21. Die Formel von Pick - TU Wien

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21. Die Formel von Pick
Ein Polygon P , dessen Ecken bezüglich eines kartesischen Koordinatensystems ganzzahlige Koordinaten
besitzen, soll Gitterpolygon heißen. Für geschlossene überschneidungsfreie Gitterpolygone gibt es eine
Beziehung zwischen der umschlossenen Fläche A(P )
und der Anzahl der Gitterpunkte im Inneren des Polygons (i) und auf P selbst (r). Dies ist die Formel
von Pick1 :
A(P ) = i + r/2 − 1.
Um die Sprechweise zu vereinfachen, bezeichnen wir
den Ausdruck i + r/2 − 1 mit F (P ). Wir zeigen nun
schrittweise die Gültigkeit von A(P ) = F (P ):
Satz 1. Das geschlossene Gitterpolygon P werde
durch einen Streckenzug, dessen Ecken Gitterpunkte sind, in zwei Teilpolygone P1 , P2 zerlegt. Dann
ist F (P1 ) + F (P2 ) = F (P ). Wird P durch mehrere
Streckenzüge in Polygone P1 , . . . , Pk zerlegt, so gilt
F (P ) = F (P1 ) + · · · + F (Pk ).
Beweis. Der erwähnte Streckenzug trage s Gitterpunkte, seine Randpunkte nicht eingerechnet. Die
Anzahlen der Innen- und Randgitterpunkte von
P1 , P2 seien i1 , i2 , r1 , r2 . Dann ist i = i1 + i2 + s
und r = (r1 − s) + (r2 − s) − 2. Durch Einsetzen folgt
F (P ) = F (P1 )+F (P2 ). Die Behauptung für mehrere
Polygone folgt durch Induktion (siehe Figur).
Geometrie für den Mathematikunterricht PS
Satz 2. Sei ein Gitterpolygon P zerlegt in Gitterpolygone P1 , . . . , Pk . Gilt die Formel von Pick für
P1 , . . . , Pk , dann auch für P . Gilt die Formel von
Pick für P2 , . . . , Pk und P , dann auch für P1 .
Beweis. Es gilt F (P1 ) + · · · F (Pk ) = F (P ) und
A(P1 ) + · · · A(Pk ) = A(P ).
Daß die Formel von Pick für Gitterrechtecke R mit
Seitenlängen a, b gilt, ist einfach einzusehen: Es ist
iR = (a − 1)(b − 1), rR = 2a + 2b, und A(R) = ab.
Ziehen wir in einem solchen Gitterrechteck eine Diagonale so erhalten wir zwei Dreiecke mit denselben
Anzahlen iD und rD von Innen- und Randgitterpunkten. Es ist also 2(iD + rD /2 − 1) = i + r/2 − 1,
und 2A(D) = A(R), also gilt die Formel von Pick
für solche Dreiecke. Durch Anwenden von Satz ??
sehen wir, daß sie für ‘achsenparallele Gittertrapeze’
(siehe Figur), und für jedes Gitterdreieck gilt (siehe
Figur).
Nun können wir den Beweis der Formel von Pick
abschließen, indem wir beachten, daß man jedes geschlossene Gitterpolygon in Gitterdreiecke zerlegen
kann.
1
Pick, Georg: Geometrisches zur Zahlenlehre. Sitzungsberichte
des Vereins “Lotos” (Prag) 19 (1899), 311–319.
J. Wallner - W. Rath
Unterlagen — WS 2004/2005
22. Konvexe Mengen, Polygone und Polyeder
Def 1. Eine Teilmenge der euklidischen Ebene oder
des Raumes heißt konvex, wenn die Verbindungsstrecke von je zwei Punkten ganz in der Menge liegt.
Def 5. Ein Parallelgebiet bzw. Parallelkörper im
Abstand d einer konvexen Menge enthält alle Punkte, die höchstens den Abstand d zu M haben.
Beispiel 1. Eine offene Kreisscheibe ist konvex,
genauso wie eine abgeschlossene Kreisscheibe. Ein
Dreieck und ein Rechteck sind konvex. Eine offene/abgeschlossene Kugel und die regulären platonischen Körper sind konvex.
Satz 1. Ist M ein konvexes Polygon der Länge L
und mit der Fläche A, so hat ein Parallelgebiet im
Abstand d den Flächeninhalt A + dL + d2 π.
