INSTITUT UND POLIKLINIK FÜR ARBEITS-, SOZIAL- UND UMWELTMEDIZIN DIR.: PROF. DR. MED. DENNIS NOWAK Krank durch Lärm? Gehör, Physik, Messen, Wirkungen, Prävention Dr. Georg Praml Dipl.-Ing. SS 2012 1 Inhalt „Lärm “ Lärm Relevanz im Beruf und in der Umwelt Gehör Funktion und Eigenschaften Dezibel eine Handvoll Physik & Mathe... Lärm-“Konserven“ Impulse, tonale Komponenten ... Wirkung von hohen Pegeln: Arbeit, Disko, Walkman mittleren Pegeln: Fluglärm, Verkehrslärm niedrigen Pegeln: Störgeräusche Prävention Technisch – Organisatorisch – Persönlich Regelwerke ArbStättV, LärmVibrationsArbSchV… Bei Fragen: Schlagen Sie einfach zwischendurch zu! 2 Lärmschwerhörigkeit und andere BK „Hitliste“: die 10 häufigsten Berufskrankheiten (2009) BK Anzeigen 2301 4103 4101 4111 4105 4104 5101 3101 3102 4301 11302 4021 1755 2090 1494 3993 19709 1673 1248 2394 Anerkannt (neu) 5579 1993 1300 1214 1037 711 600 499 412 402 Quote % Renten % 49 50 74 58 69 18 3 30 33 17 7 22 67 87 90 90 26 15 7 31 (!) Kurzbezeichnung Lärmschwerhörigkeit Asbestose Silikose COPD (Bronchitis Bergarbeiter) Mesotheliom (Asbest) Lungen- und Kehlkopf-Ca (Asbest) Hauterkrankungen Infektionen (Gesundheitsdienst) Infektionen Tier auf Mensch Asthma (allergisch) „Häufigste“ BK bezieht sich auf „neu anerkannte Fälle“. Lärmschwerhörigkeit ist seit Jahrzehnten Spitzenreiter: 1/3 aller Anerkennungen; Kosten ca. 170 Mio €/Jahr. Hauterkrankungen, Infektionen u.a. haben geringe Anerkennungsquote: „Wissen“ verringert Enttäuschungen und Verwaltungsaufwand... Quelle: http://osha.europa.eu/fop/germany/de/statistics/statistiken/suga/suga2009 3 Umweltlärm Lärmbelastung der Bevölkerung 2000 (%) 66 Straße 79 46 Flugzeug 26 24 Neue Bundesländer 21 Industrie 22 2007 19 Nachbarn Sport Alte Bundesländer 20 Schiene + 27 8 82 Mio Einwohner 40 Mio Erwerbstätige 6 Quelle: BMU, Broschüre „Laut ist out“, 4/2000 4 Gehör: Funktion und Eigenschaften Anatomie des Ohres (2) maximale Schwingung bei tiefen Frequenzen Helicotrema innere Basilarmembran äußere Haarzellen Deckmembran Vorhoftreppe Paukentreppe 12.000 äussere Haarzellen motorisch (mit je 100...150 Stereozilien) 3.500 innere Haarzellen Durchmesser der Zellkörper 5 µm Breite der Basilarmembran an der Basis 0,05 mm, an der Spitze 0,5 mm maximale Schwingung bei hohen Frequenzen Länge der Schnecke 35 mm rund 2,5 Windungen 5 Gehör: Funktion und Eigenschaften Frequenzwahrnehmung 10 25 35 20 (Steigbügel) 0 mm (!) Maximum der „Wanderwelle“ wird höher und schmäler durch aktive Bewegung der äußeren Haarzellen: Ermüdung! 