BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge Anke Weißenborn Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 2 Wert der Muttermilchernährung um 1900 TAFEL 62 AUS: LEO LANGSTEIN/FRITZ BOTT: ATLAS DER HYGIENE DES KINDES, BERLIN: PREUSSISCHE VERLAGSANSTALT 1918 CHROMOLITHOGRAPHIE; 35,2 X 49,8CM Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 3 Morbidität und Mortalität gestillter und nicht gestillter Säuglinge bis zum Alter von 9 Monaten – zu Beginn des 20. Jahrhunderts voll gestillt teilgestillt 60 Relative Häufigkeit (%) nicht gestillt 50 40 30 20 10 0 Gastrointestinale Infektionen Luftwegserkrankungen Alle Infektionen Gestorben Grulee et al. (1934) JAMA 103: 735-8 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 4 Wert der Muttermilchernährung heute Gastrointestinale Infekte - prospektive Kohorte - 1900 Mutter-Kind-Paare - Bayern - Häufigkeit von Infektionen retrospektiv von Kinderärzten erfragt n=475 ≥ 6 Mo. full bf n=870 ≥ 4 Mo. full bf n=619 < 4 Mo./ no bf p < 0.01 p < 0.01 p < 0.01 Quelle: Rebhan et al., Acta Paediatr. 2009. 98(6):974-80. Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 5 Wert der Muttermilchernährung heute GI- URT- LRT- Infekte N > 3000 Säuglinge Ausschließliches Stillen Infektionen der oberen Atemwege (URTI) < 0,01 aOR: 0,37 (0,18–0,74) P < 0,01 Infektionen der unteren Atemwege (LRTI) < 0,05 aOR: 0,33 (0,08–1,40) P < 0,01 Gastrointestinale Infektionen (GI) < 0,01 aOR: 0,46 (0,14–1,59) P < 0,01 Quelle: Duijts et al. Pediatrics 2010. 126;e18 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 6 Wert der Muttermilchernährung heute Otitis media Vergleich: gestillte (n=45) und nicht gestillte (n=41) Säuglinge % Tage mit Otitis media 10 gestillt nicht gestillt 8 6 4 2 0 0-6 6-12 12-18 18-24 Alter (Monate) Quelle: Dewey et al.: J. Pediatr. 126 (1995) 696-702 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 7 Wert der Muttermilchernährung heute manifeste atopische Krankheiten Prävalenz von manifesten atopischen Krankheiten [%] 70 60 nicht oder <1 Monat gestillt 50 40 1-6 Monate gestillt 30 >6 Monate gestillt 20 10 0 1 3 5 10 17 Alter [Jahre] Quelle: Saarinen und Kajosaari, Lancet 346 (1995) 1065-1069 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 8 Wert der Muttermilchernährung heute: Stillen und Übergewicht Im Alter von 5 und 6 Jahren sind ehemals gestillte Kinder seltener übergewichtig als nicht gestillte 5 4,5 nicht gestillt 4,5 Prävalenz (in %) 4 2 Monate gestillt 3 bis 5 Monate gestillt 3,8 6 bis 12 Monate gestillt 3,5 3 2,5 2 2,3 1,7 1,5 1 0,5 0 Quelle: von Kries et al., BMJ (1999). 319: 147-50 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 9 EU Projects Supplement 06/2011 Childhood obesity - news from the IDEFICS study Übergewicht und Adipositas bei Kindern (2 bis 10 Jahre) in europäischen Ländern 25 übergewichtig Prävalenz (in %) 20 adipös 15 10 5 n li e Ita rn pe Zy Sp an ie n n ng U la ch D eu ts ar nd nd tl a Es hw Sc Be lg ed ie en n 0 Quelle: www.ideficsstudy.eu Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 10 Wert der Muttermilchernährung heute Ip et al,, 2007; 2009 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 11 Gestillte Säuglinge haben im Vergleich zu nicht gestillten… - seltener Infektionen (gastrointenstinale und akute Mittelohrentzündung) - ein geringeres Risiko für Zöliakie und atopische Erkrankungen - ein geringeres Risiko für Diabetes Typ 1 - ein geringeres Risiko für die Entstehung von Übergewicht - ein geringeres Risiko für Diabetes Typ 2 - niedrigeren Blutdruck ? - geringere LDL- und Cholesterolkonzentrationen ? - bessere kognitive Fähigkeiten ? Außerdem: - Stillen fördert die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 12 Muttermilch… …ist auf den Nährstoffbedarf des Säuglings abgestimmt … variiert in ihrer Zusammensetzung entsprechend dem Bedarf des Säuglings …enthält antimikrobielle, antientzündliche und immunmodulierende Stoffe … enthält Hormone …wird nach Bedarf in ausreichender Menge