Newsletter des Amts für Wasser und Abfall Schwerpunktthema - Ausgabe 2 / 2016 - Juni Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorgängen Die Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorgängen und der Einfluss auf die Umwelt - Ein Beispiel aus der Praxis im Kanton Bern Für die Einleitung von fischtoxischem, nitrithaltigem Abwasser aus Baustellen in ein Gewässer besteht gemäss Gewässerschutzverordnung (GSchV) ein Grenzwert von 0.3 mg/l Nitrit-N. Erfahrungen oder gar konkrete Resultate über die Freisetzung von Nitrit sind in der Schweiz jedoch eher bescheiden. Die BLS AG hat freundlicherweise zugestimmt, die auf der Baustelle Rosshäuserntunnel gewonnenen Erkenntnisse und die daraus erforderlichen Massnahmen im vorliegenden Bericht zu publizieren. Allgemeines Der Einsatz von Bauchemikalien wie Betonverflüssiger, -beschleuniger oder -verzögerer sind auf heutigen Grossbaustellen kaum mehr wegzudenken. Wo beim Tunnelbau nicht mit einer Tunnelbohr- oder Teilschneidmaschine gearbeitet werden kann, muss gesprengt werden. Heute kommen vorwiegend Emulsionssprengstoffe zum Einsatz, vereinzelt werden noch gelatinöse Sprengstoffe eingesetzt. Vorteile bei der Anwendung von Emulsionssprengstoffen sind die geringere Anzahl an nötigen Bohrlöchern, die gute Wasserunempfindlichkeit und die anpassbaren Sprengstoffeigenschaften. Bei dem in diesem Bericht beschriebenen Fall wurde der Emulsionssprengstoff Emulga der SSE (Société Suisse des Explosifs SA) eingesetzt. Dieser besteht aus drei Komponenten, die einzeln nicht explosiv sind, was Transport und Lagerung erleichtert. Die drei Komponenten werden im Mischladesystem zusammengeführt und werden erst im Bohrloch, nach erfolgter Ladephase, zum Sprengstoff. Dieser Sprengstoff setzt sich vorwiegend aus Ammoniumund Natriumnitrat sowie Ölen zusammen. Zur Zündung wird die Sprengschnur Detonex verwendet, eine schlauchförmige Sprengladung, welche PETN (Pentaerythrithyltetra-Nitrat) enthält. schwaden gemessen werden, allerdings sind die Resultate stark von den äusseren Bedingungen abhängig (Temperatur, Feuchtigkeit, Felstyp etc.). Sprengstoffe setzen sich überwiegend aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff zusammen. Bei der detonativen Umsetzung werden Wasserdampf und die Gase Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, Kohlenwasserstoffe mit einem grossen Anteil an Methan, Ammoniak und Cyanwasserstoff freigesetzt. Aus dem Sauerstofflieferanten Nitrat kann sich durch Reduktion Nitrit bilden. Ökotoxikologie Nitrit-Ionen können bei Fischen über die Chloridzellen der Kiemen aufgenommen werden (Konkurrenz-Reaktion). Dies führt zu einer Mangelaufnahme an Chlorid, was den Ionenhaushalt des Fisches beeinträchtigt. Infolge wird der Gehalt an Kalium-Ionen reduziert, was zum Schrumpfen der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) führt. Durch die Oxidation des Hämoglobins (roter Blutfarbstoff) wird der Sauerstofftransport im Blut beeinträchtigt und der Fisch erstickt. Explosionsrückstände aus Sprengstoffen Grundsätzlich unterscheidet man zwischen nicht detonierten Rückständen sowie den festen und den gasförmigen Rückständen aus der Detonation. Nicht detonierte Rückstände sind sogenannte untätige Bestandteile, die z.B. den Aspekt und die Dichte des Sprengstoffes verändern. Oft werden Holzmehl, Guarkernmehl, Aluminium, Eisenoxid, Sand und Öle verwendet. Diese Stoffe bleiben nach der Detonation unverändert oder liegen als Oxide vor. Die Hauptrückstände sind jedoch die gasförmigen Stoffe. Dies können grundsätzlich in den RauchGas- und Rauchaustritt unmittelbar nach Sprengung Newsletter Amt für Wasser und Abfall (AWA) 1 Newsletter des