Prof. Dr. Dieter Zeller, Wiesbaden Jüdisch-christlicher Monotheismus und die antike Suche nach dem Weltprinzip. Ein gestörter Dialog Es geht um die gegenseitige Wahrnehmung. Wie werden die Juden mit ihrem Monotheismus in griech.-röm. Quellen dargestellt? Nehmen die jüdisch-christlichen Intellektuellen die Ansätze zum Monotheismus in der heidnischen Philosophie auf? Gibt es einen Dialog unter Gebildeten beider Bereiche? Hauptzeuge wird eine Schrift am Schnittpunkt dieser Beziehungen zw. Heiden und Christen sein, Eusebius v. Cäsarea, „praeparatio evangelica“, entstanden in der Zeit der Anerkennung des Christentums in den Jahren 312ff. nach Chr. 1. Die Perspektive der Nicht-Juden/Christen (vgl. praep. ev. IX) a) positive Sicht Die Christen wie die Juden gehen vom entwickelten theoretischen Monotheismus aus und betrachten ihn als geistige Errungenschaft, zunächst einmal der Israeliten und ihrer Sprecher, dann auch der Christen, die sich den „Hebräern“ in diesem Punkt anschließen. Diese, ursprünglich Gestirnverehrer wie die heidnischen Völker, „überstiegen mit den sehr reinen Augen der Vernunft alles Sichtbare und verehrten den Weltschöpfer und den Demiurg des Alls, indem sie ihn über alles wegen seiner Weisheitliche und Macht bewunderten, die sie aus den Werken gewahr wurden, und überzeugt, dass es nur einen Gott gab, nannten sie konsequenterweise nur ihn Gott.“ (I 6,2). Diese Hochschätzung der Juden als geborenen Philosophen,1 die sich auch während des blutigen Opfers ständig über das Göttliche unterhalten, findet sich etwa bei Theophrast (4./3. Jh.v.Chr.).2 Danach beobachten sie während ihrer nächtlichen Opfer die Sterne, schauen zu ihnen auf und rufen sie an in ihren Gebeten. Auch Hekataios von Abdera3 hielt die Juden für ein weises Volk wegen ihrer Fähigkeit zur Schau. Ihr Führer auf dem Auszug aus Ägypten, Mose, zeichnete sich sehr durch Klugheit und Tapferkeit aus.4 Er führte einen bildlosen Kult ein, „weil er nicht glaubte, dass der Gott menschengestaltig sei; vielmehr sei der die Erde umgreifende Himmel allein Gott und Herr des Alls (40,4).“ Die kosmologische Interpretation trifft zwar das jüdische Selbstverständnis nicht (vgl. Philo, dec. 53, wonach auch die Vergötterung des Himmels ein Irrtum ist), schreibt aber Gott als dem „Umfassenden“ ein Höchstmaß an Transzendenz zu.5 Der Geograph Strabo XVI 2,35 scheint Hekataios weiterzuentwickeln. Nur ist Mose bei ihm ein ägyptischer Priester, der sich aber sowohl gegenüber dem ägyptischen Tierkult wie von der griechischen Verehrung menschenförmiger Gottheiten distanziert. „Denn es sei dieses eine allein Gott, das, was uns alle und Erde und Meer umfasst, was wir Himmel nennen und Welt und die Natur der seienden Dinge“. Ihm geziemt kein Bilderdienst. Diesem Gott richtet 1 Auch der Geograph Megasthenes zählt die Juden zu den „Philosophen außerhalb Griechenlands“, s. M. Stern, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, I Jerusalem 1976, Nr. 14 (im Folgenden mit „Stern“ und Nummer zitiert). Klearch von Soloi lässt sie deshalb von den indischen Philosophen abstammen: ebd. 15 (Josephus, cAp. I 179). Ferner M. Hengel, Judentum und Hellenismus, Tübingen 21973, 464ff. 2 erhalten bei Porphyrius., abst. II 26, s. Stern 4. 3 in einem verlorenen Werk über die Juden, s. Stern 22. Ende des 4. Jh. v.Ch. 4 Stern 11 (= Diodor. S. 40,3). 