Forschungsbericht September 2005

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NFP 40+ Tagung, Münchenwiler, 12./13. September 2005
Projekt „Rechtspopulistische Parteien und Migrationspolitik in der Schweiz“
Gianni D’Amato / Damir Skenderovic
Forschungsdesign
Unser Forschungsprojekt untersucht die Entwicklung rechtspopulistischer Parteien von den 1980er
bis in die 2000er Jahre. Dazu gehören politische Parteien, deren Ideologie und Programmatik durch
exklusionistische Forderungen gekennzeichnet sind und die in ihren politischen Kampagnen eine
Anti-Establishment Strategie verfolgen. Das Ziel unserer Forschungsarbeit besteht darin, die
mehrstufige Interdependenz zwischen diesen Parteien und der schweizerischen Migrationspolitik zu
analysieren. Es geht in erster Linie um die Frage, inwieweit rechtspopulistische Parteien mit ihrer
Migrationsagenda die Diskussionen und Entscheidungen in den verschiedenen Bereichen der
Migrationspolitik zu beeinflussen vermochten. Dabei haben wir einem hermeneutischen Zugang
gewählt und stützen uns neben Interviews mit Experten und Akteuren auf eine Vielfalt von
schriftlichen Quellen, insbesondere auf Parteidokumente, Parlamentsprotokolle und Presseberichte.
Zwischenresultate
Bisher haben sich unsere Forschungen auf die 1980er Jahre konzentriert. Ausgangspunkt war die
Arbeitshypothese, wonach rechtspopulistische Parteien – ähnlich wie in Frankreich in den 1980er
Jahren – Diskurse und Entscheidungen in der Migrationspolitik beeinflusst und dadurch
mittelfristige Reformvorhaben verhindert haben, wie sie noch Ende der 1970er Jahren im
Nationalrat diskutiert worden waren. Angesichts der ausserordentlichen Bedeutung der direkten
Demokratie im schweizerischen politischen System haben wir insbesondere folgende fünf
migrationspolitische Aktivierungsereignisse und damit zusammenhängende Diskussionen und
Entscheidungsprozesse näher betrachtet: „Mitenand“-Initiative (1981), ANAG-Referendum (1982),
erleichterte Einbürgerung (1983), Asylgesetzrevisionen (1983 und 1986).
Allgemein ist zu sagen, dass es den rechtspopulistischen Parteien trotz relativ schwacher
parlamentarischer Vertretung und beschränkten strukturellen Ressourcen gelang, eine wichtige
Rolle in Diskussionen zur Fragen der Ausländer- und Asylpolitik zu spielen und auf
migrationsrelevante Entscheidungsprozesse direkten bzw. indirekten Einfluss auszuüben. Sie
nutzten die Möglichkeiten, die ihnen die direkte Demokratie zur Verfügung stellte, um einerseits
Reformen im Bereich der Rechtsstellung der Ausländer zu verhindern, andererseits um die
Perzeption der Asylpolitik dermassen einzugrenzen, dass eine liberale Politik nur schwer
durchzuführen war. Die etablierten Parteien hatten ihrerseits auf die Vorstösse der
rechtspopulistischen Parteien, namentlich der Nationalen Aktion (NA), zunächst mit einer
generellen Demarkationsstrategie reagiert, indem sie versucht hatten, deren Argumente nicht zur
Kenntnis zu nehmen. Bei der „Mitenand“-Abstimmung von 1981 gingen die etablierten Parteien
noch davon aus, dass sie alleine für die Ablehnung der Initiative verantwortlich waren, wobei ihnen
die Schwäche der migrantenfreundlichen Organisationen, aber auch der NA zu Hilfe kam. Doch
schon bei der Abstimmung über die ANAG-Reform 1982 hatte sich die Situation entscheidend
geändert. Nachdem die NA das Referendum nach wenigen Wochen eingereicht hatte, gelang es ihr,
die Reform der Rechtsstellung der Ausländer scheitern zu lassen. Ein Jahr danach wurde auch die
Bürgerrechtsreform in der Volksabstimmung abgelehnt. Entscheidend für das Scheitern war die von
rechtsbürgerlichen Parteien betriebene Vermengung von Ausländer- und Flüchtlingspolitik, was in
letzter Konsequenz ein Erfolg für die NA bedeutete, welche in ihren Kampagnen genau auf diese
Themenvermischung abzielte. Wie die Diskussionen zeigen, hatte die Flüchtlingspolitik seit der
Abstimmung über die ANAG-Reform aufgehört, ein Politikfeld zu sein, über das ausserhalb der so
genannten „Überfremdungsfrage“ verhandelt werden konnte. Zudem übten die Behörden infolge
der Abstimmungsniederlagen höchste Zurückhaltung in der Ausländerpolitik aus und beschränkten
sich in der Asylfrage auf „Schadenminimierung“, nicht ohne Konzessionen an jene Forderungen zu
machen, die dem geltenden Asylgesetz mehr Nachdruck verleihen wollten.
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Um den Einfluss der rechtspopulistischen Splitterparteien auf die damalige Migrationspolitik
aufzuzeigen, sind im Sinne eines „multi-level approach“ verschiedene interne und externe
Dimensionen berücksichtigt worden. Auf der internen Ebene standen programmatische und
strukturelle Grundlagen der Parteien im Vordergrund. Unter dem Sammelbegriff
„Rechtspopulismus“ haben wir für die 1980er Jahre fünf Parteien erfasst (Nationale Aktion,
Vigilance, Republikanische Partei der Schweiz, Eidgenössisch-Demokratischen Union, Autopartei).
