċ(0) = Xi (c(0)) = Xi (Φ(x)). Damit ist die Behauptung (7.8.1)
bewiesen. Speziell mit x = 0 erhalten wir
(T Φ)ei (0) = Xi (p) = (T ψ)−1 ei (0)
(7.8.2)
für i ≤ k. Für i > k ist andererseits (T Φ)ei (0) = ċ(0) mit der Kurve
c(t) = Φ(0, . . . , 0, t, 0, . . . , 0) = ψ −1 (0, . . . , 0, t, 0, . . . , 0),
wobei t jeweils an i–ter Stelle steht. Daher gilt Gleichung (7.8.2) auch für i =
k + 1, . . . , n. Insgesamt folgt nun T0 Φ = T0 ψ −1 für die Ableitungen an 0, und damit
ist T0 Φ invertierbar. Nach dem Satz über inverse Funktionen (siehe 4.2) bildet
Φ eine Umgebung von 0 diffeomorph auf eine Umgebung U ⊆ M von p ab. Wir
wählen als Karte (ϕ, U ) = (Φ−1 , U ). Für die Basisfelder ∂/∂xi dieser Karte zeigt
Gleichung (7.8.1)
∂ = (T ϕ−1 )ei (ϕ(q)) = Xi (Φ(ϕ(q))) = Xi (q) ,
∂xi q
und der Beweis ist beendet. QED
Korollar. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf M , und sei p ∈ M ein Punkt
mit X(p) 6= 0. Dann existiert eine Karte (ϕ, U ) von M mit p ∈ U und
X|U =
64
∂
.
∂x1
7.9. Lieableitung. Gleichung (7.7.1) liefert einen Deutung der Lieklammer [X, Y ]
als Ableitung von Y nach X, oder genauer längs des Flusses von X,
[X, Y ](p) = lim
t→0
(T φ−t )Yφt (p) − Yp
.
t
In ähnlicher Weise gilt für Funktionen f ∈ C ∞ (M )
(Xf )(p) = lim
t→0
f (φt (p)) − f (p)
.
t
Diese Beziehungen verallgemeinern sich zum Begriff der Lieableitung von Tensorfeldern längs eines Vektorfeldes X, auf den wir nun kurz eingehen.
Definition. Für einen Diffeomorphismus ψ : M → M und ein (r, s)–Tensorfeld A
auf M definieren wir den Pullback ψ ∗ A von A unter ψ, ein (r, s)–Tensorfeld, durch
(ψ ∗ A)p (X1 , . . . , Xr , α1 , . . . , αs )
= Aψ(p) (Tp ψ)X1 , . . . , (Tp ψ)Xr , α1 ◦(Tp ψ)−1 , . . . , αs ◦(Tp ψ)−1 ,
wobei in dieser Formel Xj ∈ Tp M und αk ∈ Tp∗ M sind. Insbesondere sind also
die αk ◦(Tp ψ)−1 Elemente des Kotangentialraumes Tψ(p) M . Das Tensorfeld A heißt
invariant unter dem Diffeomorphismus ψ, wenn ψ ∗ A ist.
Definition. Seien X ein differenzierbares Vektorfeld auf M mit Fluss φt . Die
Lieableitung des (r, s)–Tensorfeldes A längs X ist ein (r, s)–Tensorfeld LX A, definiert als
(φ∗ A)(p) − A(p)
.
(7.9.1)
(LX A)(p) = lim t
t→0
t
Zu beachten ist, dass in den Wert der Lieableitung (LX A)(p) nicht nur der Wert
von X an der Stelle p eingeht, da der Fluss von X benötigt wird. Eine explizite
Formel für LX A in lokalen Koordinaten ist Gegenstand von Aufgabe 9. Mit Hilfe der
Lieableitung lässt sich feststellen, ob ein Tensorfeld unter dem Fluss eines gegebenen
Vektorfeldes invariant bleibt. Der Beweis des folgenden Kriteriums erfolgt wie bei
der entsprechenden Aussage für Vektorfelder im Satz des Abschnitts 7.7.
Satz. Ein differenzierbares Tensorfeld A ist invariant unter dem Fluss φt von X,
d.h. es gilt φ∗t A = A für alle t, genau dann, wenn die Lieableitung LX A = 0 ist.
Speziell für (0, 0)–Tensorfelder folgt dieser Satz unmittelbar aus Gleichung (7.5.4):
Eine Funktion f ∈ C ∞ (M ) ist konstant auf jeder Bahn von X genau dann, wenn
Xf = 0 ist. Funktionen mit Xf = 0 werden in älterer Literatur auch als “Integrale”
des Flusses bezeichnet. In diesem Fall verlaufen die Bahnen von X also in den
Niveaumengen von f , und daher kann die Kenntnis von “Integralen” die Berechnung
der Bahnen erleichtern.
65
Man sieht leicht ein, dass die Lieableitung folgende Eigenschaften hat und durch sie
charakterisiert ist:
(1) Die Lieableitung LX bildet die Menge der differenzierbaren (r, s)–Tensorfelder
R–linear in sich selbst ab.
(2) LX erfüllt die Produktregel für das Tensorprodukt:
LX (A ⊗ B) = (LX A) ⊗ B + A ⊗ (LX B) .
(3) LX vertauscht mit Kontraktionen: Für jede Kontraktion Cµν gilt
LX ◦ Cµν = Cµν ◦ LX .
(4) Für (0, 0)–Tensorfelder, also Funktionen, gilt LX f = Xf .
(5) Für (0, 1)–Tensorfelder, also Vektorfelder, gilt LX Y = [X, Y ].
Aus (2) und (3) ergibt sich insbesondere, dass LX auch die Produktregel für Überschiebungen Cµν (A ⊗ B) erfüllt. Wie verwenden diese Eigenschaft, um die Lieableitung einer differenzierbaren Eins–Form α zu berechnen. Ist Y ein Vektorfeld auf
M , dann ist αY = α(Y ) = C11 (α ⊗ Y ) ein (0, 0)–Tensorfeld. Nach (2) und (3) ist
LX (αY ) = (LX α)Y + α(LX Y ) ,
also wegen (4) und (5)
(LX α)Y = X(αY ) − α[X, Y ] ,
(7.9.2)
und dadurch ist LX α festgelegt.
Aufgaben
1. Flüsse. Bestimmen und skizzieren Sie die Flüsse folgender Vektorfelder in der
Ebene M = R2 . Dabei sind α und β reelle Zahlen.
∂
∂
+ y2
∂x
∂y
∂
∂
+ (βx + αy)
X2 = (αx − βy)
∂x
∂y
X1 = x
2. Vektorfelder. Finden Sie ein vollständiges, nirgends verschwindendes Vektorfeld auf dem Intervall M = (0, 1) und ein unvollständiges Vektorfeld auf M = R.
3. Gegenbeispiel. Zeigen Sie, dass die Vektorfelder X1 = y ∂/∂x und X2 =
x2 ∂/∂y auf M = R2 vollständig sind, dass aber ihre Summe X1 + X2 und die
Lieklammer [X1 , X2 ] unvollständig sind.
4. Vollständigkeit. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf einer Mannigfaltigkeit M . Zeigen Sie:
66
(a) Wenn es ein > 0 gibt mit (−, ) × M ⊆ U , dann ist X vollständig.
(b) Hat X kompakten Träger, dann ist X vollständig.
5. Lieklammer. Seien X und Y differenzierbare Vektorfelder auf M , und sei
ϕ : M → N ein Diffeomorphismus. Zeigen Sie:
ϕ∗ [X, Y ] = [ϕ∗ X, ϕ∗ Y ]
6. Vollständigkeit. Zeigen Sie: Zu jedem X ∈ V(M ) existiert ein vollständiges
Vektorfeld Y ∈ V(M ), dessen Bahnen mit denen von X übereinstimmen. Hinweis:
Y = f X mit einer geeigneten Funktion f .
7. Taylorreihe. Sei X ein vollständiges Vektorfeld auf einer Mannigfaltigkeit M ,
φ sein Fluss, und sei f ∈ C ∞ (M ). Zeigen Sie für die k–te Ableitung
dk f (φt (p)) = (X k f )(φt0 (p)) .
dtk t0
wobei X k f = XX . . . Xf ist, also (X k f )(q) = Xq (X k−1 f ) für q ∈ M . Leiten Sie
daraus folgende formale Taylorentwicklung ab:
f ◦ φt ∼ etX f
8. Taylorformel. (a) Zeigen Sie, dass in den Bezeichnungen von Aufgabe 7 gilt
f (φt (p)) =
k
X
(X j f )(p)
j=0
j!
tj +
tk+1
k!
Z
1
0
(1 − s)k (X k+1 f )(φst (p)) ds .
Hinweis: Verwenden Sie die Taylorsche Formel für reellwertige Funktionen einer
reellen Veränderlichen mit Restglied in Integralform.
(b) Folgern Sie: Ist X k f = 0 für ein k, und ist M kompakt, dann ist Xf = 0.
9. Rechnung. Das Tensorfeld A sei bezüglich einer Karte (ϕ, U ) von M gegeben
als
X
∂
∂
A|U =
Ai1 ···ir j1 ···js dxi1 ⊗ · · · ⊗ dxir ⊗ j1 ⊗ · · · ⊗ js .
∂x
∂x
Berechnen Sie LX A.
10. Lieableitung. Zeigen Sie, dass für die Lieableitung von Tensorfeldern gilt
LX ◦ LY − LY ◦ LX = L[X,Y ] .
Hinweis: LX ist durch die Eigenschaften (1) bis (5) aus Abschnitt 7.9 eindeutig
festgelegt.
67
8. Partitionen der Eins und ihre Anwendung
Partitionen der Eins sind Zerlegungen der konstanten Funktion “Eins” auf M als
Summe differenzierbarer nichtnegativer Funktionen. Solche Zerlegungen lassen sich
angepasst an eine vorgegebene Überdeckung von M bilden und erleichtern viele
Konstruktionen der Differentialgeometrie. Wir illustrieren das an typischen Beispielen: der Fortsetzung von Vektorfeldern, die auf einer Untermannigfaltigkeit gegeben
sind; der Konstruktion Riemannscher Metriken; der Einbettung differenzierbarer
Mannigfaltigkeiten in einen Rk ; und der Approximation stetiger Funktionen durch
differenzierbare.
8.1. Offene Überdeckungen. Eine offene Überdeckung eines topologischen
Raumes M ist eine Menge
O = { Uα | α ∈ Λ }
S
offener Teilmengen Uα von M mit der Eigenschaft α∈Λ Uα = M . Die Überdeckung
heißt lokal endlich, wenn jeder Punkt p ∈ M eine Umgebung U besitzt mit U ∩Uα =
∅ für alle bis auf endlich viele α ∈ Λ. Eine offene Überdeckung O 0 = { Vβ | β ∈ I }
heißt eine Verfeinerung von O, wenn zu jedem Index β ∈ I ein α ∈ Λ existiert mit
Vβ ⊆ Uα , wenn also jede Menge aus O 0 in einer Menge aus O enthalten ist.
8.2. Kompakte Ausschöpfung. Jede topologische Mannigfaltigkeit besitzt eine
Ausschöpfung durch kompakte Teilmengen in folgendem Sinne. Es existieren kom◦
von Ci+1
pakte Teilmengen Ci ⊆SM (i ∈ N) dergestalt, dass Ci im Inneren Ci+1
∞
enthalten ist und dass i=1 Ci = M gilt. Zur Konstruktion solcher Ci findet man
zunächst eine abzählbare offene Überdeckung { Gi | i ∈ N } von M dergestalt,
dass die Abschlüsse Gi kompakt sind. Für diese Gi kann man etwa die Urbilder
geeigneter offener Bälle im Rn unter Karten verwenden. Dann setzt S
man C1 = G1 .
k
Ist nun Ci bereits konstruiert, und ist k die kleinste Zahl mit Ci ⊆ j=1 Gj , dann
definiert man
k
[
Ci+1 = Gi+1 ∪
Gj .
j=1
8.3. Lemma. Sei (M, A) eine differenzierbare Mannigfaltigkeit, und sei O =
{ Uα | α ∈ Λ } eine offene Überdeckung von M . Dann existiert ein Atlas
{ (ϕβ , Vβ ) | β ∈ I } ⊆ A
von M mit folgenden Eigenschaften.
(a) Die Überdeckung { Vβ | β ∈ I } ist eine lokal endliche Verfeinerung von O.
(b) Das Bild ϕβ (Vβ ) ist der Ball B(0, 3) = { x ∈ Rn | kxk < 3 }.
Version: 18. Februar 2000
68
(c) M =
S
β∈I
ϕ−1
β (B(0, 1)).
Hausdorffsche topologische Räume mit der Eigenschaft, dass es zu jeder offenen
Überdeckung eine lokal endliche Verfeinerung gibt, nennt man parakompakt. Das
Lemma besagt also insbesondere, dass jede differenzierbare Mannigfaltigkeit parakompakt ist—und wenn man überall die Forderung der Differenzierbarkeit fortlässt,
sieht man, dass auch jede topologische Mannigfaltigkeit parakompakt ist.
Zum Beweis des Lemmas wählen wir eine Ausschöpfung Ci ⊆ M wie in 8.2 und
◦
setzen C0 = ∅. Da die Menge Ci \ Ci−1
kompakt ist, existieren für jedes i ∈ N
endlich viele Karten
(ϕi1 , Vi1 ), . . . , (ϕiri , Viri )
mit den Eigenschaften
ϕ(Vij ) = B(0, 3)
Vij ⊆ Ci+1 \ Ci−2
Vij ⊆ Uα für ein α,
und so dass gilt
Ci \
◦
Ci−1
⊆
ri
[
ϕ−1
ij (B(0, 1)).
j=1
◦
In der Tat gibt es an jedem Punkt p ∈ Ci \ Ci−1
eine Karte mit diesen Eigen◦
schaften, und endlich viele dieser Karten genügen, um das Kompaktum Ci \ Ci−1
zu überdecken. Dann ist
{ (ϕij , Vij ) | i ∈ N, j = 1, . . . , ri }
der gewünschte Atlas. Dieser Atlas ist lokal endlich, da wegen Vij ∩ Ci−2 = ∅ jede
der Teilmengen Ck nur endlich viele Vij schneidet. QED
8.4. Satz. (Partition der Eins) Seien M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und
O = { Uα | α ∈ Λ } eine offene Überdeckung von M . Dann existiert eine Menge
{ %α | α ∈ Λ } ⊆ C ∞ (M )
differenzierbarer Funktionen mit folgenden Eigenschaften.
(a) %α (M ) ⊆ [0, 1] für alle α ∈ Λ.
(b) Der Träger supp(%α ) ist in Uα enthalten, und es gilt sogar
(c) supp(%α ) ⊆ Wα für eine lokal endliche Verfeinerung { Wα | α ∈ Λ } von O mit
Wα ⊆ Uα für alle α ∈ Λ.
P
(d) Für jeden Punkt p ∈ M gilt
α∈Λ %α (p) = 1. Diese Summe ist nach (c)
endlich.
Die Menge { %α | α ∈ Λ } heißt eine der Überdeckung O untergeordnete Zerlegung
(oder Partition) der Eins.
69
Beweis. Sei { (ϕβ , Vβ ) | β ∈ I } ein Atlas wie in Lemma 8.3, und sei % ∈ C ∞ (Rn )
eine Funktion mit 0 ≤ % ≤ 1 und %|B(0,1) = 1, deren Träger in B(0, 2) enthalten ist.
Wir setzen
% (ϕβ (p)) , wenn p ∈ Vβ ;
σβ (p) =
0,
sonst.
Nun wählen wir eine Abbildung λ : I → Λ so, dass für alle β ∈ I gilt Vβ ⊆ Uλ(β) ,
und definieren
X
σβ (p) .
fα (p) =
β∈λ−1 (α)
Dies ist eine endliche Summe, da die Überdeckung { Vβ | β ∈ I } lokal endlich ist.
Sei
[
Wα :=
Vβ .
β∈λ−1 (α)
Dann ist Wα ⊆ Uα , und der Träger
supp(fα ) ⊆
[
β∈λ−1 (α)
supp(σβ ) ⊆ Wα .
Wir definieren die gewünschten Funktionen ρα durch
fα (p)
.
κ∈Λ fκ (p)
%α (p) = P
Wegen Eigenschaft (c) in Lemma 8.3 ist der Nenner positiv.
Es bleibt zu zeigen, dass die offene Überdeckung { Wα | α ∈ Λ } eine lokal endliche
Verfeinerung von O ist. Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U mit U ∩Vβ =
∅ für alle bis auf endlich viele β ∈ I. Wenn U ∩ Wα 6= ∅ ist, dann gibt es ein
β ∈ λ−1 (α) mit U ∩ Vβ 6= ∅. Da es nur endlich viele solche β gibt, existieren nur
endlich viele α = λ(β) mit U ∩ Wα 6= ∅, und die Behauptung ist bewiesen. QED
Die folgenden Sätze sind typische Anwendungen von Partitionen der Eins. Dabei
ist (M, A) eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.
8.5. Satz. (Fortsetzung von Vektorfeldern) Sei N ⊆ M eine Untermannigfaltigkeit, und sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf N . Dann existiert ein differenzierbares Vektorfeld X̃ auf M mit X̃|N = X.
Zu beachten ist, dass hier das Tangentialbündel T N mit einer Teilmenge von T M
identifiziert wird. Diese Identifikation ist klar, wenn man Tangentialvektoren geometrisch als Äquivalenzklassen von Kurven in N (also auch in M ) sieht. In der
Sprache der Derivationen bedeutet sie die Identifikation von T N mit seinem Bild
unter der Ableitung T ι : T N → T M der Inklusionsabbildung ι : N → M . Der Satz
und sein Beweis gelten in ähnlicher Form für allgemeine Tensorfelder.
70
Beweis des Satzes. Sei { (ϕα , Uα ) | α ∈ Λ } ⊆ A ein Atlas für M mit der Eigenschaft,
dass für alle α ∈ Λ mit Uα ∩ N 6= ∅ die Karte (ϕα , Uα ) im Sinne von Definition
2.8 an die Untermannigfaltigkeit N angepasst ist. Dabei kann man annehmen, dass
ϕα (Uα ) = Rn+l ist, und dass
ϕα (Uα ∩ N ) = Rn × {0} ⊆ Rn+l
gilt. Bezüglich der Karte (ϕα , Uα ) ist
X|Uα ∩N =
n
X
i=1
Xαi
∂ ∂xi N
mit auf Uα ∩ N definierten Komponentenfunktionen Xαi . Wir setzen nun zunächst
die Einschränkung X|Uα ∩N zu einem differenzierbaren Vektorfeld X̃α auf Uα fort.
Dazu setzen wir X̃α = 0, wenn Uα ∩ N = ∅ ist, und andernfalls
X̃α (p) =
n
X
i=1
Xαi ϕ−1
α ◦ π ◦ ϕα (p)
∂ ∂xi p
für p ∈ Uα , wobei π : Rn+l → Rn die Projektion auf die ersten n Komponenten
bezeichnet.
Die Fortsetzungen X̃α fügen wir nun mit Hilfe einer Partition der Eins zu einem
differenzierbaren Vektorfeld X̃ auf M zusammen. Sei dazu { %α | α ∈ Λ } eine der
Überdeckung { Uα | α ∈ Λ } untergeordnete Zerlegung der Eins. Wir definieren
X̃ =
X
%α X̃α ,
α∈Λ
also für p ∈ M
X̃(p) =
X
%α (p)X̃α (p) .
α∈Λ
Dabei ist %α (p)X̃α (p) = 0 zu setzen wenn %α (p) = 0 ist. Für p ∈ N ∩ Uα gilt
X̃α (p) = X(p), also
X
%α (p) X(p) = X(p) .
QED
X̃(p) =
α∈Λ
8.6. Satz. (Existenz Riemannscher Metriken) Auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit existiert eine Riemannsche Metrik g.
Beweis. Sei { (ϕα , Uα ) | α ∈ Λ } ⊆ A ein Atlas. Wir definieren eine Riemannsche
Metrik gα auf Uα mit Hilfe der Koordinatendifferentiale dxiα = dϕiα durch
gα =
Xn
i=1
dϕiα ⊗ dϕiα .
71
Nun sei { %α | α ∈ Λ } eine der Überdeckung { Uα | α ∈ Λ } untergeordnete Partition
der Eins. Wir setzen
X
g=
%α gα .
α∈Λ
Ausführlich bedeutet das: Für p ∈ M und X, Y ∈ Tp M ist g(X, Y ) definiert als die
endliche Summe
X
%α (p) gα (p)(X, Y ) .
g(X, Y ) =
α∈Λ
Da die %α nichtnegative Funktionen sind, und weil gα in jedem Punkt von Uα positiv
definit ist, ist auch g(p) für jeden Punkt p ∈ M positiv definit. QED
8.7. Satz. (Einbettung in Rk ) Sei M eine kompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit. Dann existiert eine differenzierbare Einbettung f : M → Rk für geeignetes
k. Insbesondere ist jede kompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit diffeomorph zu
einer differenzierbaren Untermannigfaltigkeit eines Rk .
Beweis. Sei { (ϕβ , Vβ ) | β = 1, . . . , m } ein endlicher Atlas mit ϕβ (Vβ ) = B(0, 3) =
{ x ∈ Rn | kxk < 3 } und mit
m
[
ϕ−1
β (B(0, 1)) = M .
β=1
Zu diesem Atlas wählen wir Funktionen σβ wie im Beweis von Satz 8.4. Bezeichnet
n die Dimension von M , dann definieren wir f : M → Rm+mn durch
f (p) = ( σ1 (p), . . . , σm (p), σ1 (p) ϕ1 (p), . . . , σm (p) ϕm (p) ) .
Dabei ist wieder σβ (p) ϕβ (p) = 0 zu setzen, wenn p nicht in Vβ enthalten ist.
Wir zeigen, dass die Abbildung f ist eine injektive Immersion ist. Da injektive
Immersionen kompakter Mannigfaltigkeiten stets Einbettungen sind (siehe Aufgabe
4(a) zum vierten Kapitel), folgt dann die Behauptung.
Die Funktionen σβ sind konstant Eins auf den Mengen ϕ−1
β (B(0, 1)), und diese
Mengen überdecken M . Daher gibt es zu jedem Punkt p ∈ M einen Index α mit
σα (p) = 1. Ist nun q ein weiterer Punkt mit f (p) = f (q), dann ist nach Definition
von f auch σα (q) = 1 und damit ϕα (q) = ϕα (p). Da die Abbildung ϕα injektiv
ist, folgt q = p. Also ist f injektiv. Um einzusehen, dass die Ableitung Tp f an
der Stelle p injektiv ist, beachtet man, dass auf der Umgebung ϕ−1
α (B(0, 1)) von
p die Funktion σα = 1 ist. Auf dieser Umgebung gilt also σα ϕα = ϕα für die
entsprechende Komponente von f . Da die Ableitung Tp ϕα injektiv ist, ist auch Tp f
injektiv. QED
Die Aussage von Satz 8.7 lässt sich auf nichtkompakte Mannigfaltigkeiten ausdehnen, und auch hinsichtlich der Einbettungsdimension sind Verbesserungen möglich. Eine solche stärkere Aussage macht der
72
Einbettungssatz von Whitney. Jede n–dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit lässt sich differenzierbar dergestalt in den R2n+1 einbetten, dass das Bild
eine abgeschlossene Untermannigfaltigkeit von R2n+1 ist.
Man konstruiert zu diesem Zweck zunächst eine eigentliche injektive Immersion
(siehe Aufgabe 4(a) zum vierten Kapitel) in einen hochdimensionalen Rk und projiziert dann auf einen geeigneten 2n + 1–dimensionalen Untervektorraum. Dieser
muss so gewählt werden, dass die Einbettungseigenschaft und insbesondere die Injektivität bei der Projektion nicht verlorengeht—und das liefert 2n + 1 als geeignete
Dimension. Zu diesem Thema findet man Weiteres etwa in der “Einführung in die
Differentialtopologie” von Bröcker und Jänich, und in der Originalarbeit H. Whitney, Differentiable manifolds, Ann. Math. 37(1936), 1–36.
Der Whitneysche Satz könnte zunächst dazu verleiten, den abstrakten Begriff der
differenzierbaren Mannigfaltigkeit für überflüssig zu halten: Es gibt keine Beispiele,
die nicht ohnehin diffeomorph zu einer abgeschlossenen Untermannigfaltigkeit eines
Rk wären. Dazu ist zu bemerken, dass viele konkrete Beispiele differenzierbarer
Mannigfaltigkeiten—etwa Quotientenräume—keine in irgendeiner Form natürliche
Einbettung in einen Rk besitzen. Die Wahl einer Einbettung ist dann die Wahl
einer zusätzlichen Struktur, die einer gewissen Willkür unterliegt und nicht durch
die inneren Eigenschaften von M vorgegeben ist.
8.8. Satz. (Approximation) Sei f : M → R eine stetige Funktion auf der differenzierbaren Mannigfaltigkeit (M, A). Dann gibt es zu jeder Zahl ε > 0 eine
differenzierbare Funktion f˜ ∈ C ∞ (M ) mit |f (p) − f˜(p)| < ε für alle p ∈ M .
Beweis. Mit Hilfe des Weierstraßschen Approximationssatzes oder anderer Methoden zeigt man zunächst, dass es zu jeder stetigen reellwertigen Funktion h auf dem
abgeschlossenen Einheitsball B̄(0, 1) ⊆ Rn eine Funktion h̃ ∈ C ∞ (Rn ) gibt mit
|h(x) − h̃(x)| < ε für alle x ∈ B̄(0, 1). Dieses Resultat übertragen wir mit Hilfe
einer Partition der Eins auf M .
Sei dazu { (ϕα , Uα ) | α ∈ Λ } ⊆ A ein Atlas mit ϕα (Uα ) = B(0, 2) und mit der
Eigenschaft, dass die Mengen Vα := ϕ−1
α (B(0, 1)) eine Überdeckung von M bilden.
Sei {%α } eine der Überdeckung {Vα } untergeordnete Zerlegung der Eins. Die Funk∞
n
tionen f ◦ ϕ−1
α sind stetig auf B̄(0, 1). Wir wählen Funktionen hα ∈ C (R ) so,
dass auf B̄(0, 1) gilt
|f ◦ ϕ−1
α − hα | < ε .
˜
Für die Funktionen fα := hα ◦ ϕα ist dann |f − f˜α | < ε auf Vα . Wir definieren
f˜ =
X
%α f˜α .
α∈Λ
Dann gilt in jedem Punkt von M
X
X
X
˜ = |f − f|
%α f −
%α f˜α ≤
%α |f − f˜α | < ε .
α∈Λ
α∈Λ
α∈Λ
73
QED
Aufgaben
1. Riemannsche Metriken. Sei M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit der differenzierbaren Mannigfaltigkeit N , und sei g eine Riemannsche Metrik auf M . Zeigen
Sie, dass eine Riemannsche Metrik g̃ auf N existiert, so dass für alle p ∈ M und
alle X, Y ∈ Tp M ⊆ Tp N gilt g̃(p)(X, Y ) = g(p)(X, Y ).
2. Flusslinie. Zeigen Sie, dass jede injektive differenzierbare Kurve c : [a, b] →
M , deren Tangentialvektor ċ(t) nirgends verschwindet, Flusslinie eines geeigneten
differenzierbaren Vektorfeldes auf M mit kompaktem Träger ist.
3. Diffeomorphismengruppe k–fach transitiv. Sei M eine wegzusammenhängende differenzierbare Mannigfaltigkeit, und seien { p1 , . . . , pk } und { q1 , . . . , qk }
zwei k–elementige Teilmengen von M . Zeigen Sie: Es existiert ein Diffeomorphismus
ϕ von M auf sich mit ϕ(pi ) = qi für i = 1, . . . , k. Sind beide Mengen in einer
kompakten Teilmenge K ⊆ M enthalten, dann kann ϕ so gewählt werden, dass
ϕ|M \K die Identitätsabbildung ist. Hinweis: Beginnen Sie mit k = 1 und verwenden
Sie Aufgabe 2.
4. Gerade. Zeigen Sie, dass sich die reelle Gerade in jede nichtkompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit als abgeschlossene Untermannigfaltigkeit einbetten
lässt.
5. Vollständige Vektorfelder. Zeigen Sie, dass eine differenzierbare Mannigfaltigkeit M genau dann kompakt ist, wenn jedes differenzierbare Vektorfeld auf M
vollständig ist. Hinweis: Verwenden Sie Aufgabe 4.
74
9. Kurven im R3
Dieser Abschnitt gibt eine kurze Einführung in die klassische Theorie der Kurven
im dreidimensionalen euklidischen Raum. Wir zeigen, dass reguläre Kurven immer
nach der Bogenlänge parametrisiert werden können. Anschließend definieren wir das
Frenetsche Dreibein, die Krümmung und die Torsion einer Raumkurve, und leiten
die Frenetschen Formeln her. Dann erinnern wir an den Begriff der eigentlichen
euklidischen Bewegung und zeigen, dass Krümmung und Torsion einer Kurve unter
solchen Bewegungen invariant bleiben. Hauptresultat dieses Abschnittes ist der so
genannte Fundamentalsatz der Kurventheorie im R3 , der im Wesentlichen besagt,
dass es zu vorgegebener Krümmung und Torsion immer eine passende Kurve gibt,
und dass diese bis auf eigentliche euklidische Bewegungen eindeutig bestimmt ist.
9.1. Bogenlänge. Die Länge einer einmal stetig differenzierbaren Kurve c ∈
C 1 ([a, b], R3 ) mit Ableitung c0 = dc/dt ist definiert als
L(c) :=
Z
b
a
kc0 (t)k dt.
Die Kurve c heißt regulär, wenn für alle t die Ableitung c0 (t) 6= 0 ist. Sie heißt
nach der Bogenlänge parametrisiert, wenn sogar kc0 (t)k = 1 gilt für alle t ∈ [a, b].
In diesem Fall ist die Länge jedes Teilstückes c|[a,t] gleich dem jeweils verstrichenen
Parameterwert t−a. Das folgende Lemma besagt, dass man reguläre Kurven immer
nach der Bogenlänge umparametrisieren kann, und dass der Bogenlängenparameter
bis auf Verschiebungen eindeutig bestimmt ist.
Lemma. Sei c ∈ C k ([a, b], R3 ) mit k ≥ 1.
(a) Ist c regulär, dann existiert ein C k –Diffeomorphismus ϕ : [0, L(c)] → [a, b]
dergestalt, dass die Kurve c ◦ ϕ nach der Bogenlänge parametrisiert ist.
(b) Gilt kc0 k = 1 auf [a, b] und ist ϕ : [a1 , b1 ] → [a, b] ein C k –Diffeomorphismus mit
ϕ(a1 ) = a und k(c ◦ ϕ)0 k = 1, dann ist ϕ eine Translation, also ϕ(s) = s + a − a1
für alle s ∈ [a1 , b1 ].
Beweis. (a) Zum Beweis der ersten Aussage definieren wir ψ ∈ C k ([a, b], R) durch
Z t
ψ(t) =
kc0 (τ )k dτ.
a
Wegen ψ 0 (t) = kc0 (t)k > 0 bildet ψ das Intervall [a, b] streng monoton auf [0, L(c)]
ab. Mit der Umkehrrabbildung ϕ = ψ −1 gilt dann
||(c ◦ ϕ)0 (s)|| = ||c0 (ϕ(s))||
Version: 18. Februar 2000
75
1
= 1.
|ψ 0 (ϕ(s))|
(b) Aus 1 = ||(c ◦ ϕ)0 || = ||c0 ◦ ϕ|| · |ϕ0 | ergibt sich |ϕ0 | = 1, und daraus die
Behauptung. QED
9.2. Krümmung und Torsion von Kurven. Im folgenden nennen wir eine
zweimal stetig differenzierbare Kurve biregulär, wenn die Ableitungen c0 (t) und
c00 (t) für alle t linear unabhängig sind. Sei c ∈ C 3 ([a, b], R3 ) biregulär und nach
der Bogenlänge parametrisiert, also ||c0 || = 1. Der Tangentenvektor e1 , Hauptnormalenvektor e2 und Binormalenvektor e3 von c sind definiert als
e1 (s) = c0 (s)
c00 (s)
e2 (s) = 00
||c (s)||
e3 (s) = e1 (s) × e2 (s)
Das Tripel (e1 , e2 , e3 ) heißt das begleitende Dreibein oder Frenetsche Dreibein der
Kurve c. Die Krümmung κ und die Torsion τ von c sind definiert als
κ(s) = ||c00 (s)||
τ (s) = he02 (s), e3 (s)i
(9.2.1)
Dabei bezeichnet h·, ·i das Standardskalarprodukt des R3 . Die Torsion ist also die
e3 –Komponente der Änderung von e2 . Setzt man die Definitionen der ei ein, so
erhält man unter Verwendung der Determinante det
τ=
hc0 × c00 , c000 i
det(c0 , c00 , c000 )
=
.
κ2
κ2
(9.2.2)
Krümmung und Torsion biregulärer Kurven c ∈ C 3 ([a, b], R3 ), die nicht notwendig
||c0 || = 1 erfüllen, werden wie folgt definiert: Man parametrisiert c zunächst nach
der Bogenlänge wie im Lemma von 9.1 und definiert dann κ(t) als die Krümmung
der reparametrisierten Kurve c ◦ ϕ an der Stelle s = ϕ−1 (t), und entsprechend τ (t)
als die Torsion von c ◦ ϕ an der Stelle s = ϕ−1 (t). Für die Krümmung und Torsion
beliebiger biregulärer Kurven ergibt sich dann
κ=
||c0 × c00 ||
||c0 ||3
hc0 × c00 , c000 i
.
τ=
||c0 × c00 ||2
(9.2.3)
9.3. Bewegungsinvarianz von κ und τ . Bireguläre Kurven, die durch Anwendung einer euklidischen Bewegung auseinander hervorgehen, haben in entsprechenden Punkten dieselbe Krümmung, und bis auf Vorzeichen dieselbe Torsion. Dabei
ist eine euklidische Bewegung des R3 eine Abbildung F : R3 → R3 der Gestalt
F (x) = Ax + b mit einer orthogonalen Matrix A ∈ O(3) und mit b ∈ R3 . Eine
76
euklidische Bewegung heißt eigentlich, wenn die Determinante det A = 1 ist, wenn
also A ∈ SO(3) ist.
Lemma. Sei c ∈ C 3 ([a, b], R3 ) biregulär, und sei F (x) = Ax + b eine euklidische
Bewegung. Dann gilt für Krümmung und Torsion der Kurve c̃ = F ◦ c auf [a, b]
κ̃(t) = κ(t)
τ̃ (t) = det(A) τ (t) = ±τ (t) .
Beweis. Wir können annehmen, dass ||c0 || = 1 ist. Dann gilt auch ||c̃0 || = ||Ac0 || = 1.
Außerdem ist κ̃ = ||c̃00 || = ||Ac00 || = ||c00 || = κ und
1
1
det(c̃0 , c̃00 , c̃000 ) = 2 det(Ac0 , Ac00 , Ac000 )
2
κ̃
κ
1
0 00 000
QED
= det(A) 2 det(c , c , c ) = det(A) τ.
κ
τ̃ =
9.4. Die Formeln von Frenet. Sei c ∈ C 3 ([a, b], R3 ) eine bireguläre, nach der
Bogenlänge parametrisierte Kurve. Die Formeln von Frenet geben die Ableitungen
der Vektoren des Frenetschen Dreibeins als Linearkombination des Dreibeins selbst.
Zunächst ist e01 = c00 = κe2 . Um e02 zu berechnen, zerlegen wir
e02 = he02 , e1 ie1 + he02 , e2 ie2 + he02 , e3 ie3
und berechnen die auftretenden Komponenten. Es ist
he02 , e1 i = he2 , e1 i0 − he2 , e01 i = 0 − κ
1
he02 , e2 i = he2 , e2 i0 = 0
2
he02 , e3 i = τ
und damit e02 = −κe1 + τ e3 . Mit derselben Methode berechnen wir e03 . Es gilt
e03 = he03 , e1 ie1 + he03 , e2 ie2 + he03 , e3 ie3 ,
wobei he03 , e1 i = −he3 , e01 i = 0 und he03 , e2 i = −he3 , e02 i = −τ sowie he03 , e3 i = 0.
Insgesamt erhalten wir damit die Frenetschen Formeln
e01
e02
e03
=
= −κe1
=
κe2
+τ e3
(9.4.1)
−τ e2
Bei gegebener Krümmung und Torsion stellen diese Formeln ein lineares System
gewöhnlicher Differentialgleichungen für die Komponentenfunktionen des Frenetschen Dreibeins einer Kurve dar. Dieser Umstand hat zur Folge, dass eine bireguläre
77
Kurve bis auf eigentliche euklidische Bewegungen eindeutig bestimmt ist durch ihre
Krümmung und ihre Torsion als Funktionen des Bogenlängenparameters. Umgekehrt lässt sich zu vorgegebener Krümmung und Torsion auch immer eine passende
Kurve konstruieren. Die genaue Formulierung dieser beiden Aussagen ist der Inhalt
des sogenannten “Fundamentalsatzes” der Kurventheorie, auf den wir nun eingehen.
9.5. Lineare Differentialgleichungen. Als Hilfsmittel benötigen wir den folgenden Existenz- und Eindeutigkeitssatz für lineare Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen.
Satz. Seien A ∈ C 0 ([a, b], Rn×n ) und b ∈ C 0 ([a, b], Rn ), und sei x0 ∈ Rn . Dann
existiert genau eine Abbildung x ∈ C 1 ([a, b], Rn ) mit den Eigenschaften
x0 (t) = A(t)x(t) + b(t)
x(a) = x0 .
für alle t ∈ [a, b]
Ein Beweis dieses Aussage findet sich etwa in W. Walters “Gewöhnliche Differentialgleichungen”. Die Lösung existiert auf dem ganzen Intervall [a, b] wegen der
Linearität der Gleichung.
9.6. Fundamentalsatz der Kurventheorie. (a) Seien κ ∈ C 1 ([a, b], R) und
τ ∈ C 0 ([a, b], R) Funktionen mit κ > 0 auf [a, b]. Sei p ∈ R3 , und seien v, w ∈ R3
Einheitsvektoren mit hv, wi = 0. Dann existiert genau eine bireguläre, nach der
Bogenlänge parametrisierte Kurve c ∈ C 3 ([a, b], R3 ) mit Krümmung κ und Torsion
τ , und mit den Anfangswerten c(a) = p, c0 (a) = v und c00 (a)/||c00 (a)|| = w.
(b) Sind c, c̃ ∈ C 3 ([a, b], R3 ) zwei bireguläre, nach der Bogenlänge parametrisierte
Kurven, deren Krümmung und Torsion auf [a, b] übereinstimmen, dann existiert
eine eigentliche euklidische Bewegung F : R3 → R3 mit F ◦ c = c̃.
Beweis. (a) Sei e = (e1 , e2 , e3 ) ∈ C 1 ([a, b], R9 ) die Lösung der Frenetschen Differentialgleichungssystems (9.4.1), also
e0i =
3
X
k=1
aki ek

0 −κ
mit (aik ) =  κ 0
0 τ

0
−τ 
0
mit Anfangswert e(a) = (v, w, v×w). Wir behaupten zunächst, dass für alle t ∈ [a, b]
gilt
hei (t), ej (t)i = δij .
Zum Beweis dieser Behauptung berechnen wir die Ableitung
hei , ej i0 = he0i , ej i + hei , e0j i
X
aki hek , ej i + akj hei , ek i .
=
k
78
Die Funktionen bij = hei , ej i erfüllen also das lineare Differentialgleichungssystem
b0ij =
X
k
aki bkj + akj bik
mit den Anfangswerten bij (a) = δij . Die konstanten Funktionen δij erfüllen dasselbe
System, da aji + aij = 0 ist, und zwar mit denselben Anfangswerten. Mit der
Eindeutigkeitsaussage aus 9.5 folgt die Behauptung.
Wir definieren nun die Kurve c ∈ C 3 ([a, b], R3 ) durch
c(s) = p +
Z
s
e1 (t) dt
(∗)
a
Es gilt c ∈ C 3 , weil e01 = κe2 von der Klasse C 1 ist und deshalb e1 ∈ C 2 . Dann
ist c(a) = p und c0 (s) = e1 (s), also ||c0 || = 1. Weiter ist c00 = e01 = κe2 , folglich c
biregulär mit Krümmung κ. Die Vektoren e1 , e2 , e3 bilden das begleitende Dreibein
von c, und die Gleichung e03 = −τ e2 zeigt, dass τ die Torsion von c ist.
Die Eindeutigkeit der Kurve c ist offensichtlich: Ihr begleitendes Dreibein muss
die Frenetgleichungen mit den gegebenen Anfangswerten erfüllen, und das Dreibein
bestimmt c durch Gleichung (∗).
(b) Seien e1 , e2 , e3 und ẽ1 , ẽ2 , ẽ3 die begleitenden Dreibeine der Kurven c und c̃. Sei
F (x) = Ax+b die euklidische Bewegung mit Aei (0) = ẽi (0) und mit F (c(a)) = c̃(a).
Dann erfüllen sowohl c̃ als auch F ◦c die Bedingungen aus Teil (a), also ist c̃ = F ◦c.
Es gilt A ∈ SO(3), weil A die positiv orientierte Orthonormalbasis e1 (0), e2 (0), e3 (0)
in die positiv orientierte Orthonormalbasis ẽ1 (0), ẽ2 (0), ẽ3 (0) abbildet. Die euklidische Bewegung F ist also eigentlich. QED
9.7. Bemerkung. Die Torsion τ einer biregulären Kurve c ∈ C 3 ([a, b], R3 ) verschwindet genau dann, wenn das Bild c([a, b]) in einer Ebene enthalten ist.
Beweis. Wir können annehmen, dass c nach der Bogenlänge parametrisiert ist. Aus
τ = 0 folgt e03 = −τ e2 = 0, und damit hc, e3 i0 = hc0 , e3 i = he1 , e3 i = 0. Also sind
sowohl der Binormalenvektor e3 als auch das Skalarprodukt hc, e3 i konstant. Daher
ist hc(t), e3 (a)i = hc(t), e3 (t)i = hc(a), e3 (a)i, und damit
hc(t) − c(a), e3 (a)i = 0
für alle t. Die Kurve ist also in der zum konstanten Vektor e3 (a) senkrechten Ebene
durch den Punkt c(a) enthalten. QED
9.8. Beispiel. Die durch

2
 (t, 0, e−1/t ), t < 0
c1 (t) = 0,
t=0

2
(t, e−1/t , 0), t > 0
79
c2 (t) =
2
(t, 0, e−1/t ), t 6= 0
0,
t=0
definierten Kurven c1 , c2 ∈ C ∞ (R, R3 ) sind nicht biregulär an t = 0. Sie haben die
gleiche Krümmung κ und die gleiche Torsion τ = 0 auf R \ {0}, da sich ihre Einschränkungen auf die Intervalle (−∞, 0) und (0, ∞) jeweils durch eine euklidische
Bewegung ineinander überführen lassen. Es existiert aber keine euklidische Bewegung F mit F ◦ c1 = c2 auf ganz R. Die Eindeutigkeitsaussage von Satz 9.6 gilt
also in diesem Fall nicht, obwohl die Voraussetzung der Biregularität nur in einem
Punkt verletzt ist.
9.9. Beispiel. Die durch c(t) = (a cos t, a sin t, bt) definierte Abbildung c : R → R3
mit reellen Konstanten a > 0 und b, beschreibt eine Schraubenlinie mit Radius a
und Ganghöhe 2πb. Man berechnet, dass c konstante Krümmung und Torsion hat,
und zwar ist κ = a/(a2 +b2 ) und τ = b/(a2 +b2 ). Sind umgekehrt Konstanten κ > 0
und τ vorgegeben, dann gibt es eine Schraubenlinie mit Krümmung κ und Torsion
τ , nämlich diejenige mit a = κ/(κ2 +τ 2 ) und b = τ /(κ2 +τ 2 ). Als Folgerung aus der
Eindeutigkeitsaussage in 9.6 erhält man nun: Jede bireguläre Kurve mit konstanter
Krümmung und konstanter Torsion ist (bis auf Umparametrisierung und euklidische
Bewegung) eine Schraubenlinie.
Aufgaben
1. Spirale. Berechnen Sie Krümmung und Torsion der Spirale in Beispiel 9.9.
2. Lokale Gestalt von Raumkurven. (a) Zeigen Sie, dass für nach der Bogenlänge parametrisierte bireguläre Raumkurven c folgende Taylorentwicklung gilt:
κ s2
κ0 s 3 κ0 τ 0 s 3
κ2 s 3 0
+ 0
e3 (0) + R(s)
e1 (0) +
e2 (0) +
c(s) = c(0) + s − 0
6
2
6
6
Dabei bezeichnet e1 , e2 , e3 das Frenetsche Dreibein, es ist κ0 = κ(0) und κ00 = κ0 (0),
und es gilt lims→0 R(s)/s3 = 0.
(b) Wir betrachten nun die Kurve
κ s2
κ0 s 3 κ2 s 3 κ0 τ 0 s 3
0
γ(s) = s − 0
+ 0
v3 ,
v1 +
v2 +
6
2
6
6
(∗)
die sich aus der Entwicklung in (a) mit vj := ej (0) durch Verschieben des Koordinatenursprungs und Vernachlässigen des Restterms R(s) ergibt. Bestimmen und
skizzieren Sie die senkrechten Projektionen von γ auf die drei Ebenen Spann(v1 , v2 ),
Spann(v2 , v3 ) und Spann(v1 , v3 ). Diese Ebenen nennt man die Schmiegebene, die
Normalenebene und die rektifizierende Ebene der Kurve c im Punkt c(0).
3. Kurve. Die Kurve γ sei definiert durch Gleichung (∗) in Aufgabe 2 mit Konstanten κ0 > 0, κ00 und τ0 und mit einer Orthonormalbasis v1 , v2 , v3 = v1 × v2 des
80
R3 . Zeigen Sie, dass v1 , v2 , v3 das Frenetsche Dreibein von γ an der Stelle s = 0 ist,
und dass für Krümmung und Torsion von γ gilt κ(0) = κ0 und τ (0) = τ0 . Berechnen
Sie κ(s) und τ (s).
4. Böschungslinien. Raumkurven, für die der Quotient τ /κ konstant ist, nennt
man Böschungslinien. Zeigen Sie: Eine nach der Bogenlänge parametrisierte bireguläre Kurve c ist genau dann eine Böschungslinie, wenn es einen Einheitsvektor
e0 ∈ R3 gibt, so dass das Skalarprodukt hc0 (s), e0 i konstant ist.
5. Kurze Kurven. Jede geschlossene stetig differenzierbare (oder rektifizierbare)
Kurve γ in der Einheitssphäre S 2 ⊂ R3 , deren Länge L(γ) < 2π ist, ist in einer
geeigneten Hemisphäre enthalten.
6. Totalkrümmung geschlossener Raumkurven. Sei c ∈ C 2 ([0, l], R3 ) eine
nach der Bogenlänge parametrisierte geschlossene Kurve mit Krümmung κ(s) =
||c00 (s)||. Sei γ : [0, l] → S 2 , definiert als γ(s) := c0 (s), ihr sphärisches Tangentenbild.
Zeigen Sie:
(a) Die Kurve γ trifft jeden Großkreis von S 2 .
Rl
(b) Es gilt 0 κ(s)ds ≥ 2π.
(c) Ist κ ≤ R auf [0, l], dann ist l ≥ 2π/R. Wenig gekrümmte Kurven müssen also
lang sein, um sich schließen zu können.
81
10. Innere Geometrie der Flächen im R3
Eine Fläche im R3 ist eine zweidimensionale differenzierbare Untermannigfaltigkeit
M von R3 . Das Standardskalarprodukt des R3 induziert auf M eine Riemannsche
Metrik, die erste Fundamentalform von M . Als Riemannsche oder “innere” Geometrie der Fläche bezeichnet man die Gesamtheit derjenigen geometrischen Eigenschaften, die sich allein durch die erste Fundamentalform beschreiben lassen. Dazu
gehören Schnittwinkel zwischen Kurven, über die Fläche gemessene Abstände und
der Flächeninhalt. Da diese Größen durch die Riemannsche Metrik bestimmt sind,
verallgemeinert sich ihre Definition unmittelbar auf beliebige Riemannsche Mannigfaltigkeiten.
Wir beginnen den Abschnitt mit einigen Vorbereitungen über Tangentialräume,
die für die Anwendung des bisher entwickelten Begriffsapparates der differenzierbaren Mannigfaltigkeiten auf Flächen im R3 wichtig sind. Dann erläutern wir die
Grundbegriffe der inneren Geometrie und ihre Verallgemeinerung auf abstrakte Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Schließlich behandeln wir den Begriff der Isometrie
zwischen Riemannschen Mannigfaltigkeiten und geben einfache Beispiele.
10.1. Tangentialräume. In Abschnitt 3.1 haben wir eine Definition von Tangentialräumen für Untermannigfaltigkeiten des Rn gegeben. Danach ist insbesondere
Tp R3 = {(p, v) | v ∈ R3 }, und für eine Fläche M ⊆ R3 ist Tp M die Teilmenge
derjenigen Paare (p, v) ∈ Tp R3 , für die v = c0 (0) ist mit einer in M verlaufende
Kurve c. Andererseits hat man die aus Derivationen bestehenden Tangentialräume
Tp M und Tp R3 . Die Beziehungen zwischen diesen Räumen lassen sich im folgenden
kommutativen Diagramm zusammenfassen:
Tp M


Θ
y
Tp M
Inklusion
−−−−−−→
Tp ι
3
T
pR

Θ̃
y
−−−−−−→ Tp R3
Dabei ist Tp ι die Ableitung der Inklusionsabbildung ι : M → R3 , es ist also für
X ∈ Tp M und f ∈ C ∞ (R3 ),
((Tp ι)X)f = X(f ◦ ι) = X(f |M ) .
Wie schon in 8.5 werden wir oft Tp M mit (Tp ι)(Tp M ) identifizieren, also Tp M als
Unterrraum von Tp R3 auffassen. Die Abbildung Θ ist definiert durch
Version: 18. Februar 2000
d f (c(t))
Θ ((p, v)) f =
dt 0
82
(10.1.1)
für f ∈ C ∞ (M ), wobei v = c0 (0) ist mit einer in M verlaufende Kurve c. Die Abbildung Θ̃ ist durch dieselbe Gleichung definiert, wobei aber c nicht in M verlaufen
muss. Wählt man für c speziell die Kurve c(t) = p + tv, dann ist also
d Θ̃((p, v)) f =
f (p + tv)
(10.1.2)
dt 0
für f ∈ C ∞ (R3 ). Man verifiziert leicht, dass Θ und Θ̃ Vektorraumisomorphismen
sind, und dass gilt Θ̃|Tp M = Tp ι ◦ Θ, so dass das Diagramm kommutiert.
Diese Beschreibung der Beziehungen zwischen den Tangentialräumen haben wir
koordinatenunabhängig formuliert. Sie gilt daher offenbar ebenso für Untermannigfaltigkeiten beliebiger endlichdimensionaler Vektorräume. Verwendet man die Karte
ϕ = id von R3 und die zugehörigen Basisfelder ∂/∂xi , die Standardbasisfelder des
R3 , dann ist
3
3
X
X
d ∂f
i
i ∂ f
f
(p
+
tv)
=
(p)
·
v
=
v
i
i
dt 0
∂x
∂x p
i=1
i=1
und daher
∂ 2 ∂ 3 ∂ Θ̃(p, v) = v
+v
+v
.
1
2
3
∂x p
∂x p
∂x p
1
(10.1.3)
10.2. Tangentialraum und lokale Parametrisierung. Sei ψ : W → M eine
lokale Parametrisierung von M (siehe 2.2) mit einer offenen Teilmenge W ⊆ R2 .
Dann sind die Vektoren ∂ψ/∂w 1 und ∂ψ/∂w2 in jedem Punkt von W linear unabhängig, und nach Lemma 3.1 gilt für w = ψ −1 (p)
Tp M = {p} × Dψ(w)R2 = {p} × Spann
o
n ∂ψ
∂ψ
(w),
(w) .
1
2
∂w
∂w
Nach 2.4 ist (ψ −1 , ψ(W )) =: (ϕ, U ) eine Karte von M als C ∞ –Mannigfaltigkeit.
Seien ∂/∂w1 und ∂/∂w2 die dieser Karte entsprechenden Basisfelder auf U . Das
folgende Lemma erklärt, welchen Elementen aus Tp M die Vektoren ∂/∂w i (w) entsprechen.
Lemma. Sei Θ : Tp M → Tp M der Isomorphismus aus 10.1. Dann gilt für i = 1, 2
∂ψ
∂ Θ p,
(w) =
∂wi
∂wi p
Insbesondere ist
3
X
∂ ∂ψ k −1
∂ =
(ψ
(p))
.
∂wi p
∂wi
∂xk p
k=1
83
(10.2.1)
Beweis. Es ist ∂ψ/∂w 1 (w) = c0 (0), wobei c die Kurve c(t) = ψ(w 1 + t, w2 ) ist. Für
f ∈ C ∞ (M ) gilt daher
d ∂(f ◦ ψ)
∂ 0
f (c(t)) =
Θ(p, c (0)) f =
(w) =
f . QED
dt 0
∂w1
∂w1 p
10.3. Erste Fundamentalform einer Fläche im R3 . Die Standardmetrik des
R3 ist die Riemannsche Metrik, die bezüglich der Karte id R3 gegeben ist durch
g R3 =
X3
i=1
dxi ⊗ dxi .
Die Standardmetrik ist auch dadurch charakterisiert, dass die Standardbasisfelder
∂/∂xi an jeder Stelle p orthornormal sind bezüglich des Skalarproduktes g R3 (p).
P3
Für X = i=1 X i ∂/∂xi |p ∈ Tp R3 und Y entsprechend hat man daher
g R3 (p)(X, Y ) =
X3
i=1
X iY i .
Sei nun M eine Fläche im R3 . Dann heißt die durch Einschränkung von g R3 auf
T M , also durch
g(p) = g R3 (p)T M ×T M
p
p
für p ∈ M definierte Riemannsche Metrik auf M die erste Fundamentalform von
M . Ist ψ : W → M eine lokale Parametrisierung mit p ∈ ψ(W ) = U , dann ist
(ψ −1 , U ) eine Karte, und nach Abschnitt 6.6 gilt
X2
g U =
i,j=1
mit den Komponenten
gij (p) = g
gij dwi ⊗ dwj
D
∂ E
∂ψ −1
∂ψ −1
, ∂ (ψ (p)),
(ψ (p)) .
=
i
j
i
j
∂w p ∂w p
∂w
∂w
Dabei bezeichnet h·, ·i das übliche Skalarprodukt des R3 . Insbesondere sind die
Komponentenfunktionen gij differenzierbar, und daher ist g ein differenzierbares
Tensorfeld.
10.4. Längen, Winkel und Abstände auf Flächen. Durch die erste Fundamentalform wird jeder Tangentialraum Tp M der Fläche M zu einem zweidimensionalen euklidischen Vektorraum. Insbesondere ist die Norm eines Vektors X ∈ Tp M
definiert durch kXk = (g(X, X))1/2 , und der Kosinus des Winkels zwischen zwei
Vektoren X, Y ∈ Tp M ist gegeben durch
cos 6 (X, Y ) =
84
g(X, Y )
.
kXk kY k
Schnittwinkel zwischen Kurven sind in naheliegender Weise definiert als Winkel
zwischen ihren Tangentialvektoren im Schnittpunkt. Ist bezüglich lokaler Parameter
ψ:W →M
2
2
X
X
i ∂ i ∂ X=
X
und Y =
Y
,
i
i
∂w
∂w p
i=1
i=1
p
dann ergibt sich
hX, Y i = g
2
X
2
∂ X j ∂ X
,
Y
=
gij (p)X i Y j .
∂wi p j=1
∂wj p
i,j
Xi
i=1
Differenzierbare Kurven c : [a, b] → M in M können auch als differenzierbare Kurven im R3 aufgefasst werden, und ihre Länge ist
L(c) =
Z
b
a
kċk dt =
Z
b
a
p
g(ċ(t), ċ(t))dt .
(10.4.1)
Die Länge L(c) kann also ohne Kenntnis der umgebenden Raumes berechnet werden,
sobald man die Riemannsche Metrik g kennt. Ist (ϕ, U ) eine Karte für M , und ist
c([a, b]) ⊆ U , dann gilt nach Abschnitt 4.4 mit ci := ϕi ◦ c
ċ(t) =
2
X
dci
i=1
und damit
L(c) =
Z
b
a
r
X2
dt
i,j=1
(t)
∂ ∂wi c(t)
gij (c(t))
dci dcj
(t)
(t) dt
dt
dt
Der (über die Fläche M gemessene) Abstand zweier Punkte auf M ist definiert als
d(p, q) = inf L(c).
c
(10.4.2)
Dabei ist das Infimum zu nehmen über alle stückweise differenzierbaren Kurven
c : [a, b] → M , die p mit q verbinden, für die also c(a) = p und c(b) = q gilt. Man
verifiziert leicht, dass (M, d) mit der so definierten Abstandsfunktion d : M × M →
R ein metrischer Raum ist. In der Tat ist d(p, q) ≥ kp − qk, dem im R3 gemessenen
Abstand von p und q, also gilt d(p, q) = 0 nur für p = q.
Zur Definition von d sei angemerkt, dass man denselben Abstand d(p, q) erhält,
wenn man das Infimum nur über alle differenzierbaren Kurven nimmt statt über
alle stückweise differenzierbaren. Das liegt daran, dass man eine stückweise differenzierbare Verbindungskurve c von p nach q immer dergestalt durch einen differenzierbare Verbindungskurve c1 approximieren kann, dass die Länge L(c1 ) beliebig
wenig von L(c) abweicht. Mit der Definition durch differenzierbare Kurven wird
aber der Nachweis der Dreiecksungleichung für d etwas schwieriger.
85
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich Längen, Winkel und Abstände auf M
allein aus der Riemannschen Metrik g bestimmen lassen. Ihre Definitionen verallgemeinern sich deshalb unmittelbar auf beliebige Riemannsche Mannigfaltigkeiten.
10.5. Riemannsche Mannigfaltigkeiten als metrische Räume. Kurvenlängen L(c) und die Abstandsfunktion d : M × M → R sind auf beliebigen Riemannschen Mannigfaltigkeiten (M, g) ebenso definiert wie im Spezialfall der Flächen
im R3 , also durch die Beziehungen (10.4.1) und (10.4.2). Der Ball B(p, r) um einen
Punkt p vom Radius r > 0 ist definiert als die Menge aller Punkte in M , deren
Abstand von p kleiner als r ist, also
B(p, r) = { q ∈ M | d(p, q) < r } .
Satz. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit, und sei d die induzierte Abstandsfunktion. Dann ist (M, d) ein metrischer Raum. Die durch d induzierte
Topologie stimmt mit der Mannigfaltigkeitstopologie von M überein.
Beweis. Die Symmetrie d(p, q) = d(q, p) und die Dreiecksungleichung sind offensichtlich. Wir zeigen, dass d(p, q) = 0 nur für p = q gilt. Seien dazu p 6= q ∈ M .
Sei (ϕ, U ) Karte an p mit ϕ(p) = 0. Wir wählen r > 0 so klein, dass q nicht im
Urbild Ur := ϕ−1 (B(0, r)) des euklidischen Balles B(0, r) ⊂ Rn enthalten ist. Sei
g̃ = ϕ∗ g Rn der Pullback (siehe 7.9) der Standardmetrik von Rn auf U , also
∂
∂ = δij
g̃ij = g̃
,
∂xi ∂xj
bezüglich der Karte ϕ. Die Teilmenge
Ar = { X ∈ T M | π(X) ∈ Ūr und g̃(X, X) = 1 }
des Tangentialbündels von M ist kompakt. Daher existiert eine Zahl λ > 0, so dass
für alle X ∈ Ar gilt
g(X, X) ≥ λ = λ g̃(X, X) .
Da g und g̃ bilinear sind, folgt daraus
g(X, X) ≥ λ g̃(X, X)
(∗)
für alle X ∈ T M |Ūr . Sei nun c : [a, b] → M eine stückweise differenzierbare Kurve
mit c(a) = p und c(b) = q. Da q nicht in Ur enthalten ist, existiert ein t0 ∈ [a, b]
dergestalt, dass ϕ(c(t0 )) Randpunkt des Balles B(0, r) ist. Damit folgt
Z bp
L(c) =
g(ċ, ċ)
a
√ Z t0 p
≥ λ
g̃(ċ, ċ)
a
Z
t0 p
√
= λ
g Rn ((T ϕ)ċ, (T ϕ)ċ)
a
Z
t0 p
√
g Rn ((ϕ ◦ c)˙, (ϕ ◦ c)˙)
= λ
√ a
≥ λr.
86
√
Also ist d(p, q) ≥ λ r > 0. Es bleibt zu zeigen, dass die durch d induzierte Topologie mit der Mannigfaltigkeitstopologie von M
/ ϕ−1 (B(0, r))
√ übereinstimmt. Für q ∈
gilt nach dem soeben Bewiesenen d(p, q) ≥ λ r, also ist
B(p,
√
λ r) ⊆ ϕ−1 (B(0, r)) .
Ebenso zeigt man
ϕ−1 (B(0, r)) ⊆ B(p,
√
Λ r)
mit g(X, X) ≤ Λ g̃(X, X) anstelle von (∗). Damit existieren für jeden Punkt p ∈ M
positive Zahlen λ, Λ und r0 , so dass für alle r ≤ r0 gilt
B(p,
√
√
λ r) ⊆ ϕ−1 (B(0, r)) ⊆ B(p, Λ r) .
Das bedeutet, dass jeder offene Ball um p eine offene Umgebung von p bezüglich der
Mannigfaltigkeitstopologie enthält und umgekehrt. Die Behauptung folgt. QED
10.6. Integration auf Flächen. Sei ψ : W → ψ(W ) =: U ⊆ M eine lokale
Parametrisierung der Fläche M im R3 . Dann ist der Flächeninhalt (oder das zweidimensionale Volumen) von U definiert durch
vol(U ) =
ZZ
W
∂ψ
∂ψ 1 2
1×
dw dw
∂w
∂w2
und allgemeiner das Integral einer stetigen Funktion f auf U durch
Z
f dV =
U
ZZ
W
∂ψ
∂ψ 1 2
f (ψ(w1 , w2 )) 1 ×
dw dw .
∂w
∂w2
(10.6.1)
Das Integral existiert, wenn etwa f nichtnegativ ist oder kompakten Träger in U hat.
Diese Definitionen sind durch folgende anschauliche Betrachtung motiviert. Das
Bild eines kleinen Rechtecks im Parameterbereich W mit den Ecken w = (w 1 , w2 ),
(w1 + ∆w1 , w2 ), (w1 , w2 + ∆w2 ) und (w1 + ∆w1 , w2 + ∆w2 ) unter der Abbildung
ψ ist annähernd ein Parallelogramm. Dessen elementargeometrischer Flächeninhalt
ist gegeben durch die Norm des Vektorproduktes der Kantenvektoren, also ist
∆vol ≈ ψ(w1 + ∆w1 , w2 ) − ψ(w1 , w2 ) × ψ(w1 , w2 + ∆w2 ) − ψ(w1 , w2 ) ∂ψ
∂ψ
(w) ∆w2 ≈ 1 (w) ∆w1 ×
2
∂w
∂w
∂ψ
∂ψ
= 1 (w) ×
(w)
∆w1 ∆w2 .
∂w
∂w2
Zerlegt man W in Rechtecke und summiert diese Ausdrücke, so ergibt sich eine
Riemannsche Summe für das als Definition von vol(U ) verwendete Doppelintegral.
87
Das Integral (10.6.1) lässt sich mit Hilfe der ersten Fundamentalform von M berechnen. Für Vektoren a, b ∈ R3 gilt nämlich
ha, ai ha, bi
2
2
2
2
ka × bk = kak kbk − ha, bi = det
.
hb, ai hb, bi
Wegen gik ◦ ψ = h(∂ψ/∂w i ), (∂ψ/∂wk )i folgt
∂ψ
∂ψ g11 g12
2
◦ ψ =: det (gik ) ◦ ψ
= det
1×
g21 g22
∂w
∂w2
und damit
Z
f dV =
U
ZZ
f (ψ(w))
W
p
det(gik (ψ(w))) dw1 dw2 .
Das folgende Lemma besagt, dass das Integral nicht von der Wahl der lokalen
Parametrisierung von M abhängt. Diese Tatsache ist wegen der skizzierten geometrischen Bedeutung nicht überraschend.
Lemma. Sei σ : W 0 → W ein Diffeomorphismus und sei ψ 0 : W 0 → U die lokale
0
Parametrisierung ψ 0 = ψ ◦ σ. Sind gik
die Komponenten der ersten Fundamentali
k
0
0
0
form bezüglich ψ , also g|U = gik dw ⊗ dw0 , dann gilt
ZZ
ZZ
p
p
1
2
1
2
f (ψ 0 (w0 )) det(gik 0 ) dw0 dw0 .
f (ψ(w)) det(gik ) dw dw =
W0
W
Beweis. Nach (6.2.2) gilt, in abgekürzter Schreibweise,
0
gik
=
∂wj ∂wl
gjl ,
∂w0 i ∂w0 k
also nach dem Multiplikationssatz für Determinanten
p
∂wj p
det(gik 0 ) = det
det(gik ) .
∂w0 i
Die Behauptung folgt aus dem Transformationssatz für Integrale. QED
10.7. Integration auf Riemannschen Mannigfaltigkeiten. Seien nun (M, g)
eine n-dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit, (ϕ, U ) eine Karte und W =
ϕ(U ) ⊆ Rn . Die Funktion f ∈ C 0 (M ) habe kompakten Träger in U . Dann definiert
man
Z
Z
p
(10.7.1)
f dVg =
f (ϕ−1 (w)) det(gik (ϕ−1 (w))) dw .
M
W
Der Beweis des Lemmas in 10.6 zeigt, dass dieser Ausdruck unabhängig ist von
der Wahl der verwendeten Karte. Hat allgemeiner f ∈ C 0 (M ) kompakten Träger
supp(f ), der nicht notwendig in einer Karte enthalten ist, dann wählt man endlich
88
viele Karten (ϕα , Uα ), deren Definitionsbereiche Uα den Träger von f überdecken,
sowie eine den Uα untergeordnete Partition der Eins {%α } und definiert
Z
f dVg =
M
XZ
α
%α f dVg .
(10.7.2)
M
Wir zeigen, dass diese Definition weder von der Wahl der Überdeckung des Trägers
durch Karten noch von der Wahl der Partition der Eins
S abhängt. Seien dazu
(ϕ0β , Vβ ) endlich viele weitere Karten mit supp(f ) ⊆ β Vβ , und sei {σβ } eine
diesen Karten untergeordnete Partition der Eins. Dann ist
XZ X XZ
σβ %α f dVg
%α f dVg =
α
M
=
=
=
α
M
α,β
M
β
M
β
M
XZ
XZ
XZ
β
σβ %α f dVg
X
α
%α σβ f dVg
σβ f dVg ,
wie behauptet. Das Volumen von M wird definiert als das Integral der konstanten
Funktion 1, also durch
Z
dVg .
(10.7.3)
vol(M ) =
M
Diese Definition ist zunächst sinnvoll für kompakte Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Die praktische Berechnung von Integralen erfolgt meist durch Zerlegen von M
in parametrisierte Teilmengen, nicht durch explizite Konstruktion von Partitionen
der Eins.
R
Bemerkung. Die Abbildung f 7→ M f dVg ist ein positives lineares Funktional
auf dem Raum Cc0 (M ) der stetigen Funktionen mit kompaktem Träger. Nach dem
Rieszschen Darstellungssatz definiert sie also ein positives Maß auf der σ–Algebra
der Borelschen Mengen von M . Dieses Maß heißt das Lebesguesche Maß der Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g). Damit stehen die Begriffe und Resultate der
allgemeinen Maß– und Integrationstheorie auf Riemannschen Mannigfaltigkeiten
zur Verfügung. Man vergleiche dazu etwa W. Rudins “Real and Complex Analysis”. Da man insbesondere nichtnegative messbare Funktionen integrieren kann,
lässt sich die Definition (10.7.1) auch auf nichtkompakte Riemannsche Mannigfaltigkeiten anwenden und liefert dann einen nicht notwendig endlichen Wert für
das Volumen von M .
10.8. Isometrien. Wir erinnern zunächst an den bereits in Abschnitt 7.9 eingeführten Begriff des Pullbacks, und zwar im Spezialfall der (2, 0)–Tensorfelder. Ist A
89
ein solches Tensorfeld auf einer Mannigfaltigkeit N , und ist φ ∈ C ∞ (M, N ), dann
heißt das durch
(φ∗ A)(X1 , X2 ) = A((T φ)X1 , (T φ)X2 )
(10.8.1)
für X1 , X2 ∈ Tp M und p ∈ M definierte Tensorfeld φ∗ A auf M der Pullback von A
unter φ.
Seien nun (M, g) und (N, h) Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Eine differenzierbare
Abbildung φ : M → N heißt eine isometrische Immersion, wenn φ eine Immersion
ist und gilt φ∗ h = g. Isometrische Immersionen, die Einbettungen sind, nennt
man isometrische Einbettungen, und isometrische Immersionen zwischen Mannigfaltigkeiten derselben Dimension heißen lokale Isometrien. Die Abbildung φ heißt
eine Isometrie, wenn φ : M → N ein Diffeomorphismus ist und gilt φ∗ h = g.
Schließlich nennt man (M, g) und (N, h) isometrisch, wenn eine Isometrie von M
auf N existiert.
Bemerkungen. (a) Nach Definition des Pullbacks ist die Abbildung φ : M → N
genau dann eine isometrische Immersion, wenn sie Skalarprodukte von Vektoren
respektiert, wenn also für alle p ∈ M und alle X, Y ∈ Tp M gilt
h(φ(p))((Tp φ)X, (Tp φ)Y ) = g(p)(X, Y ) .
Es ergibt sich insbesondere, dass die erste Fundamentalform g einer Fläche M im
R3 (oder einer Untermannigfaltigkeit des Rn ) der Pullback der Standardmetrik
g R3 unter der Inklusionsabbildung ι : M → R3 ist. Daher ist ι eine isometrische
Einbettung von (M, g) in (R3 , g R3 ).
(b) Die Abbildung φ ist genau dann eine lokale Isometrie, wenn zu jedem Punkt
p ∈ M eine Umgebung U von p existiert, so dass die Einschränkung φ|U : U → φ(U )
eine Isometrie ist. Das ergibt sich unmittelbar aus dem Satz 4.2.(c) über inverse
Funktionen.
(c) Ist φ eine isometrische Immersion, dann gilt L(φ ◦ c) = L(c) für alle differenzierbaren Kurven c in M . Nach Abschnitt 4.4 ist nämlich
d d
(φ ◦ c)˙(t) = Tt (φ ◦ c) = (Tc(t) φ) (Tt c) = (Tc(t) φ)ċ(t) ,
dt t
dt t
und daher
L(φ ◦ c) =
=
=
Z
Z
Z
b
k(φ ◦ c)˙(t)k dt
a
b
k(T φ)ċ(t)k dt
a
b
a
kċ(t)k dt
= L(c) .
(d) Die Isometrien einer Riemannschen Mannigfaltigkeit auf sich selbst bilden offensichtlich eine Gruppe, die Isometriegruppe Isom(M, g) von (M, g).
90
Eine Abbildung φ zwischen metrischen Räumen (M, d) und (M, d0 ) heißt abstandserhaltend , wenn für alle p, q ∈ M gilt
d0 (φ(p), φ(q)) = d(p, q) .
Satz. Seien (M, g) und (M 0 , g 0 ) Riemannsche Mannigfaltigkeiten, d und d0 ihre
Abstandsfunktionen, und sei φ : M → M 0 eine Abbildung.
(a) Ist φ eine Isometrie, dann ist φ abstandserhaltend.
(b) Ist umgekehrt φ bijektiv und abstandserhaltend, dann ist φ ∈ C ∞ (M, M 0 ) und
eine Isometrie.
Abstandserhaltende Bijektionen zwischen metrischen Räumen nennt man oft ebenfalls Isometrien (metrischer Räume). Der Satz besagt dann, dass Isometrien Riemannscher Mannigfaltigkeiten dasselbe sind wie Isometrien der ihnen entsprechenden metrischen Räume. Der Beweis der Aussage (a) ergibt sich unmittelbar aus
Bemerkung (c) und der Definition der Abstandsfunktionen. Der schwierigere Beweis der Umkehrung findet sich in Kobayashi–Nomizu, “Foundations of Differential
Geometry I”, S. 169–172. Der Beweis benutzt den Begriff der Geodätischen, auf
den wir erst später eingehen werden.
10.9. Beispiele. (a) Sei φ : R3 → R3 eine euklidische Bewegung, also φ(x) =
Ax + b mit einer orthogonalen Matrix A. Dann ist φ eine Isometrie von (R3 , g R3 ).
Das ergibt sich aus Teil (b) des Satzes in 10.8, oder durch direktes Nachrechnen:
Mit den Standardbasisfeldern ∂/∂xi des R3 ist
φ∗ (g R3 )
∂
∂ ∂ ∂
, k = g R3 (T φ) i , (T φ) k
i
∂x ∂x
∂x
∂x
∂φj ∂ ∂φl ∂ ,
= g R3
∂xi ∂xj ∂xk ∂xl
∂
∂φj ∂φl
∂ =
g
,
3
∂xi ∂xk R ∂xj ∂xl
X ∂φj ∂φj
=
∂xi ∂xk
j
= δik
= g R3
∂
∂ ,
,
∂xi ∂xk
weil (∂φi /∂xj ) = A eine orthogonale Matrix ist. Als Folgerung ergibt sich: Sind
M und N Flächen im R3 mit ersten Fundamentalformen gM und gN , und gilt
φ(M ) = N , dann ist die Einschränkung φ|M eine Isometrie von (M, gM ) auf (N, gN ).
Nennt man Flächen, die sich durch eine euklidische Bewegung ineinander überführen
lassen, kongruent, dann gilt also: Kongruente Flächen sind isometrisch.
91
(b) Aufwickeln eines Papierstreifens um einen Zylinder ist eine lokale Isometrie: Sei
M = R2 × {0} ⊆ R3 , und sei M 0 der Kreiszylinder
M 0 = { (x1 , x2 , x3 ) | (x1 )2 + (x2 )2 = 1 } .
Dann ist die Abbildung φ : M → M 0 mit

