Zufallsbefund Hypertriglyzeridämie

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Prof. Dr. med. Klaus G. Parhofer
Klinikum der Universität München
Medizinische Klinik und Poliklinik II – Großhadern, München
Behandeln oder nicht behandeln?
Zufallsbefund Hypertriglyzeridämie
Ein 43-jähriger übergewichtiger Mann (BMI 28,9 kg/m²) ohne wesentliche
weitere Vorerkrankungen berichtet, dass im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung ein stark erhöhter Triglyzeridwert (842 mg/dl, 9,6 mmol/l) aufgefallen
sei. Erhöhte Lipidwerte seien bereits vor einigen Jahren beobachtet worden.
Nun stellt er sich mit der Frage vor, ob eine Behandlung notwendig ist.
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rin erniedrigt, der LDL-Cholesterinwert
aber normal (manchmal sogar erniedrigt). Das Gesamtcholesterin ist dennoch
meist erhöht, da triglyzeridtragende Lipoproteine auch etwas Cholesterin enthalten und so bei einer ausgeprägten Hypertriglyzeridämie allein dadurch der
Cholesterinwert deutlich ansteigen kann.
Unterschieden wird somit eine Hypertriglyzeridämie (Gesamtcholesterin und
© Gina Sanders / fotolia.com
Hypertriglyzeridämien können nach
verschiedenen Kriterien eingeteilt werden [1]. Wichtig ist das Ausmaß der Hypertriglyzeridämie (Tab. 1), ob und ggf.
welche sekundären Faktoren vorliegen
(Tab. 2), ob neben den Triglyzeriden auch
das LDL-, HDL-Cholesterin und/oder
der Lipoprotein(a)-Wert verändert sind.
Bei sog. isolierten Hypertriglyzeridämien ist meist auch das HDL-Choleste-
Übergewicht: ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Hypertriglyzeridämie.
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Triglyzeride erhöht, HDL-Cholesterin erniedrigt, LDL-Cholesterin normal) von
einer kombinierten Fettstoff wechselstörung (Gesamtcholesterin und Triglyzeride erhöht, HDL-Cholesterin erniedrigt,
LDL-Cholesterin erhöht) (Tab. 3).
Ursachen der Hypertriglyzeridämie
Meist besteht eine genetische Prädisposition, bei der Lebensstilfaktoren sowie
zunehmendes Lebensalter zur Manifestation führen. Als wesentliche Lebensstilfaktoren müssen hier v. a. Übergewicht, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum und kohlenhydratreiche Ernährung
genannt werden [1]. Daneben können die
in Tab. 2 genannten Begleiterkrankungen (typischerweise Diabetes mellitus),
aber auch Medikamente (z. B. Östrogene,
Steroide, unselektive Betablocker, Proteaseinhibitoren etc.) eine Hypertriglyzeridämie auslösen oder eine bestehende
Hypertriglyzeridämie verstärken.
Bei manchen Patienten steht die genetische Prädisposition ganz im Vordergrund, d. h. bereits ohne einen der o. g.
zusätzlichen Faktoren liegt eine Hypertriglyzeridämie vor. Bei anderen stehen
die sekundären Faktoren im Vordergrund. Die der Veranlagung zugrundeliegenden genetischen Veränderungen
sind nur z. T. bekannt. Bei sehr ausgeprägten Hypertriglyzeridämien (insbesondere, wenn keine zusätzlichen Faktoren vorliegen) kann eine Mutation der
Lipoproteinlipase, des Apolipoprotein C
II oder des Apolipoprotein A V die Ursache sein.
MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (6)
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Tabelle 1
Tabelle 2
Einteilung der Hypertriglyzeridämie [1]
Sekundäre Ursachen für Hypertriglyzeridämie bzw. Faktoren,
die eine Hypertriglyzeridämie
verstärken können
Normal
< 150 mg/dl
< 1,7 mmol/
Hypertriglyzeridämie
150 bis ca. 900 mg/dl
1,7–9,9 mmol/l
Schwere Hypertriglyzeridämie
> 900 mg/dl
> 9,9 mmol/l
Aus klinischen Gründen kann die Hypertriglyzeridämie noch in zwei Unterformen unterteilt werden:
150–400 mg/dl (1,7–4,6 mmol/l) und 400–900 mg/dl (4,6–9,9 mmol/l).
