17 / 2015 DER NEUE VERTRIEB Magazin für Pressevertrieb und Content-Erlöse / 03.09.15 „Das Abo erlebt ein Revival“ Dr. Olaf Conrad, Tomorrows Excellence © CHANPIPAT - FOTO TOLIA 7. VDZ DISTRIBUTION SUMMIT Erfolgsfaktoren für Abos im digitalen Zeitalter Das Abo hat heute keine Chance mehr? Unternehmensberater Dr. Olaf Conrad bezweifelt die These, fordert zum Abschneiden alter Zöpfe auf und macht deutlich, dass es „jungen Branchen“ durchaus gelingt, das Geschäftsmodell Abonnement positiv zu besetzen. In der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche galt das Abonnement für lange Jahre als ein angestaubtes, überholtes und Konsumenten kaum noch zu vermittelndes Vertragsmodell. Sinkende Abonnementzahlen und Haltbarkeiten wurden durch die generell sinkende Bindungsbereitschaft in modernen Gesellschaften erklärt – dabei wurde nicht davor zurückgescheut, als Vergleiche beispielsweise die Kirchen, die Ehe, die Parteien und die Sportvereine heranzuziehen. Es galt als handwerkliche Selbstverständlichkeit, auf Werbemitteln und im Bestelltext das Kind nicht beim Namen zu nennen, um den Konsumenten nicht sofort zu verschrecken. Wirft man heute allerdings einen Blick 10 DNV 17 / 2015 auf viele Geschäftsmodelle der digitalen Welt und entsprechende Businesspläne von Start-Ups, insbesondere im eCommerce, so stellt man fest, dass das Generieren von Dauerschuldverhältnissen als Königsweg und Key Success-Faktor für wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen gilt. Nachdem das Abo-Modell jahrelang bei Konsumenten unter „bad vibrations“ gelitten hatte – ein Umstand an dem Verlage nicht ganz unbeteiligt waren – , ist es den StartUps insbesondere in jüngeren, urbanen Zielgruppen gelungen, eine positive Emotionalisierung wiederherzustellen. Das AboModell erlebt ein Revival, und es wird durchaus von Konsumenten als Vorteil und Mehrwert verstanden. Der Trend des Abo-Commerce, auch „subscription economy“ oder „recurring revenue models“, schwappte vor ein paar Jahren aus den USA zu uns herüber und definiert sich sehr weitläufig über eine kontinuierliche Belieferung mit Waren oder Dienstleistungen im Rahmen einer andauernden Kundenbeziehung und rekurrierenden Zahlungen. Insbesondere für neugegründete Unternehmen liegen die wirtschaftlichen Vorteile auf der Hand. Der USWeb-Experte Tim O´Reilly sagte dazu: „Anybody who is not looking at subscription models is foolish. First of all, recurring revenue models are great. Also, there is evidence in many areas that it‘s what people want“. 7. VDZ DISTRIBUTION SUMMIT Anybody who is not looking at subscription models is foolish. Tim O‘Reilly, Web-Experte, USA Unter der Vielzahl an Unternehmen mit Abo-Commerce-Modellen am Markt haben wir in einer Studie 50 Anbieter analysiert und die wesentlichen, zukunftsgerichteten Erfolgsfaktoren herausgearbeitet. Ziel der Untersuchung war es zu verstehen, wie junge und vor allem digitale Player aus unterschiedlichen Branchen das Abomodell anwenden, in der Kundenbeziehung ausgestalten und im Marketing intonieren. In welchen Branchen setzt sich das Abo-Modell durch? Welches sind die Champions? Wo steht der Kunde im Mittelpunkt? Digitale Player mit sehr erfolgreichen Abo-Modellen Sucht man affine Branchen, so ist man schnell geneigt, einem Vorurteil aufzusitzen: Abo-Commerce passt zu gleichbleibenden Low interest-Produkten mit regelmäßigen Verbrauch (daily convenience), wie Rasierklingen, Müsli, Socken, Getränkekisten, Sanitärartikel und Tierfutter. Hier kommt aus Kundensicht der Serviceeffekt zum Tragen: Zeit sparen, die out of