 1 
cos w1
w
φ  w2  =  sin w1 
w2
0
eine lokale Isometrie. Man rechnet dazu etwa nach, dass die Orthonormalbasis
∂/∂w1 |p , ∂/∂w2 |p des Tangentialraumes Tp M durch die Ableitung Tp φ in eine Orthonormalbasis von Tφ(p) M abgebildet wird. Isometrische Flächen im R3 sind also
nicht notwendig kongruent.
(c) Katenoid und Helikoid. Als Katenoid oder Kettenfläche bezeichnet man die
durch Rotation der sogenannten Kettenlinie um die x3 –Achse entstehende Drehfläche. Wählt man als Definitionsbereich der lokalen Parametrisierung

 


cos w1 cosh w2
cosh w2
cos w1 − sin w1 0
 =  sin w1 cosh w2 
0
cos w1 0  
ψ(w1 , w2 ) =  sin w1
2
w2
w
0
0
1
den Parameterbereich W = (0, 2π) × R, dann ist das Bild M = ψ(W ) das Katenoid
ohne den “Meridian” w 1 = 0. Mit
D ∂ψ ∂ψ E
gik ◦ ψ =
,
∂wi ∂wk
berechnet man für die Koeffizienten der ersten Fundamentalform g12 = 0 und
g11 (ψ(w1 , w2 )) = g22 (ψ(w1 , w2 )) = (cosh w2 )2 .
Das Helikoid (die Wendelfläche) entsteht aus der x1 –Achse im R3 durch “Verschrauben” entlang der x3 –Achse:

 2  
  2

cos w1 − sin w1 0
w
0
w cos w1
ψ̄(w1 , w2 ) =  sin w1
cos w1 0   0  +  0  =  w2 sin w1  .
0
0
1
0
w1
w1
Für die erste Fundamentalform ergibt sich
ḡ11 (ψ̄(w1 , w2 )) = 1 + (w2 )2 , ḡ12 = 0 und ḡ22 = 1 .
Nimmt man als Parameterbereich die Menge W̄ = (0, 2π) × R, dann ist das Bild
M̄ = ψ̄(W̄ ) eine “volle Windung” der Wendelfläche.
92
Wir zeigen nun, dass die Riemannschen Mannigfaltigkeiten (M, g) und (M̄, ḡ) isometrisch sind. Gesucht ist also eine Isometrie φ : M → M̄. Wir suchen stattdessen
den Diffeomorphismus α = ψ̄ −1 ◦φ◦ψ von W auf W̄ und formulieren die Bedingung
φ∗ ḡ = g um in ein Gleichungssystem für α. Es ist
φ∗ ḡ = g ⇐⇒ (ψ̄ ◦ α ◦ ψ −1 )∗ ḡ = g
⇐⇒ (ψ −1 )∗ α∗ ψ̄ ∗ ḡ = g
⇐⇒ α∗ ψ̄ ∗ ḡ = ψ ∗ g
∂
∂
∂ ∂ ⇐⇒ ∀i, j : (ψ̄ ∗ ḡ) (T α) i , (T α) j = (ψ ∗ g)
,
∂w
∂w
∂wi ∂wj
∂αk ∂αl
ḡkl ◦ ψ̄ ◦ α = gij ◦ ψ
∂wi ∂wj
 1 ∂α2 2
∂α 2


(1 + (α2 )2 ) +
= (cosh w2 )2

1
∂w
∂w1
⇐⇒
1 2
∂α2 2


 ∂α
(1 + (α2 )2 ) +
= (cosh w2 )2
2
∂w
∂w2
Die Gleichung φ∗ ḡ = g übersetzt sich also in ein nichtlineares System partieller
Differentialgleichungen erster Ordnung für α. Für derartige Systeme kann man
nicht allgemein die Existenz von Lösungen erwarten—schon weil beliebige Flächen
nicht lokal isometrisch sein müssen. Im vorliegenden Fall führt aber der Ansatz
α1 (w1 , w2 ) = a(w1 ), α2 (w1 , w1 ) = b(w2 ) zur Lösung α(w 1 , w1 ) = (w1 , sinh w2 ). Es
sei angemerkt, dass diese Isometrie nicht dem Zufall entspringt: Katenoid und Helikoid sind Beispiele zueinander assoziierter Minimalflächen, und derartige Flächen
sind stets lokal isometrisch.
⇐⇒ ∀i, j :
10.10. Einbettungssatz von Nash. Der Whitneysche Einbettungssatz aus
Abschnitt 8.7 zeigt, dass jede differenzierbare Mannigfaltigkeit diffeomorph ist zu
einer Untermannigfaltigkeit eines Rm . Eine viel weiter gehende Aussage macht
der Einbettungssatz von John Nash (1956). Er besagt, dass jede Riemannsche
Mannigfaltigkeit (M, g) isometrisch in einen Rm , versehen mit der Standardmetrik
gRm , eingebettet werden kann. Insbesondere ist also (M, g) isometrisch zu einer
Untermannigfaltigkeit des Rm , versehen mit der ersten Fundamentalform. Ist
dabei M von der Klasse C ∞ und n–dimensional, dann genügt die Dimension m =
(n + 2)(n + 3)/2, und speziell im Fall n = 2 ist m = 6 ausreichend.
Aufgaben
1. Flächeninhalt von Rotationsflächen. (a) Sei M ⊆ R3 eine Rotationsfläche,
deren erzeugende Kurve c : [0, l] → M nach der Bogenlänge parametrisiert ist. Der
Abstand des Punktes c(s) zur Rotationsachse werde mit ρ(s) bezeichnet. Zeigen
Sie, dass der Flächeninhalt von M gegeben ist durch
Z l
2π
ρ(s) ds .
0
93
(b) Berechnen Sie den Flächeninhalt des Rotationstorus aus Abschnitt 2.5.
2. Killingfelder. Ein Vektorfeld X ∈ V(M ) auf einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g) heißt ein Killingfeld (oder eine “infinitesimale Isometrie”), wenn sein
Fluss φt aus Isometrien besteht, wenn also gilt LX g = 0 (siehe 7.9). Zeigen Sie,
dass die Menge aller Killingfelder auf M eine Unterliealgebra der Liealgebra V(M )
bildet, also einen Untervektorraum, der bezüglich der Lieklammer abgeschlossen ist.
3. Volumen. Zeigen Sie, dass isometrische Riemannsche Mannigfaltigkeiten dasselbe Volumen haben.
4. Beispiel. Geben Sie ein Beispiel einer Riemannschen Mannigfaltigkeit, die zur
Einheitssphäre S 2 ⊆ R3 lokal isometrisch, aber nicht zu einer Teilmenge von S 2
isometrisch ist.
5. Invariante Metriken auf Liegruppen. Eine Riemannsche Metrik g auf
einer Liegruppe G (siehe Aufgabe 3 zu Kapitel 2) heißt linksinvariant, wenn alle
Linkstranslationen La : G → G, La (b) = ab für a, b ∈ G Isometrien sind. Sie
heisst rechtsinvariant, wenn alle Rechtstranslationen Ra (b) = ba Isometrien sind,
und biinvariant, wenn sie zugleich links- und rechtsinvariant ist.
(a) Zeigen Sie, dass es zu jedem Skalarprodukt h·, ·i auf dem Tangentialraum Te G
im neutralen Element e genau eine linksinvariante Riemannsche Metrik g auf G gibt
mit g(e) = h·, ·i.
(b) Die orthogonale Gruppe O(n) ist eine Untermannigfaltigkeit des Rn×n . Zeigen
Sie, dass ihre erste Fundamentalform biinvariant ist.
(c) Die Liegruppe GL(n, R) der invertierbaren reellen n × n–Matrizen ist eine offene Teilmenge des Rn×n . Daher kann die linksinvariante Riemannsche Metrik auf
GL(n, R), die nach Teil (a) dem Standardskalarprodukt auf Te GL(n, R) ∼
= Rn×n
entspricht, in den Standardkoordinaten xij des Rn×n geschrieben werden als
g=
n
X
i,j,k,l=1
gij,kl dxij ⊗ dxkl .
Bestimmen Sie die Komponentenfunktionen gij,kl .
6. Hyperbolische Ebene. Sei M = {(x, y) ∈ R2 | y > 0} mit der Riemannschen
Metrik g = (dx ⊗ dx + dy ⊗ dy)/y 2 . Die Gruppe SL(2, R) operiert auf M vermöge
φA (z) =
az + b
cz + d
a b
∈ SL(2, R) und z = x + iy ∈ C ∼
wobei A =
= R2 . Zeigen Sie:
c d
(a) Die Operation ist isometrisch, d.h. jedes φA ist eine Isometrie.
(b) Die Operation ist transitiv auf dem Einheitstangentialbündel von M , d.h. für
alle X, Y ∈ T M mit kXk = kY k = 1 existiert ein A ∈ SL(2, R) mit (T φA )(X) = Y .
94
11. Gaußabbildung und zweite Fundamentalform
Neben der durch die erste Fundamentalform beschriebenen inneren Geometrie einer
Fläche M im R3 gibt es geometrische Eigenschaften, die isometrische, nicht kongruente Flächen (wie z. B. ein Kreiszylinderstück und ein dazu isometrisches ebenes
Gebiet) voneinander unterscheiden. Diese “extrinsischen” Eigenschaften leiten sich
ab von der Gaußabbildung, einer Abbildung von M in die zweidimensionale Einheitssphäre, die jedem Punkt p von M im wesentlichen einen Einheitsnormalenvektor n(p) der Fläche in p zuordnet. Wie n(p) sich in Abhängigkeit von p ändert, wird
beschrieben durch die Weingartenabbildung von M , aus der ein (2, 0)–Tensorfeld,
die zweite Fundamentalform von M gebildet wird. Diese zweite Fundamentalform
ist im nächsten Kapitel Ausgangspunkt der Krümmungstheorie für Flächen.
Im vorliegenden Abschnitt führen wir nach allgemeinen Bemerkungen zur Orientierbarkeit von Mannigfaltigkeiten die genannten Begriffe ein und geben explizite
Formeln. Wir zeigen dann, dass die erste und die zweite Fundamentalform zusammen genommen eine Fläche bis auf Kongruenz bestimmen. Der Inhalt des Kapitels
läßt sich ohne Mühe von Flächen im R3 auf Hyperflächen im Rn , also Untermannigfaltigkeiten der Kodimension Eins, übertragen.
11.1. Orientierungen. Sei V ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum. Zwei
Basen (e1 , . . . , en ) und (e01 , . . . , e0n ) von V heißen gleich orientiert, wenn die den
Basiswechsel
vermittelnde Matrix positive Determinante hat, wenn also gilt e 0i =
P
aki ek mit det(aki ) > 0. Diese Beziehung definiert eine Äquivalenzrelation auf
der Menge der Basen. Jede der beiden Äquivalenzklassen heißt eine Orientierung
des Vektorraumes V ,
O = [(e1 , . . . , en )] .
Basen mit [(e1 , . . . , en )] ∈ O nennt man positiv orientiert bezüglich der Orientierung
O. Eine Orientierung einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ist eine Menge
{Op | p ∈ M } von Orientierungen Op der Tangentialräume Tp M mit folgender
Stetigkeitseigenschaft: Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p
und ein stetiges Basisfeld (X1 , . . . , Xn ) auf U mit
[(X1 (p), . . . , Xn (p))] = Op .
Die Mannigfaltigkeit M heißt orientierbar, wenn eine Orientierung von M existiert.
Eine orientierte Mannigfaltigkeit schließlich ist ein Paar, bestehend aus einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M und einer Orientierung von M .
Lemma. Sei M zusammenhängend und orientierbar. Dann existieren genau zwei
Orientierungen auf M .
Version: 18. Februar 2000
95
Beweis. Jeder Vektorraum hat offenbar genau zwei Orientierungen. Sind {Op } und
{Op0 } zwei Orientierungen von M , dann ist die Menge {p ∈ M | Op = Op0 } zugleich
offen und abgeschlossen in M . Da M zusammenhängend ist, ist sie leer oder stimmt
mit ganz M überein. QED
Lemma. Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit (M, A) ist genau dann orientierbar,
wenn es einen Atlas A+ ⊆ A gibt, dessen Kartenwechsel positive Funktionaldeterminanten haben: det(D(ϕ̃ ◦ ϕ−1 )) > 0 für alle (ϕ, U ) und (ϕ̃, Ũ ) ∈ A+ . Maximale
Atlanten A+ ⊆ A mit dieser Eigenschaft entsprechen bijektiv den Orientierungen
von M .
Beweis. Sei {Op | p ∈ M } eine Orientierung. Wir definieren einen Atlas A+ durch
h ∂ ∂ i
+
= Op für alle p ∈ U .
,...,
A = (ϕ, U ) ∈ A
∂x1 p
∂xn p
Dabei bezeichnen ∂/∂xi die Basisfelder der Karte ϕ. Sind (ϕ, U ) und (ϕ̃, Ũ ) ∈ A+ ,
und sind ∂/∂xi und ∂/∂ x̃i die entsprechenden Basisfelder, dann gilt für p ∈ U ∩ Ũ
∂ ∂ ∂xk
(ϕ(p))
=
.
∂ x̃i p
∂ x̃i
∂xk p
Nach Definition von A+ hat die Matrix (∂xk /∂ x̃i ) positive Determinante. Diese
Matrix ist aber die Matrix der Ableitung D(ϕ ◦ ϕ̃−1 )(ϕ(p)). Also hat der Atlas A+
die gewünschte Eigenschaft. Die umgekehrte Implikation ist offensichtlich. QED
Bemerkung. Ein lokaler Diffeomorphismus φ : M → N zwischen orientierten
Mannigfaltigkeiten heißt orientierungserhaltend, wenn für jeden Punkt p ∈ M die
Ableitung Tp φ positiv orientierte Basen von Tp M in positiv orientierte Basen von
Tφ(p) N abbildet. Im Beweis des Lemmas ist A+ die Menge aller orientierungserhaltenden Karten in A, wobei Rn mit der durch die Standardbasis definierten Standardorientierung versehen ist. Denn die Ableitung Tp ϕ einer Karte ϕ bildet die zur
Karte gehörenden Basisfelder ∂/∂xi in die Standardbasisfelder des Rn ab.
11.2. Gaußabbildung. Ist M ⊆ R3 eine orientierte Fläche, dann existiert genau
eine Abbildung ν : M → T R3 mit folgenden Eigenschaften: Es gilt
ν(p) ∈ Tp R3 , ν(p) ⊥ Tp M und kν(p)k = 1
für alle p ∈ M und bezüglich der Standardmetrik g R3 des R3 , und für jede positiv
orientierte Basis (X1 , X2 ) von Tp M ist (X1 , X2 , ν(p)) eine positiv orientierte Basis
von Tp R3 . Die Abbildung ν ist also ein Einheitsnormalenfeld, das im beschriebenen
Sinne mit der Orientierung von M und der Standardorientierung des R3 verträglich
ist. Schreibt man unter Verwendung der Standardbasisfelder ∂/∂xl des R3
∂ ν(p) = nl (p)
,
∂xl p
96
dann erhält man eine differenzierbare Abbildung


