JUNGE GRÜNE Rooseveltplatz 4–5/Top 5 1090 Wien Tel +43.1.5269111-20 Fax + 43.810.9554 344 889 E-Mail [email protected] Web www.junge-gruene.at ZVR-Nr. 003581961 FÜR EINEN DEMOKRATISCHEN AUFBRUCH. LEITANTRAG DER JUNGEN GRÜNEN 2017 Antrag zum 8. Bundeskongress der Jungen Grünen am 7. Jänner 2017 in St. Gilgen am Wolfgangsee Antragsteller: Bundesvorstand 2017 ist ein besonderes Jahr. Vor 150 Jahren erschien „Das Kapital”, jenes Werk von Karl Marx, das bis heute eine der zentralen Schriften der Linken im Kampf gegen Ausbeutung ist. Vor 100 Jahren fand in Russland die Russische Revolution statt. Während der hoffnungslos scheinenden Situation des Ersten Weltkriegs schien der Traum von einer klassenlosen Gesellschaft plötzlich zum Greifen nahe. Diese zwei großen Jubiläen erinnern uns daran, dass die Linke einst dafür kämpfte, alle unterdrückenden Verhältnisse umzuwerfen. Die Linke hat sich mit diesen Verhältnissen auseinandergesetzt und gelernt, sie zu verstehen. Sie hat sich Gedanken gemacht, wo man ansetzen kann, um sie zu verändern. Ganz praktisch hat sie die Verhältnisse schließlich zum Tanzen gebracht. Aus der alten Gesellschaft und den ungeahnten Möglichkeiten, die sie für eine menschenwürdige Zukunft bereithielt, wollte sie zielbewusst die neue entfalten. Die Idee einer befreiten Gesellschaft war lebendig: Sie war der Kompass, der die Menschheit in eine bessere Zukunft führen sollte. Heute fällt es uns fast leichter, uns das Ende der Welt vorzustellen als ihre grundlegende Veränderung. Die Möglichkeit einer wirklich solidarischen und demokratischen Gesellschaft erscheint uns heute in weiter Ferne. Der weltweite Aufstieg der Rechten lässt uns oft mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück. WWW.JUNGE-GRUENE.AT Umso wichtiger ist es in diesen finsteren Zeiten, einen Blick zurückzuwerfen und uns zu fragen: Wie können wir Geschichte wieder als etwas begreifen, das von uns gemacht wird, das wir aktiv gestalten können? Wie können wir aus den Kämpfen des Alltags, die heute oft die Form von Abwehrkämpfen annehmen, wieder die Perspektive auf die Veränderung der Gesellschaft hin zu einer solidarischen und demokratischen entfalten? N ACH 2016: WO STEHEN WIR HEUTE? 2016 hat uns eindrücklich gezeigt, wie wichtig es ist, uns diese Fragen zu stellen. Der Rechtsruck hat sich weltweit und vor allem in Europa noch weiter verschärft. In Österreich erzielte die FPÖ das beste und zweitbeste bundesweite Wahlergebnis ihrer Geschichte und konnte die Öffentlichkeit ein Jahr lang vor sich hertreiben. Währenddessen zeichnen sich die anderen Parteien durch eine völlige Ratlosigkeit im Umgang mit der extremen Rechten aus. SPÖ und ÖVP, die das Amt des Bundespräsidenten seit Ende des Zweiten Weltkrieges immer besetzt hatten, verpassten bereits die Stichwahl mit weitem Abstand. Ihre wenig erfolgreiche Strategie, die FPÖ zu schwächen, indem man deren Forderungen gleich selber umsetzt, wurde sogar intensiviert. Was ein Christian Kern sich etwa in der Flüchtlingspolitik erlaubt, wäre unter Werner Faymann noch ein handfester Skandal gewesen. Mächtige Fraktionen in der ÖVP bereiten sich bereits auf die Zukunft als Juniorpartnerin unter einer FPÖ-Kanzlerschaft vor. Die Grünen haben sich dazu entschieden, mit der Bundespräsident*innenwahl in einen Schönheitswettbewerb einzusteigen, der unter normalen Umständen kaum politische Bedeutung gehabt hätte. Am Ende eines langen Wahlkampfes steht eine Gesellschaft, die trotz der letztlich klaren Niederlage Norbert Hofers deutlich nach rechts gerückt ist. Abseits der Wahl haben die Regierung und die FPÖ einen brutalen Angriff auf soziale Errungenschaften wie die Mindestsicherung orchestriert, dem die Grünen praktisch nichts entgegensetzten. Es war enorm wichtig, mit Norbert Hofer einen rechtsextremen Burschenschafter als Bundespräsidenten zu verhindern. Die FPÖ spielt mit großer strategischer Konsequenz WWW.JUNGE-GRUENE.AT ein langfristiges Spiel. Ihr Projekt ist die Blaue Republik, der autoritäre Umbau Österreichs. Einem Bundeskanzler Strache wäre dieser Umbau nach