6 Gehör: Funktion und Eigenschaften Ermüdung und Erholung: Auf- und Abbau der TTS (!) TTS (dB) „Temporary Threshold Shift“, reversible Hörschwellenverschiebung 25 4 kHz 6 kHz 20 15 2 kHz 1 kHz 500 Hz 10 5 0 10 100 1000 Expositionsdauer tE (min) 1 10 100 1000 Zeit nach Expositionsende tA (min) Aufbau und Abbau der TTS bei verschiedenen Testfrequenzen. Exposition: Breitbandrauschen 100 dB(A), 240 min, 25 Personen. Quelle: Fuder G, Kracht L (1972); in: Dieroff, Lärmschwerhörigkeit 7 Gehör: Funktion und Eigenschaften Hörfeld λ=330 cm 33 cm 3,3 cm L (dB) I (W/m2) Schmerzgrenze 120 100 100 10-2 Musik 80 10-4 60 10-6 Sprache 40 20 10-8 Hörschwelle 10-10 10-12 0 20 Hz 100 Hz nach Robinson & Dadson 1956 1 kHz Düsentriebwerk Niethammer Laute Hupe (1m) Moderate Disco Maschinenhalle „Ghetto Blaster“ Max. Flugzeugkabine Hauptverkehrsstraße Unterhaltungssprache Büroraum Wohnraum Leseraum „Ruhig“ Umgebung Schlafraum Rundfunkstudio Tiefe Höhle 10 kHz 10 Oktaven! 8 Dezibel: Eine Handvoll Mathe, ohne die geht‘s nicht! Schallerzeugung und Schallausbreitung: Intensität (1) Mit steigender Intensität wird es – lauter (Stereo-Anlage) – heller (Lampe) – wärmer („Mikrowelle“), etc. Intensität = Leistung Fläche (W/m2) Einflussgrößen: – Leistung der Quelle – Entfernung der Quelle Intensität nimmt ab mit dem Quadrat der Entfernung! Gilt sinngemäß auch für Licht und andere elektromagnetische Felder. 9 Dezibel: Eine Handvoll Mathe, ohne die geht‘s nicht! Intensität (2) Beispiel 2r r a 4a Leistung 100 W: Entfernung r = 2,8 m, Fläche 100 m2: Intensität = 1 W/m2 Entfernung 2r = 5,6 m, Fläche 400 m2: Intensität = 1/4 W/m2 Geht auch mit ebenen Flächen, z.B. Dia-Projektion: z.B. doppelte Entfernung: doppelte Seitenlänge; vierfache Fläche; 1/4 Intensität Weiter weg wird‘s leiser, dunkler, kühler... Gehör kann einen Schallintensitäts-Bereich von rund 14 Zehnerpotenzen verarbeiten; unhandlicher Zahlenraum, deshalb „Pegel“. 10 Dezibel: Eine Handvoll Mathe, ohne die geht‘s nicht! Schallpegel (Dezibel, dB) * L = 10 * log 10 ( I / I0 ) I0 = „Bezugsschallintensität“ 10-12 W/m2 = 0,000 000 000 001 W/m2 ungefähr kleinste hörbare Intensität Beispiele: Hörschwelle I = I0 Umgangssprache I = 106 * I0 Schmerzgrenze I = 1013 * I0 log ( I / I0 ) = 0 log ( I / I0 ) = 6 log ( I / I0 ) = 13 L = 0 dB L = 60 dB L = 130 dB Jetzt haben wir einen überschaubaren Zahlenraum von 0...140 dB, dafür aber jede Menge Fallen aufgestellt... * zu Ehren von Alexander Graham Bell 11 Dezibel: Eine Handvoll Mathe, ohne die geht‘s nicht! Schallintensität und Schalldruck (1) Trommelfell (und Mikrofone) reagieren auf (Wechsel-)Schalldruck Druck = Kraft / Fläche p=F/A [ Pascal = Newton / m2 ] F A weil I = const * p2: L = 10 * log ( p2 / p02 ) = 10 * log ( p / p0 ) 2 = 20 * log ( p / p0 ) Schallpegel = Schalldruckpegel 12 Dezibel: Eine Handvoll Mathe, ohne die geht‘s nicht! Schallintensität und Schalldruck (2) 1 kHz 10 kHz L (dB) I (W/m2) p (N/m2) 120 100 20 1.000.000 100 10-2 2 100.000 80 10-4 0,2 10.000 60 10-6 0,02 1.000 p/p0 40 10-8 0,002 100 20 10-10 0,0002 10 0 10-12 0,00002 1 = Io Düsentriebwerk Niethammer Laute Hupe (1m) Moderate Disco Maschinenhalle Flugzeugkabine Hauptverkehrsstraße Unterhaltungssprache Büroraum Wohnraum Leseraum Schlafraum Rundfunkstudio Tiefe Höhle = po 13 Dezibel: Eine Handvoll Mathe, ohne die geht‘s nicht! Schallquellen-Verdopplung und -Halbierung (!) 