Innenteil - Nimas Gab 18 12.03.2002 13:11 Uhr Seite 87 Geschichte Illustration Claudia Scharer Jörg Mühlbauer Nimas-Gab · Die Insel Innenteil - Nimas Gab 18 12.03.2002 13:11 Uhr Seite 86 Maa A m nächsten Morgen wurden sie von den Strahlen der Sonne gekitzelt und geweckt. Die drei Storim frühstückten Ananas und waren guter Dinge. Sie hielten Ausschau nach der Schlucht und konnten erfreulicherweise jetzt bei Tageslicht erkennen, dass sie richtig vermutet hatten. Maa lag etwa drei Stundenmärsche von ihnen entfernt. Unvermutet im weiteren Ausschauen aber stockte ihnen der Atem. Nicht weit von ihnen, etwa einen Muschelwurf entfernt, graste eine Herde Tiere. Nur dass die Freunde solch riesige Geschöpfe noch nie gesehen hatten! Sie waren froh, dass sie nicht am Boden geschlafen hatten, denn sonst wären sie vielleicht zertreten worden! Die Tiere waren gewaltig! Den Freunden kamen sie doppelt so groß wie die Nasgo zu Hause vor. Auf den ersten Blick schienen sie zottig. Beim näheren Hinsehen merkte man, dass sie eigentlich eine graue Haut hatten, die gut zwischen den vereinzelten orangebraunen Haarbüscheln zu sehen war. Diese dicken Zotteln reichten bis auf den Boden hin. Die Tiere hatten einen langen Hals und einen immensen Kopf mit einer länglichen Schnauze. Ohren waren im zottigen Fell nicht zu erkennen. Die Haare gaben dem eigentlich dünnen Hals ein 86 imposanteres Aussehen, wenn sie beim Grasen den Kopf nach unten streckten. Die Vegetarier hatten vier stämmige Beine und einen kurzen breiten Schwanz, der unter dem zottigen Fell aber kaum zu sehen war. Da grasten sie nun, unmittelbar neben unseren Freunden. Matti zählte acht Stück, die sich über ein größeres Feld verteilt hatten. Sie wunderten sich, dass die Kolosse ihnen nicht schon am Vortag aufgefallen waren. Wahrscheinlich hatten sie sie in der Ferne für Palmen gehalten, bewegliche Palmen. Allanah fand diese Tiere sehr schön und anmutig, wie sie so in aller Ruhe ihr Gras fraßen. Allerdings schauderte sie ein wenig bei dem Gedanken, wie sie wohl reagiert hätte, wenn sie im Gras übernachtet hätten und eine dieser großen Schnauzen sie am Morgen geweckt hätte. Auge in Auge! Alles in allem schienen diese Riesen wirklich zu sein und die fünfköpfige Truppe beschloss, zügig an ihnen vorbeizugehen. Wahrscheinlich würden sie die kleinen Gestalten nicht einmal wahrnehmen. So liefen die Aisalup los in Richtung Maa. Plötzlich, als sie etwa auf gleicher Höhe mit den großen Tieren waren, erbebte die Erde. So etwas hatten die Storim noch niemals erlebt. Erst dachten sie, das hätten die zottigen Riesen verur- Innenteil - Nimas Gab 18 12.03.2002 13:11 Uhr Seite 87 87 Innenteil - Nimas Gab 18 12.03.2002 13:11 Uhr Seite 88 sacht. Aber Skarfidel sah, dass diese ruhig standen und nur die Köpfe hoben. Das Beben wurde so heftig, dass unsere Freunde den Boden unter den Füßen verloren und stürzten. Es war ein unheimliches Gefühl. Die Erde bewegte sich wie der Boden eines ihrer kleinen Boote. Dazu gab es ein furchtbar lautes Grollen, bei dem sie sich die Ohren zuhalten mussten. Ballo drückte sich ganz fest an Allanah und Teke-tek hüpfte unruhig umher. Das musste der „Osgud“, der „Ferne Donner“ sein (nun allerdings sehr nahe), den sie schon so oft gehört hatten. Nach ein paar Minuten ebbte das Beben wieder ab und die großen Weidetiere standen wie unbeweglich und grasten weiter. Mit ihrem Gewicht auf den stämmigen Beinen konnte ihnen nichts passieren. Gewiss gab es solche Beben hier öfter und waren nichts Neues für die Tiere. Unsere Freunde halfen Skarfidel auf und marschierten weiter. Plötzlich hob einer der Riesen seinen Kopf und schaute in ihre Richtung. Offensichtlich hatte er ihre Witterung aufgenommen. Sofort stieß er einen tiefen Warnruf aus, der sich anhörte, wie wenn man in eine große Muschelschnecke blies. Unverzüglich kamen die Kolosse in Bewegung. Die Aisalup wagten nicht zu atmen. Die ganze Herde rannte auf einmal davon, glücklicherweise in die entgegengesetzte Richtung. Offensichtlich ergriffen sie die Flucht vor den Winzlingen. Nun bebte die Erde wieder. Dieses Mal aber waren die gewaltigen Tiere die Ursache. Skarfidel war begeistert, wie schnell und elegant sie sich bewegen konnten. Und schon waren sie außer Sichtweite. „Sie haben Angst vor uns. Vor dem Osgud nicht, aber vor uns!