Amts für Wasser und Abfall Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorängen Tunnelbaustelle Doppelspurausbau Rosshäusern - Mauss der BLS AG Erfahrungen Seite Ost Die Entwässerung des Ostportals erfolgte über Absetzbecken, Kammerfilterpresse, Neutralisation in die ARA Sensetal. Für die Einleitung von nitrithaltigem Abwasser auf die Kläranlage besteht kein Grenzwert. Abwasserbehandlung Seite Ost Tunnel Mischer Schlamm Entwässerung Installationsplatz ARA ARASchacht Absetzbecken Neutralisation Tunnelzufahrt Bewitterungswasser Schematische Darstellung des Wasserflusses auf der Ostseite Gemäss Unternehmer wurde nach der Sprengung ca. 30 – 60 min. mit einem feinen Sprühnebel bewittert, um den Felsen zu reinigen aber auch um den Feinstaub schneller zu binden. Zur Bewitterung wurde Abwasser aus der Neutralisation eingesetzt. Über die Abwassermengen konnte keine Auskunft gegeben werden. Eine erste Abwasseruntersuchung gab folgende Auskunft zur Schadstoffbelastung: Parameter Einheit Auslauf Kammerfilterpresse Stunden nach Sprengung pH - Nitrit-N mg/l Nach Neutralisation Auslauf Kammerfilterpresse Anforderung 1.5 h 1.45 h 3h 12 8 12 6.5 - 9.0 0.22 0.14 0.21 0.30 Erwartungsgemäss lag die Konzentration von Nitrit-N nach der Neutralisation tiefer als nach der Filterpresse. Einerseits könnte dies auf die Verdünnung mit Platzwasser zurückzuführen sein, aber auch auf die fortgeschrittene Oxidation des Nitrits zu Nitrat während des Aufbereitungsprozesses. Die Messungen wurden über einen längeren Zeitabschnitt wiederholt. Für diese Messreihe wurden zudem die Menge an eingesetztem Sprengstoff und die verbrauchte Wassermenge (Bewitterung und Bergwasser) ermittelt. 2 Newsletter des Amts für Wasser und Abfall Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorängen Messungen nach Filterpresse Sprengvortrieb Ost (Normalfall) Der maximale Nitritausstoss erfolgte ca. 4 Stunden nach der Sprengung und lag bei 0.9 mg/l NO2-N. Der NitritN-Grenzwert für die Einleitung in ein Gewässer wurde somit an diesem Punkt rund 3-mal überschritten. Es ist zu beachten, dass der Nitrit-N Gehalt bereits vor der Sprengung über dem Grenzwert lag! Bei der Sprengung wurden 336 kg Emulga eingesetzt. Gemäss SSE entstehen aus 1 kg Emulga 0.05 l NOx (gasförmig). Unter der Annahme, dass sich daraus nur Nitrit bildet, ergibt dies 102.4 mg Nitrit (NO2) / kg Emulga bzw. 31.23 mg Nitrit-N / kg Emulga. Aus 336 kg Emulga könnten sich demnach 34.4 g Nitrit bzw. 10.49 g Nitrit-N bilden. Das Tunnelabwasser wurde mit 1 l/s abgepumpt. Mit einem Nitrit-N Durchschnittswert von 0.35 mg/l* über den ganzen Verlauf von geschätzten, extrapolierten 8 Stunden, bis alles Nitrit aus dem Berg gefördert wurde und der Fördermenge von 1 l/s resultiert ein Nitrit-N Ausstoss von 10.08 g. Aus 1 kg Emulga gelangten bei dieser Sprengung effektiv rund 30 mg Nitrit-N ins Abwasser, was recht gut mit der theoretisch berechneten Menge von 31.23 mg Nitrit-N übereinstimmt. * Der Durchschnitt aller Messwerte betrug 0.72 mg/l Nitrit-N. Unter der Annahme, dass eine Grundkonzentration des Bewitterungswassers von 0.37 mg/l bestand, ergibt dies für die effektive Freisetzung 0.35 mg/l Nitrit-N. Newsletter Amt für Wasser und Abfall (AWA) 3 Newsletter des Amts für Wasser und Abfall Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorängen Erfahrungen Seite West Auf der Westseite war ursprünglich nur ein Vortrieb von ca. 50 m vorgesehen. Das Abwasser wurde nach Absetzbecken und Neutralisation in den Flüelebach eingeleitet. Wegen Verzögerungen im Sprengvortrieb Seite Ost hat die Bauherrschaft entschieden, den Sprengvortrieb auch auf der Westseite anzugehen. Aufgrund der festgestellten