8 2013 • Hessisches Ärzteblatt Fortbildung Interaktionen mit Cytochrom-P450 Einführung am Beispiel der CSE-Hemmer Holger Petri Abstract: Pharmakokinetische Wechselwirkungen zwi­schen Arzneimitteln sind bei der Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechslung und Ausscheidung möglich. In dieser Serie wer­ den Wechselwirkungen aus dem Bereich der Biotransformation betrachtet, die durch die Enzyme aus der Cytochrom-P450-Familie (CYP) verursacht werden. Arzneimittel sind sehr häufig Substrate dieser CYP-Enzyme, nicht wenige beeinflussen zudem ihre Aktivität. Mit jeder Folge dieser Serie wird eine Interaktionstabelle präsentiert, die den Leser über das Verhalten von Medikamenten einer Stoffgruppe in Bezug auf Cytochrome informiert. Mög­liche Interaktionen mit anderen Substanzen sind mit Hilfe einer weiteren Abbildung leicht identifizierbar. Ziel ist es, den Leser darin zu unterstüt­ zen, insbesondere bei der Erstverordnung die Substanz oder Substanzen einer Stoffgruppe mit einem möglichst geringen In­ter­ aktions­risiko zu wählen und andererseits problematische Kombinationen zu erkennen. Den Anfang der Serie machen die Wirkstoffe aus der Gruppe der CSE-Hemmer. Grundlagen: Der Körper versucht gewöhn­ lich, Medikamente und andere Fremdstoffe (Xenobiotika) in zwei Schritten wasserlöslicher zu machen, um sie besser ausscheiden zu können. In der ersten Reaktion, der sogenannten Phase-I-Reaktion, werden die Xenobiotika so chemisch verändert, dass sie in der Phase-II-Reaktion mit einer köpereigenen, sehr wasserlöslichen Substanz (Beispiel Glucoronsäure) gekoppelt werden (Konjugationsreaktion). Die so entstandene Verbindung ist gegenüber der Muttersubstanz wesentlich polarer und kann daher leichter primär über die Nieren eliminiert werden. Die Enzyme der Cytochrom-P450-Familie haben im Körper die größte Bedeutung für Phase-I-Reaktionen. Es handelt sich dabei 606 um Isoenzyme. Das bedeutet, sie katalysieren dieselbe chemische Reaktion, haben aber ein unterschiedliches Affinitätsverhalten zu Substraten. Beim Menschen wurden bislang 60 verschiedene Cytochrome gefunden. Allerdings sind für die Biotransformation von Medikamenten nur wenige von Bedeutung. Die Nomenklatur ist so aufgebaut, dass auf das Symbol CYP eine Zahl für die Familie, ein Buchstabe für die Unterfamilie und eine Nummer für das einzelne Enzym folgen: CYP1A2, CYP2D6 und CYP3A seien als Beispiele genannt. Genetische Polymorphismen: Bedingt durch genetische Variationen unterscheidet sich die Aktivität einzelner CYP-Isoenzyme. Am besten untersucht ist dies für CYP2D6: 7-10% der Mitteleuropäer bilden keine funktionsfähigen Cytochrome. Bei Ihnen verläuft die Biotransformation von CYP2D6-Substraten sehr langsam, während bei 1-10% der Mitteleuropäer diese sehr schnell abläuft, da sie viel mehr Enzyme produzieren als der Durchschnitt. Wie beeinträchtigen Arzneimittel die Cytochrome? Arzneimittel und auch Nahrungsmittel können die Aktivität der Cytochrome modulieren. Durch einen Hemmer (Inhibitor) verlieren die Cytochrome an Aktivität. Bei einem starken Hemmer wie Paroxetin ist das Enzym CYP2D6 quasi nicht mehr funktionsfähig. Bei Verordnung eines Induktors hingegen wird die Bildung von Cytochromen angeregt. Beispielsweise in­­ duziert systemisches Johanniskraut in thera­ peutischen Dosen CYP3A4. Welche möglichen Konsequenzen hat dies für den therapeutischen Erfolg? Der therapeutische Erfolg zahlreicher Medikamente hängt entscheidend von der Funktionsfähigkeit der Cytochrome ab, über die sie verstoffwechselt werden. Dabei sind verschiedene Konstellationen von Wechselwirkungen auf Ebene der Cytochrome denkbar: Substrat und Inhibitor: Wird der Abbau des Arzneimittels durch einen CytochromInhibitor blockiert, steigen die Plasmaspiegel. Der gewünschte Effekt stellt sich ein, aber das Risiko des Auftretens von Nebenwirkungen ist erhöht, wenn nicht die Dosis des Arzneimittels reduziert wird. Somit besteht die Gefahr, dass eine wirksame Therapie wegen der reduzierten Ver­ träglichkeit nicht fortgeführt wird oder die Nebenwirkungen als neues Symptom miss­ deutet werden, was zur Verordnung eines weiteren Medikamentes führen kann. Substrat und Induktor: Der Abbau des Medikamentes wird in einem