“, schmunzelte er. Ballo war 88 wieder mutiger geworden und wollte mehr sehen. So arbeitete er sich zu Teke-tek am Schluss der Reihe durch und krabbelte auf seinen Rücken. Nun konnte der kleine Skemballo mit gestrecktem Hals über die Gräser hinwegschauen, was ihn sichtlich erfreute. Bald kamen sie an den Eingang dessen, was sie von fern gesehen hatten. Es war wirklich eine Schlucht, in der nur spärlich Büsche wuchsen. Eine Art Weg führte hinunter zwischen den Felsen. Diese ragten nicht mehr als acht bis zehn Mappet empor. Sie waren sich sicher, dass sie bei der Schlucht Maa angekommen waren und machten Rast. Es war Mittagszeit und zumindest der kleine Ballo würde bestimmt Hunger haben. Sie aßen von ihren Vorräten und füllten ihre Flaschen mit sauberem Trinkwasser an einem kleinen See in der Nähe. Die Gegend gefiel ihnen gut, denn seit kurzem konnten sie endlich wieder über die Sträucher und Gräser, die hier wuchsen, hinwegsehen. Der Boden war staubig, so ähnlich wie Sand. Er hatte eine rötlich braune Farbe. Nun folgten die Aisalup dem Weg und hielten Ausschau nach dem Höhlenpfad. Nach etwa einer Stunde des Marsches bewegte sich plötzlich etwas im Gebüsch. Sie blieben stehen und duckten sich. Von der Seite kam jemand mit einem flotten Schritt. Sie staunten nicht schlecht, als sie einen Menschen erkannten. Es war kein Storim und auch kein Gawak und er erschrak, als er die für ihn unbekannten Wesen sah. Der Fremde war größer als ein Storim und kleiner als ein Gawak. Seine Haut war braun und die Haare kurz geschoren. Nur am Hinterkopf standen drei daumendicke und fingerlange Haarsträhnen hoch, die mit Fett Innenteil - Nimas Gab 18 12.03.2002 13:11 Uhr Seite 89 oder Ähnlichem eingeschmiert waren. Es war ein älterer Junge und bekleidet war er mit einer Art Rock, der wohl aus den Haaren der zottigen Riesen gefertigt wurde. Am auffälligsten waren die Zeichnungen auf seinem Körper. Er hatte feine Muster mit schwarzer Farbe auf allen Stellen seiner nackten Haut und ging barfuß, doch seine Schienbeine steckten in ledernen Stulpen. Wie versteinert stand der Junge eine Sekunde da und betrachtete die Storim. Dann drehte er sich um und lief, so schnell ihn seine Beine trugen, davon. Allanah, Matti und Skarfidel schauten sich an. Das war eine schwierige Situation. Sicher lebte er nicht allein hier und würde von ihnen berichten. Der Junge hatte zwar Angst vor ihnen gehabt, war aber mit Leder und Tierhaaren bekleidet gewesen. Folglich gehörte er zu einem Volk, das jagte und somit Waffen besaß. Außerdem schienen sie in der Lage zu sein, diese riesigen zottigen Tiere zu erlegen. Kurz berieten unsere Freunde und entschlossen weiterzugehen. Vielleicht konnte ihnen der Höhlenweg Schutz bieten oder sie verbergen. Auf jeden Fall durften sie keine Zeit verlieren und wollten ihre Aufgabe erledigen. Zurück wollten sie nicht. Im hohen Grasland hätten sie gegen die Einheimischen keine Chance. Zügig folgten sie dem staubigen Weg, der immer tiefer hinabführte, bis sie vor einer Öffnung im Fels standen. Das musste der Höhlenweg sein! Die Storim schauten sich noch einmal um und als sie nichts Verdächtiges bemerkten, gingen sie hinein. Die ganze Zeit zuvor hatten sie ihre Spuren auf dem staubigen Boden mithilfe eines Zweiges verwischt. Nun tauchten sie in die Höhle ein. Schon nach etwa zehn Mi- nuten war es dort drinnen fast finster geworden. Der Weg war aber breit und hoch genug, um bequem vorwärts zu kommen und es gab keine Abzweigung. Skarfidel entzündete einen Blob und nun konnten sie problemlos sehen. Sie marschierten zügig und achteten auf jedes ungewöhnliche Geräusch. Aber es zeigte sich nichts Verdächtiges. Stundenlang gingen sie weiter und wussten nicht, welche Tageszeit war. Als sie in einer Art unterirdischem Raum landeten, bat Allanah: „Ich habe Hunger, könnten wir hier nicht kurz rasten?