Universität Potsdam Institut für Religionswissenschaft Maria Cristina Visentin [email protected] Studiengang: BA Religionswissenschaft/ Italienische Philologie 5. Fachsemester Abgabetermin: 31.03. 2010 TANZ IN ÄGYPTEN: URSPRÜNGE, WEITERENTWICKLUNG UND VERBINDUNGEN ZUM HEUTIGEN TANZ Ägyptischer Tanz zur Zeit der achten Dynastie Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort………………………………………………………………………....………......3 2. Die Verknüpfung von Tanz im Alten Ägypten mit früher Religion …………………....4 2.1 Tanz in der Vor- und Frühzeit……………………………………………...……………4 2.2 Tanz in Zusammenhang mit Göttinnenverehrung und Geburt…………..…...……...5 2.3 Die Rolle der Schlange im Kult………………………………………..…………………6 2.4 Der Kulttanz zu Ehren der Göttin Hathor……………………………………...………6 2.5 Tanz im Alten Reich (2260 bis 2134 v.u.Z.)……………………………………………..8 2.6 Männertänze…………………………………………………………………………..…..9 2.7 Tanz im Mittleren Reich (2040 bis 1660 v.u.Z.)………………………….……………..9 2.8 Tanz im Neuen Reich (1559-1085 v.u.Z.)……………………………………………....10 3. Tanz und Islam………………………………………………………………………..…..11 4. Tanz im Harem……………………………………………………………………………13 5. Die Ghawāzī……………………………………………………………………………….14 6. Schluss und Stellungnahme………………………………………………………………17 Bibliographie……………………………………………………………………………......19 2 1. Vorwort Man kann davon ausgehen, dass Musik und Tanz zu den ältesten Ausdrucksformen der Menschheitsgeschichte zählen. Der sogenannte orientalische Bauchtanz wird dabei gerne als ältester, heute noch existierender Tanz der Menschheit bezeichnet. Die Entstehungszeit ist in der Forschung jedoch umstritten, auch über seine Ursprünge gibt es verschiedene Theorien. Eine jahrelange Abwehrhaltung in der Vergangenheit gegenüber der Analyse dieser Tanzform hat dazu angeregt, sie nunmehr verstärkt vor den mythisch-poetischen Hintergrund antiker Riten und Mysterien zu stellen, wobei nun der Enthusiasmus der Hauptvertreter die Objektivität erschwert. Bei der Frage nach dem Ursprung des Tanzes stellt sich zunächst das Problem der Begriffszuordnung. Die anatomisch beschreibende, jedoch fehlleitende Bezeichnung Bauchtanz (engl. belly dance), aus dem Französischen danse du ventre übersetzt, reduziert den variantenreichen Tanz auf lediglich einen charakteristischen Aspekt. Als richtiger und genauer wird oft der geographisch eingrenzende Begriff Orientalischer Tanz betrachtet. Gemeinsam sollen bei den Tänzen, die geographisch ein weitläufiges Gebiet umfassen, die charakteristischen, variantenreichen Bewegungen des Beckens sein, die sie von den meisten anderen Tanzformen unterscheiden. Die aktuell ganz allgemein als Bauchtanz bezeichnete Tanzform bezeichnet einen transkulturellen Aufguss einer weit über unsere Zeitrechnung hinaus andauernden Tanztradition, die ursprünglich ägyptisch sein soll1. Bei der Verbreitung und Weiterentwicklung, bei der Elemente zahlreicher Kulturen aufgegriffen wurden, sollen vor allem Zigeunerinnen auf ihrem Weg von Nordindien nach Südeuropa und Nordafrika die Protagonisten gewesen sein2. Um die sich aus der geographischen Bandbreite ergebende Fülle an möglichen Tanzstilen nun genauer zu identifizieren, sollten wir bei den Ausgewählten zu den arabischen Begriffen Raqs Misri („ägyptischer Tanz“), رقص بلديRaqs Baladi (ägyptischer „Volkstanz“; wörtl. Baladi: „mein Land, meine Heimat“), oder رقص شرقيRaqs Sharqi (Orientalischer Tanz: Bezeichnung für den Kabarettstil) gegriffen. Die vorliegende Arbeit wird sich mit dem Ursprung der Tanzkultur in Ägypten im Vergleich zu fortdauernden ägyptischen Tanzformen wie dem Tanz der Ghawāzī oder dem volkstümlichen Raqs Baladi befassen. Ein weiteres Problem bei der Fragestellung ist die Schwierigkeit der Rekonstruktion von Tänzen nach Bilddarstellungen durch Forscher, da sie oft nur aus ihrem religiösen Zweck heraus zu verstehen sind. Der Ursprung des Tanzes wird oft in dem Fortbestand magischer Mysterien, Fruchtbarkeitsund Fortpflanzungsriten, sinnlicher Muttergöttinnenanbetung, symbolischer Schöpfungsmythen oder simpler Unterhaltung aus uralten Zeiten vermutet. Doch es gibt auch Widersprüche zu den vorgeblichen Ähnlichkeiten zwischen orientalischen Tanzformen und den Darstellungen altägyptischer Tänze in Gräbern aus Pharaonischen Zeiten. Berger sieht keinerlei Beleg hierfür, wendet sich aber auch gegen Irena Lexovas Theorie, den Ursprung des modernen Tanzes nicht im alten Ägypten, sondern bei den späteren Etruskern Italiens zu vermuten. Er schlägt vor, dass zunächst aus Phönizien, dann aus Karthago, und zuletzt aus dem römischen 1 Vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 8f, zit. nach Wood, Leona (1976): Danse du Ventre: A Fresh Appraisal. In: Dance Research Journal, VIII, 2 (Spring/Summer), S. 2, 18f., 23. 2 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx. 6. Auflage. München: Kunstmann, S. 13f. 3 Ägypten stammende Tänzer die Bewegungen weiter westwärts einführten, die viel später beispielsweise Lane in Kairo wiedersah3. 2. Die Verknüpfung von Tanz im Alten Ägypten mit früher Religion In seinen Ursprüngen ist Tanz generell eng mit Ritualen verbunden, die man emotional ungebremst beging; dabei ist ein zelebrativer Aspekt oft grundlegend. Das Wort Tanz soll von dem Sanskritwort tanha („Lebensfreude“) kommen, ähnlich wie das arabische Wort für Tanz, رقص raqs, von dem assyrischen rakadu („sich freuen“) abstammt. Selbst in der heutigen westlichen Kultur, in der der Tanz an den Rand gedrängt wurde, kann man dies noch beobachten. Doch es gibt noch weitere Gründe zu tanzen, wie die Abwehr von Gefahr, Beschwörung der Fruchtbarkeit des Bodens oder die Partnerwahl4. 2.1 Tanz in der Vor- und Frühzeit Schon zu Beginn der Altsteinzeit siedelten am unteren Nildelta Menschen als halbnomadische Jäger und Sammler. In der Jungsteinzeit folgte ein Volk noch ungeklärter Herkunft, wurde allmählich sesshaft und betrieb Viehzucht und Ackerbau5. Sie waren eng mit der Natur und ihren Kreisläufen verbunden, feierten etwa die Wiedergeburt der Natur im Frühling, genauso wie sie Sonne, Mond, Tiere und Pflanzen verehrten. Schon in frühesten Zeiten hat sich die Menschheit mit der Herkunft des Seins, der Geburt des Universums beschäftigt; erst später wurden Naturphänomene durch Mythen erklärt6. Die ersten, aus dem Sudan stammenden hamitischen Siedler mit tiergestaltigen, weiblichen Gottheiten vermischten sich mit einem von Norden einziehenden semitischen Volk, welches menschengestaltige Götter verehrte. Diese siegten letztendlich über die tiergestaltigen; das Matriarchat wurde vom Patriarchat abgelöst und dämonisiert, sodass bis auf Hathor fast nur weibliche Gottheiten böse handelten. Laut C. Sachs zeigt sich der Gegensatz der Geschlechter im Tanz. Der engbewegte Tanz mit seinen binnenkörperlichen Bewegungen wie etwa fruchtbarkeitsbeschwörende Bewegungen des Beckens sei auf den ruhigen Tanz der matriarchalischen Pflanzerkultur zurückzuführen; die weitbewegten, nach außen strebenden und springerischen Elemente seien der vaterrechtlichen Kultur zuzuschreiben7. Vermutlich wurde in der Vor- und Frühzeit hauptsächlich aus religiösen Gründen getanzt: feierliche Handlungen wie Fruchtbarkeits-, Ernte- und Initiationsriten wurden überwiegend von Frauen zur klatschenden oder klappernden Begleitung von Männern tänzerisch begangen. Daneben gab es Jagd- und Kriegstänze, die den Männern eine gute Beute sichern sollten. Sie konnten von Männern, aber auch von Frauen ausgeführt werden. Auch die oft kreisförmigen 3 Vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 9 zit. nach Ohanian, Armen (1923): The Dancer of Shamakha. New York: E.P. Sutton, S. 261 und nach Wood, Leona(1976): Danse du Ventre: A Fresh Appraisal, S. 21; S. 10 zit. nach Berger, Morroe (1961): A Curious and Wonderful Gymnastic…In: Dance Perspectives, 10 (Spring), S.8f.