Maria Anna Pabst Die Wunderwelt der Pollen Mit einem Beitrag von Wolf-Dieter Storl Inhalt Einleitung 8 Pollen und Bestäubung Geheimnisse der Pflanzenzelle14 Jede Zelle ist ein ganzer Organismus Chloroplasten lassen Pflanzen autark leben Ein Bläschen mit vielseitigem Inhalt Blüten: Geschlechtsorgane in variationsreicher Robe 14 17 19 Die Bestäubung Ein unpersönlicher »Liebesüberbringer«: der Wind Die intime Liebesbeziehung zwischen Pflanzen und Insekten Die verschiedenen Blütenbesucher »Kriminelle« Machenschaften im Pflanzen- und Tierreich Bestäuber in den Tropen Erlebnis auf einer Blumenwiese Die Welt der Sporen – Als es noch keine Blüten gab … Zurück in die Urzeit Ähnlichkeiten in der Fortpflanzung zwischen Pflanze und Mensch 51 51 52 56 63 65 66 67 68 69 21 Kronblätter verführen mit Formen und Farben 21 Staub- und Fruchtblätter – die Sexualorgane der Blüten 26 Viele Blüten duften und produzieren Nektar 30 Blütenmeditation32 Pollen – die wunderbare männliche Kraft33 Pollenkörner werden sichtbar 33 Alles beginnt mit der Entwicklung 35 Das Innenleben der Pollenkörner und ihre Oberflächen strukturen 38 Form und Wassergehalt 42 Unterschiede in der Verbreitungsmethode, Lebensdauer und Größe 47 Pollenmeditation51 Pflanzenporträts Pollenkörner aus Wald und Wiese74 Beinwell (Symphytum sp.) 74 Echter Wundklee (Anthyllis vulneraria)76 Geflecktes Knabenkraut (Dactylorhiza sp.) 78 Geflecktes Lungenkraut (Pulmonaria officinalis)80 Gemeiner Beifuß (Artemisia vulgaris)82 Gewöhnlicher Erdrauch (Fumaria officinalis)86 Gewöhnliche Nachtkerze (Oenothera biennis)88 Gewöhnliche Vogelmiere (Stellaria media)91 Gewöhnliche Wegwarte (Cichorium intybus)94 Große Brennnessel (Urtica dioica)97 Hohler Lerchensporn (Corydalis cava)101 Kleinblütiges Weideröschen (Epilobium parviflorum)102 Scharfer Mauerpfeffer (Sedum acre) 104 Schöllkraut (Chelidonium majus)106 Schopfige Kreuzblume (Polygala comosa)108 Stängelloser Kieselenzian (Gentiana acaulis)110 Stängellose Primel (Primula vulgaris)112 Stinkender Storchschnabel (Geranium robertianum)114 Wiesenbärenklau (Heracleum sphondylium)117 Meditation zur Nahrungsteilung120 Wiesenrotklee (Trifolium pratense)121 Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis)124 Wildes Stiefmütterchen (Viola tricolor)126 Pollenkörner aus dem Obst-, Gemüseund Heilkräutergarten128 Echter Eibisch (Althaea officinalis)128 Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus)130 Muskatellersalbei (Salvia sclarea)132 Ringelblume (Calendula officinalis)134 Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum)136 Steirischer Ölkürbis (Cucurbita pepo var. styriaca)138 Pollenkörner aus dem Ziergarten141 Deutsche Schwertlilie (Iris germanica)141 Gelbrote Taglilie (Hemerocallis fulva)143 Mittagsgold (Gazania splendens)146 Rispige Flammenblume (Phlox sp.)148 Schwarzäugige Susanne (Thunbergia alata)150 Wildtulpe (Tulipa sp.) 152 Pollenkörner von wasserliebenden Pflanzen 154 Fieberklee (Menyanthes trifoliata)154 Gelbe Gauklerblume (Mimulus guttatus)156 Indische Lotosblume (Nelumbo nucifera) 158 Lotosblüten-Chakrameditation161 Rundblättriger Sonnentau (Drosera rotundifolia)163 Weiße Seerose (Nymphaea alba) 166 Pollenkörner besonderer Pflanzenschönheiten168 Gewöhnlicher Seidelbast (Daphne mezereum) 168 Passionsblume (Passiflora sp.) 170 Prunkwinde (Ipomoea sp.) 172 Schwarzes Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) 174 Tollkirsche (Atropa belladonna) 178 Pollenkörner von Bäumen und Sträuchern 180 Akazie (Acacia sp.)182 Gewöhnlicher Trompetenbaum (Catalpa bignonioides)184 Freude in sich aufnehmen185 Lärche (Larix sp.) 186 Immer wieder entsteht Neues 187 Latsche oder Bergkiefer (Pinus mugo)188 Rhododendron (Rhododendron) 190 Rotbuche (Fagus sylvatica)192 Sporen 195 Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense) 195 Hirschzungenfarn (Asplenium