Kirchenpräsident Dr. Martin Heimbucher Wie die Weisen aus dem Morgenland dem Abendland das Evangelium bringen Eine Hoffnungspredigt zu Matthäus 2, 1-12 am 4. Januar 2015, Große Kirche in Leer Liebe Gemeinde, als Evangelium für den vor uns liegenden Epiphaniastag ist seit alter Zeit vorgesehen die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland. Mittelalterliche Frömmigkeit hat diese Erzählung aus dem zweiten Kapitel des Matthäusevangeliums äußerst wirkungsvoll übermalt mit Gold, umnebelt mit Weihrauch und versetzt mit Myrrhe. Daraus wurde dann die volkstümliche Legende von den Heiligen Drei Königen. In diesen Tagen werden die Sternsinger unserer katholischen Nachbargemeinden diese Dreikönigsgeschichte wieder anrührend in Szene setzen. Auch in unserem Kirchenamt in der Saarstraße werden wir uns dann wieder mit geweihter Kreide das C und das M und das B über die Tür malen lassen, wer weiß, wozu es gut ist … Und gern stecken wir auch wieder einen Schein in die Sammelbüchsen, und da wissen wir, wozu es gut ist. Auch unter unseren römisch-katholischen Geschwistern ist freilich bekannt, dass der hübsche Dreikönigskult mit der ursprünglichen Erzählung des Matthäus kaum noch etwas zu tun hat. Denn all das sind die Weisen aus dem Morgenland nach dem Original eben nicht: sie sind nicht „heilig“ - sondern sie sind Heiden; es sind auch keine „drei“ - es sei denn, man würde einfältig von der Zahl der Gaben auf die Zahl der Leute schließen; und schließlich sind es auch keine „Könige“, sondern angesehene Vertreter der hohen Wissenschaften. Was soll uns aber dann diese Erzählung vom Anfang des Evangeliums, wenn sie so gar nichts zu tun hat mit der Übermalung späterer Jahrhunderte? Mit der historischen Beweisbarkeit ist es bei den Weihnachtsgeschichten nach Lukas und Matthäus ja auch nicht viel weiter her als bei mittelalterlichen Legenden. Aber es kommt auf die Botschaft an, die sie transportieren. Liebe Gemeinde, ich möchte diese Erzählung mit Ihnen heute lesen als eine Hoffnungsgeschichte für das neue Jahr 2015. Meine Überschrift über diese Geschichte lautet: Wie die Weisen aus dem Morgenland den Menschen im Abendland das Evangelium bringen. Fünf Szenen hat diese Erzählung 1. Szene: Fremdlinge als Botschafter Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.“ Aus dem Morgenland. Was so geheimnisvoll klingt, nach tausendundeiner Nacht duftet: „Morgenland“, ist im Urtext nicht mehr als ein nüchterner geografischer Hinweis: von Osten nämlich kommen sie her, von dort, wo die Sonne aufgeht. Und das ist von Jerusalem aus gesehen das Land zwischen Euphrat und Tigris, also Gebiete des heutigen Irak und Iran. Dementsprechend sagt im Übrigen auch der Begriff, der heute wieder in aller Munde ist: das „Abendland“, zunächst ebenfalls nicht mehr als das: nämlich im Westen, dort wo am Abend die Sonne untergeht – und wir tun gut daran es dabei zu belassen. Denn ideologisch aufgeladen wird dieser geographische Begriff „Abendland“ nur dort, wo man einen abgrundtiefen Gegensatz zwischen Osten und Westen behaupten möchte. Das hatten wir doch schon einmal? „Ach wie war es doch vordem, im Kalten Kriege so bequem: Hier die Guten, dort die Bösen, im Osten die einen, im Westen die andern.