(8). 4 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 21f. 5 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, 6 (Dezember), S. 17. 6 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 22. 7 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 17, zit. nach Brunner-Traut, Emma (1974): Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen. Stuttgart: Kohlhammer und nach Sachs, Curt (1976): Eine Weltgeschichte des Tanzes. Hildesheim/New York: Georg Olms-Verlag. 4 Astraltänze, unter anderem zur Sonnen- oder Mondverehrung8, Tänze zu Ehren der Götter Hathor und Amun, die strengen oder akrobatisch-exstatischen Beerdigungstänze im Zuge des Totenkults und die Tänze der Zwergtänzer (Pygmäen) für die ägyptischen Könige, nach denen vermutlich die Gestalt des Spaß- und Tänzergottes Bes geformt wurde, zählen zu den religiösen Tänzen. Bes hatte eine besondere Affinität zur Welt der Frauen; vermutlich sind Darstellungen von Musikerinnen mit Bes-Tattoos auf den Oberschenkeln von erotischer Bedeutung. Ursprünglich waren Tänze nutzbringend und als Gemeinschaftstänze mit gesellschaftlicher Funktion notwendig. Oft waren sie in Zeremonien Mittel zum Ausdruck von Lebenskraft und für den Lebensprozess. Zahlreiche heute noch erhaltene Darstellungen zeigen, dass Tanzen als Ritual eine wichtige Rolle spielte. Erst später wurden die magischen Kulte zu reinen Schautänzen, wobei der Ursprung oft noch erkennbar ist. Erste Darstellungen von Tänzerinnen, die zugleich Zeugnisse des geschichtlich nicht mehr fassbaren Matriarchats sind, liefert die Neqade 1 und Neqade 2–Kultur in Oberägypten. In dieser Zeit waren Instrumente zur Klangerzeugung bereits bekannt, die sich aus dem dämonenabschreckenden Handklatschen entwickelten: aus einfachen Gegenschlagidiophonen und Stabklappern wurden später Rasseln und Kastagnetten. Der kunstvoll gearbeiteten Form der Klapperinstrumente wurde eine magische Wirkung zugeschrieben, die wichtiger war als ihr Klang9. 2.2 Tanz in Zusammenhang mit Göttinnenverehrung und Geburt Die Geburt muss für die Menschen ein geheimnisumwobener, heiliger Vorgang gewesen sein. Vor allem früher war sie mit großer Gefahr und Verlust von Kontrolle verbunden. Auch belegen künstlerische Darstellungen, dass schon früh ein Zusammenhang zwischen Geschlechtsakt und Geburt hergestellt wurde, obgleich die Rolle des Mannes dabei unklar war. So wurde noch im klassischen Griechenland (etwa von 500 bis 200 v.u.Z.) die medizinische Ansicht vertreten, die Befruchtung käme aus der Frau selbst, indem Samen aus in ihrem Körper vorhandenen Hoden in die Gebärmutter gelangten. Offensichtlich wurde Fortpflanzung zunächst vor allem als Frauensache verstanden. Die Erkenntnisse über die menschliche Fortpflanzung wurden vielleicht aus Beobachtungen von Parallelen der Tierwelt, beispielsweise aus der Tierzucht gezogen, und auch mit der Fruchtbarkeit der Erde in Verbindung gebracht. Hierbei kann auch eine Rolle gespielt haben, dass Frauen der frühen Gemeinschaften in der Landwirtschaft arbeiteten, was zu dem Glauben führte, sie besäßen eine magische Gabe, durch die das Getreide wuchs. Vermutlich wurde das weibliche, schöpferische Prinzip vor dem männlichen verehrt. Manche Funde von Göttinnen-Statuetten, die die Vorstellung einer Muttergöttin als Hervorbringerin allen Lebens widerspiegeln, werden auf bis zu 50.000 Jahre alt geschätzt. Vermutlich wurden Frauen aufgrund ihrer geheimnisvollen schöpferischen kraft sowohl geachtet als auch gefürchtet. Weiblichen Gottheiten und mit ihnen der weiblichen Sexualität wurde ein lebensher8 Sachs schreibt den Mondtänzen einen matriarchalen, den Sonnentänzen einen patriarchalen Hintergrund zu. Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 18, zit. nach Sachs, Curt (1976): Eine Weltgeschichte des Tanzes. 9 Vgl. Ebd., S. 17f.; vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 22; vgl. Manniche, Lise (1988): The Erotic Oboe in Ancient Egypt. In: Vogel, Martin (Hrsg.): The Archeology of Early Music Cultures. (Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik) Bonn: Verlag für systematische Musikwissenschaft, S. 196f. 5 vorbringender, fruchtbarer Aspekt, aber auch eine bedrohliche, aktive Macht zugeschrieben. Erst später wurde das Prinzip des Göttlichen als männlich verstanden, oft erfuhren Göttinnen eine Metamorphose sowie eine Geschlechtsänderung, bevor im Monotheismus alle Vorstellungen in einer einzigen männlichen Gottheit zusammengefasst wurden. Tanzen beinhaltete früher vor allem einen imitativen Aspekt. Vermutlich dienten Zeremonien mit Tänzen, die durch Bewegungen des Beckens eine Imitation des Geschlechtsaktes oder auch der Geburt waren, zur Anregung der Fruchtbarkeit. Dabei verfolgte der Tanz eher einen magischen als einen sexuellen Zweck. C. Sachs führt zeitgenössische Beispiele für Tänze mit ähnlichen Funktionen, beispielsweise in Westafrika, auf. Jedoch kann man die Sexualität hier nicht von dem Kult trennen, da der Geschlechtsakt früher als heilig galt und sogar eine Pflichterfüllung zur Gattungserhaltung beinhaltete10. In einigen Gegenden der Welt sind Geburtstänze, um Fortpflanzung und neues Leben zu zelebrieren oder aber auch zur Geburtsvorbereitung, bis heute verbreitet. Wendy Buonaventura erwähnt einen Artikel in der Zeitschrift Arabesque, in der die amerikanische Tänzerin Carolina Varga-Dinicu über eine Unterhaltung mit der saudi-arabischen Tänzerin Farab Firdoz berichtet, die die These vertritt, Bauchtanz sei aus dem Geburtstanz hervorgegangen, den unter anderem der Stamm ihrer Großmutter praktizierte. Zum einen diente der Tanz zur Schmerzverminderung bei Wehen und Geburtsvorgang, zum anderen zelebrierte man die Geburt anschließend durch weitere Tänze, wobei eine kunstvolle tänzerische, mimische Wiederholung der Geburt stattfand. Carolina Varga-Dinicu habe 1967 in einem marokkanischen Dorf das Gleiche erlebt11. Der Zweck wird hierbei als religiös bezeichnet; somit scheint diese Theorie den Geburtstanz in Zusammenhang mit einem Fruchtbarkeitskult zu setzen. Dass Beckenbewegungen tatsächlich zur Schmerzminderung und als geburtsbegleitende Technik seit Jahrhunderten bei natürlichen Geburten angewendet werden, könnte ein weiterer Hinweis auf eventuelle Ursprünge in instinktiven Bewegungen als natürliche Reaktion auf die Wehen sein. Zudem hockten oder knieten Frauen früher üblicherweise während des Geburtsvorgangs, was eine mimische Darstellung durch die Bodenarbeit während eines Tanzes nahelegen könnte12. 