Nitrit-Überschreitungen auf der Ostseite, musste zu Beginn der Sprengungen auf der Westseite das Abwasser zwingend in die Kanalisation eingeleitet werden. Vorbehalten blieb die Versickerung oder die Installation einer Behandlungs-Anlage. Nitrit im Abwasser kann durch Mikroorganismen abgebaut werden oder es kann chemisch mit Ozon oder Chlor (meist in Form von Javelwasser) zu Nitrat oxidiert werden. Die Kosten für eine Ozonanlage liegen bei 200‘000 Franken. Beim Einsatz von Javel muss zwingend darauf geachtet werden, dass nicht überschüssiges Javel (fischtoxisch) in den Vorfluter gelangt. Die Möglichkeit zur Einleitung in die Schmutzwasserkanalisation war jedoch auf der Westseite begrenzt (limitierte Kapazität der Kanalisation sowie grosse Distanz von ca. 1 km zum nächsten Einleitschacht). Die Installation einer Behandlungsanlage zur Elimination des anfallenden Nitrits war aus Platzgründen aber auch aus Zeitgründen schwer realisierbar. Während rund 24 Stunden wurde auf der Westseite das Abwasser nach der Neutralisation untersucht. Das System war bereits vier Wochen in Betrieb und somit eingefahren. Abwasserbehandlung Seite West Kluft- Hangwasser Tunnel Absetzbecken ca. 20 m3 Schlamm S F M A SF: Schlammfang MA: Mineralölabscheider Neutralisation Bewitterungswasser Waschplatz ARASchacht Probenahme 2 ca. 1000 m LöschwasserRückhaltebecken 100 m3 möglich Havariebecken 250 m3 möglich Probenahme 3 Schematische Darstellung des Wasserflusses auf der Westseite 4 Probenahme 1 Schacht möglich Newsletter des Amts für Wasser und Abfall Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorängen Messungen nach Neutralisation Sprengvortrieb West (verzögerter Nitrit-Austrag) Erst rund 7 Stunden nach der ersten Sprengung stieg die Nitrit-N-Konzentration (nach Neutralisation, Probenahme 1) über den Nitrit-N Grenzwert an und erreichte nach rund 12.5 Stunden den gemessenen Höchstwert von 0.49 mg/l. Ein Rückgang unter den Grenzwert konnte während der Messdauer nicht beobachtet werden. Vermutlich waren die Anfangswerte so tief, weil die Messkampagne an einem Montag durchgeführt wurde, nachdem über das Wochenende keine Sprengungen stattgefunden haben und somit einerseits genügend Zeit bestand für die natürliche Oxidation von Nitrit zu Nitrat und andererseits, weil übers Wochenende nur sauberes Bergwasser aus dem Tunnel über das System abgeführt wurde und somit eine Verdünnung stattfand. Der Nitrit-N-Gehalt im ARA-Schacht (Probenahme 2) lag, gemessen in mehreren Stichproben über die Messzeit verteilt, konstant bei 0.11 mg/l und somit unter dem Grenzwert, was eine Einleitung in den Bach ab diesem Schacht erlaubt hätte. Hier wurde vermutet, dass durch die längere Verweilzeit im Havarie- und Löschwasserrückhaltebecken (LWR-Becken), einerseits die Oxidation zum Nitrat begünstigt wurde andererseits auch hier die Verdünnung in den Becken zum Tragen kam. Um mehr Informationen zum Verhalten des Systems zu erhalten wurden folgende Proben untersucht: Parameter Einheit Probe Nr. 1 12:00 LRW-Becken Oberfläche Nitrit-N mg/l 0.31 Probe Nr. 1 Probe Nr. 3 14:15 14:55 LRW-Becken ARA-Schacht Oberfläche 0.31 Newsletter Amt für Wasser und Abfall (AWA) 0.18 Probe Nr. 4 Anforderung Tagesmischprobe LRW-Becken unten 0.38 0.30 5 Newsletter des Amts für Wasser und Abfall Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorängen Die Proben, welche an der Oberfläche des LWR-Beckens genommen wurden, lagen nur knapp über dem Einleitgrenzwert für Nitrit-N in ein Gewässer. Aufgrund der akzeptablen Werte wurde eine Pumpe ins Havariebecken gehängt um Abwasserproben aus dem Beckenboden zu ziehen (vermutlich geringere Oxidation zu Nitrat als an der