Osmotische Oszillationen Oszillation nur mit Salz oder Zucker und Wasser Erklärungsversuch, Modellbildung und Simulation eines interessanten Phänomens Peter Bützer, St. Gallen, Schweiz Abbildung 1: Eingefärbte gesättigte Kochsalzlösung tritt periodisch aus einer Spritze in Trinkwasser aus. Die Kupferdrähte dienen nur dazu, die Potentialveränderungen abzugreifen. Es ist verwunderlich, dass zum Beispiel mit Salz oder Zucker und einem Gefäß mit einer engen Düse periodische Reaktionen beobachtet werden können. Viele Interpretationen sind bekannt, die dieses Phänomen erklären wollen, aber die meisten lassen sich experimentell widerlegen. Hier wird nun der Versuch gewagt eine Erklärung zu finden, ein Modell dazu aufzustellen und mit einer Simulation die Gültigkeit aufzuzeigen – ein Wechselspiel von hydrodynamischem und osmotischem Druck, verbunden mit einer Verzögerung durch notwendige Turbulenzen. Dr. dipl. sc. nat. Peter Bützer ist Chemiker und Molekularbiologe, em. Professor der Pädagogischen Hochschule St.Gallen/ Schweiz; Dozent für Risikomanagement und Sicherheitsökonomik der Universität St.Gallen und für Nachdiplomstudien an der ETHZ: heute tätig als Consultant tätig für Gefahrstoff- und Risikomanagement für Schulen, Behörden, Armee und Industrie. 106 CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 Die überraschenden Oszillationen Durch Zufall entdeckte der Meeresforscher Seeyle Martin 1970 „A Hydrodynamic Curiosity: the Salt Oscillator“ [1]. Für eine Demonstration füllte er eine Spritze mit Nadel mit gesättigter Kochsalzlösung und fixierte diese in einem 1 Liter Zylinder mit Trinkwasser. Zu seiner großen Überraschung floss das Salzwasser am Anfang aus, aber nach einer gewissen Zeit kehrte sich der Flüssigkeitsstrom um und Wasser strömte zurück in die Spritze. Diese beiden Strömungen wechselten sich in regelmäßigen Abständen ab und wurden so zu einer Oszillation (Abbildungen 1 und 2). Eine Interpretation dieser Dynamik gab Martin mit den Dichte-Unterschieden, dem hydrostatischen Druck, dem kritischen Mischungsverhalten in der Nadel und dem Wechsel zwischen zwei Gleichgewichten auf Grund von Konzentrations-Turbulenzen in der Nadel (Abbildungen 3 und 4). Ist der Durchmesser der Nadel zu dick, dann tritt ein kontinuierlicher Doppelstrom-Austausch statt, indem Salzwasser permanent ausströmt und gleichzeitig Trinkwasser einströmt. Damit ist der kritischste Teil des Experiments angesprochen, die Geometrie der Düse (Nadel, Kapillare, Loch etc.). Die dichtere, braune Flüssigkeit sinkt nach unten und durchmischt sich nur ganz wenig mit dem Trinkwasser. Das nach oben aufsteigende Osmotische Oszillationen Abbildung 2: Änderung des elektrischen Potentials an der Ausströmdüse verursacht durch die Konzentrationsdifferenz der gesättigten NaCl-Lösung und des Trinkwassers. Trinkwasser überschichtet die Kochsalzlösung. Auf diese Weise bleiben die Konzentrationsverhältnisse bei entsprechend grossen Volumina über langen Zeit ziemlich konstant. Publiziert wurde das Phänomen in der Originalpublikation unter dem Namen „Salt Oscillator“ und es erhielt bei den Physikern schon bald die Namen „Salzwasser Oszillator“, „Saline Oscillator“, „Density Oscillator [2]“ oder „Hydrodynamic Oscillator [3]“– aber keiner dieser Begriffe Abbildung 3: Links: Aus dem kleinen oberen Gefäß ausströmende dichte Flüssigkeit (grau), Rechts: einströmende weniger dichte Flüssigkeit (weiß). ist wirklich allgemein zutreffend. Das kann mit vielen unterschiedlichen Systemen belegt werden, die experimentell teilweise