Klinische Bedeutung
Eine Erhöhung der Triglyzeridwerte ist
in zweifacher Hinsicht relevant:
Atheroskleroserisiko
Pankreatitisrisiko.
Triglyzeridreiche Lipoproteine können
ähnlich wie LDL den Atheroskleroseprozess initiieren und unterhalten. Allerdings ist der Zusammenhang nicht so
ausgeprägt und nicht so eindeutig wie für
LDL. Lange Zeit war unklar, ob das mit
Hypertriglyzeridämie assoziierte erhöhte Atheroskleroserisiko durch die Hypertriglyzeridämie selbst oder die meist
ebenfalls bestehende HDL-Cholesterinerniedrigung bedingt ist. Neuere Daten
aus epidemiologischen und v. a. genetischen Studien belegen nun, dass die Triglyzeride (bzw. die triglyzeridreichen Lipoproteine) die Hauptschuldigen sind [2].
Die Untersuchungen der letzten Jahre haben darüber hinaus gezeigt, dass
dies nicht nur erhöhte Nüchterntriglyzeride, sondern auch erhöhte postprandiale Triglyzeridspiegel betrifft [3]. Man
geht inzwischen davon aus, dass den
meisten triglyzeridreichen Lipoproteinen eine atherogene Potenz zukommt.
Ausgenommen davon sind vermutlich
nur sehr große triglyzeridreiche Lipoproteine, wie sie typischerweise vermehrt bei seltenen genetischen Ursachen (Lipoproteinlipase-Defekt) auft reten. Ein aus der Hypertriglyzeridämie
abgeleitetes erhöhtes Atheroskleroserisiko besteht insbesondere bei mäßiggradiger Hypertriglyzeridämie und
gleichzeitigem metabolischem Syndrom
(oder Typ-2-Diabetes) [4].
Eine schwere Hypertriglyzeridämie
(> 900 mg/dl [> 9,9 mmol/l]) kann zu einer akuten Pankreatitis führen. Meist
liegen die Werte noch deutlich höher
(teilweise > 10.000 mg/dl; > ca. 100
mmol/l!). Hiervon betroffen sind häufig
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MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (6)
Patienten mit einer ausgeprägten genetischen Prädisposition (Lipoproteinlipase-Defekt). Aber auch bei ihnen können
sekundäre Faktoren (Alkoholgenuss,
Östrogene, Schwangerschaft etc.) einen
Auslöser darstellen.
Wie diagnostisch vorgehen?
Abgeklärt werden muss, welche Rolle sekundäre Faktoren spielen und wie groß
das Atheroskleroserisiko ist. Da die Hypertriglyzeridämie oft im Rahmen eines
metabolischen Syndroms auftritt, sollte
nach anderen Faktoren des metabolischen Syndroms gefahndet und ein Diabetes mellitus ausgeschlossen werden.
Daneben ist eine genaue Medikamenten-, Alkohol- und Ernährungsanamnese notwendig. Auslöser ist neben Alkohol
oft auch ein erhöhter Konsum an schnell
verstoff wechselbaren Kohlenhydraten.
Des Weiteren sollten eine Hypothyreose
(diese macht allerdings meist eine LDLHypercholesterinämie) sowie eine Niereninsuffizienz ausgeschlossen werden.
Hinsichtlich einer möglicherweise bereits
vorliegenden Atheroskleroseerkrankung
sollte nach anderen Risikofaktoren (insbesondere Familienanamnese) gefahndet
und ggf. eine Atherosklerose-Screeninguntersuchung
(Karotidenultraschall,
Kalkscreening,
Knöchel-Arm-Index
[ABI] etc.) durchgeführt werden.
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Übergewicht/Adipositas
Metabolisches Syndrom
Diabetes (v. a. Typ-2-Diabetes, aber
auch entgleister Typ-1-Diabetes)
Übermäßige Zufuhr von schnell
verstoff wechselbaren Kohlenhydraten (hoher glykämischer Index)
Alkohol
Hypothyreose
Niereninsuffizienz
Schwangerschaft
Paraproteinämie
Systemischer Lupus erythematodes
Medikamente (z. B. Steroide,
Östrogen, Cyclophosphamid,
Proteaseinhibitoren etc.)
