Tag der Darstellung des Herrn 2. Februar 2014 Lukas 2, 22

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Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder
Tag der Darstellung des Herrn 2. Februar 2014
Lukas 2, 22-40
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Liebe Gemeinde,
in der Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel von Jerusalem webt Lukas ein
feines Geflecht von politischer und religiöser Verantwortung, von Erwählung und
Treue, Hoffnung und Zukunft sowie Tod und Leben. Er flicht es im zugewandten
Miteinander von fünf Menschen aus drei Generationen, die sich auf ganz
unterschiedliche Weise verbunden wissen durch Gott.
Israel ist von den Römern besetzt. Sie bestimmen die Politik, erlassen immer neue
Gesetze und können doch Willkür walten lassen, haben Vasallen als Regenten
eingesetzt und kennen einen Messias, der in Rom auf dem Thron sitzt und
Huldigungen, die einem Gott zukommen, entgegennimmt und fordert. Immerhin sind
die Besatzer so gnädig, die jüdische Religion nicht zu beschränken, solange die
Juden sich still verhalten und die Besatzung hinnehmen.
Am Rande bemerkt: Als Lukas diese Erzählung in sein Evangelium aufnimmt, haben
die Römer den Tempel zerstört und die Juden aus Jerusalem vertrieben.
Auf dem Hintergrund dieser Situation erzählt uns Lukas von den Verantwortlichkeiten
des jungen Paares Maria und Joseph. Eine Volkszählung hatte der römische Kaiser
angeordnet, und auch dieses Paar folgte dem Erlass und machte sich auf den Weg
nach Bethlehem, jener Stadt, aus der der große jüdische König David stammte, zu
dessen Familie auch Josef gehört.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ wird Jesus später seine Jünger lehren. Und
“Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“, so hat der Apostel
Paulus an die Christen nach Rom geschrieben. Zu allen Zeiten, wenn
Menschenrechte und Menschenwürde durch Despoten mit Füßen getreten werden
oder Menschen an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden, waren und sind
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solche Sätze der Bibel wie ein harter Stein, der auf dem Gewissen derer lastet, die
betroffen sind oder aufbegehren möchten. Was ist denn der Wille Gottes? Still sein
und ein ruhiges Leben führen und sich fügen und Gott und sein Gebot vergessen? In
Teilen unseres Landes haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg viele Menschen für
diesen Weg entschieden, weil das Bekenntnis zu Gott und Jesus Christus das Leben
schwerer machte und die Zukunft ihrer Kinder verbaute . „Jedermann sei untertan der
Obrigkeit?“ Das Christentum ist vielen Menschen unter uns fremd – nicht mehr nur
fremd geworden, sondern fremd von Anfang an – vielleicht auch als Konsequenz
einer solchen Forderung, wie Paulus sie stellt?
Maria und Josef machen sich erneut auf den Weg, als ihr erster Sohn geboren ist.
Nach vierzig Tagen, so schreiben das Gesetz Gottes und die Tradition es vor, muss
die männliche Erstgeburt, die Gott gehört, ausgelöst werden. Nach vierzig Tagen ist
zudem die Mutter wieder kultfähig; ihr kultisch und religiös begründeter Mutterschutz
endet.
Maria und Josef repräsentieren beides: jüdische Menschen, die die politische
Wirklichkeit ihrer Zeit akzeptieren und sich den kaiserlichen Befehlen fügen, und
zugleich Menschen, die tief verwurzelt sind in der Geschichte ihres Volkes Israel und
seiner Gesetze als einer Geschichte des einen Gottes, der Israel eine wunderbare
Zukunft verheißen hat.
In dieser Spannung, so will Lukas seine Leser wissen lassen, wird Jesus durch seine
Eltern fromm und orthodox jüdisch erzogen. Ein Jude, der sein Leben von der
Wirklichkeit und Allmacht Gottes begleitet weiß und in der Beachtung der Gebote
einen wichtigen Teil seines Glaubens lebt, jedoch – und hier wird schon sehr früh im
Leben des Jesuskindes ein Vorbehalt erkennbar – die Gebote niemals vor die
zuwendende und liebende Beziehung zu Gott und zu anderen Menschen stellt.