5 Ein Echo auf die Himmelsverehrung der Juden bei Petronius, Stern 195: caeli summas advocet auriculas. Vgl. auch Juvenal, sat. XIV 96f. Florus (Stern 321): Pompeius entdeckt im Tempel Caelus (den Himmelsgott) unter goldener Rebe. Mose in Jerusalem ein Heiligtum sowie einen nüchternen Kult ein (36), der leider von den priesterlichen Nachfolgern mit abergläubischen Sitten verfälscht wurde.6 Auf römischer Seite ist Varro (1. Jh. v.Chr.) zu nennen. Er identifiziert den Gott der Juden mit dem obersten Gott der Römer Jupiter und preist den bilderlosen Kult als Beispiel eines reinen Gottesdienstes, wie ihn auch die Römer in den ersten 170 Jahren praktiziert hätten (Stern 72ab; 75). Auch der sonst so kritische Tacitus beschreibt den jüdischen Kult im Gegensatz zum ägyptischen Tierkult zutreffend: Iudaei mente sola unumque numen intellegunt: profanos, qui deum imagines mortalibus materiis in species hominum effingant; summum illud et aeternum neque imitabile neque interiturum. Igitur nulla simulacra urbibus suis, nedum templis sistunt; non regibus haec adulatio, non Caesaribus honor (V 5,4).7 Ähnlich Cassius Dio XXXVII 17,2: Von den anderen Göttern ehren sie niemand, aber einen verehren sie kräftig. Sie hatten kein Götterbild, nicht einmal im einstigen Jerusalem. Sie glauben nämlich, dass er unnennbar8 und unsichtbar ist. Das Fehlen eines Gottesbildes und das Verschweigen des Jahwenamens können jedoch auch dazu führen, dass der Gott Israels als deus incertus (ungewisser Gott) bezeichnet wird (Lukan, Phars. II 593). Den Gottesnamen Iao dagegen kennt Diodor S. I 94,2. Mose führt seine Gesetze auf ihn zurück. Bei Varro begegnet der Name Iao in den „chaldäischen Mysterien“, d.h. im Zauber (vgl. auch die Zauberpapyri), wird also geheimgehalten.Der Name tut jedoch nach Varro nichts zur Sache. Die Austauschbarkeit der Namen gründet darin, dass das Göttliche letztlich mit der stoischen Aufklärung als mundi animus (als Weltseele) betrachtet wird.9 Die paganen Autoren projizieren also teilweise ihre eigene aufgeklärte Sicht in das Judentum. Im Zuge hellenistischer Offenheit für Fremdkulturen kann eine exotische Kultpraxis von Barbaren durchaus positiv gewertet werden. Neben den Ägyptern, Phönikiern, Chaldäern und Lydern u.a. werden auch immer wieder die Juden als Verwalter alter Wahrheit genannt (z.B. Porphyrius, Stern 450; nur Chaldäer und Hebräer erlangten Weisheit, indem sie Gott als selbsterzeugten Herrscher rein verehren, angebliches Orakel des Apoll). Der anonyme Autor von De Sublimitate zitiert die Worte des Schöpfers Gen 1,3.9f und findet, dass Mose die Macht des Göttlichen würdig ausgedrückt habe - im Gegensatz zu Homer. Solche Hochachtung finden wir in der Kaiserzeit nur bei Numenius (2. H. 2. Jh. n.Chr.) wieder, der in Platons Timaios offenbar die mosaische Schöpfungsgeschichte erkennt: „Was ist Platon anderes als ein attisch sprechender Mose?“ (Stern 363). Er nennt den jüdischen Gott einzigartig (akoinonetos) und „Vater aller Götter“, an dessen Ehre niemand teilhaben kann (367). b) negative Sicht Anders als in den bisher erwähnten wohlwollenden Darstellungen erscheint bei polemischen Schriftstellern wie Manetho (Stern 19 = Josephus, cAp. I 238-40) das jüdische Volk als eine Kaste von Außenseitern, der ein Priester aus Heliopolis, Osarseph = Joseph? 10 verbietet, die Götter der Ägypter zu verehren.11 Die Juden zerstören ihre Tempel, verstümmeln die 6 Auch bei anderen Autoren findet sich diese Dekadenztheorie. Das real existierende Judentum ist nicht so attraktiv. 