Oszillationen zeigen. So erzeugt Glycerin mit einer Dichte von 1,26 g/cm3 im oberen Gefäß zeigt keine Oszillation, weil die Strömung praktisch laminar ist. Damit ist z. B. die Bezeichnung Dichte-Oszillator allgemein nicht zutreffend. Erklärungsversuche mit entsprechenden Experimenten Es ist unbestritten, dass die Kontinuitätsgleichung (Euler, Navier-Stokes, Hagen-Poiseuille) erfüllt sein müssen, aber diese liefern alleine keine Begründungen für die Oszillationen. Auch die Rayleigh- und Teorell-Gleichungen bilden das Wechselspiel der Oszillationen ohne Erweiterungen nicht ab. Eine Zusammenstellung von Abbildung 4: Oberes Gefäß mit konzentrierter Saccharose-Lösung (Kristallzucker), eingefärbt mit Methylenblau. Das Loch in das Plastikgefäß wurde mit einer Nadel gemacht. Der Durchmesser beträgt ca. 1 mm. Das Becherglas ist mit Trinkwasser gefüllt. CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 107 Osmotische Oszillationen Tabelle 1: Erklärungsversuche der Oszillationen mit Modellen. Erklärungsversuchen für die Oszillationen mit Modellen liefert Tabelle 1 (siehe nächste Seite). Folgerung: Es muss kein Salz sein, auch andere lösliche Substanzen wie z.B. Zucker, Harnstoff, Säuren es ist also nicht nur ein Salz-Oszillator. Als Flüssigkeiten mit kleiner Dichte wurden verwendet: Wasser, Ethanol, Benzin – nicht alle oszillieren. Das Phänomen ist also generell kein Dichte-Oszillator. Folgende Fakten müssen für die Erklärung der Oszillation berücksichtigt werden (siehe auch Abbildung 5): 1. Die dichte Flüssigkeit muss oben sein. Ist die weniger dichte Flüssigkeit oben, dann unterschichtet diese beim Einströmen die weniger dichte Flüssigkeit. 2. Die dichten Flüssigkeiten können mit Salzen, Säuren, Basen und Nichtelektrolyten als Lösungen hergestellt werden (elektrische Potentiale sind nicht notwendig). 3. Nur genügend kleine Öffnungen führen zu Oszillationen. Mit zu großen Öffnungen findet ein kontinuierlicher Austausch eine Doppelströmung statt (gleichzeitiges aus- und einströmen). 4. Hat die dichtere Lösung eine hohe Viskosität, dann ist der Austausch kontinuierlich. 5. Je kleiner die Öffnung und je länger die Kapillare, desto kleiner die Oszillations-Frequenz. 6. Das Einströmen erfolgt so rasch, dass an der Oberfläche der dichten Lösung eine Überströmung festgestellt werden kann. 7. Ist das obere Gefäß geschlossen (z. B. Spritze mit dem Kolben), dann findet auch bei einer korrekten Öffnung für Oszillationen kein kontinuierlicher Austausch statt. 8. Die Öffnung muss sich an der Unterseite des kleinen Gefäßes befinden, denn nur senkrechte Strömungen können zu Oszillationen führen. 9. Die Eintauchtiefe ist wichtig. Bei zu grossen Eintauchtiefen bilden sich kontinuierliche Strömungen aus. 10. Die Oszillationen können Stunden andauern. Ein Wasserpendel, auch bekannt als schwingende Wassersäule, kommt als Erklärung nicht in Frage, da die Dämpfung, die durch die kleine Öffnung bestimmt wird, viel zu groß ist. Der Beweis für diese Aussage lässt sich leicht liefern, indem man oben und unten Flüssigkeiten derselben Dichte, aber mit unterschiedlichem Pegelstand, verwendet. Mögliche Modelle Aufgrund der Konzentrationsunterschiede der beiden Flüssigkeiten tritt eine Diffusion auf. Di108 CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 Osmotische Oszillationen Abbildung 5: Einige mögliche unterschiedliche Gefäße und Flüssigkeiten. a) Die gesättigte, eingefärbte Kochsalzlösung oben, Ethanol unten. Es zeigt sich eine Oszillation. b) Wasser mit Kochsalz und Methylenblau oben, Benzin