1 FOLIE 1 Meine sehr verehrte Damen und Herren Ich beginne mit einem alten Philologenwitz, welcher im Original vom österreichischen Schriftsteller Karl Kraus stammt, der einmal formulierte: „Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück“. Die Wahrheit dieser Äußerung offenbart sich dem AnsehenWollenden besonders bei plakativen Großbegriffen, deren ihnen intuitiv zugeschriebener Sinn sich bei genauem Hinsehen spontan verflüchtigt. Mehr oder weniger rezente Schweizer Debatten um die Verschärfung des Ausländerrechts, das Minarettverbot oder den Ausschaffungsentscheid sowie bundesdeutsche Diskussionen um Leitkultur und Integrationsverweigerung zeigen, wie konturlos, inhaltsleer und subkomplex der jeweils in Anschlag gebrachte Fremdheitsbegriff genau dann bleibt, wenn man ihn als Hintergrundsfolie solcher Zusammenhänge eigentlich zu substantiieren hätte. Wenn ich Ihnen in der Folge zu zeigen versuche, dass dies im pharaonischen Ägypten trotz der Allfälligkeit von Fremdenbildern nicht anders war, dann drängt sich zumindest zweierlei Verdacht auf: dass es erstens beim Reden über das Fremde eigentlich um etwas Anderes geht – man könnte das kurz als das einseitige Ausagieren von Asymmetrien zum je Eigenen Vorteil bezeichnen – und, viel schlimmer, dass wir zweitens in den letzten gut viereinhalbtausend Jahren nicht viel gelernt haben. FOLIE 2 Ich werde in der Folge versuchen, sie über drei Aspekte des ägyptischen Blicks auf das Fremde ins Bild zu setzen. In einem ersten Teil werde ich Ihnen das ägyptische Ikon für die Grundoperation der Unterscheidung zwischen Fremd und Eigen vorstellen und argumentieren, daß damit der Rahmen für alle anderen Repräsentationsmöglichkeiten von Fremdheit in Ägypten abgesteckt ist. In den Teilen zwei und drei werde ich die Konsequenz dieser Rahmengebung für konkrete Fremdheitsrepräsentationen anhand von Text- und Bildquellen exemplarisch vorstellen. I. Wie die Ägypter ihre Nachbarn sahen? Ich hätte es Ihnen und mir einfach machen und antworten können – FOLIE 3 – SO! und hätte 2 damit alles gesagt. Zumindest wäre das nicht wirklich falsch, denn jeder Ägyptologe würde Ihnen – mit je nach involviertem Eigeninteresse mehr oder weniger Magengrimmen – zustimmen, daß einiges dafür spricht, daß der Ägypter den Fremden am liebsten so wahrgenommen hat, wie ihn diese Darstellung zeigt. Es versteht sich von selbst, dass in diesem Zusammenhang mit dem Ägypter die Trägergruppe des kulturellen Gedächtnisses gemeint ist und mit dem Fremden das Bild, das sich diese Gruppe vom Fremden macht und in die Welt setzt. Das setzt dann auch voraus, daß es sich bei dem ägyptische Fremdenbild zunächst um ein metaphysisches Idealbild handelt (=> ethischen Bildbegriff), das seinerseits in verschiedenen sprachlichen und visuellen Bildern des Fremden zum Ausdruck gebracht werden kann. Sie sehen Pharao beim sogenannten Erschlagen der Feinde, einer Szene, FOLIE 4 der man typischerweise als Außendarstellung an den Eingangspylonen ägyptischer Tempel begegnet. Die Szene wirkt auch in nichtägyptologischer Wahrnehmung vertraut und scheint irgendwie repräsentativ zu sein für das Bild, das man sich bis heute vom pharaonischen Ägypten macht. Jan Assmann hat die gedächtnisgeschichtliche Spur, wie er es nennt, dieses Teils unseres abendländischen Ägyptenbildes über die biblischen Darstellungen der Knechtung Israels und Herodots Erzählung vom Pyramidenbau verfolgt. Die Folie zeigt den Eingang von Medinet Habu, dem Totentempel Ramses III. aus der 1. Hälfte des 12. vorchristlichen Jahrhunderts. FOLIE 5 Pharao steht ausschreitend und mit zum Schlag erhobener Keule vor einer Gruppe kniender und gefesselter Vertreter verschiedener nichtägyptischer Ethnien, die mit erhobenen Armen um Gnade betteln. Gleichzeitig führt der Gott Amun-Re-Herachte, bei dem es sich zu dieser Zeit um die zentrale religiöse Legitimationsfigur königlichen Handelns handelte, dem Pharao Reihen-weise angeleinte weiterer Ethnien zu, die jeweils durch eine Kombination aus gebundenem menschlichen Oberkörper und einem Ortsnamen symbolisiert werden. Herr Dr. Adrom ist mit einer Arbeit über solche sogenannte Fremdvölkerlisten promoviert worden.Listen solcher NAMENSRING NOCHMAL EINBAUEN Eine ebenso kurze wie gängige ägyptologische Erklärung einer solchen Darstellung lautet, daß Pharao hier bei der Ausübung von Weltherrschaft gezeigt wird. Nach ägyptischer Vorstellung herrscht 3 Pharao als immer siegreicher „All-“ bzw. als „Weltherrscher“. FOLIE 6 Die ägyptischen Ausdrücke dafür sind nb tm (wörtl. „Herr der Gesamtheit“), nb wo (wörtl. „alleiniger Herr“) bzw. nb r Dr (wörtl. „Herr bis zur Weltgrenze“). Pharaos Herrschaft ist also das, was der Welt ihre Ordnung gibt und was diese Ordnung stabil hält. Die Garantie dieser Weltordnung, die im