7 „Die Juden kennen nur geistig eine einzige Gottheit und halten für profan die, welche mit sterblichem Material die Götterbilder nach Art der Menschen machen. Jene Gottheit aber sei die höchste, ewig, nicht nachahmbar noch vergänglich. Deshalb errichten sie in ihren Städten und Tempeln keine Götterbilder. Diese Schmeichelei wird nicht den Herrschern, diese Ehre nicht den Kaisern zuteil.“ 8 Vgl. Frgm. des Livius (Stern 133): Tempel namenlosem Gott geweiht, kein Bild dort zu finden. 9 Hengel 477 nach Augustinus, CD 4,11. 10 Vgl. Chairemon in Josephus, cAp. I 290, wo sowohl Mose wie Joseph die Israeliten anführen. 11 Ganz negativ dargestellt bei Celsus I 23: Die Ziegen- und Schafhirten, die Mose als ihrem Führer folgten, verließen ohne vernünftigen Grund den Dienst vieler Gottheiten und wurden getäuscht, so dass sie glaubten, es Götterbilder und braten die heiligen Tiere. Ähnlich unterweist Mose bei Lysimachos seine Gefolgsleute, keinem Menschen wohlgesinnt zu sein und die Tempel und Altäre, auf die sie stoßen würden, zu zerstören (Stern 158 = Josephus, cAp. I 309; ebs. Apion ebd. 121). Das wird man zunächst aus der Konkurrenzsituation zwischen Juden und einheimischen GräkoÄgyptern, wie es Manetho und Lysimachos, aber auch Apion und Chairemon, waren, verstehen. Monotheismus - obwohl nicht ausdrücklich genannt - ist eine nationale Besonderheit, die in Intoleranz gegen die Götter anderer Völker ausartet, weil der Gott des eigenen Volkes absolut gesetzt wird. „Der alles andere ausschließende Anspruch der jüdischen Religion, die eine Offenbarung des einen Gottes zu verkörpern“, blieb für die Griechen inakzeptabel.12 Dieser Gott wird dann aber verunglimpft: Mnaseas von Patara (Lykien, um 200 v.Chr., Stern 28) und sein Schüler Apion (ebd. 170; Damocritus, ebd. 247) wollen wissen, wie man im Jerusalemer Tempel einen vergoldeten Eselskopf entdeckte. Er gehörte ursprünglich vielleicht zu einem reitenden Mose (Diodor XXXIV 1,3), wurde dann aber als jüdische Hauptgottheit verstanden. Diese Polemik, vorgebracht auch von Apollonius Molon (vgl. Josephus, cAp. II 148), nennt die Juden Gottlose und Menschenhasser, die Unbegabtesten von den Barbaren.13 Ihre Religion erscheint Cicero als barbara superstitio (barbarischer Aberglaube: pro Flacco 28,67; ebenso Quintilian; Tacitus, hist. V 13,1; Apuleius bei Stern 362). Tacitus: Mose führte neue Riten ein, die den übrigen Sterblichen entgegengesetzt sind. Profana illic omnia quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae nobis incesta (hist. V 4,1).14 Die Kehrseite des Monotheismus, das Verbot, andere Götter zu ehren, wird bei Griechen und Römern, die an den von den Vätern ererbten Gottheiten hängen, als Gottlosigkeit ausgelegt. Vgl. inpia gens (Florus: Stern 321), dyssebes (Aelius Arist.: Stern 371). Entsprechend allergisch reagieren die Römer auf missionarische Versuche der Juden in der Hauptstadt (Valerius. Max. I 3,3; Horaz, serm. I 4,142f). Die Proselyten lernen „die Götter zu verachten, das Vaterland aufzugeben, Eltern, Kinder und Brüder zu verachten“ (Tacitus, hist. V 5,2). Wie sich das für einen heidnischen Betrachter ausnimmt, zeigt die Beschreibung der Müllersfrau bei Apuleius, met. IX 14: Sie verschmähte und verhöhnte die heiligen Götter und log sich statt einer certa religio eine lästerliche (sacrilega) Anmaßung eines Gottes zusammen, den sie als einzigen bekannte. Apion kann nicht verstehen, warum