n1
n =  n2  : M → S 2 ⊆ R 3
n3
mit Werten in der Einheitssphäre. Diese Abbildung heißt die Gaußabbildung von M .
Ist ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine orientierungserhaltende lokale Parametrisierung,
dann gilt offenbar
∂ψ
∂ψ
1 × ∂w 2
(ψ −1 (p)).
n(p) = ∂w
∂ψ1 × ∂ψ2 ∂w
∂w
11.3. Kovariante Ableitung auf Rn . Sei Y ein differenzierbares Vektorfeld auf
Rn . Bezüglich der Standardbasisfelder ist dann Y = Y j ∂/∂xj . Für Xp ∈ Tp Rn
definiert man die kovariante Ableitung von Y nach Xp durch Differentiation der
Komponentenfunktionen,
∂ ∈ T p Rn .
∇Xp Y = Xp (Y j )
∂xj p
Ist c : [0, 1] → Rn eine differenzierbare Kurve mit c(0) = p und ċ(0) = Xp , dann
gilt Xp (Y j ) = (Y j ◦ c)0 (0). Daher hängt der Wert ∇Xp Y nicht von Y , sondern nur
von der Einschränkung von Y auf das Bild der Kurve c ab.
Für Vektorfelder X und Y auf Rn definiert man ein Vektorfeld ∇X Y durch
(∇X Y )(p) = ∇X(p) Y .
Man verifiziert die folgende Produktregel für die Standardmetrik g Rn des Rn :
X(g Rn (Y, Z)) = g Rn (∇X Y, Z) + g Rn (Y, ∇X Z) .
11.4. Weingartenabbildung und zweite Fundamentalform. Sei M ⊆ R3
eine orientierte Fläche, versehen mit dem Einheitsnormalenfeld ν aus Abschnitt
11.2, und sei Xp ∈ Tp M ⊆ Tp R3 . Dann ist die Ableitung ∇Xp ν ∈ Tp R3 wohldefiniert. Nach der Produktregel aus 11.3 ist
0 = Xp (g R3 (ν, ν)) = 2 g R3 (∇Xp ν, ν(p)) .
Der Vektor ∇Xp ν ist also orthogonal zu ν(p), und damit ist ∇Xp ν ∈ Tp M .
Definition. Die differenzierbare Abbildung L : T M → T M ,
L(Xp ) = −∇Xp ν
97
heißt die Weingartenabbildung oder der Shape–Operator der orientierten Fläche M .
Das mit Hilfe der ersten Fundamentalform g von M durch
II(X, Y ) = g(LX, Y ) = g(−∇X ν, Y )
definierte (2, 0)–Tensorfeld II auf M heißt die zweite Fundamentalform von M .
Der Vektor LXp misst die “Kippgeschwindigkeit” der Normalen ν in Richtung Xp ∈
Tp M . Sowohl ν als auch L und II ändern offenbar das Vorzeichen bei Wechsel der
Orientierung von M .
11.5. Berechnung von L und II. Sei ψ : W → U ⊆ M eine orientierungserhaltende lokale Parametrisierung. Dann ist
II =
2
X
i,k=1
hik dwi ⊗ dwk
(11.5.1)
mit gewissen Funktionen hik auf U . Wir berechnen die Komponenten hik . Zunächst
ist
∂ ∂ ,
hik (p) = II
∂wi p ∂wk p
∂ = g − ∇ ∂ | ν,
∂wk ∂wi p
p
= −g R3
3
X
l
l=1
3
∂ l ∂ X ∂ψ m
∂
n
,
(w)
|
p
∂wi p
∂xl p m=1 ∂wk
∂xm
Dabei ist p = ψ(w), die n sind die in Abschnitt 11.2 definierten Komponenten von
ν, und wir haben Gleichung (10.2.1) verwendet. Wegen
∂ l
∂(nl ◦ ψ)
n
=
(w)
∂wi p
∂wi
ergibt sich, wenn wir das Standardskalarprodukt des R3 mit spitzen Klammern
bezeichnen,
3
X
∂ψ l
∂(nl ◦ ψ)
(w)
(w)
hik (p) = −
∂wi
∂wk
l=1
D ∂(n ◦ ψ)
E
∂ψ
=−
(w),
(w)
∂wi
∂wk
D
E
∂2ψ
= (n ◦ ψ)(w),
(w)
.
∂wi ∂wk
Das Resultat lautet also
E
D
∂2ψ
−1
(ψ
(p))
.
(11.5.2)
hik (p) = n(p),
∂wi ∂wk
98
Folgerung. Die zweite Fundamentalform II ist symmetrisch. Für jeden Punkt
p ∈ M ist die Weingartenabbildung Lp : Tp M → Tp M ein selbstadjungierter Endomorphismus des euklidischen Vektorraumes (Tp M, g(p)).
Die Weingartenabbildung L fassen wir als ein (1, 1)–Tensorfeld (siehe Beispiel (b)
in 5.1) auf und schreiben
L=
2
X
i,k=1
also
LX =
2
X
Li k dwi ⊗
Li k (p) dwi (X)
i,k=1
∂
,
∂wk
(11.5.3)
2
X
∂ ∂ k
i
=
L
(p)
X
i
∂wk p
∂wk p
i,k=1
für
X=
2
X
∂ ∈ Tp M.
∂wj p
Xj
j=1
Wir berechnen die Komponenten Li k . Sei
Y =
2
X
Yk
k=1
Dann ist
∂ ∈ Tp M.
∂wk p
II(X, Y ) = g(LX, Y )
∂ ∂ k
,Y
)
= g(X Li (p)
∂wj p
∂wk p
j
i
= X i Li j (p)Y k gjk (p) .
Der Vergleich mit II(X, Y ) = X i Y k hik (p) ergibt, da X, Y beliebig sind,
hik =
2
X
Li j gjk .
j=1
Sei nun (g ij )i,j=1,2 die zu (gij ) inverse Matrix. Gleichung (11.5.4) liefert
X
hik g km =
k
X
Li j gjk g km
k,j
=
XX
j
=
X
k
gjk g km Li j
δj Li j
j
= Li m
99
m
(11.5.4)
und damit als Ergebnis
Li k =
2
X
hij g jk .
(11.5.5)
j=1
11.6. Ableitung der Gaußabbildung. Seien n : M → S 2 die Gaußabbildung
der Fläche M . Wir bestimmen ihre Ableitung Tp n : Tp M → Tn(p) S 2 im Punkt
p ∈ M . Die Tangentialebene an M in p ist parallel zur Tangentialebene an die
Sphäre S 2 im Punkt n(p). Bezüglich der Standardkoordinaten auf R3 ist
Tn(p) S 2 =
3
nX
vi
i=1
o
∂ hn(p),
vi
=
0
,
∂xi n(p)
wobei v = (v 1 , v 2 , v 3 )T . Wir definieren eine Abbildung θp : Tp M → Tn(p) S 2 durch
θp
3
∂ X i ∂ .
=
v
v
∂xi p
∂xi n(p)
i=1
i=1
3
X
i
Geometrisch lässt sich θp beschreiben als euklidische Parallelverschiebung von Tp M
in den Tangentialraum Tn(p) S 2 .
Lemma. Für die Ableitung der Gaußabbildung n gilt mit Lp := L|Tp M
Tp n = −θp ◦ Lp .
Beweis. Ist ψ : W → M eine lokale Parametrisierung an p, dann gilt
3
∂ X
∂ ∂(nk ◦ ψ) −1
(Tp n)
(ψ (p))
.
=
∂wi p
∂wi
∂xk n(p)
k=1
Andererseits ist nach Definition von ∇
∂ L
= −∇ ∂ | ν
∂wi p
∂wi p
=−
3
X
k=1
∂ k ∂ n
∂wi p
∂xk p
3
X
∂ ∂(nk ◦ ψ) −1
.
=−
(ψ (p))
∂wi
∂xk p
k=1
Die Behauptung folgt aus der Definition von θp . QED
100
(11.6.1)
Vergleicht man diese Rechnung und
3
∂ X
∂ j
Li (p)
=
L
∂wi p
∂wj p
j=1
=
2
X
j=1
j
Li (p)
3
X
∂ψ k
k=1
∂wj
(ψ
−1
∂ (p))
,
∂xk p
so ergeben sich die Ableitungsgleichungen von Weingarten
2
X
∂ψ
∂(n ◦ ψ)
Li j ◦ψ
=
−
.
i
∂w
∂wj
j=1
(11.6.2)
11.7. Verhalten von L und II bei euklidischen Bewegungen. Seien M
und N zusammenhängende orientierte Flächen im R3 , die durch eine euklidische
Bewegung φ(x) = Ax + b des R3 ineinander abgebildet werden, so dass φ(M ) = N
ist. Seien νM und νN ihre Einheitsnormalenfelder wie in 11.2. Dann ist offenbar
νN ◦ φ|M = ± T φ ◦ νM ,
(11.7.1)
wobei je nach Orientierung das eine oder andere Vorzeichen zu nehmen ist.
Proposition. Seien LM und LN die Weingartenabbildungen der Flächen M und
N , und seien IIM , IIN ihre zweiten Fundamentalformen. Dann gilt mit demselben
Vorzeichen wie in (11.7.1)
(T φ) ◦ LM = ± LN ◦ (T φ)
(φ|M )∗ IIN = ± IIM .
(11.7.2)
Für den Beweis verwenden wir das folgende
Lemma. Sei X ∈ T Rn , und sei Y ∈ V(Rn ) ein differenzierbares Vektorfeld. Sei
ferner φ(x) = Ax+b eine affine Abbildung des Rn , also A ∈ GL(n, R) und b ∈ Rn .
Dann gilt
(T φ)(∇X Y ) = ∇(T φ)X (φ∗ Y ) .
(11.7.3)
Dabei ist das Vektorfeld φ∗ Y wie in Abschnitt 7.7 definiert als
φ∗ Y = (T φ) ◦ Y ◦ φ−1 .
Korollar. Sind X und Y ∈ V(Rn ) differenzierbare Vektorfelder, dann gilt für jede
affine Abbildung φ des Rn
φ∗ (∇X Y ) = ∇(φ∗ X) (φ∗ Y ) .
101
(11.7.4)
Man erhält also dasselbe Ergebnis, wenn man zuerst kovariant ableitet und dann
φ (in Gestalt von φ∗ ) anwendet, wie wenn man zunächst φ auf X und Y anwendet und danach kovariant ableitet: Das Anwenden affiner Abbildungen kommutiert, grob gesprochen, mit der kovarianten Ableitung. Und man kann leicht zeigen
(Aufgabe 2), dass diese Eigenschaft die affinen Abbildungen des Rn unter allen
Diffeomorphismen charakterisiert.
Zum Beweis des Lemmas sei etwa X ∈ Tp Rn und Y = Y k ∂/∂xk . Dann ist
Andererseits ist
∂ (T φ)(∇X Y ) = (T φ) X(Y k )
∂xk p
l
∂ k ∂φ
= X(Y ) k (p)
∂x
∂xl φ(p)
∂ .
= X(Y k ) Alk
∂xl φ(p)
∂ (φ∗ Y )(q) = (T φ) Y (φ (q))
∂xk φ−1 (q)
∂ ∂φl −1
k −1
,
= Y (φ (q)) k (φ (q))
∂x
∂xl q
also
k
−1
φ∗ Y = (Y k ◦ φ−1 ) Alk
∂
.
∂xl
Da die Matrixkoeffizienten Alk konstant sind, erhält man
k
∇(T φ)X (φ∗ Y ) = ((T φ)X)((Y ◦ φ
= X(Y k ) Alk
und das Lemma ist bewiesen. QED
−1
∂ ∂xl φ(q)
) Alk )
∂ ∂xl φ(p)
,
Mit Hilfe des Lemmas und der Gleichung (11.7.1) ergibt sich die Proposition wie
folgt. Es ist
(T φ)(LM X) = (T φ)(−∇X νM )
= −∇(T φ)X (T φ ◦ νM ◦ φ−1 )
= ∓ ∇(T φ)X νN
= ± LN ((T φ)X) .
102
Für die zweiten Fundamentalformen erhält man mit Beispiel 10.9.(a) schließlich
((φ|M )∗ IIN )(X, Y ) = IIN (T φ)X, (T φ)Y
= gN LN ((T φ)X), (T φ)Y
= ± gN (T φ)LM X, (T φ)Y
= ± gM (LM X, Y )
= ± IIM (X, Y ) .
11.8. Ableitungsgleichungen. Ist ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine lokale
Parametrisierung der orientierten Fläche M , dann bilden die Vektoren ∂ψ/∂w k (w)
zusammen mit dem Normalenvektor n(ψ(w)) für jeden Parameterwert w ∈ W eine
Vektorraumbasis des R3 . Insbesondere kann man die zweiten partiellen Ableitungen
von ψ als Linearkombination dieser Basisvektoren schreiben und gelangt so zu den
Ableitungsgleichungen von Gauß ,
∂ψ
∂2ψ
= Γik l ◦ψ
+ hik ◦ψ · n◦ψ .
∂wi ∂wk
∂wl
(11.8.1)
Die dabei auftretenden Funktionen Γik l ∈ C ∞ (U ) nennt man Christoffelsymbole.
Die Koeffizienten hik sind die Komponenten der zweiten Fundamentalform II aus
Gleichung (11.5.2). Neben den Gaußschen haben wir aus (11.6.2) die Weingartenschen Ableitungsgleichungen
∂ψ
∂(n ◦ ψ)
= −Li k ◦ψ
.
i
∂w
∂wk
(11.8.2)
Zusammen genommen drücken diese Ableitungsgleichungen die Ableitungen des
“begleitenden Dreibeins” ∂ψ/∂w 1 , ∂ψ/∂w2 , n durch das Dreibein selbst aus. Sie
stellen daher ein Analogon zu den Frenetschen Gleichungen für Kurven im R3 dar,
und wir werden sie in Abschnitt 11.9 auch in ähnlicher Weise verwenden.
Um die Christoffelsymbole Γik l zu berechnen, schreiben wir abkürzend ∂i ψ =
∂ψ/∂wi und unterdrücken ◦ψ. Dann lauten die Gaußschen Ableitungsgleichnungen
∂i ∂k ψ = Γik l ∂l ψ + hik n .
Das Skalarprodukt mit ∂m ψ ergibt nach Abschnitt 10.3
h∂i ∂k ψ, ∂m ψi = Γik l glm .
Mit der Produktregel
∂i h∂j ψ, ∂k ψi = h∂i ∂j ψ, ∂k ψi + h∂j ψ, ∂i ∂k ψ)i
103
erhält man die Gleichungen
∂i gjk = Γij l glk + Γik l glj
∂j gki = Γjk l gli + Γji l glk
∂k gij = Γki l glj + Γkj l gli ,
die durch zyklisches Vertauschen der Indizes auseinander hervorgehen. Subtraktion
der dritten Gleichung von der Summe der beiden ersten ergibt
∂i gjk + ∂j gki − ∂k gij = 2 Γij l glk
und nach Multiplikation beider Seiten mit g km und Summation über k erhält man
schließlich
1
(11.8.3)
Γij k = g kl (∂i gjl + ∂j gli − ∂l gij ).
2
Satz. Die Christoffelsymbole Γij k lassen sich allein aus den Koeffizienten gij der
ersten Fundamentalform und ihren Ableitungen berechnen.
Es sei bemerkt, dass die Γij k nicht die Komponenten eines Tensorfeldes auf M
sind, da ihr Transformationsverhalten bei Kartenwechsel nicht das eines Tensors
ist (siehe 6.2). Vielmehr sind sie, wie wir bald sehen werden, die Komponenten
eines “Zusammenhanges” auf M , und zwar des Levi–Civita–Zusammenhanges der
Riemannschen Metrik gM .
11.9. Kongruenz isometrischer Flächen. Sei M ⊆ R3 eine Fläche, φ eine
euklidische Bewegung des R3 , und sei N = φ(M ). Nach Abschnitt 10.9 ist die Einschränkung f = φ|M eine Isometrie der Riemannsche Mannigfaltigkeiten (M, gM )
und (N, gN ), erfüllt also f ∗ gN = gM . Umgekehrt ist nicht jede Isometrie zwischen
Flächen notwendig die Einschränkung einer euklidische Bewegung, da solche Einschränkungen nach 11.7 auch f ∗ IIN = ± IIM erfüllen müssen.
Satz. Seien M und N zusammenhängende orientierte Flächen im R3 , und sei
f : (M, gM ) → (N, gN ) eine Isometrie mit f ∗ IIN = IIM . Dann existiert eine
euklidische Bewegung φ : R3 → R3 mit φ|M = f .
Beweis. Sei p ∈ M und sei ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine lokale Parametrisierung
von M mit ψ(0) = p und mit zusammenhängendem Parameterbereich W . Dann ist
ψ̃ := f ◦ ψ : W → f (U ) ⊆ N
eine lokale Parametrisierung von N mit ψ̃(0) = f (p).
Sei φ(x) = Ax + b die euklidische Bewegung des R3 , die p in f (p) abbildet, und
deren Ableitung A das “begleitende Dreibein” der Parametrisierung ψ im Punkt p
104
in dasjenige der Parametrisierung ψ̃ im Punkt f (p) überführt, also
∂ψ
(0)
=
∂w1
∂ψ
(0)
=
A
∂w2
A
∂ ψ̃
(0) ,
∂w1
∂ ψ̃
(0) ,
∂w2
A (nM (p)) = nN (p) .
Dabei ist zu beachten, dass die lineare Abbildung A wegen h ∂ψ/∂w i , ∂ψ/∂wk i =
h ∂ ψ̃/∂wi , ∂ ψ̃/∂wk i Skalarprodukte respektiert, so dass es sich tatsächlich um eine
orthogonale Abbildung handelt.
Für die Fläche φ(M ) ergibt sich eine lokale Parametrisierung ψ̄ := φ ◦ ψ. Wir
werden zeigen, dass φ|M mit f übereinstimmt. Dazu beweisen wir zunächst, dass
ψ̄ = ψ̃ ist, so dass jedenfalls φ|U = f |U gilt.
Für die Komponenten der Fundamentalformen und die Christoffelsymbole der Flächen M̃ := N und M̄ := φ(M ) bezüglich der lokalen Parametrisierungen ψ̃ und ψ̄
gilt, in leicht verständlicher Notation,
g̃ij ◦ ψ̃ = ḡij ◦ ψ̄
da f und φ Isometrien sind
weil f ∗ IIN = IIM gilt
h̃ij ◦ ψ̃ = h̄ij ◦ ψ̄
L̃i k ◦ ψ̃ = L̄i k ◦ ψ̄
Γ̃ij k ◦ ψ̃ = Γ̄ij k ◦ ψ̄
da Li k = hil g lk ist
wegen Gleichung (11.8.3).
Wir beweisen als Beispiel die erste dieser Gleichungen. Die lokalen Parametrisierungen ψ, ψ̃ und ψ̄ der Mannigfaltigkeiten M , M̃ und M̄ induzieren Basisfelder auf
den entsprechenden Kartengebieten, die wir mit ∂i , ∂˜i und ∂¯i bezeichnen. Es gilt
f∗ ∂i = ∂˜i und φ∗ ∂i = ∂¯i . Da f und φ|M Isometrien sind, gilt für die ersten Fundamentalformen f ∗ gM̃ = gM und (φ|M )∗ gM̄ = gM . Daraus folgt, in etwas abgekürzter
Schreibweise,
g̃ij = g (∂˜i , ∂˜j )
M̃
= gM̃ ((T f )∂i , (T f )∂j )
= (f ∗ gM̃ )(∂i , ∂j )
= gM (∂i , ∂j )
= gij
und ebenso ḡij = gij , also insgesamt g̃ij = ḡij , jeweils ausgewertet an entsprechenden Stellen. Ebenso beweist man die zweite Gleichung, und die beiden übrigen
Gleichungen ergeben sich unmittelbar aus der ersten und der zweiten.
Seien Z̄k = ∂ ψ̄/∂wk und Z̃k = ∂ ψ̃/∂wk . Dann ist nach den Ableitungsgleichungen
105
aus 11.8
∂ ψ̄
= Z̄i
∂wi
∂ Z̄k
(11.9.1)
= Γ̄ik l ◦ ψ̄ · Z̄l + h̄ik ◦ ψ̄ · n̄◦ ψ̄
∂wi
∂(n̄◦ ψ̄)
= −L̄i k ◦ ψ̄ · Z̄k ,
∂wi
und für die Größen mit ˜· anstelle von ¯· gelten entsprechende Gleichungen. Die
Gleichungen (11.9.1) sind ein System der Form
∂ X̄
= Fi (X̄) (i = 1, 2)
∂wi
für die durch
X̄ = ψ̄, (Z̄1 , Z̄2 , n̄◦ ψ̄) ,
∼ R12 , und die Abbildung
definierte Abbildung X̄ : W → R3 × R3×3 =
X̃ = ψ̃, (Z̃1 , Z̃2 , ñ◦ ψ̃)
erfüllt dasselbe System, mit denselben Funktionen Fi . Da X̃(0) = X̄(0) gilt, und
da W zusammenhängend ist, folgt nun X̃ = X̄ auf ganz W . Ist nämlich w0 ∈ W , so
wähle man eine differenzierbare Kurve c : [0, 1] → W mit c(0) = 0 und c(1) = w0 .
Dann erfüllt X̄ ◦ c das System gewöhnlicher Differentialgleichungen
dci
d(X̄ ◦ c)
(t) = Fi (X(c(t))
(t) ,
dt
dt
ist also durch den Anfangswert X̄(c(0)) = X̄(0) eindeutig bestimmt. Insbesondere
ist ψ̄ = ψ̃, also φ ◦ ψ = f ◦ ψ, und damit φ|U = f |U , wie beabsichtigt.
Wir haben gezeigt, dass zu jedem Punkt p ∈ M eine euklidische Bewegung φp ∈ E(3)
existiert mit φp |U = f |U auf einer Umgebung U von p, und φp wird eindeutig, wenn
man fordert (T φ) ◦ (νM |U ) = νN ◦ f |U . Die Abbildung p 7→ φp von M in die Gruppe
E(3) der euklidischen Bewegungen ist lokal konstant. Da M zusammenhängend ist,
ist sie konstant. QED
Aufgaben
1. Unterschied. Erläutern Sie den Unterschied zwischen der Standardorientierung
des R3 als Vektorraum und der Standardorientierung des R3 als differenzierbare
Mannigfaltigkeit.
2. Affine Abbildungen. Sei φ ein Diffeomorphismus des Rn auf sich selbst.
Zeigen Sie: φ ist eine affine Abbildung genau dann, wenn für alle differenzierbaren
Vektorfelder X und Y auf Rn gilt
φ∗ (∇X Y ) = ∇(φ∗ X) (φ∗ Y ) .
106
3. Weingartenabbildung. (a) Sei S ⊆ R3 eine Sphäre vom Radius ρ, versehen
mit der inneren Einheitsnormalen ν. Zeigen Sie, dass für die Weingartenabbildung
L : T S → T S gilt L = 1ρ idT S .
(b) Ist M ⊆ R3 eine zusammenhängende orientierte Fläche, für deren Weingartenabbildung gilt L = ρ1 idT M mit einer positiven Konstante ρ, dann ist M in einer
Sphäre vom Radius ρ enthalten.
4. Minimalflächen. Eine Fläche M ⊆ R3 heisst eine Minimalfläche, wenn die
Spur ihrer Weingartenabbildung Lp : Tp M → Tp M für jeden Punkt p ∈ M verschwindet. (Diese Bedingung ist offenbar unabhängig von einer Orientierung von
M .) Zeigen Sie, dass das Katenoid und das Helikoid Minimalflächen sind.
Exkurs: Gruppenoperationen. Eine (Links–)Operation oder (Links–)Wirkung
einer Liegruppe Γ (mit neutralem Element e) auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ist eine differenzierbare Abbildung µ : Γ×M → M mit den Eigenschaften
µ(e, p) = p und µ(a, µ(b, p)) = µ(ab, p) für alle a, b ∈ Γ und p ∈ M . Man schreibt
kurz ap oder a · p anstelle von µ(a, p), wenn keine Missverständnisse zu befürchten
sind. Die Operation heißt frei und eigentlich diskontinuierlich, wenn gilt:
(a) Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U mit U ∩ aU = ∅ für
alle a ∈ Γ\{e}.
(b) Ist q ∈ M nicht in der Bahn Γp des Punktes p enthalten, dann
existieren Umgebungen U von p und V von q mit U ∩ aV = ∅ für alle
a ∈ Γ.
5. Quotientenmannigfaltigkeiten. Die Gruppe Γ operiere frei und eigentlich
diskontinuierlich auf der C ∞ –Mannigfaltigkeit M . Zeigen Sie:
(a) Der Quotientenraum Γ\M ist hausdorffsch und hat eine abzählbare Basis der
Topologie.
(b) Auf dem Quotientenraum existiert genau eine C ∞ –Struktur mit der Eigenschaft, dass die kanonische Projektion π : M → Γ\M ein lokaler Diffeomorphismus
ist.
(c) Für diese Struktur gilt: f ∈ C ∞ (Γ\M ) genau dann, wenn f ◦ π ∈ C ∞ (M ) ist.
6. Orientierbarkeit von Quotienten. (a) Die Gruppe Γ operiere frei und
eigentlich diskontinuierlich auf der orientierten C ∞ –Mannigfaltigkeit M . Zeigen
Sie: Die Quotientenmannigfaltigkeit M → Γ\M ist genau dann orientierbar, wenn
jeder der Diffeomorphismen µa = µ(a, ·) orientierungserhaltend ist.
(b) Zeigen Sie, dass die von den beiden Abbildungen γ1 : (x, y) 7→ (x, y + 1)
und γ2 : (x, y) 7→ (x + 1, −y) erzeugte Gruppe Γ ⊆ Diff(R2 ) frei und eigentlich
diskontinuierlich auf R2 operiert. Ist der Quotient orientierbar?
(c) Für welche Dimensionen n ist der reell projektive Raum RP n := {±id}\S n
orientierbar?
107
12. Die Krümmungen einer Fläche
Die Weingartenabbildung Lp einer orientierten Fläche M ⊆ R3 ist, wie wir aus
Abschnitt 11.5 wissen, eine selbstadjungierte lineare Abbildung des Tangentialraumes Tp M in sich. Sie ist daher reell diagonalisierbar. Ihre Eigenwerte nennt
man die Hauptkrümmungen von M im Punkt p. Sie lassen sich als Krümmungen
von Schnittkurven gewisser Ebenen mit der Fläche deuten. Aus den beiden Hauptkrümmungen bildet man zwei weitere Krümmungsgrößen, die Gaußkrümmung und
die mittlere Krümmung von M , auf deren geometrische Bedeutung wir eingehen.
Es stellt sich heraus, dass die Gaußkrümmung, obwohl zunächst mit Hilfe der Weingartenabbildung, also des Normalenvektors von M , definiert, durch die erste Fundamentalform allein bestimmt ist. Sie gehört also zur inneren Geometrie von M .
Diese Entdeckung, das “Theorema egregium” von Gauß, war der Ausgangspunkt
der Krümmungstheorie Riemannscher Räume.
Im Folgenden ist M ⊆ R3 eine orientierte Fläche und n ihre Gaußabbildung.
12.1. Krümmung von Flächenkurven. Sei I ⊆ Rn ein Intervall, und sei
c ∈ C 2 (I, M ) eine nach der Bogenlänge parametrisierte Kurve in M . Wir fassen c als
Kurve im R3 auf und betrachten ihre Ableitungen, den Tangentenvektor c0 = dc/ds
und den “Beschleunigungsvektor” c00 = d2 c/ds2 . Diesen Vektor c00 spalten wir auf
in die zu M normale und die an M tangentielle Komponente. Sei dazu u := n × c0 .
Da c nach der Bogenlänge parametrisiert, also hc0 , c0 i = 1 ist, gilt hc00 , c0 i = 0. Daher
ist die an M tangentielle Komponente von c00 von ein Vielfaches von u, also
c00 (s) = κn (s) n(c(s)) + κg (s) u(s)
(12.1.1)
mit gewissen Funktionen κn und κg . Die Funktion κn heißt die Normalkrümmung,
κg die geodätische Krümmung der Kurve c.
Multiplikation von Gleichung (12.1.1) mit der Flächennormalen n ergibt hc00 , ni =
κn . Mit der Krümmung κ := kc00 k ergibt sich daraus
κn = κ cos 6 (c00 , n).
(12.1.2)
Beispiel. Sei E eine Ebene durch den Punkt p ∈ M , welchen die zu M senkrechte
Richtung enthält. Die Schnitte E ∩ M solcher Ebenen mit der Fläche bezeichnet
man als deren Normalschnitte im Punkt p. Wie wählen eine Parametrisierung des
Normalschnittes nach der Bogenlänge, also eine Kurve c ∈ C 2 (I, M ) mit c(0) = p,
kc0 k = 1 und mit c(I) ⊆ E ∩ M . Da c in der Ebene E liegt, ist c00 = ± n ◦ c und
κn = ± κ. Die Normalkrümmung eines Normalschnittes im Punkt p stimmt also
bis auf das Vorzeichen mit seiner Krümmung als Raumkurve überein. Dabei gilt
Version: 18. Februar 2000
108
das positive Vorzeichen, wenn der Normalschnitt E ∩ M sich in Richtung von n(p)
krümmt, andernfalls das negative.
Für allgemeine Kurven mit kċk = 1 läßt sich die Normalkrümmung mit der zweiten
Fundamentalform II in Zusammenhang bringen. Es ist nämlich
κn (s) = h c00 (s), n(c(s)) i
D
E
d
d
= hc0 (s), n(c(s))i − c0 (s), n(c(s))
ds
ds
= − ċ(s), ∇ċ(s) ν
= II(ċ(s), ċ(s)).
Satz. Die Normalkrümmung κn (s) von c hängt nur vom Tangentialvektor ċ(s) ab:
κn (s) = II(ċ(s), ċ(s)).
(12.1.3)
Insbesondere stimmt κn (s) mit der mit Vorzeichen versehenen Krümmung des c im
Punkt c(s) berührenden Normalschnittes von M überein.
Als eine geometrische Deutung der zweiten Fundamentalform ergibt sich:
Korollar. Für X ∈ Tp M ist II(X, X)/ kXk2 die mit Vorzeichen versehene Krümmung des Normalschnittes der durch X und n(p) aufgespannten Ebene mit M .
12.2. Hauptkrümmungen einer Fläche. Die Eigenwerte k1 (p) und k2 (p) der
Weingartenabbildung Lp : Tp M → Tp M heißen die Hauptkrümmungen von M
in p, die Eigenräume Hauptkrümmungsrichtungen. Kurven c, die in jedem ihrer
Punkte tangentiell an eine Hauptkrümmungsrichtung sind, für die also ċ(t) in einem
Eigenraum von Lc(t) enthalten ist, heißen Krümmungslinien.
Lemma. (a) Ist k1 (p) 6= k2 (p), dann sind die beiden Hauptkrümmungsrichtungen
zueinander orthogonal.
(b) Ist k1 (p) ≤ k2 (p), dann gilt
n II(X, X) o
k1 (p) = min
X
∈
T
M
\{0}
p
2
kXk
(12.2.1)
n II(X, X) o
k2 (p) = max
X
∈
T
M
\{0}
.
p
kXk2
Die Hauptkrümmungsrichtungen k1 (p), k2 (p) sind also das Minimum und Maximum
der Krümmungen der Normalschnitte von M im Punkt p.
Beweis. (a) Eigenräume eines selbstadjungierten Endomorphismus eines euklidischen Vektorraumes, die zu verschiedenen Eigenwerten gehören, sind zueinander
orthogonal: In etwas abgekürzter Schreibweise ist
k1 hX, Y i = hk1 X, Y i = hLX, Y i = hX, LY i = hX, k2 Y i = k2 hX, Y i.
109
Wenn k1 6= k2 ist, dann folgt hX, Y i = 0.
(b) Die zweite Aussage ist ein Spezialfall der Minimax–Charakterisierung der Eigenwerte eines selbstadjungierten Endomorphismus. Wir geben einen direkten Beweis.
Sei dazu X0 ∈ Tp M ein Minimum der Funktion
2
f (X) := II(X, X)/ kXk .
Dann gilt für alle Y ∈ Tp M
Daraus ergibt sich
d f (X0 + tY ) = 0.
dt 0
g(LX0 , Y ) = g
Es folgt LX0 = λ1 X0 mit
λ1 =
g(LX0 , X0 )
kX0 k
2
g(LX , X )
0
0
kX0 k
2
X0 , Y .
= f (X0 ) = min { f (X) | X ∈ Tp M \{0} }. QED
12.3. Gaußkrümmung und mittlere Krümmung. Die Gaußkrümmung K(p)
und die mittlere Krümmung H(p) der Fläche M im Punkt p sind definiert als
Determinante und Spur der Weingartenabbildung,
K(p) = det(Lp ) = k1 (p) k2 (p)
1
1
H(p) = Spur(Lp ) =
k1 (p) + k2 (p) .
2
2
Ein Punkt p ∈ M heißt elliptisch, wenn K(p) > 0, hyperbolisch, wenn K(p) < 0,
und parabolisch, wenn K(p) = 0 ist. Nabelpunkte sind Punkte mit k1 (p) = k2 (p), in
denen also die Weingartenabbildung Lp ein Vielfaches der Identität ist. Flachpunkte
sind Nabelpunkte mit k1 (p) = k2 (p) = 0.
Bemerkungen. (a) Ändert man die Orientierung von M , dann ändern ν, II, L
und die Hauptkrümmungen k1 und k2 nur das Vorzeichen. Folglich ändert auch
die mittlere Krümmung H das Vorzeichen, während die Gaußkrümmung K unverändert bleibt. Das hat zur Folge, dass sich die Gaußkrümmung auch für nicht
orientierbare Flächen definieren lässt, indem man lokal willkürlich eines der beiden
Einheitsnormalenfelder ± ν auszeichnet.
(b) Die Hauptkrümmungen k1,2 von M sind die Nullstellen des Polynoms
det(L − λI) = (k1 − λ)(k2 − λ) = λ2 − 2Hλ + K.
Folglich ist
k1,2 = H ±
p
110
H 2 − K.
(12.3.1)
Da H und K offenbar C ∞ –Funktionen auf M sind, sind k1 und k2 stetig und,
abgesehen von den Nabelpunkten, in denen der Radikand verschwindet, auch von
der Klasse C ∞ .
12.4. Berechnung mittels lokaler Parametrisierung. Sei ψ : W → U ⊆ M
eine lokale Parametrisierung von M . Nach (11.5.5) ist
Li k =
X
hij g jk .
j
Die Matrix (Li j ) ist also Matrixprodukt (Li j ) = (hij ) · (gij )−1 , und damit ist das
charakteristische Polynom der Weingartenabbildung
det hik (p) − λ gik (p)
.
det(Lp − λI) =
det gik (p)
Die Hauptkrümmungen k1 (p) und k2 (p) sind folglich die Lösungen λ der Gleichung
det hik (p) − λgik (p) = 0.
Für die Gaußkrümmung und die mittlere Krümmung ergibt sich
K=
h11 h22 − (h12 )2
det(hik )
=
det(gik )
g11 g22 − (g12 )2
X
1
H=
hij g ji
2 i,j
12.5. Eine geometrische Deutung der Gaußkrümmung. Wir geben zunächst
eine geometrische Deutung des Vorzeichens der Gaußkrümmung. Dazu versehen wir
die Sphäre S 2 mit der wie folgt definierten Standardorientierung: Sei ξ das äußere
Einheitsnormalenfeld der Sphäre. Positiv orientiert heißen dann diejenigen Basen
(X1 , X2 ) des Tangentialraumes Tq S 2 für die (X1 , X2 , ξ(q)) eine positiv orientierte
Basis von Tq R3 ist.
Nach Abschnitt 11.6 gilt für die Ableitung der Gaußabbildung Tp n = −θp ◦ Lp .
Folglich ist Tp n : Tp M → Tn (p)S 2 genau dann bijektiv, wenn K(p) = det(Lp ) 6= 0
ist, und es gilt:
Satz. Die Gaußkrümmung K(p) ist genau dann positiv, wenn die Gaußabbildung
n in einer Umgebung von p orientierungserhaltend ist. Sie ist genau dann negativ,
wenn n in einer Umgebung von p orientierungsumkehrend ist.
Eine geometrische Deutung des Absolutbetrages |K| gibt der folgende Satz.
111
Satz. Sei U ⊆ M offen. Wir setzen voraus, dass die Gaußabbildung U diffeomorph
auf n(U ) ⊆ S 2 abbildet. Dann gilt für den Flächeninhalt vol (n(U )) des Bildes n(U )
Z
|K| dVM = vol n(U ) .
(12.5.1)
U
Für die Bälle B(p, ε) ⊆ M um Punkte p ∈ M mit K(p) 6= 0 gilt
vol n(B(p, ε))
.
|K(p)| = lim
ε→0 vol B(p, ε)
(12.5.2)
Beweis. Wir setzen zunächst zusätzlich voraus, dass eine Parametrisierung ψ :
W → ψ(W ) = U existiert. Dann ist n ◦ ψ : W → n(U ) ⊆ S 2 eine Parametrisierung
von n(U ), und nach Abschnitt 10.6 gilt für jede (nichtnegative messbare) Funktion
% auf n(U )
Z
Z
∂(n ◦ ψ) ∂(n ◦ ψ) ×
%◦n◦ψ % dVS 2 =
dw1 dw2
1
2
∂w
∂w
W
n(U )
Z
∂ψ
∂ψ dw1 dw2
%◦n◦ψ |det(L) ◦ ψ| 1 ×
=
2
∂w
∂w
W
Z
=
%◦n |K| dVM .
U
Dabei haben wir von der Weingartenschen Ableitungsgleichung (11.6.2) Gebrauch
gemacht. Speziell für % = 1 ergibt sich die Behauptung des Satzes.
Nun sei allgemeiner U ⊆ M so beschaffen, dass
Smes endlich viele offene parametrisierbare Teilmengen U1 , . . . , Um ⊆ M gibt mit µ=1 Uµ = U . Das ist etwa dann der
Fall, wenn der Abschluss von U kompakt ist. Sei {%µ | µ = 1, . . . , m} eine Partition
der Eins auf n(U ), die der Überdeckung durch die Mengen n(Uµ ) untergeordnet ist.
Dann gilt
Z
m
X
vol(n(U )) =
%µ dVS 2
n(U )
=
=
=
=
=
X Z
n(U )
µ
n(Uµ )
µ
Uµ
µ
U
X Z
X Z
U
%µ dVS 2
µ
X Z
Z
µ=1
%µ dVS 2
%µ ◦n |K| dVM
%µ ◦n |K| dVM
|K| dVM .
112
Allgemeinere Teilmengen U überdeckt man durch höchstens abzählbar viele parametrisierbare Uµ und verwendet den Satz über monotone Konvergenz.
Zum Beweis von (12.5.2) beachten wir zunächst, dass wegen K(p) 6= 0 die Ableitung
Tp n : Tp M → Tn(p) S 2 invertierbar ist. Nach dem Satz über inverse Funktionen ist
daher die Einschränkung n|B(p,ε) für hinreichend kleine Radien ε ein Diffeomorphismus von B(p, ε) auf n(B(p, ε)). Gleichung (12.5.1) liefert dann
min |K(q)| vol B(p, ε) ≤
q∈B(p,ε)
Z
B(p,ε)
|K| dVM = vol n(B(p, ε))
≤ max |K(q)| vol B(p, ε).
q∈B(p,ε)
Division durch vol B(p, ε) ergibt die Behauptung. QED
Korollar. Sei M eine kompakte orientierte Fläche im R3 , deren Gaußabbildung
n : M → S 2 ein Diffeomorphismus ist. Dann gilt
Z
K dV = 4π.
M
Beweis. Da Tp n für jeden Punkt p ∈ M invertierbar ist, gilt K 6= 0 überall auf M .
Und weil M zusammenhängend ist, kann K das Vorzeichen nicht wechseln. Nun
hat jede kompakte Fläche im R3 Punkte positiver Gaußkrümmung (Aufgabe 3).
Folglich ist K > 0 auf M . Das Korollar folgt aus (12.5.1), da die Standardsphäre
den Flächeninhalt 4π hat. QED
Bemerkungen. (a) Kompakte zusammenhängende Flächen im R3 , deren Gaußkrümmung K überall positiv ist, nennt man Eiflächen. Unser Beweis zeigt, dass
Flächen, die die Voraussetzungen des Satzes erfüllen, Eiflächen sind. Umgekehrt
kann man auch zeigen, dass jede Eifläche orientierbar und ihre Gaußabbildung n
ein Diffeomorphismus ist (Satz von Hadamard, siehe Kapitel 13).
(b) Das Korollar ist ein einfacher Spezialfall des Satzes von Gauß–Bonnet, auf den
wir später eingehen werden.
(c) Für eine orientierte Fläche M ⊆ R3 sei M0 = {p ∈ M | K(p) = 0}. In den
Punkten p ∈ M0 ist Tp n nicht surjektiv. Nach einem Satz von Sard (Lang, S.450)
folgt daraus, dass das Bild n(M0 ) ⊆ S 2 das Maß Null hat.
12.6. Geometrische Deutung der mittleren Krümmung. Sei M ⊆ R3 eine
orientierte Fläche, und sei % ∈ C0∞ (M ) eine Funktion mit kompaktem Träger. Dann
ist für hinreichend kleine ε > 0
M%ε := { p + ε %(p) n(p) | p ∈ M }
113
ebenfalls eine Fläche. Sie entsteht aus M , indem man die Punkte p von M um den
Betrag %(p) in Richtung der Normalen n(p) verschiebt. Ist ψ : W → U ⊆ M eine
lokale Parametrisierung von M , dann ist die durch
ψ ε (w) = ψ(w) + ε %(ψ(w)) n(ψ(w))
definierte Abbildung ψ ε : W → U%ε ⊆ M%ε eine lokale Parametrisierung der Fläche
M%ε . Wir berechnen das Volumenelement von M%ε in dieser Parametrisierung. Zunächst ist
∂ψ ε
∂ψ
∂(%◦ψ)
∂(n◦ψ)
=
+ε
n◦ψ + ε %◦ψ
.
∂wi
∂wi
∂wi
∂wi
Lässt man der Kürze halber ◦ψ weg und schreibt ∂i = ∂/∂wi , dann vereinfacht sich
diese Gleichung zu
∂i ψ ε = ∂i ψ + ε ∂i % n + ε % ∂i n,
und die Weingartengleichung (11.6.2) lautet ∂i n = −Li j ∂j ψ. Für die erste Fundamentalform ergibt sich
ε
gik
= h ∂ i ψ ε , ∂k ψ ε i
= ∂i ψ + ε ∂i % n + ε % ∂i n, ∂k ψ + ε ∂k % n + ε % ∂k n
= gik + 2 ε% h∂i n, ∂k ψi + ε2 ∂i % ∂k % + ε2 %2 h∂i n, ∂k ni,
und da h∂i n, ∂k ψi = −hn, ∂i ∂k ψi = −hik ist, folgt
ε
gik
= gik − 2ε% hik + O(ε2 ).
(12.6.1)
Mit Gleichung (11.5.5) folgt weiter
ε kj
gik
g = δi j − 2ε% Li j + O(ε2 ).
Bildet man auf beiden Seiten die Determinante, dann ergibt sich
ε
det(gik
)
1
= det(I − 2ε%L) + O(ε2 ).
det(gik )
Nach Abschnitt 12.3 gilt für das charakteristische Polynom der Weingartenabbildung det(L − λI) = λ2 − 2Hλ + K, und wir erhalten
ε
det(gik
) = det(gik ) 1 − 4ε%H + O(ε2 ) .
Mit
√
1 − x = 1 − 21 x + O(x2 ) wird daraus
Integration ergibt
p
ε
det(gik
)=
p
det(gik ) 1 − 2ε% H + O(ε2 ) .
vol(M%ε ) = vol(M ) − 2ε
Z
114
%H dVM + O(ε2 )
M
(12.6.2)
und damit
Z
d ε
vol(M% ) = −2
%H dVM .
dε 0
M
Folgerung. Minimiert M den Flächeninhalt unter allen durch “normale” Variation
erhaltenen Nachbarflächen M%ε , % ∈ C0∞ (M ), dann gilt H = 0.
Flächen im R3 mit H = 0 heißen Minimalflächen, solche mit konstanter mittlerer
Krümmung nennt man H–Flächen. Da nur das Vorzeichen von H von der Wahl
einer Orientierung abhängt, sind diese Definitionen auch sinnvoll für nichtorientierbare Flächen.
Beispiel für Minimalflächen sind die Ebenen, das Katenoid und das Helikoid aus Abschnitt 10.9. Weitere Beispiele lassen sich experimentell herstellen als Seifenhäute,
indem man ein geschlossene Randkurve aus Draht in Seifenlösung taucht. Allgemein ist die mittlere Krümmung einer dünnen Membran proportional zur Druckdifferenz ihrer beiden Seiten. Man kann deshalb H–Flächen erzeugen, indem man für
unterschiedlichen Luftdruck auf den beiden Seiten einer Seifenhaut sorgt. Die Aufgabe, zu einer gegebenen geschlossenen Raumkurve ein Minimalflächenstück finden,
das von der Kurve begrenzt wird, bezeichnet man nach J. Plateau (1866) als das
Plateausche Problem.
12.7. Gleichungen von Gauß und Codazzi–Mainardi. In etwas abgekürzter
Notation lauten die Ableitungsgleichungen von Gauß und Weingarten aus Abschnitt
11.8
∂j ∂k ψ = Γjk l ∂l ψ + hjk n
∂i n = −Li k ∂k ψ.
Wir gehen aus von ∂i ∂j ∂k ψ = ∂j ∂i ∂k ψ und erhalten zunächst
∂i Γjk l ∂l ψ + Γjk l ∂i ∂l ψ + ∂i hjk n + hjk ∂i n =
∂j Γik l ∂l ψ + Γik l ∂j ∂l ψ + ∂j hik n + hik ∂j n,
und daraus durch Einsetzen der Ableitungsgleichungen
∂i Γjk l ∂l ψ + Γjk l Γil m ∂m ψ + Γjk l hil n + ∂i hjk n − hjk Li l ∂l ψ =
∂j Γik l ∂l ψ + Γik l Γjl m ∂m ψ + Γik l hjl n + ∂j hik n − hik Lj l ∂l ψ.
Spaltet man diese Gleichung auf in eine an M tangentielle und eine zu M normale Komponente, so erhält man die Gleichungen von Gauß (12.7.1) und Codazzi–
Mainardi (12.7.2):
∂i Γjk l − ∂j Γik l + Γjk m Γim l − Γik m Γjm l = hjk Li l − hik Lj l
l
l
Γjk hil − Γik hjl + ∂i hjk − ∂j hik = 0
115
(12.7.1)
(12.7.2)
Aufgrund von Gleichung (11.8.3),
Γij k =
1 kl
g (∂i gjl + ∂j gli − ∂l gij )
2
(12.7.3)
und wegen Li k = hij g jk stellen diese Gleichungen Beziehungen zwischen der ersten und der zweiten Fundamentalform von M dar. Deren Komponenten können
also insbesondere nicht unabhängig voneinander beliebig vorgegeben werden. Wir
bemerken, dass die Gleichung ∂i ∂j n = ∂j ∂i n bei ähnlicher Rechnung ebenfalls die
Codazzi–Mainardi–Gleichungen liefert.
Die auf der rechten Seite der Gaußgleichung (12.7.1) stehenden Koeffizienten sind
die Komponenten des (3, 1)–Tensorfeldes
∂
hjk Li l − hik Lj l dwi ⊗ dwj ⊗ dwk ⊗
∂wl
auf M , dessen Wirkung auf Vektoren X, Y, Z und Kovektoren α sich unabhängig
von der Parametrisierung ψ beschreiben lässt durch
(X, Y, Z, α) 7→ h(Y, Z) α(LX) − h(X, Z) α(LY ).
Folglich ist auch
R = Rijk l dwi ⊗ dwj ⊗ dwk ⊗
∂
∂wl
mit den Komponenten
Rijk l := ∂i Γjk l − ∂j Γik l + Γjk m Γim l − Γik m Γjm l
(12.7.4)
der linken Seite von (12.7.1) unabhängig von der Parametrisierung. Der (3, 1)–
Tensor R heißt der Riemannsche Krümmungstensor von M . Seine geometrische
Bedeutung wird uns in späteren Kapiteln beschäftigen, die auch eine durchsichtigere
Definition von R nachliefern werden. Hier sei jedenfalls festgehalten, dass R sich
wegen (12.7.3) allein aus der ersten Fundamentalform bestimmen lässt, also der
inneren Geometrie von M angehört.
Satz. Für die Gaußkrümmung K von M gilt
K=
R122 l gl1
h11 h22 − (h12 )2
=
.
2
g11 g22 − (g12 )
det(gij )
(12.7.5)
Insbesondere läßt sich K allein aus den Komponenten gij der ersten Fundamentalform und ihren Ableitungen berechnen.
Beweis. Multiplikation beider Seiten der Gaußgleichung mit gls und anschließende
Summation über l ergibt wegen Li l gls = his
hjk his − hik hjs = Rijk l gls .
116
Speziell für i = s = 1 und j = k = 2 folgt die Behauptung. QED
Korollar. (“Theorema egregium” von Gauß (1827)). Ist f : M → N eine Isometrie
zwischen Flächen im R3 , dann gilt für deren Gaußkrümmungen KN ◦ f = KM . In
entsprechenden Punkten haben M und N also dieselbe Gaußkrümmung.
Beweis. Sei ψ : W → M eine lokale Parametrisierung von M . Dann ist ψ̃ :=
f ◦ ψ : W → N eine lokale Parametrisierung von N , und für die entsprechenden
Komponenten der ersten Fundamentalformen und die Christoffelsymbole gilt wie
im Beweis von Satz 11.9
g̃ij ◦ ψ̃ = gij ◦ ψ
Γ̃ij k ◦ ψ̃ = Γij k ◦ ψ.
Die Behauptung folgt aus (12.7.5). QED
12.8. Taylorentwicklung. Sei M ⊆ R3 eine orientierte Fläche, ψ : W → M eine
lokale Parametrisierung von M , ψ(0) = p und w = (w 1 , w2 ) ∈ W . Dann gilt die
Taylorentwicklung
ψ(w) = ψ(0) +
1 ∂2ψ
∂ψ
2
i
(0)w
+
(0)wi wk + o(kwk ).
∂wi
2 ∂wi ∂wk
Das Skalarprodukt mit n(p) ergibt
E
1 D ∂2ψ
2
(0),
n(p)
wi wk + o(kwk ),
ψ(w) − ψ(0), n(p) =
2 ∂wi ∂wk
also nach (11.5.2)
1
2
ψ(w) − p, n(p) = hik (p) wi wk + o(kwk ).
2
(12.8.1)
Der Betrag der linken Seite dieser Gleichung ist der Abstand von ψ(w) zur Tangentialebene der Fläche im Punkt p. Die Matrix (hik (p)) beschreibt also, wie ψ(w) in
einer Umgebung von p von der Tangentialebene abweicht.
Wir wählen nun eine spezielle lokale Parametrisierung an p wie folgt. Sei
E = {p + ξ 1 E1 + ξ 2 E2 | ξ 1 , ξ 2 ∈ R} ⊆ R3
die Tangentialebene an M in p (mit beliebig gewählten Basisvektoren E1 und E2 ).
Die senkrechte Projektion proj : M → E bildet eine Umgebung U ⊆ M von p
diffeomorph auf eine Umgebung V ⊆ E von p in E ab. Dann ist ψ : W → U
ψ(w1 , w2 ) := (proj|U )−1 (p + w1 E1 + w2 E2 )
117
eine auf einer offenen Umgebung W ⊆ R2 von 0 definierte lokale Parametrisierung
mit ψ(0) = p. Offenbar gilt
ψ(w1 , w2 ) = p + w1 E1 + w2 E2 + η(w1 , w2 ) n(p)
mit einer Funktion η ∈ C ∞ (W ). Es folgt
∂η
∂ψ
(0) − E1 =
(0) n(p),
∂w1
∂w1
und dieser Vektor ist zugleich tangentiell an und senkrecht auf M , also der Nullvektor. Weiter ist
∂2η
∂2ψ
=
n(p),
∂wi ∂wk
∂wi ∂wk
also
hik (p) =
∂2η
(0).
∂wi ∂wk
Die Taylorentwicklung von η um 0 liefert daher
ψ(w1 , w2 ) = p + wi
∂ψ
1
2
(0) + hik (p)wi wk + o(kwk )
i
∂w
2
(12.8.2)
Folgerung. Ist p ein elliptischer, ein hyperbolischer bzw. ein parabolischer Punkt
der Fläche M , dann wird M in der Umgebung von p bis auf Terme höherer als
zweiter Ordnung approximiert durch ein elliptisches Paraboloid, ein hyperbolisches
Paraboloid bzw. einen parabolischen Zylinder.
Aufgaben
1. Eulerformel. (a) Sei M eine orientierte Fläche im R3 mit den Hauptkrümmungen κ1 und κ2 . Der Vektor v ∈ Tp M bilde mit der zu κ1 (p) gehörenden Hauptkrümmungsrichtung den Winkel θ. Zeigen Sie, dass für die Krümmung κn (θ) des
durch v bestimmten Normalschnittes die Eulerformel
κn (θ) = κ1 (p) cos2 θ + κ2 (p) sin2 θ
gilt. Hinweis: Diagonalisierung der zweiten Fundamentalform.
(b) Folgern Sie, dass die mittlere Krümmung der Mittelwert der Normalschnittkrümmungen ist, also
Z 2π
1
κn (θ) dθ.
H=
2π 0
2. Asymptotenrichtungen. Asymptotenrichtungen einer Fläche M ⊆ R3 im
Punkt p sind Richtungen RX ⊆ Tp M , für die II(X, X) = 0 ist. Kurven in M ,
118
die in jedem ihrer Punkte tangentiell an eine Asymptotenrichtung sind, nennt man
Asymptotenlinien. Zeigen Sie:
(a) In hyperbolischen Punkten halbieren die Hauptkrümmungsrichtungen die Winkel zwischen den Asymptotenrichtungen.
(b) Die Asymptotenrichtungen einer Minimalfläche stehen in jedem nicht parabolischen Punkt aufeinander senkrecht.
(c) Ist p ein hyperbolischer Punkt, dann schneidet die Tangentialebene Ep = { p +
v | (p, v) ∈ Tp M } eine Umgebung U ⊆ M von p in zwei Kurven, die im Punkt p
tangentiell an die Asymptotenrichtungen von M sind.
3. Torus. Für den durch die Parametrisierung
ψ(w1 , w2 ) = ((a cos w 1 + b) cos w2 , (a cos w1 + b) sin w2 , a sin w1 )
mit positiven Konstanten a < b gegebenen Torus M bestimme man die Koeffizienten der ersten und zweiten Fundamentalform, die mittlere Krümmung, Gaußkrümmung und die Hauptkrümmungen, und die Hauptkrümmungs- und Asymptotenrichtungen.
4. Positive Gaußkrümmung. Sei M ⊆ R3 eine kompakte Fläche. Zeigen Sie:
(a) Ist M in einem euklidischen Ball vom Radius ρ enthalten, dann enthält M
Punkte mit Gaußkrümmung K ≥ 1/ρ2 .
(b) Es gilt
Z
M
|K| dV ≥ 4π.
5. Gaußabbildung winkeltreu. Die Gaußabbildung einer zusammenhängenden
orientierten Fläche M ⊆ R3 ohne Flachpunkte ist genau dann winkeltreu, wenn M
eine Minimalfläche oder jeder Punkt von M ein Nabelpunkt ist.
6. Regelflächen. Eine Fläche M ⊆ R3 heißt eine Regelfläche, wenn jeder Punkt
p ∈ M eine Umgebung hat, die in der Form
ψ(w1 , w2 ) = c(w1 ) + w2 X(w1 )
mit Abbildungen c, X ∈ C ∞ ((a, b), R3 ) parametrisiert werden kann. M heißt abwickelbar, wenn diese Parametrisierungen so gewählt werden können, dass zusätzlich
gilt ∂(n ◦ ψ)/∂w 2 = 0. Zeigen Sie :
y2
z2
x2
(a) Das einschalige Hyperboloid 2 + 2 − 2 = 1 ist eine Regelfläche.
a
b
c
(b) Für jede bireguläre Kurve c ∈ C ∞ (I, R3 ) ist die durch die Parametrisierung
ψ(w1 , w2 ) = c(w1 ) + w2 c0 (w1 )
definierte Tangentenfläche abwickelbar.
119
(w2 6= 0)
(c) Ist M eine Regelfläche, dann ist die Gaußkrümmung K ≤ 0, und die Geraden
w1 = const. sind Asymptotenlinien.
(d) Eine Regelfläche ist genau dann abwickelbar, wenn K = 0 ist.
7. Joachimsthal. (a) Eine differenzierbare Kurve c auf einer orientierten Fläche
M ist eine Krümmungslinie genau dann, wenn
d
n(c(t)) = λ(t) c0 (t)
dt
ist mit einer stetigen Funktion λ.
(b) Die Schnittkurve c der orientierten Flächen M1 und M2 sei eine Krümmungslinie von M1 . Dann gilt: c ist eine Krümmungslinie von M2 genau dann, wenn der
Winkel zwischen den Normalen von M1 und M2 entlang c konstant ist (“Satz von
Joachimsthal”).
8. Parallelflächen. Sei M = ψ(W ), W ⊆ R2 eine parametrisierte Fläche im R3 .
Eine Parallelfläche zu M ist eine (immersierte) Fläche der Gestalt M a = ψa (W ),
wobei
ψa (w) = ψ(w) + a n(ψ(w))
mit einem Einheitsnormalenfeld n und einer Konstanten a. Zeigen Sie:
(a) Mit der Gaußkrümmung K und der mittleren Krümmung H von M gilt
∂1 ψa × ∂2 ψa = (1 − 2Ha + Ka2 ) ∂1 ψ × ∂2 ψ.
(b) Die Gaußkrümmung und die mittlere Krümmung von Ma sind gegeben durch
K
1 − 2Ha + Ka2
und
H − Ka
.
1 − 2Ha + Ka2
(c) Abgesehen von Ausnahmefällen gibt es zu jeder Fläche konstanter mittlerer
Krümmung eine (immersierte) Parallelfläche konstanter Gaußscher Krümmung und
umgekehrt.
120
13. Eiflächen
Eine Eifläche ist eine kompakte, zusammenhängende Fläche im R3 , deren Gaußkrümmung überall positiv ist. Hauptergebnis dieses Kapitels ist der Starrheitssatz
für Eiflächen in der Fassung von S. Cohn–Vossen (1936), welcher besagt, dass zwei
isometrische Eiflächen stets kongruent sind. Wir verwenden eine Beweismethode
von A. D. Alexandrov und E. P. Senkin (1955), die auf dem Maximumprinzip beruht.
Mit diesem auch in anderen Zusammenhängen wichtigen Resultat beginnen wir das
Kapitel.
13.1. Das Maximumprinzip von E. Hopf. Sei U ⊆ Rn offen und zusammenhängend. Wir betrachten einen Differentialoperator
Lu =
n
X
ij
a ∂i ∂j u +
n
X
bi ∂ i u
(13.1.1)
i=1
i,j=1
auf Funktionen u ∈ C 2 (U ), dessen Koeffizienten aij = aji und bi reellwertige Funktionen auf U sind mit den folgenden Eigenschaften: Zu jeder kompakten Teilmenge
K ⊆ U existieren Konstanten cK und εK > 0, so dass gilt
n
X
i,j=1
i b (x) ≤ cK
ii a (x) ≤ cK
2
aij (x) ξi ξj ≥ εK kξk
für alle x ∈ K, ξ ∈ Rn und i = 1, . . . , n. Unter diesen Voraussetzungen gilt der
folgende
Satz. (Maximumprinzip) Sei u ∈ C 2 (U ) mit Lu ≥ 0. Die Funktion u habe ein
Maximum in einem Punkt x0 ∈ U , also u(x0 ) = supx∈U u(x). Dann ist u konstant.
Lemma. Seien A eine positiv semidefinite und B eine negativ semidefinite reelle
symmetrische Matrix. Dann ist Spur(AB) ≤ 0.
Zum Beweis des Lemmas genügt es, eine der beiden Matrizen zu diagonalisieren. Um
das Maximumprinzip zu beweisen, führen wir die Annahme, u sei nicht konstant, zu
einem Widerspruch. Sei M = u(x0 ). Ist u nicht konstant, dann existiert ein offener
Ball B, dessen Abschluss B̄ ⊆ U ist, und so dass u < M auf B und u(x1 ) = M
für einen Randpunkt x1 ∈ ∂B. Sei x2 ein auf der Verbindungsstrecke zwischen x1
Version: 18. Februar 2000
121
und dem Mittelpunkt von B gelegener Punkt, % := kx1 − x2 k, und sei B2 der Ball
B2 := B(x2 , %). Wir betrachten die Funktion
2
v(x) := e−αkx−x2 k − e−α%
2
mit einer später geeignet zu wählenden Konstanten α > 0. Es ist v = 0 auf dem
Rand ∂B2 und v < 0 auf dem Komplement Rn \B̄ 2 .
Für kleine Radien 0 < %0 < % ist der abgeschlossene Ball B̄1 := B̄(x1 , %0 ) ⊆ U . Wir
betrachten die Funktion w := u + λv mit einer Konstante λ > 0. Auf dem Rand
∂B1 ist w < M , wenn λ hinreichend klein gewählt wird. In der Tat ist
∂B1 = (∂B1 ∩ B̄2 ) ∪ (∂B1 ∩ (Rn \B̄2 )).
Auf der Menge ∂B1 ∩ B̄2 ist u < M , also, da diese Menge kompakt und v stetig ist,
auch u + λv < M für hinreichend kleines λ. Auf ∂B1 ∩ (Rn \B̄2 ) hingegen ist v < 0,
also ebenfalls w < M .
Da nun w(x1 ) = u(x1 ) = M , aber w|∂B1 < M ist, hat w ein Maximum in einem
Punkt x3 ∈ B1 . In x3 ist ∂i w = 0, und die Matrix ∂i ∂j w ist negativ semidefinit,
also impliziert das Lemma
(Lw)(x3 ) =
n
X
i,j=1
aij (x3 ) ∂i ∂j w(x3 ) ≤ 0.
Andererseits zeigen wir nun, dass auf B1 gilt Lw > 0, wenn α hinreichend groß
gewählt wird—ein Widerspruch, da x3 ∈ B1 ist. Mit ξ := x − x2 berechnet man
X
X
X
2
(Lv)(x) = e−αkξk 4α2
aij (x)ξi ξj − 2α
aii (x) − 2α
bi (x) ξi .
i,j
i
i
Nun gilt für x ∈ K := B̄1
X
X i
|ξi | ≤ cK n kξk ,
b (x)ξi ≤ cK
und außerdem nach der Dreiecksungleichung 0 < % − %0 ≤ kξk ≤ % + %0 . Daher ist
2
2
(Lv)(x) ≥ e−αkξk 4α2 εK kξk − 2αn cK − 2αn cK kξk
2
≥ αe−αkξk 4α εK (% − %0 )2 − 2n cK (1 + % + %0 )
und dieser Ausdruck ist für hinreichend große α positiv. Es folgt Lw = Lu + λ Lv ≥
λ Lv > 0 auf B1 . QED
13.2. Darbouxsche Gleichung. Seien M ⊆ R3 eine orientierte Fläche, n ihre
Gaußabbildung und p0 ∈ R3 . Sei weiter r : M → R3 die Abbildung r(p) := p − p0 .
Dann erfüllt die durch
1
1
% = krk2 = hr, ri
2
2
122
definierte Funktion % ∈ C ∞ (M ) eine Differentialgleichung, die wir nun herleiten. Sei
dazu ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine lokale Parametrisierung. Für die entsprechenden Basisvektorfelder ∂i = ∂/∂wi auf U gilt dann
∂i f =
∂(f ◦ ψ)
◦ ψ −1 .
∂wi
Lemma. Seien gij und hij die Komponenten der ersten und zweiten Fundamentalform von M , K die Gaußkrümmung und sei
%,ij := ∂i ∂j % − Γij k ∂k %.
Dann gilt:
(1)
(2)
(3)
∂ψ
◦ ψ −1
∂wi
∂i % = hr, ∂i ri
%,ij − gij = hij hr, ni
∂i r =
(4)
1
det(%,ij − gij ) = Khr, ni2
det(gij )
(5)
r = g ij ∂i % ∂j r + hr, nin
(6)
2% = g ij ∂i % ∂j % + hr, ni2
Dabei bezeichnet wie üblich g ij die Komponenten der zu (gij ) inversen Matrix.
Der Ausdruck g ij ∂i % ∂j % kann parameterunabhängig als Norm kd%k der Eins–Form
d% gedeutet werden. Man vergleiche dazu Aufgabe 1. Die hier etwas unmotiviert
auftretenden %,ij sind die Komponenten eines Tensors, der kovarianten Ableitung
∇d%, die wir im nächsten Kapitel einführen werden.
Beweis. (1) und (2) sind offensichtlich nach Definition von ∂i . (4) folgt aus (3) und
Abschnitt 12.4, und (6) ergibt sich sofort aus (5). Zum Beweis von (3) differenzieren
wir (2) und wenden die Ableitungsgleichung (11.8.1) von Gauß an:
∂i ∂j % = ∂i hr, ∂j ri
= h∂i r, ∂j ri + hr, ∂i ∂j ri
= gij + hr, Γij k ∂k r + hij ni
= gij + Γij k ∂k % + hij hr, ni.
Es bleibt (5) zu beweisen. Dazu verifiziert man, dass das Skalarprodukt beider
Seiten der behaupteten Identität mit ∂1 r, ∂2 r und n jeweils dasselbe Resultat liefert.
Da diese Vektoren eine Basis des R3 bilden, folgt die Behauptung. QED
Korollar. (Darbouxsche Gleichung) Mit %,ij := ∂i ∂j % − Γij k ∂k % gilt
1
det(%,ij − gij ) = K(2% − g ij ∂i % ∂j %).
det(gij )
123
13.3. Kriterium für die Kongruenz isometrischer Flächen. Seien M und
M̄ orientierte zusammenhängende Flächen im R3 . Für Punkte p0 und p̄0 ∈ R3
betrachten wir wie in Abschnitt 13.2 die Funktion
%(p) =
1
1
kr(p)k2 = kp − p0 k2
2
2
auf M , und entsprechend auf M̄
%̄(p̄) =
1
1
2
2
kr̄(p̄)k = kp̄ − p̄0 k .
2
2
Satz. Sei f : M → M̄ eine Isometrie mit der Eigenschaft %̄ ◦ f = %. Für die
Gaußabbildung n von M gelte h r(p), n(p) i 6= 0 in jedem Punkt p ∈ M . Dann existiert eine euklidische Bewegung φ des R3 mit φ|M = f .
Beweis. Nach Satz 11.9 genügt es, zu zeigen, dass bei geeigneter Wahl der Orientierung von M̄ gilt f ∗ (IIM̄ ) = IIM . Sei dazu ψ : W → U ⊆ M eine lokale Parametrisierung. Die entsprechenden Basisfelder auf U bezeichnen wir mit ∂i , die Komponenten der Fundamentalformen von M mit gij und hij , und die Christoffelsymbole
mit Γij k . Für M̄ verwenden wir die lokale Parametrisierung ψ̄ = f ◦ ψ : W → f (U )
⊆ M̄, und bezeichnen die entsprechenden Größen mit ∂¯i , ḡij , h̄ij und Γ̄ij k . Da f
eine Isometrie ist, gilt
ḡij ◦ f = gij
Γ̄ij k ◦ f = Γij k
K̄ ◦ f = K.
Außerdem gilt für Funktionen ϕ ∈ C ∞ (f (U )) offenbar (∂¯i ϕ) ◦ f = ∂i (ϕ ◦ f ). Mit
den Abkürzungen %̃ = %̄ ◦ f , g̃ij = ḡij ◦ f etc. liefert Gleichung (6) aus 13.2
2% = g ij ∂i % ∂j % + hr, ni2
2%̃ = g ij ∂i %̃ ∂j %̃ + hr̃, ñi2 .
Mit ρ = ρ̃ folgt daraus
h r(p), n(p) i = ± h r̃(p), ñ(p) i
an jeder Stelle p ∈ M . Nach Voraussetzung sind beide Seiten dieser Gleichung von
Null verschieden. Ihr Quotient hr, ni/hr̃, ñi ist eine stetige Funktion auf M , die nur
die Werte 1 und −1 annimmt, also konstant sein muss, da M zusammenhängend
ist. Indem man nötigenfalls die Orientierung von M̄ ändert, kann man annehmen,
124
dass hr, ni = hr̃, ñi ist. Lemma 1(3) zeigt dann hij = h̃ij , und für die zweiten
Fundamentalformen folgt
IIM |U = hij dwi ⊗ dwj
= h̄ij ◦f dwi ⊗ dwj
= f ∗ (h̄ij dw̄i ⊗ dw̄j )
= f ∗ (IIM̄ ),
f (U )
wie behauptet. QED
13.4. Eiflächen. Wir betrachten nun Eiflächen, also kompakte zusammenhängende
differenzierbare Flächen im R3 mit überall positiver Gaußkrümmung. Eine Teilmenge A ⊆ Rn heißt konvex , wenn für je zwei Punkte aus A auch deren Verbindungsstrecke in A enthalten ist.
Satz (Hadamard). Sei M ⊆ R3 eine Eifläche. Dann ist M orientierbar, und für
jede Wahl einer Orientierung ist die Gaußabbildung n : M → S 2 ein Diffeomorphismus.
Beweis. Man wähle als Einheitsnormalenfeld n etwa dasjenige, für das die beiden
Hauptkrümmungen positiv sind. Nennt man Basen (X1 , X2 ) von Tp M positiv orientiert, wenn (X1 , X2 , n(p)) eine positiv orientierte Basis von Tp R3 bezüglich der
Standardorientierung ist, so erhält man eine Orientierung von M .
Nach Abschnitt 12.5 hat die Ableitung Tp n maximalen Rang in jedem Punkt von
M . Also ist n ein lokaler Diffeomorphismus. Daraus folgt, dass das Bild n(M ) eine
offene Teilmenge von S 2 ist. Andererseits ist n(M ) kompakt, da M kompakt ist
und n stetig. Also ist n(M ) auch eine abgeschlossene Teilmenge von S 2 , und da S 2
zusammenhängend ist, folgt n(M ) = S 2 . Die Gaußabbildung ist also surjektiv und
ein lokaler Diffeomorphismus.
Es bleibt zu zeigen, dass n injektiv ist. Wir skizzieren einen direkten Beweis, ohne
die Einzelheiten auszuführen. Man vergleiche dazu etwa Klingenberg ([Kl1], S.131).
Seien p0 und p1 Punkte in M mit n(p0 ) = n(p1 ) = p̃. Wir wählen eine stetige Kurve
c0 : [0, 1] → M, die p0 mit p1 verbindet. Die Bildkurve c̃0 = n ◦ c0 ist eine Schleife
am Punkt p̃. Da S 2 einfach zusammenhängend ist, lässt sich diese Schleife stetig
auf den Punkt p̃ zusammenziehen. Man erhält also eine stetige Familie (genauer:
Homotopie) c̃s (0 ≤ s ≤ 1) von Schleifen an p̃ dergestalt, dass c̃1 die konstante
Kurve mit Wert p̃ ist. Den Kurven c̃s entsprechen “geliftete” Kurven cs in M mit
n ◦ cs = c̃s , die alle p0 mit p1 verbinden. Da c1 eine konstante Kurve sein muss,
folgt p0 = p1 . QED
Exkurs: Überlagerungen. Die Injektivität der Gaußabbildung folgt aus allgemeinen Eigenschaften von Überlagerungen. Eine (differenzierbare) Überlagerung
von Mannigfaltigkeiten ist eine surjektive differenzierbare Abbildung f : M → N
125
mit folgender Eigenschaft: Jeder Punkt q ∈ N besitzt eine offene Umgebung U , so
dass
[
f −1 (U ) =
Uα
α∈Λ
mit disjunkten offenen Teilmengen Uα ⊆ M , und so dass die Einschränkung f |Uα :
Uα → U ein Diffeomorphismus von Uα auf U ist. Solche Umgebungen U nennt
man zulässig (englisch “evenly covered”). Überlagerungen sind also spezielle lokale
Diffeomorphismen. Die beiden benötigten Eigenschaften sind nun folgende.
Lemma 1. Ist M kompakt und N zusammenhängend, dann ist jeder lokale Diffeomorphismus f : M → N eine Überlagerung.
Lemma 2. Ist M zusammenhängend und N einfach zusammenhängend, dann ist
jede Überlagerung f : M → N ein Diffeomorphismus.
Beweise dieser Lemmas findet man etwa bei do Carmo ([Ca1], Abschnitt 5-6). Ihre
Anwendung auf n : M → S 2 zeigt insbesondere die Injektivität von n.
Satz. Jede Eifläche ist Rand einer kompakten konvexen Teilmenge B ⊆ R 3 .
Beweis. Der verallgemeinerte Jordansche Kurvensatz besagt, dass das Komplement
R3 \M jeder kompakten zusammenhängenden Fläche M ⊆ R3 genau zwei Zusammenhangskomponenten hat, und dass M der Rand jeder dieser Komponenten ist
(vgl. etwa Spivak Band I, p. 409). Daraus folgt zunächst, dass genau eine der
beiden Komponenten beschränkt ist. Sei B die Vereinigung dieser beschränkten
Komponente mit ihrem Rand M . Dann ist B eine abgeschlossene und beschränkte
Teilmenge des R3 , also kompakt.
Sei nun speziell M eine Eifläche. Für p ∈ M bezeichne Ep ⊂ R3 die Tangentialebene
an M durch den Punkt p. Wir überlegen zunächst, dass für jeden Punkt p ∈ M
die Fläche M im Abschluss eines der beiden Halbräume enthalten ist, in die der
Raum R3 durch Ep zerlegt wird. Wäre das für ein p nicht der Fall, dann hätte man
einen Punkt q ∈ M maximaler Höhe über der Ebene Ep , und einen Punkt r ∈ M
maximaler Tiefe unter Ep . Dann wären die drei Ebenen Eq und Er zu Ep parallel,
im Widerspruch zur Injektivität der Gaußabbildung.
Für p ∈ M seiTnun Hp ⊂ R3 derjenige abgeschlossene Halbraum, der M enthält,
und sei H = p∈M Hp . Dann ist H als Schnitt konvexer Mengen selbst konvex.
Wir zeigen, das B = H ist. Nach Wahl der Hp ist jedenfalls B ⊆ H. Ist q ein Punkt
ausserhalb von B, dann existiert ein Punkt p ∈ M minimalen Abstands zu q. Man
sieht leicht, dass dann q nicht in Hp enthalten ist. Also ist auch H ⊆ B. QED
13.5. Starrheitssatz für Eiflächen. Seien M ⊆ R3 eine Eifläche, M̄ ⊆ R3 eine
Fläche und f : M → M̄ eine Isometrie. Dann existiert eine euklidische Bewegung
φ : R3 → R3 mit φ|M = f .
Es sei angemerkt, dass der Satz unverändert gilt, wenn man in der Definition des Begriffes der Eifläche die Forderung K > 0 zu K ≥ 0 abschwächt. Läßt man hingegen
126
Bereiche negativer Krümmung zu, so wird die Aussage falsch. Man kann das leicht
anhand von Drehflächen einsehen, die man aus einer Sphäre erhält, indem man
zunächst eine Umgebung eines Punktes abplattet, um dann den abgeplatteten Bereich mit einer entweder nach innen, oder symmetrisch dazu nach außen gerichteten
differenzierbaren Beule zu versehen.
Verbiegungen. Es ist nicht bekannt, ob es kompakte zusammenhängende Flächen
M ⊆ R3 gibt, die nichttriviale isometrische Deformationen zulassen. Eine isometrische Deformation von M ist dabei eine C ∞ –Abbildung f : [0, 1] × M → R3 mit
der Eigenschaft, dass f0 := f (0, ·) die Inklusionsabbildung ιM : M → R3 ist und
jede der Abbildungen ft := f (t, ·) eine isometrische Einbettung (M, g) → (R3 , gR3 ).
Dabei ist g die erste Fundamentalform von M . Eine isometrische Deformation
heißt trivial, wenn sie von der Form f (t, p) = A(t)p + b(t) ist mit A(t) ∈ O(3) und
b(t) ∈ R3 , also lediglich aus einer Kurve euklidischer Bewegungen entsteht.
13.6. Eine Differentialgleichung. Für den Beweis des Starrheitssatzes werden
wir das Kriterium aus Abschnitt 13.3 anwenden. Wir müssen also zeigen, dass bei
geeigneter Wahl der Punkte p0 ∈ M und p̄0 ∈ M̄ für die entsprechenden Funktionen
ρ und ρ̃ = ρ̄ ◦ f gilt %̃ − % = 0. Dazu leiten wir eine Differentialgleichung für die
Funktion v := %̃ − % ∈ C ∞ (M ) her, auf die dann das Hopfsche Maximumprinzip
anwendbar sein wird.
Wir verwenden Parametrisierungen wie in Abschnitt 13.3, so dass insbesondere
g̃ij = ḡij ◦f = gij ist. Wegen der Symmetrie g ij = g ji liefert Subtraktion der Darbouxgleichungen für %̃ und %
1
(det(%̃,ij − gij ) − det(%,ij − gij ))
det(gij )
= 2K(%̃ − %) − Kg ij (∂i %̃∂j %̃ − ∂i %∂j %)
= 2K(%̃ − %) − Kg ij (∂i %̃ + ∂i %)∂j (%̃ − %).
Die linke Seite dieser Gleichung läßt sich schreiben als
1
(%̃,11 − g11 )(%̃,22 − g22 ) − (%̃,12 − g12 )2
det(gij )
− (%,11 − g11 )(%,22 − g22 ) + (%,12 − g12 )2
1
1
(%,22 − g22 + %̃,22 − g22 )(%̃,11 − %,11 )
det(gij ) 2
− (%,12 − g12 + %̃,12 − g12 )(%̃,12 − %,12 )
1
+ (%,11 − g11 + %̃,11 − g11 )(%̃,22 − %,22 )
2
1
1
=
h22 hr, ni + h̃22 hr̃, ñi v,11
det(gij ) 2
− h12 hr, ni + h̃12 hr̃, ñi v,12
1
+
h11 hr, ni + h̃11 hr̃, ñi v,22 .
2
=
127
Dabei wurde Lemma 1(3) verwendet, und es ist v = %̃ − % und
v,ij = ∂i ∂j v − Γij k ∂k v.
Die Funktion v ∈ C ∞ (M ) erfüllt also auf U die Gleichung
X
i,j
aij ∂i ∂j v +
X
bi ∂i v = −2Kv
(13.6.1)
mit der Matrix
(aij ) = −
1
hr, ni
2 det(gij )
+hr̃, ñi
h22
−h12
−h12
h11
h̃22
−h̃12
−h̃12
h̃11
!
(13.6.2)
und gewissen Koeffizienten bi ∈ C ∞ (U ), die ihrerseits von % und %̃ abhängen.
13.7. Beweis von Satz 13.5. Sei nun speziell M eine Eifläche. Da M̄ zu M
isometrisch ist, ist dann auch M̄ eine Eifläche. Wir wählen p0 ∈ M und p̄0 := f (p0 )
und zeigen % = %̃, woraus nach 13.3 der Satz folgt. Zu diesem Zweck werden wir die
Annahme % 6= %̃ zum Widerspruch führen. Indem wir nötigenfalls die Rollen von
M und M̄ vertauschen, können wir dabei voraussetzen, dass in gewissen Punkten
%̃ − % > 0 gilt. Seien n und n̄ die inneren Normalen, und sei n0 := n(p0 ). Sei
ε ≥ 0 die kleinste Zahl mit der Eigenschaft, dass für den Punkt p00 = p0 − εn0 und
r0 (p) = p − p00 und %0 = 12 hr0 , r0 i gilt %̃ − %0 ≤ 0 auf ganz M . Dann ist ε > 0. Sei
M1 = { p ∈ M | %̃(p) − %0 (p) = 0 }.
Die Menge M1 ist abgeschlossen in M und aufgrund der Minimalität von ε nicht leer.
Außerdem ist p0 ∈
/ M1 , da %̃(p0 ) = %̄(p̄0 ) = 0 und %0 (p0 ) > 0. Wir werden zeigen,
dass M1 eine offene Teilmenge von M ist. Das widerspricht der Voraussetzung, dass
M zusammenhängend ist. Also war die Annahme % 6= %̃ falsch.
Behauptung 1. Auf M1 gilt hr0 , ni < 0.
Anschaulich bedeutet diese Aussage, dass M1 im Schatten liegt, wenn M von p00
aus beleuchtet wird. Zu ihrem Beweis sei p ∈ M1 . Falls hn(p), n0 i ≤ 0 ist, dann
folgt mit r0 = r + εn0
hr0 (p), n(p)i = hr(p), n(p)i + εhn0 , n(p)i < 0,
da p 6= p0 ist und hr, ni < 0 auf M \{p0}. Es bleibt der Fall hn(p), n0 i > 0 zu
betrachten. Seien dazu p1 der Schnitt der Tangentialebene an M in p mit der
Geraden p0 + Rn0 und p2 der Schnitt der Tangentialebene an M in p0 mit der
128
Geraden durch p1 und p. Die Ebene, welche die Punkte p0 , p00 und p enthält,
schneidet M in einer konvexen ebenen Kurve C. Sei C1 ⊂ C der Teilbogen, der p0
mit p verbindet und den Fußpunkt des Lotes von p2 auf C enthält. Schließlich seien
C¯ = f (C) und p̄ = f (p). Dann ist
kp1 − pk = kp1 − p2 k + kp2 − pk
> kp0 − p2 k + kp2 − pk
≥ L(C1 )
= L(f (C1 ))
(da C konvex)
(weil f Isometrie)
≥ kp̄0 − p̄k
= %̄(p̄) = %̃(p) = %0 (p)
=
kp00
(da p ∈ M1 )
− pk .
Also liegt p00 zwischen p0 und p1 . Es folgt, wie behauptet,
hr0 (p), n(p)i = hp − p00 , n(p)i
= hp − p1 , n(p)i + hp1 − p00 , n(p)i
< 0.
Behauptung 2. M1 ist offen in M .
Sei p ∈ M1 und p̄ = f (p). Wir wählen eine lokale Parametrisierung ψ : W →
ψ(W ) = U ⊆ M mit p ∈ U und verwenden die lokale Parametrisierung f ◦ ψ für
M̄ . Die Funktion v := %̃ − %0 ∈ C ∞ (M ) erfüllt v ≤ 0 auf M , und v = 0 auf M1 ,
hat also ein Maximum an p. Bezüglich der Parametrisierungen gilt nach Abschnitt
13.6
X
X
aij ∂i ∂j v +
bi ∂i v = −2Kv ≥ 0
mit der Koeffizientenmatrix
1
h22 −h12
0
hr , ni
(a ) = −