Schon das ist Grund genug, sich Feinde zu machen, solche in der Politik ebenso wie
in der Religion. Denn solches Denken und solches Tun stört das System.
„Dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel“, so prophezeit der
greise Simeon. Ein Aufrührer, der auch mit Gewalt gegen die Ungläubigen, in diesem
Fall die Römer, vorzugehen bereit ist? In dem jüngst in den USA erschienenen Buch
‚Der Zelot‘ eines iranisch-amerikanischen Religionswissenschaftlers wird genau das
behauptet: Jesus sei zur Gruppe der Zeloten zu rechnen, einer religiösen Guerilla in
Israel, die die Römer mit Gewalt zu vertreiben suchte. Es ist ein spannendes Buch,
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weil es unsere Weise, die Evangelien zu lesen und zu verstehen, gegen den Strich
bürstet und andere Akzente setzt, als wir es bei unserem Bild vom friedliebenden
Jesus gewohnt sind.
Simeons Wort ist allerdings auch so gedeutet worden, dass das Leben Jesu, sein
Predigen und Wirken, mit großem Gewicht auf die Seelen seiner Landsleute und
Glaubensgeschwister drückte, sich zu entscheiden für ein Leben aus der Liebe und
Gnade Gottes, die jeden Menschen als Bruder und Schwester annimmt und liebt, die
alte Feindbilder zerstört und in dieser Form von Widerstand Gewalt überwindet und
Despoten bloßstellt.
Maria und Josef, wie einfach sie auch waren, waren vertraut mit Gott, und darum
mag die Größe und Pracht des Jerusalemer Tempels zwar einen gewaltigen
Eindruck auf sie gemacht haben; dennoch erlebten sie ihn als einen Ort des
Gottesfriedens und sich darin als Kinder dieses allgewaltigen und doch liebenden
Gottes.
Ist es nicht bemerkenswert, dass diese frommen Menschen mit ihrem Kind, von dem
Lukas vom Anfang seines Evangeliums an verkündet, er sei der Sohn Gottes, am
wichtigsten Ort der jüdischen Religion jener Tage sich ganz von Gottes Nähe umhüllt
fühlen und dabei wahrlich wunderbare Begegnungen erleben und staunenswerte
Worte hören? Kein Priester ist in dieser Erzählung wichtig, noch nicht einmal das
Opfer, das nach dem jüdischen Gesetz dargebracht werden muss, sondern einzig die
herzliche Zuwendung, die diese Familie von Simeon und Hanna erfährt, die – so
schildert es Lukas – seit Jahrzehnten zur Kerngemeinde des Tempels gehören. Sie
sind Zeugen des anderen und von Jesus sein Leben lang verkündeten
Gesetzesverständnisses. Sie fragen nicht zuerst: „Habt ihr schon eure Pflichten
erfüllt?“, sondern sie begegnen diesen Fremden aus Nazareth mit der Herzlichkeit
und Offenheit, als käme in diesen Menschen der Heiland selbst zu ihnen.
Und wahrlich, in diesem Kind erkennen Simeon und Hanna den wahren Heiland, der
mit seiner Menschenliebe und seiner Betonung des göttlichen Heilswillens ein
lebendiges Zeugnis der Liebe und Treue Gottes zu seinem Volk sein wird. Es wird
Gott auf ganz einzigartige Weise wohlgefällig sein, vorabgebildet in den vielen
Opfern, die Gott im Tempel dargebracht wurden, und durch die jetzt auch es selbst
ausgelöst wird.
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Außerhalb der Liturgie und jenseits des priesterlichen Gottesdienstes erfahren
Menschen die Gegenwart Gottes in einem schwachen Kind. Sein Leben ermöglicht
Simeon und Hanna einen friedlichen Tod und die Gewissheit ewigen Lebens und
jenes Friedens bei Gott, den die Engel über den Feldern von Bethlehem verkündet
hatten und den die Römer mit ihrer militärischen Macht über das Gelobte Land in
sein Gegenteil verkehren. In diesem Moment liegt dieser Friede auf den Armen des
alten Mannes und eröffnet ihm eine glückliche Zukunft, auf die er so lange gewartet
hatte.