die Juden in Alexandria nicht die Gotter der Stadt verehren, wenn sie denn Bürger Alexandrias sein wollen (Josephus, cAp. II 65). Die jüdischen Praktiken wie Beschneidung, Sabbat, Speisegesetze verstärkten den Eindruck des Absonderlichen. Die Enthaltung von Schweinefleisch hatte zur Folge, dass man annahm, die Juden verehrten ein porcinum numen (eine schweineartige Gottheit: Petronius, Stern 195; vgl. Plutarch, mor. 670). Tacitus, hist. V 4,4 bringt den Sabbat, der auf den dies Saturni (Stern 126.229) fällt, in Zusammenhang mit Saturn, dem auf Kreta von Zeus entmachteten Gott. Andere schließen aus Riten, etwa dem Laubhüttenfest, auf die Identität des jüdischen Gottes mit Dionysos (Plutarch, mor. 671D-672B; Tacitus, hist. V 5,5). Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und die jüdischen Aufstände gegen Rom trugen dazu bei, dass man sich vom jüdischen Kult ein phantastisches, meist negatives Bild machte. gebe nur einen Gott. 12 Hengel 476. 13 Ähnlich Celsus I 2. Das ist auch die Meinung des Antiochus Epiphanes von denr Gesetzgebung des Mose: sie lehrt menschenverachtende und gesetzwidrige Sitten (Diodor S. XXXIV 1.3). 14 Vgl. auch Philostrat, VA V 33: Die Juden sondern sich nicht nur von den Römern, sondern von allen Menschen ab, führen ein unvermischtes Leben ohne Tischgemeinschaft mit den Menschen … sie sind weiter weg von uns als Susa oder Baktra oder das noch fernere Indien (allerdings im Mund des Euphrates). Cassius Dio XXXVII 17,2. c) die Christen Werden auch die Christen in diesen paganen Quellen mit dem jüdischen Markenzeichen des Monotheismus versehen? Tacitus (Stern 282) weiß: Die Religionen der Juden und Christen, obwohl einander entgegengesetzt, kommen von denselben Urhebern. Aber ist das Christentum überhaupt monotheistisch? Während Paulus problemlos das „Ein Herr“ neben das „Ein Gott“ setzt (1Kor 8,6), hört der heidnische Statthalter, die Christen sängen Christus quasi deo (gleichsam einem Gott) einen Hymnus (Plinius, ep. 96). In den Augen des Juden bei Celsis II 1ff ist dies Abfall vom Gesetz der Väter. Obwohl die Bekehrung zum lebendigen und wahren Gott auch in der christlichen Mission als erstes gefordert wird (1Thess 1,9), kann das Christentum für einen Heiden wie Celsus nicht als legitime Fortführung des jüdischen Monotheismus gelten. Abgesehen davon, dass der historische Jesus sich nach Celsus nicht als Gott oder Sohn Gottes ausweisen konnte, empfindet Celsus es als Widerspruch, dass die Christen nicht nur den einen Gott, sondern auch seinen Diener über alle Maßen verehren (VIII 12). Auch ein anderer Intellektueller, Porphyrius, bescheinigt den Juden, dass sie Gott eher annehmen als die Christen (Stern 451). Denn ein gekreuzigter Gott ist kein Gott. M.a.W.: Der christliche Glaube wird in der heidnischen Umgebung nicht als reiner Repräsentant des Monotheismus wahrgenommen, sondern unterliegt Vorwürfen, wie sie ähnlich heute von islamischer Seite vorgebracht werden. Die in der praep. ev. I 2 genannten heidnischen Anfragen an die Christen sind 1. Warum verließt ihr als Hellenen den Glauben der Väter und nahmt den Glauben von Barbaren, nämlich der Juden, dazu noch eines gottlosen und allen Völkern feindlichen Volkes an? 2. Und wenn schon, warum begnügt ihr euch nicht mit dem Gott der Juden, sondern missachtet ihre Traditionen? Diese Anfragen kehren bei Julian, adv. Galil. 43A wieder. 