−h12 h11
2 det(gij )
!
h̃22 −h̃12
.
+hr̃, ñi
−h̃12 h̃11
ij
Wir zeigen, dass diese Matrix auf M1 , und damit auf einer Umgebung U1 ⊆ U von
p, positiv definit ist. Weil K > 0 ist, und da n und n̄ die inneren Normalen sind,
haben die zweiten Fundamentalformen IIM und IIM̄ überall positive Eigenwerte,
sind also positiv definit. Daher ist auch die Matrix
det(hij ) (hij )
−1
=
129
h22
−h12
−h12
h11
positiv definit, und dasselbe gilt für
h̃22
−h̃12
−h̃12
h̃11
.
Auf M gilt hr̃, ñi ≤ 0, und auf M1 ist hr0 , ni < 0 nach Behauptung 1. Folglich ist die
Koeffizientenmatrix (aij ) auf M1 positiv definit. Damit sind die Voraussetzungen
des Hopfschen Maximumprinzips auf einer Umgebung U1 ⊆ U von p erfüllt. Es folgt
v = const = 0 auf U1 , also U1 ⊆ M1 . Behauptung 2 und damit der Starrheitssatz
sind bewiesen. QED
Aufgaben
1. Skalarprodukte. Sei V ein endlichdimensionaler euklidischer Vektorraum, also
ein reeller Vektorraum mit Skalarprodukt h·, ·i. Zeigen Sie:
(a) Auf dem Dualraum V ∗ existiert genau ein Skalarprodukt mit folgender Eigenschaft: Für jede Orthonormalbasis v1 , . . . , vn von V ist die duale Basis v ∗1 , . . . , v ∗n
eine Orthonormalbasis von V ∗ .
(b) Für das in (a) definierte Skalarprodukt gilt: Ist v1 , . . . , vn eine beliebige Basis
von V und ist hvi , vj i = gij dann ist hv ∗i , v ∗j i = g ij mit der zu (gij ) inversen Matrix
(g ij ), also mit gij g jk = δi k .
2. Maximumprinzip. Sei U ⊆ Rn beschränkt und offen. Der Differentialoperator
L erfülle die Voraussetzungen aus Abschnitt 13.1. Zeigen Sie: Sind u, v ∈ C 2 (U ) ∩
C 0 (Ū ) Funktionen mit Lu ≥ Lv auf U und mit u ≤ v auf dem Rand ∂U , dann gilt
u ≤ v auf U .
3. Beispiele. Man zeige anhand geeigneter Beispiele, dass auf die Voraussetzung
h r(p), n(p) i 6= 0 in Satz 13.3 nicht ohne weiteres verzichtet werden kann.
4. Hadamard. Der (später zu behandelnde) Satz von Gauß–Bonnet besagt insbesondere, dass für kompakte zusammenhängende Flächen im R3 gilt
Z
K dV = 2π χ(M ) ≤ 4π.
M
Zeigen Sie, dass aus dieser Ungleichung die Injektivität der Gaußabbildung für
Eiflächen im Satz von Hadamard (13.4) folgt. Hinweis: Abschnitt 12.5.
5. Minimalflächen. Die Fläche M ⊆ R3 sei der Graph einer Funktion u ∈
C ∞ (W, R) mit W ⊆ R2 offen. Sei ψ : W → R3 die Parametrisierung ψ(w) =
(w, u(w)).
(a) Die mittlere Krümmung H ist gegeben durch
H=
(1 + ∂2 u)2 ∂11 u − 2∂1 u ∂2 u ∂12 u + (1 + ∂1 u)2 ∂22 u
,
2(1 + (∂1 u)2 + (∂2 u)2 )3/2
130
wobei ∂j = ∂/∂wj und ∂ij = ∂i ∂j .
(b) Sei M̄ der Graph der Funktion ū ∈ C ∞ (W, R). Sind M und M̄ Minimalflächen,
und nimmt die Differenz u − ū ihr Maximum im Inneren von W an, so ist u − ū
konstant.
Hinweis: u − ū erfüllt eine Differentialgleichung, auf die das Maximumprinzip anwendbar ist.
(c) Jede beschränkte Minimalfläche M ⊆ R3 mit Rand ∂M ist in der konvexen
Hülle ihres Randes enthalten.
Hinweis: Die konvexen Hülle einer Teilmenge A ⊆ Rn ist der Durchschnitt aller
Halbräume, die A enthalten. Verwenden Sie die Tatsache, dass Ebenen Minimalflächen sind.
131
14. Kovariante Ableitungen
Jedes C ∞ –Vektorfeld X auf einer Mannigfaltigkeit M induziert eine Abbildung des
Raumes C ∞ (M ) der differenzierbaren Funktionen in sich. Dabei wird einer Funktion f ihre Ableitung Xf nach X zugeordnet, eine Funktion auf M , die durch
(Xf )(p) = X(p)f definiert ist. Ist c eine Integralkurve des Vektorfeldes X mit
c(0) = p, dann lässt sich (Xf )(p) berechnen als Grenzwert des Differenzenquotienten
f (c(t)) − f (p)
.
(14.1)
(Xf )(p) = lim
t→0
t
Versucht man nun, statt der Funktion f ein Vektorfeld Y nach X abzuleiten, indem
man einen Differenzenquotienten wie in (14.1) verwendet, so ergeben sich im Zähler
Tangentialvektoren Y (c(t)) und Y (p) an verschiedenen Stellen von M , deren Differenz nicht erklärt ist. Wir haben dieses Problem für die Zwecke der Lieableitung
LX Y in Gleichung (7.7.1) dadurch gelöst, dass wir den Vektor Y (c(t)) mit Hilfe des
Flusses von X zunächst an die Stelle p zurückverschoben haben. Diese Verwendung
des Flusses von X hat aber zur Folge, dass die Bedeutung des Vektors (LX Y )(p)
nicht einfach die Änderung von Y in Richtung von X(p) ist, sondern das auch das
Verhalten von X in einer Umgebung von p eingeht. Man kann das etwa an der
Formel (7.4.2) ablesen.
In diesem Abschnitt führen wir eine weitere Art der Ableitung ein, die kovariante
Ableitung ∇X Y , bei welcher der Wert (∇X Y )(p) nur von X(p) und Y abhängt.
Operationen ∇ mit den gewünschten Eigenschaften, die man aus später zu erörternden Gründen als Zusammenhänge bezeichnet, gibt es auf jeder differenzierbaren
Mannigfaltigkeit. In der Tat gibt es sogar eine Vielzahl möglicher Zusammenhänge
∇ (siehe Aufgabe 2). Man wird dazu geführt, die gewünschte Ableitung ∇ als
zusätzliche, nicht kanonisch mit der Mannigfaltigkeit M verbundene Struktur anzusehen, etwa so, wie man verschiedene Riemannsche Metriken auf M zu betrachten
gewohnt ist.
Zusammenhänge und ihre Krümmung werden uns in den nun folgenden Kapiteln
beschäftigen. In diesem Kapitel erklären wir zunächst, was ein Zusammenhang ∇
auf M ist, und erläutern dann, wie man bei gegebenem Zusammenhang Tensorfelder
kovariant ableitet. Danach zeigen wir, dass es auf jeder Riemannschen Mannigfaltigkeit einen durch die Metrik eindeutig bestimmten Zusammenhang mit speziellen
Eigenschaften gibt, den Levi–Civita–Zusammenhang. Die Christoffelsymbole der
Flächentheorie, welche uns im Zusammenhang mit den Ableitungsgleichungen in
11.8 begegnet sind, finden hier ihren natürlichen Ort als Komponenten des Levi–
Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform einer Fläche.
Im Folgenden bezeichnet V = V(M ) den Raum der C ∞ –Vektorfelder auf einer C ∞ –
Mannigfaltigkeit M . Für die Basisvektorfelder einer Karte schreiben wir oft vereinfacht ∂i = ∂/∂xi .
Version: 18. Februar 2000
132
14.1. Definition. Ein (linearer) Zusammenhang auf M ist eine Abbildung ∇ :
V × V → V mit folgenden Eigenschaften: Für alle X, Y, Z ∈ V und alle f ∈ C ∞ (M )
gilt
(1)
(2)
(3)
(4)
∇X (Y + Z) = ∇X Y + ∇X Z
∇X+Y Z = ∇X Z + ∇Y Z
∇f X Y = f ∇X Y
∇X (f Y ) = (Xf ) Y + f ∇X Y
Das Vektorfeld ∇X Y heißt die kovariante Ableitung von Y nach X. Dass es auf
jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit einen Zusammenhang gibt, werden wir in
Abschnitt 14.5 sehen.
14.2. Standardzusammenhang des Rn . In Abschnitt
11.3 hatten wir die koP j
variante Ableitung von Vektorfeldern X und Y =
Y ∂/∂xj auf dem Rn definiert
als
X
X
∂
∂Y j ∂
∇X Y =
X(Y i ) i =
Xi i
.
(14.2.1)
∂x
∂x ∂xj
Dabei sind ∂/∂xj die Standardbasisfelder des Rn . Den so definierten Zusammenhang ∇ auf dem Rn bezeichnet man als den Standardzusammenhang des Rn . Er ist
mit Hilfe der Basisfelder des speziellen Koordinatensystems ϕ = id auf Rn definiert.
Bemerkung. Wählt man ein anderes Koordinatensystem, etwa ϕ0 : Rn → Rn mit
0
zugehörigen Basisvektorfeldern ∂/∂x0j und definiert einen Zusammenhang ∇ entsprechend durch
X
∂
∇X Y =
X(Y 0j ) 0j
∂x
0
für Y = Y 0j ∂/∂x0j , dann ist ∇ = ∇ genau dann, wenn für alle i, j, k gilt
∂ 2 x0i
= 0.
∂xj ∂xk
(14.2.2)
Das ist nach der Taylorschen Formel äquivalent dazu, dass der Kartenwechsel ϕ 0 ◦
ϕ−1 eine affine Abbildung des Rn ist, also von der Form ϕ0 ◦ ϕ−1 (x) = Ax + b mit
einer Matrix A ∈ GL(n, R) und mit b ∈ Rn . Zum Beweis berechnet man
0
∇X Y = ∇ X Y +
X
Y jXl
∂ ∂x0i ∂xk ∂
.
∂xl ∂xj ∂x0i ∂xk
14.3. Abhängigkeit von X und Y . Wir untersuchen zunächst die Abhängigkeit
des Vektorfeldes ∇X Y von X. Für ein festes Vektorfeld Y ∈ V ist die Abbildung
∇Y : V → V,
(∇Y )(X) := ∇X Y
133
wegen der Eigenschaften (2), (3) linear über dem Ring C ∞ (M ). Nach der Charakterisierung von Tensorfeldern aus Abschnitt 6.7 hängt daher der Wert (∇X Y )(p)
nicht vom Vektorfeld X, sondern nur von seinem Wert X(p) an der Stelle p ab.
Man erhält so für jeden Punkt p ∈ M eine lineare Abbildung ∇Y : Tp M → Tp M
durch
(∇Y )Xp := ∇Xp Y := ∇X Y (p).
Dabei ist X ∈ V ein beliebiges Vektorfeld mit X(p) = Xp . Aufgefaßt als (1, 1)Tensorfeld, nennt man ∇Y die kovariante Ableitung von Y . Wir fixieren nun das
Vektorfeld X.
Lemma. Für p ∈ M hängt der Wert (∇X Y )(p) = ∇Xp Y nicht von Y , sondern
nur von der Einschränkung von Y auf das Bild einer beliebigen differenzierbaren
Kurve c : [0, ε) → M mit Tangentialvektor ċ(0) = Xp ab.
Beweis. Zunächst zeigen wir wie Abschnitt 3.7, dass für jede offene Teilmenge
U ⊆ M die Einschränkung (∇X Y )|U nur von der Einschränkung Y |U abhängt.
Seien dazu Y1 , Y2 ∈ V Vektorfelder mit Y1 |U = Y2 |U , und sei p ∈ U . Wir zeigen
(∇X Y1 )(p) = (∇X Y2 )(p). Sei dazu f ∈ C ∞ (M ) eine Funktion mit f = 1 auf einer
Umgebung von p, deren Träger in U enthalten ist. Dann ist f Y1 = f Y2 ∈ V, also
∇X (f Y1 ) = ∇X (f Y2 ), und nach Eigenschaft (4) auch
(Xf )Y1 + f ∇X Y1 = (Xf )Y2 + f ∇X Y2 .
Mit (Xf )(p) = 0 und f (p) = 1 folgt daraus, wie behauptet,
(∇X Y1 )(p) = (∇X Y2 )(p).
Sei nun (ϕ, U ) eine Karte an p mit Basisfeldern ∂/∂xi . Dann ist
∂
)
∂xj
∂
∂
= X(Y j ) j + Y j ∇X j .
∂x
∂x
(∇X Y )|U = ∇X (Y j
Die Behauptung des Lemmas folgt aus Abschnitt 4.4,
d j
Y (c(t)). QED
(X(Y j ))(p) =
dt 0
14.4. Christoffelsymbole. Die Christoffelsymbole oder Komponenten Γij k ∈
C ∞ (U ) des Zusammenhanges ∇ bezüglich einer Karte (ϕ, U ) mit Basisfeldern ∂/∂xi
sind definiert durch†
∂
∂
∇ ∂i
= Γij k k .
(14.4.1)
∂x ∂xj
∂x
†
Die in Abschnitt 11.8 eingeführten Christoffelsymbole werden sich in 14.5 als Spezialfall der hier definierten Größen erweisen.
134
Aufgrund des in 14.3 Gesagten ist die linke Seite wohldefiniert, obwohl die Vektorfelder ∂/∂xi nur auf U existieren. Es folgt
∂
∂
+ Y j X i∇ ∂ i
∂x ∂xj
∂xj
∂
∂
= X(Y k ) k + X i Y j Γij k k ,
∂x
∂x
(∇X Y )|U = X(Y j )
also
∂
(∇X Y ) = X(Y k ) + X i Y j Γij k
.
∂xk
U
(14.4.2)
Korollar. Das Tensorfeld ∇Y ist in lokalen Koordinaten gegeben durch
(∇Y )|U =
∂ k
∂
Y + Y j Γij k dxi ⊗ k .
∂xi
∂x
(14.4.3)
Beweis. Man wendet beide Seiten der Gleichung auf ein Vektorfeld X = X i ∂/∂xi
an und beachtet
∂ ∂
∂
dxi ⊗ k (X) = dxi (X) k = X i k .
∂x
∂x
∂x
Die Behauptung folgt aus (14.4.2). QED
Wir untersuchen nun das Transformationsverhalten der Γij k bei Kartenwechseln.
Seien dazu (ϕ, U ) und (ϕ̃, Ũ ) Karten von M mit entsprechenden Basisvektorfeldern
∂i = ∂/∂xi und ∂˜i = ∂/∂ x̃0i . Nach Abschnitt 3.10 ist
∂i =
∂ x̃k ˜
∂k = ∂i (x̃k ) ∂˜k
∂xi
wobei x̃k die k-te Komponente von ϕ̃ bezeichnet. Damit folgt
Γij k ∂k = ∇∂i ∂j
= ∇∂i (∂j (x̃m ) ∂˜m )
= ∂i ∂j (x̃m ) ∂˜m + ∂j (x̃m )∇∂i ∂˜m
= ∂i ∂j (x̃m ) ∂˜m + ∂j (x̃m )∂i (x̃l ) ∇ ˜ ∂˜m
∂l
also
oder
= ∂i ∂j (x̃s ) ∂˜s + ∂j (x̃m )∂i (x̃l ) Γ̃lm s ∂˜s
= ∂i ∂j (x̃s ) + ∂i (x̃l )∂j (x̃m )Γ̃lm s ∂˜s (xk ) ∂k ,
Γij k = ∂i ∂j (x̃s ) + ∂i (x̃l )∂j (x̃m )Γ̃lm s ∂˜s (xk )
Γij k =
∂ ∂ x̃s l
m ∂xk
s ∂ x̃ ∂ x̃
.
+
Γ̃
lm
∂xi ∂xj
∂xi ∂xj ∂ x̃s
135
(14.4.4)
Dieses Transformationsverhalten zeigt insbesondere, dass die Γij k nicht die Komponenten eines Tensorfeldes auf M sind: Zwar ist Γij k dxi⊗ dxj ⊗ ∂/∂xk ein auf dem
Kartenbereich U wohldefiniertes Tensorfeld. Diese Tensorfeld stimmt aber auf U ∩ Ũ
nicht mit Γ̃ij k dx̃i⊗dx̃j⊗∂/∂ x̃k überein. Man verifiziert hingegen leicht das Folgende:
Sind zu jeder Karte (ϕ, U ) eines Atlas Funktionen Γij k ∈ C ∞ (U ) vorgegeben, und
gilt für je zwei Karten die Transformationsregel (14.4.1), dann existiert genau ein
Zusammenhang ∇ auf M , dessen Christoffelsymbole die gegebenen Γij k sind.
14.5. Beispiel.
Sei M ⊆ Rn+k eine n-dimensionale Untermannigfaltigkeit und sei
n+k Π : (T R
) M → T M die orthogonale Projektion. Dann definiert
∇X Y = Π ◦ ∇ X Y
(14.5.1)
für X, Y ∈ V(M ) einen Zusammenhang auf M . Dabei ist die rechte Seite wegen
der Eigenschaften aus Abschnitt 14.3 wohldefiniert: (∇ X Y )(p) = ∇X(p) Y hängt
nur ab von der Einschränkung von Y auf das Bild einer differenzierbaren Kurve
c : [0, ε) → Rn+k mit ċ(0) = X(p). Wenn nun speziell X(p) ∈ Tp M ⊆ Tp Rn+k
ist, dann kann man für c eine in M verlaufende Kurve wählen. Da nach Abschnitt
8.7 jede differenzierbare Mannigfaltigkeit in einen Rn+k differenzierbar eingebettet
werden kann, erhalten wir als
Folgerung. Auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit existiert ein Zusammenhang.
Eine Beschreibung der Menge aller Zusammenhänge auf M gibt Aufgabe 1. Sei nun
speziell n = 2 und k = 1, also M eine Fläche im R3 . Sei ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M
eine lokale Parametrisierung, x = ψ(w). Nach Abschnitt 10.2 gilt für die Basisfelder
∂/∂w1 , ∂/∂w2 der Karte (ψ −1 , U ) und die Standardbasisfelder ∂/∂xi des R3
∂
∂ψ k −1
∂ ∂ ∂ k
(p).
=
(ϕ
(p))
=
(ψ
)
∂wj p
∂wj
∂xk p
∂wj
∂xk
Mit der Ableitungsgleichung (11.8.1) von Gauß folgt
∇
∂
∂wi
∂
∂
= Π ◦ ∇ ∂i
∂w ∂w j
∂wj
∂ ∂ ∂
ψk
=Π◦
i
j
∂w ∂w
∂xk
∂
+ hij n)
= Π ◦ (Γij k
∂wk
∂
= Γij k
∂wk
wobei die auftretenden Γij k die in (11.8.1) definierten sind. Der Vergleich mit
der definierenden Gleichung (14.4.1) zeigt: Die Christoffelsymbole des Zusammenhanges ∇ stimmen mit den in der Flächentheorie definierten Größen Γij k überein.
136
14.6. Kovariante Ableitung von Tensorfeldern. Sei ∇ ein Zusammenhang
auf M . Für jedes Vektorfeld X ∈ V lässt sich die kovariante Ableitung ∇X nach X,
die zunächst nur auf Vektorfelder wirkt, auf beliebige differenzierbare Tensorfelder
erweitern. Ähnlich wie bei der Lieableitung LX in Abschnitt 7.9 kann man diese
Erweiterung durch folgende Eigenschaften charakterisieren:
(1) Die kovariante Ableitung ∇X nach X bildet die Menge der differenzierbaren
(r, s)–Tensorfelder R–linear in sich selbst ab.
(2) ∇X erfüllt die Produktregel für das Tensorprodukt:
∇X (A ⊗ B) = (∇X A) ⊗ B + A ⊗ (∇X B) .
(3) ∇X vertauscht mit Kontraktionen: Für jede Kontraktion Cµν gilt
∇X ◦ Cµν = Cµν ◦ ∇X .
(4) Für (0, 0)–Tensorfelder, also Funktionen, gilt ∇X f = Xf .
(5) Für (0, 1)–Tensorfelder, also Vektorfelder, ist ∇X Y die durch den Zusammenhang gegebene kovariante Ableitung.
Man beachte, dass sich ∇X nur in Eigenschaft (5) von der Lieableitung LX unterscheidet. Aus (2) und (3) ergibt sich insbesondere, dass ∇X auch die Produktregel
für Überschiebungen Cµν (A ⊗ B) erfüllt. Ist zum Beispiel g ein (2, 0)–Tensorfeld,
und sind Y, Z ∈ V Vektorfelder, dann ist g(Y, Z) die Funktion
g(Y, Z) = C11 C22 (g ⊗ Y ⊗ Z).
Nach (2) und (3) folgt dann
X(g(Y, Z)) = (∇X g)(Y, Z) + g(∇X Y, Z) + g(Y, ∇X Z),
(14.6.1)
und das ist eine explizite Beschreibung von ∇X g.
Für ein (r, s)–Tensorfeld A definiert man ein (r + 1, s)–Tensorfeld ∇A durch die
über C ∞ (M ) multilineare Abbildung (siehe 6.7)
∇A : V × . . . × V × V ∗ × . . . × V ∗ → C ∞ (M ),
(∇A)(X1 , . . ., Xr+1 , α1 , . . . , αs )
:= (∇Xr+1 A)(X1 , . . . , Xr , α1 , . . . , αs ).
(14.6.2)
∇A heißt die kovariante Ableitung von A. Wir betrachten Spezialfälle. Zunächst
ist für Funktionen f ∈ C ∞ (M ) offenbar (∇f )(X) = ∇X f = Xf = df (X), also ist
∇f = df,
unabhängig von der Wahl des Zusammenhanges ∇. Für Eins–Formen α ist das
(2, 0)–Tensorfeld ∇α gegeben durch
(∇α)(X, Y ) = (∇Y α)(X)
= ∇Y (α(X)) − α(∇Y X)
= Y (α(X)) − α(∇Y X).
137
(14.6.3)
Da mit A auch ∇A ein Tensorfeld ist, kann man höhere kovariante Ableitungen
bilden. So ist etwa die zweite kovariante Ableitung ∇2 A = ∇(∇A) eines (r, s)–
Tensorfeldes A ein (r + 2, s)–Tensorfeld.
14.7. Lokale Koordinaten. Seien ∂i = ∂/∂xi die Basisfelder einer Karte und dxi
die dazu dualen Eins–Formen. Nach Definition der Christoffelsymbole in (14.4.1)
haben wir zunächst
∇∂i ∂j = Γij k ∂k .
(14.7.1)
Durch kovariante Differentiation der Gleichung dxj (∂k ) = δkj ergibt sich daraus
(∇∂i dxj )(∂k ) = −dxj (∇∂i ∂k ) = −Γik j , und folglich
∇∂i dxj = −Γik j dxk .
(14.7.2)
Die Beziehungen (14.7.1) und (14.7.2) ermöglichen es, mit Hilfe der Produktregel
für das Tensorprodukt die kovariante Ableitung ∇∂i A für ein beliebiges Tensorfeld
A = Ai1 ...ir j1 ...js dxi1 ⊗ . . . ⊗ dxir ⊗ ∂j1 ⊗ . . . ⊗ ∂js
zu berechnen. Für die Komponenten von ∇A bezüglich lokaler Koordinaten verwenden wir die Schreibweise Ai1 ...ir j1 ...js ,k , so dass
Ai1 ...ir j1 ...js ,k = (∇A)i1 ...ir k j1 ...js
= (∇A)(∂i1 , . . . , ∂ir , ∂k , dxj1 , . . . , dxjs )
= (∇∂k A)(∂i1 , . . . , ∂ir , dxj1 , . . . , dxjs )
= ∂k (A(∂i1 , . . . , ∂ir , dxj1 , . . . , dxjs ))
r
X
−
A(∂i1 , . . . , ∇∂k ∂i% , . . . , ∂ir , dxj1 , . . . , dxjs )
−
%=1
s
X
σ=1
A(∂i1 , . . . , ∂ir , dxj1 , . . . , ∇∂k dxjσ , . . . , dxjs ).
Mit (14.7.1) und (14.7.2) ergibt sich als Resultat
Ai1 ...ir j1 ...js ,k = ∂k (Ai1 ...ir j1 ...js )
r
X
−
Γki% l Ai1 ...i%−1 l i%+1 ...ir j1 ...js
+
%=1
s
X
Γkl jσ Ai1 ...ir j1 ...jσ−1 l jσ+1 ...js
σ=1
für die Komponenten von
∇A = Ai1 ...ir j1 ...js ,k dxi1 ⊗ . . . ⊗ dxir ⊗ dxk ⊗ ∂j1 ⊗ . . . ⊗ ∂js .
138
(14.7.3)
Speziell für die kovariante Ableitung von Eins–Formen α = αi dxi erhalten wir
∇α = αi,j dxi ⊗ dxj = (∂j αi − Γji k αk ) dxi ⊗ dxj .
(14.7.4)
Die Komponenten höherer kovarianter Ableitungen ∇mA bezeichnen wir unter Weglassen einiger Kommas mit
Ai1 ...ir j1 ...js ,k1 ...km
anstelle von Ai1 ...ir j1 ...js ,k1 ,...,km . Mit etwas Mühe, aber ohne Schwierigkeiten lassen
sich der Gleichung (14.7.3) entsprechende Formeln für diese Komponenten herleiten.
14.8. Hessesche und Torsionstensor. Wir betrachten eine mit einem Zusammenhang ∇ ausgestatteten Mannigfaltigkeit M . Die Hessesche einer differenzierbaren Funktion f auf M ist definiert als die zweite kovariante Ableitung
∇2 f = ∇(∇f ) = ∇(df ).
Sie ist also ein (2, 0)–Tensorfeld auf M . Für Vektorfelder X, Y ∈ V ist nach (14.6.3)
(∇df )(X, Y ) = Y (df (X)) − df (∇Y X) = Y Xf − (∇Y X)f.
Insbesondere ist ∇df nicht notwendig symmetrisch, sondern mit der Lieklammer
[X, Y ] = XY − Y X gilt
(∇df )(X, Y ) − (∇df )(Y, X) = df (∇X Y ) − df (∇Y X) − [X, Y ]f
= df (∇X Y − ∇Y X − [X, Y ]).
Lemma. Die durch
T (X, Y ) = ∇X Y − ∇Y X − [X, Y ]
(14.8.1)
definierte Abbildung T : V × V → V ist bilinear über C ∞ (M ), also nach Abschnitt
6.7 ein (2, 1)–Tensorfeld auf M .
Das Tensorfeld T heißt der Torsionstensor des Zusammenhanges ∇. Zum Beweis
des Lemmas berechnen wir für f ∈ C ∞ (M )
T (f X, Y ) = ∇f X Y − ∇Y (f X) − [f X, Y ]
= f ∇X Y − (Y f ) X − f ∇Y X − f [X, Y ] + (Y f ) X
= f T (X, Y ).
Dabei haben wir Lemma 2 aus Abschnitt 7.3 verwendet. Entsprechend behandelt
man T (X, f Y ). QED
Mit dieser Definition ergibt sich für die Hessesche
(∇df )(X, Y ) − (∇df )(X, Y ) = df (T (X, Y )).
139
(14.8.2)
Korollar. Die Hessesche ∇(df ) ist genau dann für jede Funktion f ∈ C ∞ (M )
symmetrisch, wenn der Zusammenhang ∇ torsionsfrei ist, wenn also T = 0 gilt.
In lokalen Koordinaten haben wir df = ∂i f dxi , und daher nach (14.7.4) für die
Hessesche
∇df = (∂j ∂i f − Γji k ∂k f ) dxi ⊗ dxj .
(14.8.3)
Für die Komponenten Tij k = dxk (T (∂i , ∂j ) des Torsionstensor ergibt sich
Tij k = Γij k − Γji k .
(14.8.4)
Der Torsionstensor verschwindet also genau dann, wenn die Christoffelsymbole Γ ij k
in ihren beiden unteren Indizes symmetrisch sind. Man nennt deshalb Zusammenhänge mit T = 0 auch symmetrisch.
14.9. Der Levi–Civita–Zusammenhang. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit. Ein Zusammenhang ∇ auf M heißt mit g verträglich, wenn ∇g = 0
ist, also wenn ∇X g = 0 für alle X ∈ V(M ). Nach (14.6.1) ist das gleichbedeutend
mit
X(g(Y, Z)) = g(∇X Y, Z) + g(Y, ∇X Z)
(14.9.1)
für alle Vektorfelder X, Y, Z ∈ V(M ). Grundlegend für die Riemannsche Geometrie
ist der folgende
Satz. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit. Dann existiert genau ein
torsionsfreier, mit g verträglicher Zusammenhang ∇ auf M .
Man nennt ∇ den Levi–Civita–Zusammenhang von (M, g). Der Satz und sein
Beweis gelten genauso, wenn g eine pseudo–Riemannsche Metrik ist. Pseudo–
Riemannsche Metriken sind (2, 0)–Tensorfelder g mit der Eigenschaft, dass für jeden
Punkt p ∈ M die Bilinearform g(p) auf Tp M symmetrisch und nicht ausgeartet ist.
Dabei heißt g(p) nicht ausgeartet, wenn g(p)(X, Y ) = 0 für alle Y ∈ Tp M impliziert,
dass X = 0 ist. Diese Bedingung ist äquivalent dazu, dass in lokalen Koordinaten
die Matrix der Tensorkomponenten gij (p) invertierbar ist. Im Unterschied zu Riemannschen Metriken wird also auf die positive Definitheit verzichtet.
Zum Beweis der Eindeutigkeit nehmen wir an, ein Zusammenhang ∇ erfülle T = 0
und ∇g = 0. Dann gilt für X, Y, Z ∈ V(M )
g(∇X Y, Z) + g(Y, ∇X Z) = Xg(Y, Z)
g(∇Y Z, X) + g(Z, ∇Y X) = Y g(Z, X)
g(∇Z X, Y ) + g(X, ∇Z Y ) = Zg(X, Y ).
Wir addieren die beiden ersten Gleichungen und subtrahieren die dritte. Mit der
Torsionsfreiheit ∇X Y = ∇Y X + [X, Y ] folgt
2g(∇X Y, Z) − g([X, Y ], Z)+g([X, Z], Y ) + g([Y, Z], X)
= Xg(Y, Z) + Y g(X, Z) − Zg(X, Y )
140
und damit
g(∇X Y, Z) =
1
Xg(Y, Z) + Y g(X, Z) − Zg(X, Y )
2
+ g([X, Y ], Z) − g([Y, Z], X) + g([Z, X], Y ) .
(14.9.2)
Da Z ∈ V(M ) beliebig ist und g nicht ausgeartet, ist ∇X Y durch diese Gleichung
eindeutig bestimmt. Um die Existenz von ∇ zu beweisen, definiert man ∇X Y
als das eindeutig bestimmte Vektorfeld, welches für alle Z ∈ V(M ) die Gleichung
(14.9.2) erfüllt und rechnet dann nach, dass ∇ ein Zusammenhang ist mit T = 0 und
∇g = 0. Zum Beweis der Torsionsfreiheit etwa zeigt man, dass g(T (X, Y ), Z) = 0
ist für alle X, Y, Z ∈ V(M ). QED
Setzt man in (14.9.2) speziell Basisfelder einer Karte ein, und zwar X = ∂i , Y = ∂j ,
Z = ∂l ein, dann folgt
gml Γij m = g(Γij m ∂m , ∂l ) =
1
(∂i gjl + ∂j gil − ∂l gij ).
2
k
Multiplikation beider Seiten mit g kl und Summation liefert wegen g kl gml = δm
Γij k =
1 kl
g (∂i gjl + ∂j gil − ∂l gij ).
2
(14.9.3)
Der Vergleich mit (11.8.3) zeigt, dass die dort definierten Christoffelsymbole diejenigen des Levi–Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform der Fläche sind.
Und unser Beweis des Satzes ist im Wesentlichen identisch zur Herleitung der Gleichung (11.8.3). Der in Abschnitt 14.5 eingeführte Zusammenhang muss also der
Levi–Civita–Zusammenhang der ersten Fundamentalform sein. Wir werden das
nun auch in allgemeinerem Kontext zeigen.
14.10. Levi–Civita–Zusammenhang von Untermannigfaltigkeiten. Sei
M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit der Riemannschen Mannigfaltigkeit (N, h), und
sei ιM : M → N die Inklusion. Dann ist der Pullback g = ι∗M h eine Riemannsche
Metrik auf M , die auf M induzierte Metrik. Sei
Π : (T N )|M → T M
die faserweise orthogonale Projektion, d.h. für alle p ∈ M ist die Einschränkung
Π|Tp N : Tp N → Tp M die orthogonale Projektion bezüglich des Skalarproduktes
h(p) auf Tp N . Man sieht leicht, dass Π differenzierbar ist.
Lemma. Ist ∇N der Levi–Civita–Zusammenhang von (N, h), dann ist der Levi–
Civita–Zusammenhang der auf M induzierten Metrik g = ι∗M h gegeben durch
N
∇M
X Y = Π ◦ ∇X Y
141
(14.10.1)
für X, Y ∈ V(M ).
Beweis. Zu zeigen ist, das die durch (14.10.1) definierte Abbildung ∇M ein torsionsfreier und mit g verträglicher Zusammenhang auf M ist. Die Zusammenhangseigenschaften (1) bis (4) aus Abschnitt 14.1 verifiziert man ohne Mühe, ebenso die
Verträglichkeit von ∇ mit g: Für X, Y, Z ∈ V(M ) ist h(Y, Z) = g(Y, Z). Aus
N
Xh(Y, Z) = h(∇N
X Y, Z) + h(Y, ∇X Z),
folgt daher
N
Xg(Y, Z) = Xh(Y, Z) = h(∇N
X Y, Z) + h(Y, ∇X Z)
N
= h(Π ◦ ∇N
X Y, Z) + h(Y, Π ◦ ∇X Z)
M
= g(∇M
X Y, Z) + g(Y, ∇X Z).
Zum Beweis der Torsionsfreiheit seien X̃, Ỹ und Z̃ differenzierbare Vektorfelder auf
N , deren Einschränkungen auf M mit X, Y, Z übereinstimmen (siehe Satz 8.5). Da
∇N torsionsfrei ist, gilt
Ỹ − ∇N
X̃ − [X̃, Ỹ ] = 0.
∇N
X̃
Ỹ
Die Einschränkung auf M und Anwendung von Π ergeben
M
∇M
X Y − ∇Y X − Π ◦ [X̃, Ỹ ] M = 0.
Das nachfolgende Lemma impliziert
Π ◦ [X̃, Ỹ ]M = Π ◦ [X, Y ] = [X, Y ],
und der Beweis ist beendet. QED
Lemma. Sei M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit der differenzierbaren Mannigfaltigkeit N , und seien X̃, Ỹ ∈ V(N ) Vektorfelder, deren Einschränkungen X̃|M = X
und Ỹ |M = Y tangentiell an M sind, also Elemente von V(M ). Dann gilt
(14.10.2)
[X̃, Ỹ ]M = [X, Y ].
Beweis. Sei (ϕ, U ) eine an M angepasste Karte von N , also
M ∩ U = {p ∈ U | xm+1 (p) = · · · = xn (p) = 0}.
Dann ist X̃|U =
Pn
i=1
X̃ i ∂i und X|M ∩U =
i
X̃ |M =
Xi
0
Pm
i=1
X i ∂i |M , wobei
für i = 1, . . . , m;
für i > m.
142
Entsprechendes gilt für Y . Für p ∈ M ∩ U folgt mit der Schreibweise Xp := X(p)
[X̃, Ỹ ](p) =
n
X
i=1
=
n
X
i=1
=
m
X
i=1
X̃p Ỹ i − Ỹp X̃ i ∂i p
Xp (Ỹ i |M ) − Yp (X̃ i |M ) ∂i p
(Xp Y i − Yp X i ) ∂i |p
= [X, Y ](p).
Ein zweiter Beweis des Lemmas ergibt sich aus Gleichung (7.7.1),
[X, Y ](p) = lim
t→0
(T φ−t )Yφt (p) − Yp
t
und der entsprechenden Gleichung für [X̃, Ỹ ](p), indem man beachtet, dass für jeden
Punkt p ∈ M die Flusslinie φ̃t (p) von X̃ in M verläuft und mit der Flusslinie φt (p)
des Vektorfeldes X übereinstimmt. QED
14.11. Zusammenhänge in Vektorraumbündeln. (r, s)–Tensorfelder auf M
sind, wie wir in Abschnitt 6.8 gesehen haben, Schnitte des Vektorbündels Trs M
der (r, s)–Tensoren. Die kovariante Ableitung von Tensorfeldern ordnet sich dem
allgemeinen Begriff des Zusammenhanges auf einem Vektorbündel unter, auf den
wir nun noch kurz eingehen. Sei E (genauer: (E, M, π)) ein Vektorbündel über
M , und sei Γ(E) = Γ(M, E) die Menge seiner differenzierbaren Schnitte. Ein
Zusammenhang auf E ist eine Abbildung
∇ : V(M ) × Γ(E) → Γ(E)
mit folgenden Eigenschaften: Für alle Vektorfelder X, Y ∈ V(M ), alle ξ, ζ ∈ Γ(E)
und alle f ∈ C ∞ (M ) gilt
(1)
(2)
(3)
(4)
∇X (ξ + ζ) = ∇X ξ + ∇X ζ
∇X+Y ξ = ∇X ξ + ∇Y ξ
∇f X ξ = f ∇ X ξ
∇X (f ξ) = (Xf ) ξ + f ∇X ξ
Zusammenhänge auf M im Sinne von 14.1 sind in dieser Terminologie Zusammenhänge auf dem Tangentialbündel T M . Der Schnitt ∇X ξ heißt die kovariante
Ableitung von ξ nach X. Die Eigenschaften aus 14.3 übertragen sich ohne weiteres
auf diese allgemeinere Situation. Eine lokale Beschreibung durch Christoffelsymbole ist wie folgt möglich: Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U , auf der
Schnitte σ1 , . . . , σm ∈ Γ(U, E) des eingeschränkten Bündels E|U existieren, die in
143
jedem Punkt q ∈ U eine Basis des Vektorraumes Eq bilden. Ein
P µSchnitt σ ∈ Γ(E)
besitzt auf U eine Darstellung als Linearkombination ξ|U =
ξ σµ mit gewissen
Komponentenfunktionen ξ µ ∈ C ∞ (M ). Wenn man U nötigenfalls noch verkleinert,
so ist U auch Definitionsbereich einer Karte von M , die dann Basisvektorfelder ∂ i
liefert. Definiert man Christoffelsymbole durch
∇∂i σµ = Γiµ ν σν ,
dann hat man die der Gleichung (14.3.2) entsprechende Beziehung
(∇X ξ) = X(ξ µ ) + X i ξ µ Γiµ ν σν .
U
Aufgaben
∇
1. Standardzusammenhang. Zeigen Sie, dass der Standardzusammenhang
P i
auf Rn der Levi–Civita–Zusammenhang der Standardmetrik ḡ =
dx ⊗ dxi ist.
2. Raum aller Zusammenhänge. Nach Abschnitt 6.7 sind (2, 1)–Tensorfelder A
auf einer Mannigfaltigkeit M dasselbe wie Abbildungen A : V × V → V, die bilinear
über C ∞ (M ) sind. Zeigen Sie:
(a) Ist ∇ ein Zusammenhang auf M und A ein (2, 1)–Tensorfeld, dann ist ∇ + A,
definiert als (∇ + A)(X, Y ) = ∇X Y + A(X, Y ), ein Zusammenhang auf M .
(b) Sind ∇ und ∇0 Zusammenhänge auf M , dann ist A = ∇ − ∇0 ein (2, 1)–
Tensorfeld.
(c) Die Menge aller Zusammenhänge auf M ist ein affiner Raum, dessen unterliegender Vektorraum der Raum aller differenzierbaren (2, 1)–Tensorfelder auf M
ist.
3. Kein kanonischer Zusammenhang. Zeigen Sie, dass es keine Möglichkeit
gibt, jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit M einen Zusammenhang ∇M dergestalt zuzuordnen, dass folgendes gilt: Ist φ : M → N ein Diffeomorphismus, dann
gilt für alle X, Y ∈ V(M )
N
φ∗ (∇M
X Y ) = ∇ φ∗ X φ∗ Y .
4. Produktregel. Zeigen Sie, dass für die kovariante Ableitung von Tensorfeldern
folgende Form der Produktregel gilt:
(Ai1 ,...,ir j1 ...,js Bk1 ,...,kp l1 ...,lq ),m = Ai1 ,...,ir j1 ...,js ,m Bk1 ,...,kp l1 ...,lq
+ Ai1 ,...,ir j1 ...,js Bk1 ,...,kp l1 ...,lq ,m .
144
5. Vorgeschriebene Torsion. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit, und
sei A : V × V → V ein differenzierbares (2, 1)–Tensorfeld mit A(X, Y ) = −A(Y, X)
für alle Vektorfelder X, Y ∈ V. Zeigen Sie: Es existiert genau ein Zusammenhang
∇ auf M mit ∇g = 0, dessen Torsionstensor mit A übereinstimmt.
6. Normalenbündel. Nach Aufgabe 6 von Kapitel 6 ist das Normalenbündel
T M ⊥ ⊆ T N einer Untermannigfaltigkeit M ⊆ N einer Riemannschen Mannigfaltigkeit N ein Vektorbündel. Sei Π⊥ : T N |M → T M ⊥ die faserweise orthogonale
Projektion, und sei ∇ der Levi–Civita–Zusammenhang von N . Dann definiert
⊥
∇⊥
X ξ = Π ◦ ∇X ξ
für X ∈ V(M ) und ξ ∈ Γ(T M ⊥ ) einen Zusammenhang ∇⊥ auf dem Bündel T M ⊥ .
Man bezeichnet ∇⊥ als den normalen Zusammenhang auf T N ⊥ .
145
15. Parallelverschiebung
Ein Zusammenhang ∇ auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ermöglicht
es, Tangentialvektoren entlang gegebener Kurven parallel zu verschieben. Man
erhält auf diese Weise für jede Kurve c Vektorraumisomorphismen zwischen den
verschiedenen Tangentialräumen Tc(t) M . Diese Parallelverschiebung längs Kurven
stellt also einen “Zusammenhang” her zwischen den sonst unabhängigen Tangentialräumen an verschiedenen Punkten, und das ist auch der Ursprung der zunächst
wenig naheliegenden Terminologie.
In diesem Kapitel führen wir zunächst den Begriff des Vektorfeldes längs einer Kurve
in M ein und erklären dann, wie man solche Vektorfelder kovariant differenziert. Mit
Hilfe dieser kovarianten Ableitung definieren wir dann die Parallelverschiebung längs
Kurven. Es ergibt sich eine Version der Taylorformel für Vektorfelder längs Kurven, und eine Deutung der Bedingung ∇g = 0 mit Hilfe der Parallelverschiebung.
Danach gehen wir auf den Begriff der Geodätischen eines Zusammenhanges ein.
Das Kapitel schließt mit einer kurzen Erläuterung der Parallelverschiebung in allgemeinen Vektorbündeln.
15.1. Vektorfelder längs Kurven. Sei I ⊆ R ein Intervall, und sei c : I → M
eine differenzierbare Kurve in einer Mannigfaltigkeit M . Ein differenzierbares Vektorfeld längs c ist eine differenzierbare Abbildung X : I → T M mit π◦X = c. Dabei
bezeichnet π : T M → M die Projektion des Tangentialbündels von M , so dass also
X(t) ∈ Tc(t) M ist für alle t ∈ I. Ist allgemeiner A eine Menge und ϕ : A → M
eine Abbildung, dann bezeichnet man Abbildungen X : A → T M mit π◦X = ϕ als
Vektorfelder längs der Abbildung ϕ.
Beispiele. (a) Ist Y ∈ V(M ), dann ist Y ◦c ein Vektorfeld längs c.
(b) Das Tangentialvektorfeld t 7→ ċ(t) ist ein Vektorfeld längs c. In lokalen Koordinaten (ϕ, U ) gilt nach (4.4.1)
d(ϕi ◦c)
∂ ċ(t) =
(t)
.
dt
∂xi c(t)
Ist ∇ ein Zusammenhang auf M , dann ist für Y ∈ V(M ) auch
∇ċ Y : t 7→ ∇ċ(t) Y
ein Vektorfeld längs c.
Satz. Seien ∇ ein Zusammenhang auf M und c : I → M eine differenzierbare
Kurve. Dann existiert genau eine Abbildung X 7→ ∇X/dt des Raumes der differenzierbaren Vektorfelder längs c in sich mit den folgenden Eigenschaften:
(1)
∇X
∇Y
∇(X + Y )
=
+
dt
dt
dt
Version: 18. Februar 2000
146
df
∇X
∇(f X)
= X +f
dt
dt
dt
für alle differenzierbaren Vektorfelder X, Y längs c und alle f ∈ C ∞ (I, R), und
(2)
∇(Y ◦c)
= ∇ċ Y.
dt
für alle Vektorfelder Y ∈ V(U ), die auf einer offenen Menge U ⊇ c(I) definiert sind.
(3)
Beweis. Man kann annehmen, dass c(I) im Definitionsbereich einer Karte enthalten
ist. Sind ∂i = ∂/∂xi die Basisfelder dieser Karte, dann ist X = X i ∂i ◦ c mit
Komponentenfunktionen X i ∈ C ∞ (I, R). Wenn eine Abbildung ∇/dt mit den
Eigenschaften (1)–(3) für c existiert, dann ist notwendig
∇X
∇
= (X i ∂i ◦c)
dt
dt
dX i
∇
∂i ◦c + X i (∂i ◦c)
=
dt
dt
dX k
=
∂k ◦c + X i ∇ċ ∂i
dt
dX k
d(ϕj ◦c)
=
∂k ◦c + X i
∇∂j ◦c ∂i ,
dt
dt
also mit cj = ϕj ◦c und ∇∂j ◦c ∂i = (Γji k ∂k )◦c
dX k
∂
dci j
∇X
=
+
X Γij k ◦c
◦c
dt
dt
dt
∂xk
(15.1.1)
Insbesondere ist ∇X/dt durch die Eigenschaften (1)—(3) eindeutig bestimmt. Definiert man umgekehrt ∇X/dt bezüglich einer Karte durch (15.1.1), so sieht man
leicht, dass die Bedingungen (1)—(3) erfüllt sind, und dass die Definition nicht von
der Wahl der Karte abhängt. QED
Beispiel. Ist die Kurve c konstant, c(I) = {p}, dann ist X : I → Tp M in lokalen
Koordinaten gegeben durch
∂ i
,
X(t) = X (t)
∂xi p
und die kovariante Ableitung (15.1.1) reduziert sich auf die gewöhnliche Ableitung
der vektorraumwertigen Funktion X : I → Tp M ,
∇X
dX k
∂ (t) =
(t)
.
dt
dt
∂xk p
15.2. Parallelverschiebung. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M . Ein Vektorfeld
X längs der differenzierbaren Kurve c : [a, b] → M heißt parallel (längs c) wenn
∇X/dt = 0 ist.
147
Proposition. (a) Zu jedem Tangentialvektor Xa ∈ Tc(a) M existiert genau ein paralleles Vektorfeld X längs c mit X(a) = Xa .
(b) Die Abbildung
c
Pb,a
: Tc(a) M → Tc(b) M
c
mit Pb,a
(Xa ) := X(b) ist ein Vektorraumisomorphismus.
(c) Parameterunabhängigkeit: Ist σ : [a0 , b0 ] → [a, b] eine C ∞ –Abbildung, und ist
0
c
c0 = c ◦ σ, dann gilt Pbc0 ,a0 = Pb,a
.
c
Die Abbildung Pb,a
heißt die Parallelverschiebung längs c von c(a) nach c(b)—oder
genauer: von a nach b. Die Parallelverschiebung längs stückweise differenzierbarer
Kurven ist in der naheliegenden Weise definiert, und man setzt
c
c
Pa,b
:= Pb,a
−1
.
Beweis. Man kann annehmen, dass eine Karte (ϕ, U ) existiert mit c([a, b]) ⊆ U
(andernfalls unterteile man c). Dann ist die Bedingung ∇X/dt = 0 äquivalent zum
linearen Differentialgleichungssystem
dci j
dX k
+
X Γij k ◦c = 0.
dt
dt
(15.2.1)
Die Behauptung (a) folgt aus dem Existenz– und Eindeutigkeitsatz in Abschnitt
c
9.5. Zum Beweis der Linearität der Abbildung Pb,a
bemerken wir zunächst, dass
für parallele Vektorfelder X und Y längs c und Konstanten λ, µ ∈ R auch das
Vektorfeld λX + µY längs c parallel ist. Es folgt
c
Pb,a
λ X(a) + µ Y (a) = λ X(b) + µ Y (b)
c
c
= λ Pb,a
(X(a)) + µ Pb,a
(Y (a)).
c
Die Abbildung Pb,a
ist injektiv, da die Lösung der Differentialgleichung (15.2.1)
durch den Anfangswert X(a) eindeutig bestimmt ist. Aus Dimensionsgründen ist
sie folglich auch surjektiv. Ist schließlich X parallel längs c, so ist X 0 := X ◦ σ
parallel längs der Kurve c0 = c ◦ σ, wie aus (15.2.1) mit Hilfe der Kettenregel folgt.
Damit ist
0
0
c
Pbc0 ,a0 X(a) = Pbc0 ,a0 X 0 (a0 ) = X 0 (b0 ) = X(b) = Pb,a
X(a),
wie behauptet. QED
15.3. Taylorsche Formel. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M , und sei X ein
Vektorfeld längs der differenzierbaren Kurve c : I → M . Wir schreiben abkürzend
X (k) =
∇ k
dt
148
X
für die k–te kovariante Ableitung. Dann gilt für alle t, t0 ∈ I und m ∈ N
Ptc0 ,t X(t) − X(t0 ) =
m
X
(t − t0 )k
k!
k=1
X (k) (t0 ) + Rm+1
(15.3.1)
mit dem Restglied
Rm+1 =
(t − t0 )m+1
m!
Z
1
0
(1 − s)m Ptc0 ,ts X (m+1) (ts ) ds.
(15.3.2)
Dabei ist ts = t0 + s(t − t0 ). Insbesondere gilt
Ptc ,t X(t) − X(t0 )
∇X
(t0 ) = lim 0
.
t→t0
dt
t − t0
(15.3.3)
Man beachte, dass in (15.3.2) eine Funktion mit Werten im Vektorraum Tc(t0 ) M
integriert wird. Gleichung (15.3.3), die man mit der entsprechenden Gleichung
(7.7.1) für die Lieableitung LX Y vergleichen sollte, zeigt insbesondere, dass die
Parallelverschiebung längs Kurven den Zusammenhang ∇ eindeutig bestimmt.
Man kann daher auch umgekehrt vorgehen und Zusammenhänge definieren als Familien {P c } linearer Abbildungen, wobei der Index c eine differenzierbare Kurve in
M ist und P c ein Vektorraumisomorphismus zwischen den Tangentialräumen im
Anfangs– und Endpunkt von c, so dass gewisse Bedingungen erfüllt sind. Wir
verfolgen diesen Gedanken hier nicht weiter.
Zum Beweis der Taylorformel sei E1 (a), . . . , En (a) eine Basis von Tc(a) M . Dann
bilden die Vektoren
c
Ej (a)
Ej (t) := Pt,a
eine Basis von Tc(t) M , und es gilt ∇Ej /dt = 0. Die Ej bilden also ein paralleles
Basisfeld längs c. Für X gilt dann X(t) = X j (t) Ej (t) mit Komponentenfunktionen
X j ∈ C ∞ (I, R), und die kovarianten Ableitungen von X reduzieren sich auf die
Ableitungen dieser Komponenten:
∇ k
dt
Außerdem ist
X=
dkX j
Ej .
dtk
(15.3.4)
Ptc0 ,t X(t) − X(t0 ) = X j (t) Ptc0 ,t Ej (t) − X j (t0 ) Ej (t0 )
= X j (t) Ej (t0 ) − X j (t0 ) Ej (t0 )
= X j (t) − X j (t0 ) Ej (t0 ).
Die Behauptung folgt nun aus der Taylorformel für reelle Funktionen, angewandt
auf die Komponenten X j . Diese lautet
f (t) − f (t0 ) =
m
X
(t − t0 )k
k=1
k!
149
f (k) (t0 ) + Rm+1
mit Restglied in Integralform
Rm+1 =
(t − t0 )m+1
m!
Z
1
0
(1 − s)m f (m+1) (ts ) ds.
Wegen Ej (t0 ) = Ptc0 ,ts Ej (ts ) ergibt sich im vorliegenden Fall
Rm+1 =
(t − t0 )m+1
m!
=
(t − t0 )m+1
m!
=
(t − t0 )m+1
m!
Z
1
dm+1 X j
(ts ) ds Ej (t0 )
dtm+1
0
Z 1
dm+1 X j
(t
)
E
(t
)
ds
(1 − s)m Ptc0 ,ts
s
j s
dtm+1
0
Z 1
(1 − s)m Ptc0 ,ts X (m+1) (ts ) ds,
(1 − s)m
0
und damit die Behauptung. QED
15.4. Parallelverschiebung von Tensorfeldern. Ein Tensorfeld längs c : I →
M ist eine Abbildung A : I → Trs M mit Werten in einem der Tensorbündel von M ,
und mit der Eigenschaft π ◦ A = c. Sie ordnet also jedem Parameter t einen Tensor
an der Stelle c(t) zu. Die zunächst auf Vektorfeldern definierte Ableitung ∇/dt lässt
sich eindeutig zu einer R-linearen Abbildung des Raumes der Tensorfelder längs c
in sich fortsetzen mit folgenden Eigenschaften:
(1) Auf (0, 0)–Tensoren längs c, also Funktionen in C ∞ (I, R), ist ∇/dt die gewöhnliche Ableitung.
(2) ∇/dt vertauscht mit allen Kontraktionen.
(3) Es gilt die Produktregel
∇A
∇B
∇
(A ⊗ B) =
⊗B+A⊗
.
dt
dt
dt
Wir geben eine explizite Beschreibung der zugehörigen Parallelverschiebung von
Tensorfeldern längs c. Seien dazu E1 , . . . , En parallele Basisvektorfelder längs c wie
Abschnitt 15.3, und sei
θ1 (t), . . . , θn (t)
∗
die zu E1 (t), . . . , En (t) duale Basis des Kotangentialraumes Tc(t)
M . Dann sind die
1
n
Eins–Formen θ , . . . , θ längs c parallel. Ein (r, s)–Tensorfeld A längs c läßt sich
schreiben
(15.4.1)
A(t) = Ai1 ...ir j1 ...js (t) θi1 ⊗ · · · ⊗ θir ⊗ Ej1 ⊗ · · · ⊗ Ejs t
mit Komponentenfunktionen Ai1 ...ir j1 ...js (t). Das Tensorfeld ist parallel längs c
genau dann, wenn diese Komponenten konstant sind. Und allgemeiner ist die kovariante Ableitung von A wie in (15.3.4) gegeben durch die Ableitung der Komponenten Ai1 ...ir j1 ...js (t).
150
Lemma. Sei A Tensorfeld auf M . Dann gilt für die kovariante Ableitung ∇A = 0
genau dann, wenn
∇
(A◦c) = 0
dt
ist für alle differenzierbaren Kurven c in M .
Die kovariante Ableitung verschwindet also genau dann, wenn A längs jeder Kurve
parallel ist, oder anders gesagt: wenn A unter Parallelverschiebung “invariant” ist.
Aus diesem Grund bezeichnet man Tensorfelder mit ∇A = 0 auch als parallele
Tensorfelder. Das Lemma folgt unmittelbar aus der Gleichung
∇
(A◦c) (t) = ∇ċ(t) A.
dt
Bemerkung. Die Parallelverschiebung von Tensoren längs einer Kurve c : [a, b] →
M läßt sich auch wie folgt auffassen: Man hat zunächst einen Vektorraumisoc
morphismus Pb,a
: Tc(a) M → Tc(b) M zwischen den Tangentialräumen. Nun induziert jeder Isomorphismus zwischen Vektorräumen auf kanonische Weise einen
Isomorphismus zwischen den entsprechenden (r, s)–Tensorräumen. Die Parallelverc
schiebung von Tensoren ist der durch Pb,a
induzierte Isomorphismus.
15.5. Proposition. Seien ∇ ein Zusammenhang und g eine Riemannsche Metrik
auf M . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
(a) ∇g = 0
(b) Für jede differenzierbare Kurve c : I → M und alle Vektorfelder X, Y längs c
ist
∇X ∇Y d
g(X, Y ) = g
, Y + g X,
.
(15.5.1)
dt
dt
dt
c
(c) Für jede differenzierbare Kurve c : I → M ist die Parallelverschiebung P b,a
:
Tc(a) M → Tc(b) M eine lineare Isometrie.
Dabei ist eine lineare Isometrie zwischen euklidischen Vektorräumen ein Vektorraumisomorphismus φ, welcher Skalarprodukte erhält: hφX, φY i = hX, Y i.
Beweis. Für Vektorfelder X und Y längs einer Kurve c gilt
∇X ∇Y ∇(g◦c)
d
g(X, Y ) =
(X, Y ) + g
, Y + g X,
.
dt
dt
dt
dt
Die Äquivalenz von (a) mit (b) folgt daher aus
∇(g◦c)
(t) = ∇ċ(t) g.
dt
Wird (b) vorausgesetzt, dann ist für parallele Vektorfelder X, Y längs c die Funktion
t 7→ g(X, Y )(t) konstant. Daher ist
c
c
g Pb,a
X(a), Pb,a
Y (a) = g (X(b), Y (b) = g (X(a), Y (a) ,
151
c
und damit Pb,a
eine lineare Isometrie. Wir beweisen schließlich die Implikation
(c)⇒(b). Sei E1 , . . . , En paralleles Basisfeld entlang c mit der Eigenschaft, daß
die Vektoren E1 (a), . . . , En (a) orthonormal sind. Nach Voraussetzung sind dann
E1 (t), . . . , En (t) orthonormal für jeden Wert t ∈ [a, b]. Mit X = X i Ei und Y =
Y j Ej folgt
n
d X i i
d
X Y
g(X, Y ) =
dt
dt i=1
n
X
dX i
dY i
dt
dt
i=1
dX i
dY j
=g
Ei , Y j Ej + g X i Ei ,
Ej
dt
dt
∇X
∇Y . QED
=g
, Y + g X,
dt
dt
=
Y i + Xi
15.6. Die Geodätischen eines Zusammenhanges. Sei ∇ ein Zusammenhang
auf M . Eine differenzierbare Kurve c : I → M heißt eine Geodätische von ∇, wenn
das Vektorfeld ċ parallel (längs c) ist, wenn also gilt
∇ċ
= 0.
dt
Die Ableitung ∇ċ/dt heißt die kovariante Beschleunigung von c. Die Geodätischen
des Levi–Civita–Zusammenhanges einer Riemannschen Mannigfaltigkeit bezeichnet
man kurz als die Geodätischen der Riemannschen Mannigfaltigkeit. Setzt man in
Gleichung (15.5.1) speziell X = Y = ċ, dann ergibt sich:
Lemma. Ist (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit, und ist ∇ ein Zusammenhang auf M mit ∇g = 0, dann sind die Geodätischen c von ∇ proportional zur
Bogenlänge parametrisiert, d.h. es gilt kċk = const.
Beispiel. Sei ∇X Y = Π ◦ ∇X Y (siehe Abschnitt 14.10) der Levi–Civita–Zusammenhang einer Untermannigfaltigkeit M n ⊆ Rn+k bezüglich der auf M induzierten
Riemannschen Metrik, der ersten Fundamentalform. Seien weiter ∂/∂xj die Standardbasisfelder von Rn+k . Für Vektorfelder
∂ X(t) =
X (t)
∂xj c(t)
j=1
n+k
X
j
längs einer Kurve c : I → M ist dann
∇X n+k
X dX j
∇X
∂ (t) = Π
(t) = Π
(t)
.
dt
dt
dt
∂xj c(t)
j=1
152
Speziell für das Vektorfeld X = ċ mit den Komponenten X j = dcj /dt folgt
d 2 cj
∂ ∇ċ
(t) = Π
(t)
.
dt
dt2
∂xj c(t)
Die kovariante Beschleunigung von c ist also die orthogonale Projektion der euklidischen Beschleunigung auf T M . Daher ist die Kurve c eine Geodätische in M
genau dann, wenn ihre euklidische Beschleunigung senkrecht auf M steht. Man
erhält als Folgerung: Bewegt sich ein Massenpunkt “kräftefrei”—also frei von kovarianter Beschleunigung—auf einer Fläche M ⊆ R3 , dann ist seine Bahnkurve eine
Geodätische der Fläche.
Entsprechend ergibt sich in der allgemeineren Situation von Untermannigfaltigkeiten M ⊆ N beliebiger Riemannscher Mannigfaltigkeiten
∇N ċ
∇M ċ
=Π◦
.
dt
dt
(15.6.1)
Die kovariante Beschleunigung einer Kurve in M ergibt sich also durch orthogonale
Projektion ihrer kovarianten Beschleunigung als Kurve in N .
15.7. Parallelverschiebung auf Flächen. Sei M ⊆ R3 eine Fläche im R3 ,
versehen mit der ersten Fundamentalform und ihrem Levi–Civita–Zusammenhang.
Die Parallelverschiebung längs einer Geodätischen c : I → M lässt sich wie folgt
beschreiben. Das Tangentialvektorfeld ċ ist parallel längs c. Ist weiter X ein
paralleles Vektorfeld längs c, dann ist nach Proposition 15.5 das Skalarprodukt
g(X(t), ċ(t)) konstant. Folglich bleibt die zu ċ senkrechte Richtung unter Parallelverschiebung erhalten. Da auch die Länge von Vektoren erhalten bleibt und die
Tangentialräume Tċ(t) M zweidimensional sind, ist dadurch die Parallelverschiebung
längs c eindeutig festgelegt. Die Parallelverschiebung längs beliebiger, nicht notwendig geodätischer Kurven, lässt sich daraus geometrisch konstruieren, indem man
sie durch geodätische Polygonzüge approximiert und zu einem Grenzwert übergeht.
Wir betrachten als Beispiel die Parallelverschiebung auf der Einheitssphäre S 2 im
R3 . Sei ∇ der Levi–Civita–Zusammenhang der ersten Fundamentalform von S 2 .
Die nach der Bogenlänge parametrisierten Großkreise sind offenbar Geodätische.
Verschiebt man einen Vektor vom Nordpol (0, 0, 1) längs eines Meridians zum Äquator x3 = 0, dann ein Stück weit entlang des Äquators, und schließlich längs eines
zweiten Meridians zurück zum Nordpol, so bildet der parallelverschobene Vektor
mit dem ursprünglichen einen Winkel, der der auf dem Äquator zurückgelegten Distanz proportional ist. Man sieht daran insbesondere, dass die Parallelverschiebung
längs zweier verschiedener Kurven mit demselben Anfangs- und Endpunkt im allgemeinen verschiedene Resultate liefert. Wir werden im nächsten Kapitel sehen,
dass diese Wegabhängigkeit der Parallelverschiebung mit der Gaußkrümmung der
Sphäre zusammenhängt.
15.8. Parallelverschiebung in Vektorbündeln. Die Parallelverschiebung von
Vektoren und die von Tensoren längs Kurven in Mannigfaltigkeiten sind Spezialfälle
153
der Parallelverschiebung in Vektorbündeln, auf die wir abschließend kurz eingehen.
Wir knüpfen dabei an die Bemerkungen in Abschnitt 14.11 an. Sei E, oder genauer
(E, M, π) ein Vektorrraumbündel über M , und sei c : I → M eine differenzierbare
Kurve. Ein Schnitt längs c ist eine Abbildung ξ : I → E mit π ◦ ξ = c. Ist
ein Zusammenhang ∇ auf dem Bündel E gegeben, dann hat man eine kovariante
Ableitung
∇ξ
ξ 7→
dt
mit den zu (1),(2) und (3) in Abschnitt 15.1 analogen Eigenschaften. Ein Schnitt
ξ längs c heißt parallel längs c, wenn ∇ξ/dt = 0 ist. Wie in Abschnitt 15.2 erhält
c
man Parallelverschiebungen Pb,a
: Ea → Eb , die Vektorraumisomorphismen zwischen den Fasern Ea und Eb des Bündels sind. Neben den in diesem Kapitel behandelten Fällen E = T M und allgemeiner E = Trs M tritt in der Riemannschen
Geometrie auch die Parallelverschiebung im Normalenbündel T M ⊥ von Untermannigfaltigkeiten M ⊆ N Riemannscher Mannigfaltigkeiten auf. Der dabei in T N ⊥
verwendete Zusammenhang ist der in Aufgabe 6 von Kapitel 14 definierte normale
Zusammenhang ∇⊥ .
Ist U ⊆ M eine offene Teilmenge, auf der sowohl lokale Koordinaten (mit Basisvektorfelder ∂i ) als auch Schnitte σ1 , . . . , σm ∈ Γ(U, E) des eingeschränkten Bündels
E|U existieren, die in jedem Punkt q ∈ U eine Basis von Eq bilden, dann hat man
wie in 14.11 auf U Christoffelsymbole Γiµ ν mit
∇∂i σµ = Γiµ ν σν .
Wenn das Bild der Kurve c in U enthalten ist, dann ist die kovariante Ableitung
eines Schnittes ξ(t) = ξ µ (t) σµ (c(t)) in Verallgemeinerung von Gleichung (15.1.1)
gegeben durch
dξ µ
dci ν
∇ξ
=
+
ξ Γiµ ν ◦c σν ◦c,
(15.8.1)
dt
dt
dt
und die Parallelverschiebung längs c führt auch hier auf ein lineares System gewöhnlicher Differentialgleichungen für die Komponenten ξ µ (t).
Aufgaben
1. Geodätische Krümmung. Sei M eine Fläche im R3 , versehen mit ihrer ersten
Fundamentalform. Zeigen Sie, dass für die in Abschnitt 12.1 definierte geodätische
Krümmung κg einer Kurve c : I → M gilt
∇ċ κg = ± .
ds
2. Höhere Ableitungen. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M , und sei X ein Vektorfeld (oder allgemeiner: ein Tensorfeld) auf M mit ∇k X = 0 für eine natürliche
Zahl k ≥ 1. Zeigen Sie: Wenn M kompakt ist, dann folgt ∇X = 0. Hinweis: Untersuchen Sie das Verhalten von X längs Kurven c : R → M mit Hilfe der Taylorschen
Formel (15.3.1).
154
16. Krümmung und Flachheit von Zusammenhängen
Auf die Krümmung eines Zusammenhanges ∇ stößt man, wenn man die Vertauschbarkeit zweiter und höherer kovarianter Ableitungen untersucht. Man erhält beim
Vertauschen einen Fehlerterm ∇X ∇Y Z − ∇Y ∇X Z, der sich durch einen Tensor R
beschreiben lässt, den Krümmungstensor von ∇. Es zeigt sich, dass die Nichtvertauschbarkeit damit zusammenhängt, dass man bei der Parallelverschiebung eines
Vektors von p nach q ∈ M längs verschiedener Wege im allgemeinen unterschiedliche
Resultate erhält. Diese Wegabhängigkeit der Parallelverschiebung liefert eine geometrische Deutung des Krümmungstensors, auf die wir in Abschnitt 16.4 und Aufgabe 4 ausführlich eingehen. Insbesondere ergeben sich in 16.5 notwendige und
hinreichende Bedingungen die “Flachheit” von ∇, d.h. für das Verschwinden von
R. Wir bemerken, dass sich die Definitionen und Resultate der Abschnitte 16.1 bis
16.6 ohne Schwierigkeiten auf Zusammenhänge in beliebigen Vektorbündeln über
M verallgemeinern lassen.
Verschwindet nicht nur der Krümmungstensor R von ∇, sondern auch der Torsionstensor, dann ist (M, ∇) lokal “isomorph” zum Rn , versehen mit dem Standardzusammenhang ∇. Der dabei verwendete Isomorphiebegriff ist die affine Diffeomorphie, auf die wir in 16.7 eingehen. Anschließend spezialisieren wir die Situation
weiter auf den Fall des Levi–Civita–Zusammenhanges einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g). In Abschnitt 16.9 zeigen wir, dass der Levi–Civita–Zusammenhang
genau dann flach ist, wenn (M, g) lokal isometrisch zum euklidischen Raum ist.
Im Folgenden bezeichnet V = V(M ) die Menge der differenzierbaren Vektorfelder
auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M , und V ∗ = V ∗ (M ) die Menge der
differenzierbaren 1–Formen.
16.1. Der Krümmungstensor. Die Abbildung
R : V × V × V → V,
(X, Y, Z) 7→ R(X, Y )Z
mit
R(X, Y )Z = ∇X ∇Y Z − ∇Y ∇X Z − ∇[X,Y ] Z
(16.1.1)
heißt der Krümmungstensor von ∇. Die spezielle Klammersetzung mit R(X, Y )Z
anstelle von R(X, Y, Z) wird in Abschnitt 16.4 begründet.
Bemerkung. Nach dieser Definition ist R also streng genommen kein Tensorfeld.
Mit den in Abschnitt 7.3 behandelten Eigenschaften der Lieklammer rechnet man
aber leicht nach (Aufgabe 1), dass die Abbildung R in allen drei Variablen X, Y
und Z linear über C ∞ (M ) ist. Dasselbe gilt für die durch R induzierte Abbildung
R : V × V × V × V ∗ → C ∞ (M )
R(X, Y, Z, α) = α(R(X, Y )Z).
Version 16. Mai 2000
155
Nach Abschnitt 6.7 definiert daher R ein (3, 1)–Tensorfeld auf M . Wir werden im
Folgenden R, R und das dadurch definierte (3, 1)–Tensorfeld mit demselben Buchstaben R bezeichnen und im Allgemeinen nicht unterscheiden. Aus dem Kontext
wird dann jeweils ersichtlich sein, was gemeint ist.
16.2. Komponenten des Krümmungstensors. Speziell für Basisfelder ∂i =
∂/∂xi einer Karte gilt [∂i , ∂j ] = 0, so dass R(∂i , ∂j ) die Vertauschbarkeit der kovarianten Ableitungen ∇∂i und ∇∂j misst. Nun ist
R = Rijk l dxi ⊗ dxj ⊗ dxk ⊗ ∂l
mit
Rijk l = R(∂i , ∂j , ∂k , dxl ) = dxl R(∂i , ∂j )∂k ,
und das ist die l–te Komponente des Vektorfeldes R(∂i , ∂j )∂k . Die Rijk l sind also
bestimmt durch die Gleichung
R(∂i , ∂j )∂k = Rijk l ∂l .
(16.2.1)
Mit den durch ∇∂i ∂j = Γij k ∂k definierten Christoffelsymbolen berechnet man daraus für die Komponenten des Krümmungstensors
Rijk l = ∂i Γjk l − ∂j Γik l + Γjk m Γim l − Γik m Γjm l .
(16.2.2)
Bemerkung. Im Fall einer Fläche M ⊆ R3 ist uns diese Gleichung bereits in
(12.7.4) begegnet. Die dort verwendeten Γkij sind nach Abschnitt 14.9 die Christoffelsymbole des Levi–Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform von M .
Die in (12.7.4) eingeführten Rijk l sind also die Komponenten des Krümmungstensors des Levi–Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform. Für die
Gaußkrümmung der Fläche M ergibt (12.7.5)
g R(∂1 , ∂2 )∂2 , ∂1
R122 l gl1
=
.
K=
g11 g22 − (g12 )2
k∂1 k2 k∂2 k2 − g(∂1 , ∂2 )2
(16.2.3)
16.3. Ein Lemma. Sei H : [0, 1] × [a, b] → M , (s, t) 7→ H(s, t) differenzierbar.
Wir definieren Vektorfelder ∂H/∂s und ∂H/∂t längs der Abbildung H wie folgt:
∂H/∂s (s, t) ist der Tangentialvektor der Kurve σ 7→ H(σ, t) an der Stelle σ = s,
und entsprechend ist ∂H/∂t (s, t) derjenige von τ 7→ H(s, τ ) an der Stelle τ = t. Es
ist also, mit der Ableitung T H von H,
∂ ∂H
(s, t) = (T H)
∂s
∂s (s,t)
∂ ∂H
(s, t) = (T H)
.
∂t
∂t
(s,t)
156
Ist ∇ ein Zusammenhang auf M , und ist X ein Vektorfeld längs H, dann bezeichnet
∇X
(s, t)
∂s
die kovariante Ableitung des Vektorfeldes σ 7→ X(σ, t) längs der Kurve σ 7→ H(σ, t)
an der Stelle σ = s im Sinne von Abschnitt 15.1. Dann ist ∇X/∂s ein Vektorfeld
längs H. Entsprechend ist ∇X/∂t definiert.
Lemma. Sei X ein Vektorfeld längs H, und sei R der Krümmungstensor von ∇.
Dann gilt
∂H ∂H ∇ ∇X
∇ ∇X
X.
(16.3.1)
−
=R
,
∂s ∂t
∂t ∂s
∂s ∂t
Beide Seiten dieser Gleichung sind Vektorfelder längs H. Man beweist die Beziehung
durch Nachrechnen in lokalen Koordinaten mittels (15.1.1) und (16.2.2).
16.4. Geometrische Deutung von R. Für Tangentialvektoren X, Y ∈ Tp M ist
die Abbildung R(X, Y ) : Tp M → Tp M mit
Z 7→ R(X, Y )Z
ein Vektorraumendomorphismus von Tp M . Wir geben eine Deutung dieser Abbildung R(X, Y ). Sei dazu H : [0, 1] × [0, 1] → M , H = H(s, t) eine differenzierbare
Abbildung mit H(0, 0) = p,
∂H
(0, 0) = X
∂s
und
∂H
(0, 0) = Y.
∂t
Dabei sind ∂H/∂s und ∂H/∂t die in 16.3 definierten Vektorfelder längs H. Für
fixierte Werte 0 ≤ s ≤ 1 und 0 ≤ t ≤ 1 bezeichne Ps,t : Tp M → Tp M die Parallelverschiebung entlang der aus vier Teilen zusammengesetzten geschlossenen Kurve
c = c1 · c2 · c3 · c4 , wobei
c1 (σ)
c2 (τ )
c3 (σ)
c4 (τ )
= H(σ, 0),
= H(s, τ ),
= H(s − σ, τ ),
= H(0, t − τ ),
0≤σ≤s
0≤τ ≤t
0≤σ≤s
0 ≤ τ ≤ t.
Man erhält auf diese Weise eine differenzierbare Abbildung
P : [0, 1] × [0, 1] → Aut(Tp M ) ⊆ End(Tp M ),
(s, t) 7→ Ps,t
in die Gruppe Aut(Tp M ) der Vektorraumautomorphismen von Tp M , die ihrerseits
eine offenen Teilmenge des Vektorraums End(Tp M ) aller Endomorphismen ist. Offenbar ist P0,t = I und Ps,0 = I, also insbesondere P0,0 = I. Ausserdem verschwinden
157
in (0, 0) die partiellen Ableitungen ∂P/∂s, ∂ 2 P/∂s2 , ∂P/∂t und ∂ 2 P/∂t2 . Wir untersuchen nun die gemischte Ableitung ∂ 2 P/∂s ∂t.
Satz. Es gilt
∂2P
(0, 0) = −R(X, Y )
∂s ∂t
(16.4.1)
Ps,t = I − st R(X, Y ) + O(3).
(16.4.2)
Insbesondere gilt
R(X, Y ) = − lim
t→0
Pt,t − I
.
t2
(16.4.3)
Dabei bezeichnet das “Landausche Symbol” O(3) eine Funktion mit Werten im Vektorraum Tp M und mit der Eigenschaft, dass der Quotient O(3)/(s2 + t2 )3/2 in einer
Umgebung von (s, t) = (0, 0) beschränkt ist. Man beachte, dass diese Bedingung
unabhängig von der Wahl einer Norm auf Tp M ist.
Beweis. Nach dem Taylorschen Satz, angewandt auf die vektorraumwertige Funktion (s, t) 7→ Ps,t , sind die Beziehungen (16.4.1) und (16.4.2) gleichbedeutend. Um
nun (16.4.2) zu beweisen, setzen wir X und Y zu Vektorfeldern längs H fort durch
die Definitionen
X(σ, τ ) =
∂H
(σ, τ )
∂σ
und Y (σ, τ ) =
∂H
(σ, τ ).
∂τ
Sei Z ein weiteres differenzierbares Vektorfeld längs H. Für i = 1, 2, 3, 4 bezeichne
P i die Parallelverschiebung längs der Kurve ci von ihrem Anfangspunkt zu ihrem
Endpunkt. Wir setzen abkürzend ∇s = ∇/∂s. Die Auswertung eines Vektorfeldes
längs H in den vier Ecken des Rechtecks [0, s] × [0, t], also an den Stellen (0, 0),
(s, 0), (s, t) und (0, t), bezeichnen wir in dieser Reihenfolge durch Anschreiben eines
Index 0, 1, 2 und 3. Es ist also zum Beispiel
Z2 = Z(s, t) und
∇s Z3 = (∇s Z)(0, t).
Wir machen wiederholt Gebrauch von der Taylorformel (15.3.1) in der Form
c
P0,t
Z(t) − Z(0) = t ∇t Z(0) +
t2
∇t ∇t Z(0) + O(3)
2
mit verschiedenen Kurven c. Mit diesen Festlegungen ist
Ps,t Z0 − Z0 = P 4 P 3 P 2 P 1 Z0 − Z0
= P 4 P 3 P 2 (P 1 Z0 − Z1 ) + P 4 P 3 (P 2 Z1 − Z2 )
+ P 4 (P 3 Z2 − Z3 ) + P 4 Z3 − Z0
158
s2
∇s ∇s Z1 + O(3))
= P 4 P 3 P 2 − s ∇s Z1 +
2
t2
4 3
+ P P − t ∇t Z2 + ∇t ∇t Z2 + O(3)
2
2
s
+ P 4 s ∇s Z3 +
∇s ∇s Z3 + O(3)
2
t2
+ t ∇t Z0 + ∇t ∇t Z0 + O(3).
2
Die in s und t linearen Terme behandeln wir wie folgt:
−s P 4 (P 3 P 2 ∇s Z1 − ∇s Z3 ) − t (P 4 P 3 ∇t Z2 − ∇t Z0 )
= − s P 4 P 3 (P 2 ∇s Z1 − ∇s Z2 ) + P 3 ∇s Z2 − ∇s Z3
− t P 4 (P 3 ∇t Z2 − ∇t Z3 ) + P 4 ∇t Z3 − ∇t Z0
= − s P 4 P 3 (−t ∇t ∇s Z2 + O(2)) + s ∇s ∇s Z3 + O(2)
− t P 4 (s∇s ∇t Z3 + O(2)) + t ∇t ∇t Z0 + O(2)
= st P 4 P 3 ∇t ∇s Z2 − st P 4 ∇s ∇t Z3
− s2 P 4 ∇s ∇s Z3 − t2 ∇t ∇t Z0 + O(3) .
(∗)
Nun beachten wir, dass für jedes differenzierbare Vektorfeld W längs H die mit den
Parallelverschiebungen P j nach (0, 0) verschobenen Werte W1 , W2 und W3 bis auf
Terme der Ordnung O(1) mit W0 übereinstimmen. So ist zum Beispiel
P 4 P 3 W2 − W0 = P 4 (P 3 W2 − W3 ) + P 4 W3 − W0
= P 4 (s ∇s W3 + O(2)) + t ∇t W0 + O(2)
= O(1),
und ebenso gilt
P 4 P 3 P 2 W1 − P 4 W3 = P 4 P 3 (P 2 W1 − W2 ) + P 3 W2 − W3
= O(1).
Setzt man daher (∗) in den für Ps,t Z0 − Z0 erhaltenen Ausdruck ein, so heben sich
die ∇s ∇s und ∇t ∇t enthaltenden Terme bis auf Ausdrücke der Ordnung O(3) weg,
und es bleibt
Ps,t Z0 − Z0 = −st(∇s ∇t Z0 − ∇t ∇s Z0 ) + O(3)
= −st R(X0 , Y0 )Z0 + O(3),
wie behauptet. QED
159
Korollar. Ist ∇ mit einer Riemannschen Metrik g verträglich, dann ist für alle
X, Y ∈ Tp M der Endomorphismus R(X, Y ) : Tp M → Tp M schiefsymmetrisch bezüglich g, also
g(R(X, Y )Z, W ) = −g(R(X, Y )W, Z)
(16.4.4)
für alle Z, W ∈ Tp M .
Beweis. Nach (16.4.3) ist
d Pt,t − I
=− R(X, Y ) = − lim
P√τ ,√τ .
t→0
t2
dt τ =0
Da nach Proposition 15.5 die Parallelverschiebung isometrisch ist, gilt
g(p)(P√τ ,√τ Z, P√τ ,√τ W ) = g(p)(Z, W ).
Das Korollar ergibt sich, indem man diese Beziehung nach τ differenziert und τ = 0
setzt. QED
16.5. Flache Zusammenhänge. Ein Zusammenhang ∇ heißt flach, wenn sein
Krümmungstensor verschwindet, wenn also R = 0 ist. Um die geometrische Bedeutung dieser Bedingung zu erläutern, führen wir zunächst folgende Begriffe ein.
Definition. Zwei differenzierbare Kurven c0 und c1 : [a, b] → M mit denselben
Anfangs- und Endpunkten c0 (a) = c1 (a) = p und c0 (b) = c1 (b) = q heißen differenzierbar homotop (mit festen Endpunkten), wenn eine differenzierbare Abbildung
H : [0, 1] × [a, b] → M
existiert mit H(s, a) = p und H(s, b) = q für alle s ∈ [0, 1], und mit H(0, t) = c0 (t)
und H(1, t) = c1 (t) für alle t ∈ [a, b]. Die Abbildung H bezeichnet man dann als
eine differenzierbare Homotopie von c0 nach c1 .
Man stellt sich eine solche Homotopie meist als eine Familie cs (t) = H(s, t) von
Kurven cs vor, die alle denselben Anfangs- und denselben Endpunkt haben, und
durch welche die Kurve c0 in die Kurve c1 “deformiert” wird. Anstelle differenzierbarer Kurven und Homotopien ist es oft von Vorteil, stetige oder stückweise