ägyptischen Terminus Ma‘at („Auf Gegenseitigkeit basierende Richtigkeit“) ihren begrifflichen Ausdruck findet, sei demnach die vordringliche wenn nicht einzige Herrschaftsaufgabe des ägyptischen Königs. Bereits in den frühesten Phasen der ägyptischen Geschichte ins Ikon vom Erschlagen der Feinde gefasst, bleibt dieser absolute Suprematieanspruch (Hegemonialanspruch dann ab NR => Wenamun) Ägyptens über seine Unwelt bis zum Ende der pharaonischen Kultur unverändert und findet in unterschiedlichsten Bild- und Textmedien seinen Ausdruck. Hier eine kleine Auswahl. FOLIE 7 Links eine Darstellung aus einem prädynastischen Fürstengrab in Hierakonpolis aus der Negade II Zeit sowie rechts ein Elfenbeintäfelchen aus der frühdynastischen Zeit aus dem Königsfriedhof von Abydos FOLIE 8 Hier eine Expeditionsinschrift aus dem Alten Reich aus den Minengebieten des Sinai; FOLIE 9 und hier ein Blatt Papyrus mit Hymnen auf König Sesostris III aus der 12. Dynastie. In der 4. Kolumne von rechts wird beschrieben, wie Pharao „die fremden Lande in der Hand hält und sie niedermacht, ohne daß er mit seiner Keule zuschlagen müsste“ (xAswt m rmn.wy=fj smA pd.tyw nn sxt xt) FOLIE 10 Hier sehen sie zwei Ostraka aus dem Neuen Reich, einmal mit König Ramses II. beim Erschlagen der Feinde, einmal mit einer Bildmetapher, in der der als Löwe dargestellte König Ramses IV einen Nubier niedermacht, der sich vor Angst einnässt; daneben sehen Sie das Ikon vom Erschlagen der Feinde auf einem Skarabäus. Bei diesen Objekten der Kleinkunst handelt es sich um ein spezifisch ägyptisches Massenkommunikationsmedium, mit dem der „Schrecken Pharaos“, wie es in Texten häufiger heißt, nicht nur in die entferntesten Winkel Ägyptens, sondern tatsächlich in die gesamte damals bekannte Welt getragen wurde. FOLIE 11 Die bis hierher gegebene Beschreibung unseres Eingangsbildes ist im großen und ganzen sicherlich nicht falsch: Sie 4 ist aber recht eigentlich weniger eine Erklärung dessen, was man sieht, als vielmehr eine ägyptologische Nacherzählung ägyptischer Weltherrschaftsvorstellungen und kann daher der Komplexität, die in dieses Bild reduziert ist, nur bedingt Rechnung tragen. Das Bild kommuniziert nämlich unter anderem auch das Paradoxon, daß sich die Welt entgegen dem ägyptischen Anspruch auf absolute Weltherrschaft de facto in einen beherrschbaren und einen widerständigen, man könnte auch sagen: einen eigenen und einen nicht eigenen Teil aufteilt. Das Nicht-Eigene zeichnet sich unter anderem dadurch aus, daß dort die Anderen als Andere da sind. Daß diese Alterität zunächst auch für die ägyptische Kultur unhintergehbar ist, läßt sich leicht belegen: ihre kulturelle und ethnische Differenzqualität wird von ägyptischer Seite seit jeher als solche wahrgenommen und in sämtlichen unserem Bild vergleichbaren Darstellungen zwar schematisch, aber eben doch eindeutig reproduziert, FOLIE 12 wie sie hier links im Bild sehen können. Daneben sehen Sie eine andere Version des stereotypen ägyptischen Blicks auf kulturelle Differenz, die berühmte Darstellung aus dem Pfortenbuch des sog. Neuen Reiches, von rechts nach links Ägypter, Asiaten, Nubier und Libyer. In Zusammenhängen wie dem des Ikons vom Erschlagen der Feinde FOLIE 13 und damit im Rahmen der ägyptischen Basiswahrnehmung des Unterschieds zwischen Eigen und Anders hat die als solche unhintergehbare Alterität allerdings einen anderen – und das heißt immer: negativen – Funktionswert: das Alteritäre ist bereits zum Fremden uminterpretiert und dementsprechend zugerüstet, das Fremde ist hier bereits das aufgefaßte Andere, Fremdheit also ein Interpretament von Alterität. Karl Valentin hat es auf den Punkt gebracht: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“. Die analoge ägyptische Formulierung für dieses Phänomen finden Sie in der Inschrift einer Grenzstele, die König Sesostris III. um 1820 v. Chr. an der Grenze zu Nubien hatte aufstellen lassen. Sie lautet frei übersetzt: „Menschen sind es zwar schon, nur keine von Geltungsqualität“. Tatsächlich steht Ägypten in seiner Selbstwahrnehmung als politische Formation immer gegen ein als unkontrollierbar, chaotisch und bedrohlich verstandenes Anderes, das in feindlicher Absicht gegen Ägypten anbrandet. Pharaos primäre Aufgabe im Rahmen der Aufrechterhaltung ägyptischer Ordnungsvorstellungen besteht also viel weniger in der Ausübung 5 absoluter Weltherrschaft als vielmehr in der Stabilisierung einer Grenze zwischen Ägypten und einer als feindlich konzipierten Umwelt. Diese Grenzzeihung erst erlaubt es, zwischen einem klar definierten Innenund Außenbereich zu unterscheiden. Dementsprechend stehen Pharao zwei komplementäre Aktionsmodalitäten zur Verfügung. Nach Innen ist Pharaos Herrschaft konstruktiv, über Ägypten herrscht er als ordnender