1 L = 10 * log 10 ( I2 / I1) Schallquellen-Verdopplung (gleiche Schallquellen, gleiche Entfernung, freies Schallfeld) L = 10 * log ( 2 / 1 ) = 10 * 0,3010... = + 3 dB Beispiele: 1 Quelle z.B. 80 dB 1 Quelle z.B. 50 dB 1 Quelle z.B. 0 dB 2 Quellen 83 dB 2 Quellen ? dB 2 Quellen ? dB 4 Quellen 86 dB 4 Quellen ? dB 4 Quellen ? dB Schallquellen-Halbierung: - 3 dB Der Effekt einer Schallquellen-Halbierung bzw. -Verdopplung (3 dB) ist geringfügig (Nachweisgrenze 1...2 dB) Lösungen: 50, 53, 56; 0, 3, 6 14 Dezibel: Eine Handvoll Mathe, ohne die geht‘s nicht! (!) 6 Hörfeld: Lautstärke L (dB) I (W/m2) 120 100 „sone“ 100 +60 dB +50 dB +40 dB +30 dB +20 dB +10 dB 80 60 40 64 32 16 8 4 2 1 I * 1.000.000 I * 100.000 I * 10.000 I * 1.000 I * 100 I * 10 10-2 10-4 10-6 10-8 20 10-10 0 10-12 20 Hz 100 Hz 1 kHz Isophonen-Abstand ermittelt mit Tönen und Vorgabe „doppelte Lautstärke“ Bei 1000 Hz: jeweils 10 dB 10 kHz Lautstärke-Halbierung bei - 10 dB ~ 1/10 der Intensität: Beispiel: 9 von 10 Schallquellen sind abzustellen! 15 Messen: dB(A), Frequenzgang, Zeitkonstante, Lärmexpositionspegel (!) 5 Hörfeld und dB(A) L (dB) I (W/m2) 120 100 100 10-2 80 10-4 60 10-6 A 40 10-8 20 10-10 0 10-12 20 Hz 100 Hz 1 kHz 10 kHz A-Bewertung bildet Frequenzgang des Gehörs nach. (Fast) alle Grenzwerte sind in dB(A) angegeben. 16 Messen: dB(A), Frequenzgang, Zeitkonstante, Lärmexpositionspegel Tages-Lärmexpositionspegel (!) LEX, 8h LärmVibrationsArbSchV: „... der über die Zeit gemittelte Lärmexpositionspegel bezogen auf eine Achtstundenschicht.“ Anders formuliert: LEX,8h entspricht dem Pegel eines 8stündigen konstanten Geräusches (ortsfest mit A-Bewertung gemessen) Berücksichtigung von: • Arbeitszeit • Zeitverlauf des Pegels • Impulshaltigkeit • früher: Tonhaltigkeit (wird wiederkommen!) Personenbezogene Messung mit „Dosimeter“ bei ortsveränderlichen Arbeitsplätzen Der „alte“ Beurteilungspegel Lr („Rating Level“) wird mit der „neuen“ DIN 45645-2 wiederkommen: Lr = LAeq + KI + KT KI = Impulszuschlag; KT = Zuschlag für Ton- und Informationsgehalt. 17 Messen: dB(A), Frequenzgang, Zeitkonstante, Lärmexpositionspegel Einfluss der Einwirkdauer, „Halbwertsparameter“ q = 3 dB Zulässiger (konstanter) Pegel dB(A) 100 97 Lärmbereich 94 91 88 85 1 2 4 8 82 Einwirkdauer 16 h Gleiche Schallenergie (gleiches angenommenes Risiko) bei Halbierung der Einwirkdauer und Pegelerhöhung um 3 dB. Bei 100 dB(A) ist ohne Gehörschutz die zulässige Tagesdosis bereits nach 15 min erreicht! (!) 