“ Wie uns die selbst erlebte Geschichte lehrt, ist eine solche Zweiteilung der Welt zu einfach, um wahr zu sein. So war es vor einem halben Jahrhundert, wo man auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs mit dieser Zweiteilung der Welt Politik gemacht hat. Und genauso falsch ist es heute, eine neue Zweiteilung der Welt zu behaupten: etwa die christliche Welt gegen den Islam. Liebe Gemeinde, eine solche einfach gestrickte Weltsicht wird den Problemen kaum gerecht. Und denen, die heute die Rede vom „Abendland“ im Munde führen, sagen wir: Eine ideologische Zweiteilung der Welt ist von unseren jüdisch-christlichen Wurzeln her gerade nicht möglich. Da können sie montags noch so viele Weihnachtslieder singen die biblische Weihnachtsgeschichte widerspricht ihnen stracks. Nach dem Matthäusevangelium sind die ersten, die den Weg nach Bethlehem finden, ausgerechnet Heiden aus dem Morgenland! Die Weihnachtsgeschichte erzählt: Gottes neue Welt wird in Israel geboren. Aber sie weist von Anfang an weit hinaus über die Grenzen von Volk und Nation. Darum ist diese Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland eine Hoffnungsgeschichte für das neue Jahr: Sie lässt hoffen, dass wir Abendländer uns besinnen auf unsere Wurzeln und auf unsere Zukunft. Das „christliche Abendland“ - wenn es so etwas denn jemals gab - war niemals national oder regional beschränkt. Es bezieht seine Identität gerade nicht aus der Abgrenzung gegen andere. Sondern es lebt davon, dass im Zeichen des Gottesfriedens Menschen zusammenfinden: vom Abend und vom Morgen, aus dem Westen und dem Osten, aus dem Norden und Süden. Wer das leugnet, soll sich bitte nicht mit dem Begriff „Abendland“ schmücken. Umgekehrt gilt: Überall, wo in diesen Tagen und Wochen Platz gemacht wird an den reich gedeckten Tischen in Mitteleuropa, überall, wo Menschen willkommen geheißen werden, ohne Rücksicht auf Herkunft und Religion, überall, wo Menschen Zuflucht finden, die hier auf Frieden hoffen und auf Gerechtigkeit, überall dort bricht sich die Hoffnung Bahn, von der das Evangelium erzählt. 2. Szene: Herodes und seine Theologen Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1): »Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.« Herodes, der Machthaber, wittert Konkurrenz. Seine Theologen verraten willfährig, was die Schriften sagen. Mit des Herodes Macht steht auch ihre eigene auf dem Spiel. Im Dienst der Machterhaltung riskieren sie es, Beihilfen zu leisten zu Mord und Totschlag im Auftrag des Königs. Eindrucksvoll wird in dieser Szene gezeigt, wozu Theologie verkommen kann, wenn sie „höflich“ wird; wenn Hoftheologen den Mächtigen die Stichworte liefern, oft im eigenen Interesse. Und wieder haben wir hier keineswegs eine abendländische Überlegenheit ins Feld zu führen gegenüber morgenländischer Unaufgeklärtheit. Viele Jahrhunderte waren auch in Europa Bündnisse zwischen Thron und Altar sicherer als das Amen in der Kirche. Eine letzte Fratze dieses Irrwegs haben uns die sogenannten „Deutschen Christen“ gezeigt. Sie wollten der Naziideologie einen christlichen Anstrich geben und haben dabei alle Artikel des christlichen Glaubens schamlos verraten. Also, wir brauchen uns nicht überheben gegenüber dem Missbrauch des Islam als einem politischen Herrschaftsinstrument, wie er uns heute zum Beispiel im Iran begegnet – um von den ISIS-Faschisten einmal zu schweigen. Aber wir werden auch keinen Fußbreit nachgeben, wenn – von welcher Seite auch immer – im Osten oder im Westen weltliche Herrschaft religiös beweihräuchert und gegen Kritik immun gemacht werden soll. Religion ist die Kritik weltlicher Herrschaft im Namen Gottes, aber nicht deren Steigbügelhalter. Eine Hoffnungsgeschichte ist das, wenn sie uns Theologen und Kirchenleute davor warnt, im Spiel der Mächtigen mitzuspielen. Wir verraten die Schrift, wenn wir sie in den Dienst weltlicher Herrschaft stellen. Denn die Bibel bleibt ein kritisches Gegenüber zur politischen