V Hintergrund 17. Februar 2013 ALESSANDRA BENEDETTI / CORBIS NZZ am Sonntag 25 «Benedikt XVI. ist der erste postmoderne Papst» Mit seinem Rücktritt hat Benedikt XVI. das Papstamt entmythologisiert. Damit ändert sich nicht nur das Bild des Papstes, sondern der ganzen Kirche, sagt die Theologin Barbara Hallensleben. Die Ortskirchen könnten eigenständiger werden NZZ am Sonntag: Wird sich in einer unbeweglichen Institution wie der katholischen Kirche mit dem neuen Papst etwas verändern? Barbara Hallensleben: Das hängt davon ab, ob der Rücktritt Benedikts XVI. als Schritt eines Einzelnen oder als Signal für das Verständnis des Amtes interpretiert wird. Der Papst ist kein leitender Manager der Kirche, sondern ein Vater – und ein Vater tritt nicht zurück, er stirbt. Cölestin V. war bisher der einzige Papst, der freiwillig zurückgetreten ist. Benedikt XVI. hat Cölestins Grab besucht und damit selbst eine Verbindung bezeugt. Cölestin galt als «Engelspapst». Er wollte die Kirche zur Heiligkeit führen. Doch führte sein Rücktritt zunächst dazu, dass unter seinem Nachfolger Bonifaz VIII. das machtvolle Bild der Kirche auflebte. Er verweigerte am Aschermittwoch sogar das Aschenkreuz, weil er glaubte, die Busse nicht zu brauchen. Droht nun ebenfalls die Rückkehr zu einem solchen Bild? In seiner Rücktrittserklärung setzt Benedikt XVI. klar andere Signale. Er spricht vom Verzicht auf das «Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri», nicht vom Rücktritt als Papst. Damit knüpft er an die Tradition des ersten Jahrtausends an. Hier sah man im Kaiser den Stellvertreter Christi; der Papst verstand sich als Stellvertreter des Fischers Petrus, den Jesus als Jünger berief, der Jesus verriet und doch von ihm zum Fels der Kirche berufen wurde. Benedikt XVI. reiht sich bescheiden in die Nachfolge des Fischers ein. breitung verschlimmere noch das Problem, sagte er auf dem Flug nach Kamerun. Missionsschwestern und Priester, die in Afrika an Millionen HIV-infizierte Menschen Kondome verteilen, brachte er damit in eine schwierige Situation. In «begründeten Einzelfällen» dürften Präservative vor Ansteckung schützen, gestand Benedikt XVI. später zu. Ein sanfter Kurswechsel, dem jedoch keine weiteren päpstlichen Initiativen folgten. Seine Bemühungen, die vielen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufzuklären, blieben halbherzig. Unmissverständlich verurteilte der Papst jene Geistlichen, die sich an Buben und Mädchen vergangen hatten, und rief Bischöfe dazu auf, verheimlichte Fälle ans Licht zu bringen. Doch er erliess kein verbindliches Dekret, pädophile Priester vor Gericht zu stellen. Barbara Hallensleben Barbara Hallensleben ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene an der Universität Freiburg. Als eine von zwei Frauen gehört sie der Internationalen Theologischen Kommission an, die der Glaubenskongregation im Vatikan zugeordnet ist. Ausserdem ist sie Konsultorin des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und Mitglied der Internationalen OrthodoxKatholischen Gesprächskommission. Zurzeit begleitet sie Forschungen über Hermine Speier, die als Jüdin im Vatikan angestellt war, und bereitet eine deutsche Ausgabe der Werke des russischen Theologen Sergei Bulgakow vor. (nst.) Welches Signal ist damit verbunden? Über lange Perioden der Kirchengeschichte war nicht der Papst mit seiner Kurie, sondern der Bischof von Rom mit der