Friedrich-Schiller Universität Jena Institut für Germanistische

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Friedrich-Schiller Universität Jena
Institut für Germanistische Literaturwissenschaft
Seminar: Märchen
Dozent: Prof. Dr. Matuschek, Vertretung: Dr. Stephan Pabst
Protokollantin: Tanja Probst
Protokoll zur Sitzung vom 25.4.2013
Es wurde darauf hingewiesen, dass sich die Reisen der Prinzessin von Babylon hauptsächlich auf den europäischen Raum beschränken und hier auch Bezüge zum gegenwärtigen
Europa hergestellt werden, was für die Handlung des Märchens wesentlich ist.
Das anschließende Referat zum Thema conte philosophique gliederte sich in zwei Teile. Im
ersten Teil wurde geklärt, dass der Begriff aus dem Französischen stammt und philosophische Erzählung bzw. philosophisches Märchen bedeutet. Es wurden folgende Merkmale genannt:
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Im conte philosophique wird eine These behandelt, die sich präzise auf eine aktuelle
philosophische Debatte bezieht. Diese wird dann durch Beispiele veranschaulicht.
Diese lebensnahen Themen entsprechen dem Ideal der Aufklärung.
Der Titel offenbart meist das Problem und benennt fast immer den Helden des
Stücks, der bei Voltaire üblicherweise männlich ist (Ausnahme: „Die Prinzessin von
Babylon“).
Der Held des Stücks ist oft ein Außenseiter. Am Beispiel „Die Prinzessin von Babylon“ lässt sich erkennen, dass Formosante und Amazan durch ihre Eigenschaften zu
Außenseitern werden (Schönheit, Kraft und Lebensweise).
Die Figuren sind meist eigenschaftslos und dienen dazu, einen gewissen Zweck zu
erfüllen. Amazan dient dazu, den Papst lächerlich zu machen.
Die Handlung verläuft schnell und ohne Ausschmückung.
Zentral ist das Reisemotiv. Das Reisen wird als philosophische Aufgabe betrachtet,
die von einer dritten Person gestellt wird (Formosantes Vater und das Orakel).
Im zweiten Teil des Referats ging es um den philosophischen Gehalt des conte
philosophique „Die Prinzessin von Babylon“.
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Als zentrale Funktion des conte philosophique wurde die Gesellschafts- und Zeitkritik
genannt. In „Die Prinzessin von Babylon“ werden nicht mehr die Ideen der Metaphysik (so wie bei „Candide oder der Optimismus“), sondern politisch-philosophische Ansätze verarbeitet. Die Kritik bezieht sich jedoch nicht auf Theoreme, sondern auf die
praktische Verwirklichung von Aufklärung der europäischen Nachbarländer (sozial,
gesellschaftlich, etc.). Beispielhaft hierfür ist der Papst, der sich selbst als „König aller
Könige“ betitelt, von Amazan aber „Diener der Diener“ genannt wird (Textseite 90).
Das conte philosophique beinhaltet Religionskritik, es zeigt, dass Religion ein Hindernis für die Aufklärung ist und im welchem Verhältnis Aufklärung und Religionskritik
stehen. Voltaire zeigt einen unterdrückerischen Katholizismus und stellt Religion als
Gegenteil zur Aufklärung dar. Beispielhaft sind hier die Fragen nach der Wiedergeburt (S. 46) oder Abstammung des Menschen (S.113).
Kritik an Leipnitz‘ Optimismusthese: Hier wurde zunächst auf Voltaires „Candide oder
der Optimismus“ als Musterbeispiel für das conte philosophique hingewiesen, dessen
Handlung von zahlreichen Schicksalsschlägen und unglücklichen Wendungen bestimmt ist, in der Candide jedoch nie seinen anerzogenen Optimismus verliert. Im
Vergleich mit „Die Prinzessin von Babylon“ konnte festgestellt werden, dass beide
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Voltaire-Märchen ein ähnliches erzählerisches Strukturmuster aufweisen (Reise, Suche, Spannungsbogen)
Das conte philosophique dient zur geschichts-philosophischen Darstellung der Aufklärungszeit. Es wird der Frage nachgegangen, wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll. Hier stehen sich die zeitlosen utopischen Vorstellungen Amazans (Schäferwelt) und die europäischen Länder in ihrer aktuellen Gegenwart gegenüber.
Zentrales Ergebnis bei der Frage nach dem philosophischen Gehalt des Märchens „Die Prinzessin von Babylon“ war die Erkenntnis, dass der philosophische Grundzug im Text angelegt
ist. Dieser philosophische Grundzug lässt sich jedoch nicht wie bei „Candide oder der Optimismus“ klar auf eine philosophische Thematik festschreiben, sondern kann verschieden
ausgelegt werden: religionskritisch, politisch-philosophisch und auch geschichtsphilosophisch.