Macht: Sie erklärt eben nicht die Königsstadt Jerusalem zum Ort des Kommens Gottes, sondern das kleine Bethlehem. Gottes Reich orientiert sich nicht an den Metropolen, sondern an der Peripherie. Und wie in Bethlehem einst David, der Hütejunge vom Feld, auserwählt wurde vor allen seinen großen und starken Brüdern, so erwählt Gott ein hilf- und wehrlosen Neugeborenen zum „König aller Königreich“, zu dem einen Herrn aller Herren, den wir an Weihnachten als „Davids Sohn“ besingen. Wie gut, dass das Matthäusevangelium das sogleich am Anfang klarmacht. Der durchsichtige Versuch des Herodes, sich mithilfe seiner Hoftheologen des neuen und einzigartigen „Königs der Juden“ habhaft zu machen, schlägt fehl. Mag der Tyrann auch noch so wüten: Das Blutbad, das er an später an den Säuglingen von Bethlehem verübt haben soll, wird dem Jesuskind nicht schaden. Denn seine Eltern haben mit dem Kind Asyl in Ägypten gefunden. Das ist eine weitere Hoffnung, die unsere Geschichte von den Weisen aus den Morgenland für das neue Jahr enthält: Die Anschläge der Tyrannen und Terroristen mögen schrecklich sein. Aber sie gewinnen keine Zukunft, weil Gott sich gegen sie gestellt hat – in diesem Neugeborenen aus Bethlehem und in all jenen, die seiner Spur folgen, mögen sie Christen sein oder Heiden. 3. Szene: Versuch einer geheimdienstlichen Anwerbung Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass auch ich komme und es anbete. Wären sie tatsächlich Könige, Mächtige gewesen, so hätten sie das Spiel des Herodes vielleicht mitgespielt. Dann wären sie vielleicht hereingefallen auf seine Heuchelei und hätten ihrerseits mitgeheuchelt. Mächtige unter sich. Eine Hand wäscht die andere. Aber es handelt sich tatsächlich um ausgesprochen kundige und gewissenhafte Leute. „Weise“ hat Luther sie in seiner Übersetzung genannt, aber das klingt wohl ein wenig zu harmlos. „Magioi“ heißen sie nach dem Urtext. Gemeint sind wohl Angehörige einer persischen wissenschaftlichen Elite, umfassend gebildet nach dem damaligen internationalen Standards der Philosophie, der Religions- und der Naturwissenschaften. „Wir haben seinen Stern entdeckt.“ Diese Erkenntnis, gewonnen aus astronomischer Himmelsbetrachtung und astrologischer Spekulation, bringen sie nach Jerusalem, das in dieser Hinsicht noch hinterm Berge lag. Ich erinnere mich an einen Besuch ein, den ich einmal als Pastor bei Göttingen gemacht habe. Herr Wessofski wurde 70. Beruflich war er Techniker beim Max-Planck-Institut für Weltraumforschung gewesen. Unter seiner Obhut wurden große Spiegelteleskope konstruiert, die die NASA bei ihren Weltraumprogrammen verwendete. Stolz und gerührt zeigte er mir Farbfotos von galaxienweit entfernten Sternennebeln und formationen, die mit seinen Teleskopen aufgenommen worden waren unendlich weit entfernt – und hoch faszinierend! Solche Bilder erwecken in uns die Ahnung: In den Tiefen des Weltraums rühren wir an Geheimnisse des Göttlichen. Und das ist die spannende Botschaft unserer Erzählung von den Weisen: Schon solch eine Faszination kann immerhin dazu führen, dass Menschen sich auf den Weg machen. Unsere Geschichte erzählt, wie sie bewegt von ihren wissenschaftlichen oder spekulativen Einsichten aufbrechen in die Fremde, in ein unbekanntes Land, wie sie sich auf die Suche begeben auf den Spuren Gottes, die sie bei ihrer Naturbeobachtung wahrnehmen. An den Weisen aus dem Morgenland sieht man, wie diese im Grunde heidnisch-religiösen Wissenschaften zwar nicht ganz ans Ziel gelangen, nicht ganz dorthin, wo Gott sich zeigt - aber immerhin schon in die Nähe. Sie gelangen auf ihrer faszinierten Suche so weit dass sie das Wort hören können, das sie zu dem Gotteskind nach Bethlehem führt. Insofern ist unsere Geschichte nebenbei auch eine Hoffnungsgeschichte für alle, die auf der Suche sind: wissenschaftlich, philosophisch oder spirituell. Gott weist ihnen den Weg. Das ist ihre Hoffnung für 2015. 