2. Ansätze zum theoretischen Monotheismus in der griechischen Philosophie15 a) Die jonischen Naturphilosophen, bes. Xenophanes; das unbewegte Bewegende des Aristoteles Im 6. und 5. Jh. v.Chr. fragten griech. Denker, vor allem aus Kleinasien, nach der arche, dem Urelement, aus dem alles entsteht und wohinein alles vergeht. Dieses eine Prinzip wird, obwohl z.T. materiell (als Luft, Feuer) gedacht, weil es sich durchhält, gelegentlich „göttlich“ oder „Gott“ genannt. Von Gott im Singular, und zwar von einem von allen anderen abgehobenen Gott, spricht jedenfalls ausdrücklich Xenophanes im Fragment 23 (Diels/Kranz): Ein Gott (ist), unter den Göttern und Menschen der größte, an Gestalt und Sinn nicht mit Sterblichen vergleichbar. Obwohl als Vergleichsmaßstab noch andere Götter genannt werden, ist dieser eine Gott qualitativ von den traditionellen Göttern verschieden, nach Aristoteles: weil er im Weltall erschaut wird. Xenophanes schreibt ihm eine überlegene Geistigkeit zu, die die Götter Homers und Hesiods in den Schatten stellt: „Mühelos schwingt er das All, allein mit dem Sinnen seines Geistes“ (griech. nus, ein Stichwort, das dann Anaxagoras aufnimmt), „sich nirgends bewegend“. Das scheint nicht weit weg von dem „unbewegten Bewegenden“, das später Aristoteles im 12. Buch seiner Metaphysik zu erweisen sucht. Es bewegt nicht 15 Vgl. D. Zeller, Der eine Gott und der eine Herr Jesus Christus, in: Ders., Neues Testament und hellenistische Umwelt (BBB 150), Hamburg 2006, 47-59, bes. 49-55. Dazu P. Athanassiadi/M. Frede, Pagan Monotheism in Late Antiquity, Oxford 1999. physisch, sondern als angestrebtes Ziel. Aristoteles fasst es als reine, ewige Tätigkeit des Geistes, der sich selber denkt. Er spricht ihm Leben im Vollsinn zu und bringt es am Ende von Kap. 7 mit der hergebrachten Rede von Gott als vollkommenem und ewig lebendem Wesen zusammen (1072b 26-30). Vielleicht in einem Zusatz kommt er zu dem Schluss, das erste unbewegte Bewegende sei sowohl dem Begriff wie der Zahl nach eines, wie es auch nur einen Fixsternhimmel gebe. b) Der platonische Demiurg in späterer Interpretation Plato stößt in seinen Dialogen auf verschiedene letzte Wirklichkeiten: wo er vom menschlichen Erkennen ausgeht, auf die Idee des Guten (Staat 508/9), wo er die Bewegung der Himmelskörper erklären will, auf eine dynamisch vorgestellte Weltseele (Gesetze 897c), die manchmal (z.B. Tim. 30b) von einer Vernunft geleitet scheint. In der mythologischen Erzählung des Timaios führt er noch einen Demiurgen (Werkmeister) als Urheber und Vater des Weltalls ein (28). Es ist umstritten, ob und wie er mit einer der genannten Größen zu identifizieren ist. Möglicherweise hat er nur eine veranschaulichende Funktion. Aber im seit der Kaiserzeit modischen Mittelplatonismus erhält er eine besondere Bedeutung. Eine Lehre von den drei Ursachen stellt Gott, die Wirkursache (teilweise mit der Idee des Guten gleichgesetzt), der passiven Materie gegenüber. Die Ideen (Formursache) werden zu Gedanken des Schöpfers. Einen Weltschöpfer gab es bei Homer noch nicht; jetzt wird er im Demiurgen denkbar, auch wenn er nicht ex nihilo schafft. Andererseits gibt es eine Tendenz, den in seinem Wesen unerkennbaren Gott dieser Welt zu entrücken und seinen Logos als Erschaffer der sichtbaren Welt (Instrumentalursache) einzuschalten. Die Aufspaltung in mehrere Ursachen, die durch präpositionale Wendungen definiert werden, wirkt dem Zug zum einen Prinzip, den wir seit den Vorsokratikern