Predigtreihe zum Thema „Der Heilige Geist“ IV – Der Geist der Freiheit – 18. Okt. 2015 Pfarrer Andreas Scheibler, Wetzikon Text: Apostelgeschichte 19,1-6 1. Lesung: Das Wirken des Paulus in Ephesus 1 Während Apollos sich in Korinth aufhielt, geschah es, dass Paulus durch das Hochland zog, nach Ephesus hinab kam und dort einige Jünger antraf. 2 Und er fragte sie: Habt ihr den heiligen Geist empfangen, als ihr zum Glauben kamt? Sie erwiderten ihm: Nein, wir haben nicht einmal gehört, dass es einen heiligen Geist gibt. 3 Und er fragte: Worauf seid ihr denn getauft worden? Sie sagten: Mit der Taufe des Johannes wurden wir getauft. 4 Da sprach Paulus: Johannes hat mit einer Taufe der Umkehr getauft und zum Volk gesagt, sie sollten an den glauben, der nach ihm komme, das heisst: an Jesus. 5 Als sie das hörten, liessen sie sich auf den Namen des Herrn Jesus taufen. 2. Predigt: Liebe Predigtleser, A Freiheit? „Freiheit!“ – was für ein hehres Wort, gerade für uns Schweizer. Wie sind wir doch stolz über unsere alte Schweizer Geschichte, wo sich die Bauernsame über die Vögte erhoben hat. Wir denken an Wilhelm Tell, unser Freiheitsheld aus Schillers Gründungssage der Eidgenossenschaft. Freiheit hat aber auch für alle Völker dieser Erde, die irgendein Joch der Herr- oder Knechtschaft abgeworfen haben, grösste Bedeutung. In der französischen Revolution wurde mit „Liberté, Egalité, Fraternité“ der Absolutismus besiegt. Im Kanton Waadt steht in Anlehnung an die französische Revolution heute noch im Wappen: „Liberté et Patrie“. Aber was ist das für eine Freiheit, die die anderen, auch wenn es die Unterdrücker sind, mordet? … Freiheit im biblischen Sinn sieht ganz anders aus: Gott setzt den Menschen frei und der Mensch handelt in dieser neuen Freiheit gottgemäss. Zum Beispiel bin ich als gereifter Christ so frei, dem, der mich auf die eine Backe schlägt, die andere auch noch hinzuhalten (Mt. 5,39 // Lk. 6,29). Damit habe ich die Chance – nicht die Sicherheit! – Gewalt oder Ungerechtigkeit im Keim zu ersticken. Noch einmal: Gott setzt frei – der Mensch handelt. Freiheit hat also mit Verantwortung zu tun. Es ist die Antwort des Menschen auf seine völlige Freisetzung durch Gott im Kreuzeshandeln Jesu Christi. Wenn Freiheit nicht in die Verantwortung führt, führt sie in die Bosheit. Denn Freiheit an sich, also Freiheit ohne ethische Verpflichtung, führt dazu, dass der Mensch nur auf seinen eigenen Vorteil sieht. B Erkenntnis oder Umkehr Damit uns Gott aber überhaupt freisetzen kann, brauchen wir die Erkenntnis, dass wir vor seiner Güte und Gerechtigkeit nicht bestehen können, wenn wir die Leistungen unseres Lebens berechnen würden. Und diese Erkenntnis heisst Umkehr oder wie man früher oft sagte: Busse. „In jenen Tagen aber trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der judäischen Wüste: Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich (Mt. 3,1f.).“ Menschen, die das erlebten, sagen oft darüber: „Es fiel mir wie Schuppen von den Augen!“ Damit sagen sie aus, dass diese Einsicht nicht aufgrund eigener Gedankenleistung zu Stande gekommen ist, sondern durch Gottes Geist gewirkt worden ist. Ohne diese Geistwirkung, die allein uns freisetzen kann, ist es nicht möglich, ein christliches Leben zu führen. Die Taufe an uns als kleine Kinder und die Mitgliedschaft in der Kirche allein führen noch nicht zum wahren Leben als Kinder Gottes. Es muss dazu eben noch dieser Moment der Berührung oder Salbung oder Segnung oder Begegnung mit Gott kommen. Sonst ist unser kirchliches Leben, genauso gut wie eines ohne jede religiöse Bindung eine „Krankheit zum Tode“, wie das der berühmte Religionsphilosoph Sören Kierkegaard 1849 in einem Buchtitel drastisch genannt hatte. Wenn wir den Ausspruch Jesu in Matthäus 19,24 hören: „Weiter sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes.“, dann verstehen viele das zuerst falsch. Das Problem ist nicht der Reichtum an sich, sondern, dass wer reich ist, oft einem fatalen Irrtum erliegt. Als reicher Mensch hat man vieles nicht nötig, da man es sich 1. selbst besorgen kann und 2. oft gar nicht in Schwierigkeiten kommt, da es sich mit Geld leichter leben lässt. Das führt eher dazu, dass man meint, man hätte dann auch keinen Gott, geschweige denn eine Umkehr nötig. Schliesslich hat man es gut und ist oft auch gut mit den Menschen, also ist alles in Butter. Man vergisst aber den Umstand, den Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom erwähnt (Römer 2,4): „Oder verkennst du den Reichtum seiner Güte, Langmut und Geduld? Weisst du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr leitet?