stock-Gefahr zuhause bannen, eventuelle Preisvorteile erzielen. Das ist richtig, aber nicht alles. Beispiele aus anderen Branchen zeigen, dass auch Faszination und Emotionen durch ein Abo-Modell ausgelöst werden können, oder dass erst technische Entwicklungen die Voraussetzung für erfolgreiche AboModelle geschaffen haben. Beispiele für Branchen mit erfolgreichen Abo-Modellen sind: Online Games – insbesondere Massive Multiplayer Online Role Play Games, Software – im Rahmen von Software as a Service-Konzepten und Cloud-Lösungen; Medien-Flatrates – Video, Musik, Bücher, insbesondere im Streaming; Special-Interest-Boxes - mit Überraschungseffekten und Produktneuheiten; Food- bzw. Rezepte inkl. Zutaten; Social Media – insbesondere berufliche Netzwerke; Sharing economy – zum Beispiel Car sharing. Untersucht man den Web-Auftritt, das Marketing, die Ausgestaltung im Kundenkonto, den Service und die Vertragsbedingungen kristallisieren sich im Ergebnis drei zentrale Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Abo-Modelle im digitalen Zeitalter heraus. und in der Management Attention überproportional erhöhen. Insofern operiert die Mehrheit der erfolgreichen Abo-Commerce-Player heute mit einem sogenannten soft subscription model, das auf Basis der Bedürfnisse, Erwartungen und heutigen Vergleichsmaßstäben der Konsumenten definiert wird. Dabei können sich die einzelnen Modelle je nach Produkt/Branche, Erwartungshaltung und Wettbewerbssituation durchaus unterscheiden. Im Grundsatz gilt: Ein erfolgreiches Abo-Businessmodell braucht einen „job to be done“. Dieser Job im Sinne eines © PR PRIVAT IVA Die Frage ist, was die neuen Player am Markt anders machen, wie unsere heutigen digitalen Lebenswelten die Kundenerwartungen verändern und ob es Fallbeispiele gibt, von denen Unternehmen und Verlage lernen können? Bisherige Abo-Modelle sind häufig zu komplex Insgesamt ist klar zu erkennen, dass das klassische Abomodell mit einem festen Bezug in regelmäßigen Intervallen, häufig mit Vergünstigungen, aber auch mit einer Mindestbezugsdauer im Gegenzug, sowie mit starren Kündigungsfristen, am Markt kaum mehr durchzusetzen ist. Dabei reicht auch die Anreicherung durch emotionalisierende Elemente („Membership“, „Erlebnisclub“) im Rahmen der Customer Journey häufig nicht aus, um den Mangel einer nicht mehr zeitgemäßen Grundkonstruktion auszugleichen. Zumal diese Elemente wirtschaftlich betrachtet kontraproduktiv wirken können, da sie die Komplexität im Kundenbeziehungsmanagement, in den Systemanforderungen Dr. Olaf Conrad Unternehmensberatung für Innovation, Strategien und digitale Transformation von Medien, Marketing und Direktkundengeschäften. [email protected] www.tomorrowsexcellence.com DNV 17 / 2015 11 7. VDZ DISTRIBUTION SUMMIT „Kernleistungsversprechens“ muss identifiziert werden; daraus ergibt sich die richtige Gewichtung der Erfolgsfaktoren innerhalb des Abo-Modells. Und dieser „job to be done“ kann sehr unterschiedlich im Vergleich von bspw. Tierfutter zu Musik-Streaming, zu einer Beauty-Box oder zu Rezepten bzw. Mahlzeiten sein. Die drei Erfolgsfaktoren für AboModelle im digitalen Zeitalter lauten: Autonomie Value Fair Play Unter diesen drei Begriffen subsumieren sich die heutigen Motive, Bedürfnisse, Werte und Erwartungen der Konsumenten, die sich in den vergangenen 15 Jahren vornehmlich im digitalen Erlebnisraum und der digitalen Konsumwelt herausgebildet haben. Autonomie steht sowohl für den klaren Wunsch des Konsumenten, selbst zu steuern, als auch für das Bedürfnis nach Transparenz und Flexibilität. Autonomie steht