differenzierbare Kurven und Homotopien zuzulassen. Dabei heißt H stückweise differenzierbar, wenn H stetig ist und es Unterteilungen 0 = s0 < s1 < . . . < sk = 1
und a = t0 < t1 < . . . < tm = b gibt dergestalt, dass die Einschränkung von H auf
jedes der Rechtecke [si , si+1 ] × [tj , tj+1 ] differenzierbar ist.
Definition. Ein Repèrefeld auf M ist ein n–Tupel X1 , . . . , Xn differenzierbarer
Vektorfelder auf M mit der Eigenschaft, dass X1 (p), . . . , Xn (p) für jeden Punkt
p ∈ M eine Basis des Tangentialraumes Tp M ist. Repèrefelder werden auch als
bewegliche n–Beine bezeichnet, im Englischen als frame field .
160
Satz. Sei ∇ ein Zusammenhang auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M .
Folgende Aussagen sind äquivalent.
(a) Der Zusammenhang ∇ ist flach.
(b) Für alle p, q ∈ M und alle homotopen differenzierbaren Kurven c 0 und c1 :
c0
c1
[a, b] → M mit c0 (a) = c1 (a) = p und c0 (b) = c1 (b) = q gilt Pb,a
= Pb,a
.
(c) Zu jedem Punkt p ∈ M und jedem Vektor Xp ∈ Tp M existieren eine Umgebung
U von p und ein differenzierbares Vektorfeld X ∈ V(U ) mit X(p) = Xp und mit
∇X = 0 auf U .
(d) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p und ein paralleles
Repèrefeld X1 , . . . , Xn ∈ V(U ), also ein Repèrefeld mit ∇Xi = 0 für i = 1, . . . , n.
Bedingung (b) bedeutet, ungenau gesprochen, die “Wegunabhängigkeit der Parallelverschiebung” bei homotopen Kurven, (c) ist die “lokale Fortsetzbarkeit” von
Vektoren zu parallelen Vektorfeldern, und (d) die “lokale” Existenz paralleler Basisfelder.
Beweis. (a)⇒(b) Sei H eine Homotopie von c0 nach c1 , und sei Xp ∈ Tp M . Parallelverschiebung von X längs der Kurven t 7→ H(s, t) liefert ein Vektorfeld X(s, t)
längs H mit ∇X/∂t = 0. Wir zeigen, dass X(s, b) konstant ist, so dass insbesondere
folgt
c0
c1
Pb,a
Xp = X(0, b) = X(1, b) = Pb,a
Xp .
Nach Lemma 16.3 gilt wegen R = 0
∂H ∂H ∇ ∇X
∇ ∇X
X = 0.
=
+R
,
∂t ∂s
∂s ∂t
∂t ∂s
Also ist das Vektorfeld t 7→ (∇X/∂s)(s, t) parallel längs der Abbildung t 7→ H(s, t).
Wegen X(s, a) = Xp für s ∈ [0, 1] ist
∇X
∂X
(s, a) =
(s, a) = 0.
∂s
∂s
Die kovariante Ableitung reduziert sich dabei auf die gewöhnliche, weil X(s, a) ∈
Tp M ist für alle s. Es folgt
∂X
∇X
(s, b) =
(s, b) = 0.
∂s
∂s
(b)⇒(c) Sei Xp ∈ Tp M . Wir wählen eine Karte (ϕ, U ) mit ϕ(p) = 0 und dergestalt,
dass ϕ(U ) = B(0, 1) der Ball vom Radius 1 um den Ursprung ist. Auf U definieren
wir nun ein Vektorfeld X ∈ V(U ) durch “radiale” Parallelverschiebung des Vektors
Xp von p aus wie folgt. Für q ∈ U sei cq : [0, 1] → M die Kurve cq (t) = ϕ−1 (tϕ(q)).
Wir definieren
cq
X(q) = P1,0
Xp .
161
Für das so definierte Vektorfeld zeigen wir nun ∇X = 0. Dazu genügt es, zu
beweisen, dass X ◦ c längs jeder Kurve c ∈ C ∞ ([0, 1], U ) parallel ist. Für festes
t ∈ [0, 1] ist die Einschränkung c|[0,t] homotop zur Zusammensetzung γ1 · γ2 zweier
radialer Kurven, und nach Konstruktion ist X parallel entlang γ1 und γ2 . Da nach
Voraussetzung die Parallelverschiebung von X(c(0)) längs c|[0,t] und längs γ1 · γ2
dasselbe ergibt, folgt
c
Pt,0
X(c(0)) = P γ2 P γ1 X(c(0)) = X(c(t)).
Also ist X ◦ c parallel längs c.
(c)⇒(d) Man wählt eine Basis X1 (p), . . . , Xn (p) von Tp M und wendet (c) auf jeden
der Vektoren Xi (p) an, um das gewünschte Repèrefeld auf U zu erhalten.
(d)⇒(a) Sei X1 , . . . , Xn ein paralleles Repèrefeld auf U ⊆ M . Nach Definition des
Krümmungstensors ist dann R(Xi , Xj )Xk = 0. Da die Vektorfelder Xi an jeder
Stelle von U eine Basis des Tangentialraumes bilden, verschwindet R auf U . QED
Bemerkung. Zum Beweis der Implikation (b)⇒(c) sei bemerkt, dass sich die
Kurve γ1 · γ2 als C ∞ –Kurve parametrisieren lässt und dann C ∞ –homotop zu c|[0,t]
ist. Um die etwas mühsame Durchführung zu vermeiden, könnte man stattdessen
stückweise differenzierbare Kurven und Homotopien betrachten und Aussage (b)
entsprechend modifizieren.
16.6. Ein zweiter Beweis. Wir skizzieren noch einen zweiten Beweis für die
Implikation (a)⇒(b), der die Beziehung (16.4.2) verwendet. Sei
H : A = [0, 1] × [0, 1] → M
eine differenzierbare Abbildung, p = H(0, 0) und q = H(1, 1). Mit P : Tp M → Tq M
bezeichnen wir die Parallelverschiebung längs der Kurve c1 (s) = H(s, 0) und dann
längs c2 (t) = H(1, t); mit P 0 : Tp M → Tq M die Parallelverschiebung entlang
c3 (t) = H(0, t), gefolgt von der längs c4 (s) = H(s, 1). Wir zeigen P 0 = P .
Dazu unterteilen wir das Quadrat A in m2 Teilquadrate A1 , . . . , Am2 der Seitenlänge
1/m und ändern den Weg γ0 := c1 · c2 nach und nach ab in Wege γ1 , γ2 , . . . , γm2
dergestalt, dass sich γi+1 von γi nur dadurch unterscheidet, dass das Quadrat Ai+1
“anders herum” umfahren wird (Skizze). Nach m2 solcher Änderungen erhalten wir
schließlich die Kurve γm2 = c3 · c4 . Bezeichnet Pi die Parallelverschiebung entlang
γi von p nach q, dann ist P0 = P und Pm2 = P 0 , und nach (16.4.1) gilt wegen R = 0
−1
◦ Pi = I + O
Pi+1
1 m3
da 1/m die Seitenlänge von Ai ist. Daraus folgt
Pi+1 − Pi = O
162
1 m3
und insgesamt
P0 − P =
X m2
i=1
(Pi − Pi−1 ) = m2 O
und der Grenzübergang m → ∞ liefert P 0 − P = 0.
1 ,
m3
16.7. Affine Diffeomorphismen. Seien (M, ∇) und (M 0 , ∇0 ) Mannigfaltigkeiten
mit Zusammenhängen. Ein Diffeomorphismus ψ : M → M 0 heißt ein affiner Diffeomorphismus, wenn für alle Vektorfelder X, Y ∈ V(M ) gilt
ψ∗ (∇X Y ) = ∇0ψ∗ X ψ∗ Y.
(16.7.1)
Dabei ist ψ∗ X das Vektorfeld ψ∗ X = (T ψ) ◦ X ◦ ψ −1 auf M 0 . Affine Diffeomorphismen von (M, ∇) auf sich selbst bezeichnet man auch als affine Transformationen.
Mit Zusammenhängen versehene Mannigfaltigkeiten heißen affin diffeomorph, wenn
es einen affinen Diffeomorphismus zwischen ihnen gibt.
Bemerkungen. (a) Affine Diffeomorphie ist offenbar eine Äquivalenzrelation. Sie
ist der natürliche Isomorphiebegriff für Mannigfaltigkeiten, die mit einem Zusammenhang ausgestattet sind.
(b) Die affinen Transformationen des mit dem Standardzusammenhang ∇ versehenen Raumes Rn sind genau die Abbildungen der Gestalt x 7→ Ax + b mit einer
Matrix A ∈ GL(n, R) und mit b ∈ Rn . Setzt man nämlich in (16.7.1) für X und
Y die Standardbasisfelder ∂i , ∂j des Rn ein und beachtet ∇∂i ∂j = 0, dann ergibt
sich, dass die zweiten partiellen Ableitungen aller Komponentenfunktionen von ψ
verschwinden. Der Taylorsche Satz ergibt dann die Behauptung.
(c) Sei ψ : M → M 0 ein Diffeomorphismus. Ist (ϕ, U ) eine Karte von M , dann ist
(ϕ ◦ ψ −1 , ψ(U )) eine Karte von M 0 . Seien Γij k ∈ C ∞ (U ) die Christoffelsymbole von
∇, und seien Γ0ij k ∈ C ∞ (ψ(U )) diejenigen von ∇0 bezüglich dieser Karten. Dann
gilt: ψ ist ein affiner Diffeomorphismus genau dann, wenn für alle solchen Karten
gilt
Γij k = Γ0ij k ◦ ψ.
(16.7.2)
Der Beweis ergibt sich aus der Definition der Christoffelsymbole, wenn man beachtet, dass für die Basisfelder der Karten ψ∗ ∂i = ∂i0 ist.
(d) Ist ψ : M → M 0 ein affiner Diffeomorphismus, dann gilt für die Krümmungstensoren R von ∇ und R0 von ∇0
ψ∗ (R(X, Y )Z) = R0 (ψ∗ X, ψ∗ Y )ψ∗ Z.
(16.7.3)
Das ergibt sich sofort aus der Definition von R, Gleichung (16.7.1) und der Beziehung ψ∗ [X, Y ] = [ψ∗ X, ψ∗ Y ] für die Lieklammer (Aufgabe 5 in Kapitel 7).
16.8. Flache torsionsfreie Zusammenhänge. Der Standardzusammenhang ∇
des Rn ist flach und torsionsfrei, erfüllt also R = 0 und T = 0. Wir zeigen nun,
163
dass für jeden Zusammenhang ∇ mit R = 0 und T = 0 auf einer Mannigfaltigkeit
M das Paar (M, ∇) lokal affin diffeomorph zu (Rn , ∇) ist.
Satz. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M mit Krümmungstensor R und Torsionstensor T . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
(a) Es gilt R = 0 und T = 0.
(b) Zu jedem Punkt p ∈ M existiert eine Karte (ϕ, U ) mit p ∈ U und mit der
Eigenschaft, dass die Christoffelsymbole auf U verschwinden, also Γ ij k = 0 ist.
(c) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p, eine offene Teilmenge V ⊆ Rn und ein affiner Diffeomorphismus φ : (U, ∇) → (V, ∇), wobei ∇
den Standardzusammenhang des Rn bezeichnet.
Beweis. (a)⇒(b) Ist R = 0, dann existiert nach Abschnitt 16.5 ein paralleles Repèrefeld X1 , . . . , Xn auf einer Umgebung U0 von p. Aus der Torsionsfreiheit folgt, dass
die Lieklammern der Vektorfelder Xi verschwinden:
0 = T (Xi , Xj )
= ∇Xi Xj − ∇Xj Xi − [Xi , Xj ]
= −[Xi , Xj ].
Nach Satz 7.8 existiert eine Karte (ϕ, U ) mit p ∈ U ⊆ U0 und mit der Eigenschaft,
dass Xi = ∂i ist. Daraus folgt
0 = ∇Xi Xj = ∇∂i ∂j = Γij k ∂k .
(b)⇒(a) Die Formel (16.2.2) für die Komponenten Rijk l des Krümmungstensors
und die Beziehung Tij k = Γij k − Γji k zeigen, dass R und T verschwinden, wenn
Γij k = 0 ist.
(b)⇒(c) Ist (ϕ, U ) eine Karte mit Γij k = 0, dann setze man ψ = ϕ und V = ϕ(U ).
Nach der dem Satz vorausgehenden Bemerkung (c) ist ψ ein affiner Diffeomorphismus.
(c)⇒(b) Sei ψ : U → V ein affiner Diffeomorphismus wie in (c). Verwendet man
(ψ, U ) als Karte, dann gilt für die entsprechenden Christoffelsymbole nach derselben
Bemerkung Γij k = 0. QED
16.9. Flache Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Eine Riemannsche Mannigfaltigkeit (M, g) heißt flach, wenn ihr Levi–Civita–Zusammenhang flach ist. Auf
diesen Zusammenhang ist dann insbesondere das Resultat aus 16.8 anwendbar. Wir
zeigen nun, dass flache Riemannsche Mannigfaltigkeiten lokal isometrisch zum mit
der Standardmetrik ḡ versehenen Rn sind.
Satz. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit. Dann sind folgende Aussagen
äquivalent.
164
(a) (M, g) ist flach.
(b) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p und eine Isometrie
φ : (U, g|U ) → (V, ḡ|V ) auf eine offene Teilmenge V ⊆ Rn .
Beweis. Ist (M, g) flach, dann findet man wie im Beweis von Satz 16.8 ein paralleles
Repèrefeld
∂
∂
, . . . , Xn =
,
X1 =
1
∂x
∂xn
welches aus den Basisfeldern einer Karte (ϕ, U ) besteht. Wählt man dabei für
X1 (p), . . . , Xn (p) eine Orthonormalbasis von Tp M , dann sind diese Vektorfelder in
jedem Punkt von U orthonormal, weil sie parallel sind und Parallelverschiebung
nach 15.5 isometrisch ist. Setzt man ψ = ϕ, dann gilt mit den Standardbasisfeldern
e1 , . . . , en des Rn für q ∈ U
ḡ((T ψ)Xi (q), (T ψ)Xj (q)) = ḡ(ei (ψ(q)), ej (ψ(q))
= δij
= g(Xi (q), Xj (q)),
und folglich ψ ∗ ḡ = g. Also ist ψ eine Isometrie. Zum Beweis der umgekehrten Implikation (b)⇒(a) beachtet man, dass Isometrien zwischen Riemannschen Mannigfaltigkeiten auch affine Diffeomorphismen bezüglich der zugehörigen Levi–Civita–
Zusammenhänge sind (Aufgabe 2). Die Behauptung R = 0 folgt nun aus Bemerkung
(d) in Abschnitt 16.7. QED
Aufgaben
1. Krümmungstensor. Verifizieren Sie, dass die in (16.1.1) definierte Abbildung
R in allen drei Variablen linear über dem Ring C ∞ (M ) ist.
2. Affine Diffeomorphismen. Zeigen Sie, dass jede Isometrie zwischen Riemannschen Mannigfaltigkeiten ein affiner Diffeomorphismus bezüglich der Levi–Civita–
Zusammenhänge ist. Hinweis: Verwenden Sie die Eindeutigkeit des Levi–Civita–
Zusammenhanges.
3. Geodätische und affine Diffeomorphismen. Zeigen Sie, dass affine Diffeomorphismen Geodätische in Geodätische abbilden: Ist ψ : (M, ∇) → (M 0 , ∇0 ) ein
affiner Diffeomorphismus, und ist c : I → M eine Geodätische von ∇, dann ist
c0 = ψ ◦ c eine Geodätische von ∇0 . Gilt die Umkehrung?
4. Wegabhängigkeit der Parallelverschiebung. Sei ∇ ein Zusammenhang auf
einer Mannigfaltigkeit M , und sei H : [0, 1] × [a, b] → M eine differenzierbare
Abbildung. Mit Ps,t werde die Parallelverschiebung entlang der Kurve cs = H(s, ·)
von t nach b bezeichnet. Es ist also
cs
Ps,t = Pb,t
: TH(s,t) M → TH(s,b) M
165
mit der in 15.2 eingeführten Notation. Weiter bezeichne Rs,t die lineare Abbildung
Rs,t = Ps,t ◦ R
∂H
∂t
(s, t),
∂H
(s, t) ◦ (Ps,t )−1
∂s
von TH(s,b) M in sich. Sei X ein Vektorfeld längs H mit ∇X/∂t = 0 auf [0, 1] × [a, b]
und mit (∇X/∂s)(s, a) = 0 für 0 ≤ s ≤ 1.
(a) Zeigen Sie, dass gilt
∇X
(s, b) =
∂s
Z
b
Rs,t dt X(s, b).
(∗)
a
(b) Verwenden Sie diese Gleichung, um einen Beweis der Implikation (a)⇒(b) in
Satz 16.5 zu geben.
Rb
Anleitung zu (a): Das Integral a Rs,t dt ist ein Vektorraumendomorphismus von
TH(s,b) M , der auf den Vektor X(s, b) angewandt wird. Zeigen Sie mit Hilfe von
(16.3.1) zunächst, dass gilt
∇ ∇X
∇X
d
Ps,t
(s, t) = Ps,t
(s, t) = Rs,t X(s, b) .
dt
∂s
∂t ∂s
(∗∗)
5.∗ Homotopie. Zeigen Sie, dass stückweise differenzierbare Homotopie eine
Äquivalenzrelation auf der Menge der stückweise differenzierbaren Kurven c : [a, b]
→ M ist. Zeigen Sie dann, dass dasselbe für die differenzierbare Homotopie differenzierbarer Kurven gilt. Zeigen Sie schließlich, dass differenzierbare Kurven, die
stetig homotop sind, auch differenzierbar homotop sind.
166
17. Geodätische und Exponentialabbildung
Geodätische eines Zusammenhanges sind Kurven, deren kovariante Beschleunigung
verschwindet. In lokalen Koordinaten führt diese Bedingung auf ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen, und der Existenz– und Eindeutigkeitssatz für solche
Systeme liefert einen entsprechenden Satz für die Geodätischen: Zu jedem Tangentialvektor X gibt es eine eindeutig bestimmte Geodätische cX mit Anfangsgeschwindigkeit ċX (0) = X. Die Abbildung X 7→ cX (1), die jedem Tangentialvektor den Wert der zugehörigen Geodätischen an der Stelle t = 1 zuordnet, heisst die
Exponentialabbildung von ∇. Sie kann unter anderem zur Einführung spezieller Koordinatensysteme in M verwendet werden. Wir beschließen das Kapitel mit einem
wichtigen Spezialfall, dem des kanonischen Zusammenhanges und der Exponentialabbildung einer Liegruppe.
Im Folgenden bezeichnet ∇ einen Zusammenhang auf einer n–dimensionalen differenzierbaren Mannigfaltigkeit M . Tangentialvektoren an Kurven
werden gele
gentlich mit dem Symbol d/dt angedeutet, also etwa ċ(0) = d/dt0 c. Mit Differenzierbarkeit ist immer Differenzierbarkeit von der Klasse C ∞ gemeint.
17.1. Geodätische. Eine differenzierbare Kurve c : I → M heißt nach Abschnitt
15.6 eine Geodätische von ∇, wenn die kovariante Beschleunigung ∇ċ/dt = 0 ist.
Ist (ϕ, U ) eine Karte und gilt c(I) ⊆ U , dann dann lautet diese Gleichung wegen
(15.1.1)
dci dcj
d 2 ck
k
+
Γ
◦
c
=0
(k = 1, . . . , n).
(17.1.1)
ij
dt2
dt dt
Für die Kurve x(t) = ϕ(c(t)) im Rn und mit Γ̄ij k = Γij k ◦ϕ−1 ist das ein System
nichtlinearer gewöhnlicher Differentialgleichungen zweiter Ordnung
d 2 xk
dxi dxj
k
+
Γ̄
◦x
= 0,
ij
dt2
dt dt
(17.1.2)
welches wir durch Einführen neuer Variablen X k auf ein System erster Ordnung
reduzieren:
dxk
(t) = X k (t)
dt
(17.1.3)
dX k
(t) = −Γ̄ij k (x(t)) X i (t) X j (t) .
dt
17.2. Satz. (a) Zu jedem Vektor X ∈ T M existieren ein offenes Intervall J um 0
und eine Geodätische c ∈ C ∞ (J, M ) mit ċ(0) = X.
(b) Sind c1 : J1 → M und c2 : J2 → M zwei Geodätische mit ċ1 (0) = ċ2 (0) = X,
dann stimmen c1 und c2 auf dem Durchschnitt J1 ∩ J2 ihrer Definitionsintervalle
Version 30. Mai 2000
167
überein. Insbesondere gibt es eine eindeutig bestimmte Geodätische c X mit maximalem Definitionsintervall JX und ċX (0) = X.
(c) Für jede reelle Zahl a ist die Geodätische caX gegeben durch caX (t) = cX (at)
mit dem maximalen Definitionsbereich
JaX =
o
n1 1
JX =
t t ∈ JX ,
a
a
falls a 6= 0 ist, und JaX = R sonst.
Im Folgenden bezeichnet cX die Geodätische mit ċX (0) = X und maximalem Definitionsintervall JX . Nach Teil (c) haben die Geodätischen cX und caX dasselbe
Bild, werden aber mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durchlaufen.
Beweis. (a) Sei etwa X ∈ Tp M . Wir wählen eine Karte (ϕ, U ) an p. Ist bezüglich
dieser Karte
X j ∂ ,
X=
X0
∂xj ϕ(p)
dann sind die X0j die Komponenten des Bildes (T ϕ)X ∈ Tϕ(p) Rn . Nach dem
Existenz– und Eindeutigkeitsatz für gewöhnliche Differentialgleichungen gibt es
genau eine Lösung (x(t), X(t)) des Systems (17.1.3) mit dem Anfangswert
(x(0), X(0)) = (ϕ(p), X0 ) ∈ Rn × Rn .
Für diese Lösung ist die Kurve c = ϕ ◦ x eine Geodätische in M mit ċ(0) = X.
(b) Zum Beweis der Eindeutigkeitsaussage (b) zeigen wir, dass die nichtleere Menge
{t ∈ J1 ∩ J2 | ċ1 (t) = ċ2 (t)}
zugleich offen und abgeschlossen im Durchschnitt J1 ∩ J2 ist. Da dieser Durchschnitt zusammenhängend ist, muss sie dann mit J1 ∩ J2 übereinstimmen. Die
Abgeschlossenheit folgt unmittelbar aus der Stetigkeit von ċ1 und ċ2 . Um die Offenheit zu beweisen, ist zu zeigen, dass aus ċ1 (t0 ) = ċ2 (t0 ) folgt, dass ċ1 und ċ2 auch
auf einer Umgebung von t0 übereinstimmen. Das ergibt sich, indem man lokale
Koordinaten um den Punkt c1 (t0 ) = c2 (t0 ) einführt, aus der Eindeutigkeitsaussage für Systeme (17.1.3). Die maximale Geodätische cX erhält man schließlich als
Vereinigung aller Geodätischen c mit ċ(0) = X.
(c) Mit c ist offensichtlich auch jede Kurve γ : t 7→ c(at) eine Geodätische, und es
gilt γ̇(0) = a ċ(0). Folglich ist γ = caX . QED
Wir werden nun die “Reduktion” der Differentialgleichung der Geodätischen auf ein
System erster Ordnung wie folgt interpretieren: c ist eine Geodätische genau dann,
wenn die Kurve ċ : I → T M Integralkurve eines gewissen Vektorfeldes X auf T M
168
ist. Mit dieser Deutung ergibt sich der Existenz– und Eindeutigkeitssatz 17.2 auch
als Folgerung von Satz 1 in Abschnitt 7.5 über Integralkurven.
17.3. Vorbetrachtung über T T M . Jede Karte (ϕ, U ) für M induziert nach
Abschnitt 4.6 eine Karte ϕ̄ : T M |U → ϕ(U ) × Rn mit
∂ ϕ̄ X
= (x1 , . . . , xn , X 1 , . . . , X n ),
∂xi p
i
wobei xi = ϕi (p) ist. Unter Verwendung der Projektion π : T M → M wird das zu
ϕ̄(X) = (ϕ1 ◦π(X), . . . , ϕn ◦π(X), dx1 (X), . . . , dxn (X)).
Sind ∂/∂xi und ∂/∂X i die Basisfelder einer solchen Karte (ϕ̄, T M |U ), dann lassen
sich Elemente des zweiten Tangentialbündels T T M = T (T M ) schreiben als Linearkombination
n
n
X
X
∂ ∂ i
+
A
∈ TX (T M ),
ai
∂xi X i=1
∂X i X
i=1
und man erhält eine Karte (ϕ̄¯, T T M |U ) für T T M , die diesen Vektor abbildet auf
(x1 , . . . , xn , X 1 , . . . , X n , a1 , . . . , an , A1 , . . . , An ).
Zu beachten ist, dass das Symbol ∂/∂xi nun zwei verschiedene Vektorfelder bezeichnet, eines auf U und eines auf T M |U . Ist c : I → M eine differenzierbare
Kurve mit c(I) ⊆ U , dann ist ċ : I → T M eine differenzierbare Kurve in T M . Deren
Tangentialvektorfeld c̈ : I → T T M beschreiben wir nun in lokalen Koordinaten.
Lemma. Sei C ∈ C ∞ (I, T M ) eine differenzierbare Kurve in T M mit C(I) ⊆ T M |U ,
so dass
n
X
∂ C(t) =
Y i (t)
∂xi c(t)
i=1
mit Komponenten Y i ∈ C ∞ (I) und der nach M projizierten Kurve c(t) = π(C(t)).
Dann gilt
n
X
d(ϕi ◦c)
∂ dY i
∂ ˙
C(t) =
(t)
+
(t)
(17.3.1)
dt
∂xi C(t)
dt
∂X i C(t)
i=1
Ist speziell C = ċ das Tangentialvektorfeld einer Kurve c : I → U ⊆ M , dann gilt
mit ci := ϕi ◦ c
c̈(t) =
∂ d 2 ci
∂ (t)
+ 2 (t)
.
dt
∂xi ċ(t)
dt
∂X i ċ(t)
n
X
dci
i=1
169
(17.3.2)
Beweis. Nach Abschnitt 4.4 ist
˙ =
C(t)
2n
X
d(ϕ̄i ◦C)
dt
i=1
∂ ,
(t)
∂z i C(t)
wobei ∂/∂z i die Basisfelder der Karte ϕ̄ sind. Daraus folgt (17.3.1), und (17.3.2)
ist ein Spezialfall mit
C(t) = ċ(t) =
∂ (t)
.
dt
∂xi c(t)
n
X
dci
i=1
17.4. Der geodätische Fluss. Wir verwenden die Notation aus Abschnitt 17.3.
Lemma. Sei (ϕ, U ) eine Karte an p ∈ M , und sei
∂ ∈ Tp M.
X=X
∂xi p
i
Wir definieren X (X) ∈ TX M durch
∂ ∂ k
i j
X (X) = X
− Γij (p) X X
.
∂xk X
∂X k X
k
(17.4.1)
Dann ist X (X) unabhängig von der Wahl der Karte, und die so definierte Abbildung
X : T M → T T M ist ein differenzierbares Vektorfeld auf T M .
Beweis. Das Lemma in 17.3 zeigt, dass für die Geodätische cX mit ċX (0) = X gilt
X (X) = c̈X (0). Da c̈X (0) nicht von der Wahl einer Karte abhängt, gilt dasselbe für
X (X). Die Differenzierbarkeit des Vektorfeldes X ergibt sich aus der Differenzierbarkeit seiner Komponenten bezüglich der Basisfelder ∂/∂xi und ∂/∂X i der Karten
(ϕ̄, T M |U ),
∂
∂
X = ϕ̄n+k k − Γij k ◦π ϕ̄n+i ϕ̄n+j
.
(17.4.2)
∂x
∂X k
Definitionen. Das Vektorfeld X heißt der geodätische Spray des Zusammenhangs
∇. Der Fluss φ von X heißt der geodätische Fluss. Ein Zusammenhang ∇ heißt
vollständig, wenn der geodätische Spray X ein vollständiges Vektorfeld im Sinne
von Abschnitt 7.5 ist, wenn also der geodätische Fluss φ auf ganz R × T M definiert
ist.
Satz. Eine Kurve c in M ist eine Geodätische von ∇ genau dann, wenn ihr Tangentialvektorfeld ċ eine Integralkurve des geodätische Sprays ist. Ist C : I → T M eine
beliebige Integralkurve des geodätische Sprays, dann ist c = π ◦ C eine Geodätische
mit ċ = C.
170
Beweis. Die Kurve ċ ist genau dann eine Integralkurve von X , wenn sie c̈(t) =
X (ċ(t)) erfüllt. Nach (17.3.2) und der Definition von X ist das genau dann der Fall,
wenn c eine Geodätische ist. Sei nun C eine Integralkurve von X , und sei X = C(0).
Die Geodätische cX liefert nach dem schon Bewiesenen eine weitere Integralkurve
ċX , und zwar ebenfalls mit ċX (0) = X. Wegen der Eindeutigkeit von Integralkurven
folgt ċX = C, also cX = π ◦ C. QED
Wegen des Satzes ist ∇ genau dann vollständig, wenn alle Geodätischen cX den
maximalen Definitionsbereich JX = R haben. Die Wirkung des Flusses φ auf Punkte X ∈ T M kann man sich folgendermaßen veranschaulichen: Ist X ∈ T M gegeben,
so nimmt man die Geodätische cX mit ċX (0) = X. Dann ist φt (X) = ċX (t). Und
cX
da ċX ein paralleles Vektorfeld längs cX ist, gilt mit der Parallelverschiebung Pt,0
längs cX auch
cX
(X).
φt (X) = ċX (t) = Pt,0
17.5. Die Exponentialabbildung eines Zusammenhanges. Für X ∈ T M
bezeichnet JX das maximale Definitionsintervall der Geodätischen cX wie in 17.2.
Satz. (a) Sei T̃ M = {X ∈ T M | 1 ∈ JX }. Dann ist T̃ M eine offene Umgebung
des Nullschnittes 0M := {0p ∈ Tp M | p ∈ M }.
(b) Die durch
exp(X) = cX (1)
definierte Abbildung exp : T̃ M → M ist differenzierbar.
Beweis. (a) Offensichtlich enthält T̃ M alle Nullvektoren 0p . Nach Satz 1 in Abschnitt 7.5 ist
[
U :=
JX × {X}
X∈T M
eine offene Teilmenge von R × T M , da JX das maximale Definitionsintervall der Integralkurve ċX des geodätischen Sprays ist. Die Menge T̃ M = {X ∈ T M | (1, X) ∈
U } ist das Urbild der offenen Menge U unter der stetigen Abbildung X 7→ (1, X)
von T M nach R × T M , also selbst offen.
(b) Es gilt exp(X) = cX (1) = π(ċX (1)) = π(φ(1, X)), wobei φ den geodätischen
Fluss bezeichnet und π die Projektion T M → M . Nach Satz 1 in Abschnitt 7.5 ist
φ von der Klasse C ∞ . QED
Die Abbildung exp heißt die Exponentialabbildung des Zusammenhanges ∇. Ihre
Einschränkung expp := exp |Tp M auf den Tangentialraum Tp M nennt man die Exponentialabbildung im Punkt p ∈ M . Nach 17.2(c) gilt
exp(tX) = ctX (1) = cX (t).
Die Kurve t 7→ exp(tX) ist also die Geodätische mit Anfangsgeschwindigkeit X.
Die Bezeichnung als “Exponentialabbildung” entstammt einem Spezialfall (17.8.2),
auf den wir am Ende dieses Kapitels eingehen werden.
171
Beispiel. Sei M = S n ⊆ Rn+1 die Standardsphäre, versehen mit dem Levi–Civita–
Zusammenhang ∇ ihrer ersten Fundamentalform. Die Geodätischen von ∇ sind die
proportional zur Bogenlänge parametrisierten Großkreise (siehe Abschnitt 15.6).
Für p ∈ M ist die Abbildung expp injektiv auf dem offenen Ball B(0, π) ⊆ Tp M .
Der gesamte Rand ∂B(0, π) dieses Balles wird auf den p gegenüberliegenden Punkt
−p abgebildet, die Sphären ∂B(0, ρ) mit 0 < ρ < π auf “Breitenkreise” zwischen p
und −p.
17.6. Normalkoordinaten. Zwischen den Tangentialräumen Tv V eines reellen
Vektorraumes V und dem Raum V selbst bestehen kanonische Vektorraumisomorphismen ιv : V → Tv V , die durch
d ιv (w) =
(v + tw)
dt 0
(17.6.1)
gegeben sind. Dabei steht auf der rechten Seite der Tangentialvektor an die Kurve
t 7→ v + tw im Punkt t = 0.
Lemma. Die Ableitung T0 expp : T0 Tp M → Tp M der Exponentialabbildung expp ist
∼
der kanonische Isomorphismus ι−1
0 : T0 Tp M = Tp M . Insbesondere bildet expp eine
offene Umgebung U ⊆ Tp M des Nullpunktes diffeomorph auf eine offene Umgebung
V = expp (U ) ⊆ M von p ab.
Beweis. Für X ∈ Tp M gilt
(T0 expp )ι0 X = (T0 expp )
d d (tX)
=
expp (tX) = X,
dt 0
dt 0
also in der Tat (T0 expp ) = ι−1
0 . Die zweite Behauptung folgt aus dem Satz über
inverse Funktionen 4.2(c). QED
Mit Hilfe des Isomorphismus ιv identifiziert man oft die Vektorräume V und Tv V ,
wenn keine Missverständnisse zu befürchten sind. Die erste Aussage des Lemmas
lautet dann einfach, aber nicht ganz korrekt,
T0 expp = idTp M .
Sind 0 ∈ U ⊆ Tp M und V = expp (U ) ⊆ M wie im Lemma, und ist A : Tp M → Rn
ein Vektorraumisomorphismus, dann ist
ϕ = A ◦ (exp |U )−1 : V → Rn
eine Karte. Jede solche Karte heißt ein Normalkoordinatensystem mit Zentrum p.
Normalkoordinaten bilden also die Geodätischen c(t) = expp tX durch p in Geraden
ϕ(c(t)) = t AX durch den Ursprung im Rn ab.
172
Bemerkung. Für Normalkoordinaten mit Zentrum p gilt Γij k (p) = −Γji k (p). Ist
insbesondere der Zusammenhang ∇ torsionsfrei, dann gilt Γij k (p) = 0.
Beweis. Die Geodätengleichung
d(ϕi ◦c) d(ϕj ◦c)
d2 (ϕk ◦c)
+ Γij k ◦c
=0
2
dt
dt
dt
liefert in Normalkoordinaten (ϕ, V ) für c(t) = expp (tX)
Γij k (p) (AX)i (AX)j = 0.
Also gilt Γij k (p) Y i Y j = 0 für alle Y ∈ Rn , und daraus folgt, indem man Y durch
Y + Z ersetzt, Γij k (p) + Γji k (p) = 0. Ist ∇ torsionsfrei, dann gilt nach (14.8.4)
zusätzlich
Γij k (p) − Γji k (p) = Tij k (p) = 0,
also insgesamt Γij k (p) = 0. QED
17.7. π × exp und der Injektivitätsradius. Sei exp die Exponentialabbildung
eines Zusammenhanges ∇ auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M . Das folgende Lemma besagt, dass die Abbildung π × exp auf dem Nullschnitt von T M
maximalen Rang hat.
Lemma. Für jeden Punkt p ∈ M ist die Ableitung
T0p (π × exp) : T0p T M → Tp M × Tp M
der Abbildung
π × exp : T̃ M → M × M
X 7→ (π(X), exp(X))
im Nullpunkt 0p von Tp M bijektiv.
Beweis. Wir wählen eine Karte (ϕ, U ) mit ϕ(p) = 0 und betrachten die dadurch
induzierte Karte (ϕ̄, T M |U ) an 0p ∈ T M. Seien ∂/∂xi und ∂/∂X i die entsprechenden Basisvektorfelder wie in 17.3. Bezeichnet ei den i–ten Standardbasisvektor des
R2n , dann ist für i = 1, . . . , n
d −1
∂ = T (π × exp) ϕ̄ (tei )
T (π × exp)
∂xi 0p
dt 0
d =
(π × exp) ϕ̄−1 (tei )
dt 0
d (π × exp) 0ϕ−1 (tei )
=
dt 0
d ϕ−1 (tei ), ϕ−1 (tei )
=
dt 0
∂ , ∂ .
=
i
i
∂x p ∂x p
173
Außerdem ist
∂ d (π × exp) ϕ̄−1 (t en+i )
T (π × exp)
=
∂X i 0p
dt 0
∂ d (π
×
exp)
t
=
dt 0
∂xi p
∂ d p, expp t i =
dt 0
∂x p
∂ = 0,
.
∂xi p
Bezüglich der Basis ∂/∂xi |0p , ∂/∂X i |0p von T0p T M und der Basis (∂/∂xi |p , 0),
(0, ∂/∂X i |p ) von Tp M × Tp M ∼
= T(p,p) (M × M ) entspricht T0p (π × exp) also die
invertierbare 2n × 2n–Matrix
I 0
.
I I
Satz 1. Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine offene Umgebung U ⊆ M von p
und eine offene Umgebung W ⊆ T M von 0p ∈ Tp M mit folgenden Eigenschaften.
(a) Zu je zwei Punkten q, r ∈ U gibt es genau eine Geodätische cqr : [0, 1] → M mit
cqr (0) = q und cqr (1) = r und ċqr (0) ∈ W .
(b) Die durch (q, r) 7→ ċqr (0) gegebene Abbildung U × U → T M ist differenzierbar.
(c) Für alle q ∈ U ist expq |W ∩Tq M eine Einbettung.
Aussage (a) lässt sich auch wie folgt formulieren: Zu je zwei Punkten q, r ∈ U existiert ein eindeutig bestimmter Tangentialvektor Xq ∈ Tq M ∩ W mit exp(Xq ) = r.
Beweis. Wir wählen W und U so, dass π × exp die Umgebung W diffeomorph
auf U × U abbildet. Solche Umgebungen existieren aufgrund des letzten Lemmas,
und Teil (a) und (b) folgen unmittelbar. Zum Beweis von (c) bemerkt man, dass
(π × exp)|W eine Einbettung ist. Da allgemein Einschränkungen von Einbettungen
auf Untermannigfaltigkeiten wieder Einbettungen sind, ist auch
(π × exp)|W ∩Tq M = constq × (exp |W ∩Tq M )
eine Einbettung. Dabei bezeichnet constq die konstante Abbildung W ∩Tq M → {q}.
QED
Wir geben noch eine Variante des Satzes für Mannigfaltigkeiten mit Riemannscher
Metrik. Dabei bezeichnet B(p, ε) den Ball
B(p, ε) = {q ∈ M | d(p, q) < ε}
174
wie in Abschnitt 10.5, und es ist B(0q , %) = {X ∈ Tq M | kXk < %}.
Satz 2. Seien ∇ ein Zusammenhang auf M und g eine Riemannsche Metrik. Zu
jedem Punkt p ∈ M existieren Zahlen ε > 0 und % > 0 mit folgenden Eigenschaften.
(a) Zu je zwei Punkten q, r ∈ B(p, ε) gibt es einen eindeutig bestimmten Tangentialvektor X ∈ Tq M mit kXk < % und mit exp X = r.
(b) Die durch (q, r) 7→ X gegebene Abbildung B(p, ε) × B(p, ε) → T M ist differenzierbar.
(c) Für jeden Punkt q ∈ B(p, ε) ist die Einschränkung expq |B(0q ,%) der Exponentialabbildung eine Einbettung.
Beweis. Man wählt zunächst % und ε0 > 0 so klein, dass die Menge
W 0 = {X ∈ T M | π(X) ∈ B(p, ε0 ) und kXk < %}
durch π × exp diffeomorph auf ihr Bild U 0 ⊆ M abgebildet wird. Dann wählt man
0 < ε < ε0 so klein, dass B(p, ε) × B(p, ε) ⊆ U 0 ist. Mit diesem % und ε gelten
offenbar (a) und (b), und (c) folgt wie bei Satz 1. QED
Definition. Sei ∇ ein Zusammenhang auf der Riemannschen Mannigfaltigkeit
(M, g), und sei exp die Exponentialabbildung von ∇. Dann heißt für p ∈ M die
Zahl
inj(p) := sup{ ρ | expp B(0 ,ρ) ist definiert und eine Einbettung }
p
der Injektivitätsradius von exp im Punkt p. Ist speziell ∇ der Levi–Civita–Zusammenhang von (M, g), dann heißt inj(q) der Injektivitätsradius der Riemannschen
Mannigfaltigkeit (M, g) im Punkt p.
Der Injektivitätsradius inj(p) ist also das Supremum aller Zahlen ρ, für welche die
Einschränkung expp |B(0p ,ρ) Normalkoordinaten mit Zentrum p liefert. Wegen Satz
2(c) hat die Funktion inj : M → R auf jeder kompakten Teilmenge von M eine
positive untere Schranke.
17.8. Kanonischer Zusammenhang und Exponentialabbildung einer Liegruppe. Eine Liegruppe ist eine differenzierbare Mannigfaltigkeit G, die dergestalt
mit einer Gruppenstruktur versehen ist, dass die Gruppenoperation µ : G × G → G
und die Inversion ι : G → G differenzierbare Abbildungen sind (siehe Aufgabe 3
zu Kapitel 2). Es ist allgemein bei Gruppen üblich, die Gruppenoperation µ nicht
explizit hervorzuheben. Man schreibt also oft a · b oder auch nur ab anstelle von
µ(a, b), wenn hinsichtlich der Gruppenstruktur µ keine Zweifel bestehen.
Für a ∈ G bezeichne La : G → G die Linksmultiplikation La (b) = ab. Dann ist La
ein Diffeomorphismus mit inverser Abbildung (La )−1 = La−1 . Ein Vektorfeld X
auf G heißt linksinvariant, wenn für alle a, b ∈ G gilt
(T La )X(b) = X(ab),
175
wenn also in der Notation aus Abschnitt 7.7 gilt
La∗ X = T La ◦ X ◦ L−1
a = X.
Da die Gruppenoperation µ differenzierbar ist, ist jedes linksinvariante Vektorfeld
differenzierbar. Ist e ∈ G das neutrale Element und ist Xe ∈ Te G, dann existiert
genau ein linksinvariantes Vektorfeld X auf G mit X(e) = Xe , definiert durch
X(a) = (T La )Xe
für a ∈ G. Wählt man eine Basis X1 (e), . . . , Xn (e) von Te G, dann liefert die
Definition Xj (a) = (T La )Xj (e) ein linksinvariantes Repèrefeld X1 , . . . , Xn auf G.
Lemma 1. Es existiert genau ein Zusammenhang ∇0 auf G mit der Eigenschaft,
dass jedes linksinvariante Vektorfeld X parallel ist, also ∇ 0 X = 0 gilt.
Beweis. Sei X1 , . . . , Xn ein linksinvariantes Repèrefeld auf G und seien Y, Z ∈ V(G).
Dann ist Z = Z i Xi mit Komponentenfunktionen Z i ∈ C ∞ (G). Wenn ∇0 existiert,
dann ist notwendig ∇0Y Z = Y (Z i )Xi + Z i ∇0Y Xi = Y (Z i )Xi , also
∇0Y Z =
n
X
Y (Z i ) Xi .
(17.8.1)
i=1
Damit ist die Eindeutigkeit von ∇0 gezeigt. Umgekehrt sieht man leicht, dass
nach Wahl eines linksinvarianten Repèrefeldes durch (17.8.1) ein Zusammenhang
definiert wird, für den alle linksinvarianten Vektorfelder parallel sind. Wegen der
Eindeutigkeit ist dieser Zusammenhang unabhängig von der Wahl des linksinvarianten Repèrefeldes. QED
Lemma 2. Eine differenzierbare Kurve c : I → G ist genau dann eine Geodätische
von ∇0 , wenn c Integralkurve eines linksinvarianten Vektorfeldes X ∈ V(G) ist.
Beweis. Ist c eine Integralkurve von X, also ċ = X ◦ c, dann gilt nach Abschnitt
15.1
∇0 (X ◦ c)
∇0 ċ
=
= ∇ċ0 X = 0.
dt
dt
Also ist c eine Geodätische von ∇0 . Nun sei umgekehrt c eine Geodätische, t0 ∈ I
und a = c(t0 ). Sei X das linksinvariante Vektorfeld mit X(a) = ċ(t0 ), und sei
γ : J → G die maximale Integralkurve von X mit γ(t0 ) = a. Nach dem bereits
Bewiesenen ist γ eine Geodätische von ∇0 , und es gilt
γ̇(t0 ) = X(γ(t0 )) = X(a) = ċ(t0 ).
Die Eindeutigkeitsaussage für Geodätische aus Satz 17.2(b) zeigt nun, dass c = γ| I
gilt. Also ist c Integralkurve des linksinvarianten Vektorfeldes X. QED
176
Lemma 3. Jedes linksinvariante Vektorfeld X ∈ V(G) ist vollständig.
Beweis. Ist γ eine Integralkurve von X, dann auch jede Kurve aγ = La ◦ γ für
a ∈ G, denn
(aγ)˙(t) = (T La )γ̇(t) = (T La )X(γ(t)) = X(aγ(t)).
Ist daher ein Intervall (−ε, ε) im Definitionsbereich der Integralkurve γ mit γ(0) = e
enthalten, dann ist dieses Intervall im Definitionsbereich jeder Integralkurve von X
enthalten. Der Definitionsbereich des Flusses φ von X enthält also die Menge
(−ε, ε) × G. Nach Aufgabe 4(a) in Kapitel 7 ist X vollständig. QED
Als Folgerung aus Lemma 2 und 3 ergibt sich, dass der Zusammenhang ∇0 im Sinne
von Abschnitt 7.4 vollständig ist. Seine Exponentialabbildung exp : T G → G ist
also auf ganz T G definiert.
Definitionen. Die Exponentialabbildung der Liegruppe G, exp : Te G → G, ist die
Einschränkung der Exponentialabbildung von ∇0 auf den Tangentialraum Te G im
neutralen Element. Eine Einparameteruntergruppe von G ist ein differenzierbarer
Gruppenhomomorphismus (R, +) → G, also eine differenzierbare Kurve c : R → G
mit den Eigenschaften c(s + t) = c(s)c(t) und c(−t) = c(t)−1 .
Satz. Sei c : R → G eine differenzierbare Kurve mit c(0) = e. Dann sind folgende
Aussagen äquivalent.
(a) c ist eine Einparameteruntergruppe von G.
(b) c ist Integralkurve eines linksinvarianten Vektorfeldes X.
(c) Es gilt c(t) = exp(tv) für einen Vektor v ∈ Te G.
Beweis. Die Äquivalenz von (b) und (c) ergibt sich aus Lemma 2, weil die Geodätischen des Zusammenhangs ∇0 mit c(0) = e genau die Kurven der Gestalt c(t) =
exp(tv) sind. Sei nun c ein Gruppenhomomorphismus wie in (a). Bezeichnet X das
linksinvariante Vektorfeld mit X(e) = ċ(0), dann gilt
d d ċ(s) =
c(s
+
t)
=
c(s)c(t)
dt 0
dt 0
= (T Lc(s) )ċ(0) = (T Lc(s) )X(e)
= X(c(s)).
Also ist c Integralkurve eines linksinvarianten Vektorfeldes. Ist umgekehrt c Integralkurve eines linksinvarianten Vektorfeldes X, dann sind sowohl t 7→ c(s + t) als
auch t 7→ c(s)c(t) Integralkurven von X, die für t = 0 übereinstimmen. Also gilt
c(s + t) = c(s)c(t), und c ist ein Gruppenhomomorphismus. QED
Beispiel. Sei G = GL(n, R) die Gruppe der invertierbaren n × n–Matrizen, und
sei e = I die Einheitsmatrix. Dann ist G eine offene Teilmenge des Vektorraumes
177
Mat(n, R) der reellen n × n–Matrizen. Man kann daher den Tangentialraum Te G
kanonisch mit Mat(n, R) identifizieren. Die Exponentialabbildung der Liegruppe G
wird damit zu einer Abbildung exp : Mat(n, R) → GL(n, R). Für X ∈ Mat(n, R)
ist die Exponentialreihe
eX =
∞
X
1 k
1
X = I + X + X2 + . . .
k!
2
k=0
für jede Wahl einer Norm auf Mat(n, R) absolut konvergent, und man sieht leicht,
dass c(t) = etX ein differenzierbarer Homomorphismus (R, +) → G ist mit ċ(0) =
X. Der Satz zeigt nun, dass etX = exp(tX) ist. Insbesondere gilt
exp(X) = eX .
(17.8.2)
Kommentar: Liegruppen und Liealgebren. Sind X und Y linksinvariante
Vektorfelder auf einer Liegruppe G, dann ist auch [X, Y ] linksinvariant, da nach
Aufgabe 5 zu Kapitel 2 gilt
La∗ [X, Y ] = [La∗ X, La∗ Y ] = [X, Y ].
Die Menge G aller linksinvarianten Vektorfelder auf G bildet deshalb bezüglich der
Lieklammer eine Liealgebra, und zwar eine Unteralgebra der Liealgebra aller C ∞ –
Vektorfelder auf G (siehe 7.3). Man nennt G die Liealgebra der Liegruppe G. Da
die Auswertungsabbildung X → X(e) ein Vektorraumisomorphismus von G auf
Te G ist, bezeichnet man oft auch Te G mit der von G durch diesen Isomorphismus
induzierten Lieklammer als die Liealgebra von G. Man erhält, indem man G mit
Te G identifiziert, eine Exponentialabbildung
exp : G → G,
mit deren Hilfe sich Eigenschaften der Gruppe G in Eigenschaften der Liealgebra
G übersetzen lassen. Insbesondere lässt sich die Gruppenoperation in durch exp
definierten Normalkoordinaten beschreiben durch die Liealgebrastruktur auf G ∼
=
Te G mittels der Campbell–Hausdorff–Formel
1
exp(X) exp(Y ) = exp X + Y + [X, Y ]
2
1
1
+ [X, [X, Y ]] + [Y, [Y, X]]
12
12
1
1
− [X, [Y, [X, Y ]]] − [Y, [X, [X, Y ]]] + . . .
48
48
(17.8.3).
Dabei stehen auf der rechten Seite der Gleichung die ersten Glieder einer unendlichen Reihe, die für alle X und Y aus einer Umgebung von 0 ∈ Te G absolut konvergiert. Auch die weggelassenen Reihenglieder sind mehrfache Lieklammern von X
und Y , und zwar von mindestens vierter Ordnung in X und Y . Die Korrespondenz
178
zwischen Liegruppen und Liealgebren liefert eines der wichtigsten Hilfsmittel zur
Untersuchung von Liegruppen.
Aufgaben
1. Geodätische. Zeigen Sie, dass die Bilder der Geodätischen in der hyperbolischen Ebene (M, g) aus Aufgabe 6 in Kapitel 10 genau die Halbkreise und Halbgeraden sind, die auf der x–Achse senkrecht stehen. Zeigen Sie auch, dass (M, g)
vollständig ist.
2. Liegruppen. Sei G eine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer differenzierbaren Gruppenstruktur. Die Gruppenoperation µ : G × G → G sei differenzierbar.
Zeigen Sie, dass dann auch die Inversion ι : G → G differenzierbar, also G eine
Liegruppe ist. Hinweis: Wenden Sie den Satz über implizite Funktionen auf die
Gleichung µ(a, b) = e an.
*3. Homomorphismen. Man kann zeigen, dass jeder stetige Homomorphismus
zwischen Liegruppen sogar differenzierbar (von der Klasse C ∞ ) ist. Wir betrachten die reelle Achse R als Liegruppe bezüglich der Addition. Zeigen Sie, dass es
unstetige Gruppenisomorphismen von R auf sich selbst gibt.
∼ Mat(n, R).
4. Matrixgruppe. Sei G = GL(n, R) mit Liealgebra G ∼
= Te G =
(a) Sei A ∈ Mat(n, R). Berechnen Sie dasjenige linksinvariante Vektorfeld X auf
G, für welches X(e) = A ist. Beachten Sie dazu, dass G eine offene Teilmenge von
Mat(n, R) = Rn×n ist, so dass mit den Standardbasisfeldern ∂/∂xjk von Mat(n, R)
gilt
n
X
∂
X=
X jk jk .
∂x
j,k=1
Zu bestimmen sind die Funktionen X jk .
(b) Zeigen Sie, dass die Liealgebrastruktur unter der Identifikation G ∼
= Mat(n, R)
für X, Y ∈ Mat(n, R) gegeben ist durch den Matrixkommutator
[X, Y ] = XY − Y X.
5. Repèrefelder. Sei X1 , . . . , Xn ein Repèrefeld auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M .
(a) Zeigen Sie, dass durch Gleichung (17.8.1) ein flacher Zusammenhang ∇0 auf M
definiert wird, für dessen Torsionstensor T gilt T (Xi , Xj ) = −[Xi , Xj ].
(b) Zeigen Sie, dass die Geodätischen von ∇0 genau die Integralkurven der parallelen Vektorfelder sind.
(c) Zeigen Sie: Ein Diffeomorphismus φ von M auf sich selbst ist genau dann affin
bezüglich ∇0 , wenn gilt φ∗ Xi = aki Xk mit einer konstanten Matrix (aki ).
179
18. Erste Variation der Bogenlänge
Die Geodätischen einer Riemannschen Mannigfaltigkeit M , also die Geodätsichen
des Levi–Civita–Zusammenhanges der Metrik, sind nicht nur Kurven verschwindender kovarianter Beschleunigung, also in diesem Sinne “geradeste Linien”. Sie lassen
sich auch dadurch charakterisieren, dass sie unter gewissen Einschränkungen die
kürzesten Kurven sind, die ihre Endpunkte verbinden. Dass dabei Einschränkungen
erforderlich sind, zeigt schon das Beispiel der Großkreise auf der Standardsphäre im
R3 : Abschnitte eines Großkreises, die länger als ein Halbäquator sind, liefern offenbar nicht die kürzeste Verbindung ihrer Endpunkte. In die genaue Formulierung
(Satz 2 in 18.4) geht der Injektivitätsradius inj(p) ein, den wir bereits in Abschnitt
17.7 eingeführt haben. Dabei wird—über das sogenannte Gauß–Lemma—die erste
Variationsformel verwendet, die, grob gesprochen, beschreibt, wie sich die Länge
einer Kurve bei kleinen Deformationen in erster Ordnung ändert.
In diesem Kapitel ist (M, g) eine n–dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit.
Wir betrachten Geodätische und die Exponentialabbildung exp ihres Levi–Civita–
Zusammenhanges ∇. Mit d bezeichnen wir die durch die Riemannsche Metrik induzierte Abstandsfunktion (10.4.2). Eine differenzierbare Kurve c : [a, b] → M heißt
proportional zur Bogenlänge parametrisiert, wenn kċk konstant ist. Da der Zusammenhang ∇ mit der Riemannschen Metrik g verträglich ist, ist das insbesondere für
die Geodätischen c(t) = exp(tX) der Fall, und für deren Länge gilt
L(c) =
Z
b
a
kċ(t)k dt =
Z
b
a
c
Pt,0 ċ(0) dt = kXk (b − a).
18.1. Erste Variationsformel. Sei c : [a, b] → M eine differenzierbare Kurve.
Eine Variation von c ist eine differenzierbare Abbildung
H : (−ε, ε) × [a, b] → M
mit H(0, t) = c(t) für alle t ∈ [a, b]. Wie in Abschnitt 16.3 bezeichnen wir mit
∂H/∂s(s, t) ∈ TH(s,t) M den Tangentialvektor der Kurve s 7→ H(s, t), und definieren
∂H/∂t entsprechend. Dann sind ∂H/∂s und ∂H/∂t Vektorfelder längs der Abbildung H. Das Vektorfeld V (t) = ∂H/∂s(0, t) längs c nennt man das Variationsvektorfeld von H.
Lemma. Es gilt
∇ ∂H
∇ ∂H
=
.
∂s ∂t
∂t ∂s
Version 30. Mai 2000
180
(18.1.1)
Beweis. In lokalen Koordinaten (ϕ, U ) ist mit H k := ϕk ◦ H
∂H k ∂
∂H
=
◦H,
∂t
∂t ∂xk
also nach (15.1.1)
∂2H k
∂
∇ ∂H
∂H i ∂H j
=
+
Γij k ◦H
◦H k .
∂s ∂t
∂s∂t
∂s ∂t
∂xk
Die Behauptung folgt aus der Torsionsfreiheit Γij k = Γji k . QED
Satz (Erste Variationsformel). Sei H eine Variation der proportional zur Bogenlänge parametrisierten differenzierbaren Kurve c, und sei L(cs ) die Länge der Kurve
cs (t) = H(s, t). Dann gilt
b Z b ∇ċ d 1 g V,
g(V, ċ) −
dt .
L(cs ) =
ds 0
kċk
dt
a
a
Dabei ist
(18.1.2)
b
g(V, ċ)a = g V (b), ċ(b) − g V (a), ċ(a) .
Beweis. Mit Gleichung (15.5.1) ergibt sich
Z b ∂H ∂H 1/2
d
d
g
L(cs ) =
,
dt
ds
ds a
∂t ∂t
Z b ∂H ∂H −1/2 ∇ ∂H ∂H dt,
,
g
,
=
g
∂t ∂t
∂s ∂t ∂t
a
und wegen des Lemmas gilt
g
∇ ∂H ∂H ∇ ∂H ∂H =g
,
,
∂s ∂t ∂t
∂t ∂s ∂t
∂H ∇ ∂H ∂ ∂H ∂H =
−g
.
g
,
,
∂t
∂s ∂t
∂s ∂t ∂t
Speziell für s = 0 ist
∂H
(0, t) = ċ(t),
∂t
∂H
(0, t) = V (t),
∂s
und die Behauptung folgt. QED
18.2. Stückweise differenzierbare Kurven. Wir betrachten nun allgemeiner
stückweise differenzierbare Kurven c : [a, b] → M und ihre Variationen. Die Kurve
181
c sei also stetig, und es gebe eine Unterteilung a = t0 < t1 < · · · < tm = b des
Intervalls [a, b] in endlich viele Teilintervalle dergestalt, dass die Einschränkungen
c|[ti ,ti+1 ] differenzierbar sind. Sei H : [−ε, ε) × [a, b] → M eine stückweise differenzierbare Variation von c in folgendem Sinne: H ist eine stetige Abbildung
mit H(0, t) = c(t), und alle Einschränkungen H|(−ε,ε)×[ti ,ti+1 ] sind differenzierbar.
Dann ist das Variationsvektorfeld V (t) = ∂H/∂s(0, t) ein stückweise differenzierbares Vektorfeld längs c, und es existieren die links– und rechtsseitigen Ableitungen
ċ(t−
i ) = lim ċ(t)
t↑ti
ċ(t+
i )
= lim ċ(t).
t↓ti
Für die Kurven cs (t) = H(s, t) erhält man
L(cs ) =
m−1
X
i=0
L cs [ti ,ti+1 ] .
Summiert man die ersten Variationsformeln für die Teilkurven c[t ,t ] auf, dann
i i+1
ergibt sich:
Satz (Erste Variationsformel). Sei c : [a, b] → M stückweise differenzierbar mit
kċk = const > 0, und sei H(s, t) = cs (t) eine stückweise differenzierbare Variation
von c. Dann gilt
d 1
L(cs ) =
g V (b), ċ(b) − g V (a), ċ(a)
ds s=0
kċk
Z b m−1
X
∇ċ +
−
g V,
+
g V (ti ), ċ(ti ) − ċ(ti ) −
dt .
dt
a
i=1
(18.2.1)
+
Die gegenüber (18.1.2) hinzugekommenen Terme g V (ti ), ċ(t−
i ) − ċ(ti ) haben eine
+
einfache anschauliche Deutung: Variation in Richtung des “Knicks” ċ(t−
i ) − ċ(ti )
vergrößert die Bogenlänge.
Lemma. Sei c : [a, b] → M (stückweise) differenzierbar, und sei V ein (stückweise)
differenzierbares Vektorfeld längs c. Dann existiert eine (stückweise) differenzierbare Variation H : (−ε, ε) × [a, b] → M der Kurve c mit Variationsvektorfeld
∂H/∂s(0, t) = V (t).
Beweis. Wir definieren H(s, t) = expc(t) sV (t). Für hinreichend klein gewähltes ε >
0 ist (−ε, ε)×[a, b] im Definitionsbereich von H enthalten, da der Definitionsbereich
von exp eine offene Teilmenge von T M ist, welche die Menge {0} × [a, b] enthält.
QED
182
Korollar 1. Sei c : [a, b] → M eine stückweise differenzierbare,
proportional zur
Bogenlänge parametrisierte Kurve. Gilt L(c) = d c(a), c(b) , dann ist c eine Geodätische, also insbesondere differenzierbar.
Beweis. Wir betrachten zunächst das Variationsvektorfeld
V (t) = ϕ(t)
∇ċ
(t)
dt
mit einer differenzierbaren Funktion ϕ, die an allen Punkten ti (i = 0, . . . , m)
verschwindet und sonst positiv ist. Für die Kurven cs (t) = H(s, t) = expc(t) sV (t)
gilt dann cs (a) = c(a), cs (b) = c(b), und daher L(cs ) ≥ d(c(a), c(b)) = L(c). Die
Funktion L(cs ) hat also ein Minimum an s = 0, und mit Satz 2 folgt
0=
1
d L(cs ) = −
ds 0
kċk
Z
b
a
∇ċ 2
ϕ(t) dt dt.
Also ist ∇ċ/dt = 0, und alle Teilkurven c|[ti ,ti+1 ] sind Geodätische. Nun wählen wir
ein Variationsvektorfeld V mit V (a) = 0, mit V (b) = 0 und
+
V (ti ) = ċ(t−
i ) − ċ(ti ).
+
Dann zeigt die erste Variationsformel wegen ∇ċ/dt = 0, dass ċ(t−
i ) − ċ(ti ) = 0
1
ist. Folglich ist c ∈ C ([a, b], M ). Da alle Teilstücke c|[ti ,ti+1 ] Geodätische sind
und Geodätische durch ihren Anfangstangentialvektor eindeutig bestimmt sind, ist
c eine Geodätische, insbesondere differenzierbar von der Klasse C ∞ . QED
Korollar 2. Seien N1 und N2 Untermannigfaltigkeiten von M mit positivem Abstand
dist(N1 , N2 ) := inf{d(p1 , p2 ) | pi ∈ Mi }.
(18.2.2)
Die stückweise differenzierbare, proportional zur Bogenlänge parametrisierte Kurve
c : [a, b] → M sei eine kürzeste Verbindung von N1 nach N2 , es gelte also c(a) ∈ N1 ,
c(b) ∈ N2 und L(c) = dist(N1 , N2 ). Dann ist c eine Geodätische, die auf N1 und
N2 senkrecht steht:
ċ(a) ⊥ Tc(a) N1
ċ(b) ⊥ Tc(b) N2 .
Beweis. Wegen L(c) = dist(N1 , N2 ) ≤ d(c(a), c(b)) und Korollar 1 ist c eine
Geodätische. Sei nun X1 ∈ Tc(a) N1 . Wir zeigen, dass g(X1 , ċ(a)) = 0 ist. Dazu
konstruieren wir eine Variation H von c mit Variationsvektorfeld V und mit den
Eigenschaften V (a) = X1 , H(s, a) ∈ N1 und H(s, b) = c(b) für alle s. Insbesondere ist dann V (b) = 0. Um eine solche Variation H zu erhalten, konstruiert
man zunächst mit Hilfe eines an N1 angepaßten Koordinatensystems um c(a) ein
Vektorfeld X ∈ V(M ) mit kompaktem Träger und mit X(c(a)) = X1 , dessen Einschränkung auf N1 tangentiell an N1 ist (vergleiche Satz 8.5). Ist Φ der Fluß von
X, dann definiert man H(s, t) = Φs (c(t)).
183
Wegen der Minimalität von c ist L(cs ) ≥ L(c) für alle s, und wegen ∇ċ/dt = 0
ergibt die erste Variationsformel
d L(cs )
0=
ds 0
1
=
g(V (b), ċ(b)) − g(V (a), ċ(a))
kċk
1
=−
g X1 , ċ(a) .
kċk
Also gilt ċ(a) ⊥ Tc(a) N1 , wie behauptet. QED
18.3. Das Gauß–Lemma. Für X ∈ Tp M sei ιX : Tp M → TX Tp M der kanonische
Isomorphismus aus (17.6.1). Das Skalarprodukt g(p) auf Tp M induziert mittels
dieser Isomorphismen ιX ein Skalarprodukt auf jedem der Räume TX Tp M , also
eine (flache) Riemannsche Metrik auf Tp M . Für die entsprechenden Normen gilt
dann kιX Y k = kY k. Die Vektoren der Gestalt λ ιX (X) ∈ TX Tp M mit λ ∈ R
bezeichnen wir als radiale Vektoren.
Lemma. Die Ableitung T exp der Exponentialabbildung bildet radiale Vektoren
längentreu nach T M ab:
k(T exp)ιX (X)k = kXk .
Beweis. Mit cX (t) = exp(tX) ist
d
k(T exp)ιX (X)k = (T exp) (X + tX) dt 0
d = exp(X + tX)
dt 0
d = exp(tX)
dt 1
= kċX (1)k = kċX (0)k
= kXk.
Gauß–Lemma. Sei X ∈ Tp M \{0} im Definitionsbereich der Exponentialabbildung
exp enthalten, und sei v ∈ TX Tp M orthogonal zum radialen Vektor w = ιX (X).
Dann ist auch (T exp)v orthogonal zu (T exp)w in Texp(X) M , also
g (T exp)v, (T exp)w = 0.
184
Beweis. Sei Y (s) eine Kurve in Tp M mit Y (0) = X, Ẏ (0) = v und mit konstanter Norm kY (s)k = kXk. Sei weiter H : (−ε, ε) × [0, 1] → M die Variation
H(s, t) = expp t Y (s). Dabei ist zu beachten, dass für hinreichend kleines ε > 0
alle Vektoren t Y (s) im Definitionsbereich der Exponentialabbildung liegen. Alle
Kurven cs = H(s, ·) sind Geodätische derselben Länge L(cs ) = kY (s)k = kXk. Für
das Variationsvektorfeld V (t) = ∂H/∂s(0, t) längs c0 gilt V (0) = 0 und
d V (1) =
exp(Y (s)) = (T exp)Ẏ (0) = (T exp)v.
ds 0
Außerdem ist
d exp(tX)
ċ0 (1) =
dt 1
d =
exp((1 + t)X)
dt 0
d (X + tX)
= (T exp)
dt 0
= (T exp)w.
Die erste Variationsformel ergibt nun
d 0=
L(cs )
ds 0
1
g(V (1), ċ0 (1)) − g(V (0), ċ0 (0))
=
kXk
1
=
g (T exp)v, (T exp)w ,
kXk
wie behauptet. QED
18.4. Minimaleigenschaft von Geodätischen. Sei T̃p M := Tp M ∩ T̃ M der
Definitionsbereich der Exponentialabbildung expp = exp |Tp M im Punkt p.
Satz 1. Sei c̃ : [a, b] → T̃p M eine stückweise differenzierbare Kurve mit Anfangspunkt c̃(a) = 0 und Endpunkt X = c̃(b). Sei c die Kurve c = exp ◦ c̃ in M ,
und sei γ : [0, 1] → M die Geodätische γ(t) = exp(tX). Dann gilt
L(γ) = kXk ≤ L(c).
Falls L(γ) = L(c) gilt und die Ableitung (T expp )c̃(s) für alle s ∈ [a, b] invertierbar
ist, dann existiert eine stückweise differenzierbare Funktion u : [a, b] → [0, 1] mit
Ableitung u0 ≥ 0 dergestalt, dass gilt
c̃(s) = u(s)X.
185
Die Kurve c ist also eine monotone Umparametrisierung der Geodätischen γ.
Wir bemerken, dass die Voraussetzung über die Invertierbarkeit von T expp insbesondere dann erfüllt ist, wenn das Bild c̃([a, b]) in einem Ball Bp (0, %) ⊆ Tp M
enthalten ist, dessen Radius % kleiner ist als der Injektivitätsradius inj(p) an p
(siehe Abschnitt 17.7).
Beweis. Indem man, falls nötig, zu einer Einschränkung von c̃ auf ein Teilintervall
[a1 , b] ⊆ [a, b] übergeht, kann man annehmen, dass c̃(s) 6= 0 ist für alle s > a. Für
s ∈ (a, b] ist dann c̃(s) = u(s)X(s), wobei die Funktion u(s) := kc̃(s)k / kXk positiv
und stückweise differenzierbar ist, und der Vektor
X(s) :=
kXk
c̃(s)
kc̃(s)k
konstante Norm kX(s)k = kXk hat. Mit Ausnahme der endlich vielen Stellen, an
denen c̃ nicht differenzierbar ist, gilt
˙
ċ(s) = (T expp )c̃(s) c̃(s).
Nun gilt allgemein für den Tangentialvektor einer Kurve Y (s) in einem Vektorraum
E stets
Ẏ (s) = ιY (s) Y 0 (s) ∈ TY (s) E,
wobei Y 0 (s) ∈ E die übliche Ableitung und ιY (s) den kanonischen Isomorphismus
E∼
= TY (s) E bezeichnet. Im vorliegenden Fall ergibt sich mit c̃(s) = u(s)X(s)
ċ(s) = (T exp)c̃(s) ιc̃(s) c̃0 (s)
= (T exp)c̃(s) ιc̃(s) u0 (s)X(s) + u(s)X 0 (s)
= (T exp)c̃(s) u0 (s) ιc̃(s) X(s) + u(s) ιc̃(s) X 0 (s) .
Der Vektor ιc̃(s) X(s) ist radial im Sinne von Abschnitt 18.3, und wegen kX(s)k =
const ist ιc̃(s) X 0 (s) orthogonal zur radialen Richtung. Mit den beiden Lemmata aus
18.3 folgt für s ∈ (a, b]
kċ(s)k =
2 1/2
|u0 (s)|2 kX(s)k2 + (T expp )c̃(s) u(s)ιc̃(s) X 0 (s) ≥ |u0 (s)| kX(s)k
≥ u0 (s) kXk .
Integration liefert für ε > 0
Z
b
ε
kċ(s)k ds ≥ (u(b) − u(ε)) kXk ,
186
(∗)
und im Grenzwert für ε → 0 folgt L(c) ≥ kXk = L(γ), wie behauptet. Gilt
L(c) = kXk, dann muss in (∗) die Gleichheit gelten, und daher insbesondere
(T expp )c̃(s) u(s)ιc̃(s) X 0 (s) = 0.
Aus der Bedingung an die Ableitung (T expp )c̃(s) und wegen u(s) > 0 ergibt sich,
dass X 0 (s) = 0 ist für alle s. Also ist X(s) = const = X, und damit
c̃(s) = u(s)X.
Die Gleichheit in (∗) ergibt weiter, dass u0 (s) = |u0 (s)| ist. Daher ist u0 ≥ 0, wie
behauptet. QED
Satz 2. Sei γ : [a, b] → M eine Geodätische mit Anfangspunkt p = γ(a) und
Endpunkt q = γ(b). Gilt L(γ) < inj(p), dann ist
L(γ) = d(p, q).
Jede stückweise differenzierbare Kurve c : [α, β] → M mit c(α) = p und c(β) = q
und L(c) = d(p, q) entsteht aus γ durch monotone Umparametrisierung. Es ist also
c(s) = γ(u(s)) für eine stückweise differenzierbare Funktion u : [α, β] → [a, b] mit
u0 ≥ 0.
Für Tangentialvektoren X ∈ Tp M mit Norm kXk < inj(p) gilt also
d(expp X, p) = kXk .
(18.4.1)
Insbesondere folgt (Aufgabe 2), dass für Radien r < inj(p) die Abstandssphären
S(p, r) := {q ∈ M | d(p, q) = r}
(18.4.2)
differenzierbare Untermannigfaltigkeiten von M sind, und zwar diffeomorphe Bilder
der Sphären
Sp (0, r) := {X ∈ Tp M | kXk = r}
(18.4.3)
um den Ursprung im Tangentialraum Tp M unter expp .
Kurven γ : [a, b] → M , deren Länge mit dem Abstand ihrer Endpunkte übereinstimmt, für die also L(γ) = d(γ(a), γ(b)) ist, nennt man Kürzeste. Der Satz besagt
also: Genügend kurze Abschnitte von Geodätischen sind Kürzeste, und zwar bis
auf monotone Umparametrisierungen die einzigen kürzesten Verbindungen ihrer
Endpunkte.
Beweis. Man kann annehmen, dass [a, b] = [0, 1] ist. Dann ist γ(t) = exp(tX) mit
dem Vektor X = γ̇(0), dessen Norm kXk = L(γ) < inj(p) erfüllt. Sei c : [α, β] → M
stückweise differenzierbar mit c(α) = p und c(β) = q, und sei % eine Zahl mit
187
L(γ) < % < inj(p). Falls nun c([α, β]) im Bild expp Bp (0, %) enthalten ist, dann
folgen die Behauptungen aus dem vorhergehenden Satz, angewandt auf die Kurve
c̃ := (expp )|Bp (0,%)
−1
◦ c.
Falls nicht, dann existiert ein Wert s ∈ (α, β) mit c(s) ∈ expp ∂Bp (0, %). Dabei
bezeichnet ∂Bp (0, %) den Rand des Balles Bp (0, %), also eine kompakte Menge. Sei
s0 die kleinste solche Zahl s. Aus Satz 1 folgt dann L(c) ≥ L(c|[α,s0 ] ) ≥ % > L(γ).
QED
Aufgaben
1. Torsionstensor. Zeigen Sie, dass die Verallgemeinerung von Gleichung (18.1.1)
für Zusammenhänge mit nicht notwendig verschwindendem Torsionstensor lautet
∂H ∂H ∇ ∂H
∇ ∂H
−
=T
,
.
∂s ∂t
∂t ∂s
∂s ∂t
2. Abstandssphären. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit, und sei p ∈
M . Zeigen Sie, dass für die Abstandssphären
S(p, r) = {q ∈ M | d(p, q) = r}
mit Radius r < inj(p) und die Sphären
Sp (0, r) = {X ∈ Tp M | kXk = r}
um den Ursprung im Tangentialraum Tp M gilt
expp (Sp (0, r)) = S(p, r).
3. Kurven ohne Umwege. Eine stetige Kurve c : [a, b] → M in einer Riemannschen Mannigfaltigkeit heiße eine Kurve ohne Umwege, wenn für alle a ≤ t1 ≤
t2 ≤ t3 ≤ b gilt
d(c(t1 ), c(t3 )) = d(c(t1 ), c(t2 )) + d(c(t2 ), c(t3 )).
Zeigen Sie: Ist c eine Kurve ohne Umwege, dann ist c([a, b]) im Bild einer Geodätischen enthalten.
Hinweis: Betrachten Sie zunächst den Fall d(c(a), c(b)) < inj(c(a)).
188
19. Vollständigkeit, konvexe Umgebungen
Typische Fragen der Riemannschen Geometrie im Großen oder der globalen Riemannschen Geometrie sind solche nach Zusammenhängen zwischen der Riemannschen Struktur und der topologischen Gestalt der unterliegenden Mannigfaltigkeit.
Beispiele für entsprechende Sätze haben wir in Kapitel 13 über Eiflächen bereits kennengelernt: Dort konnte etwa aus der Positivität der Gaußkrümmung geschlossen
werden, dass eine Fläche diffeomorph zur 2–Sphäre ist. Ähnliche Resultate gibt es
im allgemeineren Rahmen der Riemannschen Geometrie.
Nun zeigt bereits die Betrachtung offener Teilmengen des Rn , dass auch die “einfachsten” Riemannschen Mannigfaltigkeiten, nämlich die flachen, von sehr komplizierter topologischer Struktur sein können. Um zu sinnvollen Fragestellungen zu
gelangen, erlegt man daher den betrachteten Räumen zusätzliche Bedingungen auf,
so wie wir schon bei den Eiflächen deren Kompaktheit vorausgesetzt haben. Die
wichtigste dieser Bedingungen ist die der Vollständigkeit einer Riemannschen Mannigfaltigkeit. In diesem Kapitel führen wir den Begriff der Vollständigkeit ein und
beweisen den grundlegenden Satz von Hopf und Rinow, der verschiedene Charakterisierungen der Vollständigkeit zum Gegenstand hat. Anschließend vertiefen wir
unser Studium der Normalkoordinaten im Riemannschen Fall und beweisen die
Existenz konvexer Umgebungen.
In diesem Kapitel bezeichnen weiterhin (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit,
d ihre Abstandfunktion, ∇ ihren Levi–Civita–Zusammenhang, und exp : T̃ M → M
die Exponentialabbildung von ∇ mit ihrem maximalen Definitionsbereich T̃ M .
19.1. Surjektivität der Exponentialabbildung. Für p ∈ M und % > 0 betrachten wir die Bälle
Bp (0, %) = {X ∈ Tp M | kXk < %}
in Tp M und
B(p, %) = {q ∈ M | d(p, q) < %}
in M . Da die Geodätische c : [0, 1] → M mit c(t) = expp tX die Punkte p und
expp X verbindet und die Länge L(c) = kXk hat, gilt
d(expp X, p) ≤ kXk ,
und daher ist
expp (Bp (0, %) ∩ T̃ M ) ⊆ B(p, %).
Diese Inklusion ist im allgemeinen echt, wie man sich am Beispiel offener Teilmengen
M ⊆ Rn klarmacht. Der folgende Satz besagt aber, dass zwischen diesen Mengen
Gleichheit besteht, sobald Bp (0, %) ⊆ T̃ M ist.
Version 5. Juni 2000
189
Satz. Sei Bp (0, %) ⊆ Tp M im Definitionsbereich T̃ M der Exponentialabbildung
expp enthalten. Dann existiert zu jedem Punkt q ∈ B(p, %) eine nach der Bogenlänge
parametrisierte Kürzeste c : [0, l] → M , c(t) = expp (tX) mit c(l) = q. Insbesondere
ist
exp Bp (0, %) = B(p, %).
(19.1.1)
Beweis. Sei q ∈ B(p, %), und sei l := d(p, q) der Abstand von p und q. Wir wählen
eine Zahl ε mit 0 < ε < min{inj(p), l}. Da die Abstandssphäre (vergleiche Kapitel
18, Aufgabe 2)
S(p, ε) = exp Sp (0, ε) = {r ∈ M | d(r, p) = ε}
kompakt ist, existiert ein Punkt p1 ∈ S(p, ε) mit minimalem Abstand zu q, also
d(p1 , q) = min{d(x, q) | x ∈ S(p, ε)}.
Sei X ∈ Tp M der Einheitsvektor mit exp(εX) = p1 , und sei c : [0, l] → M die Geodätische c(t) = expp (tX). Dann ist c nach der Bogenlänge parametrisiert. Wir
werden zeigen, dass c(l) = q ist. Wegen L(c) = l = d(p, q) ist dann c eine Kürzeste
von p nach q.
Um c(l) = q zu zeigen, betrachten wir die Menge A ⊆ [0, l] derjenigen t, für die gilt
d(c(t), q) = l − t.
(∗)
Diese Menge ist offenbar abgeschlossen. Sie enthält ε, denn da jede Verbindungskurve von p nach q die Abstandssphäre S(p, ε) schneiden muss, gilt
l = d(p, q)
= ε + min d(x, q)
x∈S(p,ε)
= ε + d(p1 , q)
= ε + d(c(ε), q).
Sei t0 das Maximum von A. Dann ist jedenfalls t0 ≥ ε. Wir zeigen t0 = l. Daraus
folgt dann d(c(l), q) = 0, wie behauptet.
Wir nehmen dazu an, t0 sei kleiner als l. Sei p2 = c(t0 ). Dann ist p2 =
6 q. Wir
wählen eine Zahl δ mit 0 < δ < min{inj(p2 ), d(p2 , q)}, und einen Punkt p3 ∈ S(p2 , δ)
mit
d(p3 , q) = min{d(x, q) | x ∈ S(p2 , δ)}.