2.3 Die Rolle der Schlange im Kult Bevor der Schlange im männlich-zentrierten Juden- und Christentum vor allem negative Eigenschaften zugeschrieben wurden, war sie jahrtausendelang mit dem Göttinnenkult verbunden. Sie symbolisierte Wachstum der Vegetation, die traditionell als weiblich geltende visionäre Kraft und wegen ihrer Häutung Unsterblichkeit. Auf Kreta, wo der Göttinnenkult die höchste Entwicklung erreichte, ist ein Tanz, der das Kriechen einer Schlange imitiert, belegt. Dies stützt die Vermutung, dass einige windungsartige Bewegungen aus dem Bauchtanz auf die Imitation von Schlangen im Zuge der Göttinnenverehrung zurückzuführen sind13. 2.4 Der Kulttanz zu Ehren der Göttin Hathor 10 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 23f. Vgl. Ebd., S. 159. 12 Vgl. Ebd. S. 160f. 13 Vgl. Ebd. S. 30, mit einem Verweis auf And, Metin (1976): A Pictorial History of Turkish Dancing. Ankara: Dost Yayinlari, S. 21. 11 6 Hathor stand als Himmelsgöttin mit ausgeprägt mütterlichen Zügen in engem Zusammenhang mit dem Himmels- und Königsgott Horus. Sie galt auch als Göttin der Liebe, der Freude, des Tanzes und der Musik, und besonders in Theben als Totengöttin, jedoch auch als Verderben bringend. Ursprünglich wurde sie als Kuh verehrt und dargestellt, später verschmolz sie mit der Göttin Isis und wurde als Frau mit den charakteristischen, die Sonnenscheibe umfangenden Rinderhörnern, dargestellt. Sie wurde später auch von den Griechen verehrt14. Hathortänze, die ursprünglich Fruchtbarkeitstänze waren, ziehen sich in verschiedenen Variationen durch alle Reiche. Die Herkunft aus der Pflanzerkultur zeigt sich vor allem in der Ausformung als Sprungtanz: je höher der Sprung des Tänzers, desto höher das Korn. In noch älteren Kulturen zeigt sich das Motiv anders: Frauen antworteten auf jedes Stampfen der Männer mit den Füßen oder einem Stab auf die Erde mit einem Schrei. Auch der Weitschritt beim „ekstatischen Tanz“ scheint ein Motiv des Wachstums zu sein und wird in Ägypten bei Totenfeiern verwendet, aber auch von anderen Kulturen bei Ernte- und Lebenserneuerungstänzen. Er steht bei dem in seiner Aufstellung genau festgelegten Iba-Tanz im Gegensatz zum ruhigeren Schreittanz und wird heute noch in ähnlicher Ausführung bei den Niloten getanzt, wobei die erhobenen Arme Rinderhörner symbolisieren sollen. Das Rind war als ein ihr heiliges Tier ein Element des Hathorkultes15. Der Spiegeltanz diente dazu, der Schönheit der Göttin zu huldigen. Dabei hielten die Mädchen eine Holzklapper in Handform als Symbol für Hathors Hand sowie einen Spiegel, der ebenfalls die Göttin symbolisierte. Die Klappern wurden während des Tanzes aneinandergeschlagen und vom Stampfen der Füße und Rasseln von Tonkugeln in den Zöpfen der Mädchen begleitet; vermutlich wurde auch gesungen16. Bis ins Neue Reich wurden für diesen Kult nur klappernde und rasselnde Instrumente benutzt. Im Mittleren Reich wurden die simplen, bumerangförmigen Klappern durch Sistren in Handform, Elfenbeinklappern und Rasselschmuckstücke in anderen kunstvollen Formen ersetzt. Das Menat beispielsweise war ein Kultgegenstand, von dem man annimmt, dass er Tänzerinnenschmuck oder ein weibliches Symbol war, mit dem man rhythmisch begleiten konnte. Sistren gehörten in unterschiedlichen Formen und aus Materialien wie Elfenbein, Metall und Holz bis in die Spätzeit zu den Hathor-Kultgeräten17. Der Ursprung des ägyptischen Sistrumspiels scheint im Fruchtbarkeitsritus und Wasserzauber zu liegen. Es war eine rhythmische Begleitung zu Gesang und Rezitation beispielsweise während eines Opferrituals. Dabei war das Spiel eine Kunst und musste, wie auch das Klatschen, als Kulttätigkeit erlernt werden. Das Sistrum verfügte nur über eine begrenzte Klangkraft, 14 Vgl. Isis. In Gaede, Peter Matthias (Hrsg.) (2007): GEO Themenlexikon Religionen. Mannheim: Bibliographisches Institut, S. 276f.; vgl. Hathor. In: Ebd., S. 231; vgl. Hathor. In: Brockhaus (Hrsg.) (1989): Brockhaus Enzyklopädie. 19. Auflage. Mannheim: F.A. Brockhaus, S. 523. 15 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 18ff., zit. nach Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten. Leipzig: VEB Deutscher Verlag für Musik. 16 Vgl. Ebd. 17 Vgl. Ebd. 7 hatte aber eine erotisch-symbolische Bedeutung; später wurde es nicht mehr als Klang-, sondern als Lärmgerät benutzt18. Desweiteren gab es den akrobatischen Tanz zu Ehren der Hathor, aber auch anderer Gottheiten, der mindestens im Alten Reich entstand und im Mittleren Reich weiterentwickelt wurde. Dabei zeigen Tänzerinnen, von Handklatschen und Fingerschnalzen begleitet, die Biegsamkeit ihres Körpers. Das Neue Reich verhalf diesem Tanz zu voller Entfaltung: man sieht nun oft den Überschlag vorwärts oder rückwärts in der Endphase, sodass er als akrobatische Übung der „Brücke“ ähnelt. Auch Amunpriester ließen sich ähnliche Kunststücke vorführen, wobei neben religiösen Zwecken deutlich ein unterhaltender Aspekt hervortritt19. Während die bisher erwähnten Hathor-Tänze allein von Frauen ausgeführt wurden, findet man im Mittleren Reich auch einen Beleg eines Doppel-Paartanzes, der wohl die Vereinigung des Sonnengottes mit der Himmelsherrin Hathor bedeutet. Laut E. Brunner-Traut verliert der Tanz bis ins Neue Reich und darüber hinaus seinen Ursprung als Fruchtbarkeitsritus nicht20. Nicht zu vergessen ist, dass in Ägypten Musik mit Erotik verknüpft war, wobei sich Ägypter bei der Darstellung einer zunächst diskret erscheinenden Bildsprache bedienten, die zunächst entschlüsselt werden muss. Zudem war bei ihnen der Glaube an Wiedergeburt und ein ewiges Leben sehr stark. Um diese zu erhalten, musste erneut ein Erzeugungsakt stattfinden, wozu die Anwesenheit einer körperlich-sexuellen Kraftgröße vonnöten war. Der erotische Charakter an den Darstellungen in Grabwänden wurde in das Gewand alltäglicher Szenen, wie beispielsweise Gastmahlszenen im Hause eines hohen Beamten, gekleidet. Erst die Analyse von Details wie Lotusblumen, Süßspeisen, halbtransparenter Kleidung und Gießen von Bier und Wein entlarvt den Gedanken an Wiedergeburt und Sexualität. Bei jeder Bankettszene gibt es Musik; sie war bei der Darbringung von Opfern von großer Bedeutung. Vermutlich war der Aspekt des Übergangs eines dinghaften Objekts, wie etwas zu essen oder ein Musiker mit Instrument, in etwas spirituelles, immaterielles wie die Ernährung im Jenseits oder Musik, wichtig. Die Darstellungen symbolisierten die Transformation. Die fortwährende Ernährung von Verstorbenen sowie von Göttern war eine Eigenschaft der Opferung21. 2.5 Tanz im Alten Reich (2260 bis 2134 v.u.Z.) Darstellungen zeigen, dass im Alten Reich der Tanz bereits eine ästhetische, nichtreligiöse Funktion hat. Schreittänze mit einem strengen, kultischen Charakter wurden bei verschiedenen Gelegenheiten getanzt, unter anderem beim Totenkult, vor allem in der Pharao-Residenz und weniger in der Provinz. Die provinziellen Tänze, auch nichtreligiöse, wirken weniger formelhaft und festgelegt22. 18 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 18ff., zit. nach Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten; vgl. Manniche, Lise (1988): The Erotic Oboe in Ancient Egypt. In: The Archeology of Early Music Cultures, S. 191. 