Kreuzgang und Krypta Die Installationen von Thomas Gatzemeier und Peter Gilles im Merseburger Dom Der Merseburger Dom Die Gründung des Merseburger Bistums weist weit in die deutsche Vergangenheit, in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts zurück: In die Zeit der Ottonen, die aus der gefährdeten Grenzregion zwischen Harz und Elbe-Saale-Linie ein Zentrum königlicher Macht werden ließen, das auf festen wirtschaftlichen und politisch-kirchlichen Grundlagen ruhte. Eine Vielzahl von Pfalzen und Burgen, sowie das neu eingerichtete Kirchensystem sicherten das Territorium und ermöglichten seine kulturelle Entwicklung über die Elbe-Saale hinaus nach Osten. So berichtet Bischof Thietmar von Merseburg (1009-1018) in seiner Chronik zum Anlass der Gründung, dass Kaiser Otto I. (936-973) kurz vor der großen Lechfeldschlacht (955) gegen die Ungarn unter Tränen das Gelübde abgelegt habe: „Wenn Christus ihm an diesem Tage ... in Gnade Sieg und Leben gäbe, wolle er in der Burg Merseburg ... ein Bistum errichten und ... seine große, jüngst begonnene Pfalz für die Kirche ausbauen lassen“ (Thietmar, II.10). Merseburg war Hausgut des Geschlechts der Ottonen und gehörte mit Quedlinburg und Magdeburg zu den herausragenden Pfalzorten der Region. Unter Kaiser Heinrich II. (1002-1024) erlebte die Stadt ihre politische Blüte. Hier wurde dem letzten Ottonenherrscher zu Beginn seiner Regentschaft die heilsgeschichtlich so bedeutsame heilige Lanze übergeben. Im Merseburger Dom befindet sich zudem die Grablege des 1080 verstorbenen Gegenkönigs Rudolf von Schwaben (geb. um 1025-1080), der im Chor des Doms direkt vor dem Hochaltar bestattet wurde (achsial darunter befindet sich der KryptaAnnex). Seine außerordentlich qualitätvolle Metallgrabplatte ist als erste erhaltene Bildgrabplatte des Mittelalters in die Kunstgeschichte eingegangen. Der Dom hat aufgrund seiner Bedeutung als Bischofssitz über die Zeiten hinweg signifikante bauliche Veränderungen erfahren, er wurde reich mit Altären, Kruzifixen, Heiligenstatuen, Chorgestühl, Lettner, Grabsteinen, zahlreichen Reliquien, kostbaren Handschriften etc. ausgestattet. Der Ort pulsiert bis heute als lebendiges religiöses Zentrum. Gravierende politische, kirchengeschichtliche, wirtschaftliche und soziale Veränderungen haben ihre Spuren im äußeren Erscheinungsbild des hoch über der Saale thronenden imposanten Kirchenbaus hinterlassen. Seine Geschichte, sein Schicksal wird hauptsächlich im Merseburger Stiftsarchiv verwaltet und erinnert. Die Klausur Der Besucher betritt das Domlanghaus heute durch die Domvorhalle. Zu den wenigen Bauteilen, die unmittelbar an die Romanik erinnern, gehören unter anderem die Krypta des Doms (zwischen 1036 und 1042) und ihr westlicher Annex. Durch ein südliches Seitenportal könnte sich der Besucher jedoch, bevor er sich einer intensiven Betrachtung des Doms widmet, zunächst in die an der Südseite des Doms gelegene Klausur begeben, die nur noch in Teilen mittelalterlich ist. Ursprünglich Wohn- und Lebensraum der hohen Geistlichkeit, diente die Klausur nach der Reformation hauptsächlich zur Unterbringung des Merseburger Domgymnasiums. Im Mittelalter war das Geviert geschlossen, und der Kreuzgang lief um. Der westliche Klausurtrakt wurde Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen, der Kreuzgang blieb stehen und durch eine Wand mit pseudogotischen Maßwerköffnungen gegen den Domplatz abgegrenzt. Am ältesten ist ein tonnengewölbtes Joch im Westtrakt des Kreuzgangs, das sich östlich in eine kleine, wohl in der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert entstandene Kapelle öffnet, die sogenannte Tonsur. Der