Wie vorher folgt d(p2 , q) = δ + d(p3 , q). Wegen t0 ∈ A gilt d(p2 , q) = l − t0 , und
daher
d(p3 , q) = l − t0 − δ.
(∗∗)
190
Daraus folgt zunächst d(p, p3 ) ≥ d(p, q) − d(q, p3 ) = t0 + δ. Andererseits hat die
stückweise differenzierbare Kurve c̃ : [0, t0 + δ] → M , bestehend aus c|[0,t0 ] gefolgt
von der kürzesten Geodätischen σ von p2 nach p3 , die Länge t0 + δ und verbindet p
mit p3 . Also ist c̃ eine Kürzeste, und damit nach Korollar 1 in Abschnitt 18.3 eine
Geodätische. Folglich ist c̃ = c|[0,t0 +δ] und daher c(t0 + δ) = p3 . Nun liefert (∗∗)
d(c(t0 + δ), q) = l − (t0 + δ).
Also ist t0 + δ ∈ A, aber das widerspricht der Maximalität von t0 . QED
19.2. Der Satz von Hopf und Rinow. Eine Riemannsche Mannigfaltigkeit (oder
ihre Riemannsche Metrik) heißt vollständig, wenn ihr Levi–Civita–Zusammenhang
vollständig ist, wenn also der Definitionsbereich T̃ M der Exponentialabbildung exp
mit ganz T M übereinstimmt.
Satz. Sei (M, g) eine zusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeit. Dann
sind folgende Aussagen äquivalent.
(a) Es existiert ein Punkt p ∈ M mit der Eigenschaft, dass Tp M im Definitionsbereich von exp enthalten ist.
(b) Jede abgeschlossene beschränkte Teilmenge A ⊆ M ist kompakt (Heine–Borel–
Eigenschaft).
(c) (M, d) ist eine vollständiger metrischer Raum, d.h. alle Cauchyfolgen in M
konvergieren.
(d) (M, g) ist eine vollständige Riemannsche Mannigfaltigkeit.
Wenn die Aussagen (a)–(d) zutreffen, dann gilt auch
(e) Je zwei Punkte von M können durch eine kürzeste Geodätische verbunden werden. Insbesondere ist exp(Tp M ) = M für jeden Punkt p ∈ M .
Bemerkungen. (i) Kompakte metrische Räume sind vollständig. Aus dem Satz
folgt daher, dass auf einer kompakten Mannigfaltigkeit jede Riemannsche Metrik
vollständig ist.
(ii) Abgeschlossene Untermannigfaltigkeiten N ⊆ M vollständiger Riemanscher
Mannigfaltigkeiten M sind bezüglich der induzierten Riemannschen Metrik selbst
vollständig. Das liegt daran, dass sich die Heine Borel–Eigenschaft von M auf N
überträgt: Für die Abstandsfunktion dN auf N gilt offenbar dN (p, q) ≥ d(p, q) für
alle p, q ∈ N . Ist daher A ⊆ N abgeschlossen und bezüglich dN beschränkt, so ist
A auch in M abgeschlossen und bezüglich d beschränkt, also kompakt.
(iii) Das Beispiel der offenen Einheitskreisscheibe B(0, 1) ⊆ R2 mit der Standardmetrik zeigt, dass Eigenschaft (e) des Satzes nicht die anderen Eigenschaften impliziert. Entfernt man aus der Standardsphäre S 2 eine sphärische Kreisscheibe,
deren Radius kleiner ist als der einer Hemisphäre, dann erhält man eine Riemannsche Mannigfaltigkeit mit folgender Eigenschaft: Je zwei Punkte können durch
eine Geodätische verbunden werden, aber nicht notwendig durch eine Kürzeste.
191
(iv) Die Aussagen des Satzes lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Zusammenhänge übertragen. Sei etwa ∇0 der kanonische Zusammenhang einer Liegruppe
G. Nach Abschnitt 17.8 ist ∇0 vollständig. Dennoch ist die Exponentialabbildung
exp : Te G → G auch für zusammenhängende G nicht immer surjektiv. Sei etwa
G = GL+ (2, R) = {a ∈ GL(2, R) | det(a) > 0}.
Dann ist G zusammenhängend, aber der Punkt
−2
0
a=
0 −1
ist nicht im Bild von expe enthalten. Wäre nämlich a = exp X, dann hätte man
a = exp( 12 X) exp( 21 X) = b2 mit einem b ∈ GL(2, R), woraus man leicht einen
Widerspruch herleitet. Andererseits zeigt man mit Hilfe der Jordanschen Normalform unschwer, dass die Exponentialabbildung der Liegruppe GL(n, C) surjektiv
ist.
Wir kommen zum Beweis des Satzes.
S
(d)⇒(e) Da M wegzusammenhängend ist, gilt M = %>0 B(p, %). Die Behauptung
folgt aus dem Satz in 19.1.
(a)⇒(b) Sei A ⊆ M abgeschlossen und beschränkt. Da A beschränkt ist, gilt
A ⊆ B(p, %) für hinreichend große Radien %. Und da A abgeschlossen ist, ist auch
−1
das Urbild exp−1
p (A) abgeschlossen in Tp M . Folglich ist à := expp (A) ∩ B̄(0, %)
eine beschränkte und abgeschlossene Teilmenge von Tp M , also kompakt. Nach 19.1
ist exp(Ã) = A, also ist A als Bild einer kompakten Menge unter einer stetigen
Abbildung ebenfalls kompakt.
(b)⇒(c) Jede Cauchyfolge (pn )n∈N ist beschränkt. Folglich ist auch der Abschluss
der Menge {pn | n ∈ N} beschränkt und zugleich abgeschlossen, also nach (b) kompakt. Daher besitzt (pn ) eine konvergente Teilfolge. Da Cauchyfolgen höchstens
einen Häufungspunkt haben können, ist die Folge (pn ) selbst konvergent.
(c)⇒(d) Sei X ∈ T M, und sei JX ⊆ R das maximale Definitionsintervall der Geodätischen c(t) = exp tX. Wir zeigen JX = R. Wegen JaX = aJX (siehe 17.2) kann
man annehmen, dass kXk = 1 ist. Dann ist c nach der Bogenlänge parametrisiert.
Wir führen die Annahme eines endlichen Supremums t0 := sup(JX ) < ∞ zu einem
Widerspruch. Sei dazu tj ∈ JX eine Folge mit limj→∞ tj = t0 . Dann gilt
d c(tj ), c(tk ) ≤ L c|[tj ,tk ] = |tj − tk | .
Also ist c(tj ) eine Cauchyfolge in M . Sei q ihr Grenzwert, und sei ε > 0 so klein
gewählt, dass der abgeschlossene Ball B := B̄(q, ε) kompakt ist. Nach 19.1 ist das
der Fall, wenn für ein ε0 > ε der Ball B(0, ε0 ) ⊆ Tq M im Definitionsbereich von
expq enthalten ist. Indem man ε nötigenfalls verkleinert, kann man annehmen, dass
die Menge
{X ∈ T M | π(X) ∈ B und kXk < ε}
192
in T̃ M enthalten ist. Geodätische γ mit γ(0) ∈ B und kγ̇(0)k = 1 sind also
zumindest auf dem Intervall (−ε, ε) definiert. Wir wählen t0 mit t0 − 2ε < t0 < t0 .
Dann ist c(t0 ) ∈ B, weil
d(c(t0 ), q) = lim d(c(t0 ), c(ti )) ≤ lim |t0 − ti | < ε/2.
i→∞
i→∞
Sei γ : (−ε, ε) → M die Geodätische mit γ̇(0) = ċ(t0 ). Dann ist die Kurve
c̃(t) =
c(t),
falls 0 ≤ t ≤ t0
0
γ(t − t ), falls t0 ≤ t < t0 + ε
eine auf [0, t0 +ε) definierte Fortsetzung von c. Es folgt t0 + 2ε ∈ JX , im Widerspruch
zu t0 + 2ε > t0 = sup JX .
(d)⇒(a) Offensichtlich. QED
19.3. Konvexe Umgebungen. Da der Torsionstensor des Levi–Civita–Zusammenhanges verschwindet, ist die Hessesche ∇df jeder Funktion f ∈ C ∞ (M ) (siehe
14.8) ein symmetrisches (2, 0)–Tensorfeld. Die Funktion f heißt konvex auf M , wenn
(∇df )(p) für jeden Punkt p ∈ M positiv semidefinit ist. Sie heißt streng konvex,
wenn ∇df überall positiv definit ist.
Lemma 1. Eine Funktion f ∈ C ∞ (M ) ist genau dann streng konvex, wenn für
jede nichtkonstante Geodätische c in M gilt
d2
(f ◦c) > 0.
dt2
Beweis. Zunächst ist die erste Ableitung (d/dt)f (c(t)) = df (ċ(t)). Nun verwenden
wir die kovariante Ableitung von Tensorfeldern längs Kurven aus 15.4:
∇
d2
f (c(t)) =
df (ċ(t))
2
dt
dt
∇ċ ∇(df )
=
(ċ(t)) + df
(t)
dt
dt
= ∇ċ(t) df (ċ(t))
= (∇df )(ċ(t), ċ(t)).
Die Behauptung folgt. QED
Riemannsche Normalkoordinaten mit Zentrum p ∈ M sind lokale Koordinatensysteme ϕ : B(p, %) → Rn der Form
−1
ϕ = A ◦ expp Bp (0,%)
193
(19.3.1)
mit einer linearen Isometrie A : Tp M → Rn . Dabei ist der Radius % höchstens
gleich dem Injektivitätsradius inj(p) der Exponentialabbildung im Punkt p, und
der Definitionsbereich von ϕ ist nach (19.1.1) der Ball B(p, %).
Lemma 2. Sei p ∈ M und sei % = inj(p). Dann ist die Funktion f (q) = (d(p, q))2
differenzierbar auf dem Ball B(p, %). Es existiert ein Radius %1 ≤ inj(p) dergestalt,
dass f auf B(p, %1 ) streng konvex ist.
Für %1 lassen sich explizite Werte angeben, in die ausser inj(p) die Krümmungseigenschaften der Riemannschen Metrik eingehen. Wir werden später auf diesen
Punkt zurückkommen.
Beweis. Seien ϕ : B(p, %) → Rn Riemannsche Normalkoordinaten wie in (19.3.1).
In diesen Koordinaten gilt nach (18.4.2)
f ◦ ϕ−1 (x) = kxk2 =
Xn
i=1
(xi )2 .
(19.3.2)
Also ist f differenzierbar auf B(p, %). Mit Gleichung (14.8.3) ergibt sich
∇df = (∂i ∂j f − Γij k ∂k f ) dxi ⊗ dxj
= 2(δij − Γij k xk ) dxi ⊗ dxj .
Die Christoffelsymbole sind stetige Funktionen, also insbesondere beschränkt auf
kompakten Umgebungen von p. Der Term Γij k xk konvergiert deshalb mit x gleichmäßig gegen Null. Für hinreichend klein gewählte Radien %1 ≤ inj(p) ist daher die
Hessesche ∇df positiv definit auf B(p, %1 ). QED
Eine Teilmenge A ⊆ M heißt stark konvex, wenn folgende Bedingung erfüllt ist:
Für je zwei Punkte p, q ∈ A existiert genau eine Geodätische c : [0, l] → M in M
mit c(0) = p, c(l) = q, kċk = 1 und L(c) = d(p, q), und das Bild c([0, l]) dieser
Geodätischen ist in A enthalten.
Etwas ungenau formuliert bedeutet diese Bedingung: Je zwei Punkte in A können
durch genau eine kürzeste Geodätische in M verbunden werden, und diese liegt
in A. Wir weisen darauf hin, dass in der Literatur inäquivalente Definitionen des
Begriffes des starken Konvexität existieren.
Satz 1. Zu jedem Punkt p ∈ M existiert eine Zahl %0 > 0 mit der Eigenschaft,
dass für jeden Radius % ≤ %0 der Ball B(p, %) stark konvex ist.
Beweis. Nach Satz 2 in Abschnitt 17.7 existieren Zahlen %2 und δ > 0 mit folgenden
Eigenschaften: Für alle q ∈ B(p, %2 ) ist der Injektivitätsradius inj(q) ≥ δ, und zu je
zwei Punkten q, r ∈ B(p, %2 ) existiert genau ein Vektor X ∈ Tq M mit kXk < δ und
expq (X) = r. Wegen δ ≤ inj(q) und Gleichung (18.4.1) ist dann kXk = d(q, r) <
2%2 . Wir erhalten damit als vorläufiges Resultat:
194
Zu jedem Punkt p ∈ M existiert ein Radius %2 > 0 dergestalt, dass
je zwei Punkte q, r ∈ B(p, %2 ) durch genau eine Kürzeste c in M
miteinander verbunden werden können.
Mit %2 hat offensichtlich auch jede Zahl 0 < % ≤ %2 diese Eigenschaft. Es bleibt
zu zeigen, dass nach eventueller Verkleinerung von %2 die Kürzesten c ganz im Ball
B(p, %2 ) verlaufen.
Sei %1 > 0 ein Radius wie in Lemma 2, so dass die quadrierte Abstandsfunktion
f (q) = (d(p, q))2 auf B(p, %1 ) streng konvex ist. Wir zeigen, dass die Zahl
%0 := min{%1 /3, %2 }
die im Satz behauptete Eigenschaft hat. Sei dazu % ≤ %0 . Dann können je zwei
Punkte q, r ∈ B(p, %) durch eine kürzeste Geodätische c : [a, b] → M verbunden
werden. Wegen L(c) = d(q, r) < 2% und d(p, q) < % ist c ganz im Ball B(0, 3%) ⊆
B(0, %1 ) enthalten. Mit Lemma 1 folgt
d2
f (c(t)) > 0.
dt2
Die Funktion f (c(t)) = (d(c(t), p))2 nimmt daher ihr Maximum in einem der Randpunkte a oder b an. In diesen Punkten hat sie Werte < %2 . Also ist d(c(t), p) < %
auf [a, b], und damit c in B(p, %) enthalten. QED
Die folgende Erweiterung von Satz 1 besagt, dass sich ein Radius ρ0 wie in Satz 1
für alle Punkte einer kompakten Teilmenge von M gemeinsam wählen lässt.
Satz 2. Zu jeder kompakten Teilmenge A ⊆ M existiert eine Zahl %0 > 0 mit der
Eigenschaft, dass für jeden Radius % ≤ %0 und jeden Punkt p ∈ A der Ball B(p, %)
stark konvex ist.
Der Beweis folgt dem von Satz 1. Dabei ist zu überprüfen, dass sich die Zahlen %1 , %2
und δ für alle Punkte p ∈ A gemeinsam wählen lassen. Für %2 und δ ergibt sich das
ohne weiteres aus 17.7. Für den Radius ρ1 aus Lemma 2 benötigt man gleichmässige
obere Schranken für Ausdrücke Γij k xk , und zwar mit Christoffelsymbolen, die zu
verschiedenen Normalkoordinatensystemen mit Zentren p ∈ A gehören. Auf offenen
Teilmengen U von M , auf welchen ein differenzierbares orthonormales Repèrefeld
X1 , . . . , Xn existiert, kann man wie folgt vorgehen: Für p ∈ U sei Ap : Tp M →
Rn die lineare Isometrie, welchen X1 (p), . . . , Xn (p) in die Standardbasis des Rn
abbildet. Dann hat man Normalkoordinaten
ϕp = Ap ◦ (expp |Bp (0,δ) )−1
mit Zentrum p. Seien Γij k (p, q) die Christoffelsymbole zur Karte ϕp , ausgewertet
an der Stelle q. Dann ist die Funktion (p, q) 7→ Γij k (p, q) differenzierbar auf ihrem
195
Definitionsbereich, insbesondere also beschränkt auf kompakten Teilen. Man erhält
die gewünschten Schranken auf U , und damit auch auf jedem Kompaktum.
Aufgaben
1. Starke Konvexität. Für welche Radien % sind Abstandsbälle B(p, %) auf einem
Kreiszylinder oder einem Kreiskegel mit Öffnungswinkel α im R3 stark konvex?
2. Vollständige Metriken. Zeigen Sie, dass auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit vollständige Riemannsche Metriken existieren. Hinweis: Einbettungssatz
von Whitney.
3. Konvexe Bälle. Führen Sie die Einzelheiten des skizzierten Beweises von Satz
2 aus.
4. Beschränkte Vektorfelder. Ein Vektorfeld X auf einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g) heißt beschränkt, wenn die Funktion kXk = g(X, X)1/2 auf M
beschränkt ist. Zeigen Sie, dass eine Riemannschen Mannigfaltigkeit M genau dann
vollständig ist, wenn jedes beschränkte Vektorfeld auf M vollständig ist.
5. Divergente Kurven. Eine Kurve c : [0, ∞) → M heisse divergent, wenn sie
eine eigentliche Abbildung ist (Kapitel 4, Aufgabe 4), wenn also das Urbild c−1 (A)
jeder kompakten Teilmenge A ⊆ M kompakt ist. Zeigen Sie: Eine Riemannsche
Mannigfaltigkeit M ist genau dann vollständig, wenn jede divergente differenzierbare Kurve in M unendliche Länge hat.
196
20. Krümmung Riemannscher Mannigfaltigkeiten
Als Krümmungstensor R einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g) bezeichnet
man den Krümmungstensor ihres Levi–Civita–Zusammenhanges. Er besitzt Symmetrieeigenschaften, die zur Folge haben, dass R sich vollständig durch eine reellwertige Funktion beschreiben lässt, die Schnittkrümmung K von (M, g). Diese
Funktion K, welche die Gaußkrümmung einer Fläche im R3 verallgemeinert, ist
allerdings nicht auf M selbst definiert, sondern auf der Menge aller zweidimensionalen Untervektorräume sämtlicher Tangentialräume Tp M . Durch Spurbildung
erhält man aus dem Krümmungstensor ein symmetrisches (2, 0)–Tensorfeld Ric,
den Riccitensor , welcher zuerst durch sein Auftreten in den Feldgleichungen der
Gravitation Prominenz erlangt hat. Durch erneute Kontraktion entsteht aus Ric
die Skalarkrümmung.
Nach der Behandlung dieser allgemeinen Begriffe gehen wir auf die zweite Fundamentalform und die Krümmung von Untermannigfaltigkeiten Riemannscher Mannigfaltigkeiten ein. Indem wir die Resultate auf den Fall von Hyperflächen, also
Untermannigfaltigkeiten der Kodimension eins, spezialisieren, schließen wir an die
Krümmungstheorie der Flächen aus Kapitel 12 an.
Im Folgenden ist (M, g) eine n–dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit, ∇ ihr
Levi–Civita–Zusammenhang, und R der Krümmungstensor von ∇. Wir schreiben
gelegentlich hX, Y i = g(X, Y ) für das durch die Riemannsche Metrik gegebene
Skalarprodukt von Vektoren oder Vektorfeldern X und Y .
20.1. Krümmungsidentitäten. Sei R der Krümmungstensor der Riemannschen
Mannigfaltigkeit (M, g). Dann gilt für alle Vektorfelder X, Y, Z ∈ V(M )
(a) R(X, Y )Z = −R(Y, X)Z
(b) g(R(X, Y )Z, W ) = −g(R(X, Y )W, Z)
(c) g(R(X, Y )Z, W ) = g(R(Z, W )X, Y )
(d) R(X, Y )Z + R(Y, Z)X + R(Z, X)Y = 0
(e) (∇X R)(Y, Z) + (∇Y R)(Z, X) + (∇Z R)(X, Y ) = 0.
Dabei ist, entsprechend der Produktregel für ∇X , die Abbildung (∇X R)(Y, Z) :
V(M ) → V(M ) gegeben durch
(∇X R)(Y, Z)W =∇X (R(Y, Z)W ) − R(∇X Y, Z)W
− R(Y, ∇X Z)W − R(Y, Z)∇X W.
Die Identität (a) gilt allgemeiner für beliebige Zusammenhänge, und (b) für solche,
die mit g verträglich sind. Beziehungen (d) und (e) gelten für beliebige torsionsfreie
Version 26. Juni 2000
197
Zusammenhänge, und (c) für den Levi–Civita–Zusammenhang der Riemannschen
Metrik. Gleichung (d) heißt die erste, (e) die zweite Bianchi–Identität. Die beiden Bianchi–Identitäten, die wir hier nur im Nachhinein verifizieren, erscheinen auf
natürliche Weise bei der Behandlung von Zusammenhängen im Kalkül der Differentialformen.
Beweis. (a) folgt sofort aus der Definition
R(X, Y )Z = ∇X ∇Y Z − ∇Y ∇X Z − ∇[X,Y ] Z,
und (b) wurde in (16.4.4) bewiesen. Den Nachweis von (d) und (e) vereinfacht sich
mit folgendem
Standardargument: Um die Identität zweier Tensoren nachzuweisen,
genügt es, zu zeigen, dass ihre Komponenten im Zentrum von Normalkoordinaten übereinstimmen.
Zum Beweis von (e) sei etwa p ∈ M . Wir wählen Normalkoordinaten mit Zentrum
p. Da ∇ torsionsfrei ist, gilt Γij k (p) = 0, und für die Komponenten von ∇R in p
folgt nach Gleichung (14.7.3)
Rijk l ,m (p) = ∂m Rijk l (p).
Zu zeigen ist, dass die Komponenten der linken Seite von (e) verschwinden, dass
also gilt
Rijl m ,k + Rjkl m ,i + Rkil m ,j = 0.
(20.1.1)
Im Punkt p ist mit (16.2.2)
Rijl m ,k = ∂k Rijl m
= ∂k (∂i Γjl m − ∂j Γil m + Γjl q Γiq m − Γil q Γjq m )
= ∂k ∂i Γjl m − ∂k ∂j Γil m .
Die Behauptung (20.1.1) folgt ohne Mühe. Schließlich ergibt sich (c) aus (a), (b)
und (d). Wir schreiben dazu abkürzend XY ZW := g(R(X, Y )Z, W ). Nach der
ersten Bianchi–Identität (d) gilt
XY ZW + Y ZXW + ZXY W = 0
Y ZW X + ZW Y X + W Y ZX = 0
ZW XY + W XZY + XZW Y = 0
W XY Z + XY W Z + Y W XZ = 0.
Addition dieser Gleichungen liefert ZXY W + Y W XZ = 0 und damit (c). QED
20.2. Ergänzungen zur Tensorrechnung. Sei zunächst ∇ ein beliebiger Zusammenhang auf M . Bereits in 14.6 haben wir die kovariante Ableitung von Tensorfeldern kennengelernt. Ist zum Beispiel A ein (2, 1)–Tensorfeld, dann ist ∇A ein
(3, 1)–Tensorfeld mit Komponenten
Ai1 i2 j ,k = ∂k Ai1 i2 j − Γki1 l Ali2 j − Γki2 l Ai1 l j + Γkl j Ai1 i2 l .
198
Ist insbesondere ∇ torsionsfrei, dann gilt im Zentrum p von Normalkoordinaten
Γij k (p) = 0, und die kovariante Ableitung reduziert sich in p auf die gewöhnliche
Ableitung der Komponentenfunktionen. Die Produktregel
∇X (A ⊗ B) = (∇X A) ⊗ B + A ⊗ (∇X B)
lautet in Komponenten
(Ai1 i2 j1 Bi3 j2 ),k = Ai1 i2 j1,k Bi3 j2 + Ai1 i2 j1 Bi3 j2,k
und da alle Kontraktionen mit kovarianter Ableitung vertauschen, kann man unzweideutig
Aij i ,k
für die Komponenten des Tensorfeldes ∇C11 A = C11 ∇A schreiben. Schließlich bemerken wir noch, dass Symmetrien unter kovarianter Ableitung erhalten bleiben:
Aij = Aji impliziert Aij,k = Aji,k , weil mit dem Tensor Bij = Aij − Aji auch die
kovariante Ableitung Bij,k verschwindet.
Sei nun g eine Riemannsche Metrik. Das Skalarprodukt g(p) auf Tp M induziert
ein Skalarprodukt ǧ(p) auf dem Dualraum Tp∗ M , das durch folgende Eigenschaft
eindeutig bestimmt ist: Ist e1 , . . . , en eine Orthonormalbasis von Tp M , dann ist die
duale Basis e∗1 , . . . , e∗n eine Orthonormalbasis von Tp∗ M bezüglich ǧ(p).
Lemma. (a) Ist in lokalen Koordinaten g = gij dxi ⊗ dxj , dann gilt ǧ = g ij ∂i ⊗ ∂j ,
wobei g ij die zu gij inverse Matrix ist.
(b) Gilt ∇g = 0, dann ist auch ∇ǧ = 0.
Beweis. (a) Seien ǧ ij die Komponenten von ǧ. Wir zeigen gij ǧ jk = δi k . Zu diesem
Zweck betrachten wir die (unabhängig vom Koordinatensystem wohldefinierten)
Tensorfelder A = gij ǧ jk dxi ⊗ ∂k und E = δi k dxi ⊗ ∂k und zeigen, dass A = E
ist. Sei dazu p ∈ M . Dann existiert ein Koordinatensystem an p, so dass für die
entsprechenden Komponenten von g gilt gjk (p) = δjk . Dann ist offensichtlich auch
ǧ jk = δ jk , und es folgt A(p) = E(p).
(b) Nach der Produktregel gilt
0 = (g ij gjk ),l
= g ij,l gjk + g ij gjk,l
= g ij,l gjk .
Multiplikation beider Seiten mit g km mit anschließender Summation über k ergibt
0 = g im ,l , und mit (a) folgt ǧ im ,l = 0. QED
Sei nun etwa
A = Aij k dxi ⊗ dxj ⊗ ∂k
199
ein (2, 1)–Tensorfeld auf (M, g). Dann sind
C12 (ǧ ⊗ A) = g il Alj k ∂i ⊗ dxj ⊗ ∂k
C11 (g ⊗ A) = gkl Aij l dxi ⊗ dxj ⊗ dxk
ebenfalls Tensorfelder, deren Komponenten man kurz mit
Ai j k := g il Alj k
Aijk := gkl Aij
und
l
(20.2.1)
bezeichnet. Solche Operationen nennt man das Herauf- bzw. Herunterziehen eines
Index. Man beachte, dass g ij selbst durch zweimaliges Heraufziehen eines Index
aus gij entsteht—die Notation ist insofern konsistent, wird aber unbrauchbar, wenn
nicht klar ist, welche Riemannsche Metrik g verwendet wird. Im Zweifelsfall wird
man daher auf Abkürzungen wie in (20.2.1) verzichten.
Bemerkung. Gilt ∇g = 0, dann vertauscht das Herauf- und Herunterziehen von
Indizes mit der kovarianten Ableitung. Denn es ist zum Beispiel
∇(C12 (ǧ ⊗ A)) = C12 ∇(ǧ ⊗ A) = C12 (ǧ ⊗ ∇A)
weil auch ∇ǧ = 0 ist. Falls ∇g 6= 0 ist, dann ist eine Schreibweise wie Ai j k ,l
zweideutig, weil nicht klar ist, ob zuerst kovariant abgeleitet und dann der Index heraufgezogen werden soll oder umgekehrt, ob also g mi Amj k,l gemeint ist oder
(g mi Amj k ),l . Aus diesem Grund werden wir diese Notation in Zukunft nur bei Rechnungen verwenden, in denen ausschließlich der Levi–Civita–Zusammenhang von g
vorkommt.
Beispiele: Gradient, Divergenz, Laplaceoperator. (a) Der Gradient gradf ∈
V(M ) einer Funktion f ist dadurch charakterisiert, dass für alle Vektorfelder X auf
M gilt
g(grad f, X) = (df )(X).
(20.2.2)
In lokalen Koordinaten ist gradf = f, k ∂k wobei die f, k aus den Komponenten f,k =
∂k f des Differentials df durch Heraufziehen des Index entstehen:
f, k = g jk f,j
(b) Die Spur der zweiten kovarianten Ableitung von Funktionen f ∈ C ∞ (M ) liefert
den Laplace–Operator
∆f = −Spurg (∇df ) = −g jk f,jk .
(20.2.3)
div(X) = Spur ∇X = X k ,k
(20.2.4)
Bezeichnet
200
die Divergenz eines Vektorfeldes X, dann gilt offenbar
∆f = −f,k k = −f, k k = −div gradf.
(20.2.5)
Wir besprechen abschließend das Skalarprodukt von Tensoren auf einer Riemannschen Mannigfaltigkeit. Die Metrik g(p) induziert ein Skalarprodukt auf dem Raum
Trs (Tp M ) =
Or
Tp∗ M ⊗
Os
Tp M,
welches durch folgende Eigenschaft eindeutig bestimmt ist: Ist e1 , . . . , en eine Orthonormalbasis von Tp M und ist e∗1 , . . . , e∗n die duale Basis von Tp∗ M , dann bilden
die Tensoren
e∗i1 ⊗ · · · ⊗ e∗ir ⊗ ei1 ⊗ · · · ⊗ eis
eine Orthonormalbasis von Trs (M ). Man sieht leicht, dass das Skalarprodukt zweier
(r, s)–Tensoren A und B durch ihre Komponenten bezüglich lokaler Koordinaten
gegeben ist durch
hA, Bi = Ai1 ···ir j1 ···js B i1 ···ir j1 ···js
= Ai1 ···ir j1 ···js Bk1 ···kr l1 ···ls g i1 k1 · · · g ir kr gj1 l1 · · · gjs ls .
(20.2.6)
Bezüglich dieser Skalarprodukte ist das Heben und Senken von Indizes isometrisch,
erhält also die Norm eines Tensors. Insbesondere gilt für Differential und Gradient
einer Funktion kdf k = kgradf k = f,i f, i .
20.3. Riccitensor und Skalarkrümmung. Sei R der Krümmungstensor von
(M, g). Dann heißt das aus R durch Kontraktion über den ersten unteren und den
oberen Index entstehende symmetrische (2, 0)–Tensorfeld Ric = C11 R der Riccitensor der Riemannschen Mannigfaltigkeit. Es gilt also
Ric(X, Y ) = Spur(R(·, X)Y ),
(20.3.1)
und in lokalen Koordinaten ist Ric = Rij dxi ⊗ dxj mit den Komponenten
Rij = Rkij k .
(20.3.2)
Man sieht mit Hilfe der Krümmungsidentitäten aus 20.1 leicht ein, dass die anderen
möglichen Kontraktionen von R entweder Null oder bis auf ein Vorzeichen ebenfalls
Ric ergeben. Durch Spurbildung bezüglich der Metrik g erhält man aus Ric eine
Funktion
scal = Spurg Ric = g ij Rij .
(20.3.3)
Dabei sind g ij wie in 20.2 die Koeffizienten der zu gij inversen Matrix. Die Funktion
scal heißt die Skalarkrümmung von (M, g).
201
Ist speziell g die erste Fundamentalform einer Fläche M ⊆ R3 , dann zeigt Gleichung
(12.7.5) für die Gaußkrümmung K, dass der Riccitensor Ric = Kg ist und scal =
2K.
Lemma. (a) Für die kovariante Ableitung des Riccitensors gilt
Rij, j =
1
scal,i .
2
(20.3.4)
(b) Ist Ric = % g mit einer Funktion % auf M , dann gilt scal = n%. Ist außerdem
die Dimension n ≥ 3 und ist M zusammenhängend, dann ist % konstant.
Riemannsche Metriken g, für die Ric = % g gilt mit einer Konstanten %, heißen Einsteinmetriken. Es ist nicht bekannt, ob auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit
der Dimension ≥ 5 solche Metriken existieren.
Beweis. Die zweite Bianchi–Identität 20.1(e) lautet in lokalen Koordinaten
Rijk m ,l + Rjlk m ,i + Rlik m ,j = 0.
Man erhält
scal,l = g jk Rjk,l
= g jk Rijk i ,l
= −g jk (Rjlk i ,i + Rlik i ,j )
= −g jk g im (Rjlkm,i + Rlikm,j )
= g jk g im (Rjlmk,i + Rilkm,j )
= g im Rlm,i + g jk Rlk,j
= 2Rlk, k
und damit (a). Ist Ric = % g, dann gilt
scal = g jk Rjk = g jk % gjk = n%.
Daraus folgt scal,i = n %,i . Andererseits impliziert (a)
scal,i = 2Rij , j = 2g kj Rij,k = 2g kj %,k gij
= 2%,i .
Insgesamt folgt (n − 2)%,i = 0, und daraus d% = 0, falls n ≥ 3 ist. Also ist %
konstant. QED
20.4. Kommentar: Gravitation. Eine Pseudo–Riemannsche Metrik auf einer
Mannigfaltigkeit M ist ein differenzierbares (2, 0)–Tensorfeld g mit der Eigenschaft,
dass für jeden Punkt p ∈ M die Bilinearform g(p) auf Tp M symmetrisch, nicht
202
ausgeartet und von konstantem Index ist. Dabei ist der Index einer symmetrischen
Bilinearform die maximale Dimension eines Untervektorraumes, auf dem sie negativ definit ist. Pseudo–Riemannsche Metriken vom Index Null sind also Riemannsche Metriken, und solche vom Index 1 nennt man Lorentzmetriken. Pseudo–
Riemannsche Mannigfaltigkeiten (M, g) sind differenzierbare Mannigfaltigkeiten mit
einer pseudo–Riemannschen Metrik, und solche mit einer Lorentzmetrik nennt man
Lorentzmannigfaltigkeiten. Wie in 14.9 ist jeder Pseudo–Riemannschen Metrik g
ein eindeutig bestimmter torsionsfreier Zusammenhang mit ∇g = 0 zugeordnet, der
Levi–Civita–Zusammenhang von g.
Die allgemeine Relativitätstheorie beschreibt das Universum, genauer die Raumzeit, als eine zusammenhängende, vierdimensionale Lorentzmannigfaltigkeit (M, g).
Frei im “Gravitationsfeld” fallende Partikel bewegen sich auf Weltlinien in M , die
zeitartige Geodätische von ∇ sind—das sind Geodätische c mit g(ċ, ċ) < 0. Diese
Weltlinien—etwa von Satelliten in einer Erdumlaufbahn —sind also “Geraden” im
Sinne der Lorentzgeometrie.
Die Lorentzmetrik hängt mit dem sogenannten Energie–Impulstensor T durch die
Einsteinschen Gleichungen
Ric −
1
scal · g = 8πT
2
(20.4.1)
zusammen. Im leeren Raum (oder weit entfernt von Materie) ist insbesondere T = 0,
und der Vergleich mit Teil (b) des Lemmas in 20.3 liefert Ric = 0. Teil (a) dieses
Lemmas liefert
Tij, j = 0.
eine Aussage, die sich als Energieerhaltungssatz interpretieren lässt.
20.5. Schnittkrümmung. Sei E ≤ Tp M ein zweidimensionaler Untervektorraum
des Tangentialraumes in p. Bilden X, Y ∈ Tp M eine Basis von E, dann hängt die
Zahl
hR(X, Y ), Y, Xi
(20.5.1)
K(E) := K(X, Y ) :=
kXk2 kY k2 − hX, Y i2
nur von E, nicht von der Wahl der Basis ab. Man verifiziert das ohne Schwierigkeiten
mit Hilfe der Krümmungsidentitäten aus Abschnitt 20.1. Die Funktion E 7→ K(E)
heißt die Schnittkrümmung der Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g). Sie hat als
Definitionsbereich die Menge Gr2 (T M ) der zweidimensionalen Untervektorräume
aller Tangentialräume Tp M , die man auch als (ein) Grassmannbündel über M bezeichnet. Man kann zeigen (Aufgabe 7), dass diese Menge Gr2 (T M ) die Struktur
eines differenzierbaren Faserbündels über M trägt.
Eine Riemannsche Mannigfaltigkeit, für die K konstant ist, heißt ein Raum konstanter Krümmung.
Bemerkungen. (a) Im Nenner von (20.5.1) steht das Quadrat des Flächeninhalts
des von X und Y aufgespannten Parallelogramms.
203
(b) Der Vergleich mit (12.7.5) zeigt, dass für Flächen M ⊆ R3 und E = Tp M die
Schnittkrümmung K(E) der ersten Fundamentalform mit der Gaußkrümmung im
Punkt p übereinstimmt.
(c) Riccikrümmung und Skalarkrümmung lassen sich (abgesehen von einem Faktor)
als gemittelte Schnittkrümmungen deuten. Ist nämlich e1 , . . . , en eine Orthonormalbasis von Tp M , dann gelten offenbar
X
Ric(ej , ej ) =
k=1,...,n
scal(p) =
X
hR(ek , ej )ej , ek i =
Ric(ej , ej ) =
j=1,...,n
X
K(ek , ej )
k=1,...,n
k6=j
X
K(ej , ek ).
(20.5.2)
j,k=1...,n
k6=j
Proposition. (Schnittkrümmung bestimmt R). Für alle Vektorfelder X, Y, Z, W ∈
V(M ) gilt
hR(X, Y )Y, Zi =
hR(X, Y )Z, W i =
1
hR(X+Z, Y )Y, X+Zi − hR(X−Z, Y )Y, X−Zi
4
1
hR(X, Y +Z)(Y +Z), W i − hR(X, Y −Z)(Y −Z), W i
6
− hR(Y, X+Z)(X+Z), W i + hR(Y, X−Z)(X−Z), W i .
Insbesondere ist der Krümmungstensor R in jedem Punkt durch das Skalarprodukt
g = h , i und die Funktion (X, Y ) 7→ K(X, Y ) bestimmt. Die Metrik ist genau dann
flach, wenn ihre Schnittkrümmung verschwindet.
Beweis. Beide Gleichungen ergeben sich durch einfache Rechnung. Dabei werden nur die Multilinearität von hR(X, Y, )Z, W i und die Krümmungsidentitäten
(a)–(d) aus Abschnitt 20.1 verwendet. Zum Nachweis von (b) verwenden wir die
Kurzschreibweise XY ZW = hR(X, Y )Z, W i. Mit der Linearität in jeder der Variablen und den Krümmungsidentitäten aus 20.1 ergibt sich
X(Y +Z)(Y +Z)W − X(Y −Z)(Y −Z)W
−Y (X+Z)(X+Z)W + Y (X−Z)(X−Z)W
= X(Y Y +ZY +Y Z+ZZ)W − X(Y Y −ZY −Y Z+ZZ)W
− Y (XX+ZX+XZ+ZZ)W + Y (XX−ZX−XZ+ZZ)W
= 2(XZY W + XY ZW − Y ZXW − Y XZW )
= 2(XZY W + XY ZW + ZY XW + XY ZW )
= 2(−Y XZW + 2XY ZW )
= 6 XY ZW,
wie behauptet. QED
204
(Bianchi–Identität)
20.6. Der Satz von Schur.
Lemma. Sei p ∈ M . Wenn alle Ebenen E ≤ Tp M im Punkt p dieselbe Schnittkrümmung K(E) =: κ(p) haben, dann gilt für alle X, Y, Z ∈ Tp M
R(X, Y )Z = κ(p) hY, ZiX − hX, ZiY .
(20.6.1)
Gleichung (20.6.1) gilt insbesondere für alle zweidimensionalen Riemannschen Mannigfaltigkeiten und für Räume konstanter (Schnitt-)Krümmung K. Speziell für Basisfelder X = ∂i , Y = ∂j und Z = ∂k einer Karte ergibt sich daraus
Rijk l = κ(gjk δi l − gik δj l ).
(20.6.2)
Beweis. Wir definieren eine trilineare Abbildung S : Tp M × Tp M × Tp M → Tp M
durch die rechte Seite von (20.6.1), also durch
S(X, Y, Z) = κ(p)(hY, ZiX − hX, ZiY ).
Dann erfüllt S die Krümmungsidentitäten (a)–(d) aus Abschnitt 20.1, und man
verifiziert, dass für alle X, Y ∈ Tp M gilt
hR(X, Y )Y, Xi = hS(X, Y, Y ), Xi.
Der Beweis der Proposition in 20.5, in dem nur die genannten Krümmungsidentitäten verwendet wurden, zeigt nun, dass für alle W ∈ Tp M gilt
hR(X, Y )Z, W i = hS(X, Y, Z), W i.
Die Behauptung folgt. QED
Satz von Schur. Sei M zusammenhängend und von der Dimension n ≥ 3. Wenn
es eine Funktion κ auf M gibt mit der Eigenschaft, dass für jeden Punkt p ∈ M
alle Ebenen E ≤ Tp M dieselbe Schnittkrümmung K(E) = κ(p) haben, dann ist κ
konstant. Also ist (M, g) ein Raum konstanter Krümmung.
Hängt also die Schnittkrümmung K(E) nur vom Fußpunkt p von E ab, dann ist sie
überhaupt konstant. Die Aussage ist offensichtlich falsch für n = 2.
Beweis. Wegen des Lemmas gilt für den Riccitensor
Rjk = Rijk i
= κ(gjk δi i − gik δj i )
= κ(ngjk − gjk )
= κ (n − 1)gjk ,
205
also Ric = κ(n − 1)g. Die Behauptung folgt aus dem Lemma in Abschnitt 20.3.
QED
20.7. Zweite Fundamentalform von Untermannigfaltigkeiten. Sei M ⊆
M̄ eine Untermannigfaltigkeit der Riemannschen Mannigfaltigkeit (M̄ , ḡ), und sei
ιM : M → M̄ die Inklusionsabbildung. Dann ist der Pullback g = ι∗M h die auf
¯
M induzierte Riemannsche Metrik. Für die Levi–Civita–Zusammenhänge ∇ und ∇
von g und ḡ gilt nach Abschnitt 14.10
¯X Y
∇X Y = Π ◦ ∇
wobei X und Y Vektorfelder auf M sind und π die faserweise orthogonale Projektion
T M̄|M → T M bezeichnet. Sei
V ⊥ (M ) = { Z ∈ C ∞ (M, T M̄) | Z(p) ∈ (Tp M )⊥ für alle p ∈ M }
die Menge der differenzierbaren Normalenfelder auf M . Die zweite Fundamentalform von M in M̄ ist die durch
¯ X Y )⊥
s(X, Y ) = (∇
(20.7.1)
definierte Abbildung
s : V(M ) × V(M ) → V ⊥ (M ).
Dabei bezeichnet X ⊥ = X − Π(X) die zu T M orthogonale Komponente eines
Vektors X. Für Vektorfelder X, Y ∈ V(M ) auf M gilt also
¯X Y = ∇X Y + s(X, Y ).
∇
(20.7.2)
Lemma. (a) Die zweite Fundamentalform ist symmetrisch, es gilt also s(X, Y ) =
s(Y, X) für alle X, Y ∈ V(M ).
(b) Die Abbildung s ist bilinear über C ∞ (M ). Insbesondere hängt für p ∈ M der
Wert s(X, Y )(p) nur von X(p) und Y (p) ab, und man erhält eine symmetrische
bilineare Abbildung
s(p) : Tp M × Tp M → (Tp M )⊥ .
¯ und aus (14.10.2)
Beweis. Die Symmetrie von s folgt aus der Torsionsfreiheit von ∇
wegen
¯X Y − ∇
¯Y X)⊥
s(X, Y ) − s(Y, X) = (∇
= (T̄ (X, Y ) + [X, Y ])⊥
= 0.
Die Bilinearität in (b) ist offensichtlich, und die letzte Aussage ergibt sich mit
Abschnitt 6.7. QED
206
Eine Untermannigfaltigkeit M ⊆ M̄ heißt total geodätisch im Punkt p ∈ M , wenn
ihre zweite Fundamentalform in p verschwindet, wenn also s(p) = 0 ist. Sie heißt
total geodätisch, wenn sie in jedem ihrer Punkte total geodätisch ist.
Lemma. Jede Geodätische von M̄, deren Bild in M enthalten ist, ist eine Geodätische von M . Die Untermannigfaltigkeit M ⊆ M̄ ist genau dann total geodätisch,
wenn jede Geodätische in M auch Geodätische in M̄ ist.
Beweis. Wegen der Eindeutigkeitsaussage in Satz 15.1 gilt für die kovarianten
Ableitungen längs Kurven c in M
¯ ċ
∇
∇ċ
=
+ s(ċ, ċ).
dt
dt
(20.7.3)
¯ ċ/dt = 0,
Dabei ist ∇ċ/dt tangentiell an M und s(ċ, ċ) orthogonal zu M . Ist ∇
dann folgt insbesondere ∇ċ/dt = 0 und s(ċ, ċ) = 0. Die zweite Aussage folgt ohne
Schwierigkeiten. QED
20.8. Krümmung von Untermannigfaltigkeiten. Sei weiterhin M ⊆ M̄ eine
Untermannigfaltigkeit, und seien R und R̄ die Krümmungstensoren von M und M̄ .
Für Vektorfelder X, Y, Z, W ∈ V(M ) gilt nach (20.7.2)
¯X ∇
¯Y Z − ∇
¯Y ∇
¯X Z − ∇
¯ [X,Y ] Z
R̄(X, Y )Z = ∇
¯
¯Y (∇X Z + s(X, Z))
= ∇X (∇Y Z + s(Y, Z)) − ∇
− ∇[X,Y ] Z − s([X, Y ]), Z)
¯X (s(Y, Z)
= ∇X ∇Y Z + s(X, ∇Y Z) + ∇
¯Y (s(X, Z))
− ∇Y ∇X Z − s(Y, ∇X Z) − ∇
− ∇[X,Y ] Z − s([X, Y ], Z)
und damit
¯X (s(Y, Z)) − ∇
¯Y (s(X, Z))
R̄(X, Y )Z = R(X, Y )Z + ∇
(20.8.1)
+ s(X, ∇Y Z) − s(Y, ∇X Z) − s([X, Y ], Z).
Das Skalarprodukt mit W ergibt wegen
¯X (s(Y, Z)), W i = Xhs(Y, Z), W i − hs(Y, Z), ∇
¯X W i
h∇
¯ X W )⊥ i
= −hs(Y, Z), (∇
= −hs(Y, Z), s(X, W )i
die Gaußgleichung
hR(X, Y )Z, W i = hR̄(X, Y )Z, W i
+ hs(Y, Z), s(X, W )i − hs(X, Z), s(Y, W )i.
207
(20.8.2)
Setzt man speziell X = W und Y = Z, dann ergibt sich die Gaußgleichung für die
Schnittkrümmungen von M und M̄
K(X, Y ) = K̄(X, Y ) +
hs(X, X), s(Y, Y )i − ks(X, Y )k
2
2
kXk kY k − hX, Y i2
2
.
(20.8.3)
Im Spezialfall einer Fläche M im R3 ist K̄ = 0, und (20.8.3) reduziert sich auf die
in Abschnitt 12.4 gegebene Gleichung für die Gaußkrümmung.
Riemanns Deutung der Schnittkrümmung. Sei E ⊆ Tp M ein zweidimensionaler Unterraum. Dann ist für Radien % ≤ inj(p) das Bild ME := exp(E ∩ Bp (0, %))
eine Untermannigfaltigkeit von M , deren Tangentialraum im Punkt p mit der Ebene
E übereinstimmt. Wählt man Normalkoordinaten für M mit Zentrum p so, dass
E von den Basisvektoren ∂1 und ∂2 aufgespannt wird, so ist für i, j ∈ {1, 2} wegen
Γij k (p) = 0 die zweite Fundamentalform
s(∂i |p , ∂j |p ) = (∇∂i ∂j )⊥ (p) = 0.
Die Untermannigfaltigkeit ME ist also im Punkt p total geodätisch. Nach (20.8.3)
stimmt daher die Schnittkrümmung K(E) mit der Schnittkrümmung der Fläche
ME im Punkt p überein.
“Um dem Krümmungsmass einer nfach ausgedehnten Mannigfaltigkeit
in einem gegebenen Punkte und einer gegebenen durch ihn gelegten
Flächenrichtung eine greifbare Bedeutung zu geben, muss man davon
ausgehen, dass eine von einem Punkte ausgehende kürzeste Linie völlig
bestimmt ist, wenn ihre Anfangsrichtung gegeben ist. Hienach wird
man eine bestimmte Fläche erhalten, wenn man sämmtliche von dem
gegebenen Punkte ausgehenden und in dem gegebenen Flächenelement
liegenden Anfangsrichtungen zu kürzesten Linien verlängert, und diese
Fläche hat in dem gegebenen Punkte ein bestimmtes Krümmungsmass,
welches zugleich das Krümmungsmass der nfach ausgedehnten Mannigfaltigkeit in dem gegebenen Punkte und der gegebenen Flächenrichtung ist.”
Bernhard Riemann, “Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrunde liegen”, vorgetragen in Göttingen am 10. Juni 1854.
20.9. Hyperflächen. Sei nun speziell n = dim(M ) = dim(M̄ ) − 1. Wir nehmen
an, dass es auf M ein Einheitsnormalenfeld ν gibt—sollte das nicht der Fall sein,
dann gehen wir zu einer offenen Teilmenge von M über, auf der ein solches Feld
existiert. Wir definieren eine Abbildung II : V(M ) × V(M ) → C ∞ (M ) durch
s(X, Y ) = II(X, Y ) ν.
208
(20.9.1)
Dann ist
¯X Y )⊥ , νi = h∇
¯X Y, νi
II(X, Y ) = hs(X, Y ), νi = h (∇
¯
= XhY, νi − hY, ∇X νi
¯ X νi
= −hY, ∇
Mit der Weingartenabbildung L : T M → T M , die durch
¯ Xν
L(X) = −∇
(20.9.2)
definiert ist, gilt also
II(X, Y ) = hLX, Y i.
(20.9.3)
3
Der Vergleich mit Abschnitt 15.4 zeigt, dass II im Fall von Flächen im R mit der
dort definierten zweiten Fundamentalform übereinstimmt. Wegen der Symmetrie
von II ist die Weingartenabbildung Lp := L|Tp M selbstadjungiert bezüglich g(p),
also reell diagonalisierbar. Die Eigenwerte κ1 (p), . . . , κn (p) von Lp nennt man die
Hauptkrümmungen von M ⊆ M̄ im Punkt p.
20.10. Hyperflächen im Rn+1 . Wir gehen noch etwas näher auf den Fall von
Hyperflächen im Rn+1 ein. In diesem Fall ist die Schnittkrümmung K̄ = 0, und
daher nach der Gaußgleichung (20.8.3)
K(X, Y ) =
II(X, X) II(Y, Y ) − II(X, Y )2
2
2
kXk kY k − hX, Y i2
(20.10.1)
in Übereinstimmung mit Abschnitt 12.4. Außerdem ist der Krümmungstensor R̄ =
0, also nach (20.8.1)
0 = R̄(X, Y )Z
¯X ν
= R(X, Y )Z + X(II(Y, Z)) ν + II(Y, Z) ∇
¯Y ν
− Y (II(X, Z)) ν + II(X, Z) ∇
+ II(X, ∇Y Z) ν − II(Y, ∇X Z) ν − II([X, Y ], Z) ν.
Der an M tangentielle und der zu M normale Anteil der rechten Seite müssen beide
¯X ν = −LX die Gleichung
verschwinden. Für den tangentiellen Teil ergibt sich mit ∇
von Gauß
R(X, Y )Z = hLY, ZiLX − hLX, ZiLY.
(20.10.2)
Der normale Anteil liefert wegen
X(II(Y, Z)) = (∇X II)(Y, Z) + II(∇X Y, Z) + II(Y, ∇X Z)
und wegen T (X, Y ) = 0 die Codazzi–Mainardi–Gleichung
(∇X II)(Y, Z) − (∇Y II)(X, Z) = 0.
209
(20.10.3)
Im Fall n = 2 spezialisieren sich (20.10.2) und (20.10.3) auf die Gleichungen (12.7.1)
und (12.7.2) für Flächen.
Beispiel: Sphären. Wit betrachten die Sphäre M = Srn ⊆ Rn+1 vom Radius r
um den Ursprung,
Srn = { x ∈ Rn+1 | (x1 )2 + . . . + (xn+1 )2 = r2 }
mit der von Rn+1 induzierten Riemannschen Metrik g, also der ersten Fundamentalform. Sei ν die äußere Normale, und sei X ∈ Tp Srn . Dann gilt nach Definition
¯ von Rn+1
des Standardzusammenhangs ∇
Xn+1
X(ν i )
ν i (c(t)) =
1 i
c (t),
r
¯X ν =
∇
i=1
∂
.
∂xi
Sei c(t) eine Kurve in Srn mit ċ(0) = X. Für i = 1, . . . , n + 1 ist dann
weil der Ortsvektor eines Punktes p ∈ Srn senkrecht auf dem Tangentialraum Tp Srn
steht. Damit ist
¯ X ν = d ν i (c(t)) ∂ = 1 ċ(0) = 1 X.
LX = −∇
i
dt 0
∂x p
r
r
Für den Krümmungstensor von Srn ergibt (20.10.2) nun
R(X, Y )Z =
1
hY, ZiX − hX, ZiY ,
2
r
und die Schnittkrümmung ist konstant K = 1/r 2 .
Aufgaben
1. Bianchi–Identität. Geben Sie direkte Beweise der beiden Bianchi–Identitäten
20.1(d)(e) ohne Einführung lokaler Koordinaten. Wie lauten die entsprechenden
Beziehungen für Zusammenhänge mit Torsion?
2. Isometrien. Zeigen Sie, dass Isometrien f : M → M 0 Riemannscher Mannigfaltigkeiten deren Schnittkrümmungsfunktionen ineinander abbilden, dass also gilt
KM 0 ◦ f∗ = KM , wenn f∗ die auf den Grassmannbündeln induzierte Abbildung
bezeichnet. Verifizieren Sie die entsprechende Aussage für die zweiten Fundamentalformen von Untermannigfaltigkeiten N ⊆ M und f (N ) ⊆ M 0 .
210
3. Fixpunktmengen von Isometrien. Sei f eine Isometrie einer Riemannsche
Mannigfaltigkeit (M, g), und sei
Mf = {p ∈ M | f (p) = p}
die Menge ihrer Fixpunkte. Zeigen Sie, dass jede Zusammenhangskomponente
von Mf eine total geodätische Untermannigfaltigkeit von (M, g) ist mit Tangentialräumen
Tp Mf = {X ∈ Tp M | (Tp f )X = X} = Kern(Tp f − id).
Hinweis: Ist p ∈ Mf und ist U ⊆ Tp M ein Ball um den Ursprung, der durch expp
diffeomorph auf eine offene Teilmenge V von M abgebildet wird, dann ist
f |V = expp ◦Tp f ◦ (expp |U )−1 .
In Normalkoordinaten mit Zentrum p ist f also durch die lineare Abbildung Tp f
gegeben.
4. Hyperbolischer Raum. Das Ballmodell des n–dimensionalen hyperbolischen
Raumes ist die Riemannsche Mannigfaltigkeit (D n , g), wobei Dn = {x ∈ Rn | |x| <
1} der Einheitsball im Rn ist und
g(x) =
n
X
2
dxi ⊗ dxi .
1 − |x|2 i=1
Pn
i 2 1/2
Dabei ist |x| =
die euklidische Norm. Zeigen Sie, dass (D n , g) eine
i=1 (x )
vollständige Riemannsche Mannigfaltigkeit konstanter Krümmung K = −1 ist.
5. Synge–Ungleichung. Sei M ⊆ M̄ eine Untermannigfaltigkeit der Riemannschen Mannigfaltigkeit (M̄ , ḡ), versehen mit der induzierten Riemannschen Metrik.
Sei c : I → M̄ eine Geodätische, deren Bild in M liegt. Zeigen Sie, dass für die
Schnittkrümmungen von Ebenen E ⊆ Tc(t) M ⊆ Tc(t) M̄ mit ċ(t) ∈ E gilt
K(E) ≤ K̄(E).
6. Grassmannmannigfaltigkeiten. Die Menge aller k–Tupel linear unabhängiger Vektoren im Rn nennt man die Stiefelmannigfaltigkeit Vk,n . Sie kann offenbar
mit einer offenen Teilmenge des Raumes der reellen n×k–Matrizen identifiziert werden. Die Menge aller k–dimensionalen Untervektorräume des Rn heißt die Grassmannmannigfaltigkeit Grk,n . Man hat eine Abbildung σ : Vk,n → Grk,n , die jedem
k–Tupel seinen Spann zuordnet. Wir versehen die Grassmannmannigfaltigkeit mit
der Quotiententopologie zu dieser Abbildung. Zeigen Sie: Auf Grk,n existiert genau
eine C ∞ –Struktur, für die σ eine Submersion ist.
7. Grassmannbündel. Sei M eine n–dimesnsionale differenzierbare Mannigfaltigkeit. Zeigen Sie, dass die Menge Grk (T M ) der k–dimensionalen Untervektorräume
aller Tangentialräume Tp M die Struktur eines differenzierbaren Faserbündels über
M trägt, dessen Faser die Grassmannmannigfaltigkeit Grk,n ist.
211
21. Zweite Variation der Bogenlänge
Um festzustellen, ob eine Geodätische c = c0 einer Riemannschen Mannigfaltigkeit
unter den Kurven einer Variation cs = H(s, ·) die Bogenlänge L(cs ) minimiert,
kann man die zweite Ableitung der Funktion L(cs ) an der Stelle s = 0 untersuchen. Diese Ableitung ist durch die zweite Variationsformel gegeben, die wir im
ersten Abschnitt des Kapitel behandeln. In diese Formel geht der Krümmungstensor in Gestalt der Schnittkrümmung ein. Wir verwenden diesen Umstand, um
für Mannigfaltigkeiten mit positiv definitem Riccitensor eine Beziehung zwischen
Krümmung und Durchmesser herzuleiten, den Satz von Bonnet und Myers. Anschließend gehen wir auf eine wichtige Klasse von Beispielen positiv gekrümmter
Riemannscher Metriken ein, die biinvarianten Metriken auf Liegruppen.
In diesem Kapitel ist (M n , g) eine n–dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit
und ∇ ihr Levi–Civita–Zusammenhang.
21.1. Zweite Variationsformel. Sei c : [a, b] → M eine proportional zur Bogenlänge parametrisierte, nichtkonstante differenzierbare Kurve. Sei weiter H ∈
C ∞ ((−ε, ε) × [a, b], M ), (s, t) 7→ H(s, t) eine Variation von c, also H(0, t) = c(t) für
alle t ∈ [a, b]. Nach Abschnitt 18.1 gilt für die Länge der Kurven cs (t) = H(s, t) die
erste Variationsformel
Z 1
b
∇ċ
1 d i dt .
(21.1.1)
hV,
L(c
)
=
hV,
ċi
−
s
a
ds
kċk
dt
0
0
Dabei ist V (t) = ∂H/∂s (0, t) das Variationsvektorfeld
längs der Kurve c = c 0 .
Wir berechnen nun die zweite Ableitung d2 /ds2 0 L(cs ). Dabei verwenden wir die
abkürzenden Schreibweisen
∂H
∂H
, ∂t H =
und
∂s
∂t
∇W
∇W
, ∇t W =
∇s W =
∂s
∂t
∂s H =
für Vektorfelder (s, t) 7→ W (s, t) längs H. Nach (18.1.1) und (16.3.1) gelten
∇t ∂s H = ∇s ∂t H
∇s ∇t W − ∇t ∇s W = R(∂s H, ∂t H)W.
Man berechnet zunächst
d
d
L(cs ) =
ds
ds
Z b
=
a
Z
b
a
h∂t H, ∂t Hi1/2 dt
1
h∇s ∂t H, ∂t Hi dt,
k∂t Hk
Version 30. Juni 2000
212
(21.1.2)
und damit
d2
L(cs ) = −
ds2
+
+
Z
Z
Z
b
1
h∇s ∂t H, ∂t Hi2 dt
k∂
t Hk
k∂t Hk
2
a
b
a
b
a
1
1
h∇s ∇s ∂t H, ∂t Hi dt
k∂t Hk
1
h∇s ∂t H, ∇s ∂t Hi dt.
k∂t Hk
Im ersten und dritten Integral verwenden wir nun die Beziehung ∇s ∂t H = ∇t ∂s H.
Den zweiten Integranden schreiben wir wie folgt:
h∇s ∇s ∂t H, ∂t Hi = h∇s ∇t ∂s H, ∂t Hi
= h∇t ∇s ∂s H, ∂t Hi + hR(∂s H, ∂t H)∂s H, ∂t Hi
= ∂t h∇s ∂s H, ∂t Hi − h∇s ∂s H, ∇t ∂t Hi
+ hR(∂s H, ∂t H)∂s H, ∂t Hi.
Speziell für s = 0 ist (∂s H)(0, t) = V (t) und (∂t H)(0, t) = ċ(t), und da kċk konstant
ist, ergibt sich
Z b
d2 1
L(cs ) = −
h∇t V, ċi2 dt
ds2 0
kċk3 a
(0,b)
1
h∇s ∂s H, ċi
+
kċk
(0,a)
Z b
1
(21.1.3)
−
h∇s ∂s H(0, t), ∇t ċi dt
kċk a
Z b
1
hR(V, ċ)V, ċi dt
+
kċk a
Z b
1
+
h∇t V, ∇t V i dt.
kċk a
Bezeichnet man die zum Tangentialvektor ċ senkrechte Komponente von V mit V ⊥ ,
also
D
ċ E ċ
V ⊥ = V − V,
,
(21.1.4)
kċk kċk
dann ist wegen der Krümmungsidentitäten (a) und (b) aus 20.1
hR(V, ċ)V, ċi = hR(V ⊥ , ċ)V ⊥ , ċi.
Wir setzen nun zusätzlich voraus, dass c eine Geodätische ist. Dann gilt ∇t ċ = 0,
und (∇t V )⊥ = ∇t (V ⊥ ) =: ∇t V ⊥ . Daraus folgt
h∇t V, ∇t V i −
1
h∇t V, ċi2 = h∇t V ⊥ , ∇t V ⊥ i.
kċk2
213
Wir erhalten folgenden Satz.
Satz (zweite Variationsformel). Sei H eine differenzierbare Variation der Geodätischen c : [a, b] → M , und sei cs (t) = H(s, t). Dann gilt
(0,b)
d2 1
h∇
∂
H,
ċi
L(c
)
=
s
s
s
2
ds 0
kċk
(0,a)
Z b
1
h∇t V ⊥ , ∇t V ⊥ i − hR(V ⊥ , ċ)ċ, V ⊥ i dt.
+
kċk a
Bemerkungen. (i) Die in dieser Formel auftretenden Randterme verschwinden,
wenn die Kurven s 7→ H(s, a) und s 7→ H(s, b) Geodätische sind. Das ist insbesondere bei Variationen mit festen Endpunkten der Fall, also solchen Variationen, bei
denen diese Kurven konstant sind. Wenn die Randterme verschwinden, dann hängt
d2 /ds2 |0 L(cs ) nur vom Variationsvektorfeld V , nicht von der Variation H selbst ab.
(ii) Die zweite Variationsformel gilt offenbar unverändert für stückweise differenzierbare Variationen.
(iii) Variiert man eine Geodätische c bei festgehaltenen Endpunkten in eine Richtung nichtpositiver Krümmung in dem Sinne, dass die Schnittkrümmung K(V ⊥ , ċ)
auf [a, b] nichtpositiv ist, dann sind für hinreichend kleine Parameterwerte s die
Nachbarkurven cs länger als c. In der Tat verschwindet die erste Ableitung der
Funktion s 7→ L(cs ) an der Stelle s = 0, und ihre zweite Ableitung ist nach der
zweiten Variationsformel positiv.
21.2. Der Satz von Bonnet und Myers. Der Durchmesser diam(M, g) einer
zusammenhängenden Riemannschen Mannigfaltigkeit ist definiert als das Supremum ihrer Abstandsfunktion,
diam(M, g) = sup{d(p, q) | p, q ∈ M }.
Der Satz 19.2 von Hopf und Rinow zeigt, dass jede vollständige Riemannsche Mannigfaltigkeit mit endlichem Durchmesser kompakt ist. Ungekehrt ist jede kompakte
Riemannsche Mannigfaltigkeit vollständig und hat, wegen der Stetigkeit der Abstandsfunktion, auch endlichen Durchmesser.
Satz von Bonnet–Myers. Sei (M n , g) vollständig und zusammenhängend. Es
gebe eine Konstante κ > 0 mit der Eigenschaft Ric ≥ (n−1)κ g. Dann ist M
kompakt mit Durchmesser
π
diam(M, g) ≤ √ .
κ
Bemerkungen. (i) Die Ungleichung Ric ≥ (n−1)κg soll bedeuten, dass das symmetrische Tensorfeld Ric − (n−1)κg überall positiv definit ist. Gleichbedeutend
214
damit ist die Forderung, dass alle Einheitsvektoren X ∈ T M der Ungleichung
Ric(X, X) ≥ (n−1)κ genügen. Diese Voraussetzung ist nach (20.5.2) insbesondere
dann erfüllt, wenn für die Schnittkrümmung K ≥ κ gilt.
(ii) Der Beweis des Satzes zeigt, dass man die Voraussetzung der Vollständigkeit
von (M, g) ersetzen kann durch die Forderung, dass je zwei Punkte in M durch eine
kürzeste Geodätische verbunden werden können. Man vergleiche aber Aufgabe 2.
√
(iii) Für die Standardsphäre Sκn vom Radius 1/ κ, also
√ mit Schnittkrümmung κ, ist
Ric = (n−1)κg und der Durchmesser diam(Sκn ) = π/ κ. In diesem Beispiel besteht
also Gleichheit in der Durchmesserabschätzung des Satzes von Bonnet–Myers. Der
Starrheitssatz von Cheng (1975) besagt:
Jede kompakte zusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeit
mit Riccikrüm√
mung Ric ≥ (n−1)κg und Durchmesser diam = π/ κ ist isometrisch zu Sκn .
Wir kommen nun zum Beweis des Satzes von Bonnet–Myers.
Seien p, q ∈ M .
√
Wir werden zeigen, dass der Abstand d(p, q) ≤ π/ κ ist. Sei c : [0, l] → M
eine kürzeste Geodätische von p nach q mit kċk = 1. Eine solche Geodätische
existiert nach dem Satz von Hopf und Rinow, da die Mannigfaltigkeit als vollständig
√
vorausgesetzt ist. Dann ist l = L(c) = d(p, q), und wir zeigen, dass l ≤ π/ κ gilt.
Seien dazu e1 , . . . , en orthonormale parallele Vektorfelder längs c mit en = ċ, und
sei für j = 1, . . . , n − 1
πt Vj (t) = sin
ej (t).
l
Es gilt Vj (0) = 0 und Vj (l) = 0. Sei Hj die Variation Hj (s, t) = exp(sVj (t)). Dann
ist ∂Hj /∂s(0, t) = Vj (t), und die zweite Variationsformel ergibt
Z l
d2 h∇t Vj , ∇t Vj i − hR(Vj , ċ)ċ, Vj i dt
L(Hj (s, ·)) =
ds2 0
0
Z l 2
π
2 πt
2 πt
=
−
sin
K(ej , ċ) dt.
cos
2
l
l
0 l
Summation über j = 1, . . . , n − 1 liefert wegen (20.5.2)
n−1
X
j=1
Z
Z l
π2 l
d2 2 πt
2 πt
cos
dt
−
sin
Ric(ċ, ċ) dt
L(H
(s,
·))
=
(n−1)
j
ds2 0
l2 0
l
l
0
Z l
Z
πt π2 l
2 πt
≤ (n−1) 2
dt − (n−1)κ
dt
sin2
cos
l 0
l
l
0
πt Z l
π2
cos2
= (n−1) 2 − κ
dt.
l
l
0
√
Wäre nun l > π/ κ, dann wäre die rechte Seite dieser Ungleichung negativ, und
2
2
daher d /ds |0 L(Hj (s, ·)) < 0 für einen Index j. Die entsprechende Variation Hj
215
enthielte dann Kurven von p nach q, die kürzer wären als c, im Widerspruch zur
Wahl von c. QED
Korollar (zum Beweis). Ist die Geodätische c : [0, l] → M mit kċk = 1 kürzeste
Verbindung ihrer Endpunkte, also d(c(0), c(l)) = L(c), und erfüllt die Riccikrüm√
mung entlang c die Ungleichung Ric(ċ, ċ) ≥ (n−1)κ > 0, dann ist L(c) ≤ π/ κ.
21.3. Invariante Riemannsche Metriken auf Liegruppen. Wir verwenden die
Bezeichnungen aus Abschnitt 17.8. Eine Riemannsche Metrik g auf einer Liegruppe
G heißt linksinvariant, wenn alle Linkstranslationen La : G → G Isometrien sind,
wenn also für alle a ∈ G gilt L∗a g = g. Die Metrik heißt rechtsinvariant, wenn alle
Rechtstranslationen Ra : G → G, Ra b = ba Isometrien sind, und biinvariant, wenn
sie zugleich links- und rechtsinvariant ist. Indem man Cauchyfolgen in G betrachtet,
sieht man leicht ein (Aufgabe 5), dass jede links- oder rechtsinvariante Riemannsche
Metrik auf einer Liegruppe vollständig ist.
Jedes Element a ∈ G induziert einen Gruppenautomorphismus Inna : G → G,
Inna b = aba−1 .
(21.3.1)
Solche Automorphismen bezeichnet man als innere Automorphismen von G. Die
adjungierte Darstellung von G ist die Abbildung
Ad : G → GL(Te G),
welche jedem Gruppenelement a ∈ G die Ableitung Ad(a) = Ada der Abbildung
Inna = La Ra−1 = Ra−1 La im neutralen Element zuordnet. Es ist also
Ada = Te (Inna )
= Te (La ◦ Ra−1 )
(21.3.2)
= Ta−1 La ◦ Te Ra−1 .
Lemma 1. Die Auswertungsabbildung g 7→ g(e) ist eine Bijektion zwischen der
Menge der linksinvarianten Riemannschen Metriken g auf G und der Menge aller
Skalarprodukte auf dem Tangentialraum Te G im neutralen Element. Dabei ist die
linksinvariante Metrik g genau dann biinvariant, wenn das entsprechende Skalarprodukt invariant ist unter der adjungierten Darstellung Ad, wenn also für alle a ∈ G
und alle Vektoren X, Y ∈ Te G gilt
g(e)(Ada X, Ada Y ) = g(e)(X, Y ).
Beweis. Ist ein Skalarprodukt g(e) auf Te G gegeben, dann erhält man eine linksinvariante Riemannsche Metrik g auf G durch die Festlegung g(a) = L∗a−1 (g(e)), also
g(a)(X, Y ) = g(e)((T La−1 )X, (T La−1 )Y )
216
für X, Y ∈ Ta G. Die dadurch gegebene Abbildung g(e) 7→ g ist offensichtlich invers
zur Auswertungsabbildung, so dass die Bijektivität bewiesen ist. Ist die Metrik g
biinvariant, dann zeigt (21.3.2), dass das Skalarprodukt g(e) unter Ada invariant
ist. Ist umgekehrt g(e) unter Ada = Te (Inna ) invariant, dann ist nach Aufgabe 7
jeder Gruppenautomorphismus Inna eine Isometrie. Wegen Ra = La−1 ◦ Inna−1 ist
dann jede Rechtsmultiplikation Ra eine Isometrie, also g biinvariant. QED
Lemma 2. Ist V ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, und ist H ≤ GL(V )
eine kompakte Untergruppe der Gruppe GL(V ) der Vektorraumautomorphismen von
V , dann gibt es ein Skalarprodukt h·, ·i auf V , welches unter allen Elementen h ∈ H
invariant ist.
Zum Beweis von Lemma 2, den wir hier lediglich skizzieren, wählt man ein beliebiges
Skalarprodukt h·, ·i0 auf V und “mittelt” es über die Gruppe H, indem man definiert
Z
hhv, hwi0 dµ(h).
hv, wi =
H
Bei dieser Integration ist ein rechtsinvariantes Maß (ein sogenanntes Haarsches Maß)
µ auf H zu verwenden, auf dessen Definition wir hier nicht eingehen. † Man erhält
auf diese Weise ein neues Skalarprodukt h·, ·i auf V , welches unter H invariant ist.
In der Tat gilt für k ∈ H
Z
hhkv, hkwi0 dµ(h)
hkv, kwi =
ZH
=
hhkv, hkwi0 dµ(hk)
ZH
=
hhv, hwi0 dµ(h)
H
= hv, wi.
Satz. Auf jeder kompakten Liegruppe G existiert eine biinvariante Riemannsche
Metrik. Dasselbe gilt allgemeiner für jede Liegruppe, deren Bild Ad(G) ⊆ GL(T e G)
unter der adjungierten Darstellung kompakt ist.
Beweis. Wir wenden Lemma 2 an mit V = Te G und H = Ad(G). Man erhält
ein Ad(G)–invariantes Skalarprodukt auf Te G, und nach Lemma 1 eine biinvariante
Riemannsche Metrik auf G. QED
†
Man erhält ein solches Maß etwa auf folgende Weise. Ein bekannter Satz über
Liegruppen besagt, dass jede abgeschlossene Untergruppe H einer Liegruppe eine
Untermannigfaltigkeit ist. Bezüglich der dadurch gegebenen C ∞ –Struktur ist dann
offenbar H selbst eine Liegruppe. Insbesondere ist unsere kompakte Gruppe H ≤
GL(V ) also eine Liegruppe. Sie hat daher rechtsinvariante Riemannsche Metriken
(Lemma 1). Als rechtsinvariantes Maß µ nimmt man das in Abschnitt 10.7 definierte
Lebesguesche Maß einer solchen Metrik.
217
Lemma 3. Sei G eine Liegruppe, und sei X ein linksinvariantes Vektorfeld auf G.
Dann gilt für den Fluss φ : R × G → G von X
φ(t, a) = a exp(tXe ).
Dabei ist exp : Te G → G die Exponentialabbildung (des kanonischen Zusammenhangs) von G und Xe = X(e).
Den Fluss eines linksinvarianten Vektorfeldes erhält man also durch Rechtsmultiplikation mit der entsprechenden Einparameteruntergruppe.
Beweis. Es ist
d d exp((t0 + s)Xe )
a exp(tXe ) = (T La )
dt t0
ds 0
d = (T La )
exp(t0 Xe ) exp(sXe )
ds
0
= (T La )(T Lexp(t0 Xe ) ) Xe
= X(a exp(t0 Xe )).
Die Kurve t 7→ a exp(tXe ) ist also eine Integralkurve des Vektorfeldes X durch den
Punkt a, und stimmt deshalb mit t 7→ φ(t, a) überein. QED
21.4. Krümmung biinvarianter Metriken. Ein Vektorfeld X ∈ V(M ) auf
einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g) heißt ein Killingfeld (oder eine “infinitesimale Isometrie”), wenn sein Fluss φt aus Isometrien besteht, wenn also gilt
LX g = 0 (siehe 7.9 und Aufgabe 2 in Kapitel 10). Sei G eine Liegruppe. Wie in
Abschnitt 17.8 bezeichnen wir mit G die Liealgebra von G, also die Menge aller
linksinvarianten Vektorfelder.
Lemma. Sei g eine Riemannsche Metrik auf G.
(a) Die Metrik g ist genau dann linksinvariant, wenn für alle linksinvarianten Vektorfelder X, Y ∈ G die Funktion g(X, Y ) konstant ist.
(b) Ist g rechtsinvariant, dann sind alle X ∈ G Killingfelder.
Den Beweis von Teil (a) überlassen wir als einfache Übungsaufgabe. Teil (b) ergibt
sich sofort aus Lemma 3 im vorhergehenden Abschnitt. QED
Satz. Sei g eine biinvariante Riemannsche Metrik mit Levi–Civita–Zusammenhang
∇ auf einer Liegruppe G. Seien weiter X, Y, Z ∈ G, und sei e1 , . . . , en ein linksin218
variantes orthonormales Repèrefeld auf G. Dann gilt:
(a)
(b)
(c)
(d)
1
[X, Y ]
2
1
R(X, Y )Z = − [[X, Y ], Z]
4
1
2
hR(X, Y )Y, Xi = k[X, Y ]k
4
n
n
X
1X
Ric(X, X) =
k[X, ei ]k2 .
hR(ei , X)X, ei i =
4
i=1
i=1
∇X Y =
Insbesondere hat (G, g) Schnittkrümmung K ≥ 0.
Beweis. Aufgrund des Lemmas gilt
0 = (LX g)(Y, Z)
= Xg(Y, Z) − g([X, Y ], Z) − g(Y, [X, Z])
(21.4.1)
= −g([X, Y ], Z) − g(Y, [X, Z]).
Die lineare Abbildung ad (X) : G → G, ad (X)Y := [X, Y ] ist also für jedes linksinvariante Vektorfeld X ∈ G antiselbstadjungiert bezüglich g. Die Formel (14.9.2) für
den Levi–Civita–Zusammenhang ergibt nun wegen Lemma (a)
2h∇X Y, Zi = g([X, Y ], Z) − g([Y, Z], X) + g([Z, X], Y )
= g([X, Y ], Z) + g(X, [Z, Y ]) + g([Z, X], Y )
= g([X, Y ], Z)
und damit (a). Zum Beweis von (b) berechnet man
R(X, Y )Z = ∇X ∇Y Z − ∇Y ∇X Z − ∇[X,Y ] Z
1
1
1
= [X, [Y, Z]] − [Y, [X, Z]] − [[X, Y ], Z]
4
4
2
1
1
1
= − [[Y, Z], X] − [[Z, X], Y ] − [[X, Y ], Z]
4
4
2
1
= − [[X, Y ], Z].
4
Dabei wurde im letzten Schritt die Jacobi–Identität verwendet. Gleichung (c) ergibt
sich aus (b) mittels (21.4.1), und (d) folgt unmittelbar aus (c). QED
Das Zentrum einer Liealgebra G ist definiert als
C(G) = {X ∈ G | [X, Y ] = 0 für alle Y ∈ G}.
219
(21.4.2)
Korollar. Ist G eine Liegruppe, deren Liealgebra triviales Zentrum C(G) = {0}
hat, dann hat jede biinvariante Riemannsche Metrik auf G positive Riccikrümmung
Ric > 0. Zusammenhängende Liegruppen mit C(G) = {0}, auf denen eine biinvariante Riemannsche Metrik existiert, sind kompakt.
Beweis. Die erste Behauptung ergibt sich sofort aus Teil (e) des vorhergehenden
Satzes. Die zweite ergibt sich als Folgerung aus dem Satz von Bonnet–Myers. Sei
dazu G zusammenhängend mit C(G) = {0}, und sei g eine biinvariante Riemannsche
Metrik. Dann ist jedenfalls Ric > 0. Da die Einheitssphäre in Te G kompakt ist,
gibt es eine positive Zahl κ dergestalt, dass für alle Einheitsvektoren X ∈ Te G gilt
Ric(X, X) ≥ (n−1)κ. Da mit der Metrik g auch ihr Riccitensor invariant unter
allen Linkstranslationen La ist, gilt die Beziehung Ric(X, X) ≥ (n−1)κ dann auch
für alle Einheitsvektoren X ∈ Ta G:
Ric(X, X) = Ric (T La−1 )X, (T La−1 )X ≥ (n−1)κ.
Damit sind die Voraussetzungen des Satzes von Bonnet und Myers erfüllt, und G
ist kompakt. QED
Anmerkung. Die Tatsache, dass biinvariante Riemannsche Metriken auf Liegruppen Schnittkrümmung K ≥ 0 gaben, ist deshalb von Interesse, weil nur relativ
wenige Beispiele von Mannigfaltigkeiten bekannt sind, die eine Metrik mit K ≥ 0
zulassen. Verschärft man die Bedingung K ≥ 0 weiter zu 1/4 < K ≤ 1, dann
bleiben kaum noch Beispiele übrig: Der Sphärensatz von Rauch, Berger und Klingenberg besagt, dass einfach zusammenhängende vollständige Riemannsche Mannigfaltigkeiten M mit
1/4 < K ≤ 1
zur Sphäre homömorph sind. Beispiele–etwa eine kanonische Metrik des komplex
projektiven Raumes–zeigen, dass diese Krümmungsschranken optimal sind. Es ist
aber nicht bekannt, ob M unter den genannten Voraussetzungen sogar diffeomorph
zur Sphäre mit ihrer üblichen differenzierbaren Struktur sein muss (vergleiche Bemerkung 1.14(b)). Der differenzierbare Sphärensatz von Gromoll, Calabi, Ruh und
anderen besagt, dass das der Fall ist, wenn man die “Pinchingbedingung” an die
Schnittkrümmung verschärft zur δ < K ≤ 1 mit δ = 0.7.
Aufgaben
1. Zweite Variation. Sei (M,g) eine Mannigfaltigkeit nichtpositiver Krümmung,