Begründer und kulturschaffender Ermöglicher; nach Außen hingegen zeigt sich Pharaos Macht als das Vermögen, das Fremde durch wiederholte Destruktion zurückzuhalten und dadurch eine ganz spezifischen Form von Kontrolle auch über das eigentlich Unkontrollierbare auszuüben. FOLIE 15 Ich gebe Ihnen ein Zitat aus einem Text, der zwischen 2250 (Pyramidenzeit) und 650 vor Christus nahezu unverändert in Umlauf war und dieses Konzept gottesgnädiger Herrschaft recht gut auf den Punkt bringt. ZITAT: „Er [der Sonnengott] möge den König mit Leben versehen, ihn erfreuen und froh stimmen. Er möge ihm Oberägypten und Unterägypten kultivieren. Er möge ihm die Siedlungen Asiens verwüsten und ihm alle feindlichen Kreaturen unter seine Finger schütten“. FOLIE 16 Die Existenz derartiger Äußerungen über die Differenz zwischen Innen und Außen ist damit wesentlich an die Entwicklung einer politischen Makrostruktur gekoppelt, die sich als „Ägypten“ (t#; t#.wj; km.t) aus Welt ausdifferenziert und die im Verlauf dieser Operation entstandene Differenz zu ihrer Umwelt (X#s.wt „Fremdländer“) konstant zu halten sucht. In der Tat haben wir mit den unzähligen Versionen vom Erschlagen der Feinde die häufig um konkretes historisches Weltwissen angereicherte ikonisierte Repräsentation der ägyptischen Reflexion auf den initialen Moment der Ausdifferenzierung Ägyptens aus seiner Umwelt vor sich. Die Aufrechterhaltung dieser Differenz zwischen System und Umwelt, bzw. die Grenzerhaltung als die basale Operation der Systemerhaltung werden in den Selbstbeschreibungen des politischen Systems kommuniziert als ein dauerhafter Abwehrvorgang (ägyptisch: d#r) des im Rahmen der Selbstidentifizierung Ausgeschlossenen (X#s.wt) und als die Verteidigung der dafür notwendigen Grenzen (ägyptische Begriffe: t#S oder Drw). Die Grenze, um die es in diesem Zusammenhang geht, ist zunächst ganz eindeutig konzipiert als eine „Grenze bis“, nicht als eine „Grenze zwischen“ und entspricht 6 ungefähr dem englischen frontier-Begriff. Sie ist somit keine Demarkationslinie zwischen klar umrissenen Territorien, sondern steht als Außengrenze, häufig sogar direkt als Weltgrenze, immer in Bezug zu aktivem königlichem Handeln. Die Grenze kann dementsprechend beliebig erweitert werden (ägyptisch: s.wsX-t#S oder jnj-Drw). Das Fremde, welches im Rahmen eines solchen Exklusionsvorgangs durch negative Zurüstungen aus dem Anderen konstruiert wird, und hier zeigt sich dann, wie berechtigt der inflationär gebrauchte Konstruktionsbegriff besonders im Rahmen xenologischer Debatten ist ist also nie das nur einfach Andere oder das gleichberechtigt Alteritäre. Es ist das Fremde schlechthin, das radikal Aliene, das programmatisch Unbekannte und das keinem Gehörige. Der zugewiesene Ort dieses Fremden ist das Draußen. Es steht außerhalb jeder Ordnung und ist von daher offen für ägyptische Versuche, die eigenen Ordnungsvorstellungen auf es auszudehnen und es sich dadurch in beliebiger Weise anzueignen. In konzeptioneller Hinsicht ist die Grenze, die zwischen Innen- und Außen verläuft, eine Grenze zwischen Relevanz und Irrelevanz bzw. Existenz und Inexistenz. All das führt zu einem hohen Kontingenzmoment in der ägyptischen „Zuwendung“ zur Umwelt, und so oszilliert denn auch in ägyptischer Wahrnehmung dieses radikal Fremden in ganz typischer Weise zwischen den Extremen von Furcht und Faszination. Ein solches Weltmodell ist nicht ungefährlich für die Ausgeschlossenen, denn im konkreten Kontaktfall muß von ägyptischer Seite mit Gewalt an der realen Existenz des dann immer als feindlich aufgefaßten Fremden manipuliert werden. Diese auf Dauer gestellte Gefahr physischer Vernichtung ist auf den Punkt gebracht in der stereotypen Formel: FOLIE 17 „Niedertrampeln (ptpt) der Fürsten aller Fremdländer und sie zu etwas machen, das es nie gab“, die Sie hier vor dem König sehen. Wenn man sich mit diesem Fremden befaßt, kann man damit grundsätzlich tun und lassen, was man will: man holt sich von dort, was man selbst nicht hat, inklusive billiger Arbeitskräfte – die stereotype Phrase von „allen schönen und guten Dingen eines jeden Fremdlandes“, die sie hier sehen können, spricht in diesem Zusammenhang Bände, und was oder wen man nicht mitnehmen oder deportieren kann oder will, wird verwüstet oder getötet, ganz nach Belieben. So heißt es hier: „Du [König] magst dem von Ihnen Luft lassen, dem Du magst, und den töten, nach dem Dir der Sinn steht“. 