SONDERTHEMA Erblicher Brustkrebs - nicht nur eine Erkrankung der Reichen und Schönen von Priv. Doz. Dr. med. Wolfram Klein GenetikTICKER Aktuelles aus der Klinischen Genetik 4. Ausgabe – Juli 2013 Redaktion: Dr. med. Dennis Döcker THEMENAUSGABE Brustkrebs gehört zu den häufigsten Tumoren der Frau, etwa jede 8. Frau erkrankt im Verlauf ihres Lebens daran. Eine Häufung von Brustkrebsfällen innerhalb einer Familie kann aufgrund dieser hohen Erkrankungsrate daher rein zufällig vorkommen und muss nicht unbedingt erblich verursacht sein. Man geht jedoch davon aus, dass in ca. 5 - 10 % der Fälle eine genetische Prädisposition im Sinne eines autosomal dominanten Erbgangs vorliegt. Das heißt, durch eine Veränderung (Mutation) in einer Erbanlage (Gen), die von einem Elternteil geerbt wurde, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Krebserkrankungen. Die beiden häufigsten Gene, die eine erbliche Prädisposition für Brust- und Eierstockkrebs verursachen, sind das sog. BRCA1 (breast cancer 1) und BRCA2 (breast cancer 2)-Gen. Die Wahrscheinlichkeit für weibliche Mutationsträger, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken, liegt zwischen 50 % und 80 %, die für Eierstockkrebs zwischen 25 % und 60 %. Genetische Ursachen von Brustund Eierstockkrebs Klinikum Stuttgart Institut für Klinische Genetik Zentrum für Klinische Pathologie, Pharmazie und Hygiene (ZKPPH) Ärztliche Direktorin: Frau Dr. Dr. S. Biskup Bismarckstr. 3 D – 70176 Stuttgart www.klinische-genetik-stuttgart.de Abbildung Typischer Stammbaum einer Ratsuchenden (Pfeil). Die Tante und die Großmutter sind an Brustkrebst erkrankt. Die Urgroßmutter ist an den Folgen von Brust- und Eierstockkrebs verstorben. Der Großonkel ist an einem Pankreaskarzinom verstorben. Es ist zu beachten, dass auch Männer Träger einer BRCA1- bzw. BRCA2-Mutation sein können. Diese haben dann ebenfalls ein – wenn auch deutlich geringer – erhöhtes Risiko für Brustkrebs. Entsprechend kann eine Mutation selbstverständlich auch über Männer weitergegeben werden! Träger einer Mutation im BRCA1- bzw. BRCA2-Gen haben aber nicht „nur“ ein erhöhtes Risiko für Brust- und Eierstockkrebs. Weitere Tumore, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auftreten können, sind z.B. Bauchspeicheldrüsenkrebs, Prostatakrebs (bei Männern), Magenkrebs und Krebs der Gallenwege. Allerdings ist das lebenslange Risiko für die Erkrankung an diesen Tumoren deutlich niedriger, als für das von Brust- und Eierstockkrebs. Eine Mutation in einer Kopie dieser Erbanlagen, die von Geburt an in allen Körperzellen vorhanden ist (sog. Keimbahnmutation), führt alleine noch nicht zu einer Krebserkrankung. Erst wenn im Verlauf der vielen lebenslangen Zellteilungen weitere Mutationen (sog. somatische Mutationen) in den entsprechenden Körperzellen (z.B. Epithelzellen der Brustdrüse) auftreten, führt dies zu bösartigem Wachstum. Dies erklärt, warum nicht bei jedem Anlageträger unweigerlich ein Tumor auftritt. Durch die Identifizierung der Mutationsträger innerhalb einer Familie können diese einer intensiven Vorsorge zugeführt werden. Alternativ können prophylaktische Operationen (Entfernung der Brustdrüsen bzw. Eierstöcke) durchgeführt werden, die jedoch auch keinen absoluten Schutz bieten. Neben den beiden häufigsten Genen (BRCA1 und BRCA2) wurden in jüngerer Zeit weitere Gene identifiziert, die zu einer erblichen Veranlagung für Brustkrebs bzw. Eierstockkrebs führen können (z.B. CHEK2 oder PTEN). Allerdings ist die Anzahl der im Rahmen wissenschaftlicher Studien untersuchten Familien noch gering. Somit liegen auch nur eingeschränkte Daten darüber vor, für welches Tumorspektrum eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit besteht und wie hoch diese zu adf beziffern ist. Insbesondere liegen noch keine verlässlichen Daten darüber vor, welche Vorsorgeuntersuchungen indiziert sind und welchen Stellenwert prophylaktische Operationen einnehmen. Daher muss im Vorfeld einer molekulargenetischen Diagnostik mit der Ratsuchenden geklärt werden, in welchem Umfang diese Diagnostik durchgeführt werden soll, sprich welche Gene untersucht werden sollen. Ein weiteres Problem der Diagnostik stellen die sogenannten „unklaren Varianten“ dar. Nicht jede Veränderung der DNA-Sequenz eines Gens ist gleichbedeutend mit einer pathogenen (krankheitsverursachenden) Mutation. So