Das ICDP Programm der Katholischen Kirche in Äthiopien Es ist dem Schaffen des Spiritaner Ordens zu verdanken, dass sich in den letzten 20 Jahren eine Entwicklungsrichtung etablieren konnte, die zu einem großen Erfolg führte. Anfang der 80er Jahre wurde die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar Projektpartner der Spiritaner. So konnten im Laufe der 90er Jahre auch Entwicklungsgelder der Europäischen Union in das Programm fließen. Eine Reise zweier Welthaus-MitarbeiterInnen führte im Herbst 2004 nach Äthiopien und zwar in die Programmgebiete rund um Arba Minch und in das knochentrockene „Siedlungsgebiet“ des Volkes der Hamer. Gerade das halbnomadisierende Volk der Hamer ist von den natürlichen als auch von gemachten Veränderungen ihres Lebensraumes stark betroffen. Einerseits beeinträchtigen die deutlich schwächer werdenden Niederschlagsmengen die traditionelleren Formen des wirtschaftlichen Überlebens, wie die Viehwirtschaft und verursachen zunehmend auch Hungerzeiten. Andererseits stellen die in den Geländewagen durchreisenden TouristInnen eine Einnahmequelle dar, die jedoch teilweise sehr abstoßend wirkt. So ist bei Ankunft der geführten Tourautos immer wieder zu beobachten, dass Kinder nach Geld bettelnd ihre Hände heben oder Frauen für einige Minuten barbusig vor die Kameralinsen treten, um dafür Geld zu bekommen. Um die Würde der Menschen und die wirtschaftlichen Überlebensmöglichkeiten zu fördern, soll das ICDP (integrated communitybased development program integrales Gemeindeentwicklungsprogramm) die Menschen in den Hamer-Dörfern als auch in den Projektgebieten um Arba Minch, welches im zentraläthiopischen Hochland liegt, unterstützen. Welche Probleme sind in den Gebieten der Hamer zu bewältigen? • • • • Die fehlenden Niederschläge und die prekäre Trinkwassersituation Die Gesundheitsvorsorge und –wiederherstellung Die Ungleichbehandlung von Frauen und der Chancenmangel für deren spezifische Entwicklung Das oft nicht unproblematische Zusammenleben von Hamer und anderen Völkern Äthiopiens Nun, um die Wassersituation zu entschärfen werden zum Beispiel im Hamer-Land Rückhaltbecken gebaut, die die enorm schnell abfließenden Regenmengen, kommt es einmal zum Regen, aufhalten. Diese Wasserreserven stehen vor allem den Viehherden zur Verfügung und werden für eine bescheidene landwirtschaftliche Produktion verwendet. Für die Trinkwasserversorgung werden zum Teil Brunnen errichtet, die mit Windrädern betrieben werden. Der Einsatz von unkomplizierter und wartungsarmer Technik ist dabei zentraler Ansatz, da dadurch notwendige Reparaturarbeiten durch Fachleute des Ortes erledigt werden können und nicht auf die weit entfernten Profis aus den Städten zurückgegriffen werden muss. Da viele der Hamer-Dörfer weitab von staatlichen oder privaten Gesundheitszentren liegen, ist eine solide Grundversorgung für die Gesundheit vor Ort notwendig. Speziell ausgebildete primary health care workers (Gesundheitsfachkräfte) behandeln viele einfachere Behandlungen professionell. So erlangen die PatientInnen schneller und besser wieder ihre Gesundheit. Die traditionellerweise vom Volk der Hamer ihren Jugendlichen zugestandene sexuelle Freiheit ist in Zeiten von HIV/Aids eine Herausforderung. Das sich Bewusstwerden über mögliche Gefahren ist Grundvoraussetzung für ein Überleben der einzelnen Menschen einerseits und der Traditionen andererseits. Die MitarbeiterInnen des ICDP arbeiten daher mit der ganzen Bevölkerung zu den Themen der Traditionen und der Gesundheitsvorsorge. Das Verhältnis im Zusammenleben von Männern und Frauen ist ebenso Teil der Arbeit der MitarbeiterInnen von ICDP. Und gerade dieser Abschnitt im Programm braucht ein großes Durchhaltvermögen, ist es doch nicht einfach, entgegen von Traditionen und Machtverlustsängsten der Männer ein gleichberechtigtes Miteinander zu diskutieren oder gar zu leben. Dem Problem, dass für viele Nichthamer die Hamer eine Art „Menschen zweiter Klasse“ sind, ist sehr schwer zu begegnen. So sind die MitarbeiterInnen oft in Situationen, die eine hohe soziale Kompetenz von ihnen erfordert. In dem sie als eine Art VermittlerIn arbeiten kann es passieren, dass die unterschiedlichen Lebensvorstellungen von Hamer und Nichthamer zumindest friedlich nebeneinander stehen können. Was sind nun die Probleme der Hochlandbevölkerung? • • • • Die Wassersicherheit Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau als auch zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen in den Dörfern (Dorf heißt in Amharisch: Wobera) Die landwirtschaftliche Produktion und der Marktzugang Die Gesundheitssituation In den hochgelegenen Gebieten ist nicht so sehr Wassermangel ein Problem sondern vor allem der unzureichende Wasserschutz. Rinder, Ziegen und andere Weidetiere sind dabei nicht in eingezäunten Weiden oder angebunden. Das bewirkt, dass