Raum wird in der Nordwand durch eine spitzbogige Fensteröffnung belichtet und hat vermutlich eine Altarnische besessen; darauf verweisen zwei Gerätenischen in den Wänden.1 In dieser Kapelle zeigt Thomas Gatzemeier 16 seiner 17 Plastiken (1992-1993, Höhe 140 220 cm, Eisen, Holz, Gips, Pappmaché) stehend, liegend, übereinandergestapelt: Torsi, alles Einzelfiguren, in archaisch anmutenden Schrittstellungen auf flache Standplatten gestellt. Jede menschliche Figur ist ein Fragment, ohne Arme, teils ohne Kopf. Mitunter werden am Kopf oder Rumpf Strukturen sichtbar gemacht, die auf die Konstruktion der Plastik schließen lassen. Dabei wird die Umrissform beibehalten und gleichzeitig der Hohlraum im Plastikinnern einbezogen. Die heterogene Oberflächenbehandlung verstärkt den Charakter des Bruchstückhaften. So wirkt lediglich der Unterleib von einem der 16 Torsi durch seine abgeschlossene, ausgerundete Oberfläche glatt und vollendet, wohingegen die anderen Plastiken aufgebrochene, aufgeborstene Oberflächen haben. Gatzemeier benutzte Farben aus dem breiten Spektrum der Erdtöne, um im Zusammenspiel mit der Oberflächenbehandlung den Prozess der Verwesung zu verdeutlichen. An konventionelle Sehgewohnheiten wird angeknüpft, wenn die glatten, hell gehaltenen Partien des bereits erwähnten Torso an körperliche Vollkommenheit und Schönheit erinnern. Die Farbgebung verbindet die formal nicht aufeinander bezogenen Einzelfiguren zur Gruppe. Die erstmalig im Berliner Reichstag im September 1994 ausgestellte Gruppe wird konfrontiert mit dem Stapel der sargähnlichen Verpackungskisten, die depotartig in einem Block zusammengefasst sind. Dazu gehört die vor den Eingang der Kapelle auf den Boden gelegte Eisenplatte, auf der die Namen von siebzehn Todesopfern rechtsradikaler Gewalt des Jahres 1992 eingraviert sind. Die Besucher müssen über die Platte hinübergehen, wenn Sie in das Innere der Kapelle eintreten wollen. Dies mag im ersten Moment irritieren, ist jedoch im Kontext des Domes mit seinen zahlreichen Boden-Grabplatten, die über die Jahrhunderte innerhalb der Anlage immer wieder ihren Ort wechselten, eine historisch konsequente Präsentation. Indem Gatzemeier die Namen der Opfer kaum sichtbar anbrachte, bei den Plastiken auf Individualisierung verzichtete, schuf er eine künstlerische Aussage, die als Monument gegen menschenverachtende Gewalt eine zeitlose Gültigkeit hat. Eine stumme Anklage wird laut. Wir werden vehement an die Vergänglichkeit des Menschen erinnert, an unsere eigene Verletzbarkeit. Aber auch daran, dass Gewalt Bilder des Leids und des Schmerzes in die gesellschaftliche Erinnerungskultur einbrennt. Unschöne, zumeist unbequeme Bilder, die der Mensch nicht gern vorgehalten bekommt. Der christliche Mensch kreierte mit dem Bauwerk der Kirche einen Ort, wo zu Barmherzigkeit und Mitleid aufgerufen wird. Kreuzigungsdarstellungen, Kreuzwege, Märtyrerdarstellungen setzen mit künstlerischen Mitteln Themen von Gewalt und deren Überwindung um. Blickt man von der Kapelle hinaus in den idyllischen Kreuzhof der Klausur auf die Installation des Baumtriptychons von Peter Gilles, die im achsialen Bezug zu den Werken Gatzemeiers in der Kapelle aufgebaut ist, so lässt sich durch die Verbindung von Natur und Artefakt, von Leben und Tod, ein Spannungsbogen zwischen den Werken von Gatzemeier und Gilles schlagen. Gilles wählte mit dem Kreuzhof einen Ort aus, der bis Anfang des 19. Jahrhunderts eine Bestattungskontinuität aufweist.2 In mittelalterlichen Kirchhöfen und Kirchen als Begräbnisstätten spiegelt sich die Einheit der leidenden und triumphierenden Kirche wider. Um den Heiligen auch im Tod nahe zu sein, suchte