Zusätzlich wurde aufgrund einer bereits bestehenden Typologie nach weiteren Subtypen
unterschieden (z.B. NA als rechtsradikale Partei, EDU als fundamentalistische Partei), wobei hier
die Merkmale der jeweiligen Migrationsagenda als zusätzliche Unterscheidungskriterien dienten.
Von den untersuchten Parteien war die Parteiorganisation der NA am besten strukturiert, was auch
ihre organisatorische Effizienz in den direktdemokratischen Mobilisierungen der 1980er Jahre
bewies. Im Unterschied zu den 1960er und 1970er Jahren gab es jedoch keine starken Leader- und
Integrationsfiguren mehr, welche die interne Kohäsion der Parteien gewährleisten und gegen aussen
als Personifizierung der Parteien auftreten konnten. Als Protagonist im rechtspopulistischen
Parteilager funktionierte die NA im Grunde als eine Kaderpartei, die von einigen überaus aktiven
Führungsmitgliedern und Ideologen getragen wurde und deren Führungsriege in den 1980er Jahren
eine Verjüngung durchmachte. In jener Zeit arbeitete die NA vermehrt mit der Genfer Vigilance
zusammen, während sie in offenen Konflikt mit der 1985 gegründeten Auto-Partei Schweiz stand.
Ingesamt war die ausgeprägte organisationsstrukturelle Diversifizierung und Fragmentierung auch
in den 1980er Jahren ein Merkmal des rechtspopulistischen Parteilagers. Ein weiterer interner
Aspekt war die ideologische Entwicklung der jeweiligen Parteien, wobei insbesondere die
Radikalisierung der NA auffällt, die in ihrem Parteiorgan vermehrt einen biologistisch
argumentierenden Rassismus vertrat. So hatte sich die NA ab Mitte der 1980er Jahre in der breiten
Öffentlichkeit zunehmend selbst diskreditiert und war nun in den Augen vieler Beobachter eine
rechtsradikale „pariah party“.
Teil der externen Dimensionen sind die Interventionen der rechtspopulistischen Parteien im
politischen System sowie die Reaktionen der anderen Parteien. Zur Kategorie der direkten
Einflussnahme gehören direktdemokratische Aktivitäten, die teilweise nachhaltige Wirkung hatten,
wie der Vetoerfolg in der ANAG-Abstimmung von 1982 zeigte. Dieser Erfolg hatte einen
„bandwagon“-Effekt auf kommunale, kantonale und eidgenössische Wahlen, so dass von einer
elektoralen Revitalisierung der rechtspopulistischen Parteien in der ersten Hälfte der 1980er Jahre
zu sprechen ist. Auf der anderen Seite verfolgten die rechtsbürgerlichen Parteien in ihren
Reaktionen ab 1981/82 sowohl eine parteipolitische Demarkations- als auch eine inhaltliche
Kooptationsstrategie. Während sie namentlich in der NA eine „pariah party“ sahen, nahmen sie
jedoch die Anliegen der Rechtspopulisten auf, um die Gefahr der Ablehnung an der Urne zu
verringern. Indem die rechtsbürgerlichen Parteien vermehrt den politischen Druck durch die
Überfremdungsinitiativen der 1970er Jahren in Erinnerung riefen, begannen die Erfahrungen aus
jener Zeit zusehends ihren „langen Schatten“ auf die Migrationspolitik der 1980er Jahren zu werfen.
Diese Art der indirekten Einflussname durch rechtspopulistische Parteien war entscheidend, dass
die 1980er Jahre insgesamt zu einem migrationspolitisch verlorenen Jahrzehnt wurden und die
Behörden und etablierten Parteien davor zurückschreckten, die Ende der 1970er Jahre wenn auch
nur zaghaft formulierten Reformen einzuleiten, welche die neue Bevölkerungsstruktur der Schweiz
berücksichtigen sollten.
Erwartete Resultate
Im zweiten Teil unserer Projektarbeit konzentrieren wir uns auf die 1990er Jahre, die durch einen
grundlegenden Wandel des rechtspopulistischen Parteilagers in der Schweiz gekennzeichnet sind.
Als exklusionistische Forderungen in der Migrationspolitik nicht mehr nur von
Aussenseiterparteien, sondern auch von einer Mainstream-Partei, der Schweizerischen Volkspartei,
vertreten wurden, wirkte sich dies auch auf die Reaktionen und Strategien der etablierten Parteien
aus. Hinzu kam, dass Migration und insbesondere der Asylbereich weiterhin wichtige
Mobilisierungsthemen darstellten, sie jedoch vermehrt auch mit Fragen der europäischen
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Integration und der Personenfreizügigkeit verbunden wurden. In den 1990er Jahren fand zudem auf
rechtlicher und politischer Ebene eine zunehmende Europäisierung der Migrations- und Asylfragen
statt, was für rechtspopulistische Akteure eine Herausforderung und Bestätigung zugleich darstellte.
So werden die zu erwartenden Forschungsergebnisse neben den nationalen Entwicklungen und
Veränderungen auch zahlreiche transnationale Aspekte einbeziehen.
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