scolopendrium) 198 Keulenbärlapp (Lycopodium clavatum) 200 Blütenstaub und Sporen: Ethnobotanische und kulturgeschichtliche Betrachtungen Von Wolf-Dieter Storl Blütenstaub – Sinnbild des Zaubers und der Liebe Goethe: Blütenstaub als Quintessenz pflanzlicher Alchemie Botanik, die obszöne Wissenschaft Das Blumengrab eines Neandertalers Mumien und religiöse Fetische Die Asche Shivas, das Salz der Alchemisten Der Pollenpfad Eros und Tod: Entgrenzung des Egos Die Tatze des Götterbären Pollen als Heil- und Nahrungsmittel Paläobotanik, Palynologie und Klima Lebenskeime aus dem All Heuschnupfen und Pollenallergie Wenn Schmetterlinge sterben und Bienen verschwinden 204 206 208 210 213 214 216 218 220 221 223 227 227 231 Anmerkungen233 Dank234 Glossar236 Literatur238 Beim Betrachten der Sporen im Rasterelektronenmikroskop fallen sofort Ähnlichkeiten mit Pollenkörnern auf. So kann man auch an ihrer Oberfläche verschiedene Ornamente entdecken. Je nach Pflanze sind die Gestaltungen ganz unterschiedlich. Verschiedenartige Erhebungen oder ein feines Maschenwerk können die Oberfläche zieren. Wie bei den Pollenkörnern gibt es auch bei den Sporen eine Stelle, die als Öffnung dient, um eine Keimung zu ermöglichen. Manchmal ist sie, wie beim Echten Wurmfarn (Dryopteris filix-mas), als feine Linie ausgebildet, bei anderen Pflanzen, wie beim Keulenbärlapp (Lycopodium clavatum), taucht als Keimöffnung eine dreischenkelige Figur auf. Eine ganz besonders extravagante Form haben die Sporen des Ackerschachtelhalms (Equisetum arvense) entwickelt. Sie haben zwei lange Bänder mit Endverbreiterung an der Oberfläche der kugeligen Sporen angebracht (siehe die jeweiligen Pflanzenporträts). Auch in der Wand der Sporen sind die widerstandsfähigen Sporopollenine zu finden. Obwohl die Sporen äußerlich durchaus Ähnlichkeiten mit Pollenkörnern haben, ist ihr unterschiedlicher Name durchaus gerechtfertigt. Wir können sie nicht wirklich gleichsetzen, da in den Sporen keine männlichen Geschlechtszellen (Spermatozoiden) entstehen, wie das bei Pollenkörnern der Fall ist. Für die Bildung von Geschlechtszellen haben diese Urpflanzen eine eigene Pflanzengeneration ausgebildet, die Vorkeime. Sie haben also eine andere Art der Vermehrung als die Blütenpflanzen. Trotzdem scheint es so, als ob die äußere Gestaltung der Sporen als Baumodell für die später entstandenen Pollenkörner gedient hätte. Zurück in die Urzeit Nehmen Sie sich etwas Zeit und versetzen Sie sich in Ihrer Imagination 400 Millionen Jahre zurück, um sich einen sumpfigen Urwald durch die Augen einer dieser riesigen Libellen anzusehen. Wie fühlt sich das an oder was erleben Sie als Libelle – wenn Sie mit gigantischen Flügeln zwischen den endlos hohen Bäumen umherfliegen, wenn durch die Wärme des Tages in den Sümpfen das Wasser verdunstet, die Luft mit Feuchtigkeit gesättigt ist und immer wieder Wasser vom Himmel kommt, wenn Sie einen Partner treffen, mit dem Sie sich in der Luft paaren und als weibliche Libelle Ihre Eier an Wasserpflanzen ablegen, am Element Wasser, das Ihren Larven die Entwicklung ermöglicht, wenn Sie in diesen Wäldern blitzschnell umherfliegen und nach Nahrung jagen? 68 Die Bestäubung Ähnlichkeiten in der Fortpflanzung zwischen Pflanze und Mensch Obwohl Pflanzen und Menschen bekanntermaßen sehr unterschiedliche Wesen sind, fallen bei den Vorgängen im Staubbeutel durchaus Ähnlichkeiten mit jenen im menschlichen Hoden auf. Aber natürlich gibt es auch Unterschiede. Wie schon beschrieben wurde, machen die vielen Pollenmutterzellen im Staubbeutel jeweils zwei Teilungen durch. Es sind ganz spezielle, sogenannte meiotische Teilungen, bei denen die Anzahl der Chromosomen halbiert wird. Auch im menschlichen Hoden finden bei einigen der »Mutterzellen« – sie werden hier »Spermatogonien« genannt – ebenfalls zwei gleichartige Teilungen statt. Im