für die Umkehrung des CRM hin zu einem CMR, einer „Customer Deutsche AboModelle beruhen auf einer nicht mehr zeitgemäßen Grundkonstruktion Dr. Olaf Conrad, Tomorrows Excellence managed Relationship“. Value steht für die Qualität im Sinne eines persönlichen Mehrwerts, für das Besondere und für das Individuelle. Value steht auch für die Vitalität der Marke, dabei ist nicht nur das Produkt, sondern auch die Beziehung Teil einer hochwertigen Markenwelt. Heute sind Marken eben auch Interaktionen – sie gründen auf Dialog, Communities und Verhalten. Fair Play umschreibt die Anspruchshaltung des Verbrauchers nach einer Beziehung auf Augenhöhe. Die wirtschaftlichen Ziele des Anbieters müssen im Gleichgewicht zu dem wachsenden Selbstbewusstsein und dem Gefühl der Angemessenheit auf Seiten des Konsumenten stehen – dann sind auch Premium-Preise im Markt durchsetzbar. Lock in-Effekte entstehen nicht durch Übervorteilung und Vertragsklauseln, sondern durch Fair Play, guten Service, und beispielsweise post pay- oder easy exit-Konzepte. In der Tiefe führt die Studie zu einer Checklist für jeden, der heute mit dem Abonnement als Business Modell operiert. Anhand dieser Checklist kann das eigene Abomodell bewertet werden; zudem können Gaps, Verbesserungspotentiale und künftiger Handlungsbedarf diskutiert werden. Warum viele Branchen mit Abos erfolgreich sind. Eine Studie Im Zeitraum Mai/Juni 2015 hat Olaf Conrad 50 digitale Player mit Abo-Commerce-Modellen aus zehn unterschiedlichen Branchen untersucht. Ziel der Analyse war es, die Erfolgsfaktoren des modernen Abo-Commerce herauszuarbeiten und die Strategien der Champions zu erkennen. Untersucht wurden der Web-Auftritt, das Marketing, das digitale Kundenkonto, der Service und die Vertragsbedingungen der Anbieter. Im Ergebnis wurden drei Erfolgsfaktoren für ein erfolgreiches, kundenorientiertes Abo-Modell im digitalen Zeitalter identifiziert: Autonomie, Value und Fair Play. Anhand jeweils dahinter stehenden Merkmalen und Kriterien wurden die Angebote einer Bewertung unterzogen. Die Bewertung erfolgte ausschließlich aus Kundensicht. Der wirtschaftliche Erfolg des Angebotes wurde weder erhoben, noch in die Bewertung einbezogen. Als Best Practice 2015 können folgende neun Anbieter dienen: Kochzauber, Schlemmertüte, Netflix, Skoobe, Drive Now, car2go, Sixt Unlimited, Bloomy Days, Amazon Spar-Abo. Die 50 Marken der Studie: Adobe Creative Cloud, Amazon Spar-Abo, Bite Box, Black Socks, Bloomy Days, Blumeno, car2go, Das Bierabo, Deezer, Delinero, Die Weinkiste, Digital Concert Hall, Drink-Syndikat, drive now, EVE online, Foodist Box, Glossy Beauty Box, Gourmet Box, Hello fresh, inkultur, itunes Match, Kochzauber, LinkedIn, LootChest Box, Mauz und Wauz Box, Maxdome, Microsoft Office Suite home, Mornin Glory Klingenabo, Mycouchbox, Netflix, Oh! Saft Orangenabo, Pets Premium Futterabo, Pink Box, Pitea, Play Station Plus, Sansibar Wine Club, Schlemmertüte, Sixt unlimited, Sixtyone Minutes, Skoobe, Sky, Sox in a box, Spotify, Supercraft, Tom Tom Go Mobile App, Vino Select, Weather Pro, Wildstar online, Wummelkiste, Xing. (RD) 12 DNV 17 / 2015 7. VDZ DISTRIBUTION SUMMIT Beispiele für Branchen mit erfolgreichen Abo-Modellen Online Games insbesondere Massive Multiplayer Online Role Play Games Software im Rahmen von Software as a Service Konzept und Cloud-Lösungen Food auch Rezepte inkl. Zutaten Sharing economy beispielsweise Car sharing Social Media insbesondere berufliche Netzwerke Medien-Flatrates Video, Musik, Bücher, insbesondere im Streaming Special-Interest-Boxes mit Überraschungseffekten