7 Wenn man diesen Befund ein wenig systematisiert, dann deutet gerade der Anspruch auf Suprematie und totale Umweltkontrolle, den das als dynastisches Reich organisierte Ägypten kommuniziert und durch Zerstörung im Umweltbereich durchsetzt, auf das paradoxe Phänomen, daß es sich mit dem Soziologen Niklas Luhmann bei Selbstbeschreibungen dieser Art um einen Zitat– „für ältere Reichsmodelle“ typischen „Modus der Systembeschreibung“ handelt, „der eine gewisse Verfügungsgewalt des Systems über sich selbst zum Ausdruck bringt“. Das hat damit zu tun, daß eine totale Kontrolle über die Umwelt schlichtweg unmöglich ist, es sei denn durch Destruktion, also durch genau die Form von Umweltzuwendung, die Ägypten dann auch praktiziert. Wollen politische Gebilde unter solchen Voraussetzungen über die eigene Entstehung sprechen, ist die eigene Selbstvoraussetzung geradezu zwangsläufig impliziert. Allerdings löst der ägyptische Mythos das Problem der Selbstvoraussetzung insofern besonders raffiniert, als er die erstmalige Ausdifferenzierung Ägyptens aus Welt als „Vereinigung der beiden Länder – t#.wj“ vorstellt und damit das Problem der Innen-Außen-Differenz zu einem Problem der eigenen Binnendifferenzierung umformuliert. Eine in solchen Zusammenhängen konstruierte Fremdheit ist dann in der Tat nichts anderes als ein, wie Assmann es einmal in generellem Zusammenhang formulierte, sehr rudimentäres „Korrelat“ von Zugehörigkeit. Das läßt sich auch für Ägypten empirisch hinterfüttern, wenn man diejenigen Quellen in den Blick nimmt, in denen sich die durchaus gewalttätige Herrschaft des ägyptischen Königs auch über den eigenen Innenbereich erstreckt, in denen also Ägypter als Objekte königlichen Herrschaftshandelns in einer Reihe stehen mit den ansonsten ausgeschlossenen Fremden. Dies ist der Fall, wenn es am Ende so genannter Zwischenzeiten um die Wiederherstellung der verlorenen Einheit geht, Zeiten also, in denen es für den Begriff t#.wj „Zwei-Länder“ kein politisches Korrelat mehr gab, weil sich das Land in eine Vielzahl voneinander unabhängiger Regionalfürstentümer verwandelt hatte. FOLIE 18 Mentuhotep II. etwa, der Begründer des sogenannten Mittleren Reiches, ZITAT „bändigt die Oberhäupter der Beiden Länder und kultiviert Oberägypten, das Delta und die Fremdländer“, deren Repräsentanten – Nubier, Asiaten und Libyer – Sie hier in einer Reihe mit dem Ägypter sehen können. Für eine solche Auffassung von Fremdheit als rudimentäres Korrelat von 8 Eigenheit spricht ferner, daß in den sogenannten Ächtungstexten, FOLIE 19 einer Art magisch-ritueller Kompensation für die Unmöglichkeit absoluter Umweltkontrolle aus dem Alten und dem Mittleren Reich, neben Fremden eben auch und gerade Ägypter davon abgehalten werden sollen, wider den ägyptischen König aktiv zu werden. Zu diesem Zweck werden Figuren gefesselter Menschen, die stereotyp mit der Inschrift ZITAT: „Alle Nubier, Asiaten, Libyer und Ägypter, die rebellieren oder Ränke spinnen werden“ versehen sind, zerstört, im Sand verscharrt und damit unschädlich gemacht. Zusammengefaßt sind dies, wenn Sie so wollen, die Rahmenbedingungen, die jede konkrete ägyptische Wahrnehmung von Andersheit determinieren oder doch zumindest massiv beeinflussen. Sämtliche Auffassungen von Alterität, die sich in Ägypten finden lassen, sind entweder orientiert an diesem Beschreibungsmuster oder aber kontextspezifische Ausbuchstabierungen dieser Initialkonstruktion absoluter Fremdheit und konstituieren in der Summe das, was man als das Bild des idealen Fremden bezeichnen könnte. Dass das für den Fremden nicht wirklich ideal ist, versteht sich von selbst. Solche Ausbuchstabierungen will ich Ihnen für den Rest der Zeit im zweiten und dritten Abschnitt meines Vortrags präsentieren. Ich beginne mit Textquellen und schließe mit dreidimensionalen Artefakten. II: Das ägyptische Fremdheitsmodell impliziert ein weiteres Paradox: Obwohl wir es prinzipiell mit einer auf Absolutheit abgestellten Konstruktion zu tun haben, setzten die Ausschlussversuche des Fremden überhaupt erst einmal Fremderfahrung voraus. Diese wandelt sich im historischen Verlauf bis hin zur alltäglichen Vertrautheit. Das läßt sich auch in Ägypten sehr einfach verfolgen. FOLIE 20 Wir hatten oben bereits stereotype Fremdendarstellungen aus dem Neuen Reich gesehen. Allerdings darf man bereits in früheren Epochen der ägyptischen Geschichte von einer soliden ägyptischen Vertrautheit mit der Erfahrung von Unvertrautheit ausgehen. So etwa wird ethnische Differenz bereits im Alten Reich im Schriftsystem repräsentiert. Die Darstellung stammt aus dem Pyramidentempel des Sahure aus der 5. Dynastie und zeigt Ihnen das ägyptische Wort znT.w „Feinde“, das nach seinem Konsonantengerüst drei ethnisch klar unterschiedene sitzenden Menschen zeigt, bei denen es sich in gewohnter Manier um 9 Nubier, Libyer und Asiaten handelt. Diese sitzenden Figuren fungieren zusammengenommen als sogenanntes Determinativ und klassifizieren den aktuellen Referenzbereich des Lexems. Weil es bei aller Konstruktionsleistung also weder faktisch noch historisch funktionieren kann mit der absoluten Fremdheit, nimmt