und seien c1 , c2 : [0, 1] → M zwei Geodätische mit c1 (0) = c2 (0) und c1 (1) = c2 (1).
Zeigen Sie mit Hilfe der zweiten Variationsformel: Sind c0 und c1 differenzierbar
homotop (mit festen Endpunkten, siehe Abschnitt 16.5), dann ist c0 = c1 .
2. Bonnet–Myers. Geben Sie ein Beispiel einer zusammenhängenden Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g) mit folgenden Eigenschaften: Je zwei Punkte in M
220
können durch eine Geodätische verbunden werden, die Schnittkrümmung ist konstant K = 1, und der Durchmesser ist unendlich. Warum widersprechen diese
Eigenschaften nicht der Bemerkung (ii) zum Satz von Bonnet und Myers? Hinweis:
Umwickeln Sie eine Umgebung des Äquators einer Sphäre mit einem unendlich langen Streifen.
3. Killingfelder. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf einer Riemannschen
Mannigfaltigkeit (M, g). Zeigen Sie, dass folgende Aussagen äquivalent sind.
(a) X ist ein Killingfeld, also LX g = 0.
(b) Das Feld von Endomorphismen ∇X : Tp M → Tp M , Y 7→ ∇Y X ist in jedem
Punkt p ∈ M antiselbstadjungiert bezüglich g(p), also
g(∇Y X, Z) = −g(Y, ∇Z X).
(c) In lokalen Koordinaten gilt Xi,j = −Xj,i .
4. Satz von Clairaut. (a) Sei X ein Killingfeld auf einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g), und sei c eine Geodätische in M . Zeigen Sie, dass das Skalarprodukt t 7→ g(X(c(t)), ċ(t)) konstant ist.
(b) Sei nun speziell (M, g) eine Drehfläche im R3 , versehen mit ihrer ersten Fundamentalform. Für p ∈ M sei r(p) der Radius des Breitenkreises durch den Punkt
p. Sei c eine Geodätische in M , und sei θ(t) der Winkel zwischen ċ(t) und dem
Breitenkreis durch c(t). Zeigen Sie, dass die Funktion t 7→ r(c(t)) θ(t) konstant ist
(Satz von Clairaut). Hinweis: Breitenkreise sind tangentiell an ein Killingfeld.
5. Linksinvariante Metriken. Zeigen Sie, dass jede linksinvariante Riemannsche
Metrik auf einer Liegruppe vollständig ist.
6. Adjungierte Darstellung. Sei G eine Liegruppe. Zeigen Sie, dass die Ableitung der Abbildung Ad : G → GL(Te G) im neutralen Element gegeben ist durch
Te Ad : Te G → Te GL(Te G) ∼
= End(Te G)
(Te Ad)X = ad (X) ∈ End(Te G).
Dabei ist der Vektorraumendomorphismus ad (X) definiert durch
ad (X)Y = [X, Y ]
für X, Y ∈ Te G mit der in 17.8 eingeführten Lieklammer auf Te G ∼
= G.
7. Liegruppen. Sei G eine Liegruppe mit einer linksinvarianten Riemannschen
Metrik g. Zeigen Sie: Ein differenzierbarer Gruppenautomorphismus von G ist
genau dann eine Isometrie von g, wenn seine Ableitung im neutralen Element eine
lineare Isometrie (d.h. orthogonale Abbildung) von Te G bezüglich des Skalarproduktes g(e) ist.
221
22. Riemannsche Überlagerungen
Die Krümmungseigenschaften einer vollständigen Riemannschen Metrik lassen in
gewissem Umfang Rückschlüsse auf die topologische Struktur der unterliegenden
Mannigfaltigkeit zu. Der Satz von Bonnet–Myers etwa zeigt, dass strikte Positivität der Riccikrümmung nur auf kompakten Räumen möglich ist, und der in 21.4
erwähnte Sphärensatz besagt unter der zusätzlichen Voraussetzung des einfachen
Zusammenhangs von M , dass Riemannsche Metriken mit Schnittkrümmung zwischen 1/4 und 1 nur auf Mannigfaltigkeiten existieren, die homömorph zur Sphäre
sind. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Resultate, die Aussagen über andere
topologische Eigenschaften gestatten.
Was aber sind topologische Eigenschaften eines Raumes M ? Es sind solche, die
topologisch äquivalente, d.h. homöomorphe Räumen gemein haben, die also nur
vom Homöomorphietyp von M abhängen. Man spricht daher auch von topologischen “Invarianten”. Kompaktheit ist eine topologische Eigenschaft, aber auch
der Homöomorphietyp selbst. Verfahren, solche Invarianten zu ermitteln, liefert die
algebraische Topologie. Hier werden den Räumen Objekte algebraischer Natur, etwa
Homologie- und Homotopiegruppen, zugeordnet, die bei homöomorphen Räumen
isomorph sind. Die Isomorphieklasse einer solchen Gruppe ist also eine topologische
Invariante des Raumes.
Die ersten Abschnitte dieses Kapitels sind der ersten Homotopiegruppe oder Fundamentalgruppe und dem damit zusammenhängenden Begriff der Überlagerung gewidmet. Überlagerungen sind uns bereits in Abschnitt 13.4 begegnet. Wir beschränken
uns auf eine knappe Darstellung und betonen Aspekte, die für die Riemannsche Geometrie wichtig sind. Für eine ausführlichere Behandlung sei etwa auf das dritte
Kapitel von Glen E. Bredon’s Buch “Topology and Geometry” verwiesen. Danach
gehen wir auf den Begriff der Riemannschen Überlagerung ein und geben einfache
Anwendungen. Anschließend setzen wir die Untersuchung positiv gekrümmter Mannigfaltigkeiten mit einem Fixpunktsatz von Weinstein fort, aus dem wir schließlich
den Satz von Synge über Fundamentalgruppe und Orientierbarkeit von Mannigfaltigkeiten positiver Schnittkrümmung erhalten.
22.1. Überlagerungen. Sei M eine zusammenhängende differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine Überlagerung von M ist eine surjektive differenzierbare Abbildung
π : M̄ → M mit folgender Eigenschaft: Jeder Punkt p ∈ M hat eine offene Umgebung U dergestalt, dass
[
π −1 (U ) =
Uα
(22.1.1)
α∈Λ
ist mit disjunkten offenen Teilmengen Uα ⊆ M̄ , die durch π|Uα diffeomorph auf U
abgebildet werden. Derartige offene Teilmengen U ⊆ M nennt man zulässige oder
Version 21. Juli 2000
222
gleichmässig überlagerte Teilmengen. Insbesondere ist also π ein lokaler Diffeomorphismus. Da M zusammenhängend ist, hängt die Anzahl der Urbilder |π −1 (p)| ∈
N ∪ {∞} eines Punktes p ∈ M nicht von p ab. Sie heißt die Blätterzahl der
Überlagerung.
In ungenauer Sprechweise bezeichnet man oft anstelle der Abbildung π auch den
Raum M̄ als eine Überlagerung von M . Eine zusammenhängende Überlagerung ist
also eine Überlagerung π : M̄ → M , bei der M̄ zusammenhängend ist.
Jede einfach zusammenhängende Überlagerung π : M̃ → M heißt eine universelle
Überlagerung. Ist insbesondere M selbst einfach zusammenhängend, dann ist die
Identität idM : M → M eine universelle Überlagerung. Der folgende Satz, den wir
ohne Beweis angeben, besagt, dass es zu jedem M eine universelle Überlagerung
gibt und dass diese bis auf “fasertreue” Diffeomorphie eindeutig bestimmt ist.
Satz. (a) Zu jeder zusammenhängenden differenzierbaren Mannigfaltigkeit M existiert eine universelle Überlagerung π : M̃ → M .
(b) Seien π1 : M1 → M eine universelle Überlagerung und π2 : M2 → M eine Überlagerung von M . Sind p1 ∈ M1 und p2 ∈ M2 Punkte mit π1 (p1 ) = π2 (p2 ), dann
existiert genau eine differenzierbare Abbildung φ : M1 → M2 mit π2 ◦ φ = π1 und
φ(p1 ) = p2 . Ist M2 zusammenhängend, dann ist diese Abbildung eine Überlagerung.
(c) Seien π1 : M1 → M und π2 : M2 → M universelle Überlagerungen von M .
Sind p1 ∈ M1 und p2 ∈ M2 Punkte mit π1 (p1 ) = π2 (p2 ), dann existiert genau eine
differenzierbare Abbildung φ : M1 → M2 mit π2 ◦ φ = π1 und φ(p1 ) = p2 . Diese
Abbildung ist ein Diffeomorphismus.
Falls M2 in Teil (b) nicht zusammenhängend ist, dann kann man M2 durch die p2
enthaltende Zusammenhangskomponente M20 ersetzen und (b) auf die Überlagerung
π2 |M20 : M20 → M anwenden. — Die Aussage in Teil (c) ist eine einfache Folgerung
aus (b). In der Tat erhält man aus (b) differenzierbare Abbildungen φ : M1 → M2
und, nach Vertauschen der Rollen von M1 und M2 , auch ψ : M2 → M1 . Die Abbildung ψ ◦ φ : M1 → M1 erfüllt dann π1 ◦ (ψ ◦ φ) = π1 und bildet p1 auf sich selbst
ab. Dasselbe gilt für die Identitätsabbildung idM1 , und wegen der Eindeutigkeitsaussage in (b), diesmal angewandt auf M1 = M2 , folgt ψ ◦ φ = idM1 . Ebenso zeigt
man φ ◦ ψ = idM2 . Also ist φ ein Diffeomorphismus mit inverser Abbildung ψ.
Korollar. Seien M̄ und M differenzierbare Mannigfaltigkeiten. M̄ sei zusammenhängend und M einfach zusammenhängend. Dann ist jede Überlagerung π :
M̄ → M ein Diffeomorphismus.
Beweis. Wendet man Teil (b) des Satzes an auf die universelle Überlagerung id :
M → M und die Überlagerung π : M̄ → M , so erhält man eine Überlagerung
φ : M → M̄ mit π ◦ φ = idM . Aus dieser Gleichung folgt zunächst, dass φ injektiv
ist, also ein Diffeomorphismus. Damit ist auch π = φ−1 ein Diffeomorphismus.
QED
223
Beispiel. Die Abbildung π : R → S 1 , π(t) = eit ist eine universelle Überlagerung
von S 1 . Schränkt man aber π ein auf ein beschränktes offenes Intervall, so erhält
man einen lokalen Diffeomorphismus, der keine Überlagerung ist.
22.2. Gruppenoperationen. Eine große Zahl weiterer Beispiele von Überlagerungen erhält man durch Quotientenbildung nach freien und eigentlich diskontinuierlichen Gruppenoperationen (Kapitel 11, Aufgabe 5). Wir erinnern zunächst
an diesen Begriff.
Eine differenzierbare (Links–)Operation einer Gruppe Γ auf einer differenzierbaren
Mannigfaltigkeit M ist eine Abbildung µ : Γ × M → M mit der Eigenschaft, dass
die Abbildung γ 7→ µ(γ, ·) ein Gruppenhomomorphismus von Γ in die Diffeomorphismengruppe von M ist. Wir schreiben kurz γp anstelle von µ(γ, p), wenn über
die Gruppenoperation µ kein Zweifel besteht. Jede Gruppenoperation definiert eine
Äquivalenzrelation auf M . Deren Äquivalenzklassen sind die Bahnen
Γp = {γp | γ ∈ Γ}
der Punkte p ∈ M . Den Quotientenraum dieser Operation, also die Menge aller
Bahnen, bezeichnen wir mit Γ\M . Dieser Quotient, versehen mit der Quotiententopologie, trägt im allgemeinen nicht die Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit.
Eine Gruppenoperation heißt frei und eigentlich diskontinuierlich, wenn gilt:
(a) Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U mit U ∩ γU = ∅ für
alle γ ∈ Γ\{e}.
(b) Ist q ∈ M nicht in der Bahn Γp enthalten, dann existieren Umgebungen U von p und V von q mit U ∩ γV = ∅ für alle γ ∈ Γ.
Operiert die Gruppe Γ frei und eigentlich diskontinuierlich auf der Mannigfaltigkeit M , dann trägt nach Aufgabe 5 von Kapitel 11 der Quotientenraum Γ\M die
Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit. Man sieht leicht ein, dass die
kanonische Projektion M → Γ\M eine Überlagerung ist.
22.3. Decktransformationen. Sei π : M̃ → M eine universelle Überlagerung.
Eine Decktransformation ist ein Diffeomorphismus φ : M̃ → M̃ mit π ◦ φ = π.
Die Gruppe Deck aller Decktransformationen der Überlagerung bezeichnet man als
deren Decktransformationsgruppe, oder kurz Deckgruppe. Satz 22.1(c), angewandt
auf M1 = M2 = M̃ , ergibt: Zu je zwei Punkten p̃, q̃ ∈ M̃ mit π(p̃) = π(q̃) existiert
genau eine Decktransformation φ mit φ(p̃) = q̃. Daher stimmt die Anzahl der Decktransformationen einer universellen Überlagerung mit ihrer Blätterzahl überein, es
ist also
Blätterzahl = |π −1 (p)| = |Deck|.
Satz. Sei π : M̃ → M eine universelle Überlagerung, Γ = Deck die Gruppe der
Decktransformationen. Dann operiert Γ frei und eigentlich diskontinuierlich auf M̃ ,
und die Quotientenmannigfaltigkeit Γ\M̃ ist diffeomorph zu M .
224
Zusammen mit Satz 22.1(a) ergibt sich, dass jede Mannigfaltigkeit diffeomorph ist
zum Quotienten einer einfach zusammenhängenden Mannigfaltigkeit M̃ nach einer
frei und eigentlich diskontinuierlich operierenden Gruppe von Diffeomorphismen.
Beweis. Um zu zeigen, dass die Operation von Γ frei und eigentlich diskontinuierlich
ist, sind die Eigenschaften (a) und (b) aus 22.2 zu verifizieren. Sei dazu p̃ ∈ M̃ ,
und sei U ⊆ M eine zulässige Umgebung von π(p̃) wie in (22.1.1). Dann ist p̃ ∈ U α
für einen Index α. Wir zeigen, dass die Umgebung Uα von p̃ die Bedingung aus (a)
erfüllt, dass also für alle γ ∈ Γ mit γ 6= id gilt γ(Uα ) ∩ Uα = ∅. Ist γ(Uα ) ∩ Uα 6= ∅,
dann existieren q̃, r̃ ∈ Uα mit γ(q̃) = r̃. Daraus folgt π(q̃) = π ◦ γ(q̃) = π(r̃), und
da π|Uα injektiv ist, folgt q̃ = r̃. Also ist γ eine Decktransformation mit γ(q̃) = q̃,
ebenso wie die Identitätsabbildung id von M̃, und es folgt γ = id. Damit ist
Eigenschaft (a) bewiesen, und ein ähnliches Argument ergibt (b).
Es bleibt zu zeigen, dass der Quotient Γ\M̃ diffeomorph zu M ist. Die Projektion
π : M̃ → M induziert eine offenbar bijektive Abbildung π̄ : Γ\M̃ → M . Da die
Abbildungen M̃ → Γ\M̃ und π : M̃ → M lokale Diffeomorphismen sind, ist das
auch für π̄ der Fall. Also ist π̄ ein bijektiver lokaler Diffeomorphismus, und folglich
ein Diffeomorphismus. QED
22.4. Deckgruppe und Fundamentalgruppe. Wir erinnern zunächst an den
Begriff der Fundamentalgruppe eines topologischen Raumes M in einem Punkt
p ∈ M . Eine stetige Schleife an p ist eine stetige Abbildung c : [0, 1] → M mit c(0) =
c(1) = p. Homotopie mit festen Endpunkten definiert eine Äquivalenzrelation ∼ auf
der Menge S(M, p) aller stetigen Schleifen an p. Die Quotientenmenge
π1 (M, p) = S(M, p)/∼,
also die Menge aller Äquivalenzklassen [c], heißt die Fundamentalgruppe von M in p.
Man erhält eine Gruppenstruktur auf π1 (M, p), indem man setzt [c1 ] [c2 ] = [c1 ∗ c2 ]
mit der Schleife
(c1 ∗ c2 )(t) =
c1 (2t)
für 0 ≤ t ≤ 1/2;
c2 (2t − 1) für 1/2 ≤ t ≤ 1.
Sind p und q ∈ M Punkte, die durch einen stetigen Weg verbunden werden können,
dann sind die Gruppen π1 (M, p) und π1 (M, q) isomorph. Man erhält einen Isomorphismus, indem man Schleifen an p durch “Anhängen” des Verbindungsweges
zu Schleifen an q verlängert. Insbesondere ist in einem wegzusammenhängenden
Raum die Fundamentalgruppe π1 (M, p) bis auf Isomorphie von p unabhängig. Man
spricht dann etwas ungenau von “der” Fundamentalgruppe von M und schreibt
π1 (M ) anstelle von π1 (M, p). Der Raum M ist einfach zusammenhängend, wenn
diese Gruppe nur aus dem neutralen Element besteht.
Fundamentalgruppen können verwendet werden, um topologische Räume zu unterscheiden, da zueinander homöomorphe Räume isomorphe Fundamentalgruppen
225
haben (Aufgabe 1). In diesem Sinne ist die Isomorphieklasse der Fundamentalgruppe eine “topologische Invariante” des Raumes, d.h. invariant unter Homöomorphismen. Der folgende Satz gestattet es oft, die Fundamentalgruppe eines
Raumes zu bestimmen, dessen universelle Überlagerung bekannt ist.
Satz. Die Deckgruppe jeder universellen Überlagerung π : M̃ → M einer zusammenhängenden Mannigfaltigkeit ist zur Fundamentalgruppe π1 (M, p) isomorph.
Beweisskizze. Wir definieren einen Gruppenisomorphismus Ψ : Deck → π1 (M, p)
wie folgt. Sei p̃ ∈ π −1 (p). Für γ ∈ Deck sei c eine Kurve von γ(p̃) nach p̃. Da M̃
einfach zusammenhängend ist, sind je zwei solche Kurven homotop. Dann ist π ◦ c
eine Schleife an p, also [π ◦ c] ∈ π1 (M, p). Wir setzen Ψ(γ) = [π ◦ c]. Man verifiziert,
dass Ψ ein bijektiver Gruppenhomomorphismus ist. QED
Da die Blätterzahl einer universellen Überlagerung mit der Mächtigkeit ihrer Deckgruppe, also mit der Mächtigkeit von π1 (M, p) übereinstimmt, ergibt sich als
Folgerung. Die universelle Überlagerung einer kompakten zusammenhängenden
Mannigfaltigkeit M ist genau dann kompakt, wenn die Fundamentalgruppe π 1 (M, p)
endlich ist.
22.5. Riemannsche Überlagerungen. Eine Riemannsche Überlagerung ist eine
Überlagerung π : M̄ → M Riemannscher Mannigfaltigkeiten (M̄ , ḡ) und (M, g), die
gleichzeitig eine lokale Isometrie ist, für die also π ∗ g = ḡ gilt. Ist π : M̄ → M eine
Überlagerung einer zusammenhängenden Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g),
dann wird π mit der Riemannschen Metrik ḡ := π ∗ g auf M̄ zu einer Riemannschen
Überlagerung. Jede Riemannsche Mannigfaltigkeit (M, g) besitzt also eine Riemannsche universelle Überlagerung (M̃ , g̃), und diese ist bis auf fasertreue Isometrie
eindeutig bestimmt.
Für Decktransformationen φ ∈ Deck einer Riemannschen Überlagerung gilt wegen
π◦φ=π
φ∗ g̃ = φ∗ π ∗ g = (π ◦ φ)∗ g = π ∗ g = g̃.
Also sind alle Decktransformationen Isometrien der induzierten Metrik g̃. Mit de
Ergebnissen aus 22.3 und 22.4 ergibt sich:
Folgerung. Jede zusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeit (M, g) ist isometrisch zum Quotienten einer einfach zusammenhängenden Riemannschen Mannigfaltigkeit (M̃ , g̃) nach einer frei und eigentlich diskontinuierlich operierenden
Gruppe Γ von Isometrien. Die Gruppe Γ ist isomorph zur Fundamentalgruppe von
M.
Ist umgekehrt Γ eine eigentlich diskontinuierlich und frei operierende Gruppe von
Isometrien einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M̄, ḡ) dann existiert auf der Quotientenmannigfaltigkeit Γ\M̄ offenbar genau eine Riemannsche Metrik g, mit der
die kanonische Projektion M̄ → Γ\M̄ zur Riemannschen Überlagerung wird.
226
Lemma. Sei π : M̄ → M eine Riemannsche Überlagerung. Dann gilt: M̄ ist genau
dann vollständig, wenn M vollständig ist.
Beweis. Ist M̄ vollständig, dann auch M , weil π als lokale Isometrie Geodätische
in Geodätische abbildet. Sei nun umgekehrt M vollständig, und sei c̄ : [0, ε) → M̄
eine Geodätische. Wir zeigen, dass sich c̄ für jede Zahl a > 0 zu einer auf [0, a]
definierten Geodätischen fortsetzen lässt. Die Kurve π ◦ c̄ =: c eine Geodätische in
M , also auf ganz R definiert. Indem man das Kompaktum c([0, a]) durch endlich
viele zulässige Mengen überdeckt, findet man durch sukzessives “Liften” von c eine
Kurve c̃ : [0, a] → M̄ mit π ◦ c̃ = c|[0,a] und c̃|[0,ε) = c̄. Da c eine Geodätische ist
und π eine lokale Isometrie, ist auch c̃ eine Geodätische. QED
Kommentar über Raumformen. Vollständige zusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeiten konstanter (Schnitt-)Krümmung werden traditionell als
Raumformen bezeichnet. Die Ergebnisse diese Abschnittes sind Ansatzpunkt für
eine “Klassifikation” der Raumformen.
Ist (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit mit Schnittkrümmung K, dann hat
für positives λ ∈ R die Metrik λg Schnittkrümmung K/λ, da g und λg offenbar denselben Levi–Civita–Zusammenhang haben. Es reicht daher aus, Räume
der konstanten Krümmung K = 1, K = 0 oder K = −1 zu untersuchen. Wir bemerken weiter, dass Riemannsche Überlagerungsräume von Räumen konstanter
Krümung dieselbe konstante Krümmung haben, da Riemannsche Überlagerungen
lokale Isometrien sind.
Man kann zeigen dass alle einfach zusammenhängenden Raumformen isometrisch
zur Standardsphäre, zum euklidischen Raum oder zum hyperbolischen Raum (Kapitel 20, Aufgabe 4) sind, je nachdem, ob die Krümmung K = 1, K = 0 oder K = −1
ist. Alle anderen Raumformen erhält man dann als Quotienten dieser drei Standardräume nach frei und eigentlich diskontinuierlich operierenden Untergruppen Γ ihrer
Isometriegruppe. Die entsprechenden Quotientenräume nennt man sphärische, euklidische und hyperbolische Raumformen. Einzelheiten zu diesem Thema findet man
in J. A. Wolf’s Buch “Spaces of constant curvature”.
22.6. Eine einfache Anwendung.
Satz. Sei (M n , g) eine kompakte und zusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeit mit positiver Riccikrümmung Ric > 0. Dann ist die Fundamentalgruppe
von M endlich.
Beweis. Da M kompakt ist, existiert eine Zahl κ > 0 mit Ric ≥ (n−1)κg. Sei
π : M̃ → M eine universelle Überlagerung und sei g̃ = π ∗ g. Dann erfüllt (M̃ , g̃) die
Voraussetzungen des Satzes von Bonnet–Myers. Das Lemma in 22.5 sichert dabei
die Vollständigkeit von g̃, und die Krümmungsschranke von (M, g) übertragt sich
auf (M̃ , g̃), weil π eine lokale Isometrie ist. Nach dem Satz von Bonnet–Myers ist
M̃ kompakt, und die Folgerung aus 22.4 liefert die Behauptung. QED
227
Beispiel. Sei M eine kompakte zusammenhängende differenzierbare Mannigfaltigkeit. Dann existiert auf M × S 1 keine Riemannsche Metrik mit positiver Riccikrümmung. Denn die Fundamentalgruppe π1 (M × S 1 ) ∼
= π1 (M ) × π1 (S 1 ) enthält
1 ∼
π1 (S ) = Z, ist also unendlich. Dagegen ist seit 1992 bekannt † , dass auf jeder
differenzierbaren Mannigfaltigkeit der Dimension ≥ 3 vollständige Riemannsche
Metriken mit negativer Riccikrümmung existieren.
Korollar (Satz von Weyl). Sei G eine kompakte zusammenhängende Liegruppe,
deren Liealgebra triviales Zentrum C(G) = {0} hat. Dann ist die Fundamentalgruppe von G endlich.
Beweis. Nach dem Satz in 21.3 existiert auf G eine biinvariante Riemannsche
Metrik. Das Korollar in 21.4 besagt, dass jede solche Metrik auf G positive Riccikrümmung hat. Die Behauptung folgt nun aus dem Satz. QED
22.7. Ein Kriterium für Überlagerungen. Um zu schließen, dass ein lokaler
Diffeomorphismus eine Überlagerung ist, sind zusätzliche Voraussetzungen erforderlich. Für unsere Zwecke ist das folgende Kriterium nützlich.
Satz 1. Seien M̄ 6= ∅ und M differenzierbare Mannigfaltigkeiten mit Zusam¯ und ∇. Die Mannigfaltigkeit M sei zusammenhängend. Sei π :
menhängen ∇
M̄ → M ein lokaler Diffeomorphismus, der Geodätische in Geodätische abbildet.
¯ vollständig, dann ist π eine Überlagerung.
Ist ∇
¯ dann
Die Voraussetzung über π ist so zu verstehen: Ist c̄ eine Geodätische von ∇,
ist π ◦ c̄ Geodätische von ∇. Diese Bedingung ist offensichtlich gleichbedeutend mit
π ◦ exp = exp ◦ T π,
(22.6.1)
¯ bezeichnet.
wenn exp die Exponentialabbildungen von ∇ und ∇
Beweis. Wir beweisen zunächst, dass π surjektiv ist. Zu diesem Zweck zeigen wir,
dass das Bild π(M̄ ) eine nichtleere, offene und abgeschlossene Teilmenge von M ist.
Daraus folgt dann π(M̄ ) = M , also die Surjektivität. Nach dem Satz über inverse
Funktionen 4.2(c) ist das Bild offen, da π ein lokaler Diffeomorphismus ist. Zum
Nachweis der Abgeschlossenheit sei π(p̄k ) eine Folge in π(M̄ ) mit Grenzwert p. Wir
zeigen, dass dann auch p ∈ π(M̄ ) ist. Für jeden hinreichend großen Index k existiert
eine Geodätische c : [0, 1] → M mit c(0) = π(p̄k ) und c(1) = p. Sei c̄ : [0, 1] → M̄
die Geodätische mit
˙
c̄(0)
= (Tp̄k π)−1 ċ(0).
¯ stellt sicher, dass c̄ auf ganz [0, 1] definiert ist. Dann
Die Vollständigkeit von ∇
gilt π ◦ c̄ = c, insbesondere π(c̄(1)) = c(1) = p und damit p ∈ π(M̄ ). Damit ist die
Surjektivität von π bewiesen.
†
J. Lohkamp, Metrics of negative Ricci curvature, Ann. of Math. 140(1994), 655–
683.
228
Wir zeigen nun, dass jeder Punkt p ∈ M ein zulässige Umgebung U im Sinne von
22.1 hat. Sei V ⊆ Tp M eine konvexe Umgebung des Nullpunktes, die durch die
Exponentialabbildung expp diffeomorph auf eine offene Teilmenge U := expp (V )
von M abgebildet wird. Sei weiter π −1 (p) = {pα | α ∈ Λ} mit einer Indexmenge Λ,
und sei
Vα := (Tpα π)−1 (V ) ⊆ Tpα M̄ .
Da π Geodätische in Geodätische abbildet, ist
π ◦ exppα = expp ◦ Tpα π.
Folglich wird Vα durch exppα diffeomorph auf die offene Teilmenge
Uα := exppα (Vα ) ⊆ M̄
abgebildet. Also ist
π Uα = expp V ◦ Tpα π ◦ (exppα Vα )−1
ein Diffeomorphismus von Uα auf U . Wir beenden den Beweis, indem wir zeigen:
(1) Uα ∩ Uβ 6= ∅ impliziert α = β
[
(2) π −1 (U ) =
Uα .
α∈Λ
Zum Beweis von (1) sei p̄ ∈ Uα ∩ Uβ . Sei cα : [0, 1] → M̄ die eindeutig bestimmte
Geodätische mit cα (0) = p̄ und cα (1) = pα , die ganz in Uα verläuft. Ebenso
sei cβ : [0, 1] → M̄ die eindeutig bestimmte Geodätischen von cβ (0) = p̄ nach
cβ (1) = pβ , die ganz in Uβ liegt. Dann sind die Kurven π ◦ cα und π ◦ cβ Geodätische von π(p̄) nach p, die ganz in U enthalten sind. Also gilt π ◦ cα = π ◦ cβ ,
und es folgt
(Tp̄ π) ċα (0) = (π ◦ cα )· (0)
= (π ◦ cβ )· (0)
= (Tp̄ π) ċβ (0).
Damit ist ċα (0) = ċβ (0), also cα = cβ . Insbesondere folgt pα = cα (1) = cβ (1) = pβ ,
und daraus α = β.
S
Zum Beweis von (2): Offensichtlich ist α Uα ⊆ π −1 (U ). Wir beweisen die umge−1
kehrte Inklusion. Seien dazu q̄ ∈ π (U ) und q := π(q̄). Wir betrachten die
Geodätische c : [0, 1] → M von c(0) = q nach c(1) = p mit c([0, 1]) ⊆ U , und die
Geodätische c̄ : [0, 1] → M̄ mit Tangentialvektor
˙
c̄(0)
= (Tq̄ π)−1 ċ(0).
Dann ist c̄(0) = q̄ und π ◦ c̄ = c, insbesondere also π(c̄(1)) = c(1) = p. Daher gilt
c̄(1) = pα für einen Index α ∈ Λ, und es folgt q̄ ∈ Uα . QED
229
Satz 2. Sei (M, g) eine zusammenhängende vollständige Riemannsche Mannigfaltigkeit, und sei p ∈ M . Ist expp : Tp M → M ein lokaler Diffeomorphismus, dann
ist expp eine Überlagerung. Ist zusätzlich M einfach zusammenhängend, dann ist
expp ein Diffeomorphismus.
Beweis. Wir betrachten die Riemannsche Metrik ḡ = exp∗p g auf Tp M . Die Riemannsche Mannigfaltigkeit (Tp M, ḡ) hat die Eigenschaft, dass die Geodätischen
durch 0 genau die Kurven c(t) = tX mit X ∈ Tp M sind. Insbesondere ist die Exponentialabbildung exp0 : T0 (Tp M ) → Tp M auf ganz T0 (Tp M ) definiert. Nach dem
Kriterium (a) des Satzes 19.2 von Hopf und Rinow ist (Tp M, ḡ) eine vollständige
Riemannsche Mannigfaltigkeit. Satz 1 liefert nun die erste Aussage, und mit dem
Korollar aus 22.1 folgt die zweite. QED
Beispiel. Beim Rotationsparaboloid z = x2 + y 2 im R3 ist der Scheitelpunkt
p = (0, 0, 0) der einzige Punkt, der die Voraussetzung des Satzes erfüllt.
22.8. Fixpunktsatz von Weinstein. Sei (M n , g) eine kompakte, zusammenhängende orientierte Riemannsche Mannigfaltigkeit mit Schnittkrümmung K > 0. Sei
f : M → M eine Isometrie. Ist die Dimension n gerade und f orientierungserhaltend, oder ist n ungerade und f orientierungsumkehrend, dann existiert ein Punkt
p ∈ M mit f (p) = p.
Die Voraussetzungen des Satzes lassen sich anhand der Antipodenabbildung x 7→
−x der Einheitssphäre S n ⊆ Rn+1 illustrieren. Diese Abbildung ist fixpunktfrei,
und sie ist genau dann orientierungserhaltend, wenn die Dimension n ungerade ist.
Für den Beweis des Fixpunktsatzes verwenden wir das folgende Lemma über die
Existenz invarianter Geodätischer.
Lemma. Sei f : M → M eine Isometrie einer zusammenhängenden Riemannschen
Mannigfaltigkeit (M, g). Die Verschiebungsfunktion p 7→ d(p, f (p)) nehme ein
lokales Minimum im Punkt p ∈ M an. Sei c : R → M eine Geodätische mit
der Eigenschaft, dass für eine Zahl l ≥ 0 die Einschränkung c|[0,l] eine Kürzeste
von p nach f (p) ist, also c(0) = p, c(l) = f (p) und L(c|[0,l] ) = d(p, f (p)). Dann gilt
(Tp f )ċ(0) = ċ(l), und es ist f (c(t)) = c(t + l) für alle t ∈ R.
Beweis. Ist f (p) = p, dann ist c konstant, und die Behauptungen gelten offensichtlich. Sei nun f (p) 6= p. Wir zeigen zunächst, dass für alle X ∈ Tp M aus dem
orthogonalen Komplement ċ(0)⊥ gilt
(Tp f )X ∈ ċ(l)⊥ .
(∗)
Sei dazu V ein differenzierbares Vektorfeld längs c mit V (0) = X und V (l) =
(Tp f )X, und sei H(s, t) = cs (t) = exp(sV (t)). Nach der ersten Variationsformel
(18.1.2) ist dann
l
1
d 1
L(c
)
=
hV,
ċi
hV (l), ċ(l)i.
=
s
ds
kċk
kċk
0
0
230
Nun ist cs (0) = exp(sX) und
cs (l) = exp(s(Tp f )X) = f (exp(sX)) = f (cs (0)),
da f eine Isometrie ist. Da die Verschiebungsfunktion ein lokales Minimum an p
hat, folgt für alle s aus einer Umgebung von 0
L(cs ) ≥ d(cs (0), cs (l))
= d(cs (0), f (cs (0))
≥ d(p, f (p))
= L(c0 ).
Daher ist die Ableitung d/ds|0 L(cs ) = 0, also hV (l), ċ(l)i = 0, und die Behauptung
(∗) ist bewiesen.
Da Tp f eine lineare Isometrie ist, folgt aus (∗) zunächst (Tp f )ċ(0) = ± ċ(l), und
daraus f (c(t)) = c(l ± t), da sowohl f (c(t)) als auch c(l ± t) Geodätische mit demselben Tangentialvektor an t = 0 sind. Wäre f (c(t)) = c(l − t), dann hätte man
d(c(t), f (c(t))) = kċk · (l − 2t), und p wäre kein lokales Minimum der Verschiebungsfunktion, im Widerspruch zur Voraussetzung. Also ist f (c(t)) = c(l + t). QED
Wir kommen nun zum Beweis des Fixpunktsatzes. Da (M n , g) kompakt ist, nimmt
die Verschiebungsfunktion p 7→ d(p, f (p)) ihr Minimum in einem Punkt p an. Wir
führen die Annahme p 6= f (p) zu einem Widerspruch. Sei c : [0, l] → M eine kürzeste Geodätische von p nach f (p), und sei A : Tp M → Tp M die lineare Isometrie
c
c
die Parallelverschiebung längs c bezeichnet. Wegen
◦ Tp f , wobei P0,l
A := P0,l
des Lemmas gilt A ċ(0) = ċ(0), also auch A(ċ(0)⊥ ) ⊆ ċ(0)⊥ . Nun verwenden wir
folgende
Bemerkung. Sei A : V → V eine orthogonale Abbildung eines m–dimensionalen
euklidischen Vektorraumes V . Ist m ungerade und die Determinante det(A) > 0,
oder ist m gerade und det(A) < 0, dann existiert ein Vektor X ∈ V \{0} mit
AX = X.
Der Beweis ergibt sich leicht aus der Normalform orthogonaler Abbildungen: V ist
eine orthogonale direkte Summe von zweidimensionalen Unterräumen, auf denen A
eine Drehung um einen Winkel ∈
/ Zπ ist, und von Eigenräumen zu Eigenwerten 1
und −1. Die Voraussetzungen sind so beschaffen, dass der Eigenwert 1 vorkommen
muss.
Die Bemerkung, angewandt auf V = ċ(0)⊥ , impliziert, dass ein Einheitsvektor
c
X ∈ ċ(0)⊥ existiert mit AX = X, also mit (Tp f )X = Pl,0
X. Sei
c
V (t) = Pt,0
X ∈ Tc(t) M.
Dann ist V ein paralleles Vektorfeld längs c mit V (0) = X und V (l) = (Tp f )X. Die
zweite Variationsformel, angewandt auf cs (t) = H(s, t) = exp(sV (t)), ergibt wegen
231
∇t V = 0 und ∇s ∂s H(0, t) = 0
Z l
1
d2 L(cs ) = −
hR(V, ċ)ċ, V i dt
ds2 0
kċk 0
Z l
= −kċk
K(V, ċ) dt < 0.
0
Also ist L(cs ) < L(c0 ) für kleine |s|. Andererseits ist
cs (l) = exp(sV (l))
= exp(s(Tp f )X)
= f (exp(sX))
= f (cs (0)),
und damit
d( cs (0), f (cs (0)) ) = L(cs ) < L(c0 ) = d(p, f (p))
im Widerspruch zur Wahl von p. QED
22.9. Orientierungsüberlagerung und Satz von Synge. Sei M eine zusammenhängende differenzierbare Mannigfaltigkeit. Wir betrachten die Menge M̄ aller
Orientierungen (siehe 11.1) aller Tangentialräume an M , also
M̄ = { (p, Op ) | p ∈ M, Op ist eine Orientierung von Tp M }.
Sei π : M̄ → M die Abbildung π(p, Op ) = p. Dann existieren, wie man leicht
einsieht, auf M̄ genau eine Topologie und differenzierbare Struktur dergestalt, dass
π eine zweiblättrige Überlagerung wird. Diese Überlagerung π : M̄ → M heißt
die Orientierungsüberlagerung von M . Durch die Festlegung, dass für alle p̄ =
(p, Op ) ∈ M̄ die Ableitung Tp̄ π : Tp̄ M̄ → Tp M bezüglich der Orientierung Op von
Tp M orientierungserhaltend ist, wird M̄ zu einer orientierten Mannigfaltigkeit. Man
zieht also die Orientierung Op von Tp M mit dem Vektorraumisomorphismus Tp̄ π
zu einer Orientierung von Tp̄ M̄ zurück. Bezeichnet Op0 die zu Op entgegengesetzte
Orientierung von Tp M , dann ist die durch flip(p, Op ) = (p, Op0 ) definierte Abbildung
flip : M̄ → M̄ offenbar ein orientierungsumkehrender Diffeomorphismus von M̄ .
Lemma. Die Orientierungsüberlagerung M̄ einer zusammenhängenden Mannigfaltigkeit M ist genau dann zusammenhängend, wenn M nicht orientierbar ist. Insbesondere ist jede einfach zusammenhängende Mannigfaltigkeit orientierbar.
Beweis. M ist genau dann nicht orientierbar, wenn es zu jedem Punkt p ∈ M
eine orientierungsumkehrende Schleife c an p gibt, genauer: eine stetige Kurve
c̄ : [0, 1] → M̄ ,
c̄(t) = (c(t), Oc(t) )
232
0
mit c(0) = c(1) = p und Oc(1) = Oc(0)
. Die erste Aussage ergibt sich leicht aus dieser
Feststellung. Da nach dem Korollar in 22.1 einfach zusammenhängende Mannigfaltigkeiten keine zweiblättrigen zusammenhängenden Überlagerungsräume haben,
folgt die zweite Aussage aus der ersten. QED
Satz von Synge. Sei (M n , g) eine kompakte zusammenhängende Riemannsche
Mannigfaltigkeit mit positiver Schnittkrümmung K > 0.
(a) Ist n gerade und M orientierbar, dann ist M einfach zusammenhängend.
(b) Ist n gerade und M nicht orientierbar, dann ist die Fundamentalgruppe von M
isomorph zu Z/2Z.
(c) Ist n ungerade, dann ist M orientierbar.
Beweis. (a) Wir zeigen, dass die Fundamentalgruppe von M trivial ist. Sei π : M̃ →
M eine Riemannsche universelle Überlagerung. Nach 22.4 genügt es, zu zeigen, dass
ihre Deckgruppe Deck trivial ist.
Da M kompakt ist, gibt es eine positive Zahl κ mit K > κ. Dieselbe Ungleichung
gilt für den Überlagerungsraum (M̃ , π ∗ g). Nach dem Satz von Bonnet–Myers ist
daher M̃ kompakt und erfüllt die Voraussetzungen des Fixpunktsatzes 22.8 von
Weinstein. Die Mannigfaltigkeit M ist diffeomorph zum Quotienten Deck\M̃, und
da M orientierbar ist, ist jede Decktransformation γ ein orientierungserhaltender
Diffeomorphismus von M̃ (vergleiche Aufgabe 6 von Kapitel 11). Der Fixpunktsatz
von Weinstein impliziert nun, dass γ einen Fixpunkt hat. Da andererseits Deck frei
und eigentlich diskontinuierlich auf M̃ operiert, hat kein Element γ 6= id Fixpunkte.
Also besteht Deck nur aus der Identität.
(b) Die Anwendung von (a) auf die Orientierungsüberlagerung π : M̄ → M (mit der
Metrik π ∗ g) ergibt, dass M̄ einfach zusammenhängend ist. Folglich ist π : M̄ → M
eine universelle Überlagerung mit Blätterzahl 2, und damit |π1 (M )| = |Deck| = 2.
(c) Die zweifache orientierte Überlagerung M̄ ist eine kompakte orientierte Mannigfaltigkeit positiver Schnittkrümmung, die einen orientierungsumkehrenden Diffeomorphismus flip : M̄ → M̄ ohne Fixpunkte zuläßt. Nach dem Fixpunktsatz von
Weinstein ist M̄ unzusammenhängend. Folglich ist M orientierbar. QED
Aufgaben
1. Fundamentalgruppen. Zeigen Sie, dass zueinander homöomorphe zusammenhängende topologische Räume isomorphe Fundamentalgruppen haben. Hinweis:
Jede stetige Abbildung ϕ : M → N induziert einen Gruppenhomomorphismus
ϕ# : π1 (M, p) → π1 (N, ϕ(p)).
2. Produkte. Beweisen Sie mit Hilfe des Satzes in 23.3 folgende Beziehung für
die Fundamentalgruppe eines kartesischen Produktes:
π1 (M × N ) ∼
= π1 (M ) × π1 (N )
233
3. Liegruppen. Sei φ : G → H ein differenzierbarer Gruppenhomomorphismus
von Liegruppen G und H. Die Ableitung Te φ : Te G → Te H im neutralen Element
sei ein Vektorraumisomorphismus. Zeigen Sie, dass φ eine Überlagerung ist.
4. Killingfelder. Sei (M, g) eine kompakte Riemannsche Mannigfaltigkeit mit
positiver Schnittkrümmung und gerader Dimension. Zeigen Sie, dass jedes Killingfeld auf M eine Nullstelle hat.
5. Geschlossene Geodätische. Eine Geodätische c : [a, b] → M heißt geschlossen, wenn c(a) = c(b) und ċ(a) = ċ(b) ist. Sei c eine geschlossene Geodätische in
einer Riemannschen Mannigfaltigkeit mit positiver Schnittkrümmung und gerader
Dimension. Die Parallelverschiebung Tc(a) → Tc(b) M längs c sei orientierungserhaltend, habe also positive Determinante. Zeigen sie: Es existiert eine Variation
cs (t) = H(s, t) von c durch geschlossene differenzierbare Kurven cs , die kürzer sind
als c. Hinweis: Verwenden Sie die zweite Variationsformel mit einem geeigneten
Vektorfeld V längs c.
234
23. Jacobifelder und Indexlemma
Jacobifelder sind Vektorfelder längs einer Geodätischen c in einer Riemannschen
Mannigfaltigkeit M , die der Jacobigleichung, einer linearen gewöhnlichen Differentialgleichung zweiter Ordnung, genügen. Sie sind charakterisiert als die Variationsvektorfelder derjenigen Variationen von c = c0 , bei denen alle Nachbarkurven
cs Geodätische sind. Es zeigt sich insbesondere, dass die Ableitung der Exponentialabbildung expp auf einfache Weise durch Jacobifelder beschrieben wird. Da in
die Jacobigleichung der Krümmungstensor eingeht, ergeben sich Beziehungen zwischen dem Krümmungsverhalten von M und Eigenschaften der Exponentialabbildung. Als Folgerung erhalten wir den Satz von Hadamard–Cartan über die Struktur
von Mannigfaltigkeiten nichtpositiver Schnittkrümmung. Danach beweisen wir eine
Minimaleigenschaft von Jacobifeldern, das sogenannte Indexlemma, das im nächsten
Kapitel Verwendung finden wird, und beschließen das Kapitel mit dem Jacobikriterium für die Minimalität von Geodätischen.
Im Folgenden ist (M, g) eine n–dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit mit
Levi–Civita–Zusammenhang ∇ und Exponentialabbildung exp. Soweit nichts anderes festgelegt wird, bezeichnet c : [a, b] → M eine Geodätische. Wir verwenden
die abkürzende Schreibweise ∇t = ∇/dt.
23.1. Jacobifelder als Variationsvektorfelder. Ein differenzierbares Vektorfeld J längs der Geodätischen c heißt ein Jacobifeld, wenn für alle t ∈ [a, b] die
Jacobigleichung
∇t ∇t J + R(J, ċ)ċ = 0.
(23.1.1)
erfüllt ist. Dabei ist R der Krümmungstensor von (M, g).
Lemma 1. Sei H ∈ C ∞ ((−ε, ε) × [a, b], M ) eine Variation von c, und sei V (t) =
∂H/∂s(0, t) das entsprechende Variationsvektorfeld längs c = c 0 . Sind alle Kurven
cs = H(s, ·) Geodätische, dann ist V ein Jacobifeld.
Beweis. Da alle cs Geodätische sind, ist ∇t ∂t H = 0. Mit den Gleichungen (18.1.1)
und (16.3.1) ergibt sich
∇t ∇t ∂ s H = ∇ t ∇s ∂ t H
= ∇s ∇t ∂t H + R(∂t H, ∂s H)∂t H
= R(∂t H, ∂s H)∂t H.
Für s = 0 ist ∂t H = ċ und ∂s H = V , und die Behauptung folgt. QED
Lemma 2. Seien J0 , J00 ∈ Tc(a) M . Dann existiert genau ein Jacobifeld längs c mit
J(a) = J0 und (∇t J)(a) = J00 . Insbesondere ist die Menge der Jacobifelder längs c
ein 2n–dimensionaler Vektorraum.
Version 25. Juli 2000
235
Beweis. Seien V1 , . . . , Vn parallele Vektorfelder längs c, die für jeden Wert t ∈ [a, b]
eine Basis von Tc(t) M bilden, und sei J ein Vektorfeld längs c. Dann ist J = J i Vi
mit gewissen Komponentenfunktionen J i , und es gilt ∇t J = (J i )0 Vi . Außerdem ist
R(Vi , ċ)ċ = ai k Vk mit Koeffizienten ai k ∈ C ∞ ([a, b]), und damit R(J, ċ)ċ = J i ai k Vk .
Die Jacobigleichung ist daher äquivalent zum linearen System gewöhnlicher Differentialgleichungen
(J k )00 + ai k J i = 0
(k = 1, . . . , n).
(23.1.2)
Die Behauptung folgt (siehe 9.5). QED
Bemerkung. Ist ∇R = 0 auf M , dann ist R(Vi , ċ)ċ ein paralleles Vektorfeld längs
c, und damit sind die Koeffizienten ai k konstant. Das Differentialgleichungssystem (23.1.2) läßt sich dann explizit lösen. Riemannsche Mannigfaltigkeiten mit
parallelem Krümmungstensor, also mit ∇R = 0, heißen lokalsymmetrische Räume.
Beispiele lokalsymmetrischer Räume sind die Räume konstanter Krümmung und
Liegruppen mit biinvarianter Riemannscher Metrik. Man folgert das leicht aus den
jeweiligen Formeln für den Krümmungstensor in (20.6.1) und 21.4.
Lemma 3. Seien J0 , J00 ∈ Tc(a) M , und sei γ : (−ε, ε) → M differenzierbar mit
γ̇(0) = J0 . Sei H die Variation
γ
(ċ(a) + sJ00 ) .
H(s, t) = expγ(s) (t − a)Ps,0
(23.1.3)
Dann ist das Variationsvektorfeld J(t) = ∂H/∂s(0, t) das Jacobifeld längs c mit den
Anfangswerten J(a) = J0 und (∇t J)(a) = J00 .
Insbesondere ist also jedes Jacobifeld längs c das Variationsvektorfeld einer Variation
mit geodätischen Nachbarkurven cs = H(s, ·). Um sicherzustellen, dass H auf
(−ε, ε) × [a, b] definiert ist, muß ε nötigenfalls verkleinert werden, da (M, g) nicht
als vollständig vorausgesetzt ist.
Beweis. Da die Kurven cs = H(s, ·) Geodätische sind, ist J jedenfalls ein Jacobifeld.
Zu zeigen bleibt, dass J(a) = J0 gilt und (∇t J)(a) = J00 . Tatsächlich ist
und
d d ∂H
expγ(s) (0) =
γ(s) = J0
(0, a) =
J(a) =
∂s
ds 0
ds 0
(∇t J)(a) = (∇t ∂s H)(0, a)
= (∇s ∂t H)(0, a)
P γ (ċ(a) + sJ 0 )
= ∇s =0
s=0 s,0
+ J00 ,
wie behauptet. QED
236
0
Korollar. Seien p ∈ M, X, Y ∈ Tp M und sei J das Jacobifeld längs der Geodätischen t 7→ exp(tX) mit J(0) = 0 und (∇t J)(0) = Y . Dann gilt
(23.1.4)
J(t) = TtX expp (ιtX tY ).
Dabei bezeichnet ιtX : Tp M → TtX Tp M den kanonischen Isomorphismus (17.6.1).
Beweis. Wendet man Lemma 3 mit der konstanten Kurve γ(s) = p an, dann ergibt
sich
∂H
(0, t)
J(t) =
∂s
∂ =
expp (t(X + sY ))
∂s 0
∂ = (TtX expp )
t(X + sY )
∂s 0
= (TtX expp )(ιtX tY ) . QED
Lemma 4. Sei J ein Jacobifeld längs der Geodätischen c.
(a) Es gilt hJ(t), ċ(t)i = λt + µ mit Konstanten λ, µ ∈ R.
(b) Die an c tangentielle Komponente
D
ċ E ċ
J tan = J,
kċk kċk
und die zu ċ orthogonale Komponente J ⊥ = J − J tan sind ebenfalls Jacobifelder.
(c) Für an c tangentielle Jacobifelder J gilt
c
J(t) = Pt,a
J(a) + t(∇t J)(a) .
Da die an c tangentielle Komponente eines Jacobifeldes durch (c) gegeben ist, kann
man sich für viele Zwecke auf die Betrachtung der zu ċ orthogonalen Jacobifelder
beschränken.
Beweis. Die erste Aussage ergibt sich aus
hJ, ċ i00 = h∇t ∇t J, ċ i = −hR(J, ċ)ċ, ċ i = 0.
Für (b) bemerkt man, dass J tan die Jacobigleichung erfüllt. Die rechte Seite der
Gleichung in (c) ist ein Jacobifeld mit denselben Anfangswerten J(a) und ∇t J(a)
wie J, stimmt also mit J überein. QED
23.2. Jacobifelder in Räumen konstanter Krümmung. In Räumen konstanter Schnittkrümmung K = κ gilt nach (20.6.1) R(X, Y )Z = κ(hY, Z iX −hX, Z iY ),
also
2
R(J, ċ)ċ = κ(kċk J − hJ, ċ iċ ).
237
Ist speziell hJ, ċ i = 0, dann lautet die Jacobigleichung
2
∇t ∇t J + κ kċk J = 0.
(23.2.1)
Sei V1 , . . . , Vn wie im Beweis von 23.1 Lemma 2 ein längs c paralleles Repèrefeld.
Für die durch J = J i Vi definierten Komponenten von J ergibt sich das System
2
(J k )00 + κ kċk J k = 0.
c
Mit J(t) = Pt,a
J k (t)Vk (a) erhält man die Lösung explizit als
√
√
sin κ kċk (t − a)
c
√
J(t) = Pt,a cos κ kċk (t − a) J(a) +
(∇t J)(a)
κ kċk
falls κ > 0 ist. Im Fall κ < 0 sind in dieser Formel κ durch −κ, sin durch sinh und
cos durch cosh zu ersetzen, also
√
√
sinh −κ kċk (t − a)
c
√
(∇t J)(a) .
J(t) = Pt,a
cosh −κ kċk (t − a) J(a) +
−κ kċk
Für κ = 0 schließlich lautet die Lösung
c
J(a) + (t − a)(∇t J)(a) .
J(t) = Pt,a
23.3. Konjugierte Punkte und negative Krümmung. Ein Punkt c(t) einer
Geodätischen c : [a, b] → M heißt zu c(a) konjugiert längs c, oder etwas ungenauer:
ein konjugierter Punkt von c, wenn ein Jacobifeld J 6= 0 längs c existiert mit J(a) =
0 und J(t) = 0. Wegen Lemma 4(a) in 23.1 ist dann hJ, ċ i = 0. Aus dem Korollar
in 23.1 ergibt sich:
Lemma. Der Punkt expp (X) ist genau dann zu p konjugiert längs der Geodätischen
γ(t) = expp (tX), wenn Kern(TX expp ) 6= {0} ist.
Die Dimension des Raumes der Jacobifelder längs c mit J(a) = 0 und J(t) = 0 nennt
man die Multiplizität des konjugierten Punktes. In der Situation des Lemmas ist
das die Dimension des Kernes von TX expp .
Proposition. In Riemannschen Mannigfaltigkeiten (M, g) mit Schnittkrümmung
K ≤ 0 haben Geodätische keine konjugierten Punkte. Insbesondere ist für jeden
Punkt p ∈ M die Abbildung expp : T̃p M → M ein lokaler Diffeomorphismus.
Beweis. Sei J 6= 0 ein Jacobifeld längs c mit J(a) = 0. Dann ist
hJ, J i00 = 2h∇t J, J i0
= 2h∇t ∇t J, J i + 2 k∇t Jk
2
= −2hR(J, ċ)ċ, J i + 2 k∇t Jk
≥ 0.
238
2
Für die Funktion f (t) = hJ(t), J(t)i auf [a, b] gilt also f 00 ≥ 0. Außerdem ist f (a) =
f 0 (a) = 0 und f 00 (a) = h∇t J, ∇t J i(a) ≥ 0. Da J nicht identisch verschwindet, ist
∇t J(a) 6= 0 und damit f 00 (a) > 0. Folglich hat f keine Nullstelle in (a, b], und die
Geodätische c hat keinen zu c(a) konjugierten Punkt. QED
Satz von Hadamard–Cartan. Sei (M, g) eine zusammenhängende, vollständige
Riemannsche Mannigfaltigkeit mit Schnittkrümmung K ≤ 0, und sei p ∈ M . Dann
ist die Exponentialabbildung expp : Tp M → M eine Überlagerung. Ist M einfach
zusanmmenhängend, dann ist expp ein Diffeomorphismus.
Der Satz folgt unmittelbar aus der Proposition und aus Satz 2 in 22.7. Vollständige,
einfach zusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeiten mit Schnittkrümmung
K ≤ 0 nennt man Hadamard–Mannigfaltigkeiten. Aufgrund des Satzes sind solche
Mannigfaltigkeiten M diffeomorph zu Rn , und je zwei Punkte p, q ∈ M können
durch eine eindeutig bestimmte Geodätische c : [0, 1] → M verbunden werden.
Diese Geodätische c hängt differenzierbar von p und q ab. Genauer gesagt, gilt
folgende
Bemerkung. Ist ∇ ein vollständiger Zusammenhang auf einer differenzierbaren
Mannigfaltigkeit M , und ist für jeden Punkt p ∈ M die Abbildung expp : Tp M → M
ein Diffeomorphismus, dann ist auch π×exp : T M → M ×M ein Diffeomorphismus.
Dabei bezeichnet π : T M → M die Projektion des Tangentialbündels. Die Abbildung π×exp ist nach Voraussetzung bijektiv. Der Beweis des Lemmas in 17.7 liefert,
dass die Ableitung TX (π × exp) = TX π × TX exp invertierbar ist für alle X ∈ T M .
Folglich ist π × exp ein bijektiver lokaler Diffeomorphismus, also ein Diffeomorphismus, und die Bemerkung ist bewiesen. Die eindeutige Verbindbarkeit von Punkten
durch Geodätische hat zur Folge, dass sich viele geometrische Konstruktionen der
euklidischen Geometrie auch in Hadamard–Mannigfaltigkeiten durchführen lassen.
Kommentar. Nach Abschnitt 22.5 ist jede zusammenhängende, vollständige Riemannsche Mannigfaltigkeit (M, g) mit K ≤ 0 isometrisch zum Quotienten Γ\M̃
einer Hadamard–Mannigfaltigkeit (M̃ , g̃) nach einer frei und eigentlich diskontinuierlich operierenden Gruppe Γ ∼
= π1 (M ) von Isometrien. Da M̃ diffeomorph zu Rn
ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Gruppenstruktur von π1 (M ) von großem
Einfluss auf die topologische Struktur von M ist. In der Tat gilt der folgende
Starrheitssatz von Farrell und Jones † .
Satz. Seien (M1 , g1 ) und (M2 , g2 ) kompakte zusammenhängende Riemannsche
Mannigfaltigkeiten mit nichtpositiver Schnittkrümmung. Die Dimension von M1
sei 6= 3, 4. Sind die Fundamentalgruppen isomorph, π1 (M1 ) ∼
= π1 (M2 ), dann sind
M1 und M2 homöomorph.
†
F. T. Farrell, L. E. Jones, Topological rigidity for compact nonpositively curved
manifolds, Proceedings of Symposia in Pure Mathematics 54(1993), Part 3, 229–
274
239
Beispiele zeigen, dass in der Formulierung das Wort “homöomorph” nicht durch
“diffeomorph” ersetzt werden kann.
23.4. Indexform und Indexlemma. Sei Vc⊥ der Raum der stückweise differenzierbaren Vektorfelder V längs der Geodätischen c mit hV (t), ċ(t)i = 0 für alle
t ∈ [a, b]. Die Indexform von c ist die durch
I(V, W ) =
1
kċk
Z
b
a
h∇t V, ∇t W i − hR(V, ċ)ċ, W i dt
(23.4.1)
definierte symmetrische Bilinearform I : Vc⊥ × Vc⊥ → R. Nach der zweiten Variationsformel gilt für Variationsvektorfelder V von Variationen mit festen Endpunkten
d2 I(V ⊥ , V ⊥ ) =
L(cs ).
(23.4.2)
ds2 0
Für Jacobifelder J ist
Z b
1
∂t h∇t J, J i − h∇t ∇t J + R(J, ċ)ċ, J i dt
kċk a
b
1
=
h∇t J, J i .
kċk
a
I(J, J) =
(23.4.3)
Lemma. Ist c(t) nicht konjugiert zu c(a) längs c, dann ist die Randwertabbildung
J 7→ (J(a), J(t)) ein Isomorphismus des Vektorraums der Jacobifelder längs c auf
den Raum Tc(a) M × Tc(t) M .
Beweis. Es handelt sich um eine lineare Abbildung zwischen Vektorräumen derselben Dimension 2n, deren Kern der Nullraum ist. QED
Satz (Indexlemma). Die Geodätische c enthalte keine zu c(a) längs c konjugierten
Punkte. Sei V ∈ Vc⊥ ein Vektorfeld mit V (a) = 0, und sei J das Jacobifeld längs c
mit denselben Randwerten J(a) = 0 und J(b) = V (b). Dann ist I(J, J) ≤ I(V, V ),
und Gleichheit impliziert V = J.
Bei gegebenen Randwerten V (a) = 0 und V (b) minimieren also Jacobifelder die Indexform. Für den Beweis treffen wir zunächst einige Vorbereitungen. Sei Y1 , . . . , Yn
eine Basis von Tc(b) M , und sei Ji das Jacobifeld längs c mit Randwerten Ji (a) = 0
und Ji (b) = Yi .
(a) Für jeden Wert t ∈ (a, b] bilden die Vektoren J1 (t), . . . , Jn (t) eine Basis von
Tc(t) M .
Ist nämlich für einen Wert t0 ∈ (a, b] eine Linearkombination ai Ji (t0 ) = 0, dann ist
˜ := ai Ji (t) ein Jacobifeld, das an den Stellen a und t0 verschwindet. Da c keine
J(t)
240
˜ = 0. Da die Yi linear
konjugierten Punkte hat, folgt J˜ = 0, und insbesondere J(b)
1
n
unabhängig sind, ist dann a = · · · = a = 0, und (a) ist bewiesen.
(b) Es gilt h∇t Ji , Jk i − hJi , ∇t Jk i = 0.
Wir bezeichnen mit f (t) die linke Seite dieser Gleichung. Mit Hilfe der Jacobigleichung ergibt sich f 0 (t) = 0. Da ausserdem f (0) = 0 ist, folgt f = 0, also die
Behauptung.
Sei nun V ∈ Vc⊥ . Dann gilt V (t) = V i (t)Ji (t) mit gewissen stückweise differenzierbaren Komponentenfunktionen V i auf (a, b]. Diese sind im Punkt a zunächst nicht
definiert.
(c) Sei J das Jacobifeld längs c mit Randwerten J(a) = 0 und J(b) = V (b). Dann
gilt J(t) = V i (b)Ji (t) für alle t ∈ [a, b].
In der Tat ist die Differenz beider Seiten ein Jacobifeld, das für t = a und t = b
verschwindet. Da c keine konjugierten Punkte hat, verschwindet es auf [a, b].
(d) Ist V ∈ Vc⊥ ein Vektorfeld mit V (a) = 0, dann können die Komponentenfunktionen V i : (a, b] → R zu stückweise differenzierbaren Funktionen auf [a, b] fortgesetzt
werden.
Beweis. Für Werte t ∈ (a, b] ist V (t) = V i (t)Ji (t), also
c
c
Pa,t
V (t) = V i (t)Pa,t
Ji (t).
Mit der Taylorformel (15.3.1) folgt daraus
V (a) + (t − a)∇t V (a) + O((t − a)2 )
= V i (t) Ji (a) + (t − a)∇t Ji (a) + O((t − a)2 ) ,
und wegen V (a) = Ji (a) = 0 ergibt sich
∇t V (a) + O(t − a) = V i (t) ∇t Ji (a) + O(t − a) .
(∗t )
Nun sind ∇t J1 (a), . . . , ∇t Jn (a) linear unabhängig, da andernfalls eine nichttriviale
˜
˜
˜
Linearkombination J(t)
= ai Ji (t) die Bedingungen J(a)
= 0 und ∇t J(a)
= 0
erfüllen würde, im Gegensatz zu Aussage (a). Gleichung (∗t ) ist daher ein lineares
k
Gleichungssystem der Form V i (t)aki (t) = bk (t) mit Funktionen aki und
bi , die in
k
einer Umgebung von a differenzierbar sind, wobei die Matrix ai (a) invertierbar
ist. Behauptung (d) folgt, indem man dieses System nach den V i (t) auflöst und
V i (0) als die Lösung von (∗0 ) definiert. QED
Wir kommen nun zum eigentlichen Beweis des Indexlemmas. Mit
∇t V = (V i )0 Ji + V i ∇t Ji =: A + B
241
folgt
1
I(V, V ) =
kċk
Z
b
hA, Ai + 2hA, Bi + hB, Bi − hR(V, ċ)ċ, V i dt.
a
Nun ist, unter Verwendung von (b) und der Jacobigleichung,
Z
b
a
hB, Bi dt =
=
Z
Z
Z
b
a
b
a
b
V i V k h∇t Ji , ∇t Jk i dt
V i V k h∇t Ji , Jk i0 + hR(Ji , ċ)ċ, Jk i dt
(V i V k h∇t Ji , Jk i)0 − (V i )0 V k h∇t Ji , Jk i
− V i (V k )0 h∇t Ji , Jk i + hR(V, ċ)ċ, V i dt
Z b
b
− 2hA, Bi + hR(V, ċ)ċ, V i dt.
= hB, V i a +
=
a
a
Wegen (c) ist
und daher mit (23.4.3)
b hB, V ia = V i (b)∇t Ji (b), V (b)
= ∇t J(b), J(b)
b
1
1
I(V, V ) =
h∇t J, J ia +
kċk
kċk
b
1
≥
h∇t J, J ia
kċk
Z
b
a
hA, Ai dt
= I(J, J),
wie behauptet. Gleichheit in dieser Ungleichung impliziert A = 0, also V i = const =
V i (b) und damit wegen (c) auch V = J. QED
23.5. Jacobikriterium. Mit Hilfe konjugierter Punkte lässt sich ein Kriterium
dafür angeben, dass eine Geodätische c : [a, b] → M unter den Nachbarkurven cs
jeder Variation mit festen Endpunkten die Bogenlänge minimiert. Wir betrachten
dazu stückweise glatte Variationen H : (−ε, ε) × [a, b] → M , H(s, t) =: cs (t) von
c mit festen Endpunkten, also mit cs (a) = c(a) und cs (b) = c(b) für alle s. Sei
V (t) = ∂H/∂s(0, t) das Variationsvektorfeld.
Satz. (a) Enthält c auf (a, b] keinen zu c(a) konjugierten Punkt, dann gilt für jede
stückweise glatte Variation mit festen Endpunkten und mit V ⊥ 6= 0
d2 L(cs ) > 0.
ds2 0
242
Folglich ist c kürzer als die Nachbarkurven cs für alle hinreichend kleinen s 6= 0.
(b) Ist c(t0 ) konjugiert zu c(a) für einen Wert t0 ∈ (a, b), dann existiert eine stückweise glatte Variation mit festen Endpunkten und mit
d2 L(cs ) < 0.
ds2 0
Insbesondere ist dann L(cs ) < L(c) für alle hinreichend kleinen s 6= 0, und c ist
keine Kürzeste.
Beweis. (a) Anwendung des Indexlemmas auf V ⊥ und das Jacobifeld J = 0 ergibt
die Ungleichung
d2 L(cs ) = I(V ⊥ , V ⊥ ) > I(J, J) = 0.
ds2 0
(b) Sei J 6= 0 ein Jacobifeld mit J(0) = 0 und J(t0 ) = 0. Nach Lemma 4(a) in 23.1
ist J orthogonal zu ċ, und wir können ein Vektorfeld Y ∈ Vc⊥ definieren als
Y (t) =
J(t) für a ≤ t ≤ t0
0
für t0 < t ≤ b.
Dann ist I(Y, Y ) = 0, und für die einseitigen Ableitungen in t0 gilt
(∇t Y )(t−
0 ) = (∇t J)(t0 ) 6= 0, da J 6= 0
(∇t Y )(t+
0 ) = 0.
Sei Z ∈ Vc⊥ ein Vektorfeld mit Z(a) = 0 und Z(b) = 0, und sei V = Y + δZ mit
einer noch zu wählenden Zahl δ ∈ R. Aus I(Y, Y ) = 0 und der Bilinearität der
Indexform folgt
I(V, V ) = 2δ I(Y, Z) + δ 2 I(Z, Z).
Mit der Jacobigleichung ∇t ∇t Y + R(Y, ċ)ċ = 0 ergibt sich
1
I(Y, Z) =
kċk
1
=
kċk
Z
Z
b
a
b
a
h∇t Y, ∇t Z i − hR(Y, ċ)ċ, Z i dt
h∇t Y, Z i0 dt
b t−
1
0
h∇t Y, Z i + h∇t Y, Z i +
kċk
t0
a
1
=
h∇t J(t0 ), Z(t0 ) i.
kċk
=
Wegen hJ, ċ i = 0 ist auch h∇t J, ċ i = 0. Man kann deshalb Z ∈ Vc⊥ so wählen,
dass Z(t0 ) = ∇t J(t0 ) gilt. Dann ist I(Y, Z) > 0, und für δ < 0 nahe Null folgt
243
I(V, V ) < 0. Die Variation H(s, t) = expc(t) (sV (t)) erfüllt dann die Bedingungen
des Satzes. QED
Aufgaben
1. Jacobifelder mit Torsion. Sei ∇ ein Zusammenhang auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M , und sei c eine Geodätische. Sei H(s, t) eine Variation
von c mit der Eigenschaft, dass alle Kurven cs = H(s, ·) Geodätische von ∇ sind.
Zeigen Sie, dass das Variationsvektorfeld der verallgemeinerten Jacobigleichung
∇t ∇t J + R(J, ċ)ċ + ∇t (T (J, ċ)) = 0
mit dem Krümmungstensor R und dem Torsionstensor T von ∇ genügt.
2. Lokalsymmetrische Räume. Zeigen Sie, dass Räume konstanter Krümmung
und Liegruppen mit biinvarianter Riemannscher Metrik lokalsymmetrisch sind. Geben Sie explizite Formeln für die Jacobifelder lokalsymmetrischer Räume, indem Sie
ein paralleles Repèrefeld X1 , . . . , Xn längs der Geodätischen c verwenden, welches
aus Eigenvektoren der selbstadjungierten Abbildung X 7→ R(X, ċ)ċ besteht.
3. Jacobifelder und Killingfelder. Sei X ein Killingfeld auf einer Riemannschen
Mannigfaltigkeit. Zeigen Sie, dass für jede Geodätische c das Vektorfeld X ◦ c ein
Jacobifeld längs c ist. Folgern Sie: Die Menge der Nullstellen eines Killingfeldes auf
einer vollständigen Mannigfaltigkeit nichtpositiver Schnittkrümmung ist wegzusammenhängend.
4. Abstandsfunktion. Sei d die Abstandsfunktion einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g), und sei p ∈ M . Wir definieren die Funktion f : M → R als
f (q) =
1
d(p, q)2 .
2
Sei % > 0 kleiner als der Injektivitätsradius inj(p). Zeigen Sie, dass f auf dem Ball
B(p, %) differenzierbar ist mit Gradient
gradf (q) = − exp−1
q (p).
Sei c : [0, 1] → M die eindeutig bestimmte Geodätische von p nach q, die ganz in
B(p, %) verläuft. Zeigen Sie, dass für X ∈ Tq M gilt
(∇X gradf )(q) = (∇t J)(1),
wobei J das Jacobifeld längs c ist mit den Randwerten J(0) = 0 und J(1) = X.
244
24. Vergleichssatz von Rauch
Da in die Jacobigleichung (23.1.1) der Krümmungstensor einer Riemannschen Mannigfaltigkeit (M, g) eingeht, liegt es nahe, dass aus Schranken für die Krümmung
Abschätzungen für Jacobifelder gewonnen werden können. Eine derartige Aussage
ist Inhalt des Vergleichssatzes von Rauch, der, grob gesprochen, besagt, dass bei
vergleichbaren Ausgangsbedingungen die Jacobifelder einer negativer gekrümmten
Mannigfaltigkeit entlang einer Geodätischen stärker wachsen als die einer positiver
gekrümmten. Da Jacobifelder die Ableitung der Exponentialabbildung beschreiben,
und da man die Jacobifelder der Räume konstanter Krümmung kennt, ergeben sich
Folgerungen für die Längenverzerrung durch Normalkoordinaten und für die Lage
der konjugierten Punkte auf einer Geodätischen.
24.1. Vergleichssatz von Rauch. Seien (M, g) und (M ∗ , g ∗ ) Riemannsche Mannigfaltigkeiten derselben Dimension, und seien c : [a, b] → M und c∗ : [a, b] → M ∗
Geodätische mit kċk = kċ∗ k. Es gelte
(a) c∗ hat keine zu c∗ (a) längs c∗ konjugierten Punkte, und
(b) Für alle t ∈ [a, b] und alle Vektoren X ∈ Tc(t) M und X ∗ ∈ Tc∗(t) M ∗ sind die
Schnittkrümmungen
K(ċ(t), X) ≤ K ∗ (ċ∗ (t), X ∗ ).
Seien J und J ∗ Jacobifelder längs c und c∗ mit den Eigenschaften
(c) hJ, ċ i = hJ ∗ , ċ∗ i = 0,
(d) J(a) = 0 und J ∗ (a) = 0
(e) k(∇t J)(a)k = k(∇t J ∗ )(a)k.
Dann gilt
kJ(t)k ≥ kJ ∗ (t)k
auf [a, b]. Gilt in dieser Ungleichung für einen Wert t0 ∈ (0, a] das Gleichheitszeichen, dann ist für alle t ∈ [0, t0 ]
K(ċ(t), J(t)) = K ∗ (ċ∗ (t), J ∗ (t)).
Ist J ∗ 6= 0, dann ist J ∗ (t) 6= 0 für alle t ∈ (a, b], und die Funktion
t 7→
kJ(t)k
kJ ∗ (t)k
ist monoton wachsend.
Die Aussage
√ des Satzes lässt sich gut am Beispiel von Sphären unterschiedlicher
Radien 1/ κ veranschaulichen. Der Beweis wird zeigen, dass die Voraussetzung
Version 17. Juli 2000
245
gleicher Dimension durch dim(M ) ≤ dim(M ∗ ) ersetzt werden kann. Es gibt eine
Reihe von Verallgemeinerungen dieses Satzes, die alle als Rauchsche Vergleichssätze
bezeichnet werden. Die Idee ist jedenfalls, aus der Jacobigleichung (23.1.1) und
Annahmen über den Krümmungstensor R Abschätzungen für J (in Abhängigkeit
von Anfangs- oder Randwerten) zu gewinnen, und damit über das Verhalten der
Geodätischen auf M .
Beweis. Man kann annehmen, dass J ∗ 6= 0 ist, da andernfalls nichts zu beweisen
ist. Dann gilt J ∗ (t) 6= 0 für alle t ∈ (a, b], da c∗ keine zu c∗ (a) konjugierten Punkte
hat. Sei t0 ∈ (a, b]. Es existiert eine lineare Isometrie A : Tc(a)M → Tc∗ (a) M ∗ mit
A ċ(a) = ċ∗ (a) und
∗
c
c
J(t0 ) = Pa,t
A Pa,t
0
0
kJ(t )k
0
J ∗ (t0 ) .
∗
kJ (t0 )k
Wir definieren ein Vektorfeld Y längs c∗ durch
∗
c
c
Y (t) = (Pt,a
◦ A ◦ Pa,t
)J(t).
Dann gilt
∗
c
c
(∇t Y )(t) = (Pt,a
◦ A ◦ Pa,t
)(∇t J)(t).
Nach Wahl von A hat Y an der Stelle t = t0 denselben Wert wie das Jacobifeld
˜ = kJ(t0 )k J ∗ (t).
J(t)
kJ ∗ (t0 )k
˜
Da außerdem Y (a) = 0 = J(a)
ist, läßt sich auf Y und J˜ das Indexlemma aus
∗
Abschnitt 23.4 (für die Kurve c |[a,t0 ] ) anwenden. In der folgenden Rechnung verwenden wir die Gleichung (23.4.3) für I(J, J), die Eigenschaften k∇t Y k = k∇t Jk
und kY k = kJk, die Krümmungsvoraussetzung und das Indexlemma. Mit I bezeichnen wir sowohl die Indexform der Kurve c|[a,t0 ] als auch diejenige von c∗ |[a,t0 ] .
t0
1 d 2
kJk
=
hJ,
∇
Ji
t
2 dt t0
a
= I(J, J)
Z t0
1
=
h∇t J, ∇t Ji − hR(J, ċ)ċ, Ji dt
kċk a
Z t0
1
≥ ∗
h∇t Y, ∇t Y i − hR∗ (Y, ċ∗ )ċ∗ , Y i dt
kċ k a
= I(Y, Y )
˜
≥ I(J˜, J)
kJ(t )k 2
0
I(J ∗ , J ∗ )
=
kJ ∗ (t0 )k
kJ(t )k 2 1 d 0
kJ ∗ k2 .
=
kJ ∗ (t0 )k 2 dt t0
246
(24.1.1)
Da t0 ∈ (a, b] beliebig gewählt war, folgt
2
d kJk
≥0
dt kJ ∗ k2
auf (a, b], also ist kJk / kJ ∗ k monoton wachsend, wie behauptet. Zweimalige Anwendung der Regel von de L’Hospital ergibt
lim
t→a
kJ(t)k
2
kJ ∗ (t)k
2
hJ, ∇t Ji
t→a hJ ∗ , ∇t J ∗ i
= lim
= lim
t→a
= 1,
k∇t Jk2 + hJ, −R(J, ċ)ċ i
2
k∇t J ∗ k + hJ ∗ , −R∗ (J ∗ , ċ∗ iċ∗ i
und damit kJk ≥ kJ ∗ k auf [a, b]. Falls für einen Wert t0 > 0 das Gleichheitszeichen
gilt, dann ist J˜ = J ∗ . In der Ungleichungskette (24.1.1) muss gelten I(Y, Y ) =
˜ J),
˜ also nach dem Indexlemma Y = J,
˜ und außerdem
I(J,
hR(J, ċ)ċ, Ji = hR∗ (Y, ċ∗ )ċ∗ , Y i
auf dem Intervall [0, t0 ]. Folglich ist K(ċ(t), J(t)) = K ∗ (ċ∗ (t), J ∗ (t)) auf diesem
Intervall. QED
24.2. Anwendungen des Rauchschen Satzes. Für κ ∈ R sei sκ die Lösung der
gewöhnlichen Differentialgleichung f 00 + κf = 0 mit den Anfangswerten sκ (0) = 0
und s0κ (0) = 1. Explizit ist
 1
√
√
falls κ > 0