19 Brunner-Traut, Emma (1958): Der Tanz im Alten Ägypten nach bildlichen und inschriftlichen Zeugnissen. Glückstadt, Hamburg, New York: J.J. Augustin, S. 48f. 20 Vgl. Ebd., S. 41f.; vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 20, zit. nach Brunner-Traut, Emma. 21 Vgl. Manniche, Lise (1988): The Erotic Oboe in Ancient Egypt. In: The Archeology of Early Music Cultures, S. 190f. 22 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 22, zit. nach Brunner-Traut, Emma (1974): Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen. 8 In der Vierten Dynastie gab es bereits angestellte Berufstänzerinnen, beispielsweise um für den Gastgeber während eines Festessens aufzutreten. Einige Musikerinnen sind namentlich überliefert und die Sängerin Iti der fünften Dynastie muss zu ihrer Zeit sehr bekannt gewesen sein. Auch bei Darstellungen von „Tänzen beim Gastmahl“ sind sämtliche Elemente der strengen, akrobatischen und Sprungtänze, also religiöser Tänze, zu finden. Neu ist die Ersetzung einfacher Begleitung durch Klatschen oder Sistrenschlagen durch vielfältige Instrumente wie Harfen, Flöten und Lauten, die es für Tänzerinnen zur Selbstbegleitung in einer leicht handhabbaren Variante gab. Später wurden Instrumente wie Oboen und Leiern importiert. Vermutlich symbolisiert die Oboe, die zum ersten Mal zu Beginn der 18. Dynastie um 1580 v.u.Z. auftaucht, mehr als alle anderen Instrumente Gefühle erotischen Verlangens. Als Perkussionsinstrumente dienten neben den bereits erwähnten Rasseln und Klappern verschiedene Trommeln, Becken, Gabelbecken, Glöckchen, Schellen sowie eine besondere Art von Tanzschmuck23. Laut E. Brunner-Traut konnten sich eine Tanzvorstellung jedoch nur Königskinder leisten und vermutlich unterhielt der Hof allein einen eigenen Harem mit Tänzerinnen24. 2.6 Männertänze Darstellungen bei Ernteszenen zeigen eine Art Knaben-Reigen, der von jungen Männern zum Stabklapperspiel aufgeführt wurde und einen Prozessionscharakter aufweist. Das Stabklapperspiel ist als musikalische Begleitung noch heute in ganz Ägypten verbreitet, etwa bei bestimmten Beduinenstämmen. Auch eine reigenartige Paartanzversion des Schreittanzes wurde wohl vor allem von Männern getanzt. Im Zusammenhang mit Begräbnisriten gab es sowohl Männer- als auch Frauentänze. So gab es bereits im Neuen Reich den noch im heutigen Ägypten vorhandenen Tanz der Klageweiber, die professionell angeheuert wurden25. 2.7 Tanz im Mittleren Reich (2040 bis 1660 v.u.Z.) Auch aus dem Mittleren Reich sind die Namen herausragender Musiker/innen und Sängerinnen überliefert. Ab der sechsten Dynastie trugen Tänzerinnen die Kugelzopftracht, die im Mittleren Reich jedoch eher bei Akrobatinnen zu finden war. Tänzerinnen trugen einen vorne geöffneten Schurz oder waren nackt. Im Unterschied zur allgemeinen Frauentracht sollte ihre Tracht die Reize des Körpers hervorheben und weniger verhüllend sein, um die Bewegungen nicht zu hemmen. Nur in der Residenz ist, wenn auch selten, das übliche lange Gewand auch bei Tänzerinnen zu finden. Gelegentlich findet man über der Brust getragene gekreuzte Bänder, die wie der Hüftgürtel, der im Neuen Reich auf dem nackten Körper getragen wurde, als 23 Vgl. Ebd., S. 18, 20, 23, zit. nach Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten; vgl. Manniche, Lise (1988): The Erotic Oboe in Ancient Egypt. In: The Archeology of Early Music Cultures, S. 191. 24 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 20, zit. nach Brunner-Traut, Emma (1974): Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen. 25 Vgl. Ebd., S. 20, 22, zit. nach Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten; vgl. Brunner-Traut, Emma (1958): Der Tanz im Alten Ägypten nach bildlichen und inschriftlichen Zeugnissen, S. 47. 9 erotische Tanzutensilien verwendet wurden26. Die heutige Assoziation des Orientalischen Tanzes mit einem Zweiteiler aus BH und geschlitztem Rock als Kostüm geht auf das VariétéKostüm des Kabaretts zurück, das lediglich orientalische Aspekte zu kommerziellen Aspekten adaptiert hat. Dabei trugen historisch gesehen Tänzerinnen des Volkstanzes, abgesehen von den frühen Nackttänzen, oft sehr viel mehr Kleidung. 2.8 Tanz im Neuen Reich (1559-1085 v.u.Z.) Das Neue Reich gilt als das weltlichste. Der neuartige „schöne Tanz beim Gastmahl“ zeigt hübsche Mädchen, die einen wiegenden, anmutigen und engbewegten Tanz vorführen. Brunner-Traut unterscheidet drei Arten des Gastmahls: nur beim weltlichen Bankett sind Musik und Tanz zu sehen, während das kultische Mahl weder tänzerisch noch musikalisch und das in regelmäßigen Abständen im Grab wiederholte Mahl zur Ehre des Verstorbenen nur musikalisch begleitet wird. Dabei ist es schwer, in der Darstellung einen Unterhaltungs- von einer Kultfunktion zu trennen. Im Neuen Reich begann ein reger kultureller Austausch der Völker der Mittelmeerländer, sodass sowohl vermehrt kleinasiatische Tänzerinnen und Musiker in Ägypten erschienen, als auch Ägypter andere Gegenden bereisten, was vielleicht die Entwicklung des Tanzes beschleunigte. Gab es zuvor nur formell streng geregelte und traditionsgebundene Gruppentänze, zeichnet sich nun die Entwicklung zu einem Solotanz mit improvisatorischen Elementen ab, bei dem die Mitwirkenden eine untergeordnete Begleitfunktion übernehmen. Zu einer gleichfalls improvisierten Melodie tanzen die Solistinnen kokett und gestisch-expressiv, ohne sich selbst zu begleiten. Die Bewegungen sind nun biegsamer, weicher, schwingender und umfassen den ganzen Körper. Oft tragen die nackten Mädchen neben dem Hüftgürtel Stirnbänder, Ohr- und Armschmuck und den Perlenkragen. H. Hickmann deutet um 1966 eine Grabmalerei der achtzehnten Dynastie als ersten Nachweis des heute so bezeichneten orientalischen Tanzes, der sich im Laufe der Zeit vom ursprünglichen Fruchtbarkeitsritus zum erotisch betonten Solotanz entwickelt hatte. Auf dieser sind tanzende Mädchen nackt und in realistischen Posen neben Oboenspielerinnen in Leinengewändern mit den Parfümkegeln auf der kunstvollen Frisur abgebildet. Diese Fettballen zerflossen bei zunehmender Hitze und tränkten das durchsichtige Gewand mit Duftölen. Die Tänzerinnen begleiten sich mit Knack- oder Schnalzgeräuschen der Hände; erst später wurden hierzu die auch heute verwendeten Zimbeln aus Metall benutzt. Die Art der Darstellung zeigt die gesellschaftliche Überlegenheit der Musikerinnen in Bezug auf die Tänzerinnen. Eine erotische Bedeutung ist offensichtlich. Der beigefügte Text, der von der Fruchtbarkeit des Wassers und der jährlich stattfindenden Nilüberschwemmung handelt, bestärkt Hickmann in seiner Interpretation. E. Brunner-Traut hatte die Verwandtschaft altägyptischer Tänze mit den auf ähnlichen Festen stattfindenden heutigen 1958 stark angezweifelt27. In Amarna zu Echnatons Zeit und Theben finden sich Nachweise von öffentlichen Tänzen nicht nur zu den großen religiösen Volksfesten zu Ehren zahlreicher Götter oder zum Neu26 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 19, zit. nach Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten. 27 Vgl. Ebd, S.24, zit. nach Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten; vgl. Brunner-Traut, Emma (1958): Der Tanz im Alten Ägypten nach bildlichen und inschriftlichen Zeugnissen, S. 47, 61f., 65, 68; vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 126f. 10 jahrsfest. Offenbar nutzten schon damals Ägypter gerne einen Anlass zum feiern und tanzen28. 