N ATU R Leben in Wasser und Luft Libellen Es gibt wohl kaum elegantere Flieger unter den Insekten als die Grosslibellen. Pfeilschnell können sie über das Wasser schwirren, abrupt die Flugrichtung ändern oder plötzlich abbremsen und wie ein Hubschrauber völlig ruhig in der Luft stehen. Doch nicht alle Libellen sind so schnelle Flieger. Die sehr schlanken und zierlichen Kleinlibellen weisen ein ganz anderes Flugverhalten auf. Sie sind nicht schnell, können aber sehr wendig in dichter Vegetation manövrieren. (rh) Die heutigen Libellen haben sich über Jahrmillionen entwickelt und erfolgreich behauptet. Bereits im Karbon vor etwa 300 Millionen Jahren gab es die ersten Vorfahren der Libellen. Dies waren Riesenlibellen mit bis zu siebzig Zentimeter Flügelspannweite. Aussehen und Körperbau Als auffälligste Merkmale der Libellen gelten die beiden grossen Flügelpaare, der lange schlanke Körper und die grossen Augen. Speziell ist, dass Libellen die Flügelpaare unabhängig voneinander bewegen können und dadurch extreme Flugmanöver möglich sind. Die von vielen Adern durchzogenen Flügel sind bei fast allen Arten bis auf ein Flügelmal am Vorderflügel weitgehend durchsichtig. Der Kopf ist deutlich vom Brustteil abgetrennt und somit extrem beweglich. Mit den grossen Facettenaugen und den drei kleinen Punktaugen auf der Kopfoberseite verfügen die Libellen wahrscheinlich über den besten Sehsinn aller Insekten. Dieser ausgezeichnete Sehsinn ist für Jäger, die ihre Beute im Flug fangen, auch entsprechend wichtig. Die Beine, die wie die Flügel am Brustteil ansetzen, weisen kräftige Klauen und bedornte Unterschenkel auf. Damit können auch grössere, wehrhafte Beutetiere gut festgehalten werden. Auch der lang gestreckte, segmentierte Hinterleib der Libelle ist sehr beweglich. Larvenstadium Wie bei vielen anderen Fluginsekten verläuft auch der Lebenszyklus der Libellen in zwei Welten. Die Larven entwickeln sich im Wasser, währenddem die Imagines – die Adult- formen der Libellen – an Land leben. Entweder bereits kurz nach der Eiablage oder auch erst nach der Überwinterung schlüpft eine so genannte Vorlarve. Diese hat noch unbewegliche Gliedmassen. Kurz darauf erfolgt die Häutung zur eigentlichen Larve. Während ihrer Entwicklung häuten sich die Larven mehrmals und wachsen dabei jedes Mal ein Stück. Die Larvenzeit dauert bei fast allen Libellenarten deutlich länger als die Lebenszeit der Imagines. Sie kann bis zu mehreren Jahren dauern, bei der Gestreiften Quelljungfer beispielsweise bis zu sechs Jahre. Eine Ausnahme bilden die Winterlibellen: Sie leben rund zehn Monate als Libelle und nur etwa drei Monate als Larve. Schlupf der Libellen Die Entwicklung verläuft artspezifisch und häufig in ganz unterschiedlichen Gewässertypen. Das können Quellen, Moorgebiete, Bäche, Flüsse sowie grössere oder kleinere Stillgewässer wie Tümpel, Teiche oder Seen sein. Gewisse Larvenarten können auch längere Zeit in Moos oder im Boden überdauern. Als Jäger ernähren sich Libellenlarven von verschiedenen Wassertieren wie Mückenlarven, Flohkrebsen und Kaulquappen. Dabei packen sie ihre Beute mit einer klauenbewehrten Fangmaske, die in Ruhestellung unter dem Kopf zusammengefaltet ist. Am Ende des letzten Larvenstadiums verlassen die Tiere das Wasser, um zu schlüpfen. 