unten. Die Blaue Flüssigkeit tropft aus, es findet keine Rückströmung und damit keine Oszillation statt. a) c) Wasser mit konzentrierter Saccharoselösung und Methylenblau. Wie mit Glycerin führt die hohe Viskosität zu einer Doppelströmung. b) c) d) Doppelströmung: Die gesättigte, eingefärbte Kochsalzlösung tritt aus und gleichzeitig tritt von unten reines Wasser ein, welches die Kochsalzlösung überschichtet. Die zu große Öffnung der Spritze verhindert Oszillationen. d) ese Konzentrationsunterschiede müssen hinreichend groß sein. Die periodische Variation des Pegelstandes der beiden Flüssigkeiten wird maßgeblich vom hydrostatischen Druck verursacht. Der osmotische Druck einer gesättigten Kochsalzlösung [Dichte ca. 1,2 g/cm3 (20 °C) [21], Löslichkeit: 359 g/l = 6,14 mol/l (M = 58,44 g/mol)] gegenüber reinem Wasser ist ca. 14,96·106 Pa. Elektrische Potentiale von zwei Elektrolyten mit unterschiedlichen Konzentrationen können abgegriffen werden. Sie lassen sich mit der Nernst-Gleichung erklären. Diese Gleichung gilt nur bei kleinen Konzentrationsdifferenzen. Eine einseitige Diffusion kann durch eine poröse Wand, Membran oder eine gerichtete Strömung hindurch erfolgen und spielt bei der Osmose eine wichtige Rolle. CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 109 Osmotische Oszillationen Falls ck ungefähr konstant ist, dann ergibt sich für Ionen aus Formel 3 und 4: Spannung und Druck: Das bedeutet, dass der osmotische Druck von Elektrolyten immer auch ein elektrisches Potential zur Folge hat, das bei Membranen mit der Goldman-Hodgkin-Katz-Gleichung berechnet werden kann. Nun liegt beim vorliegenden Oszillator keine Membrane, aber stattdessen eine Strömung vor, welche die kleinen und die großen Konzentrationen trennen. (Der Zusammenhang zwischen dem osmotischen Druck und dem elektrischen Potential wurde schon 1893 von Walter Nernst aufgezeigt (1. Ausgabe) [22]. Dieses elektrische Potential kann immer dann bei diesem Experiment gemessen werden, wenn die gelösten Substanzen Elektrolyten sind (siehe Elektroden bei Abbildung 1 und Messung bei Abbildung 2). Fakten: Es muss kein Salz sein, auch andere lösliche Substanzen wie z.B. Zucker, Harnstoff, Säuren oder Basen sind geeignet um Flüssigkeiten höherer Dichte herzustellen. Als Flüssigkeiten mit kleiner Dichte wurden verwendet: Wasser, Ethanol, Benzin. Osmose tritt zwischen zwei mischbaren Flüssigkeiten mit unterschiedlicher Konzentration an gelösten Stoffen auf. Enthält eine Flüssigkeit nur sehr wenig gelöste Teilchen, dann hat sie ein hohes chemisches Potential. Hat sie viel gelöste Stoffe, dann weist sie ein niedriges chemisches Potential auf. Nun findet ein Potentialausgleich statt, indem Flüssigkeit mit wenig gelösten Stoffen in die Flüssigkeit mit viel gelösten Stoffen einströmt. Ist Wasser als Flüssigkeit mit höherer Dichte im oberen Gefäß mit der kleinen Öffnung und das mit Wasser nicht mischbare Benzin im unteren Gefäß, dann treten Tropfen aus, wie man es von einem tropfenden Wasserhahn kennt. Es handelt sich hier um eine einfache Strömung ohne Rückfluss. Ist der Druck zu klein, strömt lediglich das Benzin in das obere Gefäß, bis zum Zusammenfassung Druckausgleich, da keine Osmose wirksam ist. der verschiedenen Kochsalz, Säuren oder Saccharose als obere verwendeten Theorien dichte Flüssigkeiten und Ethanol als untere, weniger dichte Flüssigkeiten zeigen Oszillationen. Das Gesetz von Hagen-Poiseuille beschreibt den Glycerin (Dichte: 1,26 g/cm3, 20 °C) im obeVolumenstrom einer laminaren stationären Strö- ren Gefäß