Behandlung der
Hypertriglyzeridämie
In einem ersten Schritt sollte festgelegt
werden, ob es sich um eine isolierte Hypertriglyzeridämie oder um eine kombinierte Fettstoff wechselstörung handelt.
Bei kombinierten Fettstoff wechselstörungen steht die Optimierung des LDLCholesterins im Vordergrund (meist sind
die Triglyzeridwerte auch nicht so hoch).
Weiterhin sollten bezüglich der Hypertriglyzeridämie sekundäre Ursachen ausgeschlossen bzw. so weit wie möglich behandelt werden (insbesondere Diabetes).
Bei welchen Triglyzeridwerten welche Therapiemaßnahmen zum Einsatz
kommen, hängt entscheidend von der
klinischen Situation ab. Bei Triglyzeridwerten bis 400 mg/dl (4,6 mmol/l) ohne
kardiovaskuläre Begleiterkrankung und
Tabelle 3
Hypertriglyzeridämie vs. kombinierte Hyperlipoproteinämie
Fettstoffwechselstörung
Cholesterin
Triglyzeride
HDLCholesterin
LDLCholesterin
Reine
Hypertriglyzeridämie
(normal bis)
erhöht
erhöht
meist
erniedrigt
normal oder
erniedrigt
Kombinierte
Hyperlipoproteinämie
erhöht
erhöht
meist
erniedrigt
erhöht
Gesamtcholesterin ist bei beiden Fettstoffwechselstörungen erhöht, da triglyzeridreiche Lipoproteine auch
Cholesterin enthalten (VLDL- oder Remnant-Cholesterin).
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Kasuistik
Wie ging es weiter?
Bei dem eingangs beschriebenen Patienten konnte ein Diabetes mellitus ausgeschlossen werden. Allerdings fanden sich eine grenzwertige Erhöhung der Gamma-GT und
sonografisch eine Fettleber. Dem Patienten wurde deshalb geraten, den Bierkonsum
(1–1,5 Liter pro Tag) zu reduzieren und auch den Kohlenhydratkonsum (v. a. schnell verstoffwechselbare Kohlenhydrate in Form von Nudeln und Weißbrot) einzuschränken.
Durch die Ernährungsumstellung kam es zu einem Gewichtsverlust von 4 kg (über
drei Monate) und einem Abfall der Triglyzeride auf zuletzt 245 mg/dl (6,3 mmol/l). Auf
eine medikamentöse Therapie wurde zunächst verzichtet.
Sollte es unter einer ausgeprägten
Hypertriglyzeridämie zu einer akuten
Pankreatitis kommen, sollte bei Werten
> 1.000 mg/dl eine Plasmapherese angestrebt werden [1]. Damit können die
Triglyzeridwerte akut sehr schnell gesenkt und der zur Pankreatitis führende
Mechanismus unterbrochen werden.
Weiterhin ist es wichtig, in dieser Situation auf glukosehaltige Infusionen zu
verzichten.
Literatur unter mmw.de
ohne Diabetes werden normalerweise
nur Lebensstilmaßnahmen eingesetzt.
Bei höheren Triglyzeridwerten, erhöhtem Atheroskleroserisiko oder manifesten kardiovaskulären Erkrankungen
sollten Medikamente gegeben werden.
Lebensstilmaßnahmen
Hypertriglyzeridämien sprechen besonders gut auf Lebensstilmaßnahmen an.
Dabei spielen der (weitgehende) Verzicht
auf Alkohol und der verringerte Verzehr
schnell verstoff wechselbarer Kohlenhydrate die wichtigste Rolle. Auch über
eine verminderte Fettzufuhr (gesättigte
Fettsäuren) kann eine Triglyzeridreduktion induziert werden. Dabei ist die Ansprechrate extrem variabel. Bei manchen Patienten kommt es allein durch
eine Lebensstilumstellung zu einer Normalisierung der Triglyzeridwerte, andere sprechen sehr viel weniger deutlich
auf diese Therapie an. Die Miteinbeziehung einer Ernährungsberatung ist
empfehlenswert.