3. Tanz und Islam Heute wird orientalischer Tanz untrennbar in Zusammenhang mit der Kultur des muslimischen Nahen Ostens in Zusammenhang gebracht. Dabei ist zu bedenken, dass der Islam die jüngste „Weltreligion“ ist, während der Tanz als einer der ältesten der Menschheit gilt, und beispielsweise Ägypten erst im siebten Jahrhundert islamisiert wurde. Der Tanz ist also älter als die heute vorherrschende Religion. Im Islam drückt sich der vollendete Wandel von der matriarchalischen zur patriarchalischen Kultur aus, sowie, was den Tanz betrifft, ein Imagewandel. Als allumfassende Religion erfasst er alle Bereiche der menschlichen Erfahrung inklusive der Künste und Kultur. Er wandte sich, wie auch Juden- und Christentum, als Monotheismus gegen den Göttinnenkult. Jedoch ist ein wichtiges Charakteristikum für die Verbreitung des Islam auch, dass er gleichzeitig alte Bräuche tolerierte. Durch ein Verbot des Tanzes zwischen den Geschlechtern sollte die Verehrung der Gottheiten, wie etwa der syrophönizische Kult für die Göttin Aschtoret, unterbunden werden29. In der matriarchalischen Kultur war die Vaterschaft noch unwichtig, wodurch Frauen anscheinend eine wesentlich größere sexuelle Selbstbestimmung hatten, als es heute im Allgemeinen in muslimischen Ländern der Fall ist, beispielsweise freie Wahl des Sexualpartners und sofortige Wiederheirat nach einer Scheidung. Erst das Patriarchat machte die Möglichkeit der Rückverfolgung der männlichen Erblinie notwendig, wodurch die Vaterschaft eine wesentliche Bedeutung erlangte und die Einschränkung weiblicher Sexualität notwendig machte. Sie sollte nun jeweils nur auf einen Mann bezogen werden. So muss nach islamischem Recht eine geschiedene Frau vor der Wiederheirat mehrere Monate warten, um eine Schwangerschaft durch ihren Ehemann auszuschließen. Eine Ausnahme stellen bei der Islamisierung, die vor allem bei sesshaften Gemeinschaften im Bewusstsein verankert wurde, Nomadenstämme wie die Beduinen dar, die viel eigenes Brauchtum beibehielten30. Tänzerinnen wurden im Islam niemals mit Wohlwollen betrachtet. Zum einen verletzten sie Gesetze, die die Stellung der Frau in der islamischen Gemeinschaft betreffen, die wiederum eng mit der Rolle der weiblichen Sexualität zusammenhängt. Der Islam geht davon aus, dass der Sexualtrieb in beiden Geschlechtern gleich stark ist und schreibt ihm eine potentiell zerstörerische Macht zu, die eine Kontrolle notwendig macht. Die Befriedigung der männlichen Sexualität ist notwendig, um die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten; Frauen werden in einer patriarchalen Gesellschaft hierbei als größte chaosverursachende Bedrohung angesehen. Auch Prostitution wird als Quelle von Chaos gesehen. Das sexuelle Begehren gilt traditionell als Band zwischen den Geschlechtern, obwohl die romantische Liebe als Ideal 28 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 24, zit. nach Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten; vgl. Brunner-Traut, Emma (1958): Der Tanz im Alten Ägypten nach bildlichen und inschriftlichen Zeugnissen, S. 68ff. 29 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 30, zit. nach And, Metin (1976): A Pictorial History of Turkish Dancing. Ankara: Dost Yayinlari, S. 21. 30 Vgl. Ebd., S. 99f. 11 bereits durch die alte arabische Lyrik geistert.31 Die Verbergung der weiblichen sexuellen Attraktivität wurde somit notwendig. Der im Mittelmeerraum uralte Brauch, den Körper durch Schmuck und Kosmetik zu betonen, wurde zwar nicht aufgehoben, jedoch auf den privaten Raum verlegt. Körperpflege und Schmuck sollen in der Öffentlichkeit möglichst unter dem Schleier verborgen bleiben. Somit sind Tänzerinnen umso beunruhigender, als sie die Aufmerksamkeit direkt auf ihre Sexualität lenken32. Lane schreibt in einem etwa hundert Jahre alten Reisebericht: „Viele Leute aus Kairo behaupten oder sind überzeugt davon…, dass der Tanz der Ghawazi nichts Anstößi-ges an sich hat, außer der Tatsache, dass er von Frauen vorgeführt wird, die sich nicht so in der Öffentlichkeit zur Schau stellen sollten.33“ Hier kann man auch einen Hinweis auf die Achtung des Tanzes als Volkskunst sehen, der wie die Musik eigentlich gesellschaftlich sogar unentbehrlich ist. Auch das musizieren gilt im Islam als unschicklich. Es birgt, wie auch Frauen, die Gefahr einer Ablenkung und unterliegt neben dem Tanz als erotische Kunst der Zensur. Dies hängt wohl, neben dem traditionell niedrigen gesellschaftlichen Stand der sie Ausführenden, mit ihrer sinnlichen Natur zusammen, die zu „unmoralischen“ Praktiken wie Alkoholkonsum bei Musikern führte. Dieser Grundsatz wurde jedoch von Anfang an fröhlich verletzt, wobei sowohl alte Traditionen gepflegt als auch musikalisches Gut ausgetauscht wurden, und auch viele Kalifen ließen sich gerne dadurch unterhalten. Musik wurde seit dem Mittelalter von arabischen Ärzten sogar zu therapeutischen Zwecken angewendet. Letztendlich weisen islamisierte Gegenden, wie auch Gegenden, in denen andere Religionen vorherrschen, nur die gleichen Widersprüche zwischen Glauben und Praxis auf. Allerdings haben die zur Pharaonenzeit üblichen Musikerinnen und die ʽawālim des 18. und 19. Jahrhunderts heute den überwiegend männlichen Musikern, bei denen Improvisation verbreitet ist und die auch Berufstänzerinnen begleiten, das Feld geräumt. Lediglich islamische ‚Mystiker‘, die Sufis, nutzen sowohl Musik als auch Tanz als Mittel zur Kommunikation mit Gott, etwa um die Seele in einen ekstatischen Zustand zu versetzen. Sie glauben, Musik symbolisiere den Existenzzustand vor der Trennung von Gott34. Zum anderen hängt das schlechte Ansehen von Tänzerinnen mit gesellschaftlichen Gründen zusammen, denn Tänzer sind historisch gesehen Angehörige eines niederen Berufsstandes und wurden noch schlechter angesehen als die Musiker. Schon der vornehme Ägypter der Pharaonenzeit tanzte nicht selbst aus Vergnügen, sondern ließ sich unterhalten. Der Begriff der Tänzerin schien früh ein Unterbegriff von „Haremsfrau“ zu sein, denn im Harem hatten die Frauen nach Begabung verschiedene Aufgaben und Berufstänzerinnen und Sängerinnen gehörten als geachtete Gruppe mit eigenen Aufsehern, Lehrern und Zeremonienmeistern dazu. Obgleich tanzende Frauen bis heute bei orientalischen Festen unabdingbar sind, ist Tanz historisch gesehen eine Sklavenkunst, die Frauen nur dann auszuführen gezwungen waren, wenn ihr Mann sie nicht ernähren konnte, während die weibliche soziale Oberschicht, deren Ehemänner eine Unterhalterin zu bezahlen in der Lage war, stillsaß. Außerdem wird oft angenommen, dass Tanz und Prostitution zusammenhängen. Beides sind Arbeitsmöglichkeiten, 31 Precht interpretiert die heutige Vorstellung romantischer Liebe als Erfindung der Romantik in Europa. Vgl. Precht, Richard D. (2009): Liebe. Ein unordentliches Gefühl. München: Wilhelm Goldmann Verlag, S. 274f. 32 Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 99, 101-104. 33 Vgl. Ebd., S.103, zit. nach Lane, Edward W.: The Modern Egyptians, Bd. 2, S.101. 34 Vgl. Ebd., S. 102f., 126ff.; vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1996): Tanz im Iran. In: TANZOriental, 4 (August), S. 20. 12 bei denen ungebildete Frauen in finanzieller Not relativ viel Geld verdienen können. Obwohl nicht nur Frauen im privaten Raum jede Gelegenheit zum Tanz wahrnehmen, wird die Wahl des Tänzer- oder Tänzerinnenberufs aus reiner Freude an der Tätigkeit in konservativen Kreisen kaum verstanden35. 