registrierten, entgegen. Doch ist das Modell etwa für den jüdischen Philosophen Philo von Alexandria (1. Jh. n.Chr.) anziehend. c) Die alles durchdringende kosmische Vernunft bei den Stoikern Die Stoiker stehen einerseits in der Nachfolge Heraklits, der ein göttliches Weltgesetz (logos) des Werdens und Vergehens, materialisiert im Feuer, postulierte. Andererseits nehmen sie die Kritik der Sophisten an der religiösen Tradition auf. Sie unterscheidet zwischen Brauch (nomos) und Natur (physis). Schon der Begründer der kynischen Schule, Antisthenes (4. Jh. v.Chr.) hatte gelehrt, es gebe zwar nach dem Brauch viele Götter, der Natur nach aber nur einen. Während er allen herkömmlichen Kult ablehnte, hielten die Stoiker am überlieferten polytheistischen Kult fest. Sie sahen freilich in den Göttern nur kosmische Aspekte der einen Weltvernunft, deren Wesen Himmel und Erde darstellen.16 Die Götternamen deuten, recht etymologisch erklärt, ihre verschiedenen wahrnehmbaren Funktionen an. Z.B. sah man das alles durchziehende göttliche Leben in den Deklinationsform von Zeus Zen bzw. Dia ausgesprochen. Auch dem allmächtigen Schicksal gibt man den Namen des Zeus. Eigentlich ist es ein unpersönliches Es.17 Aber so wird - etwa in den Phainomena des Arat - die Heimarmene (das Verhängte) zur Vorsehung eines gütigen Vaters, den alle Zeus nennen. In den stoischen Zeushymnen, aber auch anderswo18, ist eine pantheistische Aufwertung des Zeus zu beobachten. An sich ist er ja nicht Weltschöpfer, auch der homerische Beiname „Vater der Götter und Menschen“ stimmt nicht zum Mythos, in dem es vor Zeus Götter gibt und die Menschen ohne sein direktes Zutun entstehn. Nun macht man ihn aufgrund der 16 Vgl. Stoicorum Veterum Fragmenta I 163f., vor allem Philodemos, piet. 17,9ff: „Alle von Zenon (Gründer der Stoa) an … sagen, es gebe nur einen Gott.“ 17 Vgl. das Neutrum bei Diogenes Laert. VII 136: „eines sei Gott und der Geist (nus) und das Schicksal und Zeus“. 18 Vgl. Frgm. 70 des Aischylos: „Zeus ist der Äther, die Erde, der Himmel, das Ganze, das über all diesem“. Vgl. auch den orphischen Papyrus Derveni (A. Bernabé, Poetae epici Graci II 1, München/Leipzig 2004, 14F). Akkusativform Dia zur Ursache von allem und setzt ihn mit dem platonischen Demiurgen gleich. Bleibt der über den Kosmos erschlossene Gott entweder ein materiell gedachter, immanenter Urgrund (Vorsokratiker) oder für sich seiende geistige Aktivität (Aristoteles), so suchen die Stoiker beides zu vereinigen. Wie sie zielen auch Philosophen des 2. Jh. n.Chr. eine Synthese mit dem überkommenen Viel-Götterglauben an, indem sie diesem obersten Gott die übrigen Götter als seinen Ausfluss, seine Kinder, Diener oder Kräfte zuordnen. Im Zug des Synkretismus ist man sogar bereit, diesem höchsten Gott auch die Namen von Gottheiten anderer Völker zu geben, z.B. den des Gottes der Juden.19 3. Jüdisch-christliche Wahrnehmung des paganen monotheistischen Denkens Bei hellenistisch gebildeten jüdischen Autoren wie Philo findet sich nicht nur die Einsicht, dass alle Menschen eine Art Gottesbegriff haben müssen, sondern auch das Zugeständnis, dass Philosophen wie Plato schon nahe an den einen Gott der Hebräer herankommen: Die Lehre, dass Gott einzig ist, kann man nicht nur dem Schöpfungsbericht des Mose entnehmen (op. 170f), sie liegt auch in der Konsequenz des platonischen, aristotelischen und stoischen Zugangs zu Gott über die Welt, denn die