Wesentlichen entsprechen sie denen der Pollenmutterzellen in den Pflanzen. Dort wie auch beim Menschen entstehen aus den einzelnen »Mutterzellen« jeweils vier haploide Zellen. Im Pflanzenreich entwickeln sie sich zu Pollenkörnern weiter, die unter anderem für ihre gefährliche Reise durch die Luft eine stabile Hülle ausbilden. Beim Menschen ist eine stabile Hülle nicht notwendig. Durch Umbildungsvorgänge entwickeln sich aus den haploiden Zellen die beweglichen Spermien. Während ihrer Blüte bilden die Pflanzen in relativ kurzer Zeit aus allen Pollenmutterzellen Pollenkörner. Im menschlichen Hoden hingegen vermehren sich die Spermatogonien ab der Pubertät ständig, und nur einige davon teilen sich jeweils meiotisch. Da also fortwährend Spermatogonien nachgebildet werden, entstehen über viele Jahre immer wieder neue Spermien, die immer wieder Eizellen befruchten können. In den Pollenkörnern der Blütenpflanzen entwickeln sich unbewegliche Spermien. Sie werden später über den Pollenschlauch direkt zur Eizelle transportiert. Die beweglichen menschlichen Spermien können sich hingegen im feuchten Milieu der weiblichen Geschlechtsorgane mit ihrer Geißel selbst zur Eizelle hinbewegen. Trifft ein Pollenkorn auf eine Narbe, wächst aus einer Keimöffnung des Pollenkorns ein Pollenschlauch aus. Der Schlauch wird immer länger und durchdringt schließlich den ganzen Griffel, bis er die Samenanlagen des Fruchtknotens erreicht. Wie jeder gängige Schlauch außen von einer Wand begrenzt ist, wird er hier von der Intine gebildet, der inneren Wand des Pollenkorns. In diesem Schlauch fließt nicht etwa Wasser wie in einem Gartenschlauch, in ihm wächst die große vegetative Zelle mit den Spermien aus dem Pollenkorn aus. Die Zellen verlassen ihre stabile Hülle, um ihrer Bestimmung entgegenzuwachsen. Die große vegetative Zelle ist dabei Überbringer der unbeweglichen Spermien. Hier lassen sich ebenfalls Analogien zum Menschen finden. So sind Ähnlichkeiten zwischen der Funktion des Pollenschlauchs und dem Penis feststellbar. Beide transportieren, wenn auch in unterschiedlicher Weise, die männlichen Geschlechtszellen zu den weiblichen Geschlechtsorganen. Bei den Pflanzen wird häufig nicht nur ein Pollenkorn, sondern es werden gleich mehrere auf eine Narbe gebracht. In diesem Fall sind die Überbringer allerdings Bienen oder andere Insekten. Auch beim menschlichen Geschlechtsverkehr gelangen viele Millionen Spermien, im Hoden produziert, über den Samenleiter in Ein Pollenschlauch wächst aus dem Pollenkorn einer Tabakpflanze aus. Elektronenmikroskopisches Schnittbild. 1650fach vergrößert. (Bild: Günther Zellnig) Die Bestäubung 69 Gewöhnlicher Erdrauch Fumaria officinalis Erdrauchgewächse (Fumariaceae) Ganz vorn sind die Blüten purpurrot bis schwarzrot gefärbt. Zusätzlich hat die Oberlippe einen grünen Fleck. Als Besonderheit bildet eines der Blütenblätter einen Sporn, der als Gastgeschenk Nektar enthält. Kleine Fältchen sind an der Oberfläche dieses Pollenkorns zu sehen. 7500fach vergrößert. »Weltraumfahrzeug«: Pollenkorn des Erdrauchs. REM-Aufnahme auf Leinwand gedruckt und von Hand mit farbiger Tusche bemalt. 2700fach vergrößert. 86 Pollenkörner aus Wald und Wiese Der Erdrauch ist in Europa und Nordafrika beheimatet, aber durchaus auch in Asien, Nordamerika und Australien verbreitet. Die bis zu 40 Zentimeter hohe, zierlich wirkende Pflanze verfügt über zarte, doppelt gefiederte, blaugrün bereifte Blätter. Ihre Teilblättchen sind tief geteilt. Am Ende des Stängels und der oberen Äste zeigen sich, in einer Traube angeordnet, zehn bis fünfzig tiefrosa Blüten. Die röhrenähnlichen Blüten sind nicht durchgehend gleich gefärbt. Ganz vorn wechselt ihre Farbe zu Purpur- bis Schwarzrot, und an der Oberlippe ist vorn auch noch ein grüner Fleck zu sehen. Eines der Blütenkronblätter ist sackförmig nach hinten