4. Tanz im Harem Obwohl vor allem der herrschaftliche Harem eine der gängigsten westlichen Assoziationen mit dem Islam darstellt, bleibt die Entstehungszeit unklar, eine Existenz in vorislamischer Zeit im Nahen Osten ist gut möglich, ebenso wie die Institutionalisierung zum Schutz der Frauen durch die Bildung von Städten. Harems mit Tänzerinnen sowohl des menschlichen Herrschers, später auch der hohen Würdenträger, als auch der Götter, selbst der Göttinnen und in der Spätzeit sogar der heiligen Tiere, wurden bereits zur Pharaonenzeit belegt. Zumindest verhalfen die Harems zur Zeit des ersten Kalifats (nach dem Tod Muhammads 632 u.Z.) dem Orientalischen Tanz zu voller Entfaltung und der Mystik einer Praxis im Verborgenen. Harem bezeichnet im Zuge der Geschlechtertrennung den häuslichen Bereich der Frauen, in dem sie auch Kinder aufziehen. Die Herkunft des Wortes (arabisch haram „verboten“ von dem Sanskritwort h’rim „Eintritt verboten“) hat einen Beiklang von heilig und geschützt, der in der türkischen Bezeichnung haremlik („heilige Stätte“) direkt zum Ausdruck kommt. Im Harem spielt als Unterhaltung der Tanz eine wesentliche Rolle36. Da Beduinenfrauen aufgrund ihres eigenen Brauchtums größere Freiheiten genossen, verschleierten sie sich nicht und konnten im Falle einer hohen Herkunft ihren Mann mitunter frei wählen. Tanz war bei Beduinen von hoher Bedeutung und es kann sein, dass unverheiratete Mädchen im privaten Raum des Harems für einen Verehrer, dem sie gewogen waren, vortanzen konnten. Eine noch stärkere erotische Note haftet dem Tanz in den luxuriösen Sultanharems des osmanischen Reiches an, der von Reisenden als lasziv und voller sexueller Anspielungen beschrieben wurde. Ägypten war von 1517 bis 1882 Bestandteil des osmanischen Reiches, bis auf eine kurze Zeit der französischen Regierung unter Napoleon Bonaparte. Der Harem eines Sultans war ein abgeriegelter Ort, an dem ausgewählte Mädchen als seine Konkubinen lebten und gezielt ausgebildet wurden, in der Regel ohne die Möglichkeit, Ausgang zu erhalten. Die Bediensteten des Sultans waren entweder Eunuchen oder Kastraten und selbst seine Söhne mussten mit Beginn der Pubertät von dort umziehen. Da Frauen im osmanischen Reich als „frei“ betrachtet wurden, der Islam die Versklavung eines Muslims verbietet, wurden Mädchen während der Zeit der Eroberungen aus nicht-islamischen Gegenden herbeigeholt. Für die Eltern der Mädchen stellte die Möglichkeit, ihre Tochter als Sklavin in einen solchen Harem zu bringen, oft die größte Hoffnung dar, denn sie war dort beschützt, erhielten Nahrung, Kleidung und eine umfassende Ausbildung; und falls der Sultan auf sie aufmerksam wurde, bestand immerhin die Möglichkeit, dass sie in den Rang einer Sultana erhoben wurde. Auch wenn aufgrund strikter Gesetze selten eine Konkubine zur offiziellen Ehefrau des Sultans erhoben wurde, waren doch alle Sultane Söhne von Sklavinnen. Somit war 35 Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 23, zit. nach Brunner-Traut, Emma (1974): Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen; vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 99, 102, 104f. 36 Vgl. Ebd., S. 23, zit. nach Brunner-Traut, Emma (1974): Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen, vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 61f. 13 der Sultansharem für das osmanische Reich „das Institut, um Herrscher zu erzeugen37“, mit strengen Regeln und Hierarchien; die Sultansmutter stand in der Hierarchie an der Spitze und erhielt ein enormes Einkommen. Viele Geschichten ranken sich um die Mütter, die ihren Sohn durch Intrigen auf den Thron bringen wollten, um so selbst an Macht zu gewinnen. Somit war der Harem wohl kaum, wie in der westlichen Orientfantasie, lediglich ein Ort des Vergnügens des Sultans. Doch vielleicht hat die Legendenbildung mit der Unterhaltung durch Künste an diesem Ort zu tun. Mädchen, die in solche Harems kamen, zählten sogar zu den gebildetsten Frauen, wobei Tanz wie auch Dichtung und Gesang eine erotische Kunst darstellte. Doch die Frauen, an diesen luxuriösen Orten sich selbst überlassen, tanzten auch füreinander, wobei Tanz Mittel zum sexuellen Ausdruck sein konnte. Nicht selten verbrachten sie ihr Leben im Harem, ohne dass der Sultan je auf sie aufmerksam wurde. Einige Reiseberichte weisen sogar auf sexuelle Beziehungen der Frauen untereinander und mimische Darstellung des Geschlechtsakts durch Übernahme der Männerrolle hin. Hierbei war die Abgeschiedenheit von Männern aufgezwungen, und auch heute findet im Nahen Osten oft Tanz im privaten Raum nur unter Frauen statt. Dabei ist er als Volkskunst immer noch sehr lebendig, Kinder wachsen damit auf und lernen ihn durch Nachahmung, immer wenn Frauen zu geselligen Anlässen zusammenkommen38. 5. Die Ghawāzī Als Ghawāzī, Sg. Ghāziya غجرwerden in Ägypten Frauen bezeichnet, die ihren Unterhalt traditionell als öffentliche Tänzerinnen verdienen und so vermutlich teilhaben an der altägyptischen Tanztradition. Historisch gesehen handelt es sich um die wohl berühmtesten und umstrittensten der ägyptischen Tänzerinnen. Berichten zufolge traten sie unverschleiert, geschmückt und geschminkt auf; ihre Hände und Füße waren mit Henna verziert und sie führten einen ihnen eigenen Tanzstil vor. Ghawāzī traten meist zu mehreren auf und verfügten über ein breites sowohl improvisiertes als auch choreographiertes Tanzrepertoire. Lane beschreibt ihre Vorstellung als sehr lasziv und hielt sie für gewöhnliche Prostituierte; auch anderen Quellen zufolge schien dies oft der Fall zu sein. Laut Lane schrieben im 19. Jahrhundert sowohl sie selbst als auch ihr Umfeld den Ghawāzī eine andere, sie sowohl von anderen Ägyptern als auch von anderen ägyptischen Tänzern unterscheidende Herkunft als eigene Bevölkerungsgruppe oder Stamm zu, die generell innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft heiratete. Diese bleibt jedoch ungeklärt; die begrenzten Informationen scheinen oft widersprüchlich. Generell sind die Begriffe Ghawāzī, ʽawālim und Ghagar durcheinandergeraten und erscheinen austauschbar, was die Auswertung der Quellen schwierig macht. Die Ghawāzī gelten als Zigeunerinnen. Walker stellt für verschiedene orientalische Länder unterschiedliche Bezeichnungen für diese Gruppe der Bevölkerung zusammen, die wie in Europa oft geringschätzig betrachtet wird. In Ägypten nennt er die Bezeichnungen Nawarī (Pl. Nawar) (auch Nūrī) sowie Ghagar und Ḥalabī (Pl. Ḥalab) für unterschiedliche Stämme. Generell nehmen Zigeuner offiziell die Religion ihrer Umgebung an, bekennen sich also in Ländern wie Ägypten oder 37 Kelek, Necla (2006): Die fremde Braut. 9. Auflage. München: Wilhelm Goldmann Verlag, S. 54. Vgl. Ebd., S.47, zit. nach Mernissi, Fatima (1987): Geschlecht, Ideologie, Islam. München: Frauenbuchverlag; S. 46, 48, 54ff. ; vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 64-67. 