Neophyten, wie schlimm sind sie wirklich? Beurteilungen und Empfehlungen zu den wichtigsten pflanzlichen Neubürgern in Ammersbek Aus Anlass der diesjährigen Invasion des Indischen Springkrautes im Heidkoppelmoor und an der Lottbek, baten wir unseren Botaniker Gerwin uns etwas über die wichtigsten Einwanderer in Ammersbek aus seiner Praxis zu berichten und ihr Gefährdungspotential einzuschätzen. Unsere Springkrautbekämpfungsaktion war am 4.8.2011 ein großer Aufmacher im überregionalen Nordteil des Hamburger Abendblatts gewesen und entsprechend bunt waren die Reaktionen. Neben überwiegend positiven gab es aber auch einzelne erboste Mails. Eine Leserin schimpfte, dass Naturschützer nicht bekämpfen sollten, was wächst und verwies auf die Bücher eines Schamanen, die andere meinte, wir sollten doch das letzte Futter des verregneten Sommers für ihre Bienen stehen lassen. Was sind Neophyten? Neophyten sind alle Pflanzen, die sich nach 1492, also nach Kolumbus‘ Wiederentdeckung von Amerika, in der Natur Deutschlands angesiedelt haben. Das tierische Pendant heißt Neozooen, der Überbegriff ist Neobiota. Rund 400 Pflanzenarten bei uns sind Neophyten, die inzwischen „eingebürgert“ sind, etwa 50 davon werden als problematisch angesehen. Als invasiv bezeichnet man solche botanischen Neubürger, die sich aggressiv ausbreiten und heimische Arten verdrängen und so ganze Ökosysteme überprägen und verarmen können. In vielen Fällen steht die invasive Ausbreitung einer eingeschleppten Art im Zusammenhang mit gestörter Nutzung unserer Landschaft. Beispielsweise Überdüngung, Eintrag von Stickstoff aus der Luft, Schwächung heimischer Arten durch Luftschadstoffe etc. Der bekannte Münchner Zoologe Josef Reichholf warnt davor, Arten nach fremd oder einheimisch zu beurteilen, und weist darauf hin, dass erst der industrielle Ackerbau einige fremde Arten invasiv gemacht hat, indem er ihnen - auch außerhalb der Äcker - einen prächtigen Nährboden bereitet hat. Was macht Neophyten gefährlich? Manche sind gesundheitsgefährdend, viele verdrängen mehrere heimische Arten und führen so zu geringerer Artenvielfalt, auch in der Tierwelt. Denn weil sich die heimische Insektenwelt nicht parallel mit ihnen entwickelt hat, bieten sie häufig nur einer sehr geringen Zahl von Tieren Futter und Reproduktionsmöglichkeiten. Heimische Pflanzen – viel Futter für die Tiere 72 Wildbienenarten sammeln Pollen vom Wiesenlöwenzahn 37 Wildbienenarten sammeln Pollen von der Wegwarte 63 Vogelarten fressen die Früchte von der Vogelbeere (Eberesche) Haselnuss: 33 Säugetierarten haben sie auf ihrem Speiseplan Eingriffeliger Weißdorn: 32 Vogelarten fressen seine Früchte, 163 Insektenarten haben sich auf ihn spezialisiert. Eiche: Über 300 Insektenarten leben von diesem Baum Gemeiner Beifuß: 180 Insektenarten sind von ihm abhängig Essigbaum: 2 Vogelarten nutzen ihn Robinie: Sie ist eine bedeutende Bienenweide, aber wird ansonsten erst von 1-2 Insektenart genutzt Chinesischer Wacholder: Nur eine Vogelart, nämlich die Alpenkrähe frisst seine Früchte, die des heimischen Wacholders werden dagegen von 43 Vogelarten verspeist. Quelle: Reinhard Witt: „Naturoase Wildgarten“ Sollte man Neophyten bekämpfen? Es ist ziemlich illusorisch zu glauben, dass man Neophyten wieder ausrotten könnte. Aber es ist darauf zu achten, dass kritische, invasive Arten nicht überhand nehmen. Großbritannien versucht seit kurzem den Japan-Knöterich (s.u.) mit einem aus Japan importierten Fressfeind zu bekämpfen. Solche Freilandexperimente haben vielfach in der Geschichte Probleme mit der neu eingeführten Art gebracht. Neophyten, die uns in Ammersbek und Umgebung begegnen Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens) Die letzten Jahre wegen seiner Giftigkeit in Verruf geraten ist das Jakobsgreiskraut. Dieses ist aber heimisch und es sind 76 Insektenarten von ihm mehr oder weniger abhängig. Das ebenfalls giftige schmalblättrige