„Mädelarbeit“ in Frankreich: Im Kampf um Österreichs Freiheit

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Österreichische AntifaschistInnen an der Seite der französischen und belgischen
Résistance – zwei Berichte von Überlebenden aus Anlass des 50. Jahrestags der Befreiung (1995):
Irma Schwager (1920-2015)
„Mädelarbeit“ in Frankreich: Im Kampf um Österreichs Freiheit
Heute wird die Selbständigkeit der demokratischen Republik Österreich allgemein als Selbstverständlichkeit angesehen. Das war aber nicht immer so. Erst ein unendlich opferreicher Kampf und der Sieg über den Hitlerfaschismus haben die Wiedergeburt Österreichs als selbständige demokratische Republik möglich gemacht. Als im
März 1938 die deutsche Armee zusammen mit den großen Terrororganisationen der Nationalsozialisten unser
Land besetzten, sagte damals der Kanzler des christlich-ständischen, austrofaschistischen Regimes in Österreich, Dr. Kurt Schuschnigg: „Wir weichen der Gewalt – Gott schütze Österreich“. Die Hitlerfaschisten konnten
den in Österreich weitverbreiteten Deutschnationalismus nutzen und sprachen - mit großem Erfolg- davon, daß
Österreich ein Teil des Deutschen Reiches sei, das nun „heimgekehrt“ sei. Der „Anschluß“ wurde von allen
Ländern, außer von der Sowjetunion und Mexiko, hingenommen.
Ich erinnere mich noch genau an das Gröhlen der SA-Trupps und der Hitlerjugend, die Tag und Nacht skandierten: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, „Deutschland erwache – Juda verrecke!“, „Sieg heil“. Anfangs gab es allzuviele, die den Nazis ihre soziale Demagogie glaubten und die antisemitischen Hetzpropaganda mitmachten.
Während die einen am Wiener Heldenplatz Hitler zujubelten, wurde der erste Transport nach Dachau zusammengestellt, verfolgten und verhafteten die Nazis ihre Gegner, holte man die Juden zuerst zum demütigenden Straßenwaschen, und später zur Ermordung in Ghettos und Vernichtungslager. Viele glaubten nicht mehr, daß es jemals wieder ein selbständiges Österreich geben werde, ließen sich vom Terror einschüchtern, zogen sich zurück
oder paßten sich an. Das österreichische National- und Selbstbewußtsein begann sich erst richtig nach der deutschen Besetzung zu entwickeln, als die Menschen aus eigener Erfahrung spürten, welche verheerenden Folgen
es hatte, daß Österreich zur Ostmark des mörderischen deutschen Hitlerregimes wurden.
Als einzige Partei hat die KPÖ in der Nacht der Besetzung am 12. März zum Kampf für die Wiederherstellung einer unabhängigen, demokratischen Republik Österreich und zum Widerstandskampf aufgerufen. 1937 hatte Dr.
Alfred Klahr wissenschaftlich nachgewiesen, daß Österreich sich zu einer eigenen Nation entwickelt hat, deren
Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen. Der Widerstandskampf der Kommunisten basierte auf dieser
Grundlage. Er war, so wie der anderer politischer und religiöser Menschen, jener – wenn auch kleine – Beitrag
zur Befreiung, den, bei der Nachkriegsregelung Österreichs zu berücksichtigen, die alliierten Außenminister im
Herbst 1943 in Moskau festschrieben.Der Widerstandskampf hatte viele Facetten. Er wurde unter schwierigsten
Bedingungen in Österreich, in den von den Deutschen besetzten Ländern, von Österreichern in den alliierten Armeen, in den Gefängnissen und Konzentrationslager und von den österreichischen Freiheitsbataillonen in
Jugoslawien geführt.