man so dicht wie möglich bei deren Reliquien begraben zu werden (ad sanctos); somit war die Kirche der bevorzugte Ort der Bestattung, schien hier doch die Bindung von Altar, Grab und Reliquie am stärksten. In dieser Hierarchie der Reliquiennähe folgte das Grab in der Kirchenvorhalle, an der Außenmauer der Kirche – wie hier im Kreuzhof – oder an der Dachtraufe. Der Kirchhof bot als locus sacer auch Asyl und bewahrte die Lebenden vor Verfolgung und Fehde. Die Vertrautheit der Menschen im Umgang mit den Toten ließ keine Abscheu aufkommen, obwohl die hygienischen Verhältnisse aus heutiger Sicht vielfach als katastrophal gelten müssen: Aus den Kirchengrüften aufsteigende Verwesungsdünste waren ebenso alltäglich wie Knochen und halbverweste Leichenteile, die wegen zu geringer Bestattungstiefe, natürlicher Erdbewegungen oder starker Regengüsse aus dem Erdreich hervortraten. Peter Gilles also ließ den Stumpf eines Baumes zu dem ehemaligen Gottesacker heranschaffen. Dann wurde der tote Baum umgedreht und so mit dünnen Stahlseilen an zwei lebenden Bäumen angebracht, dass dessen Wurzelgeflecht gleich einer Krone neben den lebenden Bäumen in den Himmel ragt. Der tote Baum wächst vom Himmel in die Erde und zielt dabei auf eine mit Leinwand überzogene Platte. Die Leinwand vom Format einer Grabplatte hat Gilles mit seinem übermalten Körperabdruck versehen, ein Verweis auf die ehemalige Funktion des Kreuzhofs. Zwischen Baum und Mensch herrscht ein existenzieller Zusammenhang. Sie sind durch ein unsichtbares Band schicksalhaft aneinander gekettet. Durch die Einbeziehung von Licht, Luft und Wetter ist die temporäre Installation nicht hermetisch abgegrenzt und somit schutzlos äußeren Einflüssen ausgesetzt, so wie auch früher die Gräber. Lichteinfall und Luft bestimmen die Stimmung, in der der Besucher die Installation wahrnimmt. Im Gegensatz zu Gatzemeiers Skulpturen findet der Verfall real statt. Die Krypta Der sagenumwobene Monte Gargano im apulischen Italien war in der Zeit der Romanik in Orient und Okzident bekannt durch das älteste okzidentale Michaelheiligtum. Schon in ostgotischer Zeit wurde es ausgebaut und zog das ganze Mittelalter hindurch Pilger an, die in der Grotte des Erzengels Entsühnung finden wollten. Der gesamte Okzident war auf vielen seiner Berge in allen Landschaften von Heiligtümern zu Ehren St. Michaels bekrönt. Die Verehrung dieses Erzengels war für die Menschen der romanischen Zeit ein Ausdruck der Berührung mit verborgenen Glaubenswelten, die sich ihm nie direkt, sondern immer nur durch Vermittlung erschließen konnten. Auch der heutige Betrachter, wenn er die vielen Stufen im Felsen bis zur Grotte hinuntergeht, erfährt dabei, was damals unter Innewerdung verstanden worden ist. Dass der Mensch in sein Innerstes eintreten muss, um darin dann dem Höchsten zu begegnen. Für den damaligen Menschen geschah dies durch die Vermittlung Sankt Michaels, des unbestechlichen Streiters für die Herrschaft Gottes und des Geleiters der Seelen. Alle Krypten der romanischen Zeit stehen in einer entsprechenden Parallele zu dem, was die Höhle im Monte Gargano darstellt. Auch die Krypten sind Höhlen der Innewerdung, besonders dann, wenn sie in Prozessionszügen zu den dort befindlichen Gräbern der Märtyrer begangen werden (Anlehnung an die Apostelgräber). Die Krypta des Merseburger Doms gilt als älteste Hallenkrypta Mitteldeutschlands. Abgesehen von Instandsetzungen an Fußboden, Wand- und Gewölbeputz, abgesehen vom Verlust der mittelalterlichen Glasfenster, lässt der hohe, eindrucksvolle Raum den feierlichen Ernst frühromanischer Architektur unverstellt erleben. Die größte Wirkung geht von den