56 April 2014 NAT UR Hierfür werden in der Regel vertikale Strukturen wie Stängel oder Blätter ausgewählt. Einige Arten schlüpfen aber auch in waagrechter Position. Meistens schlüpfen die Libellen unmittelbar am oder über dem Wasser, immer wieder wird aber auch ein Schlupf mehrere Meter vom nächsten Gewässer entfernt beobachtet. Sobald die Libellen aufgepumpt und ausgehärtet sind, können sie zu ihrem ersten Flug starten. Paarungsrad Die erste Zeit verbringen Libellen oft fern von Gewässern und jagen dort Insekten. Erst mit der Geschlechtsreife suchen sie potentielle Larvengewässer auf, um sich zu paaren. Sobald sich Männchen und Weibchen im Flug gefunden haben, wird das Weibchen von den zangenförmigen Hinterleibsanhängen des Männchens gepackt. Bei den Grosslibellen geschieht dieses Zupacken am Kopf, bei den Kleinlibellen an der Vorderbrust. Anschliessend wird das so genannte Paarungsrad gebildet. Beim Paarungsrad hebt das Männchen seinen Hinterleib an, das Weibchen krümmt seinen Hinterleib nach vorne. Dadurch wird die weibliche Geschlechtsöffnung am Hinterleib zum männlichen Kopulationsorgan geführt, das unmittelbar hinter dem Brustteil liegt. Die Spermien werden von den primären Geschlechtsorganen am Hinterleibsende produziert und müssen daher zunächst in die Samenblase des Begattungsorgans übertragen werden. Die Männchen können zudem mit ihrem Kopulationsorgan die Spermien aus früheren Begattungen entfernen oder in den Hintergrund des weiblichen Samen-Vorratsbehälters drängen. Um sicherzustellen, dass die eigenen Gene weitergegeben werden, halten die Männchen die Weibchen nach der Paarung häufig fest, und die Tiere fliegen als Tandem zur Eiablage. Flug abgeworfen, was deutlich schneller geht. Mit der Eiablage schliesst sich der Entwicklungszyklus der Libellen. Lebensraum Je nach Art bewohnen die Libellen ganz unterschiedliche Habitate. Insbesondere die Grosslibellen sind sehr mobil und nutzen verschiedene Landlebensräume. Wichtig ist, dass genügend Insekten als Nahrung sowie Ruheplätze und Verstecke vorhanden sind. Ebenfalls entscheidend für das Vorkommen einer Libellenart ist ein geeignetes Larvengewässer. Es gibt Arten wie zum Beispiel die HufeisenAzurjungfer, die ganz verschiedene Gewässertypen nutzen können. Solche Arten bezeichnet man als Generalisten. Daneben gibt es Spezialisten, wie beispielsweise die Arktische Smaragdlibelle, deren Larven in Moorgebieten in nassen Moorpolstern und im Torfschlamm leben. Eiablage Feinde Bei der Eiablage kann zwischen der endophytischen und der exophytischen Eiablage unterschieden werden. Bei Ersterem werden die Eier in Pflanzengewebe eingestochen, während sie im letzteren Fall im Flug abgeworfen oder an einem Substrat abgestreift werden. Die erste Methode ist charakteristisch für die Edel- und Kleinlibellen. Die zweite Methode wird insbesondere von Quelljungfern und Segellibellen – Grosslibellen – angewendet. Die Eier werden hier meistens im Libellen sind nicht nur Jäger, sondern auch Gejagte. Schon im Eistadium werden viele von Fischen gefressen oder von kleinen Erzwespen parasitiert. Die Larven werden häufig von Fischen oder auch von grösseren Libellenlarven gefressen. Besonders stark gefährdet sind die Libellen während des Schlupfens und kurz danach. Dann werden sie leicht Beute für Ameisen, Vögel oder Frösche. Auch in der Luft sind die wendigen Grosslibellen nicht sicher. Bienenfresser und Baum- falke jagen oft erfolgreich nach Libellen. Vor allem Kleinlibellen bleiben zudem immer wieder im Netz von Spinnen hängen oder werden von Fröschen geschnappt. Gross- oder Kleinlibelle? Die beiden Libellengruppen lassen sich eigentlich einfach unterscheiden, jedoch nicht in erster Linie über die Körpergrösse. Auch unter den Kleinlibellen gibt es recht grosse Arten, wie zum Beispiel die Prachtlibellen. Folgende Merkmale sollten aber eine richtige Zuordnung ermöglichen: Kleinlibellen: • Quergestellter, hammerförmiger Kopf • Augen berühren sich nie • Sehr schlanker, dünner Hinterleib • Vorder- und Hinterflügel in Ruhe über dem Hinterleib zusammengeklappt oder zumindest nach hinten geklappt • Vorder- und Hinterflügel annähernd gleich geformt • Eher langsamer Flug Grosslibellen: • Riesige Komplexaugen, die sich meistens berühren, Ausnahme bilden die Flussjungfern • Flügel in Ruhe stets ausgebreitet oder nach vorne gedrückt • Hinterflügel an der Basis stark verbreitet • Schneller, wendiger Flug April 2014 57