Emigration
Ich emigrierte nach Belgien, von wo ich nach Frankreich ging. Mit falschen Papieren als Elsässerin getarnt, beteiligte ich mich mit zahlreichen anderen Österreichern und Österreicherinnen am Widerstandskampf im besetzten Paris. Im Rahmen der französischen Widerstandsbewegung hatten wir, aufgrund unserer Sprachkenntnisse,
die Aufgabe, mündliche und schriftliche Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit unter den Besatzungssoldaten zu
leisten. Während die Männer, als Franzosen getarnt, bei Wehrmachts- und zivilen deutschen Dienststellen als
Dolmetscher, Telefonisten, in Soldatenheimen als Kellner usw. arbeiteten, hatten wir jungen Frauen die Aufgabe,
den direkten Kontakt zu den Besatzungsoldaten herzustellen, in Gesprächen mit ihnen zu erfahren, wie die Stimmung in den Kasernen und zu Hause war. Das war wichtig, weil wir in unseren Flugblättern und der Zeitung „Soldat im Westen“ aktuell an die Probleme der Soldaten anknüpfen konnten. Wir leisteten auch Aufklärungsarbeit
unter ihnen, d.h. wir versuchten sie von der Sinnlosigkeit des Krieges und vom wahren Charakter des Nationalsozialismus zu überzeugen. Wenn möglich, gaben wir ihnen Flugblätter und gewannen sie als Mitkämpfer. Bekamen wir Kontakt zu Österreichern, die auf Urlaub nach Hause fuhren, gaben wir ihnen Flugblätter mit.
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Mädelarbeit
Diese spezielle „Mädelarbeit“ gab es in Paris, im Norden, und nach der Besetzung ganz Frankreichs (Ende 1942)
auch im Süden. In Belgien agierten ebenfalls „Mädelgruppen“.
Es war keine leichte Sache, insbesondere in der Zeit vor der Schlacht um Stalingrad, als die deutsche Armee
noch im Vormarsch war. Hitlers Blitzkrieg in Europa hatte einen Mythos der Unbesiegbarkeit geschaffen. Anfangs
waren die meisten Soldaten, die wir trafen, noch vom Endsieg der Deutschen überzeugt. Wir erlebten die tiefen
Spuren, die die Nazipropaganda bei den Soldaten hinterlassen hatten. Viele glaubten an die Naziphrasen von der
„neuen Ordnung“, die sie dem „dekadenten“ Europa bringen wollten. Rassismus, Antisemitismus und Herrenmenschentum waren tief verwurzelt. Das bekamen wir in den Gesprächen zu spüren. Überheblich wurde z.B. kritisiert, wie schlampig die Franzosen seien, und daß in Deutschland die Straßen sauberer und die Menschen besser angezogen seien. Wenn es uns gelang, diese Männer zum Nachdenken darüber zu bringen, daß die sauberste Straße, die gebügelte Hose und die schönste Frisur nichts wert sind, solange man nichts empfindet, wenn
ein Mensch gedemütigt, verfolgt und erschossen wird, dann war das schon ein Erfolg. Wir mußten lernen zuzuhören, uns nicht provozieren zu lassen, auch wenn vieles gesagt wurde, was uns weh tat. Das Gespräch mußte
unbemerkt so geführt werden, daß der Soldat möglichst viel von sich erzählt. Vorsichtig haben wir unsere kritischen Fragen und Bemerkungen eingeflochten. Eine gewisse Vertrauensbasis mußte geschaffen werden, ohne
Vertraulichkeiten und Annäherungsversuche zuzulassen.
Soldatenkontakte
Möglichkeiten gab es viele. In der Metro, beim Einkaufen in Warenhäusern, in den Banlieus (den Vororten von
Paris), wo die Kasernen waren, haben wir uns in die Gespräche eingemischt, oder beim Einkauf den Soldaten
„geholfen“. Die scheelen Blicke und manchmal in der Metro auch die Stupser von Franzosen, die uns für Soldatenliebchen hielten, waren unangenehm, aber gleichzeitig ein bewußtes Widerstandszeichen gegen die Besatzungsmacht, was uns gefreut hat. Wir gingen immer zu zweit. Um Annäherungsversuchen auszuweichen, haben
wir die Bedingungen so gewählt, daß nichts passieren konnte. Das heißt, wir gingen nicht ins Kino, nicht im Finstern, sondern bei Tag im Park spazieren. Im Kaffeehaus oder Bistro ließen wir uns nichts bezahlen. Vor allem
mußte mit Geschick verhindert werden, daß man nach Hause begleitet wurde. Das war oft nicht leicht. Am Beginn unserer Bekanntschaft waren die Soldaten höchst erfreut, junge Französinnen kennen zu lernen, die sogar
noch deutsch sprachen. Sie wollten natürlich nicht nur mit uns plaudern. Aber bald, als sie uns näher kennen
