Vorsicht vor «Wundermitteln»

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NUTZTIERE
Vorsicht vor «Wundermitteln»
EUTERINFEKTIONEN mit Staphylococcus aureus gehören nach wie vor zu den
vorherrschenden Problemen, wenn Schweizer Milchviehbetriebe mit einer erhöhten
Zellzahl zu kämpfen haben. Kein Wunder gibt es auf dem Markt das eine oder
andere «Heilmittel», das mehr verspricht als es hält. Ein Fallbericht.
Markus
Rösch
Olivier
Flechtner
Neben reduzierter Milchleistung
und vorzeitigem Abgang der betroffenen Tiere tragen vor allem eine
starke Ansteckungsgefahr sowie die
hohen Behandlungskosten bei schlechten Heilungsprognosen dazu bei, dass
Staphylococcus (Staph.) aureus auf
Milchproduktionsbetrieben eine grosse
wirtschaftliche Bedeutung einnimmt.
«Neue
Mit einer konsequenten Umsetzung der Tipps vom Bestandestierarzt
lassen sich Herden mit gehäuften Eutererkrankungen am besten sanieren.
Behandlungsmethode»
Manch geplagter Landwirt greift in so einer Lage nach jedem Rettungsanker.
Wird ihm dann ein «Wundermittel» gegen Staph. aureus angepriesen, ist es
Was ist kolloidales Silber?
Bei «kolloidalem Silber» handelt es sich um Silberlösungen (so genannte
Suspensionen), in denen das Silber nicht als Salz gelöst, sondern in Form
von kleinen Partikeln enthalten ist. Diese werden durch mechanisches
Zermahlen oder durch andere Verfahren (Elektrolyse, chemische
Reduktion) aus Silber gewonnen.
Silberkolloid kann tatsächlich Bakterien abtöten. Darum wird es
beispielsweise bei der Desinfektion von Trinkwasser eingesetzt. Für
Reisen in tropische Länder gibt es Tabletten, die Silber enthalten. Diese
sind aber für den Einsatz in klarem Wasser geeignet. Fremdstoffe
beeinträchtigen die Wirkung des Silbers. Auch sind die Bakterien sehr
unterschiedlich empfindlich. Für einzelne Bakterien müssten so hohe
Silberkonzentrationen eingesetzt werden, dass das Wasser für den
Konsum giftig würde.
Präparate mit kolloidalem Silber werden insbesondere im Internet
oft mit allerlei unbewiesenen Heilversprechen und Halbwahrheiten
angepriesen. Sie sollen gegen alle möglichen Krankheiten und
Gebrechen wirken. Fakt ist aber, dass beinahe nichts davon als
bewiesen gilt. Insbesondere ist keine Studie bekannt, die belegt hätte,
dass Silber bei einer innerlichen Anwendung wirkt. Die langfristige
Einnahme von Silber kann jedoch zu der so genannten Argyrie führen,
bei der sich die Haut blau verfärbt. Auch Silbereinlagerungen im Auge
und Probleme mit dem Nervensystem wurden schon bekannt.
Dass bei Silber keine Resistenzen entstehen, ist eine Lüge: Bakterien
können sehr wohl gegen Silber resistent werden! Silberresistente
Bakterien wurden schon in Wasserfiltern nachgewiesen, die mit Silber
beschichtet waren. Auch bei Patienten mit Brandverletzungen, die mit
silberhaltigen Mitteln behandelt wurden, liessen sich silberresistente
Keime finden (Achtung! Auch solche Mittel sind Arzneimittel und
müssen zugelassen sein!).
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nicht verwunderlich, dass er diese Chance nutzen möchte, um endlich sein Bestandesproblem vermeintlich einfach
und kostengünstig in den Griff zu bekommen. So erging es auch einem Landwirt mit rund 45 Milchkühen. An einem
Messestand wurde er auf eine «neue Behandlungsmethode» angesprochen. Ihm
wurde erzählt, dass er mit Hilfe einer
kolloidalen Silberlösung (siehe Kasten)
den Problemkeim beseitigen könne –
angeblich ohne jede Nebenwirkung und
mit garantierter Wirkung.