Wasseroberfläche). In sämtlichen Proben, über einen Zeitraum von 8.5 Stunden gezogen, lag der Nitrit-N Gehalt bei 0.38 mg/l. Dies deutet darauf hin, dass an der Wasseroberfläche doch relativ schnell eine Oxidation statt findet. Parameter Einheit Nitrit-N mg/l Probe Nr. 1 0.27 Als Option bestand die Möglichkeit, das Kluft- oder Hangwasser, welches bis anhin separat gefasst und in den Vorfluter abgeleitet wurde, über das Havariebecken zu entwässern. Gemäss Unternehmer ist der Kluftwasseranfall konstant und nicht witterungsabhängig. Nachdem das Kluftwasser ins Havariebecken umgeleitet worden war, wurden zwei Mischproben gezogen. Probe Nr. 2 0.27 Anforderung 0.30 In den beiden Mischproben wurde der Nitrit-N- Einleitgrenzwert für den Vorfluter nicht überschritten. Unter gleichbleibenden hydrologischen Bedingungen wie am Probenahmetag konnte einer Einleitung in den Vorfluter zugestimmt werden. Die Qualität des Abwassers wurde durch die örtliche Bauleitung regelmässig mit einem Schnelltest kontrolliert. Dazu wurde ein kolorimetrischer Aquarientest verwendet, welcher im Vergleich zum kolorimetrischen Labor-Test sehr gute Vergleichswerte ergab. Beide Testverfahren gelten eher als etwas ungenau, da sie mit Vergleichsskalen arbeiten und somit nur subjektiv beurteilt werden können. Mit dem Stäbchenfärbetest konnten weniger gute Vergleichsmessungen erzielt werden. Auf einer anderen Baustelle wurde mit einem Spektrofotometer gemessen und entsprechend genauere Resultate erzielt. Die behördliche Überprüfung konnte die Einhaltung des Grenzwertes bestätigen. 6 Anfangs Juni 2015 erfolgte dann der Tunneldurchbruch und entgegen der Annahme, dass der NitritN-Gehalt nun sinken würde, musste eine Zunahme beobachtet werden, welche ihr Maximum vermutlich Ende Juli mit 1.1 mg/l Nitrit-N erreichte. Obwohl der Tunnel nach dem Durchbruch gründlich gereinigt worden war, erfolgte der Nitritrückgang nur sehr langsam und lag erst im Februar 2016 wieder unter dem Einleitgrenzwert. Der Anstieg des Nitritgehaltes kurz vor dem Durchbruch ist vermutlich auf die Mobilisierung von ‚Schlamm‘ zurückzuführen. Dieser gelangte während des Kalottenvortriebs (oberster Teil des Tunnels) auf den Boden und drang möglicherweise auch ins Gestein ein. Durch den anschliessenden Bau einer provisorischen Fahrpiste aus Beton wurde das Material immobilisiert und vor Sauerstoff geschützt, wodurch eine Oxidation zum Nitrat verhindert wurde. Newsletter des Amts für Wasser und Abfall Freisetzung von Nitrit bei Sprengvorängen Beim Abbau der Strosse (Mittelstück des Tunnelprofils), welcher natürlich auch den Rückbau der Bodenplatte voraussetzt, wurde dieser Schlamm wieder mobilisiert. Erst nachdem rund 2/3 der Strosse abgebaut waren, sank der Nitrit-N-Gehalt wieder unter den Einleit-Grenzwert. Kalotte, im Sprengvortrieb erstellt Provisorische Fahrbahn möglicher Nitriteinschuss Strosse Sohle Fazit Die Konzentration an freigesetztem Nitrit ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Art und Menge des Sprengstoffs, Menge Berg- und Kluftwasser, Tunnellänge und der damit verbundenen Immobilisation sowie dem Gestein selber. In jedem Fall ist ein ständiges Monitoring unabdingbar, auch wenn die Grenzwerte für die Einleitung in ein Oberflächengewässer zwischenzeitlich eingehalten werden. Die enge und unkomplizierte Zusammenarbeit und Absprache zwischen der örtlichen Bauleitung, der kantonalen Fachstelle, der Umweltbaubegleitung und dem Bauherrn haben sich im vorliegenden Fall bewährt und eine für alle Beteiligten konstruktive Lösungsfindung ermöglicht. Nathalie Beaux Gewässerschutzinspektorin Amt für Wasser und Abfall (AWA) Newsletter Amt für Wasser und Abfall (AWA) 7