Er trägt den Sohn Gottes, den Christus, den Messias, den Heiland, und sein Glück ist
unbeschreiblich. Doch weiß er um das Gesetz und wie es interpretiert und gelebt
wird von den religiösen Führern und vielen Menschen seiner Zeit. Er weiß um die
Gesetzlichkeit und die Enge, die Angst vor der Besatzungsmacht und die Sorge um
Machtverlust durch einen Heiland, der das Gesetz und die religiöse Tradition leben
wird, wie es Gottes Willen entspricht.
Fall und Aufstieg wird er sein für viele in Israel, und von diesem Moment an wandelt
sich das Bild des Kindes, das – wie es für einfache und arme Menschen ausreichend
war – für ein paar Turteltauben ausgelöst wird aus dem Anspruch Gottes auf dieses
Leben, in das Bild eines Lammes, das Simeon auf seinen Armen trägt, damit es auch
für seinen Seelenfrieden auf dem Altar des Tempels dargebracht wird.
Noch etwas macht Lukas schon in dieser Erzählung aus der frühesten Kindheit Jesu
deutlich, was der Apostel Paulus in gleicher Weise ausgesprochen hat, auch wenn er
selbst wie viele andere in der Kirche bis heute damit noch keinen rechten Frieden
gemacht hat: In Jesus Christus gibt es kein männliches Privileg mehr, prophetische
oder gar priesterliche Ämter auszuüben. Simeon sieht das Kind und erfährt in ihm die
Ankunft des verheißenen Messias. Aus seinem Innersten strömen die Worte des
Lobgesangs, den er im Tempel anstimmt – ein neues Lied, ungehört bisher und
unerhört für viele in Israel in jenen Tagen: Das Kind einfacher Leute soll der Messias
Israels sein und ein Licht zu erleuchten die Heiden? Aus dem Frieden Gottes heraus
ist dieses Lied entstanden, und in diesen Frieden kann Simeon nun eingehen und
davon die tatsächliche Lage seines Volkes überstrahlt sein lassen.
Hanna aber ist die Prophetin dieser Erzählung. Sie hatte mit ihrem Leben büßen
wollen für die Sünden des Volkes. Sie hatte gefastet und gebetet als ein Zeichen,
dass nur Umkehr Rettung bringen kann. Nun offenbart ihr Gott sein Zeichen und
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weist ihrer Jahrzehnte währenden Umkehr ein Ziel: Frieden bei Gott durch dieses
Kind. Er ist da: der Friede in Jesus, in dem Gott rettet. Die Freude darüber kann nicht
länger durch das Grauen des Alltags verschattet werden. Hanna beginnt zu predigen
und predigt allen im Tempel, dass die Erlösung nahe sei. Damit nimmt sie
priesterlicher vorweg, was Jesus in seinem öffentlichen Wirken in gleicher Weise tun
wird.
Darum steht eigentlich er, steht dieses Kind in der Mitte der Erzählung des
Evangelisten Lukas. Er ist der Heiland, der Friede und das Lamm. Er ist Kind seiner
Eltern, die sich wundern über die Worte der alten Menschen Simeon und Hanna.
In ihm verherrlicht sich Gott. In ihm bricht Gottes Friede sich Bahn und wird bis zu
seinem grausamen Tod am Kreuz wenigstens einen kleinen Teil dieser Welt erfüllen
und will zugleich wie ein wenig Sauerteig wirken, der Menschen zur Umkehr bringt
und eine Theologie der Liebe zu Gott und zum Nächsten an die Stelle einer
Theologie der Gesetzlichkeit treten lässt.
Diese Tempelerzählung, die Lukas uns überliefert, erzählt von der Gewissheit, dass
Gott mit uns ist, selbst dort, wo nichts mehr zu erwarten ist als der Tod. Unsere
Augen sollen den Heiland sehen, wie Simeon und Hanna, und uns wandeln, damit
wir die Welt ein wenig heller machen durch das Licht, das uns erleuchtet hat, und von
Gottes Frieden künden einer Welt, die im Streit liegt.
Fall oder Aufstehen – Aufstehen oder Fall: Was ist dieser Heiland uns?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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