verlängert und bildet einen Sporn. In ihn ragt eines der beiden Staubblätter, das auch den Nektar absondert. Die Blüten locken damit Bienen für die Bestäubung an, und die später gebildeten Samen werden von Ameisen verbreitet. Die Blütezeit dieser zarten Pflanze erstreckt sich von April bis Oktober. Der Erdrauch braucht einen nährstoffreichen, lockeren Lehmboden. Da er in Gärten, Äckern und Weinbergen häufig mit anderen Beikräutern vorkommt, kann man ihn als Kulturbegleiter des Menschen sehen. Aber auch auf Ödland ist er zu finden. In der botanischen Bezeichnung Fumaria steckt das lateinische Wort fumus, was so viel wie »Rauch« bedeutet. Auch der deutsche Name enthält das Wort. Möglicherweise wird die Pflanze deshalb als »Erdrauch« bezeichnet, weil sie von Weitem so aussieht, als ob Rauch aus der Erde käme. Bei Kelten und Germanen wurde der Erdrauch als Räuchermittel verwendet. Auch dies ist möglicherweise ein Grund für die Herleitung seines Namens. Bereits Plinius d. Ä. beschrieb, dass im antiken Rom das Kraut in Teemischungen für Leberund Gallebeschwerden gemischt wurde. In der Klosterheilkunde wurde Erdrauch bei Hauterkrankungen eingesetzt, um Juckreiz, Krätze und Schorf zu behandeln. Seine Wirkungen haben ihm auch die Bezeichnung »Grindkraut« eingebracht. Obwohl der heilsame Effekt auf die Haut bekannt war, erregte der Erdrauch erst vor einigen Jahren das Interesse der Schulmedizin. Fumarsäureester des Erdrauchs sind bei Schuppenflechte (Psoriasis) wirksam. Auch die Erfahrungen der alten Römer haben sich bewahrheitet. Das Kraut wirkt entzündungshemmend und aufgrund seiner Alkaloide (zum Beispiel Fumarin) krampflösend, speziell bei krampfartigen Gallenbeschwerden. Der Erdrauch soll den Galleabfluss regulieren. Es heißt auch, er senke erhöhte Cholesterinwerte. Die Kommission E empfiehlt Fumaria officinalis bei krampfartigen Beschwerden im Bereich der Gallenblase, der Gallenwege und des Magen-Darm-Trakts. Die rundlichen Pollenkörner haben eine glatte, leicht gefaltete Oberfläche oder zeigen kleine warzenähnliche Erhebungen. Sechs ins Auge springende Keimporen wölben sich halbkugelförmig nach außen vor. Ihre markante Erscheinung wird noch durch eine ringförmige Verdickung an ihrer Basis betont. Insgesamt sieht das Pollenkorn wie ein Weltraumfahrzeug aus. Die Keimporen wirken durch ihre glatte Oberfläche wie gewölbte Fenster. Man kann sich vorstellen, dass sich die Mannschaft durch diese Fenster im Weltall orientiert und vielleicht auch die vielen Sterne, Planeten und die Milchstraße bewundert. Meditation zur Nahrungsteilung Wenn Sie einen blühenden Wiesenbärenklau finden, beobachten Sie einmal die unterschiedlichen Blütenbesucher, die hier auftauchen. Versetzen Sie sich in Ihrer Vorstellung nacheinander in verschiedene Insekten – in eine Biene, eine Fliege, einen Käfer, einen Schmetterling – und erfahren Sie, wie es ist, sich gemeinsam an einem gedeckten Tisch zu ernähren. Nehmen Sie auch die jeweils anderen Gäste wahr. Vielleicht können Sie mit ihnen Kontakt aufnehmen. Achten Sie aber nicht nur auf die Nahrung, die sich Ihnen darbietet, sondern auch auf Gefahren, die bei zu großer Sorglosigkeit im Konsum lauern. Übertragen Sie dann Ihre Erfahrungen auf die menschliche Ebene. Unsere Erde ist, wie die Blütendolden des Wiesenbärenklaus, ein gedeckter Tisch, auf dem es eine Fülle von Nahrung gibt. Viele verschiedene Völker können sich davon ernähren. Doch wie sieht es beim Menschen mit einem friedlichen Miteinander am gedeckten Tisch und mit dem Teilen der vorhandenen Nahrung aus? 120 Wiesenrotklee Trifolium pratense Schmetterlingsblütengewächse (Fabaceae) Der Wiesenrotklee ist in Europa und Mittelasien heimisch. Er wächst auf Wiesen, Feldern und in lichten Wäldern. Stickstoffarmer, kalkhaltiger, trockener und tiefgründiger Ton- oder Lehmboden sind ihm recht. Die