3 18 Arbeitsmedizin: Definition LS, Hörfähigkeit... BK 2301 Lärmschwerhörigkeit Definition, Entstehung (!) • periphere, cochleäre Innenohr-Schwerhörigkeit vom Haarzelltyp, • • beginnend um 4 kHz („c5-Senke“; aus der Musik: c‘‘‘‘‘) meist verursacht durch längere Exposition mit Expositionspegeln von mindestens 85 dB(A) aus vorübergehender Hörschwellenverschiebung (physiologisch; TTS, Temporary Threshold Shift) entsteht bei zu hoher Exposition oder zu kurzer Erholungszeit eine dauernde Hörschwellenverschiebung (pathologisch; PTS, Permanent Threshold Shift) Akute Schädigung: • oberhalb von 135 dB (Spitzenwert mit C-Bewertung gemessen) Schäden u.U. sofort (mechanische Schädigung durch Druckwellen von Knallen, Explosionen etc.) 19 Arbeitsmedizin: Definition LS, Hörfähigkeit... BK 2301 Lärmschwerhörigkeit Diagnostik, Symptomatik (!) 2 • große Hörweitendifferenz zwischen Umgangs- und Flüstersprache • umschriebener Hochtonhörverlust (beginnend um 4 kHz), deshalb: anfangs unbemerkt… • Richtungs-(Stereo-)Hören eingeschränkt, deshalb: „Cocktailparty-Effekt“, „Soziakusis“. • identische Luft- und Knochenleitung (Innenohrschwerhörigkeit) • meist symmetrisch (Industrie, beide Ohren gleich belastet), für Anerkennung aber nicht zwingend. • Intensitäts-Unterscheidungsvermögen gesteigert („positives Recruitment“ im SISI-Test - Short Increment Sensitivity Index) = Schaden der äußeren Haarzellen 20 Arbeitsmedizin: Definition LS, Hörfähigkeit... Hörschwellen bei Lärmschwerhörigkeit (2) LEFT (BLUE) dB -10 500 1000 2000 HERTZ 3000 4000 6000 8000 0 RIGHT (RED) 500 1000 2000 3000 4000 dB 6000 8000 1000 Normal (jugendlich) Beginnende Lärmschwerhörigkeit 10 20 30 40 50 60 -10 0 10 20 Altersverlauf (60 Jahre, männlich) VOK 30 40 SLK SHK BK-Verdachtsmeldung („geringgradig“) 50 60 70 70 80 80 MdE 20% 90 90 SLK = stimmlose Konsonanten SHK = stimmhafte Konsonanten VOK = Vokale 21 Umweltlärm Fluglärm, Schulen und Kinder (1) Belästigung (!) Aircraft Noise: 1–5 ordinal scale of annoyance 3.5 3.000 Kinder (9…10 Jahre alt) 3.0 aus 89 Schulen in GB, NL und E mit unterschiedlicher Fluglärmbelastung 2.5 Untersuchung von Gesundheit und kognitiven Fähigkeiten „adjusted for age, gender, country“ 2.0 1.5 1.0 Ab 55…60 dB (A): Belästigung steigt 0.5 Stansfeld et al Lancet 2005, 365, 1942-49 0 30 35 40 45 50 55 60 65 70 Aircraft Noise dB(A) 22 Umweltlärm Fluglärm, Schulen und Kinder (2) Lesefähigkeit (!) Reading 0.4 Z score 0.2 0 -0.2 -0.4 30 35 40 45 50 55 60 65 70 Aircraft Noise dB(A) Ab 55…60 dB(A): Lesefähigkeit und Lernen verzögert (5 dB(A) mehr entsprechen 1…2 Monaten Leseverzögerung) Stansfeld et al Lancet 2005, 365, 1942-49 23 Umweltlärm Lärm, Bluthochdruck & Herzinfarkt bei Erwachsenen (1) Neuerkrankungsrate an Herzinfarkten