es nicht Wunder, daß man auch in Ägypten Formen thematischer Auseinandersetzung mit der Andersheit der Anderen findet, die die Unmöglichkeit, das Fremde trotz seiner Verabsolutierung loszuwerden, in asymmetrisch angelegte Beschreibungsmuster übersetzen, die ein klares Wertungsgefälle zwischen dem Eigenem und dem fremdgemachten Anderen impliziert. Man nimmt das vorgeblich irrelevante Fremde also durchaus als Anderes wahr, arrangiert die wahrgenommenen Unterschiede jedoch so, daß das Unvertraute augenblicklich abgewertet wird. So entstehen die bekannten „ethnisch-pränationale[n] Vorurteil[e]“, die als „unscharfe und eher abgrenzende populäre Beobachtungskategorie[n]“ dazu tendieren, daß Ausgegrenzte zu barbarisieren: primitive Ethnozentrismen also. Feststellbar sind diese Formen der Fremdwahrnehmung ab dem Mittleren Reich und lassen sich zunächst in der Charakterisierung der Nubier und dann auch der Asiaten als „elendig (xzj)“ belegen. Etwa gleichzeitig tauchen erstmals ausführlichere, ägyptologisch so genannte „Ausländercharakteristiken“ auf, die Erfahrungen mit kultureller Differenz als negative Erfahrungen von Unvertrautheit vorstellen und in diesem Zusammenhang gern auf Tiervergleiche zurückgreifen. Einige der einschlägigsten Textpassagen möchte ich Ihnen etwas ausführlicher vorstellen: FOLIE 21 Das erste Textbeispiel stammt aus der Lehre für Merikare aus der frühen 12. Dyn.:1 Vom Barbaren wird nun wieder erzählt: Der elendige (xzj) Asiat ist die Beschwerlichkeit des Ortes, an dem er lebt – knapp an Wasser, unzugänglich trotz der Menge an vorhandenen Wegen, und schlimm wegen der Berge. Er hat sich nicht an einem Platz niedergelassen, denn der Hunger wird immer seine Füße vorantreiben. Seit der Zeit des Horus ist er am Kämpfen, ohne daß er siegen könnte, aber auch ohne daß man ihn besiegt hätte, denn er kündigt den Tag des Kampfes nicht an, wie ein Räuber, den die Gemeinschaft ausgestoßen hat. (...) 10 Kümmere Dich nicht um ihn. Der Asiat ist ein Krokodil auf seinem Ufer. Es schnappt zwar vom vereinsamten Weg, raubt in der Regel aber nicht von einem belebten Kai. Textbeispiel 2 (FOLIE 22) Prophezeiung des Neferti, 12. Dyn.)2 Er [Neferti] dachte an die Not des Ostdeltas, das Asiaten mit ihren Krummschwertern angriffen, wobei sie die Herzen der Erntenden in Schrecken versetzten und die Gespanne beim Pflügen raubten: „[...] Ein fremder Vogel wird im Sumpfland des Deltas brüten, nachdem er sich ein Nest in der Nachbarschaft der Ägypter eingerichtet hat, weil die Ägypter ihn aus eigener Not haben herankommen lassen. (...) Alles Glück ist vergangen, da das Land zugrunde gerichtet wird durch jene Speisung der Asiaten, die das Land durchziehen. (...) Das Wüstenvieh wird am Wasser der Ströme Ägyptens seinen Durst stillen und sich an ihren Ufern ergehen aus Mangel an solchen, die sie vertreiben. (...) Es wird aber so sein, daß ein König namens Amenider-Gerechtfertigte von Süden kommt. (...) Die Asiaten werden durch sein Gemetzel fallen und die Libyer durch seine Flamme. (...) Man wird die Herrschermauer bauen ohne zuzulassen, daß die Asiaten nach Ägypten hinabsteigen, sodaß sie um Wasser bitten müssen wie Bettler, um ihr Vieh zu tränken“. FOLIE 23 Textbeispiel 3 stammt aus der bereits oben angesprochenen Großen Grenzstele Sesostris’ III. aus der 12. Dyn., ca. 1821 v. Chr. und bietet die spezifisch Umsetzung des reichsideologischen Programmes im Fall einer ausgewählten Ethnie Ich habe meine Grenze weiter nach Süden verlegt als meine Vorväter. Ich habe mehr gegeben als das, was mir anbefohlen worden war. Ich bin ein König, der spricht und handelt; was mein Herz erwägt, das geschieht durch meine Hand: einer, der losgeht, um zu erobern, der vorprescht zu glücklichem Ende, der nicht ruht, solange ihn eine Angelegenheit beschäftigt, der die Schutzbefohlenen bedenkt mit ständiger Sanftmut, der aber ohne Milde ist gegenüber dem Feind, der ihn angreift; der angreift, wenn man ihn angreift, der aber die Ruhe bewahrt, wenn man die Ruhe bewahrt, der eine Angelegenheit danach bescheidet, was aus ihr geworden ist; denn: Stillhalten nach einem Angriff bedeutet, das Herz des Feindes zu bestärken. Losgehen zeigt Bravour, Rückzug heißt Schande. Ein rechter Hasenfuß ist der, der 11 von seiner Grenze verdrängt worden ist, denn: der Nubier hört nur, um auf’s bloße Wort umzufallen. Auf ihn zu reagieren läßt ihn zurückweichen. Geht man auf ihn los, gibt er Fersengeld. Aber zieh Dich zurück, dann droht er loszugehen! Menschen von Geltung sind das keine. Trostlose sind das mit resigniertem Herzen. Textbeispiel 4 (FOLIE 24) stammt aus einem Brief des Königs Amenophis’ II. an seinen Vizekönig in Nubien aus der 18. Dyn., ca. 1403 v. Chr.3 Du sitzt [fernab in Nubien], ein Tapferer, der in jedem Fremdland Beute macht, ein Elite-Nahkämpfer für seine Majestät Amenophis II., [der] Naharina [besiegte] und dem Hethiterland Anweisungen gab – Herr einer Frau aus Babylonien, einer Dienerin aus dem Libanon, eines jungen Mädchens als Alalach und einer Alten aus Arrapha! Diese Asiaten taugen doch gar nichts! Wozu sind sie denn überhaupt zu gebrauchen? Nächste Mitteilung an den Vizekönig: „Dem Nubier traue schon gar nicht! Hüte Dich vor ihren Leuten und ihren Machenschaften. Schau Dir doch den mickrigen Diener an, den Du angebracht hast, ihn zum Beamten auszubilden, obwohl es kein Beamter ist, der für Deine Meldung über ihn bei seiner Majestät geeignet gewesen wäre.