Pflanze wird 15 bis 40 Zentimeter hoch und hat als Klee dreiteilige Blätter, die bei ihm in der Mitte weißlich gezeichnet sind. Hin und wieder gibt es auch vierteilige Blätter. Findet man ein »vierblättriges Kleeblatt«, soll das Glück bringen. Ich habe als Kind oft danach gesucht und wurde durchaus auch fündig. Kugelige Blütenstände mit roten Blüten zieren das Ende der Stängel. Meist sind die Blütenstände von den oberen Stängelblättern fast kragenartig umhüllt. Der Wiesenrotklee blüht zunächst im Frühsommer und dann noch einmal im Spätsommer. Bei den Schmetterlingsblütengewächsen mit ihren charakteristischen zweiseitig symmetrischen Blüten (siehe das Kapitel »Blüten: Geschlechtsorgane in variationsreicher Robe«) sind die Staub- und Fruchtblätter im Inneren der Blüte verborgen. Zur Sicherung ihrer Bestäubung haben diese Pflanzen ausgeklügelte Einrichtungen entwickelt, um den Pollen herauszuquetschen oder das Staubblatt herauszuschnellen, sobald sich ein Insekt auf die Blüte setzt. Als Einladung für ihre Bestäuber produzieren die Blüten des Wiesenrotklees Nektar am Grund einer langen Röhre. Hummeln sind sehr daran interessiert, ihn zu erreichen. Haben sie Probleme, an den Nektar heranzukommen, »stehlen« sie ihn von außen, nachdem sie die Röhre »gewaltsam« geöffnet haben. Die Wurzeln dieser Pflanze reichen bis zu 2 Meter in den Boden. Ganz allgemein befinden sich bei Schmetterlingsblütengewächsen im Wurzelbereich Knöllchen, in denen stickstoffbin- dende Bakterien leben. Die Pflanzen gehen eine sehr enge Verbindung (Symbiose) mit den Knöllchenbakterien ein. Beide brauchen einander und ziehen Nutzen aus dieser Verbindung. Die Knöllchenbakterien (unter anderem Rhizobien) können mit Hilfe der Pflanze Stickstoff aus der Luft binden und in eine Form bringen, die Pflanzen zu nutzen vermögen. Es entwickeln sich Stickstoffverbindungen, die in Pflanzen einen hohen Eiweißgehalt entstehen lassen. So bieten Schmetterlingsblütengewächse wie Erbsen (getrocknet), Linsen, Bohnen mit einem Eiweißgehalt von circa 23 Prozent dem Menschen wertvolles Pflanzenprotein. Für Tiere steht Rotklee als eiweißreiche Futterpflanze zur Verfügung. Auch als Gründüngung leistet der Wiesenrotklee gute Dienste. Er und auch andere Schmetterlingsblütengewächse reichern den Boden mit Stickstoff an und erhalten beziehungsweise fördern so die Bodenfruchtbarkeit. Diese Tatsache ist bereits seit der Antike bekannt. Sie wurde von Theophrastos schon im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnt. Rotklee enthält – wie auch andere Schmetterlingsblütengewächse, zum Beispiel die Sojabohne – Isoflavone, die eine hormonartige, Der Wiesenrotklee ist eine eiweißreiche Futterpflanze. Sie fördert die Bodenfruchtbarkeit. Kugelige Blütenstände sitzen am Ende der Stängel. Sie haben einen angenehm süßlichen Geschmack. Ein Netz mit unterschiedlich großen und unterschiedlich geformten Netzmaschen gestaltet die Oberfläche der Pollenkörner. 7500fach vergrößert. Pollenkörner aus Wald und Wiese 121 Fieberklee Menyanthes trifoliata Fieberkleegewächse (Menyanthaceae) Den Fieberklee trifft man in nördlichen gemäßigten Klimazonen von Nordamerika, Europa und Asien. Der Name »Fieberklee« ist etwas irreführend. Er ist kein Schmetterlingsblütengewächs wie die verschiedenen Kleearten, er gehört zu den Fieberkleegewächsen. Seine Blätter sind zwar dreiteilig, aber wesentlich größer als bei den Kleearten üblich. In Sümpfen, Mooren und in flachen Zonen von Teichen und Seen kriecht eine bis zu 1 Meter lange Sprossachse (Rhizom) am Boden entlang. Damit erobert die Pflanze sich, zuweilen recht erfolgreich, den Flachwasserbereich. An einem langen blattlosen Blütenschaft wachsen in dichten Trauben ihre Blüten. Sie sind in ihrer Zartheit und außergewöhnlichen Gestalt bezaubernd anzusehen. Im Knospenstadium sind die Kronblätter rötlich. Wenn