Bestandesproblem Die Situation
auf dem Betrieb war wie folgt: Die mittlere Zellzahl bewegte sich zwischen
50 000 und 350 000 Zellen/ml (Alarmwert 150 000 Zellen/ml) und die Anzahl
Tiere mit Zellzahlen über 150 000 Zel11 2010 · UFA-REVUE
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len/ml war zwischen 10 und 40 %
(Alarmwert 20 %). Diese Kennzahlen
weisen auf ein Bestandesproblem bei
der Eutergesundheit hin. Aufgrund von
bakteriologischen Milchuntersuchungen war dem Landwirt bewusst, dass
Staph. aureus häufig an Euterentzündungen beteiligt war.
Breiter Einsatz So entschloss er
sich, das angepriesene Mittel einzusetzen, welches in 5 l-Kanistern (à 180 Fr.)
bezogen werden konnte und nach dem
Melken bei Kühen mit gesichertem Aureus-Befund, aber auch bei solchen mit
leicht erhöhter Zellzahl eingesetzt werden sollte. Die Flüssigkeit musste dafür
in einer Spritze aufgezogen und über
den Strichkanal ins Euter eingebracht
werden. Es wurde vorgegeben, dass keine Wartefristen zu beachten seien und
das Mittel daher problemlos während
der Laktation eingesetzt werden könne.
Produktionsausfall Über 50 % der
Milchkühe wurden mit dem Präparat
behandelt. Was daraufhin folgte, brachte den Betrieb an den Rand des finanziellen Ruins: In der auf die Behandlung
nachfolgenden Milchwägung hatten
55 % der Tiere Zellzahlen von über
400 000/ml und der Betrieb eine Gesamtzellzahl von über 1 Mio./ml. Dies
bedeutete einen nahezu völligen Produktionsausfall.
Beizug des RGD In dieser Notlage
wurde der Rindergesundheitsdienst
(RGD) hinzugezogen, um in enger Zusammenarbeit mit dem Bestandestierarzt
das Ausmass des Problems zu eruieren
und zügige Lösungsmöglichkeiten auszuarbeiten. Von 40 Kühen wurden Viertelgemelksproben genommen und bakteriologisch untersucht. 13 Kühe und
insgesamt 36 Viertel waren mit Staph.
aureus infiziert, bei 15 Kühen und insgesamt 32 Vierteln konnte Streptococcus
(Sc.) uberis nachgewiesen werden, drei
Kühe hatten einen positiven Befund für
andere Arten von Staphylokokken.
Notfallplan Weitere Nachforschungen hatten ergeben, dass bis auf zwei
Ausnahmen alle Kühe mit positivem Sc.
uberis Befund und acht der Tiere mit
Staph. aureus Befund mit kolloidalem
Silber behandelt worden waren. Nach
UFA-REVUE · 11 2010
individueller Betrachtung des Einzeltieres unter Einbezug der beteiligten Erreger, der Zellzahlvorgeschichte, des Alters, des Laktationsstadiums und
etwaiger Vorbehandlungen wurden eine
Melkreihenfolge und ein Behandlungsbeziehungsweise Ausmerzplan erstellt.
21 Tiere mussten antibiotisch behandelt,
zwei Tiere wegen starker Verhärtungen
im Euter und totalem Versiegen des
Milchflusses ausgemerzt werden.
Verbesserung innert weniger
Wochen Der entstandene Schaden
durch Milchverlust, Behandlungskosten
und vorzeitige Ausmerzung wurde auf
mehrere zehntausend Franken beziffert.
Zum finanziellen Schaden kommt die
enorme psychische Belastung der gesamten Familie durch existenzielle Sorgen sowie die massive zusätzliche Arbeitsbelastung. Durch konsequentes
Umsetzen der Empfehlungen und durch
die Behandlungen konnte innerhalb weniger Wochen ein zufriedenstellendes
Ergebnis der Bestandeseutergesundheit
erreicht werden.