produziert …muss nicht zubereitet werden und ist mikrobiologisch einwandfrei …hat immer die richtige Temperatur …kostet nichts …ist umweltfreundlich Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 13 Zusammensetzung von Frauenmilch ©2011 by National Academy of Sciences Zivkovic A M et al. PNAS 2011;108:4653-4658 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 14 Muttermilch ist auf den Nährstoffbedarf des Säuglings abgestimmt Zusammensetzung von Frauenmilch im Vergleich zu Tiermilchen: Mensch Kuh Schaf Ziege Stute (kcal) 69 67 94 67 47 Eiweiß (g) 1,1 3,3 5,2 3,6 2,2 Fett (g) 4,0 3,8 6,0 3,9 1,5 Kohlenhydrate (g) 7,0 4,7 4,7 4,2 6,2 Energie Zufuhrreferenzwerte* [pro Tag] Zufuhr durch Muttermilch [700 mL pro Tag] 450 - 500 480 Energie (kcal) - Eiweiß (g) 10 - 12 8 - Fett (g) ~ 25 28 - Kohlenhydrate (g) ~ 50 49 * für Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr Souci-Fachmann-Kraut, 7. Aufl. 2008 D-A-CH, 2008 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 15 Muttermilch ist auf den Nährstoffbedarf des Säuglings abgestimmt Zusammensetzung von Frauenmilch im Vergleich zu industriell hergestellter Säuglingsnahrung Mensch Säuglingsnahrung* (kcal) 69 60 – 70 Eiweiß (g) 1,1 1,1 – 2,1 Fett (g) 4,0 2,6 – 4,2 Kohlenhydrate (g) 7,0 5,4 – 9,8 Energie Souci-Fachmann-Kraut, 7. Aufl. 2008 * Richtlinie 2006/141/EG Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 16 Differenz zwischen ermitteltem Proteinbedarf und Proteinaufnahme bei gestillten Säuglingen Proteinbedarf - ermittelt nach faktorieller Methode 2,5 Proteinaufnahme durch Stillen Protein (g/kg KG/Tag) 2 1,5 1 0,5 0 0 bis 1 1 bis 2 2 bis 3 3 bis 4 4 bis 5 5 bis 6 Monate Quelle: Ziegler (eds.) Protein and energy requirement in Infancy and Childhood, 2006 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 17 Proteinzufuhr im Säuglingsalter und Körpergewicht im Alter von 2 Jahren Ergebnisse einer multizentrischen Interventionsstudie zeigen, dass Säuglinge, die im ersten Lebensjahr mit Säuglingsanfang- und Folgenahrung mit einem hohem Proteingehalt (2,2/ 4,4 g/100 kcal) ernährt wurden, im Alter von 2 Jahren ein signifikant höheres Gewicht (p < 0,001) und einen signifikant höheren BMI (p < 0,001) hatten, als diejenigen, die mit Säuglingsanfang- und Folgenahrung mit niedrigerem Proteingehalt (1,8/2,9 g/100 kcal) ernährt oder gestillt wurden. Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 18 Insulin like Growth Faktor 1 (IGF-1) bei gestillten und nicht gestillten Säuglingen Alter 1 Monat 4 Monate IGF-1 [µg/L] gestillt 74,9 ± 33,3 (n = 56) 32,0 ± 18,7* (n = 35) mit Formula ernährt • Protein: 1,9 g/100 kcal 79,3 ± 34,0 (n = 35) 58,9 ± 37,8* (n = 41) • Protein: 2,39 g/100 kcal 77,5 ± 31,0 (n = 21) 80.7 ± 37,8 (n = 27) Im Alter von 4 Monaten wurde bei Säuglingen, die mit proteinreicher Nahrung ernährt wurden, eine signifikant höhere IGF-1-Konzentration gemessen (p < 0,0001) als bei Säuglingen, die gestillt oder mit proteinärmerer Säuglingsnahrung ernährt wurden. Quelle: Ziegler (eds.) Protein and energy requirement in Infancy and Childhood, 2006 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 19 Muttermilch variiert in der Zusammensetzung entsprechend dem Bedarf des Säuglings Faktoren, die die Milchzusammensetzung beeinflussen: • Laktationsstadium • Einflussfaktoren während des Stillens • Tagesrhythmus • Gestationsalter bei der Geburt (früh oder reif geboren) • Mütterliche Ernährung • Mütterliches Gewicht und Körperzusammensetzung • Krankheiten der Mutter (Infektionen, Stoffwechselkrankheiten) • Alter der Mutter • Parität • Geographische Region • Individualität Quelle: C M Donangelo and N M F Trugo, Human Milk: Composition and Nutritional Value, 2003: http://dx.doi.org/10.1016/B0-12-227055-X/01356-0, Encyclopedia of Food Sciences and Nutrition Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 20 Veränderungen der Nährstoffzusammensetzung im Verlauf der Stillzeit Nährstoffe pro 100 g Kolostrum Übergangsmilch (2. – 3. Tag) (6. – 10. Tag) reife