“ Textbeispiel 5 (FOLIE 25) stammt aus der sogenannten Satirischen Streitschrift, einem Papyrus aus der 19. Dyn., in dem ein Schreiber seinem Berufskollegen dessen Mangel an enzyklopädisches Wissen unter die Nase reibt.4 Der Engpaß ist gefährlich wegen der Schasu-Beduinen, die sich unter den Büschen verstecken. Einige von Ihnen sind vier oder fünf Ellen groß von ihrer Nase bis zu den Füßen (2,10m-2,62m!!!) und haben wild verzerrte Gesichter. Sie sind unfreundlich gesinnt und unempfänglich für schmeichelnde Worte. Du bist allein und hast keinen Helfer bei Dir. (...) Dein Weg ist voll von Felsbrocken und Geröll, unpassierbares Terrain, strauchbewachsen mit gefährlichem Dorngestrüpp und Wolfstatze. Abgründe zur einen Seite, das Gebirge ansteigend zur anderen. 12 Textbeispiel 6 (FOLIE 26) stammt aus dem Bericht über den Libyerkrieg im 5. Regierungsjahr des Merenptah aus der 20. Dyn.; ca. 1208 v. Chr.)5 Man war nicht in der Lage gewesen, [sie] wie Gewürm zu [zertreten]. Ihre Masse war nicht zu überkommen, denn sie lieben den Tod und hassen das Leben. (...) Sie verbringen den Tag damit, das Land zu durchstreifen und darum zu kämpfen, ihre Bäuche zu füllen. Sie drängen nach Ägypten, um Nahrung für ihre Mäuler zu suchen. Die Unvertrautheit, die in diesen Passagen zum Ausdruck kommt, basiert nicht nur auf der einfachen Erwartungsenttäuschung, daß die Fremden so gar nicht den ideologischen Vorgaben vom ausgeschlossenen und automatisch besiegten Fremden entsprechen. Vielmehr basiert sie auf einer ganz spezifischen Problemerfahrung, die vor dem Hintergrund eigener, als positiv vorausgesetzter Wertund Normhorizonte gesehen wird: Der Nubier ist zu feige, nach ägyptischen Maßstäben zu kämpfen (FOLIE 23), der Asiat kämpft zwar, kann aber deswegen nicht besiegt werden, weil er sich nicht an die Regeln hält (FOLIE 21), und der Libyer ist deswegen nicht unterzukriegen, weil er den Tod mehr liebt als das Leben (FOLIE 26), was in der Tat als eine absolute Umkehrung ägyptischer Vorstellungen gelten darf, man denke etwa an den sogenannten Anruf an die Lebenden: „Oh Ihr auf Erden, die ihr das Leben liebt und den Tod haßt ...!“. Prinzipiell taugen all diese Fremden ganz einfach nichts (FOLIE 24). Darüber hinaus handelt es sich um das aus ägyptischer Perspektive fundamentale Problem der Nichtseßhaftigkeit der nach Ägypten drängenden Fremden und um das damit einhergehende Problem fehlender Gegenseitigkeit, worauf vor allem die Vergleiche des Fremden mit „Räubern“ und „Bettlern“ in den Textbeispielen aus Merikare und Neferti (FOLIEN 21 und 22) hinweisen. Zwar kann man diese Nichtseßhaftigkeit im Rahmen vorgriechischer Klimatheorien immerhin auf die katastrophalen Bedingungen der natürlichen Umwelt der Fremden zurückführen, sie also geradezu naturalisieren. Das ändert allerdings nichts daran, daß damit Brutalisierungen verbunden werden, die den Fremden entmenschlichen oder genauer gesagt entpersonifizieren. Solche Entpersonifizierungen des Fremden finden ihren Ausdruck entweder in der angeblichen monströsen Körperlichkeit6 des mindestens 2,62m großen Asiaten (FOLIE 25) 13 oder ganz generell eben in den häufigen Tiervergleichen, die sie in den zitierten Textpassagen finden können. Ein solcher Hinweis auf die Wahrnehmung von Fremden vor allem über ihren Körper hilft zudem bei der Interpretation des Faktums, FOLIE 27 das Fremde in der ägyptischen Ikonographie grundsätzlich massive Haltungsprobleme haben, während Ägypter mit dem für die ägyptische Kunst so typischen Kanonizität dargestellt werden, die nichts anderes zum Ausdruck bringt als deren im Rahmen von Statuserwerbsprozessen zugewiesene oder errungene Ägyptizität. Auch die beiden folgenden Passagen bieten entpersonifizierende Brutalisierungen des Fremden, sind aber vor allem deswegen interessant, weil über das tertium comperationis des Spracherwerbs Akkulturationsprozesse von Fremden mit Identitätsbildungsprozessen innerhalb der ägyptischen Gesellschaft verglichen werden: FOLIE 28 (Lehren des Ani, Neues Reich)7 Der Wildstier, der im Stall ein Gemetzel veranstaltet, weil er den Kampfplatz nicht verlassen kann, bezwingt