Medikamentöse Optionen
An spezifischen triglyzeridsenkenden
Medikamenten stehen Fibrate sowie
Omega-3-Fettsäuren zur Verfügung.
Die früher ebenfalls verfügbaren Niacinbzw. Nikotinsäurepräparate sind wegen
negativer Studienergebnisse nicht mehr
im Handel. Ähnlich wie bei Lebensstilmaßnahmen ist auch das Ansprechen
auf Fibrate bzw. Omega-3-Fettsäuren
sehr variabel.
Im Schnitt senken Fibrate und Omega-3-Fettsäuren die Triglyzeridwerte um
30% (starke Abhängigkeit vom Ausgangswert). Trotzdem sind beide Medikamentengruppen in Kombination mit
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Statinen durch negative Endpunktstudien charakterisiert [5, 6]. Auch wenn
die durchgeführten Studien aus heutiger
Sicht nicht ideal waren (bei Fibraten sehr
unselektiver Einsatz des Medikaments,
bei Omega-3-Fettsäuren niedrige Dosierung), sollte aufgrund der negativen Studienlage der Einsatz immer kritisch hinterfragt werden.
Bei Patienten mit schweren Hypertriglyzeridämien sollten, auch um akute
Pankreatitiden zu vermeiden, Fibrate,
ggf. in Kombination mit Omega-3-Fettsäuren zum Einsatz kommen. Ziel ist es
dabei, die Triglyzeridwerte soweit wie
möglich abzusenken. Bei Patienten mit
nachgewiesener Atherosklerose oder
Diabetes können ebenfalls Fibrate diskutiert werden (in Kombination mit Statinen), da Subgruppenauswertungen
und Metaanalysen hier einen möglichen
Nutzen anzeigen [7].
Aufgrund der überwältigenden Datenlage hinsichtlich der medikamentösen Therapie des LDL-Cholesterins sollte primär immer versucht werden, den
LDL-Zielwert zu erreichen [8]. Bei Patienten mit nachgewiesener Atherosklerose oder ausgeprägtem Risikoprofi l kann
in einem zweiten Schritt diskutiert werden, ob die zusätzliche Gabe eines Fibrates oder von Omega-3-Fettsäuren gerechtfertigt werden kann. Diese Zurückhaltung reflektiert auch die Tatsache,
dass die Nebenwirkungsrate hinsichtlich Myopathie und Rhabdomyolyse unter der Kombinationstherapie erhöht ist.
Dies betrifft insbesondere die Kombination mit Gemfibrozil und ist am wenigsten ausgeprägt bei Fenofibrat, weshalb
Gemfibrozil nicht in Kombination mit
Statinen verschrieben werden darf.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Klaus G. Parhofer
Klinikum der Universität München
Medizinische Klinik und Poliklinik II –
Großhadern
Marchioninistraße 15, D-81377 München
E-Mail: [email protected]
Hypertriglyzeridämie
Fazit für die Praxis
1. Hypertriglyzeridämien entstehen
oft auf dem Boden einer genetischen
Prädisposition in Kombination mit
einem ungünstigen Lebensstil.
2. Durch
Lebensstilmaßnahmen
(v. a. Verzicht auf Alkohol und schnell
verstoff wechselbare Kohlenhydrate)
lassen sich viele Hypertriglyzeridämien gut behandeln. Diese Maßnahmen müssen deshalb immer Teil
der Therapie sein.
3. Wann eine medikamentöse Therapie eingesetzt werden muss, hängt
von der Höhe der Triglyzeridwerte,
dem Atherosklerose- und Pankreatitisrisiko ab. Fibrate und Omega3-Fettsäuren können Triglyzeride absenken, haben aber in Endpunktstudien in Kombination mit Statinen
enttäuscht.
4. Auch bei erhöhten Triglyzeridwerten ist das Erreichen des LDL-Zielwertes das primäre Ziel, um Atheroskleroseereignisse zu verhindern.
Keywords
Accidental finding: Hypertriglyceridemia
Dyslipidemia – hyperlipidemia – hyperlipoproteinemia – cholesterol
MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (6)
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