ungarischem Vorbild mit einem Präsidenten Hofer deutlich leichter gefallen. Wir haben wichtige Zeit gewonnen. Doch wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Dieser Sieg war nur ein vorläufiger. Wenn wir diese Zeit nicht nutzen, haben wir nichts gewonnen. W AS WIR AUS DER PRÄSIDENTSCHAFTSWAHL LERNEN KÖNNEN Aus der siegreichen Kampagne Alexander Van der Bellens können wir wichtige Lehren ziehen. Dieser Sieg wurde von einer breiten Bewegung getragen, wie wir sie in der österreichischen Politik nur noch selten sehen. Ihre Stärke hatte diese Bewegung vor Ort. Van der Bellens Wahlbewegung konnte durch geduldiges und gezieltes Engagement in den Städten und auf dem Land das Vertrauen vieler Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen gewinnen, auch und gerade dort, wo es Widerstände gab. Daraus müssen wir lernen, wenn wir den großen Herausforderungen der nächsten Jahre erfolgreich begegnen wollen. Nur eine umfassende Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche kann den Rechtsruck nachhaltig aufhalten. Hier stehen die in Österreich traditionell starken Parteien in der Pflicht: Sie müssen sich öffnen und möglichst viele Menschen für das Engagement für eine solidarische Gesellschaft begeistern. Die gegenwärtige Starrheit und Selbstbezogenheit der Parteien wirkt sich zutiefst entpolitisierend aus. Das wird früher oder später katastrophal enden. Die Parteien müssen wieder Räume werden, in denen gemeinsame und offene Meinungsbildungsprozesse möglich sind, in denen politisches Engagement – auch und gerade außerhalb der großen Parlamente – gelernt und geübt werden kann. Sie müssen vermitteln, dass Politik alle betrifft: als Ort, in dem wir selbstbestimmt darüber entscheiden können, wie wir leben wollen. WWW.JUNGE-GRUENE.AT W ARUM ES EINE DEMOKRATISIERUNG DER PARTEIEN BRAUCHT Dazu braucht es eine gesetzliche Demokratisierung der Parteien. Im österreichischen Parteiensystem gibt es weder gesetzliche demokratische Mindeststandards noch Transparenzregeln. Die Parteien machen sich selbst wenige Auflagen, um sich mit Unmengen Geld versorgen zu können, während sie den Aufbau demokratische Strukturen, um Demokratie parteiintern sowie in der Gesellschaft zu fördern, vernachlässigen. In diesem demokratischen Vakuum gedeiht eine Partei wie die FPÖ. Sie ist ein undemokratischer und führerzentrierter Parteiapparat, der interne Konflikte durch autoritäres Durchgreifen unterdrücken kann. Die anderen Parteien haben trotz ihrer Entwicklung zu Wahlvereinen nach wie vor Versatzstücke parteiinterner Demokratie, auf die die FPÖ praktisch gänzlich verzichten kann. Derzeit kann sie rechtsextreme „Einzelfälle” per einfachem Beschluss ausschließen, um ihren dünnen Deckmantel der Demokratie ansatzweise zu wahren. Sie kann sogar ganze Landesparteien von heute auf morgen ausschließen, wenn sie nicht gehorchen, wie zuletzt in Salzburg. Ein demokratisches Parteiensystem mit transparenten Mitgliederrechten und Ausschlussverfahren würde es der FPÖ-Spitze deutlich schwerer machen, ihre Konflikte autoritär von oben abzuwürgen. Für die anderen Parteien dagegen würde diese Demokratisierung faire Regeln in der Konkurrenz mit der FPÖ schaffen, der ihr besonders autoritäres Vorgehen einen klaren Vorteil gegenüber den anderen Parteien verschafft. Dass die FPÖ so autoritär agieren kann, ist auch der österreichischen Parteienförderung geschuldet, die zu den höchsten der Welt gehört. Durch die hohe Parteienförderung sollen die österreichischen Parteien unabhängig von großen Geldgeber*innen bleiben. In der Praxis führt sie jedoch zur Selbsterhaltung von verselbstständigten Parteibürokratien. Je mehr Geld die Parteien erhalten, desto weniger sind sie auf das Engagement ihrer Mitglieder an der Basis angewiesen. Davon profitieren besonders führerzentrierte Parteien wie die FPÖ, die nicht über breite Strukturen, Aktivitäten und Organisationen verfügen und keine demokratische Willensbildung innerhalb von Parteien organisieren müssen. WWW.JUNGE-GRUENE.AT Jene Parteien, die nicht ihr ganzes Geld in Marketing und eine Person