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Gegenstand der zweiten Hälfte der Seminarsitzung war die „Geschichte des Prinzen
Biribinker“ aus Christoph Martin Wielands Roman „Die Abenteuer des Don Sylvio von
Rosalva“. Hier kam zunächst der Hinweis auf Miguel de Cervantes „Don Quijote“, da die hier
verarbeitete Thematik von Wieland aufgegriffen wurde und er das Gattungsmuster Märchen
auf komische Weise durchspielt. Don Quijote ist eine Spottfigur, ein Idiot der Wirklichkeit,
weil er in seinem Kopf in der Welt der Ritterromane lebt. Wielands Don Silvio ergeht es ähnlich mit der Welt der Feen.
1. Was ist das Märchenhafte an der „Geschichte des Prinzen Biribinker“ und wozu wird es
genutzt?
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Märchentypen: Es handelt sich um Prinzen, Könige, Feen und Zauberer
erzählerisch strukturelle Aspekte: Die im Text benannten Orte und unmotivierten
Ortswechsel (Bsp. Welt im Walfischbauch) stellen keine Glaubwürdigkeitserwartung
an den Leser.
Gut-und-Böse-Polarität
Nicht typisch märchenhaft, aber auffällig ist die final motivierte Handlung. Es liegt hier
eine Besonderheit der einfachen Erzählform vor, die sich aus der Überzeichnung des
finalen Moments sowie dem Anzitieren antiker und biblischer Mythen (und damit anderen Erzählmustern als dem des Märchens) ergibt. Die finale Motivierung beruht, im
Gegensatz zur kausalen Motivierung, auf einem mythischen Bewusstsein. Handlungen basieren nicht auf Kausalität, müssen also nicht begründet oder hinterfragt werden. Die finale Motivierung ist ein Zeichen von Irrationalismus.
2. Welchen Zweck hat das Märchen – Gattungsreflexion
Schließlich wurde festgestellt, dass Wieland den Plot des Märchens nutzt, um sich mit der
Gattung auseinanderzusetzen. Im dritten Kapitel der „Geschichte des Prinzen Biribinker“
finden sich Anmerkungen zur erzählten Geschichte, in denen die Unwahrscheinlichkeit und
Wahrscheinlichkeit des Feenmärchens thematisiert wird. Wieland nutzte Fußnoten im Text,
um Glaubwürdigkeit zu simulieren, dabei handelt es sich um Beglaubigungsstrategien, die
der Gattung Märchen ohnehin fremd sind. Wieland bringt im dritten Kapitel folgende Gründe
für die Glaubwürdigkeit der Geschichte an:
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Alles ist möglich/denkbar, aber nicht nachweisbar und kann deshalb nicht für wahr
gehalten werden.
Die Frage, ob etwas denkbar ist, entscheidet nicht darüber, ob es wahr ist (Metaphysikkritik).
Wahrscheinlichkeit wird über Gattungskonventionen vermittelt.
Als zentrales Ergebnis der Sitzung kann die Erkenntnis festgehalten werden, dass die „Geschichte des Prinzen Biribinker“ gattungstypische Konventionen des Märchens einhält (Darstellung des Wunderbaren, Kontrast zwischen Gut und Böse, bestimmte Erzählweise), Wieland jedoch durch die überspitzte Art der Darstellung das Märchen an sich parodiert:
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Protagonist = Antiheld: Er schafft Gutes aus falscher Motivation heraus (Befreiung
der Feen, speziell Krystalline).
Märchen eigentlich naive Gattung: Im Text reflektiert sich das Märchen jedoch selbst
(die Einbildungskraft wird thematisiert, S. 177).
dreifaches Scheitern des Helden: Der eingehaltenen Märchenkonvention (also der
Verwendung der Zahl Drei) steht das Scheitern des Helden gegenüber, woraus sich
ein Nichteinhalten der positiven Handlungsdarstellung ergibt.
Gattungserwartung eines Fluches: Im Text ist an keiner Stelle von einem Fluch die
Rede, doch da die Ziege dreimal „etwas unverständliches in ihren Bart hinein“ meckert (S. 152) und in Gestalt des alten Weibes Drohungen gegen den König ausspricht, wird angenommen, dass der Prinz verflucht ist. Hierauf baut sich die gesamte
Handlung auf, die von Gattungskonventionen durchzogen ist (Biribinker darf vor seinem 18. Lebensjahr keinem Milchmädchen zu nahe kommen, der König sucht den
Zauberer auf...)
leerer Ausgangspunkt der Handlung = Kern des parodistischen Effekts: Die Parodie
entsteht durch die übertriebene Darstellung eines trivialen Themas (Erotik und sexuelle Bedürfnisstruktur) durch einen riesigen fantastischen Apparat.
Grotesk als parodistisches Element: Durch Zusammenziehen von Dingen, die nicht
zusammenpassen, entsteht eine Kontrastästhetik. Die Fee Krystalline wird von dem
Zauber, der sie in einen Nachttopf verwandelte erlöst, als Amazan hineinuriniert. Das
hübsche Baby Amazan wird verehrt, weil er köstliche Exkremente ausscheidet und
der Gnom Grigri, der mit zahlreichen anderen unansehnlichen Gnomen statt der zu
attraktiven und damit gefährlichen Sylfen zu Krystallines Gefolgschaft gemacht wird,
verfügt über ein derart abnormes Gemächt, dass Krystalline kaum genug von ihm bekommen kann.
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