Def 2. Ein Polygon bzw. Polyeder in der Ebene bzw.
im Raum heißt konvex, wenn sein Inneres eine konvexe Menge ist.
Def 3. Die konvexe Hülle c.h.(M ) einer Punktmenge M ist die kleinste konvexe Menge, welche M
enthält.
Man kann sich überlegen, daß es die konvexe Hülle
c.h.(M ) immer gibt. Sie ist der Durchschnitt aller
konvexer Mengen, die M enthalten. In der Ebene
erhält man als konvexe Hülle die Form eines gespannten Gummibandes, das um die gegebene Menge gelegt wird.
Beispiel 2. Die konvexe Hülle einer konvexen Menge
M ist gleich M . Die konvexe Hülle einer endlichen
Anzahl von Punkten in der Ebene bzw. im Raum ist
ein konvexes Polygon bzw. ein konvexes Polyeder.
Def 4. Wir betrachten eine abgeschlossene konvexe
Menge M (d.h. der Rand gehört dazu). Ein Punkt x
ist Extremalpunkt von M , wenn x nicht im Inneren
einer Strecke mit Endpunkten aus M enthalten ist.
Beispiel 3. Die Extremalpunkte eines konvexen Polygons bzw. Polyeders sind seine Ecken.
Geometrie für den Mathematikunterricht PS
Beweis. Der Flächenzuwachs besteht aus rechteckigen Gebieten der Gesamtlänge dL über den Seiten
von M und Kreissektoren der Gesamtfläche d2 π über
den Ecken.
Zum Beweis des nächsten Satzes benötigen wir das
Volumen eines Kreiszylindersektors: Nach der Formel “Grundfläche × Höhe” ergibt sich r2 lα/2, mit r
als Radius, l als Länge, und α als Öffnungswinkel.
Satz 2. Sei M ein konvexes Polyeder mit Volumen
V und Oberfläche O. Wir definieren eine neue Größe
X
(1)
H=
li αi ,
wobei li die Länge der i-ten Kante und π − αi ihr
Öffnungswinkel ist. Dann hat ein Parallelkörper im
Abstand d das Volumen
4π
1
(2)
V + dO + d2 H + d3
2
3
Beweis. Der Volumszuwachs besteht aus prismatischen Gebieten des Gesamtvolumens Od über
den Flächen, aus Zylindersektoren des Volumens
d2 li αi /2 über den Kanten, und aus Kugelsektoren
über den Ecken, die sich zu einer einzigen Vollkugel
mit Volumen 4d3 π/3 zusammensetzen lassen.
J. Wallner - W. Rath
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23. Geometrische Extremalprobleme II – Die isoperimetrische Ungleichung
Unter dem ‘isoperimetrischen Problem’ in der Ebene
versteht man, mit einem Faden gegebener Länge den
größten Flächeninhalt zu umschließen. Dazu äquivalent ist die Frage nach der kürzesten Kurve, die eine
gegebene Fläche umschließt. Wir können dieses Problem hier nur sehr heuristisch behandeln, weil uns
die mathematischen Methoden und auch die geeignete Definition von ‘Kurve’ dazu fehlen.
Es sei mitgeteilt, daß die Lösung durch die Kreislinie
gegeben ist. Dies ist eine Folge der isoperimetrischen
Ungleichung, die zwischen der Länge L und dem umschlossenen Flächeninhalt A besteht:
(1)
L2 ≥ 4πA.
Gleichheit gilt genau für die Kreise. Daß für Kreise tatsächlich Gleichheit gilt, kann man sofort nachrechnen. Das Problem besteht im Nachweis von ‘>’
für alle anderen geschlossenen Kurven.
Die isoperimetrische Ungleichung im Raum lautet
O3 ≥ 36πV 2 mit Gleichheit genau für die Kugel.
Dabei sind O und V Oberfläche und umschlossenes
Volumen. Für Vielecke in der Ebene kann man die
isoperimetrische Ungleichung leicht nachweisen:
Satz 1. Die isoperimetrische Ungleichung L2 −
4πA > 0 gilt für kreuzungsfreie geschlossene Polygone in der euklidischen Ebene.
