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12938
REGENSBURG
MITTELBAYERISCHE ZEITUNG
SAMSTAG, 4. / SONNTAG, 5. MÄRZ 2017
RE05_S
SEITE 33
Tote vom Dörnberg liefern uralte Krankheitskeime
ARCHÄOLOGIE Das riesige Gräberfeld birgt viele Geheimnisse. Einem ist ein Professor
für alte DNA auf der Spur.
Ihn interessieren die Krankheiten der Ur-Regensburger.
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VON HEINZ KLEIN, MZ
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Archäologie kann spannend sein wie ein Krimi. Und wir sind
zur Zeit mitten drin im Dörnberg-Krimi. Das riesige Gräberfeld an der
Kumpfmühler Brücke war über die
Jahrhunderte die letzte Ruhestätte für
etwa 50 000 Regensburger Urahnen.
Bei den jüngsten Ausgrabungen blickten die Archäologen in etwa 1500 Gräber und erforschen nun ihre Funde.
Dr. Silvia Codreanu-Windauer, Referatsleiterin des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege in Regensburg, bekommt dabei immer wieder
glänzende Augen.
Die Anthropologen stießen bei der
Ausgrabung auf seltsam deformierte
Knochen von drei Skeletten, die massiv von Osteomyelitis gezeichnet sind.
Diese infektiöse Entzündung des Knochenmarks verändert die Knochenstruktur der Erkrankten und lässt sie
grobschuppig und porös erscheinen.
Das interessiert Dr. Ben Krause-Kyora,
einen Professor am Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel. Der Wissenschaftler analysiert uralte bakterielle DNA und ist so
der evolutionsbiologischen Entwicklung und Veränderung von Krankheiten über die Jahrhunderte hinweg auf
der Spur. Am Donnerstag kam der Kieler Wissenschaftler nach Regensburg,
um sich ein paar interessante Knochen zu holen.
An Osteomyelitis, der infektiösen
Entzündung des Knochenmarks, kann
man auch heute noch erkranken. Eine
Heilung war damals unmöglich und
auch heute ist eine Behandlung
schwierig und langwierig. Der bakterielle Erreger ist weit verbreitet und
braucht eine Pforte, eine Verletzung,
um ins Körperinnere und an einen
Knochen zu gelangen.
REGENSBURG.
Fiel ein Pferd auf den alten Herrn?
Dr. Codreanu präsentiert die Knochen
von drei Römern oder Bajuwaren, die
etwa im 4. bis 7. Jahrhundert nach
Christus gelebt haben dürften und alle
drei etwa um die Fünfzig geworden
sind, wie Steve Zäuner vom Anthropologieservice antrophol schätzt. Einer
der drei Herren erlitt eine Rippenserienfraktur. „Es muss etwas sehr
Schweres auf ihn gefallen sein – vielleicht geriet er unter ein stürzendes
Pferd“, vermutete die Archäologin. Die
schwere Verletzung lieferte jedenfalls
eine große Eingangspforte für die Osteomyelitis-Bakterien, die nun ungehindert im Knochenmark des Ur-Regensburgers wüten konnten.
Ein vor etwa 1500 Jahren gebrochenes Schienbein war in einem anderen
Fall die Eingangspforte für die tückischen Bakterien. Steve Zäuner schaudert heute noch, wenn er den Knochen zeigt. Der Bruch wurde nämlich
nicht eingerenkt und so standen die
beiden Knochenteile auf mehreren
Zentimetern Länge überlappend nebeneinander und wuchsen in dieser
Lage zusammen. Das Bein war damit
um etliche Zentimeter verkürzt und
musste seinem humpelnden Besitzer
darüber hinaus noch viele Schmerzen
bereitet haben, weil ja nun auch die
Osteomyelitis in seinen Knochen wütete.
Beim Anblick eines Unterschenkelknochens mag einem jetzt
noch das Gruseln kommen. Er gehörte wohl einem Römer, vermutete Steve Zäuner anhand der Knochenlänge.
Die Germanen waren
von der Statur her
meist größer gewachsen als die Römer,
Steve Zäuner zeigt einen von Osteomyelitis
befallenen Knochen.
Dr. Silivia Codreanu-Windauer, Steve Zäuner (Mitte) und Prof. Ben Krause-Kyora sichten das von der Infektion zernagte Knochenmaterial.
Fotos: Klein
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Ein gebrochenes und nicht eingerenktes Schienbein wuchs zusammen.
Silvia Codreanu zeigt den Babysarkophag, der auf einem Toten stand.