zeigt bei einer Geometrie der Düse, mung einer homogenen newtonschen Flüssigkeit die mit Salzwasser zur Oszillation führt, sonst durch ein Rohr. Eine newtonsche Flüssigkeit hat in allen untersuchten Fällen eine kontinuierliche ein lineares, unelastisches Fließverhalten, bei Strömung. welchem die Schergeschwindigkeit proportioDie Temperatur hat den Einfluss den man vom nal zur Scherspannung ist (Bespiel: Wasser). Ihr osmotischen Druck p, abgeleitet von der allgeFluss gehorcht den Gleichungen von Navier- meinen Gasgleichung, erwartet: Stokes. Die Navier-Stokes-Gleichungen sind eine Erweiterung der Euler-Gleichungen um die innere Reibung oder Viskosität und beschreiben die Strömung von newtonschen Flüssigkeiten und Gasen. Die Rayleigh-Gleichung beschreibt mit einem nicht-linearen Differential-Gleichungs-System ein Verhalten von Mischungen, das auch Autoos- Eine Temperaturerhöhung von 10 °C hat eine zillationen zulässt. Sie ist von den Navier- Stokes- Geschwindigkeitserhöhung von ca. 3 % zur Folge Gleichungen abgeleitet. (c: Konzentration). Die Teorell-Gleichung beschreibt eine Mehrkomponenten-Diffusion aufgrund der KonzentraModell und Simulation tionsdifferenzen (Potentialdifferenzen) und dabei speziell die passive Diffusion von Ionen durch • Die Oszillationen sind ein Pendeln zwischen Membranen. zwei Gleichgewichtszuständen, ein bistabiles System [23]. • Falls der Fluss positiv ist, dann wirkt der hydroEigene Interpertation statische Druck als Antrieb. Letztlich sind die Oszillationen Graviation- und • Falls der Fluss Null oder nicht positiv ist, wirkt Entropie-getriebene Reaktionen. der osmotische Druck als Antrieb. 110 CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 Osmotische Oszillationen • Wenn Flüssigkeit austritt, kann gleichzeitig keine Flüssigkeit eintreten. Die zu verhindernden Doppelströmungen werden durch Turbulenzen bei der Düse unterdrückt. Diese Turbulenzen bewirken die für die Oszillation notwendige Zeitverzögerung [24]. Das in die Salzlösung eintretende weniger dichte Wasser überschichtet die Salzlösung, weshalb sich deren Dichte am Austrittsort über lange Zeit nur unwesentlich ändert. Die ausfließende dichtere Lösung strömt ganz nach unten, womit bei der Düse die Konzentration praktisch nicht zunimmt. Der osmotische Druck pO wird daher für die betrachtete Zeitspanne als konstant angenommen (Abbildungen 6 und 7). Die Dokumentation zu der Modellierung des Modells im Computer (Definition der Variablen und verwendete Funktionen) ist im Anhang niedergelegt. Abbildung 6: Simulationsdiagramm (Modell). A: Kleines Gefäß mit dem Lösungsmittel mit gelösten Stoffen. Interpretation B: Großes Gefäß mit dem reinen Lösungsmittel. Wie mit einem einfachen Experiment gezeigt VA: Volumen von A am Anfang werden konnte, können die Oszillationen durch VB: Volumen von B am Anfang ein Wasserpendel nicht erklärt werden, da die pH: Hydrostatischer Druck pO: Osmotischer Druck Dämpfung durch die sehr kleine Öffnung des obePegel: Niveau der Oberfläche von A ren Behälters viel zu groß ist. Daher ist ausser Die Einheiten aller Parameter des Modells sind überprüft. Extremwerte von dem hydrostatischen Druck ein weiterer „Antrieb“ Parametern führen zu korrekten Resultaten. Sensitivitäten sind interpretierbar, notwendig. Das ist hier die seit 1748 bekannte kurz, das Modell ist validiert. und von van’t Hoff formulierte Osmose [25]. Jede Osmose setzt eine chemische Verbindung zwischen der gelösten Substanz und dem Lösungsmittel, eine Lösung, voraus. Da das untersuchte System jedoch