lernten, haben sie bemerkt, daß wir keine gewöhnlichen Soldatenliebchen sind. Das freundschaftliche Gespräch
trug oft dazu bei, eine gute Atmosphäre zu schaffen und viele waren dann froh, endlich mit jemanden offen sprechen zu können. Über ihre Sorgen zu Hause, über den Drill und die Ungerechtigkeiten in der Kaserne und später
immer mehr über ihre Ängste, an die Ostfront geschickt zu werden. Haben wir bemerkt, daß es Menschen sind,
mit denen man reden konnte, dann haben wir sie allein wieder getroffen, ihnen zuerst ein Flugblatt gegeben und
dann versucht, ihnen auch welche für die Kaserne mitzugeben. Waren es fanatische Nazis, dann haben wir ihnen
ausgemalt, was alles passieren wird, wenn der Krieg verloren ist und haben sie nie wieder getroffen. Die Gefahr
dieser Tätigkeit war groß. Die Deutschen haben geglaubt, daß wir eine sehr große Organisation sein müssen,
weil die Flugblätter an den verschiedensten Stellen aufgetaucht sind. Nicht nur wir Frauen, sondern auch die
männlichen Österreicher haben die Flugblätter verbreitet, sie über die Kasernenmauern geworfen, auf Parkbänke
gelegt, in Kinos liegengelassen und auf Alleebäume geheftet. Man warnte die Soldaten, es handle sich um französische Spioninnen, die die deutsche Armee zersetzen wollen. Nach solchem „politischen Unterricht“ haben
Soldaten beim Treff gleich die Gestapo mitgebracht. Trude Blaukopf wurde verhaftet und in Frankreich ermordet,
Vilma Steindling kam nach Auschwitz. In Paris habe ich „Soldatenarbeit“ gemacht, bis eines abends die Concierge (Hausbesorgerin), als wir heimkamen, zu mir sagte: „Wenn sie hinaufgehen, machen sie kein Licht, denn
die Gestapo war hier und hat sie gesucht. Nehmen sie nur das Notwendigste mit, denn wahrscheinlich beobachten sie das Haus“. Mein Mann Zalel, der im Norden illegal arbeitete, war gerade zu Besuch in Paris. So
mußten wir damals untertauchen und wieder „unsere Identität wechseln.“
Fremdarbeiter in Österreich
Im Jahre 1943 fuhren viele österreichische Genossinnen und Genossen als „Fremdarbeiter“ getarnt nach Wien,
um mitzuhelfen, den kommunistischen Widerstand zu stärken. Auch ich hatte schon die ärztliche Untersuchung
hinter mir und einen Abfahrtstermin von den Deutschen. Da aber in Wien von den bereits dort eingetroffenen
„Fremdarbeitern“ bis auf einen alle verhaftet worden waren, ließ die Parteileitung mich nicht mehr fahren. Von
den acht Frauen, mit denen ich in Paris zusammengearbeitet habe, sind vier verhaftet worden. Gerti Schindel
und Lisa Gavritsch, die als Fremdarbeiterinnen nach Österreich gefahren waren, kamen in das berüchtigte Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, in dem 92.000 Frauen ermordet wurden. Gerti Schindel, Edith Wexberg und
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Toni Lehr, sie waren schon auf der Todesliste, sind durch eine internationale Solidaritätsaktion innerhalb des Lagers gerettet worden, indem man sie versteckt und dann in einen Transport nach Schweden geschmuggelt hatte.
An dieser Aktion war auch die mutige französische Kommunistin Marie Claude Vaillant Couturier beteiligt.
Ungefähr 200 Österreicherinnen und Österreicher waren in der französischen Widerstandsbewegung. 82 wurden
verhaftet, davon sind 46 in den Gefängnissen und Konzentrationslagern ermordet worden. 36 haben überlebt.
Nach der Befreiung von Paris gingen viele Österreicher nach Jugoslawien, um sich den österreichischen Freiheitsbataillon anzuschließen. Ich wurde nach Belgien geschickt und baute mit Österreichern aller politischen
Schattierungen in Brüssel die Österreichische Freiheitsfront auf. In der Leitung waren Sozialdemokraten, Kommunisten, Monarchisten und unpolitische Emigranten. Wir haben uns bemüht, insbesondere durch kulturelle Tätigkeit, die Öffentlichkeit zu überzeugen, daß die Österreicher keine Deutschen sind, und für das Wiedererstehen
Österreichs geworben.
Der Wirkungsgrad unserer Widerstandstätigkeit ist kaum quantifizierbar. Er hat aber dazu beigetragen, manchem
die Augen zu öffnen, antifaschistisches Bewußtsein zu bilden und Widerstand zu fördern.