und Produktneuheiten DNV 17 / 2015 13 7. VDZ DISTRIBUTION SUMMIT © PR IVAT I VA IV IVA VAT AT „Der Kunde will selbst bestimmen“ zu steuern. Hingegen bieten digitale Player ihren Kunden heute zum Teil eine geradezu entwaffnende Offenheit und Convenience. Das Erfahrungsumfeld, das Konsumenten heute im Alltag prägt, verändert sich somit rasend. Die Verlage müssen sich mit ihren Angeboten diesem Vergleich stellen. Und hier gilt der alte Spruch: wer in einem Umfeld, das in Bewegung ist, stehen bleibt, fällt zurück. DNV: Was muss dem geneigten Kunden stattdessen angeboten werden? Wie muss heute ein erfolgreiches AboModell aussehen? Conrad: Im digitalen Abo-Commerce dominieren die sogenannten soft subscription-Modelle. Hohe Flexibilität und Individualität, post pay und easy exit sind beispielsweise Merkmale, die im klassischen Abomodell der Verlage klar unterrepräsentiert sind. Und sehr augenscheinlich wird der Unterschied im digitalen Interface. Es gibt kaum einen Publikumsverlag, der seine Kunden im digitalen Kundenkonto quasi in einen driver seat setzt, wie es die Benchmarks im digitalen Abo-Commerce tun. DNV: Warum tun sich deutsche Verleger bislang so schwer, den Veränderungsprozess einzuleiten? Welche Widerstände müssen überwunden werden? Dr. Olaf Conrad, Tommorows Ecellence, untersucht in seiner Studie den gar nicht so erstaunlichen Abo-Erfolg sogenannter „junger Branchen“ Dr. Olaf Conrad erläutert, warum die alte bloße „AbwicklungsDenke“ längst überholt ist. Erfolgreich werden in Zukunft nur diejenigen sein, die dem Kunden mehr selbstbestimmte Freiräume in der Abo-Beziehung gewähren. DNV: Herr Dr. Conrad, in Ihrem voranstehenden Beitrag „Erfolgsfaktoren für Abonnements…“ attestieren Sie deutschen Abo-Modellen „mit dem Mangel einer nicht mehr zeitgemäßen Grundkonstruktion“ behaftet zu sein. Ein ziemlich harter Vorwurf. Was sind in Ihren Augen die zentralen Schwächen der meisten heute gültigen AboKonstruktionen? Olaf Conrad: Die CRM-Systeme der Verlage basieren auch heute meist noch auf der Logik der Fulfillment-Systeme der Vergangenheit. Das ist kein Vorwurf, sondern der langen und erfolgreichen Historie geschuldet. Nicht der Kunde steht im Mittelpunkt, sondern der Auftrag und dessen saubere und effiziente Abwicklung samt Anbindung an Rechnungslegungund Versandsysteme. Auch größere Verlage mit einem breiten Titelportfolio bieten ihren Kunden noch nicht volle Flexibilität, um den individuellen Bedarf selbstständig und nach Gusto 14 DNV 17 / 2015 Conrad: Die Gründe können von Haus zu Haus sehr unterschiedlich sein. Häufig sind es die internen Strukturen und Profit & Loss-Verantwortlichkeiten, die einer wirklich titelund angebotsübergreifenden Kundenorientierung im Sales und Marketing entgegenstehen. Nicht zu unterschätzen sind die objektiven Hindernisse auf Systemseite: fachliche Kompetenzen, Investitionen und Projektmanagement-Kapazitäten. Und natürlich führen zum Beispiel die wunderschönen Cash Flows einer jährlichen Abo-Vorauszahlung zu hohen kaufmännischen Beharrungskräften, wenn es um die Frage eines kundenorientierten post pay-Ansatzes geht. Das ist die Crux des etablierten Anbieters: Er bewegt sich in seinen gewohnten Strukturen, agiert fehler-avers und sucht stets nach einem proof of concept, das es nicht gibt, während der neue Anbieter auf der grünen Wiese mit größter Selbstverständlichkeit die Neuerungen etabliert. Es sind also zusätzlich zur notwendigen fachlichen Expertise im Bereich Customer Centricity auch Organisations- und Kulturfragen auf dem Tisch. DIE FRAGEN STELLTE RALF DEPPE