Beweis. Es genügt, sich auf konvexe Polygone zu beschränken, denn der Übergang zur konvexen Hülle
vergrößert weder den Umfang noch verkleinert er
den umschlossenen Flächeninhalt. Dann definieren
wir einen Schrumpfungsprozeß für konvexe n-Ecke:
Wir verschieben alle Seiten um das gleiche Stück d
parallel nach innen, und erhalten dadurch ein inneres
Parallel-n-Eck. Es gibt ein maximales d, bei dem eine
Seite auf 0 geschrumpft ist (vielleicht sogar bei mehreren Seiten gleichzeitig). Nun haben wir ein Vieleck
mit höchstens n − 1 Ecken, auf das wir den Prozeß
wieder anwenden können. In endlich vielen Schritten landen wir entweder bei einem 2-Eck (einer doppelt durchlaufenen Strecke) oder einem 1-Eck (einem
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Punkt, um den man 1× herumläuft). Hier hört der
Schrumpfungsprozeß auf.
Wenn wir zeigen können, daß die Größe ∆ = L2 −
4πA (das isoperimetrische Defizit) während des Prozesses kleiner wird, und daß sie am Ende ≥ 0 ist,
dann ist sie am Anfang > 0 gewesen.
Für einen Punkt ist L = A = ∆ = 0, für ein Strecke
der Länge p ist L2 = (2p)2 , A = 0, und ∆ > 0.
Um das Verhalten von ∆ während eines Schrumpfungsvorganges zu beobachten, betrachten wir ein
Polygon P (mit Fläche A und Umfang L) und ein inneres Parallel-Polygon P 0 im Abstand d (mit Fläche
A0 und Umfang L0 ). Wir setzen ∆ = L2 − 4πA und
∆0 = L02 − 4πA0 . Wenn wir ∆ > ∆0 zeigen können,
sind wir fertig.
Wir zerlegen den Streifen zwischen P und P 0 in
Rechtecke der Breite d über den Seiten von P 0 , in
Kreissektoren über den Ecken von P 0 , und in einen
Rest (siehe Figur). Die Kreissektoren + die Reste
setzen wir zu einem Vollkreis samt tangential umschriebenen n-Eck P 00 (der sogenannten Formfigur
von P und P 0 ) zusammen. P 00 habe die Fläche A00
und den Umfang L00 . Offenbar ist L = L0 + L00 . Die
Gesamtfläche der erwähnten Rechtecke ist L0 · d, also
ist A = A0 + L0 d + A00 . Nachdem wir die Fläche von
P 00 in lauter Dreiecke der Höhe d zerlegen können,
gilt A00 = dL00 /2. (“Fläche=Grundlinie×Höhe/2”).
Jetzt können wir darangehen, ∆ − ∆0 zu berrechnen:
∆ − ∆0
=
(L2 − 4πA) − (L02 − 4πA0 )
=
(L0 + L00 )2 − 4π(A0 + L0 d + dL00 /2)
−L02 + 4πA0
= (2L0 + L00 )(L00 − 2πd)
Nun ist P 00 einem Kreis von Radius d umschrieben,
sein Umfang L00 also größer als der Kreisumfang 2πd.
Es folgt, daß ∆ − ∆0 > 0.
(entnommen aus: G. Bol, Einfache Isoperimetriebeweise für Kreis
und Kugel. Abh. Math. Sem. Hamburg 15, 27–36.)
J. Wallner - W. Rath
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24. Die Potenzgerade von Kreisen
Ist g eine Gerade, die einen Kreis k in zwei Punkten
T1 , T2 schneidet (die auch zusammenfallen dürfen,
wenn g den Kreis berührt), und P ein Punkt von G,
so ist das Produkt
(m1 , n1 ) und (m2 , n2 ) sowie die Radien r1 , r2 besitzen. Für einen beliebigen Punkt (x, y) ist der Ausdruck d2 + r2 von oben (d.h. die Potenz) bezüglich
der Kreise k1 und k2 jeweils gleich
(x − m1 )2 + (y − n1 )2 − r12 ,
P T 1 · P T2
(1)
nur vom Punkt P und vom Kreis k abhängig, jedoch
nicht von der Geraden. Wir wollen dies nachrechen
und verwenden dazu die Bezeichnungen M für den
Kreismittelpunkt, F für den Lotfußpunkt von M auf
g, sowie die Längen d = P M , m = P F , h = M F ,
a = F T1 = F T2 . Dann ist
P T1 · P T 2
d 2 = m2 + h 2 ,
r2 = a2 + h2
= (m − a)(m + a) = m2 − a2
= m2 − r 2 + h 2 = d 2 − r 2
Der Ausdruck P T1 · P T2 heißt die Potenz von P
bezüglich des Kreises k. Ist T1 = T2 = T (d.h. g
2
eine Tangente an k), dann ist sie gleich P T .