Auch er gehörte zur Grundlage für das Wiedererstehen Österreichs als unabhängiger Staat. Heute muß erneut
alles unternommen werden, um den Widerstand gegen die Aushöhlung der Unabhängigkeit, des Staatsvertrages
und der Neutralität zu stärken.
Jakob Zanger
Bewaffneter Kampf in Belgien: Soldatenarbeit
Richtlinie für die Tätigkeit der Kommunisten in Belgien war der Aufruf des ZK der Kommunistischen Partei Österreichs zur Annexion, beschlossen in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 in dem es hieß: „Volk von Österreich!
An alle Völker Europas und der Welt! Hitler hat mit militärischer Gewalt Österreich unter sein Joch gebracht. Hitler ist dabei, den Freiheitswillen des österreichischen Volkes durch die Stiefel seiner Soldateska niederzutreten,
er ist daran, in Österreich seine Fremdherrschaft aufzurichten. Volk von Österreich! Wehre Dich, leiste Widerstand den fremden Eindringlingen und ihren Agenten. Schließt Euch zusammen, Katholiken und Sozialisten, Arbeiter und Bauern! Schließt Euch zusammen, nun erst recht, zur Front aller Österreicher, aller Unterschiede der
Weltanschauung, aller Parteiunterschiede treten zurück vor der heiligen Aufgabe, die heute dem österreichischen
Volk gestellt ist! Zusammenstehen gegen Hitler, zusammenstehen, um Hitlers Soldateska aus Österreich wieder
hinauszujagen.“
Kapitulation – Deportation
Am 10. Mai 1940 fiel Hitlerdeutschland in Belgien, Holland, Luxemburg und Frankreich ein. Am 27. Mai kapitulierte der belgische König, am 21. Juni 1940 Frankreich. Bereits vorher hatten die Engländer Frankreich fluchtartig
verlassen und ihr Expeditionskorps von über 300 000 Mann über den Hafen Dünkirchen evakuiert, das heißt in
knapp 40 Tagen war die alliierte englisch-französische Armee zerschlagen. Dies sei jenen in Erinnerung gerufen,
die auch heute noch den raschen Vormarsch der Hitlerarmee der sowjetischen Staats- und Armeeführung, allen
voran Stalin, in den ersten Monaten nach Beginn des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion zum Vorwurf
machen. Die Sowjetarmee wurde nicht innerhalb von 40 Tagen zerschlagen, sondern hatte die Kraft, die faschistischen Eindringlinge im Spätherbst zu stoppen und in der Folge hunderte Kilometer zurückzutreiben. Für die
kommunistische Emigration in Belgien waren die Maßnahmen der belgischen Behörden im Zusammenhang mit
der deutschen Invasion von verheerender Wirkung. In der Nacht des 10. Mai 1940 wurden sämtliche deutschen
und österreichischen Emigranten, Antifaschisten und Interbrigadisten ohne Rücksicht darauf, ob sie Juden oder
„Arier“ waren, ohne jede legale Grundlage verhaftet, meist unter Beschuldigung, deutsche Fallschirmspringer und
Spione zu sein, und unter unmenschlichen Bedingungen in Viehwaggons als angebliche 5. Kolonne nach
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Frankreich deportiert und dort in Lagern interniert. Viele Tausende von ihnen wurden in der Folge auf Grund der
zwischen Hitler und Pétain abgeschlossenen Vereinbarung an Deutschland ausgeliefert und in KZ´s deportiert.
Von diesen Maßnahmen der belgischen Regierung war die gesamte Parteileitung der KPÖ in Belgien betroffen.