Ausmaß beschleunigt, dass die Plasmaspiegel ohne Dosiserhöhung in einen Bereich fallen, dass der therapeutische Effekt ausbleibt. Dies führt unter Umständen zur Verordnung einer Alternativmedikation, die nicht vergleichbar wirksam oder verträglich ist. Prodrug und Inhibitor/Induktor: Prodrugs sind Arzneimittel, die selbst nicht wirksam sind, sondern erst im Körper durch in der Regel enzymatische Reaktionen in die aktive Form überführt werden. Auch die Cytochrome sind für die Wirkung einer Reihe von Prodrugs wichtig. Als Beispielsubstanzen sind Clopidogrel, Dacarbazin oder Tamoxifen genannt. Wird ein Prodrug mit einem Hemmer des Enzyms kombiniert, über das die Bioaktivierung erfolgt, entstehen reduzierte Plasmaspiegel des Metaboliten und die Wirksamkeit ist beeinträchtigt (Clopidogrel und Tamoxifen). In Kombination mit einem Induktor werden mehr aktive Metabolite als therapeu- Tab. 1: Übersicht der Cytochrom-P450-assoziierten Interaktionen von CSE-Hemmern (mit freundlicher Genehmigung aus: Krankenhauspharmazie 2013; 34:243-5) 8 2013 • Hessisches Ärzteblatt Fortbildung 607 8 2013 • Hessisches Ärzteblatt Fortbildung tisch notwendig gebildet und die Verträglichkeit ist beeinträchtigt (Dacarbazin). Konsequenzen für die Praxis am Beispiel der CSE-Hemmer: Anhand der beiden Leitsubstanzen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) aus der Gruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer, Simvastatin und Pravastatin, soll veranschaulicht werden, wie unterschiedlich das Risiko für Wechselwirkungen ist. Kombination mit CYP3A4-Hemmern: Simvastatin ist ein Lacton-Prodrug: seine Wirkung kommt über den Hauptmetaboliten zustande. Der Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass der weitere Abbau über das Isoenzym CYP3A4 stattfindet. Bei gleichzeitiger Verordnung von CYP3A4-Hemmern steigt die AUC (Fläche unter der Konzentrations-ZeitKurve), was mit einem signifikant erhöhten Rhabdomyolyse-Risiko einhergeht. Starke CYP3A4-Hemmer sind daher unter einer Sim­ ­vastatin-Therapie kontraindiziert. In Ab­bil­ dung 1 ist eine Auswahl an starken CYP3A4Hemmern aufgeführt. Bei gleichzeitiger Ver­ordnung mit mittelstarken als auch einzelnen schwachen CYP3A4-Hemmern (Amlodipin, Ticagrelor) ist die Tageshöchstdosis von Simvastatin limitiert. Die jeweilige Höchstdosis ist der Fachinformation des zu verordnenden Präparates zu entnehmen, da sie je nach Pharmazeutischen Unternehmer unterschiedlich vorgegeben wird. Kombination mit CYP3A4-Induktoren: Das Antiepileptikum Carbamazepin senkt über eine Induktion des CYP3A4-Enzyms die AUC von Simvastatin um etwa 75%. Dies erfordert unter Monitoring der Blutfettwerte eine Erhöhung der Tagesdosis von Simvastatin. Sollte Carbamazepin im weiteren Verlauf der Therapie abgesetzt und die Dosis von Simvastatin nicht gesenkt werden, steigen die Plasmaspiegel und damit die Gefahr von schwerwiegenden Nebenwirkungen. Der Abbau von Pravastatin ist unabhängig von den CYP-Enzymen. Dosisanpassungen bei gleichzeitiger Verordnung von CYPModulatoren sind daher nicht notwendig. Fazit: In Leitlinien und Empfehlungen zur Pharmakotherapie mit CSE-Hemmern wird neben der Titrationsstrategie die Gabe einer fixen Statinstandarddosis („fire and forget“) als wesentliche Option erwähnt. Auf Ebene von CYP-Interaktionen erscheint Pravastatin (gemäß Arzneimittelverordnungsreport 2011 92,3 Mio. definierte Tagesdosen, DDD) geeigneter für die Strategie der fixen Dosis als Simvastatin (1 3479 Mio DDD 2011). Anschrift des Verfassers: Holger Petri Fachapotheker für Arzneimittelinformation Fachapotheker für Klinische Pharmazie Zentral-Apotheke der Wicker Kliniken Tel.: 05621 803 290, Fax: 05621 803 841 E-mail: [email protected] Werner-Wicker-Klinik, Orthopädisches Schwerpunktklinikum Werner Wicker KG Im Kreuzfeld 4 34537 Bad Wildungen-Reinhardshausen Literatur beim Verfasser Abb. 1: Auswahl von modulierenden Substanzen (stark wirkende fettgedruckt) mit klinisch relevanter Wirkung auf einzelne CYP450-Isoenzyme (Stand: 04/2013) [Quelle: mediQ-Interaktionsprogramm]. (mit freundlicher Genehmigung aus: Krankenhauspharmazie 2013; 34:243-5) 608 Dieser Beitrag stellt den ersten Artikel einer Serie dar, die in regelmäßigen Ab­ ständen erscheinen wird.