Meta-Analyse Babisch, WaBoLu-Heft 01/2006 24 Umweltlärm Lärm, Bluthochdruck & Herzinfarkt bei Erwachsenen (2) Hintergrund: Lärm aktiviert das sympatho-adrenerge System des Organismus Auswahl methodisch hochqualitativer Untersuchungen aus 61 Studien Metaanalyse zur Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Lärmbelastung, Bluthochdruck und Herzinfarkt Schwellen: 55…60 dB(A) Risiko für Bluthochdruck steigt 60…65 dB(A) Herzinfarktrisiko erhöht (!) Meta-Analyse Babisch, WaBoLu-Heft 01/2006 25 Störgeräusche mit geringem Pegel Arbeits-(Kurzzeit-)Gedächtnis und Störgeräusche (1) Laborversuch zum „Irrelevant Sound Effect“ (ISE) mit Serial Recall-Aufgabe und 4 Schallbedingungen (20 Probanden): 55G 55 dB(A) 35G 35 dB(A) 35S 35 dB(A) 25R 25 dB(A) gut verständliche Sätze „direkter Störschall“ gut verständliche Sätze (alle Frequenzen gleich gedämpft) „Störschall aus schlecht isoliertem Nebenraum“ schlecht verständliche Sätze (Tiefpass: 125 Hz 0 dB, 4 kHz 70 dB Dämpfung) „Störschall aus gut isoliertem Nebenraum“ Ruhe Quelle (2008): Dr. Sabine Schlittmeier (Dipl.-Psych.), Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitspsychologie, Kath. Univ. Eichstätt/Ingolstadt Anmerkung 1: 35G = Gipskarton einfach; 35S = Doppelwand mit Luft Anmerkung 2: Reihenfolge (Einstell-Stück) - 35S – 35S – 35G – 35S – 55G 26 Störgeräusche mit geringem Pegel Arbeits-(Kurzzeit-)Gedächtnis und Störgeräusche (3) Fehlerquote Leiser ist besser als lauter... Aber: schlecht verständlich ist besser als gut verständlich! 55G 35G 35S Ruhe (!) 27 Lärmminderung & Prävention Lärmminderung & Prävention: Technisch – Organisatorisch – Persönlich (!) Strategie • Beginn mit der dominierenden Schallquelle • vereinzelte Spitzenpegel begrenzen • störende Einzeltöne beseitigen Eingriff an • Quelle (Verfahren, Konstruktion) • Körperschallübertragung (Dämmung, Dämpfung) • Luftschallübertragung (Kapselung, Schallschutzschirm) • Raumakustik (Wandbekleidung, Deckenabsorber) Organisation • Verringern der Anzahl exponierter Arbeitnehmer • Verkürzen des Aufenthalts im Lärmbereich • Lärmpausen „Kapselung der Arbeitnehmer“ 28 Gehörschutz: Stöpsel, Kapseln... Individueller Gehörschutz (!) Arten • Watte (bei 4 kHz bis 35 dB) ausreichend für die • Stöpsel (bei 4 kHz bis 40 dB) meisten Anwendungen: • Kapseln (bei 4 kHz bis 45 dB) „freie Auswahl“ • Otoplastiken (spez. Filter möglich) • Gehörschutzhelme (z.B. Jet- und Helikopterpiloten; ab 115 dB(A) mit Knochenleitung rechnen!) • Schallschutzanzüge (selten; ab 130 dB(A) Ganzkörperwirkung möglich; Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen...) Angemessene Wirkung anstreben: keine „overprotection“ (verschlechtert Akzeptanz) Tragetraining „10-Tage-Training“ zur schrittweisen Gewöhnung (veränderte Charakteristik von Maschinengeräuschen, erschwerte Kommunikation, Lästigkeit...) Tragequoten in der Praxis 20 - 80%... 