Milch Eiweiß (N * 6,25) (g) 2,5 1,6 1,1 Fett (g) 2,9 3,5 4,0 verfügbare Kohlenhydrate (g) 4,9 6,6 7,0 Energie 56 65 69 11 : 49 : 40 7 : 52 : 41 Eiweiß : Fett : KH (kcal) (%) 18 : 47 : 35 Souci-Fachmann-Kraut, 7. Aufl. 2008 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 21 Zusammensetzung von Frauenmilch in den ersten 12 Monaten Michaelsen KF et al., 1994 FNB, 2001 FNB, 1997 FNB, 2000 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 22 Lactoferrin Kuhmilch: 20 – 200 mg/L Kolostrum: Reife Frauenmilch: 10 g/L ~ 3 g/ L immunmodulatorisch humanes Lactoferrin antiparasitär antitumoral antimykotisch entzündungshemmend antiviral Hypoferrämie Eisenaufnahme antibakteriell Protease Transkriptionsfaktor Granulopoese Proteasehemmer Ribonuklease Autoantikörper prokoagulatorisch präbiotisch Funktionen von humanem Lactoferrin – nach Brock (2002) Quelle: Fanoud & Evans, Molecular Immunology 40 (2003) 395–405 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 23 Frauenmilch enthält antimikrobielle, antientzündliche und immunmodulierende Faktoren: Antimikrobielle Substanzen Immunoglobuline: sIgA, sIgG, sIgM Laktoferrin, Laktoferrizin B + H Lysozym Laktoperoxidase Nukleotid-hydrolysierende AK κ-Kasein und α-Laktalbumin Haptocorrin Muzine Laktadherin Freie sekretorische Komponente Oligosaccharide Fettsäuren Mütterliche Leukozyten + Zytokine sCD14 Komplement + Komplement-Rezeptoren β-Defensin-1 Toll-like Rezeptoren Bifidusfaktor Toleranzerzeugende Substanzen Zytokine: IL-10 + TGFβ Anti-idiotypische Antikörper Immunsystementwicklung Makrophagen Neutrophile Lymphozyten Zytokine Wachstumsfaktoren Hormone Milchpeptide LC-PUFA Nukleotide Adhäsionsmoleküle Antientzündliche Substanzen Zytokine: IL-10 und TGFβ IL-1 Rezeptorantagonist TNF-α und IL-6 Rezeptoren sCD14 Adhäsionsmoleküle LC-PUFA Hormone und Wachstumsfaktoren Osteoprotegerin Field (2005) J Nutr 135:1-4 Laktoferrin Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 24 Enterobronchomammäres System Antigene Brust Respirationstrakt Verdauungstrakt Darm des Kindes Blutbahn Lunge der Mutter Hiluslymphknoten Darm der Mutter Mesenterale Lymphknoten Ductus thoracicus Nach: Koletzko, Kinder- und Jugendmedizin, 13. Auflage Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 25 Muttermilch enthält Hormone • Leptin • Adiponectin • Resistin • Ghrelin • Obestatin werden beim Stillen auf das Kind übertragen und sind an der Regulierung von Appetit, Hunger, Sättigung und Energiebilanz beim Säugling beteiligt Savino F, Fissore MF, Liguori SA, Oggero R (2009). Can hormones contained in mothers' milk account for the beneficial effect of breast-feeding on obesity in children? Clin Endocrinol (Oxf). 71(6): 757-65. Savino F, Sorrenti M, Benetti S, Lupica MM, Liguori SA, Oggero R (2012). Resistin and leptin in breast milk and infants in early life. Early Hum Dev. 88(10):779-82. Savino F, Lupica M, Benetti S, Petrucci E, Liguori S, Cordero Di Montezemolo L (2012). Adiponectin in breast milk: relation to serum adiponectin concentration in lactating mothers and their infants. Acta Paediatr. 101: 1058-62. Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 26 Muttermilch ist immer in ausreichender Menge verfügbar – wird nach Bedarf produziert Beziehung zwischen getrunkener und synthetisierter Milchmenge in 24 Stunden Milchbildung in 24 Stunden (mL) 1200 1000 800 600 (n = 7, Alter 4–10 Monate) 400 200 0 0 200 400 600 800 1000 1200 Trinkm enge in 24 Stunden (g) Quelle: Daly et al.; Exper. Physiol. 78(1993)209-220 Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 27 "Die beste Verbesserung der künstlichen Ernährung ist der Ersatz durch die natürliche Ernährung" (Keller, 1909) Weißenborn, Muttermilch – das natürliche Lebensmittel für Säuglinge; Fachtagung, Zürich, 04.10.12 Seite 28 BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT Anke Weißenborn Bundesinstitut für Risikobewertung Max-Dohrn-Str. 8-10 D-10589 Berlin Tel. ++49 - 30 - 18412 - 3812 [email protected] www.bfr.bund.de