Greiskraut dagegen wurde mit Wollimporten aus Südafrika über Häfen eingeschleppt. Besonders im sonnigen Herbst 2011 konnte man es als gelbes Blütenmeer hier im Norden überall entlang der Autobahnen sehen, an Bahndämmen und auf Brachflächen der Hamburger Hafencity. Solange es sich auf diese Standorte (Ruderal-flächen) beschränkt, gehen von ihm noch keine Probleme aus. In Südafrika dagegen erobert es die Äcker und erweist sich als relativ resistent gegen Herbizide. Indisches Springkraut (Impatiens glandulifera) Die Pflanze, die auch Drüsiges Springkraut genannt wird, stammt ursprünglich aus dem westlichen Himalaja, wo sie bis in mittlere Höhen vorkommt, allerdings nicht an Bachläufen. Bei uns in Norddeutschland hat sie sich in einem sehr kurzen Zeitraum ausgebreitet. Bei Vegetationsaufnahmen entlang der Elbe beispielsweise wurde noch 2003 kein Indisches Springkraut gefunden, 2011 gab es die Pflanze dort überall. Die Samen werden gut von einem Fließgewässer verbreitet, deshalb findet sich die Pflanze besonders oft an Fluss- und Bachläufen. Unterstützt wurde die Ausbreitung auch von Imkern, denn der sehr süße Nektar wird von Bienen und Hummeln gern aufgenommen, sowie von Gartenbesitzern, weil die Blüten attraktiv und zahlreich sind. Im Sommer 2011 war eine explosionsartige Vermehrung in Ammersbek auffällig. Entlang der Moorbek (Hamburg) und der Lottbek hat sie sich zahlreich angesiedelt und dringt von hier ins Naturschutzgebiet Heidkoppelmoor vor. Die Bekämpfung muss früh im Sommer erfolgen, sonst trägt sie eher zur Verbreitung bei. Kleines Springkraut (Impatiens parviflora) Das Kleine Springkraut, das man in jedem Ammersbeker Wald antrifft, ist eine aus Sibirien stammende, gelbblühende Pflanze, die über Botanische Gärten bei uns eingeschleppt wurde. Sie ist allerdings eine hier mehr oder weniger etablierte Pflanze, die einjährig ist und spät hochwächst, wenn die Frühjahrsblüher schon weg sind. Sie ist sehr schattenverträglich und wächst daher dort, wo nicht viel anderes wächst. Auch hat sie das heimische Springkraut, das deutlich größere Blüten hat, nicht verdrängt, denn die Standorte der beiden sind ganz unterschiedlich. Die Samen werden drei Meter weit geschleudert und oft auch in Reifenprofilen von Autos weiter verbreitet. Riesengoldrute und Kanadische Goldrute (Solidago gigantea und Solidago canadensis) Die beiden Goldrutenarten sind sich sehr ähnlich und verbreiten sich durch unterirdische Wurzelausläufer. Innerhalb weniger Jahre bilden sie so flächendeckend Bestände, die manch wertvolle magere Staudenfluren überwuchern, besonders in Kiesgruben. Zusätzlich bilden sie zahllose Samen, die mit dem Wind verbreitet werden. Ihre gelben Blüten stellen einen guten Nektarlieferanten für Bienen, Hummeln und Schwebfliegen dar. Späte Traubenkirsche (Prunus serotina) Die Späte Traubenkirsche stammt aus Nordamerika und ist inzwischen deutschlandweit verbreitet. Sie unterscheidet sich von unserer einheimischen Traubenkirsche (Gewöhnliche Traubenkirsche, Prunus padus) insbesondere durch ihre ledrig glänzenden Blätter. Außerdem blüht sie später. Ursprünglich war sie als Zierpflanze eingeführt worden, wurde dann aber auch in der Forstwirtschaft eingesetzt, z.B. als Brandschutzstreifen an Kieferforsten. Ihre Samen werden durch Vögel verbreitet, die die Früchte gerne essen. Problematisch wird sie, wenn sie sich in wichtigen Biotopen der offenen Landschaft wie degradierten Mooren, Heiden oder Magerrasen ausbreitet. Sie gefährdet dadurch die Erhaltung solch baumarmer, offener Landschaftsflächen. http://schleswig-holstein.nabu.de/naturerleben/schutzgebiete/ Kartoffelrose (Rosa rugosa) Die Kartoffelrose wurde aus Kamtschatka als Zierpflanze eingeführt und später überall zur Befestigung von Autobahnhängen, als natürlicher Zaun in Parks oder als Dünensicherung angepflanzt. Sie ist problematisch, wo sie in wertvolle Heideflächen einwandert (z.B. auf Sylt) oder