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➤ Die Osteomyelitis ist eine infektiöse
Entzündung des Knochenmarks. Ursachen sind in den meisten Fällen offene
Knochenbrüche und Operationen am
Skelett, die zur Kontamination mit Bakterien führen. Der Körper reagiert auf
die Infektion, indem er versucht, den erkrankten Bereich abzuschotten. Um den
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Universitäres
GUT ZU WISSEN
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abgestorbenen Knochen bildet sich eine
Art Kapsel aus hartem Material, die sogenannte „Totenlade“. Innerhalb dieser
leben die Bakterien weiter, unerreichbar
für jedes Medikament. Abhängig vom
Verlauf der Krankheit kann so eine Region über längere Zeit ruhig sein, sie kann
aber auch wiederholt nach außen durch●
aber auch bei ihnen hatte die Osteomyelitis massiv an dem Knochen „genagt“.
Der Kieler Wissenschaftler Ben
Krause-Kyora hofft, noch bakterielles
Erbgut aus den Knochen isolieren und
es dann molekular-genetisch untersuchen zu können. Evolutionsbiologisch lassen sich dann
die Veränderungen und Entwicklungen der Keime über
Jahrhunderte hinweg aufzeigen
– bis hin zu den heutigen
multiresistenten Krankenhauskeimen.
Durch die großen
Pest- und Lepraepidemien sind einige
Spuren aus dem
menschlichen
Genpool weitgehend entfernt worden, weil Er-
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krankte sich ja nicht mehr reproduzieren konnten, erzählte der Kieler Professor. Fortpflanzen konnten sich damals nur all jene, die offenbar einen
genetischen Schutz vor diesen Krankheiten in sich trugen und nicht erkrankten. Doch Gene, die ihre Träger
damals vor solchen epidemischen
Krankheiten schützten, stehen heute
im Verdacht, moderne Krankheiten
wie etwa Diabetes oder die Darmkrankheit Morbus Crohn zu fördern.
Ihre Schutzfunktion könnte inzwischen zu Überreaktionen im menschlichen Körper führen und sich so vom
Beschützer zum Krankmacher verwandelt haben, erzählte Ben KrauseKyora.
Die knöchernen Zeugen vom Gräberfeld am Dörnberg erzählen stets
auch etwas von der individuellen Lebensgeschichte unserer Urahnen,
www.ukr.de/25
Regensburg
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brechen und den Eiter über eine Fistel
entleeren. Röntgenbilder zeigen typische Veränderungen der Knochenstruktur; allgemein wird sie als „grobwabig“
beschrieben. Chronische Infektionen
des Knochens gelten als sehr schwer behandelbar und sind nur unter großem
Aufwand heilbar. (Quelle: Wikipedia)
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➤ Die C14-Methode zur Altersbestimmung beruht darauf, dass in abgestorbenen Organismen die Menge an gebundenen radioaktiven C14-Atomen gemäß
dem Zerfallsgesetz abnimmt. Lebende
Organismen sind von diesem Effekt
nicht betroffen, da sie ständig neuen
Kohlenstoff aus der Umwelt aufnehmen.
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freut sich Dr. Codreanu und ist überzeugt, dass die modernen Naturwissenschaften hier in den nächsten Jahren noch phänomenale Einblicke liefern werden.
Zweitbesetzung im Sarkophag
Von dem Osteomyelitis-Kranken mit
der Rippenserienfraktur kann die Regensburger Archäologin noch erzählen, dass auf seinem Grab ein kleiner
steinerner Sarkophag stand. „Die gebrochenen Rippen hat er sich aber
schon zu Lebzeiten zugezogen, die
kommen nicht von dem Sarkophag“,
schmunzelt Silvia Codreanu, die dieser
steinerne Sarg natürlich längst neugierig gemacht hat. Es handelt sich um einen Babysarkophag, etwas in dieser
Zeit höchst Ungewöhnliches. Ob der
alte Herr mit dem Baby über ihm zu
Lebzeiten in einer Verbindung stand,
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könnte eine DNA-Analyse zeigen. Aus
Stein gemeißelte Sarkophage waren
sehr aufwendig hergestellte Behältnisse, die über Jahrhunderte hinweg sozusagen als Recyclingware immer wieder verwendet und mehrmals besetzt
wurden. Das erklärt auch die räumliche Enge in manchen Second-HandSarkophagen, erzählt Steve Zäuner
mit einem Schmunzeln. Bisweilen
musste dann halt ein XXL-Verstorbener in einen Sarkophag der Größe „M“
eingepasst werden. Die seltsam verdrehten Gebeine erzählen auch nach
Jahrhunderten noch von der lieben
Not, die die Bestatter in solchen Fällen
hatten.
Das große Gräberfeld vom Dörnberg wird jedenfalls noch Einiges zu
erzählen haben, kündigte Silvia Cordreanu an. Und dabei glänzten ihre
Augen schon wieder.
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