“ Der reiche Mensch vergisst zu oft, dass auch er sein gutes Leben geschenkt bekommen hat. – Also sollten uns beide Wege, sowohl die Not als auch das Wohlleben, zu Gott führen! C „Rahmenbedingungen“ Wer einen Bilderrahmen an zwei gegenüberliegenden Ecken auseinandernimmt, übereinander schiebt und an den Ecken wieder zusammenschraubt, erhält ein Kreuz: >! Pfarrer Ernst Sieber hat das in einer Fernsehpredigt einmal demonstriert und ich habe das in dieser Predigt nachgestellt. Der Sinn dabei ist, aufzuzeigen, wie wir Menschen uns immer wieder in bestimmen Rahmen bewegen, einrichten oder auch einsperren. Mit Gewohnheiten, sozialen Bindungen, Haus und Hof, aber auch mit unseren Gedanken. Es macht zuerst auch Sinn und tut uns gut, uns in einem abgesteckten Rahmen zu bewegen, besonders in der Kinder- und Jugendzeit oder als Lehrling etc. Geht nämlich mal etwas schief, hält sich auch der Schaden „im Rahmen“. Richten wir unser Leben aber in einem zu engen Rahmen ein, oder stecken wir andere in zu enggefasste Rahmen hinein, dann kann das Leben und das Zusammenleben zuerst vielleicht ganz praktisch und gemütlich sein, aber mit der Zeit kann es ganz schön unangenehm und beengend werden. Oft fällt es uns dann schwer, oder ist es uns gar unmöglich, über unseren Rahmen hinaus zu gehen oder hinaus zu denken, oder gar uns selbst oder auch andere aus unseren vorgefassten Rahmen zu entlassen. Das Kreuz Jesu Christi soll uns daran erinnern, dass er uns frei macht von Vorurteilen über uns selbst oder über andere, frei macht von Lebensentwürfen, die uns vom eigentlichen Leben abschnüren. D Der Schritt in die Freiheit Das gerade Gesagte wende ich nun auf den geistlichen Zustand unserer Landeskirche an. Wir Reformierten bleiben in der Regel bei der Säuglingstaufe und dem Abendmahl stehen und wagen uns auf geistlichem Gebiet nicht weiter vor. Bereits die Epheser im Predigttext gingen dank der Intervention von Paulus einen Schritt weiter. Diesen Schritt machen aber nur diejenigen, die bei ihrer Konfirmation eine bewusste Entscheidung für den Glauben an Jesus Christus wagen. Sogar der Zürcher Theologieprofessor Emil Brunner schrieb 1964: „Wie immer die Frage beantwortet werden möge, ob es in neutestamentlicher Zeit Säuglingstaufe gegeben habe oder nicht – eines ist über allen Zweifel erhaben, dass die Tauflehre des Neuen Testamentes nicht an der Säuglingstaufe, sondern an der Erwachsenentaufe orientiert ist und die Taufgnade nie vom empfangenden Glauben trennt.“ Wenn wir aber Apostelgeschichte 8,14-17 lesen, dann sehen wir eine weitergehende Praxis der Urkirche, die uns nicht vertraut ist: „Als aber die Apostel in Jerusalem vernahmen, dass Samaria das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie Petrus und Johannes zu ihnen. Die kamen herab und beteten für sie, dass sie den heiligen Geist empfangen möchten - er war nämlich noch auf keinen von ihnen herabgekommen, sie waren erst auf den Namen des Herrn Jesus getauft. Dann legten sie ihnen die Hände auf, und sie empfingen den heiligen Geist.“ Vor so etwas haben wir Angst! Das tönt nach Kontrollverlust und Durcheinander. Mag sein, dass uns seit der Reformation vor jeglicher Form der Schwärmerei graut, die mit der Forderung nach der Erwachsenentaufe auch gleich noch die Obrigkeiten abschaffen wollte. Das hätte nämlich die öffentliche Ordnung zerstört, den gesellschaftlichen Rahmen gesprengt und Chaos gebracht. Das wollten die damals Verantwortlichen nicht, und so haben sie die Täuferbewegung bekämpft und vertrieben und einige ihrer Anführer in der Limmat ertränkt. Damit aber haben sie einen geistlichen Flurschaden angerichtet, der bis heute wirksam ist. Bei uns ist der Glaube weitgehend eine rationale Angelegenheit, also Kopfsache, geblieben. Es fehlt uns oft das Wirken des Heiligen Geistes, ja, wir sind mit ihm kaum vertraut. Aber damit fehlt unserer geistlichen Flur vielerorts das nötige Wasser. Der deutsche Professor Jürgen Moltmann meint dazu 1991 in seinem Buch „Der Geist des Lebens“: Die „Ruach (das ist die hebräische Bezeichnung für den Heiligen Geist. Anm.) als Ereignis der personalen Gegenwart Gottes und Ruach als immanente (das heisst einwohnende. Anm.) Lebenskraft in allem Lebendigen reichen noch nicht aus, um den Sinngehalt des Wortes zu erschliessen. Der Begriff ist aller Wahrscheinlichkeit verwandt mit rewah = Weite. Ruach schafft Raum, sie setzt in Bewegung, führt aus der Enge in die Weite und macht so lebendig. In der Erfahrung der Ruach wird das Göttliche nicht nur als Person und auch nicht nur als Kraft, sondern als Raum erfahren, und zwar als jener Raum der Freiheit, in welchem sich das Lebendige entfalten kann.“ Das erinnert uns an das Bild von Rahmen und Kreuz. Wir müssten demgemäss endlich den Mut haben, unsere kirchliche Praxis der Neutestamentlichen, ja der ganzen Bibel anzupassen und dem Heiligen Geist erlauben, sich in unseren Gemeinde entfalten zu können! Über das Wie müssten wir uns dann noch einig werden… Zusammenfassend und abschliessend bleibt mir nur noch der Hinweis, dass Menschen, die sich vom Heiligen Geist erfüllen lassen und sich nicht nur freisetzen lassen, sondern sich auch verantwortlich zeigen, nicht nur sich selbst auferbauen und wohltun, sondern damit auch die Gemeinde auferbauen und ihr wohltun. – Amen.