38 14 der Türkei zum Islam, obwohl ihnen abwertend ein abergläubisches Brauchtum nachgesagt wird. Im englischsprachigen Raum wird den Gipsies eine ägyptische Herkuft zugeschrieben39. Berichten zufolge hatten einige der Frauen ein großes Vermögen gemacht. Sie waren in fast jeder großen Stadt Ägyptens zu finden und zogen oft von einer Stadt zur anderen, wo sie zu religiösen oder anderen Festen auftraten. Von Reisenden wurden sie oft mit den ʽawālim (Sg. ʽālima, im ägyptischen Arabisch ʽālme, ʽālime: „gebildete Frau“) verwechselt; Lane unterscheidet sie jedoch. Diese formten den Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert zufolge eine Art Zunft von professionell in Gesang, Rezitation, Musik und Tanz gebildeten Frauen, die zu Festen unter anderem in Harems auftraten. Sie genossen ein größeres Ansehen, da sie in der Öffentlichkeit verschleiert blieben und keinen Umgang zu Männern pflegten. Wendy Buonaventura schreibt, dass man aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit von Tänzerinnen während der Herrschaft von Harun al Raschid im neunten Jahrhundert veranlasst hatte, einige umfassender in Kunst und Musik auszubilden. Diese waren bis zum 18. Jahrhundert bei der vornehmen Gesellschaft als Rezitatorinnen von Lyrik beliebt. Während der französischen Besatzung zogen sie sich aus Protest aus Kairo zurück und tauchten erst bei deren Rückzug wieder in der Stadt auf40. Vermutlich gaben sich die Ghawāzī manchmal auch als ʽawālim aus, vor allem in Zeiten, in denen ihre Kunst von der Regierung verboten war. Lane zufolge nannten sie sich Barāmika. Die Bezeichnung Ghāziya, deren Herkunft unklar ist, sei abwertend und werde von den Tänzerinnen selbst vermieden. Die Forscherin Q. El-Moulouk schlägt vor, den Namen auf die syrische Bezeichnung für Goldmünzen und künstliche Münzen zurückzuführen, die traditionell für weiblichen Schmuck verwendet wurden. Die Ghawāzī trugen viele dieser Münzen und es war Brauch, ihnen Münzen als Trinkgeld mit der Zunge angefeuchtet auf Stirn, Kinn, Wangen und Lippen zu kleben41. Tanz war auch früher ein wesentlicher Bestandteil von Festen. Dabei war es unangemessen, außer zu besonderen Anlässen wie Hochzeit oder Geburt, Ghawāzī im Haus auftreten zu lassen; daher tanzten sie, normalerweise von Musikern ihres Stammes begleitet, im Freien, auf dem Marktplatz oder in Höfen. Lane zufolge waren sie nicht selten auch bei wohlhabenderen Männern zu Gast, wobei er über Alkoholgenuss berichtet, und traten zu Festen in Harems auf. Auch bei den zahlreichen westlichen Orientreisenden waren sie in Bezug auf Schönheit oder Unschicklichkeit ihrer Erscheinung und ihres Tanzes sehr umstritten. Etwa Leland konnte sie nur noch in Oberägypten sehen, da 1834 aufgrund der raschen Modernisierung unter Statthalter Muḥammad ʽAlī aus Kairo verbannt worden waren. Dieser orientierte sich an westlichen 39 Vgl. Walker, J. (1995): Nūrī. In: Bosworth, C.E.; Van Donzel, E.; Heinrichs, W.P.; Lecomte, G. (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. Volume VIII Ned-Sam. Leiden: E.J. Brill, S. 138f.; vgl. Rodinson, M. (1960): ʽĀlima. In: Gibb, H.A.R.; Kramers, J.H.; Lévi-Provençal, E.; Schacht, J.: The Encyclopaedia of Islam. Volume I A-B. Leiden: E.J. Brill; London: Luzac&Co., S 403f.; vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 9f., S. 17f., zit. nach Moulouk, Qamar El: The Mystery of the Ghawazi. In: Habibi, III: 11, S. 8. 40 Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 12, zit. nach Lane, Edward W.: The Modern Egyptians; vgl. Berger, M. (1965): Ghāziya. In: Lewis, B.; Pellat, Ch.; Schacht, J. (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. Volume II C-G. Leiden: E.J. Brill; London: Luzac&Co., S. 1048; vgl. Rodinson, M. (1960): ʽĀlima. In: The Encyclopaedia of Islam. Volume I A-B, S.403f.; vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 45. 41 Vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 11, zit. nach Lane, Edward W.: The Modern Egyptians; S. 14, zit. nach Moulouk, Qamar El: The Mystery of the Ghawazi. In: Habibi, IV: 11, S. 11; vgl. Berger, M. (1965): Ghāziya. In: The Encyclopaedia of Islam. Volume II C-G, S. 1048. 15 Vorbildern, um im gesamten Land einen Modernisierungsprozess zur Beseitigung ökonomischer Rückständigkeit einzuleiten. Dieser erstreckte sich auch auf die Kultur, so auch auf den Tanz der Ghawāzī als Volkskunst. Der Bann der Tänzerinnen in drei Städte am Nil wurde mit Strafen bei Widersetzung belegt. Ihr Verschwinden trug zu einer Steuererhöhung bei, denn Lane zufolge hatten sie etwa zehn Prozent aller in Kairo erhobenen Steuern gezahlt. Damals war es für wohlhabende Kairoer sehr üblich, für private Feste Tänzerinnen zu engagieren, die sie weiterhin ausfindig machen konnten, obwohl sie aufgrund des Bannes öffentlichen Tanzes und Prostitution nicht mehr für Passanten auftreten durften. Eine weitere Folge war, dass nun tanzende junge Männer, als Tänzerinnen verkleidet und mit langen Haaren an ihre Stelle traten. Sie kamen oft aus Konstantinopel, wo sie um das Jahr 1805 sowohl sehr beliebt als auch stark umstritten gewesen waren. 1837 ächtete und bannte sie Sultan Mahmud und bewirkte so ihre Flucht nach Kairo. Dort konnten sie von der Abwesenheit der Straßentänzerinnen profitieren. Sie verkleideten sich als Tänzerinnen mit Schmuck und langen Haaren und ahmten bewusst die weiblichen Bewegungen des Tanzes der türkischen Çengi, die im Türkischen in etwa den Ghawāzī entsprechen, nach. So galten sie als noch anzüglicher. Berichten zufolge waren die Tänzer meist griechischer, armenischer oder jüdischer Herkunft, da unter Türken der Tanzberuf etwas Degradierendes darstellte. Kate McGowan schreibt, die meisten der umstrittenen Tänzer und Tänzerinnen der osmanischen Gesellschaft seien Zigeuner gewesen: den Begriff Çengi führt sie auf Çingene („Zigeuner“) zurück42. Erst 1854 konnten die Ghawāzī offiziell zurückkehren. Auch heute kann man eine von Jungen aufgeführte Parodie des weiblichen Tanzstils gelegentlich in orientalischen Ländern sehen, wobei das Kostüm in der Regel nicht mehr zu Verwechslungen mit Tänzerinnen führt. Dabei war der professionelle Tanz im Wesentlichen immer ein Beruf der Frauen. Doch sind generell die Bewegungen im Laufe der Zeit so in das allgemeine Tanzrepertoire eingegangen, dass sie von beiden Geschlechtern ausgeführt werden43. Laut Wendy Beonaventura gab es bereits etwa Mitte des 19. Jahrhunderts die Unterscheidung zwischen Ghawāzī und ʽawālim nicht mehr. In einer Studie (1982) einer GhagarGemeinschaft in Ägypten zählt Nabil Sobhi Hanna Tanz und Gesang zu einer der verbreitetesten Beschäftigung; dabei nennt sie die Tänzer der Ghagar „Ghawāzī“. Obwohl es den Ausübenden dadurch finanziell gut geht, seien sie sogar von Angehörigen ihrer eigenen Gemeinschaft geringgeschätzt und isoliert. Laut Berger (1965) werden in ägyptischen Städten sowohl Tänzerinnen als auch Sängerinnen umgangssprachlich mit ʽalma bezeichnet, während in Dörfern die Tänzerin noch oft Ghāziya genannt wird; beide müssen nun von der besser ausgebildeten und bezahlten راقصاتRāķișat („orientalische Tänzerin“) unterschieden werden, die auf Privatfesten, in Filmen und modernen Nachtclubs auftritt. Womöglich werden in der Bezeichnung für diese Gruppe von Unterhaltungskünstlerinnen alle drei, sowie nichtstammeszugehörige Ausübende, zusammengefasst: Tänzerinnen kommen nicht mehr von einem bestimmten Stamm, sondern meist aus städtischen Familien mit einem niedrigem Einkommen. Ihre Tanzlehrerinnen werden manchmal ebenfalls ʽawālim gennant44. 