Quellen und Bäche durch den Kot der Tiere stark verunreinigt werden. Die Errichtung von Quelleneinfassungen und Bambusleitungen von den Quellen zu den Dörfern und dort die Errichtung von Wasserstellen ist die praktizierte Antwort auf das Problem. In speziellen Trainings und Diskussionsrunden werden die Rollen von Männern und Frauen bewusst gemacht und eine eventuell notwendige Änderung der Traditionen als auch Machtverhältnisse angedacht und ausprobiert. So sind Erbrecht, Schulzugang, Landbesitz etc. zentrale Themen der Gleichberechtigung. Ein ebenso schwieriges und auch auf Ungleichbehandlung basierendes Verhältnis ist dies der Malas (höher angesehen und meist Land besitzend) und der Degelas (niederrangig und meist Handwerk ausübend). Diese beiden Gesellschaftsgruppen leben nebeneinander in den Dörfern. Die Dörfer sind auch durch unsichtbare Grenzen geteilt und nur für den geübten Blick sind die Hausansammlungen der HandwerkerInnen zu erkennen. Oft erzielen die Degelas ihre Einkünfte über die Bearbeitung von Bambus, Metallen, Häuten, etc. während die Malas aus der Landwirtschaft oder auf den Märkten ihre Einkünfte beziehen. Oft wird mit den Degelas nur dann gesprochen, wenn man sie für Arbeiten benötigt. Wenn Malas und Degelas heiraten wollen, so ist das oft nur durch eine Übersiedlung und ein Leben in einem fremden Dorf möglich. Der fast zwangsweise notwendige Abbruch mit den Herkunftsfamilien ist für eine Hochzeit natürlich nicht förderlich und so finden Hochzeiten zwischen den Gruppen selten statt. Wie hilft das Programm ICDP? Die Diskussionen über Gemeindeentwicklung, generell das Zusammenkommen im Dorf oder das gemeinsame Essen sind Schritte der ICDP-MitarbeiterInnen, die zur Abnahme der Ungleichbehandlung führen und eine Entwicklung des Dorfes begünstigen. Die Unterstützung beider Gesellschaftsgruppen durch das ICDP fördert wiederum auf seine Art die Anerkennung der ICDP-MitarbeiterInnen und verhilft ihnen dadurch zu mehr Möglichkeiten zur Reduzierung der Klüfte zwischen Malas und Degelas. Um die landwirtschaftliche Produktion zu steigern, finden spezielle Trainings statt. Die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, die Verhinderung der Erosion, das Anwenden der Fruchtfolge etc. all dies sind Methoden, die Produktion zu steigern. Warum soll die Produktion eigentlich gesteigert werden? Nun, ein Problem Äthiopiens ist die Ernährungssicherheit für einen Teil der Bevölkerung und wir in Europa sehen doch sehr oft die Hungernden vom Horn Afrikas. Der Hunger ist für den Großteil der Menschen Äthiopiens kein oder nur ein sehr marginales Thema, für manche aber ständiger Begleiter im Leben. Eine gesteigert landwirtschaftliche Produktion in jenen Gebieten Äthiopiens, in denen dies auch möglich ist, kann dafür sorgen, dass der Hunger reduziert werden kann. So könnten nicht US-amerikanische Lebensmittelhilfen sondern zum Beispiel mit Entwicklungsgeldern der EU (die in Aussicht gestellt wurden), die die äthiopische Regierung zum Kaufen der äthiopischen Ernten verwendet, die Hungerzeiten massiv gekürzt oder gar beseitigt werden. Die Integration von Frauen in die Entscheidungsabläufe in den Dörfern durch das ICDP führte zum Beispiel auch dazu, dass die landwirtschaftliche Produktion stieg. Die Mütter wollen in stärkerem Ausmaß als die Väter, dass ihre Kinder, vor allem auch die Mädchen, die Schule besuchen. Um dies zu ermöglichen, benötigen die Familien Geld, welches sie durch eine Umstellung der reinen SubsistenzLandwirtschaft (also jene, die nur für den Eigenverbrauch produziert) auf eine auch marktorientierte Landwirtschaft erwirtschaften. So führte diese Umstellung dazu, dass im kleinen Wobera Zigitty Merche die Zahl der Mädchen die die Volksschule besuchen von 2 im Jahre 2002 auf 100 im Jahre 2004 gestiegen ist (von 400 SchülerInnen insgesamt). Zigitty Merche hat auch ein neues Gesundheitszentrum gebaut, in welchem Schwangerenuntersuchungen, Erste Hilfe und verschiedene Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden können. Für das Dorf, welches rund 30 km, also 5 Gehstunden von der Stadt Arba Minch entfernt liegt, ist dieses Zentrum ein wahrer Schatz. Vor dem Gesundheitszentrum ist eine Wasserleitung. Ein wenig auch ein Zeichen dafür, dass mit sauberem Wasser die Gesundheit beginnt. Ein paar Worte zum Schluss noch zur „Missionsarbeit“ der Spiritaner. In Abstimmung mit vatikanischen Dokumenten verzichten die Spiritaner auf klassische Missionsarbeit, da die Mehrheit der christlichen ÄthiopierInnen der Orthodoxen Kirche angehört und in so einem Fall die katholische Kirche auf missionarische Tätigkeit im klassischen Sinne verzichtet. Im ICDP arbeiten auch katholische und orthodoxe MitarbeiterInnen zusammen, was in Äthiopien eher eine Seltenheit ist. Kirche wird somit als dienende, helfende Organisation erlebt. Ludwig Peter Frauenberger Welthaus Linz