Fernsehgottesdienst, 26.7.09 - Gott auf der Insel

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ZDF Fernsehgottesdienst aus der Inselkirche Kloster/Hiddensee,
Sendung am 26.7. 2009, 9.30-10.15 Uhr
Predigt über Markus 6, 45 – 52
Liebe Freunde heute morgen,
unsere Geschichte von den Jüngern im Boot und Jesus auf dem Wasser hat eine
Vorgeschichte. Das ist die von der Speisung der 5000. In der Geschichte heute
steht, dass die Jünger die Speisungsgeschichte nicht verstanden hatten. Das mit
den Broten und Fischen und den 12 Körben, die am Ende noch übrig geblieben
waren - „sie waren um nichts verständiger geworden ..., sondern ihr Herz war
verhärtet.“ So der Text. Was hatten die Jünger anderes erwartet? Es reicht doch
aus, wenn bei einer Speisung alle satt werden. Das ist doch Wunder genug, dass
mitten im Mangel noch etwas übrig bleibt. Ich meine, 5000 Leute heute satt zu
machen, ist kein Problem. Das bekommt man mühelos hin. Und 12 Körbe
Überfluss ist schon gar nicht das Problem. Da bleibt noch viel mehr übrig –
nicht nur Brot und Fische. Vieles davon wird in den Müll geworfen. Das
Sattmachen an sich ist also nicht das Wunder.
„Er sättigt alles, was lebt, mit Wohlgefallen“ – dieser Satz aus dem Alten
Testament stimmt. Gott will das so. Aber wir Menschen haben immer dafür
gesorgt, dass das nicht für alle gilt. Und heute sehen mir die Dinge so aus, als ob
wir im Verhindern der Speisung aller Menschen so perfekt – oder so gemein ? –
sind, wie kaum zu einer anderen Zeit. Oder man hört heute mehr davon. Etliches
von dem, was heute übrig bleibt, wandert in Suppenküchen oder kommt auf
Freitische. Das ist ehrenhaft. Aber frage mal einer, warum Suppenküchen oder
Freitische inmitten des Reichtums, der uns umgibt, überhaupt nötig sind, dann
wird er gleich in Schubladen gesteckt, in die er vielleicht gar nicht gehört. Jesus
würde heute bestimmt so fragen und an dem Wunder mit uns arbeiten, hier
Abhilfe zu schaffen. Die Jünger verstanden das alles nicht. Würden wir mehr
verstehen? Es braucht mehr Vertrauen auf sein Wort hin. Um so ein Vertrauen
geht es in der Speisungsgeschichte und der heutigen Geschichte. Vertrauen auf
Gott und seine Liebe zum Leben für alle Menschen. Das sollte uns erfüllen.
Aber dazu braucht es etwas, was in einem zweiten kleinen Vorspann zu der
Sache heute steht, nämlich: Jesus will allein sein. Er geht dazu auf einen Berg.
Dort will er beten. Immer geht es bei uns, wenn wir Gott gehorsam sein wollen,
um Geschichten von Mangel, Sturm und Not und um Geschichten vom
Alleinsein und Beten. Das sind die zwei Hälften des Lebens der Gläubigen:
wenn es mit rechten Dingen dabei zugehen soll, dann wird es um ein ständiges
Hin und Her zwischen einem Weg nach innen und einem Weg nach außen
gehen müssen. Gesegnet die Momente und die Orte in unserem Leben, wo
beides zusammen fließt. Da sind wir wohl in Gottes Nähe.
Sind Inseln dafür rechte Orte und erleben wir auf Inseln verstärkt solche
Momente? Vielleicht. „Gott auf der Insel“ – womöglich liegt hier das wahre
Wesen der heutigen Gottesdienstfrage verborgen.