die Blüte sich öffnet, wird ihre weiße Innenseite sichtbar. Sie trägt feine fransige Fortsätze, die der Blüte ein fast bärtiges Aussehen verleihen. Einen hübschen Kontrast zum Weiß der Kronblätter bilden die gelben Staubbeutel. Die überaus attraktiven Blüten kann man zwischen Mai und Juli bewundern. In den grünen Blättern des Fieberklees sind Bitterstoffe und zusätzlich auch Gerbstoffe, Flavonoide und Cumarine vorhanden. Neben dem Gelben Enzian (Gentiana lutea), Wermut (Artemisia absinthium) und Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea) zählt auch der Fieberklee zu den Bitterstoffdrogen. Aus diesem Grund hört er ebenso auf den Namen »Bitterklee«. Bitterstoffe (Amara) regen die Produktion von Verdauungssäften an und wirken sich daher bei Magen- und Darmstörungen günstig aus. Scopoletin und Scoparon (Cumarine) fördern zusätzlich die Gallenproduktion und den Gallen- 154 Pollenkörner von wasserliebenden Pflanzen fluss und schützen die Leber. Scopoletin gilt auch als krampflösend. Früher wurde der Fieberklee als Hausmittel bei fieberhaften Erkrankungen verwendet. Auch diese Wirkung scheint mit den Amara in Beziehung zu stehen. Da die Bitterstoffe die Schweißdrüsen anregen, können sie einen Überschuss an Wärme nach außen ableiten. Die Kommission E hält den Fieberklee bei Appetitlosigkeit und Verdauungsbeschwerden, wie Völlegefühl und Blähungen, für sinnvoll. Wie die hübschen Blüten sind auch die Pollenkörner recht originell gestaltet. Drei nach innen gefaltete Keimöffnungen geben den länglichen Pollenkörnern ein dreilappiges Aussehen. Wie ein speziell aufgewickeltes »Wollknäuel« aus weich anmutenden Fäden treten sie uns entgegen. Mit einer langen Sprossachse erobert sich Menyanthes trifoliata hier die flache Teichzone. Die bezaubernden Blüten kann man zwischen Mai und Juli bewundern. Ein komplex gewickeltes Schnurgewirr gestaltet die Oberfläche der Pollenkörner. 5200fach vergrößert. »Wollknäuel«: Pollenkorn eines Fieberklees. REMAufnahme auf Leinwand gedruckt und von Hand mit farbiger Tusche bemalt. 2200fach vergrößert. Lärche Larix sp. Kieferngewächse (Pinaceae) Ursprünglich ist die Lärche in unseren Breiten ein Baum des Gebirges, bis zur Waldgrenze hat sie sich vorgewagt. Der Mensch hat sie schließlich in die Niederungen geholt. Anders als unsere übrigen Nadelbäume verliert die Lärche im Herbst ihre Nadeln. Ihr frohes Farbenspiel im Laufe der Jahreszeiten hat sie zu einem beliebten Baum in Parks und Gärten werden lassen. Hellgrüne weiche Nadelbüschel zieren im Frühling ihre biegsamen Zweige. Im Sommer vertiefen sie ihr Grün, um im Herbst in goldgelbem Kleid zu erscheinen. Auch im Winter wirkt sie mit ihren feingliedrigen kahlen Zweigen hell und zart. Fast unwirklich schön sieht sie aus, wenn ihre Zweige im Winter mit Raureif bedeckt sind. Insgesamt strahlt dieser lichtdurchflutete Baum Heiterkeit und Leichtigkeit aus. Die Blüten der Lärche bilden sich im März bis Mai bereits vor ihren Nadeln. Sie zeigen sich als gelbliche, eiförmige männliche und als rötliche weibliche Zapfen. Letztere werden nach ihrer Reife grau und bleiben noch mehrere Jahre am Baum. Das Holz der Lärche ist das harzreichste und damit auch das beständigste unter den Nadelbäumen. Daher wird es vielfach im Hausbau, beim Anfertigen von Zäunen, Brücken und im Bootsbau verwendet. Feinwürzig duftet das Harz der Lärche. Sie produziert es, um Wunden in ihrer Rinde zu verschließen. Dieses duftende Harz hemmt aber auch das Wachstum von Keimen. Auf solche Weise sorgt die Lärche für ihre Gesundung. Auch wir können von dem Harz profitieren. In der Volksheilkunde werden seit langem Brustsalben daraus hergestellt. 