Nun suchen wir nach der Menge aller Punkte, die
bezüglich zweier Kreise k1 , k2 dieselbe Potenz besitzen. Wir verwenden ein kartesisches Koordinatensystem. Die beiden Kreise sollen die Mittelpunkte
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(x − m2 )2 + (y − n2 )2 − r22 .
Gleichsetzen der beiden Ausdrücke ergibt
2x(m2 − m1 ) + 2y(n2 − n1 ) + n21
=
+m22 − m21 + n22 − n21 − r22 + r12 .
Sind die Mittelpunkte verschieden, so ist das eine
Geradengleichung. Die dadurch bestimmte Gerade
heißt die Potenzgerade von k1 und k2 .
Liegt P auf k1 , so ist seine Potenz bezüglich k1 gleich
0. Liegt ein Punkt auf k1 und k2 , so hat er bezüglich
beider Kreise dieselbe Potenz, liegt also auf der Potenzgeraden. Wir sehen, daß die Potenzgerade von k1
und k2 die Schnittpunkte von k1 mit k2 trägt, wenn
es welche gibt. Gibt es keine, so kann man sich überlegen, daß die nichtrellen Schnittpunkte ebenfalls auf
der Fortsetzung der Potenzgeraden ins Komplexe liegen. Der Mittelpunkt der beiden Berührpunkte einer
gemeinsamen Tangente der beiden Kreise liegt trivialerweise auf der Potenzgeraden, was eine Möglichkeit liefert, dieselbe zu finden.
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25. Sehnenvierecke - Satz des Ptolemäus
Sie ABCD ein konvexes Sehnenviereck, d.h. ABCD
liegen auf einem Kreis k und die Punkte seien so
beschriftet, dass zwei aufeinanderfolgende Punkte
in einer Halbebene der durch die anderen beiden
Punkten bestimmten Geraden liegt. Weiters seien
α, β, γ, δ die Innenwinkel des Vierecks bei den Punkte A, B, C, D.
Zusammenfassen dieser Ergebnisse liefert:
Ein solches Sehnenviereck läßst sich durch folgende
Aussage kennzeichnen: Ein Viereck ABCD ist genau
dann ein konvexes Sehnenviereck, wenn die Summen
gegenüberliegender Innenwinkel α + γ = β + δ übereinstimmen. Das folgt aus dem Peripheriewinkelsatz.
AC BD ≤ AB CD + AD BC
Für ein Sehnenviereck gilt nun folgender Satz des
Ptolemäus:
AC BD = AB CD + AD BC
AB CD + BC AD = AC M D + AC BM =
= AC BD
Ohne Beweis sei angeführt, dass für allgemeine Vierecke folgende Ungleichung gilt:
Sonderfall:
Da jedes Rechteck einen Umkreis besitzt, gilt der
Satz von Ptolemäus auch für Rechtecke. Wegen AB
= CD, AD = BC und AC = BD ergibt sich nach
Substitution der Satz des Pythagoras für das Dreieck
ACD.
Anwendung:
Beweis:
Es sei γ > α. Dann wählen wir auf BD einen Punkt
M so, daß ∠ACB gleich ∠DCM ist. Wegen des Peripheriewinkelsatzes ist ∠BDC = ∠BAC. Daher sind
die Dreiecke BAC und M DC zueinander ähnlich.
Daher gilt
CD : M D = AC : AB
oder
AB CD = AC M D
Wir wollen nun den Satz von Ptolemäus noch zum
Beweis des folgenden Satzes verwenden: Sei A1 A2 A3
ein gleichseitiges Dreieck, P ein Punkt auf seinem
Umkreis. Dann gilt für die Streckenlängen P A1 ,
P A2 , P A3 : Die größte Länge ist die Summe der beiden anderen.
Zum Beweis bezeichnen wir so, dass P A1 die längste
Strecke ist. Dann ist P A2 A1 A3 ein konvexes Sehnenviereck. s bezeichne die Länge der Seiten des Dreiecks A1 A2 A3 . Dann gilt nach dem Satz von Ptolemäus:
Wegen ∠BCM = ∠ACD sind auch die Dreiecke
BCM und ACD zueinander ähnlich und es gilt
BC : BM = AC : AD
sP A1 = sP A2 + sP A3
woraus
P A1 = P A2 + P A3
oder
BC AD = AC BM
Geometrie für den Mathematikunterricht PS
folgt.
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