seine Natur, verinnerlicht seine Zucht, und verhält sich wie Mastvieh; der grimmige Löwe läßt von seiner Wut ab und gleicht einem klagenden Esel; das Pferd fügt sich unter sein Joch, gehorcht und trabt davon; der Hund da hört aufs Wort und folgt seinem Herrn; die Äffin trägt die Situla, obwohl ihre Mutter sie nicht trug; die Gans kehrt aus dem kühlen Norden zurück, obgleich man ihr nachstellt. Man bringt den Nubiern die Sprache der Ägypter bei, und den Syrern und allen Ausländern genauso. Sage also: „Ich werde mich wie alle Tiere verhalten“. FOLIE 29 (pBologna 1094, 3,7-4,1; 19. Dyn.; Merenptah, ca. 12131204)8 Man verbringt den ganzen Tag, Dich zu belehren, doch Du verstehst keine Unterweisung und tust, was Du willst! Selbst der Affe versteht die Sprache, obwohl er aus Kush hierher gebracht wurde! Man spielt den Dompteur für die Löwen und zähmt die Pferde, aber einen wie Dich kennt man nicht in der gesamten Menschheit! Damit läßt sich am ägyptischen Material eine Beobachtung von Reinhard Koselleck exemplifizieren, nach der sich asymmetrische Fremdheitskonstruktionen wie die bereits vorgeführten auch 14 „expansiv“ lesen lassen und sie dann auf die Binnendifferenzierung eines stratifizierten Gesellschaftssystems anwendbar sind. Dies wird besonders deutlich in der sogenannten Schulliteratur des Neuen Reiches, aus der die beiden letztgenannten Passagen stammen. Das sind größtenteils fiktionale Lehrmonologe, mit denen als unwillig vorgestellte Auszubildende von den Vorteilen des Schreiberberufes vor allem gegenüber einer Karriere als Soldat überzeugt werden sollen. In systematischer Draufsicht halten diese Texte also Identitätsofferten bereit. Durch den Vergleich mit dem durch Spracherwerb gleichsam domestizierten Fremden wird der Offerte nun insofern Nachdruck verliehen, als der faule Sack von einem Schüler vor Augen geführt bekommt, in welch brutaler, wenn er das Angebot ausschlüge. Aus elitekultureller Sicht also benehmen sich inklusionunwillige Ägypter und ausgeschlossene Fremde gleichermaßen wie kulturelle Tiere. Zwar läßt sich diese expansive Lesbarkeit asymmetrischer Fremdheitskonstruktionen besonders gut im Neuen Reich verfolgen, grundsätzlich damit zu rechnen ist allerdings auch schon in früheren Epochen, was sie unter anderem daran erkennen können, daß der auszuschließende Asiat in der Prophezeiung des Neferti zum „Bettler“ (FOLIE 22) gemacht oder in der Lehre für Merikare in die Kategorie „aus der Gemeinschaft ausgestoßener Räuber“ gesteckt (FOLIE 21) wird. Diese Texte aus dem Mittleren Reich motivieren den Umgang mit dem unvertrauten Handeln der Fremden durch einen Rückgriff auf kulturinterne Exklusionsmechanismen: der Asiat ist deswegen auszuschließen, weil er sich genau so verhält wie Bettler und Räuber, d.h. also so, wie sich verstoßene Mitglieder der Eigenkultur verhalten haben. Beinahe folgerichtig existiert für beide Kategorien von Exkludierten eine identische Bezeichnung: sowohl Fremde als auch ausgestoßene Ägypter sind „Leute mit resigniertem Herzen“ (FOLIE 23). III: Ich komme damit zum dritten Teil. In scheinbarem Gegensatz zu den bisherigen Ausführungen stehen nun Beobachtungen, die einen zunächst problemlos erscheinenden Umgang mit Fremden innerhalb der ägyptischen Gesellschaft suggerieren. Bereits Texte aus dem Alten Reich belegen gerade dadurch, daß sie die schichtenspezifische Eingliederung von Fremden voraussetzen, daß es neben der ausschließenden Konstruktionsform von Fremdheit immer auch eine 15 Integrationspraxis gibt, die es deportierten oder anderweitig nach Ägypten gekommenen Angehörigen fremder Völker ermöglichten, dort Fuß zu fassen. So sind es im Alten Reich vor allem Nubier, die als Teil der ägyptischen Streitkräfte an Zügen gegen vorderasiatische Städte teilnehmen. Was nun auf den ersten Blick so unerwartet aussieht, daß sich der eine oder der andere Ägyptologe bemüßigt sah, dem Ägypter ein schizophrenes Verhältnis zum Fremden zu unterstellen, bestätigt in Wirklichkeit nur das, was man aus soziologischer Perspektive von stratifizierten Gesellschaften erwarten darf, nämlich einen im Einzelfall problemlosen oder gar toleranten Umgang mit dem Fremden, ohne daß dies in irgendeiner Form zur Institutionalisierung des Gleichheitsprinzips führen müßte oder vom Fremden daraus ein Anspruch ableitbar wäre. Asymmetrisch bleibt die Wahrnehmung des Fremden auch noch nach ihrer Ankunft in Ägypten, denn gerade als Ungleiche sind sie besonders gut zu gebrauchen, als Soldaten etwa, im mobilen Arbeitsdienst oder als mietbares Dienstpersonal. Das sind gerade solche Positionen, die von vollwertigen Gesellschaftsmitgliedern deshalb ungern übernommen wurden und in den Selbstbeschreibungen der Elitestraten deswegen so schlecht wegkamen, weil sie wesenhaft an Nicht-Seßhaftigkeit