186 Pollenkörner von Bäumen und Sträuchern Auch Dr. Edward Bach war von der Energie der Lärche angetan und hat sie in seine Blütentherapie aufgenommen. Larch wird Menschen empfohlen, deren Selbstvertrauen schwach ausgeprägt ist. Die Blütenessenz gibt den Anstoß, mangelndes Selbstwertgefühl in kühnes Selbstvertrauen zu verwandeln. Die Pollenkörner der Lärchen sind anders gestaltet als die ider übrigen einheimischen Nadelhölzer. Sie haben keine Luftsäcke für ihre Luftfahrt ausgebildet, sondern sind im Kätzchen zunächst leicht elliptisch und nehmen dann, wie im Bild sichtbar, durch Wasserverlust Napfform an. Interessant ist auch das verdickte Band, das sich wie ein Gürtel um das Pollenkorn windet. Die Napfform, die ein bisschen an einen Schirm erinnert, soll sich bei der Verbreitung durch den Wind als günstig erweisen. Keimöffnungen sind bei den Pollenkörnern der Lärche nicht ausgebildet. Die lichtdurchflutete Lärche strahlt Heiterkeit und Leichtigkeit aus. Die gelben, eiförmigen männlichen Zapfen und die beiden nach oben weisenden, rötlichen weiblichen Zapfen der Lärche entwickeln sich im Frühling bereits vor den Nadeln. Die Oberfläche des Pollenkorns ist, wie bei windbestäubten Pflanzen üblich, glatt. Charakteristisch ist ein verdicktes Band, das sich um das Pollenkorn windet. Während der Verbreitung durch den Wind nehmen die Pollenkörner Napfform an, was sich auf ihren Flug günstig auswirken soll. Keimöffnungen sind bei ihnen nicht ausgebildet.750fach vergrößert. Immer wieder entsteht Neues Durch ihre Verwandlung im Laufe des Jahres kann uns die Lärche Lehrmeisterin sein, wenn bei uns Verwandlungen, Veränderungen wichtig werden. Das Loslassen ihrer Nadeln im Herbst kann auch uns darauf hinweisen, was wir Altes, nicht mehr Brauchbares loslassen können. Wie die Lärche im Winter brauchen wir eine Zeit der Ruhe, um etwas Neues in uns zu entwickeln, das schließlich wie bei unserer Lehrmeisterin im nächsten Frühling hervorsprießt. Das Neue in unserem Leben kann sich schließlich festigen wie das satter werdende Grün der Lärche im Sommer. Die Lärche lehrt uns, darauf zu vertrauen, dass immer wieder etwas Neues, Wunderbares entsteht. Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst, machen Sie eine Wanderung in die Berge und setzen Sie sich zu einer Lärche. Es kann natürlich auch eine leicht erreichbare Lärche in Ihrer Umgebung sein. Entspannen Sie sich, lassen Sie alle Gedanken los, die Sie im Moment nicht brauchen, schließen Sie Ihre Augen und lassen Sie die leichte, heitere Energie der Lärche auf sich einwirken. Vielleicht entsteht in Ihnen eine Vision für etwas Neues, was sich in Ihnen entwickeln möchte, für etwas, was Ihrem Leben Freude und Zufriedenheit gibt. 187 Die Natur ist ein offenes Buch, um sie zu verstehen, muss man nur lesen können.« Werner Hempel (1936–2012), sächsischer Botaniker Pollen ruft bei den meisten Zeitgenossen keine glücklichen Assoziationen hervor. Das Wort suggeriert eine bedrohliche »Luftfracht«, welche die Nase triefen lässt, die Augen rötet und den Alltag zur Qual macht. Pollenflugwarnungen im Rundfunk schrecken Allergiker auf, und der Pollenflugkalender vermiest so manchem die Frühlingsfreude; der Staub hinterlässt hartnäckige Flecken auf Textilien und Möbeln; auf dem Lack und den Scheiben geparkter Autos klebt »gelbe Schmiere«. Pollen passt einfach nicht in unsere heutige Welt. In einem ins Internet gestellten Anti-Blütenstaub-Song (von NWR-DJ) heißt es: »Ich hasse diesen Blütenstaub wie die Pest: Guckt mal die Autos an … Scheiß-Blütenstaub!« Und ein Aufkleber verkündet, dass Pollen der staubige Furz des Teufels ist: Pollen: The devil’s fart dust. Traurig, wenn auch etwas milder, fällt das Urteil über den Pollen im »Blütenstaub«-Songtext der Band Illuminate aus: Uns’re Liebe, sie ist wie Blütenstaub im Wind: Verloren, bevor sie beginnt! Unser Leben ist wie eine Blüte ohne Licht: Verloren, bis es zerbricht!7 Blütenstaub, wenn er massenhaft erscheint, kann uns auch verunsichern. Vor einigen Jahren, als die Allgäuer Fichten besonders stark stäubten, die Wälder bei jedem Windstoß dichte 204 Blütenstaub und Sporen schwefelgelbe Wolken entließen und ein gelber Film Pfützen und Seen bedeckte, da fragte mich eine besorgte Umweltaktivistin: »Stirbt nun der Wald endgültig? Ist es der letzte Aufschrei der Bäume – so wie der Samenerguss eines Gehenkten?