sich in naturnahen Dünengebieten ausbreitet und die auf diese Standorte spezialisierten heimischen Arten verdrängt. Die Blätter werden gern von Rindern gefressen, die aber in Dünengebieten nicht zur Bekämpfung eingesetzt werden können. Mechanische Bekämpfung per Hand ist fast unmöglich, weil sie sich aus Rhizomresten regeneriert. Japan-Knöterich (Fallopia japonica) Der Japan-Knöterich ist der problematischte der hier behandelten Neophyten. Er bildet inzwischen sehr dichte bis 5 m hohe Bestände, insbes. an Flussläufen, unter denen nichts anderes mehr wächst. Er hat bis 10 cm dicke Wurzelausläufer, die bis 2 m tief in den Boden reichen und beim WachsNeophyten bekämpfen durch Küchenzauber tum UferbefestiDie jungen Sprosse werden im Frühjahr gesammelt, gungen oder solange sie noch keine oder nur Hausfundamente ganz kleine Blätter tragen. Sie beschädigen könhaben ein säuerliches Aroma nen. Aus jedem (Oxalsäure) und eignen sich ähnBruchstück lich wie Rhabarber für salzige wächst, ähnlich wie beim Giersch, und süße Gerichte. (Rezepte wie wieder eine neue das Beispiel unten finden sich in: Pflanze, so dass Meret Bissegger: „Meine wilde sie auch mit BoPflanzenküche“, AT Verlag.) denaushub verGefüllter Japanischer Knöterich breitet werden. Die Bekämpfung ist kaum zu leisten, denn man müsste die Pflanzen 8-mal 5-8 junge dicke Knöterichstängel im Jahr abmähen und das 5 bis 10 Jahre lang. 1-2 EL Sonnenblumenöl In Großbritannien versucht man es jetzt mit 100 g Ricotta oder Frischkäse aus der Heimat des Knöterichs importieren 40g gemahlene Walnüsse Blattflöhen. Der NABU Ammersbek empfiehlt 1 fein geschnittene Frühlingszwiebel dagegen eine andere Art der Bekämpfung (s. Schwarzer Pfeffer und Muskatnuss Kasten). Zum Füllen nur die unteren dicken Teile verwenden (die oberen können, in kleine Ringe geschnitten zu Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) einem alternativen Rhabarberkuchen verarbeitet Der Riesenbärenklau, auch Herkulesstaude werden). Die Stängel bei den Knoten in Stücke genannt, ist inzwischen weit verbreitet und schneiden, diese dabei entfernen. Schälen indem wird wegen seines Gesundheitsrisikos von man mit dem Messer die Haut fasst und abzieht. vielen Kommunen bekämpft. Er kann bis zu 5 m hoch werden und enthält ein Gift, das unter Die Röhren außen mit dem Öl bestreichen. Die ZuUV-Einfluss verbrennungsähnliche Hautreakti- taten der Füllung gut vermengen und mit einem Spritzsack in die Röhren füllen. Im auf 190°C onen hervorrufen kann und krebserregend wirkt. Er stammt aus dem Kaukasus. Als Zier- vorgeheizten Backofen mit Umluft 10 bis 15 min backen. pflanze eingeführt wurde er dann besonders Aus: Meret Bissegger: „Meine wilde Pflanzenküche“ von Imkern als Bienenweide angepflanzt. Er AT-Verlag; Aarau; München. ist relativ anspruchslos in Bezug auf den Standort und bildet oft auf Wiesen große Bestände. Zur Eindämmung der fortschreitenden Ausbreitung sollte die Wurzel ausgegraben oder die Samenstände abgeschnitten werden solange sie noch grün sind und über die Biotonne entsorgt werLi den. Neophyten-Nachschlagewerk: nk http://www.floraweb.de/neoflora/handbuch.html s Problematisch ist, Faltblatt der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft: http://www.wildbienen.de/download/Neophyten.pdf Schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen SKEW: http://www.cps-skew.ch/deutsch/invasine_gebietsfremde_pflanzen/ information_zu_invasiven_gebietsfremden_pflanzen.html NABU-Ratgeber Neophyten: http://www.nabu.de/ratgeber/neophyten.pdf http://www.nabu.de/ratgeber/neobiota_branschweig.pdf NABU-Gruppe Ammersbek, Pressemitteilung: http://www.nabu-ammersbek.de/wb/pages/posts/schoenheit-die-schadet-40.php dass er mehrfch mit dem heimischen Wiesen-Bärenklau, Heracleum sphondylium, verwechselt wurde, der aber als heimischer Doldenblütler wichtig für Bienen, Käfer und Fliegen ist. Gerwin Obst & Petra Ludwig-Sidow, NABU Ammersbek