letzte aktive Ursache kann nur eine sein. So bekennen nach spec. II 165 Hellenen und Barbaren das Dasein eines höchsten Vaters der Götter und Menschen (Homer) bzw. eines Werkmeisters der gesamten Welt (Plato). Der Aristeasbrief, Aristobul und Josephus billigen den griech. Philosophen aufgrund der Zeusnamen Zen und Dia zu, dass sie „in überaus schöner und geziemender Weise Gottes Natur bezeugten“ (Josephus, cAp. II 168). Philo sagt: Was aus der bewährtesten Philosophie denen erwächst, die mit ihr Umgang haben, das wird durch Gesetze und Gebräuche den Juden zuteil, das Wissen von der höchsten und ehrwürdigsten Ursache von allem, wobei sie den Irrtum bezüglich der gewordenen Götter abstoßen (virt. 65). Die Erkenntnis des Schöpfers ist grundsätzlich allen möglich, aber bei den Juden ist sie durch Offenbarung und Erziehung institutionell abgesichert. Und eine Darstellung der Schöpfung wie Plato, Tim. wird durch den Altersbeweis20 letztlich auf Mose zurückgeführt. Die Griechen haben von Mose gelernt,21 z.B. ist die Ideenlehre bereits im 1. Schöpfungsbericht grundgelegt (Tag eins: Philo, op. 15ff, vgl. Eusebius, praep. ev. XI 24f). Buch X der praep. ev. versucht den Beweis zu führen, dass die Griechen die Prinzipien der Philosophie allein von den Hebräern haben. Während sie von den Ägyptern die Geometrie, von den Chaldäern die Astrologie übernahmen, ging die Erkenntis Gottes als Herr des Universums auf die Hebräer zurück (X 4,28f; dort ältere Autoren wie Josephus, Clemens Alex., Tatian). Man zeiht die griech. Denker nicht nur des Plagiats, sondern legte ihnen auch das monotheistische Bekenntnis nach jüdischem Vorbild in Pseudepigraphen (fakes) in den Mund. Ps-Orpheus verkündet: Einer ist er, aus sich selbst geworden, aus einem ist alles entsprungen (Z. 10). 19 Vgl. Varro bei Augustinus, cons. ev. I 22,30; CD IV 9; Celsus bei Origenes, c. Cels. I 24; V 41; die Äußerungen des Apollo-Orakels in Klaros bei Macrobius, Sat. I 18,18-21. 20 Vgl. P. Pilhofer, Presbyteron Kreitton, WUNT II 39, T 1990. Der jüdische Geschichtsschreiber Artapanos identifiziert Mose mit Musaios und lässt so über dessen Schüler Orpheus die ganze griech. Philosophie von Mose abhängig sein. 21 Aristobul bei Eus. praep. ev. XIII 12,1f: Plato (Gesetzgebung), Pythagoras; 12,3-8: Pythagoras, Sokrates und Plato haben sich in der Auffassung von Entstehung und Erhaltung der Welt Mose angeschlossen. Ähnlich Ps-Sophokles 122 und die an sich heidnische Sibylle 3,1-96. Das formale Modell ist Xenophanes. Die ntl. Schriften gehen dagegen kaum auf die Annäherungen paganer Denker an den Monotheismus ein. Die Heiden gelten pauschal als Menschen, die Gott nicht kennen. Selbst bei der Anknüpfungstechnik des Autors von Apg 17,22-31 bleibt der Gott, den Paulus verkündet, der „unbekannte Gott“, mögen auch einzelne Dichter etwas von seiner Nähe zum Menschen ahnen. Eusebius, praep.ev. XI-XII tut zwar die Übereinstimmung griech. Philosophie mit den Orakeln der Hebräer dar. Z.B. findet Eusebius den einen Gott der Hebräer in Platons Lehre vom einen Himmel (Tim.) oder im „alten Wort“ (Ges. 715eff) von dem „Gott, der Anfang, Ende und Mitte alles Seienden (in seiner Hand) hat“ (Kap. 13). Aber es gibt an diesen philosophen Ansätzen eines Plato, Aristoteles, oder der Stoiker zu kritisieren, dass sie letztlich nicht ein Weltprinzip annehmen, sondern noch die Materie unter die archai rechnen (Clemens Alex., strom. bei praep. ev. XIII 