gebunden waren und damit eine der Hauptteilnahmebedingungen am gesellschaftlichen Leben unterliefen. Durch den Einsatz von Fremden wurden also die offensichtlich auch in Ägypten bestehenden „Defizite im Schichtungsverhältnis der Einheimischen“ ausgeglichen, die man als „Statuslücken“ bezeichnet. Daß es sich wirklich um solche handelt, belegen Passagen wie die folgende aus der sogenannten Liebespoesie des Neuen Reiches. Hier wünscht sich ein liebeshungriger Angehöriger der ägyptischen Elite, in eine Statuslücke vorstoßen zu können, die die ägyptische Gesellschaft vornehmlich mit fremden Frauen auffüllt: FOLIE 30 „Ach wäre ich doch ihre Nubierin, ihre private Zugehfrau! Sie brächte ihr [ein Salbgefäß mit] Mandragora [...], das in meiner Hand bliebe, damit diese Freude bereite; anders gesagt: Sie böte mir die Herrlichkeit ihres ganzen Körpers dar!“9 Da Statuslücken aber nun einmal Lücken sind, in die man nur durch Statusverlust vorstoßen kann, wird der schmachtende Liebhaber auf 16 lange Sicht andere Wege gefunden haben, seine Bedürfnisse zu stillen, als es dieser Travestiewunsch nahelegt. Denn es wird tatsächlich nicht wünschenswert gewesen sein, wie ein Gebrauchsgegenstand behandelt zu werden. FOLIE 31 Genau das nämlich ist das Bild, das der Text hier evoziert. Sie sehen einen typischen ägyptischen Salblöffel, dessen figürlicher Griff als Fremdarbeiter gestaltet ist.10 Damit sind wir bei der letzten Quellengattung angekommen, um die es heute gehen soll. In einer durchaus zweischneidigen Metapher könnte man die Fremden, die in diesem Zusammenhang ins Bild kommen, als die Stützen der ägyptischen Gesellschaft bezeichnen. Ich sage zweischneidig, weil es mir genau um die Kluft geht, die zwischen der Selbstverständlichkeit des Auftretens der fremden Dienerin im Liebeslied und der analogen Repräsentation von Fremdheit im Falle des Salblöffels geht. Denn obwohl Fremde von elementarer Wichtigkeit für die ägyptische Gesellschaft waren, wenn sie Tätigkeiten ausübten, die für die Einheimischen mit zu wenig Ansehen verbunden waren, bleiben sie in ägyptischer Wahrnehmung gerade deswegen als Repräsentanten des Draußen im Bereich der eigenen Ordnung doch immer nur Gefangene ägyptischer Weltvorstellungen und werden in der sogenannten ägyptischen Kunst dementsprechend häufig schlichtweg als Nutzobjekte repräsentiert. Mit einigen dieser durchaus feinsinnigen Lösungen voller symbolischer Gewalt, die die Unterlegenheit des Fremden bildlich kondensieren, möchte ich sie kurz vertraut machen. Nicht nur als Schäfte von Kosmetikutensilien werden Fremde von Ägyptern geradezu sprichwörtlich in den Griff genommen. Gleiches gilt auch für die figürlichen Griffe von Gehstöcken FOLIE 32 wie etwa in diesem Beispiel aus dem Grab des Tutanchamun. Man erhöht sich ganz einfach, indem man den Fremden erniedrigt, wenn man ihm wie im Fall der nächsten Abbildungen auf den Kopf steigt. FOLIEN 33-34. Bilder wie diese könnte man heutzutage mit einigem Recht sicherlich auch anderes herum lesen und darauf verweisen, daß die ägyptische Gesellschaft geradezu auf einem Fundament von Fremdheit ruhte. Allerdings verdankt sich die Möglichkeit einer solch postmodernen Lesart wohl einzig der Gnade einer späten Geburt. Die zeitgenössische Metaphorik war und blieb eine einseitige asymmetrische Konstruktion, wie Fussbodenkacheln FOLIE 35, königliche Sandalen FOLIE 36 und Fußschemel FOLIE 37 zeigen. Das zeigt auch das für 17 heute letzte Bild, FOLIE 38 welches Sie als Hinweis dafür nehmen mögen, wie gern der Ägypter mit all seinen Fremdheitsvorstellungen selbst noch im Kopfe des Fremden herumgerührt hätte, wenn Sie mir diese aus dem Englischen entlehnte Metapher zugestehen. Sie sehen ein Tintenfaß aus der Staatlichen Sammlung Ägyptischer Kunst in München. Erlauben Sie mir abschließend eine Addition des Gesagten zu einer völlig unwissenschaftlichen und ahistorischen Miniatur. Stellen Sie sich vor, Pharao zieht sich nach seinem öffentlichen Auftritt am Erscheinungsfenster, gestützt auf seinen Stock und angetan mit den gezeigten Sandalen in seine Privatgemächer zurück, deren Fußboden mit Fremdendarstellungen gefliest ist. Er setzt sich an seinen Tisch, stellt den Fuss auf seinen Schemel, tunkt seine Feder in das Tintenfaß und schreibt einen Brief an einen fremden königlichen Amtskollegen irgendwo in der Welt – mit dem er wohl mehr teilt als mit den meisten der eigenen Untertanen. Mit diesem Blick auf das durchaus befremdliche Faszinosum der Fremdheit in Ägypten möchte ich schließen, nicht ohne daran zu erinnern, dass wir selbst und auch heute noch in den eingangs angesprochenen Zusammenhängen über analoge Verfahren zur Konstruktion von Fremdheit verfügen, die auch die fiktive abschließende Szene in Ägypten prinzipiell möglich gemacht hat. 18