« Ich konnte sie beruhigen, dass so etwas ganz natürlich ist. Forschungseinrichtungen der biodynamischen Landwirtschaft bestätigen ebenso wie die praktische Erfahrung von Bauern und Gärtnern, dass die Intensität des Blühens der Arten von Jahr zu Jahr unterschiedlich ist und mit kosmischen Rhythmen und Einflüssen zusammenhängt. Blütenstaub – Sinnbild des Zaubers und der Liebe In vergangenen Epochen brachte der Blütenstaub andere Assoziationen hervor. Er suggerierte Frühling und Liebe. In einem von Johannes Brahms (1833–1897) vertonten Gedicht »Der Frühling« von Johann Baptist Rousseau (1802–1867) heißt es zum Beispiel: Es weht der Wind den Blütenstaub Von Kelch zu Kelch, von Laub zu Laub, Durch Tage und durch Nächte. Flieg auch, mein Herz, und flattre fort, Such hier ein Herz und such es dort, Du triffst vielleicht das Rechte.8 Auch von Verwandlung und Zauber kann der Blütenstaub sprechen. So etwa im Gedicht »In Dunst und Reif« des Schweizer Dichters Gottfried Keller (1819–1890): Im Herbst verblichen liegt das Land, Und durch die grauen Nebel bricht Ein blasser Strahl vom Waldesrand, Den Mond doch selber sieht man nicht. Doch schau! Der Reif wird Blütenstaub, Ein Lorbeerhain der Tannenwald, Das falbe, halb erstorbne Laub Wie bunte Blumenwogen wallt! Ist es ein Traumbild, das mir lacht? Ist’s Frühlingstraum vom neuen Jahr? Die Freiheit wandelt durch die Nacht Mit wallend aufgelöstem Haar!9 Auch noch in dem von einem unbekannten Autor gedichteten moderneren Pfadfinderlied »Der kleine Troll« wird der Blütenstaubzauber spürbar: Steigt so ein kleiner Troll von dem Fjell, nähert sich leis, hat in der Hand Hexenkraut, was niemand weiß … Plötzlich in deinem Nacken spürst du eiskalten Hauch, Atem des Trolls trifft dich wie giftiger Rauch … Du führst den Becher Tee nun zum Mund. Was zauderst du? Blütenstaub im Zaubertrank raubt dir die Ruh.10 Besonders das Zeitalter der Romantik, die kulturgeschichtliche Epoche Ende des 18. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, verlieh dem Blütenstaub eine magische Aura. Er hatte etwas Mysteriöses, Elfenhaftes – wie der Nebel und die Nebelwesen, die im Mondschein tanzen. Damals gab es weder Autolack und Windschutzscheiben noch Heuschnupfen (Pollenrhinitis) und Allergien, die dieses Bild hätten trüben können. Blütenstaub, so fein und zart, bildete einen Übergang vom Stofflichen ins Feinstoffliche, eine Brücke zu den Elfen. Übersinnliche Wesen können sich für wenige Augenblicke im verwehenden Blütenrauch der Fichten oder in der Staubwolke eines reifenden Roggen- oder Kornfeldes verkörpern. Wie ihre heidnischen Vorfahren sprachen noch die Bauern des Mittelalters, die Roggenmuhme (oder Kornmuhme) tanze über das Feld, wenn das Korn stäubt. In Sachsen nannte man sie den »Kornengel«, anderswo die »Kornmutter«. Wie in der größeren Natur, so auch im Menschen. Am 18. Dezember 1802 schrieb Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) in einem Brief an seine Mutter: »Mir ist der Mensch wie eine schöne Blume, die, wenn sie aufgeblüht in ihrer vollen Kraft steht und die Sonne bescheint sie, nimmt sie den fruchtbaren Blütenstaub auf, der in den Lüften zieht, und bringt dann Früchte; so ist es mit dem Menschen, dem zu der kräftigen vollen Zeit seines Lebens sich der Sinn erschließt, der dann das himmlische Licht ergreift und aus allem Lebendigen um sich es zu verstehen sucht. In solchem Menschen vergeht das Leben nicht und die innere Lust und Jugend bleibt ihm ewiglich.«11 Blütenstaub und Sporen 205