Für ein freies Österreich
Die österreichischen Kommunisten in Belgien hatten vor den Überfall der deutschen Armee unter anderem „für
das Land” gearbeitet und nun vertrat man die Auffassung „das Land” sei eben in Form von Österreichern in
deutscher Uniform nach Belgien gekommen - da müßte eine ähnliche Tätigkeit fortgesetzt werden. Also: Für ein
freies Österreich, gegen den Faschismus, für den Frieden, gegen die Besetzung fremder Länder lauteten die
Parolen, die sehr bald auf einfache herzustellende „Pickerl“ gedruckt und weit verbreitet werden konnten. Selbstverständlich setzten wir unsere Agitationstätigkeit unter den anderen in Belgien, insbesondere jüdischen Emigranten fort, um für unsere Sache zu werben. So ließen sich über Auftrag der Partei einige in die von der israelitischen Kultusgemeinde initiierte landwirtschaftliche Schule bei La Rauné einschreiben, um dort unter der jüdischen Jugend politische Tätigkeit zu entfalten und sie für die Widerstandstätigkeit zu gewinnen. Was uns auch
tatsächlich bei einer Reihe Jugendlicher, unter anderem auch bei zwei deutsche Genossen, gelang. Bald entwickelte sich die Soldatenarbeit, bei der die Genossinnen eine wichtige Rolle spielten. Die Mädchen bemühten
sich, mit Soldaten in Kontakt zu treten, mit ihnen über die Sinnlosigkeit und Verbrechen des Krieges zu sprechen
und, sofern sie Österreicher waren, über die Eigenstaatlichkeit Österreichs. Diese Arbeit erforderte ein hohes
Maß an Takt und Einfühlungsvermögen, große Geschicklichkeit und noch größere Vorsicht. Zwei bis drei Mädchen gingen zusammen in Lokale, in denen Soldaten verkehrten, und versuchten mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die Soldaten sollten möglichst schnell bemerken, daß nicht die Absicht bestand, ein Verhältnis einzugehen,
daß aber auch nicht nur um der politischen Diskussion willen das Gespräch gesucht wurde. Wenn man auf
Verständnis gestoßen war, konnte man beim zweiten oder dritten Rendezvous schriftliches Material mitbringen
und sich langsam bis zur Aufforderung vorarbeiten, diese Flugblätter und Zeitungen in den Kasernen aufzulegen.
Im Laufe der vierjährigen Tätigkeit ist es dann des öfteren gelungen, Soldaten für die ständige Abnahme der
Schriften zu gewinnen; andere wiederum nahmen die Publikationen mit in die Heimat. Einige Soldaten haben
sich sogar nach Kriegsende gemeldet und sich auf ihre antifaschistische Tätigkeit in Belgien berufen. So etwa der
von der Genossin Gundl Herrnstadt geworbene Tankred Kleiner, der dann von 1942 bis 1944 aktiv mit unserer
Parteigruppe zusammenarbeitete, im Juli 1944 verhaftet, an die russische Front verschickt wurde und am
17.12.1944 zur Sowjetarmee überlief.
Widerstandsarbeit
Ohne Zweifel leisteten die Genossinnen der Mädelgruppe, in ihrer exponierten Tätigkeit die gefährlichste Arbeit
innerhalb der Parteigruppe. Sie setzten sich täglich der Gefahr aus, der Gestapo ausgeliefert zu werden. Herta
Ligeti, Luci Fürst, Gundl Herrnstadt, Herta Wiesinger (Stuberg), Marianne Brandt, Ester Tenzer u.a. durchlitten
Auschwitz und andere Nazi-KZ, Marianne Brandt wurde ermordet. Aufgabe der Streugruppen war es, die von unserer Parteigruppe hergestellte Zeitschrift „Wahrheit” und ab März 1944 die österreichischen Zeitschrift „Freies
Österreich” zu kolportieren. „Die Wahrheit” wurde anfangs von Bruno Weingast, Irma Hirsch und Mara Ginsburg
redigiert. Hergestellt wurde sie zunächst in der Wohnung von Mutz Hoffmann, vorübergehend in einer stillgelegten Bäckerei, später in der Wohnung von Marianne Brandt und schließlich in der Wohnung von Herbert Lindner.
Die Papierbeschaffung oblag den Genossen Otto Spitz und Alfred Wiesinger, dem „Künstler” unserer Gruppe, der
die Titel und Parolen auf die Matrizen zeichnete.