Jesus schickt seine Jünger regelrecht weg. Er will und muss endlich allein sein,
allein mit seinem Gott und allein mit sich selbst. Mir wird klar, liebe Freunde:
Jesus Christus, unser Herr, wäre nie das geworden, was er für uns ist, wenn es
für ihn diese Momente und Orte der Stille und des Gebets nicht immer wieder
gegeben hätte. Der erste Akt einer Gottesbegegnung liegt, so lehren uns die
Schriften glaubensstarker Menschen, in der Begegnung mit uns selbst.
„Wie können wir von Gott verlangen, dass er uns hört“, so steht es da, „wenn
wir nicht auf uns selber hören? Wenn du nicht bei dir zu Hause bist, wie soll
dich Gott dann zuhause antreffen, wenn er dich besuchen möchte?“
22 Jahre bin ich nun Pastor auf Hiddensee. Bis heute hat das Fragen von
Besuchern nicht aufgehört, ob es denn nicht ein wenig einsam und verlassen auf
dieser kleinen Insel wäre. Besonders im Winter, wenn die vielen Besucher
fehlen?
Nein, liebe Freunde, es ist nicht einsam. Bei allen Besonderheiten eines
Insellebens – und es ist auch nicht immer einfach – ist das aber genau das
Angebot, das viele von uns vielleicht nötig brauchen: in der Stille und beim
Gebet zu sich selbst und zu Gott zu kommen. Hoffentlich bleibt unserer Insel
das erhalten. Man hat schon manche wertvolle Besonderheit wegvergnügt,
erstickt im allgemeinen Unterhaltungswahn. Ich glaube, es ist für uns alle
wichtig, ganz gleich, ob wir Christen sind oder nicht, dass wir möglichst viele
Orte erhalten, in denen wir noch behutsam in die Hände nehmen können, was
uns zutiefst angeht. Unsere Insel gehört für mich dazu. Sie soll eine Insel
bleiben, die uns dabei helfen kann, bei uns selber und bei Gott anzukommen.
Ob das Chaos, das in unserer Welt täglich angerichtet wird, auch damit
zusammenhängt, dass immer weniger Menschen bei sich und bei Gott
ankommen? Immer in Bewegung! „Aktion!“
Bleiben wir doch mal bei uns! Schieben wir nicht gleich alles auf andere. Wir
müssen bei uns ankommen, um unsere kleinen und großen Vorurteile und
Nachlässigkeiten, die so gar nicht in Gottes Plan passen, aufgeben zu können.
Entweder wir lernen das aus den Geschichten von Jesus oder wir sind verloren.
Erst sich zurückziehen und dann los. Erst Gebet, dann Widerstand – wie gesagt:
eine alte Sache, aber gut.
Jesus zeigt uns, dass wir diese Zeit für uns brauchen. Seine Jünger schickt er
derweilen allein los. Sie steigen in ein Boot.
Alle in einem Boot. Hoffentlich wird ihr Herr wirklich nachkommen, wie er
gesagt hatte.
Immerhin – sie fahren los. Auf sein Wort hin steigen sie in das Boot. Von jeher
ist das Boot Zeichen für die christliche Gemeinde. „Ein Schiff, das sich
Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit“, so sangen wir es vor 30 Jahren
in der Jungen Gemeinde. „Und im Refrain wiederholte sich dann das bittende
„Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer.
Bleibe bei uns, Herr!“
Ja, so bitten wir. Es ist die nicht endende Bitte der Gemeinde zu allen Zeiten.
Und Jesus wird wirklich bei uns bleiben. Die ihm vertrauen, die erfahren, daß er
Treue hält. Das singen wir doch nicht nur, das können wir auch erleben.
Wie oft hat Jesus gesagt: „Geh hin, dein Glaube, dein Vertrauen hat dir
geholfen.“
Am Ende trat Jesus in ihr Boot, und der Wind legte sich. Sie hatten geschrieen,
das Wunder nicht erkannt. Als sie ihn sahen, dachten sie, sie sehen ein Gespenst.