Massive Euterreizung Was war
passiert? Bei der Anwendung des nicht
zugelassenen Arzneimittels «Kolloidales
Silber» war es zu einer massiven Erregerverbreitung im Bestand sowie bei einzelnen Tieren zu einer starken Eutergewebereizung
ohne
Erregernachweis
gekommen. Da die bakteriologische Untersuchung des Mittels einen negativen
Befund ergab, muss davon ausgegangen
werden, dass die Mastitiserreger von
Tier zu Tier verschleppt wurden. Obwohl
Silber in hohen Konzentrationen eine inaktivierende Eigenschaft gegenüber
Bakterien, Viren und Pilzen besitzt, war
das Präparat offensichtlich weder in der
Lage, bestehende Infektionen zu heilen,
noch neue Infektionen zu verhindern.
Falsche Silbergehalte Das Präparat wurde in der Folge auch von der
Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic auf seinen Silbergehalt untersucht.
Wie sich herausstellte, enthielt es nur
einen Bruchteil der angegebenen Silberkonzentrationen. Somit handelte es sich
nicht nur um ein unzulässiges Präparat:
Der Käufer konnte sich nicht einmal auf
die Angaben zum Gehalt verlassen, mit
denen das Produkt verkauft wurde.
Fazit Die intensive Zusammenarbeit
mit dem Bestandestierarzt bei der Sanierung von Bestandesproblemen mit
hoher Zellzahl kann verhindern, dass
vermeintlich günstige Lösungen mit Hilfe von «Wundermitteln» in einem finanziellen Desaster enden. Treten solche
kapitalen Nebenwirkungen von nicht
zugelassenen Arzneimitteln auf, so trägt
der Landwirt allein das volle finanzielle
Risiko für den Produktionsausfall. In
solch einem Fall kann er höchstens versuchen, auf zivilrechtlichem Weg eine
Entschädigung für den Schaden zu erwirken. Wenn aber schon ein Bestandesproblem bestand, gestaltet es sich
Rechtliche Grundlagen beim Einsatz von
Tierarzneimitteln
Präparate, die in das Euter gespritzt werden, müssen von der Swissmedic als Arzneimittel zugelassen sein. Bei der Zulassung eines
Arzneimittels prüft Swissmedic, ob dieses qualitativ einwandfrei,
wirksam, sicher und (bei Nutztieren) lebensmittelhygienisch unbedenklich ist. Arzneimittel dürfen aber niemals als «garantiert wirksam» oder
«garantiert ohne Nebenwirkungen» angepriesen werden.
Liegt keine Zulassung vor, so ist insbesondere die innerliche Anwendung des Produktes bei Lebensmittel liefernden Tieren verboten.
Gerade Milch ist ein wichtiges und empfindliches Lebensmittel, dessen
Qualität weder durch Rückstände (Silber?) noch durch Verunreinigungen (Bakterien, Fremdstoffe) beeinträchtigt werden darf. Jede
Behandlung einer Krankheit unterliegt der Sorgfaltspflicht der
behandelnden Person – sowohl im Hinblick auf das Tierwohl wie auch
bezüglich der Lebensmittelhygiene. Dies bedingt eine tierärztliche
Beurteilung und Diagnose sowie eine fachgerechte Auswahl und
Anwendung der Tierarzneimittel durch den Tierarzt. Erfolgt die
Anwendung durch den Landwirt, muss er die Arzneimittel über den
Tierarzt beziehen. Dies setzt voraus, dass eine TAM-Vereinbarung
vorliegt. Der Einsatz selber muss im Behandlungsjournal dokumentiert
werden. Der Erfolg der Behandlung ist zu überwachen. Ausserdem
muss immer auf die Einhaltung der Wartefristen geachtet werden.
oft sehr schwierig, genau zu belegen,
dass das Präparat als Ursache des Ausfalles anzusehen ist. Folglich muss meistens der Landwirt allein für das Ausmass
des Schadens aufkommen.
䡵
Autoren Dr. med. vet. Markus Rösch
ist Fachtierarzt beim Rindergesundheitsdienst (RGD). Seine Schwerpunkte
liegen in der Bestandesmedizin.
www.rgd.ch
Olivier Flechtner ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter bei Swissmedic und im
Bereich Marktüberwachung tätig.
www.swissmedic.ch
www.ufarevue.ch
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