29 Gehörschutz: Stöpsel, Kapseln... (!) Effektive Schalldämmung vs. Tragedauer Effektive Schalldämmung [dB] 30 25 20 15 10 5 0 0,5 1 8 7,5 7 2 6 4 4 Nichttragedauer 8 h Tragedauer 0 h 0 Gehörschutz mit 30 dB Dämpfung hat effektiv nur noch 15 dB, wenn auch nur 15 min nicht getragen! Der beste Gehörschutz ist der, der auch getragen wird! Beispiel: L = 100 dB(A), 15 min ungeschützt; 465 min 70 dB(A) (30 dB Dämmung); 480 min Schichtdauer: Lavg = 10 * lg (10100/10 * 15 + 1070/10 * 465) / 480 = 85 dB(A) 30 Regelwerke: ArbStättV, LärmVibrationsArbSchV, ... Grenzwerte, Richtwerte und Empfehlungen: dB(A) Immissionswert dB(A) Tag Arbeitsplatz Arbeitsstättenverordnung 85 Straßenverkehr VerkehrslärmschutzV (16. BImSchV, 1990) Straßen-Neubau Industrie und Gewerbe (Richtwerte) TA Lärm (1998) für genehmigungsbedürftige Anlagen Richtwerte Sportanlagen (Richtwerte) Sportanlagen-LärmschutzV (1991) Nacht Bemerkung (max. 90) 57 59 64 69 47 49 54 59 Krankenhäuser, Schulen, Kurheime reine und allgemeine Wohngebiete Kern-, Dorf- und Mischgebiete Gewerbegebiete 40 45 50 55 60 65 30 35 35 40 45 50 70 baulich verbundene Wohnungen Kurgebiete, Krankenhäuser reine Wohngebiete allgemeine Wohngebiete Mischgebiete Gewerbegebiete Industriegebiete 45-60 35-50 je nach Gebiet etc., etc. etc. 31 Regelwerke: ArbStättV, LärmVibrationsArbSchV, ... Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (1) (!) vom 6.3.2007: Bundesministerium für Arbeit und Soziales Umsetzung der EG-Richtlinie 2003/10/EG für Pegel ≥ 80 dB(A) Neue Begriffe: Unterer Auslösewert: Tageslärmexpositionspegel LEX,8h ≥ 80 dB(A) oder Impuls(e) mit LpC,peak ≥ 135 dB(C) („C“-Bewertung ist in etwa Linear). Unterweisungspflicht, allgemeine arbeitsmedizinische Beratung, Gehörschutz zur Verfügung stellen. Oberer Auslösewert: Tageslärmexpositionspegel LEX,8h ≥ 85 dB(A) oder Impuls(e) mit LpC,peak ≥ 137 dB(C). Zusätzlich: Lärmminderungsprogramm, Lärmbereichs-Kennzeichnung, GehörschutzTragepflicht, Erst- und Nachuntersuchungen. Expositionswert: Tageslärmexpositionspegel LEX,8h ≥ 85 dB(A) oder Impuls(e) mit LpC,peak ≥ 137 dB(C). Dämmwert des Gehörschutzes bei hoch- und mittelfrequentem bzw. bei tieffrequentem Lärm wird (nur hier) berücksichtigt unter Abzug von Sicherheits-Korrekturwerten [Stöpsel 9 dB(A), Kapseln 5 dB(A), Otoplastiken 3 dB(A)]. Falls Überschreitung: Sofortmaßnahmen! 32 Regelwerke: ArbStättV, LärmVibrationsArbSchV, ... Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) (!) (bis 1.6.2007: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften) G 20 „Lärm“ Pflichtuntersuchung, falls LEX,8h ≥ 85 dB(A) bzw. LpC,peak ≥ 137 dB(C) Angebotsuntersuchung, falls LEX,8h ≥ 80 dB(A) bzw. LpC,peak ≥ 135 dB(C) Erstuntersuchung mit Siebtest • • • • Kurzanamnese Gehörschutzberatung Besichtigung Außenohr Tonschwellenaudiometrie (Luftleitung 1-6 kHz) wenn auffällig: Ergänzungsuntersuchung (Weber-Test, Knochenleitung, SISI etc.) Nachuntersuchung (ähnlich Erstuntersuchung) • • • innerhalb von 1 Jahr, dann je nach Tageslärmexpositionspegel innerhalb von 3 Jahren, falls über 90 dB(A) innerhalb von 5 Jahren, falls unter 90 dB(A) bei Beendigung der Tätigkeit (falls Pflichtuntersuchung gegeben) 33 Regelwerke: ArbStättV, LärmVibrationsArbSchV, ... Hinweise für die Erstattung einer ärztlichen Anzeige bei Lärmschwerhörigkeit (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) (!) (bis 1.6.2007: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften) BK-Anzeige „Lärmschwerhörigkeit“ Jeder Arzt hat den begründeten Verdacht auf eine berufsbedingte Lämschwerhörigkeit unverzüglich anzuzeigen (an BG oder andere für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle) Begründeter Verdacht, wenn • Tageslärmexpositionspegel 90 dB(A) oder mehr bzw. langjährig 85 dB(A) oder mehr • Innenohrschwerhörigkeit (c5-Senke, Hörweitendifferenz, SISI positiv) • Hörverlust bei 2 kHz mehr als 40 dB (besseres Ohr) 34 Gehörschutz: Stöpsel, Kapseln... Besser gut dämmen als schlecht hören! LEFT (BLUE) dB -10 500 1000 2000 HERTZ 3000 4000 6000 8000 RIGHT (RED) 500 1000 2000 3000 4000 dB 6000 8000 1000 -10 0 0 10 10 20 20 30 30 40 50 60 VOK Gehörschutz 3M 1440 SLK 40 50 SHK 60 70 70 80 80 MdE 20% 90 90 Quelle: 3M Innovation Gehörschutz kann man ablegen – Lärmschwerhörigkeit nicht... Grönemeyer „Bochum“: mittlere Lärmschwerhörigkeit, auffälliger Recruitment-Effekt. Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz, „Schwerhörig durch Arbeitslärm – Hörbeispiele“ CD 6/1996 35 Lernziele Sie sollen nach der Vorlesung in der Lage sein, 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Funktion und Eigenschaften des Gehörs zu erklären. die Irreversibilität und die sozialen Folgen einer Gehörschädigungdurch Lärm zu erklären. exemplarisch und in sinnvoller Reihenfolge Schutzmaßnahmen gegen eine Gehörschädigung durch Lärm zu benennen. die Schallintensität und daraus resultierend den Schallpegel zu erklären und häufige Fehlinterpretationen dieses logarithmischen Maßes zu korrigieren. die Lärmschwerhörigkeit in das Berufskrankheitengeschehen einzuordnen. Symptome einer Lärmschwerhörigkeit, die wichtigsten VorsorgeUntersuchungen und diagnostischen Maßnahmen zu benennen. verschiedene extraaurale und aurale Lärmwirkungen und die Schwellen zu benennen, ab denen diese möglicherweise auftreten. Beispiele zur Verringerung der Lärmbelastung in der Umwelt zu schildern. Lernfall zur Vertiefung: Kumpel im Erzgebirge Vorsorgeuntersuchungen, Staub, ionisierende Strahlung, Lärm 36