sechs schön gegliederten, zart profilierten Pfeilern aus, die aus dem Quadrat entwickelt worden sind. An den vier Ecken und in der Mitte wurden Glieder der Pfeiler so ausgearbeitet, dass sich jeweils runde und kantige abwechseln. Die Pfeilermasse wird so optisch erleichtert und zugleich verfeinert. Zudem haben die Einzelstützen feingegliederte Basen und Kapitelle mit zart gestuften Profilen. Auch die Ecken des Apsiseinzugs und die flachen Wandpfeiler sind mit verzierten Kämpferplatten versehen. Die Gewölbe sind als Tonnengewölbe mit Stichkappen gebildet. In der Mitte der Westwand führte eine Pforte in einen zweigeteilten tonnengewölbten Annexraum, über dessen Funktion nur vermutet werden kann. Möglicherweise diente er zur Aufnahme von Reliquien. Interessanterweise befindet sich an der Innenseite des Türsturzes der Pforte zur Krypta das Relief einer segnenden Hand. Die Hand bedeckt ein nimbiertes Kreuz, und außen herum zieht sich eine aufgemalte lateinische Inschrift: „Möge diese Hand schützen! Mögest Du vermeiden, Sünden zu begehen!“ 3 Die beschriebene klare und harmonische Ausstrahlung des Raumes wird kontrastiert von sechs an die Seitenwände der Krypta gelehnten Totentanzbildern von Peter Gilles. Im Dialog dazu hat Thomas Gatzemeier eine Figur von den 17 Plastiken in dem Annexraum verortet. Die Serie der Totentänze, an der Gilles aktuell arbeitet, umfasst bisher []15 gleichformatige Leinwände (Hoch- und Querformate variieren miteinander), wovon sechs ausgewählt wurden. Die Leinwände wurden schwarz oder weiß grundiert. Auf die schwarzen druckte er zunächst weiße Abdrücke seines Körpers vor. Dann gestaltete er die Fläche mit den eigentlichen Antropometrien mit Eigenblut, das er in Spritzen verwahrt. Diese Spritzen füllte er anschließend mit schwarzer und weißer Farbe und „malte“ damit die Knochenmänner, die deshalb wie hineingetropft wirken. In der Regel denkt man beim Wort Totentanz an mittelalterliche Gemäldezyklen auf Kirchenund Friedhofsmauern oder an frühneuzeitliche Drucke. Tatsächlich finden sich Totentänze bis in die Gegenwart in vielfältiger Gestalt, sei es in der Literatur, der darstellenden Kunst oder der Musik. Die Quellen, aus denen sich das Genre entwickelt hat, liegen wohl im literarischen Bereich. Seit dem 13. Jahrhundert sind sogenannte Vado mori Gedichte bekannt, in denen sich Repräsentaten der einzelnen Stände darüber beklagen, dass sie sterben müssen. Angeregt durch verwandte Darstellungen in der bildenden Kunst, wie dem Triumph des Todes oder der Begegnung der drei Lebenden mit den Toten, entstanden Kombinationen. Im 14./15. Jahrhundert kam es im Umfeld der Predigtliteratur zur Ausprägung dessen, was wir unter Totentanz verstehen. Von Frankreich aus hat der Totentanz seinen Siegeszug angetreten und sich in kurzer Zeit in ganz Europa verbreitet. Ein frühes Beispiel ist ein Zyklus auf dem Friedhof von Saints Innocents in Paris (um 1425). Es folgten monumentale Werke in Dijon, Basel, Ulm, London, Straßburg, Berlin und Lübeck. Durch einen gewaltigen zeitlichen Abstand sind die aus Pest- und Krisenzeiten hervorgegangenen Totentänze von uns getrennt. Und doch können wir diese Verse und Bilder noch heute lesen und betrachten. Bis heute haben sich populäre Künstler mit dem Thema auseinandergesetzt: Ernst Barlach, Edvard Munch, Charles Baudelaire, Rainer Maria Rilke, Otto Dix, Peter Paul Rubens, Friedrich Dürrenmatt, Jean Tinguely ...4 Dabei durchdringen sich durchgehende Kontinuität vom Ursprung her und spezifisch zeitgebundene Abwandlungen. Das, was die mittelalterlichen Totentänze ausmachte, waren die Ständereihe, die Figur des Todesspielmanns und vor allem das