4. Szene: Die Weisen am Ziel Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Hier sind wir also am Höhepunkt und am Ziel unserer Geschichte. Das Ziel des Evangeliums ist es, dass Menschen eine große Freude erleben. So lautete ja das Weihnachtsversprechen des Engels auf den Feldern von Bethlehem: „Siehe, ich verkündige euch große Freude die allem Volk widerfahren wird“. In unserer Geschichte werden wir Zeugen, wie dieses Versprechen für die Weisen aus dem Morgenland wahr wird. Von ihnen heißt es nun: „Als sie den Stern sahen über dem Ort der Geburt, wurden sie hoch erfreut.“ Gottes Ziel – mit uns und gegen uns – ist es, dass große kluge Menschen aus lauter Freude sich klein machen vor diesem Kind – vor diesem einzigartigen Herrn. So heißt es von den Weisen hier: „Und als sie das Kindlein fanden, fielen sie nieder und beteten es an.“ Und schließlich ist es Gottes Ziel mit uns, dass wir aus der Freude des Findens heraus bereitwillig abgeben von unserer Habe. Denn so heißt es am Ziel unserer Geschichte von den Weisen: „Sie taten ihre Schätze auf und schenkten dem Kind Gold, Weihrauch und Myrrhe“. Dies Ziel also hat Gott mit allen, die sich in dieser Geschichte wiederfinden, dieses Ziel hat Gott mit uns: Dass uns große Freude widerfährt, eine Freude, die uns dazu befreit, uns selber klein zu machen gegenüber Jesus Christus und von unseren Schätzen - von den materiellen und den ideellen Schätzen des Abendlandes – großzügig weiterzugeben. 5. Szene und Schluss: Rückkehr auf einem anderen Weg Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem andern Weg wieder in ihr Land. Die Begegnung mit dem Jesuskind führt zur Umkehr, in diesem Fall zur Heimkehr ins Morgenland auf einem anderen Weg. Nein, diese Weisen aus dem Morgenland werden nicht noch einmal den Weg über Jerusalem gehen. Sie werden einem erneuten Zusammentreffen mit dem heuchlerischen Herodes aus dem Weg gehen. So entziehen sie sich dem mörderischen Machtspiel des Königs. Dass sie aber sogleich oder später Christen geworden seien, davon und von den vielen Legenden, die später mit dieser Geschichte verbunden worden sind, hören wir im Text kein Wort. Was aber da am Schluss steht, ist noch viel aufregender als eine fromme Legende es sein könnte: Heidenmenschen kehren um. Hochgelehrte Wissenschaftler werden in der Begegnung mit diesem Gotteskind lebensklug, ja zu Beschützern des bedrohten Lebens. Noch ein letzter Hoffnungsaspekt leuchtet hier aus dieser Erzählung ins neue Jahr hinein. Wissenschaftler können zu Verbündeten werden mit dem Retter der Welt. Es gibt ein Zusammenwirken zwischen den säkularen Wissenschaften und der Botschaft, die der Welt eine unvergängliche Freude bereitet. Wir geben unser Zeugnis von der Zukunft Gottes in einer globalisierten und durch Wissenschaft und Technik faszinierend veränderten Welt. Und wir finden Verbündete dort, wo wir es nicht erwarteten: auch aus dem Morgenland, aus dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten; in der klugen Abwehr tyrannischer und terroristischer Anschläge; und in Vertretern der neuen Wissenschaften. Die Weite dieses Evangeliums erlaubt keine Zweiteilung der Welt. Die eine Welt aller Menschen empfängt Gottes unüberwindliche Liebe. Des sind wir Zeugen. Und wir sind damit nicht allein. Amen.