 κ sin( κt),
falls κ = 0
sκ (t) = t,

 √1 sinh(√−κt), falls κ < 0.
−κ
(24.2.1)
Für X ∈ Tp M sei ιX : Tp M → TX Tp M der kanonische Isomorphismus (17.6.1). Wie
in 18.3 definieren wir eine Riemannsche Metrik auf Tp M durch die Festlegung, dass
für jedes X ∈ Tp M die Abbildung ιX eine lineare Isometrie ist. Damit wird Tp M
zu einer flachen Riemannschen Mannigfaltigkeit. Die erste Anwendung beschreibt
die infinitesimale Längenverzerrung der Abbildung expp : T̃p M → M .
Satz 1. Seien (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit, K ihre Schnittkrümmung,
p ∈ M und X ∈ T̃p M . Sei w ∈ TX Tp M orthogonal zur radialen Richtung ιX X.
(a)√Gilt K ≤ ∆ für eine Zahl ∆ ∈ R, und ist im Fall ∆ > 0 zusätzlich kXk ≤
π/ ∆, dann gilt
(TX expp )w ≥ s∆ (kXk) kwk .
(24.2.2)
kXk
247
(b) Gilt K ≥ δ für eine Zahl δ ∈ R, und hat die Geodätische γ : [0, 1] → M ,
γ(t) = expp (tX) keine zu p = γ(0) konjugierten Punkte, dann gilt
(TX expp )w ≤ sδ (kXk) kwk .
kXk
(24.2.3)
Nach Abschnitt 18.3 gilt für radiale Vektoren w ∈ TX Tp M , dass (TX expp )w =
kwk, und nach dem Gauß–Lemma werden die radiale und die dazu orthogonale Richtung in TX Tp M durch TX expp in zueinander orthogonale Richtungen in Texp(X) M
abgebildet. Daher ist in Satz 1 die Einschränkung auf Vektoren orthogonal zur
radialen Richtung nicht gravierend.—Wir haben in (a) der Einfachheit halber vorausgesetzt, dass die Krümmungsschranke K ≤ ∆ überall gilt. Der Beweis zeigt aber,
dass die Forderung K(γ̇(t), Y ) ≤ ∆ für t ∈ [0, 1] und alle Y ∈ Tγ̇(t) M ausreichend
ist. Entsprechendes gilt in (b).
Beweis von Satz 1. Nach dem Korollar in 23.1 ist (TX expp )w = J(1), wobei J das
Jacobifeld längs γ(t) = exp(tX) bezeichnet mit J(0) = 0 und ∇t J(0) = ιX−1 w. Zum
Beweis von (a) seien (M ∗ , g ∗ ) eine vollständige n–dimensionale Mannigfaltigkeit
konstanter Schnittkrümmung ∆, p∗ ∈ M und A : Tp M → Tp∗ M ∗ eine lineare
Isometrie. Sei X ∗ = AX und sei γ∗ : [0, 1] → M ∗ die Geodätische γ ∗ (t) = exp(tX ∗ ).
Schließlich sei J ∗ das Jacobifeld längs c∗ mit J ∗ (0) = 0 und ∇t J ∗ (0) = A(∇t J(0)).
Dann gilt nach dem Rauchschen Satz und den Formeln für Jacobifelder in Räumen
konstanter Krümmung aus Abschnitt 23.2
kJ(1)k ≥ kJ ∗ (1)k
s∆ (kγ̇ ∗ k)
k(∇t J ∗ )(0)k
kγ̇ ∗ k
s∆ (kXk)
kwk ,
=
kXk
=
wie behauptet. Der Beweis von (b) verläuft analog. QED
Korollar 1. (a)
√ Ist K ≤ ∆ mit einer positiven Zahl ∆, dann haben Geodätische
der Länge < π/ ∆ keine konjugierten Punkte.
(b) Ist
√ K ≥ δ mit einer positiven Zahl δ, dann haben alle Geodätischen der Länge
≥ π/ δ konjugierte Punkte.
(c) Ist K ≤ 0, dann hat keine Geodätische konjugierte Punkte.
Das Korollar folgt sofort aus Satz 1. Teil (c) ist identisch mit der Proposition in
Abschnitt 23.3, für die dort ein kurzer Beweis gegeben wurde. Da auf jeder kompakten Teilmenge von M eine Schranke K ≤ ∆ existiert, folgt aus (a) insbesondere,
dass eine Geodätische c auf jedem kompakten Intervall [a, b] höchstens endlich viele
zu c(a) konjugierte Punkte enthält.
248
Da nach dem Jacobikriterium (23.5) Geodätische mit einem konjugierten Punkt
keine Kürzesten sind, ergibt sich aus (b) eine abgeschwächte Form des Satzes von
Bonnet–Myers: Ist (M, g) vollständig und zusammenhängend, und ist K ≥ δ mit
einer
√ positiven Konstante δ, dann ist M kompakt mit Durchmesser diam(M, g) ≤
π/ κ.
Satz 2. Seien (M, g) und (M ∗ , g ∗ ) Riemannsche Mannigfaltigkeiten derselben Dimension, p ∈ M , p∗ ∈ M ∗ . Die Zahl % > 0 sei kleiner als der Injektivitätsradius
inj(p), und die Exponentialabbildung expp∗ sei auf dem Ball Bp∗ (0, %) definiert und
ein lokaler Diffeomorphismus. Sei A : Tp M → Tp∗ M ∗ eine lineare Isometrie, und
sei F : B(p, %) → B(p∗, %) die Abbildung
−1
F = expp∗ ◦A ◦ expp B(0,%)
.
(24.2.4)
Für die Schnittkrümmungen aller zweidimensionalen Unterräume E ≤ Tq M mit
q ∈ B(p, %) gelte
K(E) ≤ K ∗ ((T F )(E)).
Dann ist
k(T F )Xk ≤ kXk
(24.2.5)
für alle X ∈ T M |B(p,%) . Insbesondere gilt für die Längen aller in B(p, %) verlaufenden Kurven
L(F ◦ c) ≤ L(c).
Beweis. Es genügt, die Behauptung für alle X der Gestalt X = (TY expp )w
nachzuweisen, wobei Y ∈ B(0, %) ⊆ Tp M ist, und wobei w ∈ TY Tp M zur radialen
Richtung ιY Y orthogonal ist. Seien Y ∗ = AY und w∗ = (TY A)w ∈ TY ∗ Tp∗ M ∗ .
Dann ist (TY expp )w = J(1), wobei J das Jacobifeld längs c(t) = expp (tY ) ist mit
J(0) = 0 und ∇t J(0) = τY−1 (w). Ebenso ist (TY ∗ expp∗ )w∗ = J ∗ (1), wobei J ∗ das
Jacobifeld längs c∗ (t) = expp∗ (tY ∗ ) ist mit J ∗ (0) = 0 und ∇t J ∗ (0) = τY−1∗ (w∗ ). Da
expp∗ auf dem Ball Bp∗ (0, %) ein lokaler Diffeomorphismus ist, hat die Geodätische
c∗ auf [0, 1] keine zu c(0) konjugierten Punkte. Außerdem ist J ⊥ ċ und J ∗ ⊥ ċ∗ ,
da diese Vektorfelder an 0 verschwinden und w und w ∗ orthogonal zur radialen
Richtung sind. Wegen
k∇t J)(0)k = kwk = kw ∗ k = k(∇t J ∗ )(0)k
ist der Rauchsche Vergleichssatz anwendbar und liefert kJ(1)k ≥ kJ ∗ (1)k, also
(TY expp )w ≥ (TY ∗ expp ) ◦ (TY A)w .
Mit X = (TY expp )w folgt daraus
kXk ≥ (TY ∗ expp ) ◦ (TY A) ◦ (TY expp )−1 X = k(T F )Xk ,
249
wie behauptet. QED
Korollar 2. Seien (M, g) und (M ∗ , g ∗ ) Riemannsche Mannigfaltigkeiten derselben
Dimension und derselben konstanten Schnittkrümmung. Seien p ∈ M und p∗ ∈ M ∗ .
Dann existiert eine Isometrie F : U → U ∗ einer Umgebung U von p auf eine Umgebung U ∗ von p∗ .
Dieses Korollar folgt aus Satz 2, indem man ρ < min{inj(p), inj(p∗ )} wählt und
beachtet, dass Ungleichung (24.2.5) sowohl auf F als auch auf F −1 anwendbar ist.
Also ist F ein Diffeomorphismus mit k(T F )Xk = kXk, und damit eine Isometrie.
Im Spezialfall K = 0 ergibt sich erneut Satz 16.9.
Korollar 2 lässt sich zu einem Beweis des bereits in 22.5 erwähnten Satzes verwenden, dass je zwei vollständige einfach zusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeiten derselben Dimension und derselben konstanten Schnittkrümmung isometrisch sind. Der Beweisgedanke besteht darin, die zunächst nur lokal definierten
Isometrien F : U → U ∗ unter Ausnutzung der Vollständigkeit entlang Kurven
fortzusetzen. Man verwendet dann die Voraussetzung des einfachen Zusammenhanges, also den Umstand, dass je zwei Kurven homotop (mit festen Endpunkten)
sind, um zu zeigen, dass die Fortsetzung nicht von der Wahl der Kurve abhängt, so
dass sich eine global definierte Isometrie ergibt.
250
Literaturhinweise
Die vorliegende Auswahl berücksichtigt ausschließlich die neuere Literatur und
beschränkt sich auf Bücher. Ausführlichere Verzeichnisse enthalten die Werke von
Kobayashi–Nomizu, Spivak (Band 5), Besse und Sakai.
1. Grundlagen: Topologie und differenzierbare Mannigfaltigkeiten
F.W. Warner, Foundations of Differentiable Manifolds and Lie Groups; Scott, Foresman, 1971; 2. Auflage Springer, 1983.
M. Spivak, A Comprehensive Introduction to Differential Geometry; Band 1, 3. Auflage, Publish or Perish, 1999; www.mathpop.com.
R.L. Bishop, S. Goldberg, Tensor Analysis on Manifolds; Dover Publications, 1980.
G.E. Bredon, Topology and Geometry; Springer, 1993.
S. Lang, Fundamentals of Differential Geometry; Springer, 1999.
2. Riemannsche Geometrie
M.P. do Carmo, Riemannian Geometry; Birkhäuser, 1992.
Ausgezeichnetes, erprobtes Lehrbuch, das mit geringem technischen Aufwand zu
klassischen Ergebnissen der globalen Riemannschen Geometrie führt.
T. Sakai, Riemannian Geometry; American Mathematical Society, 1996.
Umfassende, in die Tiefe gehende Monographie, die auch neuere Entwicklungen
berücksichtigt.
P. Petersen, Riemannian Geometry; Springer, 1998.
Moderner Standpunkt, führt in neue Entwicklungen ein.
I. Chavel, Riemannian Geometry–A Modern Introduction; Cambridge University
Press, 1993.
D. Gromoll, W. Klingenberg, W. Meyer, Riemannsche Geometrie im Großen; Springer 1968.
Als “GKM” bekannte Lecture Notes, die für eine ganze Generation Riemannscher
Geometer prägend waren.
M. Gromov, S.M. Bates, Metric Structures for Riemannian and Non–Riemannian
Spaces; Birkhäuser, 1999.
Monographie für Fortgeschrittene; enthält eine Fülle von Ideen, die zu verfolgen
sich lohnt. Der Stil ist ungewöhnlich.
Version 20. Juli 2000
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A. Besse, Einstein Manifolds; Springer, 1987.
Eine spezielles Thema wird zum Anlass genommen, große Teile der Riemannschen
Geometrie zu entwickeln. Hinter dem Namen Besse verbirgt sich ein Autorenkollektiv.
S. Gallot, D. Hulin, J. Lafontaine, Riemannian Geometry; 2nd ed.; Springer, 1990.
W. Klingenberg, Riemannian Geometry; 2nd ed., de Gruyter, 1995.
3. Differentialgeometrie der Kurven und Flächen
M.P. do Carmo, Differential Geometry of Curves and Surfaces; Prentice Hall, 1976.
Ausgezeichnetes, erprobtes und beliebtes Lehrbuch, etwa ab dem dritten Semester
zu verwenden. Eine stark gekürzte deutsche Übersetzung ist erschienen als
M.P. do Carmo, Differentialgeometrie von Kurven und Flächen, Vieweg, 1983.
W. Klingenberg, Eine Vorlesung über Differentialgeometrie, Springer, 1973.
Trotz des äußerlich geringen Umfanges ein bemerkenswert inhaltsreiches Buch. Eine
Übersetzung ins Englische liegt vor als
W. Klingenberg, A Course in Differential Geometry; Springer, 1978.
J. Jost, Differentialgeometrie und Minimalflächen; Springer, 1994.
Gibt eine schnelle Einführung in die Theorie der Minimalflächen und das Plateauproblem.
4. Differentialgeometrie allgemein
S. Kobayashi, K. Nomizu, Foundations of Differential Geometry I, II; Wiley 1963,
1969.
Kompromisslose und klare Darstellung der Differentialgeometrie vom Standpunkt
der Zusammenhänge in Hauptfaserbündeln. Abstrakt, aber dank sorgfältiger Ausarbeitung keine schwierige Lektüre. Gilt als Referenz- und Standardwerk, nicht als
Lehrbuch.
M. Spivak, A Comprehensive Introduction to Differential Geometry; 5 Bände, 3.
Auflage, Publish or Perish, 1999; www.mathpop.com.
Leserfreundlich durch ausführliche und gut motivierte Darstellung.
N. Hicks, Notes on Differential Geometry, van Nostrand, 1965.
S. Sternberg, Lectures on Differential Geometry, 2nd ed., American Mathematical
Society / Chelsea Publishing, 1983.
S.S. Chern (ed.), Global Differential Geometry, The Mathematical Association of
America, 1989.
Es gibt verschiedene Aufsatzsammlungen, die einen Überblick über die neuere Forschung gestatten. Umfassend und neueren Datums ist
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R. Greene, S.T. Yau (eds.), Differential Geometry I,II,III; Proceedings of Symposia
in Pure Mathematics, American Mathematical Society, 1993.
Die wichtigste Spezialzeitschrift zur Differentialgeometrie ist das Journal of Differential Geometry. Viele Resultate werden in thematisch breiter angelegten Zeitschriften veröffentlicht, etwa den Annals of Mathematics.
Zusammenfassende Darstellungen wichtiger Entwicklungen in der Mathematik findet man jeweils in den Tagungsberichten zum alle vier Jahre stattfindenden Internationalen Mathematikerkongress, z.B. in den
Proceedings of the International Congress of Mathematicians Berlin 1998.
5. Beziehungen zur Analysis
J. Jost, Riemannian Geometry and Geometric Analysis, 2nd ed.; Springer, 1998.
T. Aubin, Some Nonlinear Problems in Riemannian Geometry; Springer, 1998.
R. Schoen, S.T. Yau, Lectures on Differential Geometry; International Press, 1994.
Enthält Zusammenstellungen offener Probleme.
I. Chavel, Eigenvalues in Riemannian Geometry; Academic Press, 1984.
6. Beziehungen zur Physik
V. I. Arnold, Mathematical Methods of Classical Mechanics; 2nd ed., Springer 1989.
T. Frankel, The Geometry of Physics; Cambridge University Press, 1997.
W. Thirring, Lehrbuch der Mathematischen Physik, Band 1 und 2; 2. Auflage,
Springer, 1988.
Es existiert eine englische Fassung in einem Band:
W. Thirring, Classical Mathematical Physics, Dynamical Systems and Field Theory;
Springer, 1997.
B. O’Neill, Semi–Riemannian Geometry with Applications to Relativity; Academic
Press, 1983.
R.M. Wald, General Relativity; The University of Chicago Press, 1984.
7. Liegruppen und Differentialgeometrie
S. Kobayashi, Transformation Groups in Differential Geometry; Springer, 1995.
S. Helgason, Differential Geometry, Lie Groups and Symmetric Spaces; Academic
Press, 1978.
R.W. Sharpe, Differential Geometry, Cartan’s Generalization of Klein’s Erlangen
Program; Springer, 1997.
P.L. Olver, Equivalence, Invariants, and Symmetry; Cambridge University Press,
1995.
J. Wolf, Spaces of Constant Curvature; 5th ed., Publish or Perish, 1984.
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Zugehörige Unterlagen
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