Tanzmotiv. Zentrales Anliegen war die Warnung vor einem unvorbereiteten Tod (ars moriendi). Zur Herkunft und Bedeutung des Tanz- und Musikmotivs sei vermerkt, dass Tod und Spielmann über Lockung und magische Gewalt verfügen, beide spielen eine betörende Musik, beide sind vergleichbar durch den ihnen zugeschriebenen negativen, teuflischen Aspekt ihres Tanzes und ihrer Musik. Die Serie des Totentanzes von Gilles ist von den traditionellen Totentänzen unterschieden, indem er das Thema auf eine Auseinandersetzung zwischen sich und dem Tod reduziert, die sich als Innenschau abbilden lässt. Der Tod ist kein Spielmann, doch er tanzt mit seinem Gegenüber, zieht ihn während des Tanzes in sein Reich herüber, indem er immer stärker von ihm Besitz ergreift. Die expressiv wirkenden Bilder können als Einzelaufnahmen von inneren Befindlichkeiten verstanden werden, von Zuständen, die sich offenbaren, wenn sich der Künstler mit dem Tod auseinandersetzt. Deutlich wird, dass sie anscheinend noch heute gültige Vorstellungswelten des ursprünglichen Totentanzes reproduzieren (personifizierter, tanzender Tod, Tod als Skelett). Stellen die Bilder für Gilles eine besondere Herausforderung dar, weil er sich erstmals die Malfläche mit jemandem teilt, und auch noch mit dem Tod? Ist der Tod die einzige Instanz, die vor und neben Gilles eine ebensolche Wahrhaftigkeit beanspruchen darf wie der Künstler? Durch die Maltechnik begründet, bleibt der Tod jeweils vordergründig, der Mensch hat seinen Tod vor Augen. Bedeutet diese intensive künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tod eine moderne Art und Weise, sich auf den eigenen Tod gedanklich und physisch vorzubereiten? Inwiefern sind dann Gilles’ Arbeiten zu Stromboli – 68 Selbstporträts (1994) bereits als Vorbereitung dieser Auseinandersetzung mit dem Tod zu sehen, da er sich bei der Schaffung dieser Zeichnungen freiwillig in Todesgefahr begeben hat? Wer spielt mit wem, wenn Gilles sich freiwillig immer und immer wieder in den Grenzbereich von Leben und Tod begibt? In diesem Kontext evoziert die einzelne Plastik (aus der Gruppe 17 Plastiken) von Gatzemeier im Annexraum Fragen über das Sterben. Sind wir vorbereitet? Wie gerecht ist der Tod? Wann müssen wir sterben? Die Plastik verweist durch ihr Thema und ihre der Aufstellung geschuldete intensive Wirkung auf die in jedem Augenblick menschlichen Seins bestehende Gefahr des Todes. Mitunter tritt er in Form gewaltsamer Tötung auf. Dass, was den Opfern rechtsradikaler Gewalt und den christlichen Märtyrern – deren Gräber wir in Krypten finden; deren Reliquien möglicherweise in diesem Annexraum aufbewahrt wurden – entgegenschlug, war Menschenhass. Eine einzelne Figur steht hier als Appell an die Menschenliebe. Claudia Kunde 1 Zur Baugeschichte mit weiterführender Literatur siehe: Schmitt, Reinhart, Die Kirche der Domherren, in: Zwischen Kathedrale und Welt. 1000 Jahre Domkapitel Merseburg, hrsg. von Karin Heise, Holger Kunde und Helge Wittmann. Ausstellungskatalog Petersberg 2004, S. 79-83. 2 Krüger, Klaus, Denkmäler der Jenseitsfürsorge und Reichspolitik. Der Merseburger Dom als Begräbnisort, in: Zwischen Kathedrale und Welt. 1000 Jahre Domkapitel Merseburg, hrsg. von Karin Heise, Holger Kunde und Helge Wittmann. Ausstellungskatalog Petersberg 2004, S. 105-113. 3 Nach: Schubert, Ernst, Stätten sächsischer Kaiser. Leipzig, Jena, Berlin 1990, S. 181-187. 4 Hammerstein, Reinhold, Tanz und Musik des Todes. Die mittelalterlichen Totentänze und ihr Nachleben. Bern und München 1980. Wunderlich, Uli, Der Tanz in den Tod. Totentänze vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Freiburg i. Breisgau 2001.