Wir besaßen ein Verzeichnis wo das deutsche Militär untergebracht war, der Kasernen, der von ihnen okkupierten Häuser und Privatwohnungen und der von ihnen besuchten Kinos und Gaststätten. Jeder der beteiligen
Genossen erhielten entweder einzeln oder in einer Dreiergruppe verschiedene Kasernen, Lokale oder Wohnungen zugeteilt, um die betreffenden Örtlichkeiten mit unserem Material zu belegen. Unser Hauptaugenmerk galt
den deutschen Kasernen, vor und in denen wir regelmäßig mit unser Material streuten. Vor allem in den Kasernen in Brüssel und den angrenzenden Bezirken. Auch die großen Bahnhöfe in Brüssel wurden insbesondere bei
Ankunft von Militärtransporten mit Material bestreut. Es ist heute kaum vorstellbar, daß wir wöchentlich 12 000
Stück unserer Zeitung (davon allein 9000 in der belgischen Provinz) verteilten. Die deutschen Behörden waren
der Auffassung, daß diese Aktionen von einer großen Organisation der belgischen Widerstandsbewegung ausging und erkannten erst nach den ersten Verhaftungen, daß es sich um Österreicher, und zum Teil um deutsche
Emigranten, die in unsere Gruppen integriert waren, handelte. Wegen der Regelmäßigkeit der von uns durchgeführten Streuaktionen hatte die Wehrmacht vor ihren Kasernen Maschinengewehre aufgestellt, und Genossen
unserer Gruppe wurden wiederholt mit Maschinengewehrfeuer empfangen. So wurden Unger, Lindner und Ultmann einmal vor der Kaserne Dailly mit Maschinengewehrfeuer empfangen. Ein anderes Mal wurden Fürst und
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Kandel, nachdem sie wie üblich ihr Material in einen Kasernenhof in der Nähe des Südbahnhofes geworfen
hatten, beschossen. Fürst konnte unbehelligt entfliehen, Kandel bekam aber einen Streifschuß am Kopf. Stark
blutend gelangte es ihm, sich mit Hilfe einer Belgierin ins Hospital St. Pierre zu retten, wo er, als die SS alle
Krankenhäuser durchsuchte, von dem Chef Prof. Snoeck, einem Gynäkologen, in der Frauenklinik untergebracht
wurde. Außer den Streuaktionen führten wir auch in der Nähe deutscher Unterkünfte Schmieraktionen durch. So
malten wir zum Beispiel vis à vis eines von der Wehrmacht bewohnten Objektes die Parole „Genug marschiert,
genug krepiert, endlich einmal nach Haus marschiert”. Ende 1943, Anfang 1944 wurde unter der Leitung von Otto
Spitz die österreichische Partisanengruppe gegründet, die der „Armee belge des Partisans” eingegliedert war.
Partisanengruppe
Dieser Gruppe gehörten neben Otto Spitz die Genossen Bob Zanger, Herbert Lindner, Herbert Kandel, Paul
Herrnstadt, Harry Zimmermann, Ludwig Günser, Walter Pollack, Hermann Umschweif, N. Karasek, Erich Unger,
Fredl Wiesinger u.a. an. Kurier dieser Partisanengruppe war die Genossin Cilly Spitz.
Unsere Waffen mußten wir uns durch Überfälle auf deutsche Soldaten beschaffen, desgleichen die für unsere
Aktionen notwendigen Fahrräder. Die für uns erforderlichen Brandsätze und Bomben wurden von unserem Supertalent Erich Unger hergestellt. So gelang es uns, Wehrmachtsfahrzeuge, PKW und Lastkraftwagen zu sprengen. Einmal wurden an einem Lastkraftwagen der deutschen Wehrmacht, der mit Munition beladen war, sechs
Sprengkörper angebracht, die mit Zeitbomben versehen waren und in der Nacht detonierten. Wir haben auch
Bahnverbindungen gesprengt, auf denen Munitionstransporte nach Brüssel oder an die Front gebracht werden
sollten. Einmal in der Weise, daß wir auf einen fahrenden Zug vor einem Tunnel mehrere Bomben warfen, die
dann im Tunnel explodierten. Mit der Befreiung Brüssels war für uns der Kampf nicht beendet. Wir meldeten uns
freiwillig als geschlossene österreichische Kompanie zur Ausmerzung der deutschen Widerstandsnester. Es
gelang uns, den Kanal Campine Aerendonck von den deutschen Faschisten zu befreien. Wegen unserer Tapferkeit wurden wir als erste der gesamten belgischen Partisanenarmee in englische Uniformen eingekleidet.
Viele Österreicher fuhren Ende 1944, Anfang 1945 nach Jugoslawien, um sich in die in Gründung befindlichen
österreichischen Freiheitsbataillone einzureihen.
Es muß als einmaliges Ereignis in der Geschichte der österreichischen Widerstandskämpfer festgehalten werden, daß österreichische Partisanen in einem Tagesbefehl der Alliierten besonders hervorgehoben wurden.
Beide Beiträge aus: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/1995
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