an der Spitze stecken können, sondern noch über Ansätze demokratischer Ansprüche verfügen, haben unter diesen Bedingungen immer einen Konkurrenznachteil. Vor allem aber würde eine Demokratisierung des Parteiensystems die Parteien zwingen, Räume aufzumachen, in denen lebendige Diskussionen über die Zukunft unserer Gesellschaft wieder geführt werden können. Sie kann Perspektiven auf die Veränderung einer Gesellschaft in der Krise eröffnen und die wichtigen politischen Fragen unserer Zeit wieder offen diskutierbar machen. Dazu müssen die demokratischen Parteien jedoch über ihren Schatten springen: Eine solche Reform wird auch ihnen vieles abverlangen. Die Parteien müssen sich ändern und ihre innere Bequemlichkeit überwinden. Sonst machen sie sich mitschuldig am Aufstieg der FPÖ. Das gilt insbesondere auch für die Grünen, die als postpolitischer Marketingapparat mitverantwortlich sind für die Aushöhlung der Demokratie und keine breiten Positions- und Strategieprozesse gestalten. A US DEM ALLTÄGLICHEN AUSBRECHEN Auch für uns als linke und grüne Jugendorganisation ist es in den kommenden Jahren zentral, möglichst viele Menschen für die Vision zu begeistern, Gesellschaft grundlegend zu verändern. Auch in Zukunft werden wir uns den Abwehrkämpfen gegen die Rechten stellen müssen. Wir werden breite Bündnisse suchen müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Die großen Fragen, wie wir Gesellschaft gemeinsam gestalten wollen, stehen in diesen finsteren Zeiten nicht unmittelbar auf der Tagesordnung. Umso wichtiger ist es, dass wir als Linke auch in den alltäglichen Kämpfen nicht unsere Utopie einer besseren Gesellschaft aus den Augen verlieren. Sie muss der Kompass sein, der unser tägliches Handeln leitet. Aus den Kämpfen des Alltags müssen wir die Perspektive entwickeln, dass es auch ganz anders sein könnte. WWW.JUNGE-GRUENE.AT Strategisch müssen wir Erfolgserlebnisse schaffen. Aus dem Bewusstsein der Schwäche der Linken müssen wir jene Ansatzpunkte erkennen, an denen wir Mehrheiten gegen die extreme Rechte und für Solidarität und Selbstbestimmung schaffen können. Wir können etwas verändern, wenn wir bewusst und gut organisiert für gemeinsame Ziele kämpfen. Aus den kleinen Kämpfen des Alltags müssen wir große Perspektiven entwickeln – Perspektiven, die viele Menschen wieder dafür begeistern können, Gesellschaft grundlegend zu verändern. Dieses Vertrauen in eine bessere Zukunft können wir nur vor Ort erkämpfen. Dazu braucht es Führungskräfte, die in der Stadt und auf dem Land Verantwortung übernehmen, neue Dinge ausprobieren, aus dem Alltäglichen ausbrechen. Es braucht einen demokratischen Aufbruch vor Ort – dazu müssen wir uns breiter aufstellen und Strategien entwickeln, wie wir eine große Vielfalt an Menschen einbinden und eine tiefgreifende Politisierung in allen Bereichen der Gesellschaft ermöglichen können. E IN DEMOKRATISCHER AUFBRUCH GEGEN DEN RECHTSRUCK Die Linke befindet sich heute, 100 Jahre nach der Russischen Revolution, in einer Position historischer Schwäche. Um als Linke wieder gesellschaftlich wirkmächtig zu werden, müssen wir alte Muster durchbrechen. Wir müssen klar analysieren, wo wir ansetzen können, um Gesellschaft zu verändern. Wir müssen Mehrheiten schaffen und viele Menschen für eine solidarische Gesellschaft begeistern. Denn die Herausforderungen werden in den nächsten Jahren nicht geringer: Mit der kommenden Nationalratswahl könnte der FPÖ der Griff nach der Staatsmacht gelingen. Wenn wir es jedoch schaffen, aus den Abwehrkämpfen Perspektiven für eine bessere Zukunft zu entfalten, können wir viel erreichen. Ein breites und diverses Bündnis aller demokratischen Kräfte hat Norbert Hofer im letzten Jahr den Traum vom Präsidentenamt vermiest. Jetzt gilt es, die richtigen Lehren aus diesem Erfolg zu ziehen. Nur ein demokratischer Aufbruch kann den Rechtsruck aufhalten und die Möglichkeit grundlegender Veränderung eröffnen – in den Parteien und in allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Als Junge Grüne können wir einen wichtigen Teil dazu beitragen.