keine semipermeable Membran besitzt, ist die Osmose trotzdem nicht offensichtlich. Eine einseitige Strömung reicht jedoch aus [26], weil sie, wie eine Membran die Rückströmung verhindert. In unserem Experiment ist die strömende Flüssigkeit für die Trennung der unterschiedlichen Konzentrationen verantwortlich. Das Wasser tritt rasch in die Salzlösung ein und durch die Turbulenzen in der genügend kleinen Öffnung mit entsprechenden Kanten wird der gleichzeitige Austritt der Salzlösung verhindert. Es ist nicht nur der Dichteunterschied, der die Oszillationen verursacht. Der wichtige Unterschied zur kontinuierlichen Strömung besteht in der Verzögerung, verursacht durch die Turbulenzen in der engen Öffnung, die eine Doppelströmung verhindert. Laminare Strömungen durch entsprechende Öffnungen oder genügend Abbildung 7: hohe Viskosität führen zu Doppelströmungen. Zeitdiagramme. CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 111 Osmotische Oszillationen Abbildung 8: Bewegungen der Seitenfiedern der Seitenfiederpflanze oder Telegraphen-Pflanze. Bei 20 °C etwa alle 4 Minuten eine volle Umdrehung. Bewegungen bei Pflanzen, gen lässt. Wasser strömt nach und verformt die Schließzellen welche den Gas- und Wasserausverursacht durch Osmose tauch ermöglichen (Abbildung 9). Abbildung 9: Das periodische Schließen und Öffnen der Stomata durch Osmose. a) Begonie mit Blättern. Die Stomata sind auf der Unterseite; b) Stoma geschlossen [30]; c) Stoma etwas offen d) Stoma ganz offen. a) b) c) d) Womöglich lässt sich das Prinzip, dass sich hinter dem Salzoszillator verbirgt, auch für die Erklärung anderer Phänomene in der Natur nutzen. So gibt es die Telegraphen-Pflanze, auch Semaphor-Pflanze, SeitenfiederPflanze, Desmodium motorium, Desmodium gyrans. genannt. Bei ihr bewegen sich sie Seitenfiedern bei 20 °C etwa alle 4 Minuten periodisch um eine volle Umdrehung (Abbildung 8). Die Bewegungen von Desmodium gyrans wurden schon 1827 von Ludwig Heinrich Palm beschrieben [27] und von Charles Darwin im Buch „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ erwähnt [28]: Die beiden gegenüberliegenden Seitenfiedern bewegen sich in entgegengesetzter Richtung. Der Antrieb erfolgt über die Osmose [29]. Alleine schon die Zeitverzögerung führt zu Oszillationen, wie die folgende Simulation zeigt (Abbildungen 10 und 11). Die Zeitverzögerung, auch als Phasendifferenz zwischen Wasserzufluss und Wasseraustritt aus dem Blatt bezeichnet, ist für die Oszillation der Transpiration entscheidend [32]. In der Biochemie sind die glykolytischen Oszillationen bekannt, auch sie könnten nicht nur durch Rückkopplung [33], sondern auch durch blosse Verzögerung verursacht sein. Es gibt auch Überlegungen, mit dem Prinzip des Salzoszillators Klimaveränderungen zu begründen. Dabei geht es um den periodischen Austausch von Gletschereiswasser aus Grönland mit dem Salzwasser des umgebenden Ozeans [34, 35]. Quintessenz Mit einem Gefäß mit einer kleinen Öffnung am Boden, gefüllt mit einer konzentrierten im Lösungsmittel gelösten Substanz und einem grossen Gefäß mit Lösungsmittel (meist Wasser) lässt sich ein periodisches Ein- und Ausfließen zeigen. Diese Oszillationen werden verzögert von zwei Stoma, Spaltöffnung Kräften angetrieben, dem hydraulischen und Die Oszillationen der Schließ- dem osmotischen Druck. CLB zellen von Blättern sind bekannt. Die biochemischen Reaktionen, die mit den Spaltöffnungsappa- Anhang rat oder stomatären Komplex Die Dokumentation zu der Simulation betreffen sind so komplex, dass es sich aufdrängt, sich auf mög- A= INTEG (ein-aus, VA) liche einfache Mechanismen zu Units: m*m*m konzentrieren. Statt der Gravi- Volumen Spritze 2 ml = 2*1e-6 m3 tation von unserem Beispiel aus= DELAY FIXED (k*fH, Verzögerung ,k*fH) Units: m*m*m/ wird bei den Stomata Wasser Second verdunstet, was die Konzen- Ausströmen und Verzögerung des Ausflusses gegenüber der eintration in den Zellen und damit strömenden Flüssigkeit. Die ausströmende Flüssigkeit verhindert den osmotischen Druck anstei- das Einstromen. 