Wie bei den Broten und Fischen – es mangelte am Verstehen. Aber vielleicht ist
ja auch nicht das Verstehen zuerst die Brücke über die Wasser, die uns trennen.
Mehr Vertrauen ist nötig, um das zu finden, was uns einander näher kommen
lässt. Erst Gebet, dann losfahren. Während der Fahrt wird Jesus manchmal
kommen und zu uns sprechen: „Habt keine Angst. Fürchtet euch nicht!“ Warum
bewegen mich diese Worte so tief? Weil sie so schwer zu glauben sind? Weil sie
so schwer zu machen sind? Nein, weil sie mich aufrecht halten in äußerst
bedrohter Zeit. Mit seinem „Fürchtet euch nicht“ will der Herr uns über alle
Zeiten hinweg führen, fröhlichen Herzens, weil wir seinen Frieden in uns tragen,
weil seine Liebe in uns wohnt, die uns unendlich macht, die uns aber auch
immer wieder zurückholt an die Tische der Suppenküchen, an die Reste, die
man flugs übergehen oder übersehen möchte. „Habt keine Angst!“ Möge er uns
damit das große Gefühl dafür geben, dass einer des anderen Last mittrage. Und
nachsichtig wird er mit uns sein müssen, wenn alles nicht von heute auf morgen
geschehen kann, weil wir zwar seine Kinder sind, mit ganzem Verstand, aber oft
nur mit halbem Herzen.
Alle in einem Boot – das ist mehr als nur ein maritimes Gefühl. Alle in einem
Boot, alle auf einer Insel, alle in einer Welt. Das ist globales Bewusstsein. Wir
wissen es wohl. Und doch kriegen wir es noch nicht hin.
Alle in einem Boot – begriffen haben wir es solange noch nicht, wie wir
Bootsflüchtlinge abweisen, die von afrikanischen Küsten aus unsere Ufer
erreichen wollen – wenn sie nicht schon vorher im Meer ertrinken. Fragwürdig
wird das mit dem einen Boot auch dadurch, dass wir auf unserer Seite immer
größere Kreuzfahrtschiffe ins Meer setzen, die von allen Häfen der Welt nur zu
gern begrüßt werden möchten.
Nein, wir kriegen das noch nicht hin. Wir haben vergessen, dass Gott uns auf
den Weg geschickt hat. Darum sind wir so grenzenlos im Aushalten der
Zerstörung der Weltgemeinschaft. Darum so uferlos. Aber Jesus kommt noch zu
uns auf den See. Und wenn er – im Bild gesprochen -noch immer in unser Boot
steigen will, worauf ich ausdauernd hoffe und worum ich sehnlichst bitte, dann
ist das ein größeres Wunder als damals, als er auf den Wassern wanderte.
Ich will darauf vertrauen, dass er noch zu uns kommt. Hatte er nicht auch
damals ein Einsehen mit seinen unverständigen Jüngern, als er sah, wie der
Wind ihnen entgegen stand?
So hoffe ich, dass er auch mit uns barmherzig umgehen wird, auch wenn wir
nicht alles verstehen. Darum sind wir ja hier, um von ihm gesagt zu bekommen:
„Seid wachsam und nüchtern, tut ab, was euch träge macht. Und fürchtet euch
nicht, ich bin’s der zu euch kommt. Eure Geschichte hatte einen guten Anfang.
Vertraut darauf, dass ihr sie mit mir zu einem guten Ende bringen werdet. Geht
den langen Weg der Versöhnung zwischen den Völkern, zwischen arm und
reich. Ich will euch bewahren vor aller Bitterkeit und euch fähig machen, zu
glauben an Gottes Welt, die nicht von eurer Welt ist, aber auch nicht ohne eure
Welt. Ich werde euer Freund bleiben in aller noch herrschenden Finsternis und
Unvernunft. Amen.
Manfred Domrös
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