Lokalkirche von Rom der Bezugspunkt der kirchlichen Gemeinschaft. Die Kirche von Rom mit ihren lokalen Prägungen in Sprache, Liturgie und Theologie steht zunächst auf Augenhöhe mit allen anderen Lokalkirchen. Der besondere Dienst an der Einheit, der dieser Kirche zugewachsen ist, darf den Reichtum anderer lokaler Traditionen nicht schmälern. Müsste der neue Papst den Ortskirchen also mehr Eigenständigkeit zubilligen? Das Zweite Vatikanische Konzil versteht jede Lokalkirche als volle Verwirklichung der Kirche Jesu Christi. Das Vertrauen in die kirchliche Erfahrung vor Ort sollte gestärkt werden. Rom behält die Aufgabe einer Koordinations- und Appellationsinstanz. Das ist für den lebendigen Austausch in einer globalen Welt wichtig. Mit der grösseren Eigenständigkeit wächst aber auch die Verantwortung der Lokalkirchen, im weltkirchlichen, ökumenischen Horizont zu denken. Ist der Schritt Benedikts auch ein ökumenisches Zeichen? Ja. Bereits Kardinal Ratzinger hat im Dekret «Dominus Iesus» die Ostkirchen als wahre Kirchen anerkannt, auch wenn sie die katholische Lehre vom Primat nicht teilen. Damit begegnet den katholischen Kirchen in den Ostkirchen wahres Kirche-Sein, auch wenn die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom fehlt. Für die Protestanten klang es dagegen so, als spreche Benedikt XVI. ihnen ab, Kirche zu sein. Wir brauchen nur dieselben Dokumente unter anderer Perspektive zu lesen: Seit langem gibt es die gegenseitige Anerkennung der Taufe zwischen Katholiken und Protestanten. Die Taufe gliedert in den Leib Christi ein, sie ist die Grundlage gemeinsamer Kirchlichkeit. Strittig bleibt, zu welcher Entfaltung die Taufe ruft. Hier sagen die Protestanten selbst, dass sie nicht in derselben Weise Kirche sein wollen wie Katholiken. Deshalb ist die gemeinsame Kommunion nicht erlaubt. Nach katholischem Kirchenrecht ist schon jetzt jeder zur Kommunion willkommen, der den Glauben der feiernden Gemeinde bejaht. Wäre denkbar, dass die Ortskirchen auch Streitpunkte wie die Sexualmoral oder den Zölibat eigenständig regeln? Diese zutiefst die persönliche Identität betreffenden Fragen sind nicht von Rechtsnormen her zu behandeln. Denn damit geht die eigentliche Botschaft verloren: Sexualität ist ein Zeichen von Liebe als völliger Hingabe von Leib und Seele. Der Zölibat, der mit den zwei anderen Ordensgelübden Armut und Keuschheit verwandt ist, steht für ein Gegenmodell zum Versuch der Menschen, durch Reichtum, Macht und Selbstreproduktion die eigene Zukunft zu sichern. Wenn wir sichtbar machen, wie viel Weisheit in diesen Lebensregeln steckt, verlieren Rechtsnormen an Bedeutung. Dann könnte der Rücktritt nicht nur das Bild des Papstamtes verändern? Der Impuls Benedikts XVI. reicht viel weiter. Pius IX., der Papst von 1848 bis 1878, war ein typischer Papst der Moderne, der die Absolutismen der politischen und wirtschaftlichen Welt durch die Absolutheit des päpstlichen Selbstverständnisses zu überbieten suchte. Dieses Papstbild ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts und wurde von den folgenden Päpsten mehr oder weniger imitiert. Man könnte Benedikt XVI. als den ersten postmodernen Papst betrachten, der ein ganz neues Zusammenspiel zwischen Amt und Person, Weltkirche und Ortskirche anregt. .................................................................................. «Das Papstamt wird desakralisiert. Damit droht die