13,1). Schließlich disqualifiziert die Teilnahme am Götzendienst auch die besten Philosophen. „Von den höchsten Höhen ihrer Großsprecherei“, bei der sie „den Vater und Werkmeister des Alls“ zu kennen vorgaben, stürzten sie unter dem Druck des Volkes in den Abgrund der Idololatrie (praep. ev. XIII 14,3). Dazu kommt noch die Uneinigkeit der Philosophen untereinander (Buch XIVf), der gegenüber das eindeutige Gotteswort der jüdischen Bibel vorzuziehen ist. Zum Teil können wir also von einem Dialog zwischen den Vertretern der heidnischen Kultur und den jüdisch-christlichen geistigen Führern reden. Pagane Autoren wurden aufmerksam auf die Juden als Verehrer eines einzigen, bildlosen und transzendenten Gottes. Das kam den Strömungen der religiösen Aufklärung auf ihrer Seite entgegen. Auf der Suche nach dem Weltprinzip war man auch hier zu einer aktiven Ursache vorgestoßen. Andererseits schreckte die Radikalität, mit der das Judentum andere Götter bekämpfte, ab; zumal es sich noch mit wenig einsichtigen Praktiken verband. Tatsächlich erwiesen sich die jüdisch-christlichen Intellektuellen als wenig dialogfähig. Manche registrierten zwar die Ansätze zu einer monotheistischen Religiosität bei heidnischen Geistesgrößen, verteidigten aber auch die Priorität der biblischen Gottesoffenbarung. Sie beanspruchten die denkerischen Leistungen der Antike für sich und fühlten sich durch sie bestätigt, stellten aber auch gleichzeitig die Inkonsequenz und das Ungenügen der Philosophen heraus. Damit rechtfertigten die Christen ihren Anschluss an die monotheistische Religion Israels, der sie aber - zumindest in den Augen heidnischen Beobachter - mit der Vergöttlichung Jesu aber auch wieder untreu wurden. Wo Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung so differieren, muss man einen „gestörten Dialog“ konstatieren. Können wir dennoch etwas daraus für den heutigen interreligiösen Dialog lernen? Einmal wurde die positive Würdigung des jüdischen Monotheismus bei paganen Beobachtern dadurch möglich, dass im Zeitalter des Hellenismus Ethnozentrismus durch Austausch und Reisen überwunden wurde. Der Sensus für den transzendenten Kult Israels ging mit der Relativierung des eigenen traditionellen Götterglaubens und seiner philosophischen Sublimierung zusammen. So wird man heute über Religion am besten ins Gespräch kommen, wenn man einerseits die eigene Religion aus dem Vollzug kennt, andererseits doch einen gewissen Abstand durch vergleichende, historisch-kritische Religionswissenschaft gewonnen hat. Störfaktoren für das gegenseitige Verständnis waren einmal historische Konflikte, z.B. der Konkurrenzkampf zw. Juden und Gräko-Ägyptern um das griech. Bürgerrecht Alexandriens, die jüdischen Aufstände gg. Rom. Zum andern die dem Monotheismus eigene Aggressivität gegen andere Religionen. Die Versuche mancher Juden oder Christen, die heidnischen an den Monotheismus heranreichenden Aussagen für sich zu vereinnahmen, bezeugen zwar indirekt 22 Zitiert praep. ev. XIII 13,40. Wahrnehmung, trauen dem anderen Teil aber nicht zu, von sich aus auf dieselben Gedanken zu kommen, aus Angst, das Monopol auf die Offenbarung zu verlieren. Insofern die großen monotheistischen Religionen Offenbarungsreligionen sind, steht also auch zur Debatte, ob nicht auch der Begriff der Offenbarung, der dem eigenen Glauben Einzigartigkeit und Überlegenheit über andere Religionen garantieren soll, auf den Prüfstand muss.