“ Und sie gaben nach. Die Füße taten weh und der flotte Schritt machte hungrig. Wieder horchten sie angestrengt, ob sie 89 Innenteil - Nimas Gab 18 12.03.2002 13:11 Uhr Seite 90 nicht doch verfolgt würden, aber sie konnten nicht den geringsten Laut wahrnehmen. Etwas beruhigter gingen sie weiter. Nach etwa einer Stunde standen sie plötzlich vor einer Weggabelung. Welcher Weg war nun zu gehen? „Ich glaube, ich rieche in dieser Richtung das Meer!“, Matti deutete nach rechts. Auch den anderen beiden fiel der Salzgeruch auf, der aus diesem Höhlengang eindeutig hervordrang. „Und man hört ein Rauschen!“, ergänzte Allanah, während sie horchend zwischen den beiden Möglichkeiten stand. „Gut!“, sagte Skarfidel, dem die beiden Dinge auch aufgefallen waren, „nehmen wir diesen Weg.“ Sie bogen in den rechten der Gänge ein und hatten schon bald das Gefühl sich richtig entschieden zu haben, denn die Sinneseindrücke wurden schnell stärker. Man konnte schon gut einen Fischgeruch erkennen und das Rauschen unterteilte sich in unterschiedlich starke Phasen, was auf Wellenbewegungen hindeutete. Sie näherten sich dem Meer, ihrem Element. Nach einer halben Stunde konnten sie die Bewegung der einzelnen Wellen noch besser hören und es wurde sogar merklich heller, so dass der Blob bald ausgedient hatte. Die Spannung stieg und nach einer Kurve betraten sie einen Raum. Dieser war nach vorne geöffnet und endete in einer flachen Felsplatte. Dahinter war Licht, Luft und Yari nub-kee, das kleine traurige Meer! Sie konnten es nicht glauben, sie waren am Ziel angekommen! Hier war das Meer, dessen Wellen vom Atem der Insel begleitet wurde. Eilig traten sie bis an die Kante der Platte und sahen sich etwa nur ein Mappet über der Wasseroberfläche. Die Wellen schwappten fast bis an ihre Füße. An manchen Tagen 90 spritzte sicher Wasser in die Höhle, wenn die Wellen über die Platte schauten. Es war unglaublich! Sie standen da und waren ergriffen. Die Bucht war wie oben, wo sie hinübergeflogen (beziehungsweise geschwebt) waren, zwei weite Muschelwürfe breit und drei Sandmärsche lang. Die schmale Schlucht, in der das Meer lag, wurde auf beiden Seiten von Wänden aus großen Steinen verschlossen. Unsere Freunde standen fast in der Mitte der Bucht. Nun schauten sie nach oben und erblickten – sie konnten es kaum fassen – viele Handvoll Mappet über sich: die Liane an der Skarfidel hinübergeschwebt war. Sie hatten sich also genau über dieser Stelle befunden und wenn sie sich nicht täuschten, konnten sie dort oben rote Gestalten erkennen. Die Aisalup konnten sie aber nicht exakt ausmachen, da sie in die Sonne sehen mussten. „No“, die Sonne, ging bald hinter den roten Gestalten unter. Hier nach unten in die Schlucht drang die Sonne selten vor. Dazu waren die Felsen zu hoch und die Schlucht zu schmal. Deswegen war es auch so kalt. Trotz der schlechten Sicht waren sie sich aber sicher, dass die Gawak dort oben waren. Matti, der die besten Ohren hatte, glaubte sie singen zu hören. Es war aber schwer auszumachen, denn der Wind und die Wellen verursachten eine unverdrängbare Geräuschkulisse. Geschichte S kaflek, „ dunkle Gefahr“ nennt d , as Volk der Storim den Urw ald ihre Insel. N r ie wage n sie sic h weit hin ein, das is t Gesetz. Doch ein es Tages steht de Junge M r atti vor der Entsche idung, d ieses Gesetz zu brech en. Sein kle iner Bru der wur von Un de bekann ten in d en Urwald verschle ppt ... Claudia Scharer Innenteil--Nimas NimasGab Gab2.qx4 18 12.03.2002 13:11 UhrUhr Seite 87 1 Umschlag 19.03.2002 10:39 Seite