112 CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 Osmotische Oszillationen Abbildung 10: Wie Transpirationsschwingungen bei einem Haferblatt entstehen: Schema des Rückkopplungskreises [31]. Dieses Modell ist nicht konsistent, da z.B. der Wassergehalt mit der Öffnung der Stomata und dem Störsignal, der Zeitverzögerung und der Wasseraufnahme bei den Flüssen gleichgesetzt werden. Abbildung 11: Einfachstes Simulations- diagramm der Oszillationen der Stomata-Öffnungen. Entscheidend sind die Geschwindigkeiten der Wasseraufnahme und -abgabe sowie die Verzögerung. B= INTEG (aus-ein, VB) Units: m*m*m Unteres Gefäß; Volumen Gefäß: 200 ml =200*1e-6 m3 Es ist ein Pendeln zwischen zwei Gleichgewichtszuständen. Falls der Fluss positiv ist, dann wirkt der hydrostatische Druck als Antrieb. Falls der Fluss 0 oder nicht positiv ist, wirkt der osmotische Druck als Antrieb. ds= 1200*1 Units: kg/(m*m*m) [800,1500] Dichte Salzwasser dw= 1000*1 Units: kg/(m*m*m) [800,1300] Dichte Wasser ein= k*fO Units: m*m*m/Second einströmen in die dichtere Flüssigkeit fH= IF THEN ELSE(pH>0, (SQRT(pH/dw))*(rk*rk*3.14) , 0 ) Units: m*m*m/Second Fluss bestimmt durch Hydrostatik: Fluss=SQRT(p/d)*Q fO= (SQRT(pO/ds))*(rk*rk*3.14) Units: m*m*m/Second Fluss bestimmt durch Osmose; Fluss=SQRT(p/d)*Q g= 9.81*1 Units: m/(Second*Second) Graviationskonstante k= 0.005 Units: Dmnl [0,?] Kopplungskonstante; Hat einen Einfluss auf die Amplitude, ist jedoch in der Größe unbekannt. Pegel= A/(ra*ra*3.14) Units: m CLB 66. Jahrgang, Heft 03 - 04/2015 113 Osmotische Oszillationen Pegel im oberen Gefäß mit der dichteren Lösung pH= -((VA-A)/(ra*ra*3.14)*ds-(VB-B)/(rb*rb*3.14)*dw)*g Units: kg/(Second*Second*m) Hydrostatischer Druck: p = ro*g*h = 1000*9.81*0.3e-3 = 2.943 Pa pO= 0.5 Units: kg/(Second*Second*m) [0,3] Osmotischer Druck: Eintauchtiefe ca. 3 cm -> p=ro*g*h = 1000*9.81*3e-2 = 294.3 Pa ra= 0.005 Units: m [0.00499,0.00501] Radius oberes Gefäß A: 0.5 cm = 5e-3 m rb= 0.025 Units: m [0.008,0.06] Radius unteres Gefäß B: 2.5 cm = 2.5e-2 m rk= 0.005 Units: m [0.001,0.01] Radius der Öffnung VA= 2e-006 Units: m*m*m Anfangsvolumen von A: In der Spritze 2 ml VB= 0.0002 Units: m*m*m [0.0001,0.001] Anfangsvolumen von B Verzögerung= 1 Units: Second [0,3] Verzögerung von aus(fließen) gegenüber ein(fließen) Literatur [1] Martin S., A hydrodynamic curiosity: The salt oscillator, Geophysical Fluid Dynamics, 1(1-2), 1970, 143-160 [2] Hubard A., Málaga C., Arce H., González H., A density oscillator model, Revista Mexicana de Fisica, 58, 2012, 438–444 [3] Das A.K., Rao A., Hydrodynamic Oscillator - A Simple Non-Linear Dynamical System, National Conference on Nonlinear Systems & Dynamics, NCNSD-2003, Indian Institute of Technology, Kharagpur 721302, December 28-30, 2003, 185-188 [4] Teorell T., Rhytmical potential impedance variations in isolated frog skin induced by lithium ions, Acta Physiol Scand, 31, 1954, 268-284 [5] Broecker W.S., Bond G., Klas M., A Salt Oscillator in the Glacial Atlantic? 1. 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