kann es sich durchaus um eine Normvariante (Polymorphismus) ohne klinische Relevanz handeln. Daher muss bei jeder Abweichung in der DNA-Sequenz mithilfe einer Datenbankrecherche überprüft werden, ob diese bisher nur bei Patienten beschrieben wurde, oder ob sie schon häufig bei gesunden Individuen gefunden wurde. Nicht immer ist eine eindeutige Einordnung möglich. Gegebenenfalls kann die Untersuchung weiterer Familienangehöriger zur Abklärung beitragen (findet man die Mutation bei den erkrankten Mitgliedern wieder?). Es ist davon auszugehen, dass es noch weitere Mutationen, in bisher (noch) nicht identifizierten Genen gibt, die eine erbliche Prädisposition für Brustkrebs verursachen können. Um eine familiäre Tumorprädisposition bei einer nicht betroffenen Person auszuschließen zu können, ist es daher unerlässlich, dass man zunächst ein betroffenes Familienmitglied untersucht. Nur wenn eine krankheitsverursachende Mutation in einer Familie bekannt ist, kann für weitere Mitglieder dieser Familie eine eindeutige Aussage darüber getroffen werden, ob ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von bestimmten Tumorentitäten besteht oder nicht. Daher kann ein negatives Ergebnis einer Mutationssuche in den bisher bekannten Genen ohne Kenntnis der familiären Mutation eine erbliche Prädisposition nicht ausschließen. In diesem Fall könnte man nur bei Nachweis einer zweifelsfrei pathogenen Mutation eine eindeutige Aussage machen. Die Tumordisposition wird nach dem sog. autosomal dominanten Erbgang vererbt. Jeder Mensch besitzt jeweils zwei Kopien des BRCA1und BRCA2-Gens. Er hat jeweils eine Kopie von seiner Mutter und eine Kopie von seinem Vater geerbt. Bei einem Anlageträger liegt in einer Kopie des Gens eine Mutation vor, die zweite Kopie ist intakt. Ein Anlageträger kann daher an seine Kinder entweder die Kopie mit der Mutation oder aber die unveränderte Kopie weitergeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind die Mutation und damit die erhöhte Krebsprädisposition erbt, beträgt demnach 50%. Hinweise auf das Vorliegen einer erblichen Krebserkrankung sind mehrere betroffene Familienmitglieder in aufeinanderfolgenden Generationen, ein frühes Erkrankungsalter, sowie das Auftreten von zwei oder mehr Tumoren bei einem Familienmitglied. Vielen Ratsuchenden ist bei der Frage, ob sie sich testen lassen sollen oder nicht, nicht bewusst, dass ein ungünstiges Testergebnis mitunter weitreichende Folgen für weitere Familienangehörige nach sich ziehen kann. Den Betroffenen ist zwar in aller Regel bekannt, dass bei einem ungünstigen Ergebnis auch ein Risiko für ihre Kinder besteht. Allerdings wird häufig nicht bedacht, dass sich aus dem Testergebnis auch für weitere Familienangehörige (Geschwister, Eltern, Onkel, Tanten etc.) ein erhöhtes Risiko ableiten lässt. In manchen Fällen ergibt sich dabei für bestimmte Angehörige je nach Stammbaumkonstellation nicht „nur“ ein erhöhtes Risiko, sondern eine an Sicherheit grenzende Vorhersage, dass diese Mutationsträger sein müssen, auch wenn bisher noch keine Erkrankung aufgetreten ist. Diese Problematik wird in einem genetischen Beratungsgespräch thematisiert. Dadurch ergibt sich für Ratsuchende die Möglichkeit, vor einer molekulargenetischen Untersuchung das Gespräch mit dem jeweiligen Angehörigen zu suchen, damit dieser nicht unvorbereitet vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Vor einer molekulargenetischen Untersuchung, insbesondere bei noch nicht erkrankten Familienmitgliedern, muss eine genetische Beratung erfolgen. Auch ein Gespräch mit einem Psychologen, der eine/n Ratsuchende/n nach einem ungünstigen Ergebnis unmittelbar betreuen kann, ist vor einer Diagnostik zu empfehlen. Wir bieten am Institut für Klinische Genetik sowohl die Beratung von Risikopersonen als auch die modernste molekulargenetische Diagnostik an. Auch für andere Krebsprädispositionssyndrome wie etwa den erblichen Darmkrebs bieten wir eine entsprechende Diagnostik und selbstverständlich auch eine vorherige Beratung an. Priv. Doz. Dr. Klein ist Leiter der Tumorgenetik und der tumorgenetischen Sprechstunde am Institut für Klinische Genetik. Informationsflyer für Ratsuchende oder Termine für eine genetische Beratung sind unter der Telefonnummer 0711 – 278 74001 oder per E-Mail über [email protected] erhältlich.