Wein Little big wine Von Peter Rüedi W ieder einmal die alte Einkaufs-Faust­ regel: grosse Jahre, kleine Weine – kleine Jahre, grosse Weine. Ich geb’s ja zu, ganz immer halte ich mich selbst nicht an die Faustregel. Sie hat den Nachteil, dass man die absoluten Spit­ zen verpasst, und die sollten nun mal nicht ­allein den Snobs und Etikettentrinkern vorbe­ halten bleiben, die braucht ab und an auch der Normaltrinker, ganz einfach, damit er Massstab und Verhältnismässigkeit nicht verliert. Aber davon abgesehen: Wer gute Weine für den täg­ lichen Gebrauch sucht und diese als selbstver­ ständliche alltägliche Begleiter betrachtet und nicht als Luxusartikel, der ist gut beraten, sich an die Binsenwahrheit zu halten. Hier ein sol­ cher Fall, die Revue du vin de France hat ihn mit dem Superlativ «réussite exceptionnelle» aus­ gezeichnet, und das will schon was heissen, ist doch das Fachblatt nicht immer frei von einem berufsbedingten Snobismus (falls es so was gibt, will sagen: Haben die Verkoster die Muster nicht aus dem eigenen Sack zu bezahlen, ver­ gessen sie gern einmal die Relation zwischen Qualität und Preis). Ich meine einen Bordeaux supérieur namens Château Fleur Haut Gaus­ sens, und zwar den Jahrgang 2010, den Gazzar für Fr. 14.05 anbietet, und ich schwöre beim Grab meiner geliebten Grossmutter (die so was allerdings auch zum halben Preis niemals ge­ trunken hätte): Dies ist ein vollwertiger Bor­ deaux aus 85 Prozent Merlot, 5 Prozent Caber­ net Sauvignon, ebenso viel Cabernet Franc und 5 Prozent Malbec, auf welch letztere zwei Sorten der Besitzer Hervé Lhuillier künftig den Akzent legt beim weiteren Ausbau seiner 30 Hektaren in der Gemeinde Vérac (am rechten Ufer der Dordogne, rund 15 Kilometer nordwestlich von Libourne). Allen anderen mag der Hinweis rei­ chen, dass sie für nicht einmal fünfzehn Fran­ ken einen Wein mit ein- und ausdrucksvoller Nase erhalten (Brombeeren, Kirschen), mit klug eingesetztem Holz, überhaupt feinen Tanninen (für 2010 keine Selbstverständlichkeit), feinem Abgang. Trotzdem: Zweistündiges Dekantieren ist ratsam. Château Fleur Haut Gaussens Bordeaux supérieur 2010. 14,5 %. Gazzar, Ecublens. Fr. 14.05. www.gazzar.ch Weltwoche Nr. 47.16