42 Vgl. Ebd., S. 45, 54ff.; vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 15, zit. nach McGowan, Kate (Suheyla)(1982): Sing Gypsy! Dance Gypsy! Part III. In: Arabesque. VIII, 1 (May/June), S. 22. 43 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 56ff. 44 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 45; vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 16, zit. nach Hanna, Nabil Sobhi (1982): Ghagar of Sett Guiran- 16 6. Schluss und Stellungnahme Unter anderem Wendy Buenaventura wendet sich gegen die häufig erfolgte Ablehnung einer religiösen Herkunft des erotisch erscheinenden Bauchtanzes, auch aufgrund der umstrittenen Bedeutung des Göttinenkults in der Wissenschaft. „In unserer sexuell verwirrten Welt ist die mögliche religiöse Bedeutung des erotischen Bauchtanzes von Forschern und Tanzhistorikern gleichermaßen ignoriert worden. Dennoch weist alles hin auf eine Verbindung zwischen mimischen Geburtsdarstellungen, frühem Schöpfungstanz und dem, was Teil der Göttinnenrituale in der prähistorischen Welt war45“. Die Bewegungen des Tanzes sprächen hierbei für sich. Als Tänzerin liegt hier bei mir vielleicht die Möglichkeit zu einem Urteil in einem Bereich, der für einen „Tanzabstinenzler“ nur aufgrund theoretischer Abhandlungen über den Tanz schwer zugänglich ist, denn dieser hat nicht das Wissen darüber, welche Muskelgruppen des Körpers beansprucht werden. Beginnt ein ungeübter Mensch mit dem orientalischen Tanz, muss er einige davon tatsächlich erst entdecken. Hat man sich einmal intensiv mit ägyptischem Bauchtanz auseinandergesetzt, ist meiner Meinung nach eindeutig, dass der Tanz oft das weibliche Fortpflanzungszentrum in den Mittelpunkt stellt. Ein anderer Hinweis ist natürlich die bloße Betrachtung der Tanzfiguren. In den fließenden Figuren werden alle weiblichen Körperstellen tanzend betont. Die Arme und Hände werden oft dazu genutzt, auf das Fließen der Hüfte und des Körpers noch hinzuweisen, indem sie an diesem entlangfahren und die Hüfte umrahmend gehalten werden. Die manchmal tatsächlich frech-koketten, jedoch nie plumpen und obszönen Anspielungen auf die Weiblichkeit verleihen dem Tanz heute natürlich einen vorherrschend sinnlichen Reiz. Vielleicht hängt dies auch mit der gesellschaftlichen Trennung der Geschlechter zusammen, sodass Frauen Tanz als Mittel genossen, ihre Weiblichkeit im Privaten unter Geschlechtsgenossinnen zum Ausdruck zu bringen. Aus Freude daran, diese sozusagen wiederzuentdecken, besuchen manche westliche Frauen einen orientalischen Tanzkurs. Jedoch erscheint mir die Erklärung, dass der Tanz einem Fruchtbarkeitskult stammt und nach und nach als Schautanz erotisiert wurde, sehr plausibel; auch wenn man bedenkt, dass im Nahen Osten Volkstänze und –musik eine viel größere Wertschätzung erfahren, als dies beispielsweise im westlichen Europa der Fall ist. So kann man dort noch heute ganz anders auf alte Traditionen zurückgreifen. Sicher hat der Tanz vor allem bei der Entwicklung zu einem Schautanz und durch das Kabarett eine große Veränderung erfahren. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Tänze aus orientalischen Gegenden ein starkes imitatives, mimisches Element haben, das auch Gesten mit sexuellen Andeutungen, gestische Darstellung von Szenen des Alltags, Aufforderungen oder die Imitation von Tieren beinhaltet. Von daher erscheint es mir keinesfalls absurd, auch bloße Assoziationen, die die Bewegungen im Tanz hervorrufen, bei der Interpretation zu berücksichtigen. Letztendlich hat mich bei der Erarbeitung des Themas überrascht, dass sich, was den orientalischen Tanz betrifft, obwohl seiner religiösen Bedeutung entfremdet, sich viele Gründe zu tanzen heute gar nicht einmal so ha. A Study of a Gypsy Community in Egypt. (Cairo Papers in Social Science, Vol. V, Monograph 1) Kairo: American University in Cairo; vgl. Berger, M. (1965): Ghāziya. In: The Encyclopaedia of Islam. Volume II C-G, S. 1048. 45 Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 30. 17 sehr von denen vor Tausenden von Jahren zu unterscheiden scheinen; vielmehr scheinen sich die Anlässe geändert zu haben. 18 Bibliographie Berger, M. (1965): Ghāziya. In: Lewis, B.; Pellat, Ch.; Schacht, J. (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. Volume II C-G. Leiden: E.J. Brill; London: Luzac&Co, S. 1048. Brunner-Traut, Emma (1958): Der Tanz im Alten Ägypten nach bildlichen und inschriftlichen Zeugnissen. Glückstadt, Hamburg, New York: J.J. Augustin. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx. Übersetzung von Pflug, Maja, 6. Auflage. München: Kunstmann. Sekundärquellen And, Metin (1976): A Pictorial History of Turkish Dancing. Ankara: Dost Yayinlari. Lane, Edward W.: The Modern Egyptians, Bd. 2. Hathor. In: Gaede, Peter Matthias (Hrsg.) (2007): GEO Themenlexikon Religionen. Mannheim: Bibliographisches Institut, S. 231. Isis. In Gaede, Peter Matthias (Hrsg.) (2007): GEO Themenlexikon Religionen. Mannheim: Bibliographisches Institut, S. 276f. Hathor. In: Brockhaus (Hrsg.) (1989): Brockhaus Enzyklopädie. 19. Auflage. Mannheim: F.A. Brockhaus, S. 523. Kelek, Necla (2006): Die fremde Braut. 9. Auflage. München: Wilhelm Goldmann Verlag. Sekundärquelle Mernissi, Fatima (1987): Geschlecht, Ideologie, Islam. München: Frauenbuchverlag. Manniche, Lise (1988): The Erotic Oboe in Ancient Egypt. In: Vogel, Martin (Hrsg.): The Archeology of Early Music Cultures. (Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik) Bonn: Verlag für systematische Musikwissenschaft. Precht, Richard D. (2009): Liebe. Ein unordentliches Gefühl. München: Wilhelm Goldmann Verlag. Rodinson, M. (1960): ʽĀlima. In: Gibb, H.A.R.; Kramers, J.H.; Lévi-Provençal, E.; Schacht, J.: The Encyclopaedia of Islam. Volume I A-B. Leiden: E.J. Brill; London: Luzac&Co., S. 403f. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report. Sekundärquellen Berger, Morroe (1961): A Curious and Wonderful Gymnastic…In: Dance Perspectives, 10 (Spring). Hanna, Nabil Sobhi (1982): Ghagar of Sett Guiranha. A Study of a Gypsy Community in Egypt. (Cairo Papers in Social Science, Vol. V, Monograph 1) Kairo: American University in Cairo. Lane, Edward W.: The Modern Egyptians. McGowan, Kate (Suheyla)(1982): Sing Gypsy! Dance Gypsy! Part III. In: Arabesque. VIII, 1 (May/June). Moulouk, Qamar El: The Mystery of the Ghawazi. In: Habibi, III: 11. Moulouk, Qamar El: The Mystery of the Ghawazi. In: Habibi, IV: 11. Ohanian, Armen (1923): The Dancer of Shamakha. New York: E.P. Sutton. Wood, Leona (1976): Danse du Ventre: A Fresh Appraisal. In: Dance Research Journal, VIII, 2 (Spring/Summer). 19 Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1996): Tanz im Iran. In: TANZOriental, 4 (August). Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, 6 (Dezember). Sekundärquellen Brunner-Traut, Emma (1974): Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen. Stuttgart: Kohlhammer. Hickmann, Hans (1966): Musikgeschichte in Bildern. Musik des Altertums: Ägypten. Leipzig: VEB Deutscher Verlag für Musik. Sachs, Curt (1976): Eine Weltgeschichte des Tanzes. Hildesheim/New York: Georg Olms-Verlag. Walker, J. (1995): Nūrī. In: Bosworth, C.E.; Van Donzel, E.; Heinrichs, W.P.; Lecomte, G. (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. Volume VIII Ned-Sam. Leiden: E.J. Brill, S. 138f. 20