Gefahr, dass die Kirche als Konzern missverstanden wird.» .................................................................................. Und damit das Papstamt relativiert. Benedikt macht mit dem Rücktritt auf die Dualität des kirchlichen Handelns aufmerksam: Gott handelt in der Geschichte und bezieht Menschen darein ein, aber sie werden nicht zu autonomen Trägern göttlicher Vollmacht. Wie oft wird das Weltliche, Endliche, Unzureichende der Kirche hämisch gegen sie gewendet. Nun verweist ein Papst öffentlich und aus freien Stücken auf seine Begrenztheit. Was für Folgen kann das haben? Das Papstamt wird desakralisiert, entmythologisiert. Damit droht aber auch die Gefahr, dass die Kirche als internationaler Konzern missverstanden wird, der einen neuen, fähigen Manager braucht. Die Kirche ist dann nur noch menschlich und weltlich. Was ist die Alternative? Wünschenswert wäre ein dritter Weg, auf dem weder das machtvolle Bild wiederbelebt noch ein rein weltliches Verständnis von Kirche geschaffen wird. Das ist die Herausforderung für den neuen Papst. Wie könnte das aussehen? Die Postmoderne hat die Weltlichkeit der Welt in nihilistischer Perspektive entdeckt. Demgegenüber hilft keine Flucht in einen Sakralraum, der die säkulare Welt noch mehr ihrer Nichtigkeit überlässt. Die Botschaft der Kirche ist Verheissung und unbedingte Hoffnung für diese Welt: in ihrer Profanität steckt das Potenzial, Reich Gottes zu werden. Letztlich geht es um das Gottesbild: Unser Gott ist ein Gott der Selbstentäusserung aus Liebe, der diese konkrete Welt in ihrer ganzen Banalität und Gebrochenheit annimmt. Laien beklagen oft, die Kirche zu wenig mitgestalten zu können. Was könnte die Öffnung zur Welt für sie bedeuten? Vielleicht haben wir uns zu lange auf die hauptamtlichen Laientheologen konzentriert und die Berufung aller Laien zum gemeinsamen Priestertum nicht genug vermittelt. Schon lange sagen die Päpste, dass der Glaube Kultur und Lebensform für heute werden kann. Wie man als Christ in dieser Welt lebt, seine Zeit plant, Beziehungen führt – dazu könnte ein Papst Anregungen geben. Wird der nächste Papst auch mit anderen Religionen den Dialog suchen? Ja. Religiöse Menschen begegnen gewöhnlich dem Glauben anderer mit Ehrfurcht. Schwierig ist es, wenn sich Bekenntnisse begegnen, die in keiner Weise intellektuell versöhnt werden können. So impliziert der Islam die Einheit von religiösem Bekenntnis und öffentlicher Ordnung, während das Christentum diese Ebenen trennen kann. Wer die Spannung nicht aushält und eine vermeintliche neutrale Plattform jenseits der Bekenntnisse sucht, wird den «Kampf der Zivilisationen» verschärfen. Der Versuch des Papstes, die exkommunizierte Piusbruderschaft in die Kirche zurückzuholen, ist noch nicht geglückt. Der Papst hat eine grosse Geste der Versöhnungsbereitschaft vollzogen. Die Piusbrüder sind nicht katholisch, solange sie sich zum Massstab für das Katholische machen. Der nächste Papst kann abwarten, bis sie auf ihn zugehen. Interview: Nina Streeck Exklusive Eigentumswohnungen in Davos IhR pRIvatES alpEnpaRaDIES <wm>10CAsNsjY0MDAx1TW0sDA2MQMAkOnCqg8AAAA=</wm> <wm>10CFWMMQ4CQQwDX5SVneSWhJTouhMFok-DqPl_xS0dhUeyNPZx1Dbwy22_P_dHEfBNGGE-K9RHhBanD0cWaNQTV7rCdFr--QLmNKCXcxYxNl2YguwLvGnrodcaNj6v9xdQVCbIgAAAAA==</wm> Bezugsbereit ab Dezember 2013 Besuchen Sie unsere Website und erfahren Sie mehr über die Residenzen. www.residences-davos.ch