ernährung und landwirtschaft das verschwinden Zur Obst- und Gemüseernte tragen Hunderttausende von Bienenvölkern bei. Bange Frage: Geht das Bienensterben weiter? Gibt es ohne Bienen weniger Lebensmittel? Und was kann man dagegen tun? Anfang 2017 hat die Europäische Union eine brisante Entscheidung zu treffen – über die Zulassung von Pestiziden, die für Bienen und Hummeln verheerend sind. 6 securvita - krankenkasse 4 | 16 der bienen K leine Biene, große Wirkung. 4.000 Blüten kann eine Honigbiene an einem einzigen sonnigen Tag bestäuben. Sie sammelt Nektar und Pollen, befruchtet die Blüten mit Blütenstaub und sorgt damit für eine reiche Ernte. Bienen und Hummeln sind die fleißigsten Helfer von Obst- und Gemüsebauern. Zwei bis vier Milliarden Euro jährlich ist ihre Arbeit wert, gemessen an dem, was sie für die Obst und Gemüseernte allein in Deutschland jedes Jahr leisten. Das sind etwa 3.000 bis 6.000 Euro pro Bienenvolk. Mit dem Verkauf von Honig verdienen die Imker nur einen kleinen Bruchteil davon. Sie leisten mit der Bienenpflege einen enormen Dienst für die Allgemeinheit. Weltweit sind drei Viertel aller Nutz- Ohne Bienenbestäubung würde die Apfelernte schrumpfen – auf die Hälfte oder noch weniger. und Nahrungspflanzen auf die Bestäubung durch die Bienen angewiesen, wenn die Ernte stimmen soll. Aber diese Dienstleistung ist in Gefahr. Seit Jahren machen Nachrichten vom Bienensterben die Runde. Es nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Aus den USA wird berichtet, dass Hunderttausende von Bienenvölkern von Jahr zu Jahr verenden. Dass nicht alle Bienenvölker den Winter überleben, ist ein natürlicher Prozess. Aber auch in Deutschland liegt die Sterberate mit 20 bis 30 Prozent pro Jahr weit über dem früheren Durchschnitt. Im süddeutschen Oberrheingebiet starben vor einigen Jahren 80 Prozent aller Bienen durch chemische Insektengifte. In Chinas riesigen Obstanbaugebieten werden Apfelbäume von Menschenhand mit Pinseln und Wattestäbchen bestäubt, weil die Bienen verschwunden sind. enge partnerschaft Die Gefahr ist groß, dass die globale Leistung der Bienen für die Ernährung der Menschen zusammenbricht. So klein und unscheinbar die einzelne Biene sein mag: Sie ist weltweit gesehen das drittwichtigste Nutztier des Menschen nach Rind und Schwein. Wissenschaftler schätzen ihren 7 Wert für die Landwirtschaft auf bis zu 600 Milliarden Euro jährlich, hat ein internatio- honig als medizin nales Expertengremium vor einigen Mo- Honig in heißer Milch oder im Tee gilt als naten errechnet. Der UN-Weltrat für Biodi- traditionelles Hausmittel bei Erkältungen versität (IPBES) stellte im Frühjahr 2016 in und Halsschmerzen. Außerdem ist seine einer weltweiten Bestandsaufnahme fest, heilende Wirkung bei Wunden schon seit dass ohne Bienen und Hummeln die Nah- der Antike bekannt. Zur Zeit der Pharao- rungsversorgung der Menschheit in vielen nen strich man in Ägypten bei Verwun- Bereichen gefährdet wäre. dungen, Ausschlag und Verbrennungen Seit Millionen von Jahren hat sich zwi- Honig auf die Haut, berichten ägyptische schen Blütenpflanzen und Insekten eine Schriften. In neuerer Zeit hat die medizinische enge Partnerschaft zum wechselseitigen Wissenschaft die antibakterielle, entzündungshem- Nutzen herausgebildet. Die Pflanzen bie- mende Wirkung des Honigs untersucht. In Australien und Neuseeland sowie in ten Nektar und Pollen als Nahrung. Bienen, einigen deutschen Kliniken wird »medizinischer Honig«, der mit Gammastrahlen Hummeln und andere Insekten haben sich vorbehandelt ist, bei Hautverletzungen angewendet. Mit Erfolg: Er wirkt in man- darauf spezialisiert und profitieren davon. chen Fällen besser als moderne Antibiotika, stellte die Bonner Universitätsklinik fest. Sie bestäuben im Vorüberkrabbeln die Blüten und tragen dazu bei, dass sich Früchte und Samen bilden und die Pflanzen sich prägen die Landwirtschaft. Immer mehr Gesunde Bienen erkranken daran, der vermehren können. Das gilt für 90 Prozent und immer wirksamere Pestizide dezimie- Nachwuchs wird geschwächt, ganze Bie- aller Blütenpflanzen auf der Erde. ren die Insekten. Und dann breiten sich nenvölker gehen zugrunde. auch noch Krankheiten global aus, die frü- Viele Imker sehen in der Varroa-Milbe die milben und monokulturen her auf einzelne Gebiete beschränkt waren. Hauptursache für das Bienensterben. Ande- Diese Allianz zwischen Pflanzen und Bienen Bei den Bienen ist das zum Beispiel die Var- re verweisen darauf, dass die industrialisier- ist gefährdet, wenn die Insekten ausfallen. roa-Milbe – der Schrecken aller Imker. Seit te Landwirtschaft den Bienen kaum noch Die Ursachen dafür sind vielfältig: Natur- über 30 Jahren befällt dieser Parasit immer Nahrung für das ganze Jahr bietet. Eintöni- flächen verschwinden und Monokulturen mehr Bienenstöcke auf allen Kontinenten. ge Mais-Landschaften sind kein Lebens- Umweltschützer protestieren gegen »Bienenkiller«-Pestizide. 8 securvita securvita- -krankenkasse krankenkasse54| |09 16 raum für Wildbienen und Hummeln, sie noiden in allen untersuchten deutschen gäbe es Ernteeinbußen. Kritische Wissen- verhungern und verschwinden. Seit einigen Honigproben. schaftler dagegen warnen vor den Neonico- Jahren fällt der Verdacht auch auf eine 2017 steht eine politische Entscheidung tinoiden. So hat Prof. Ignatz Wessler von der neue Klasse von Pestiziden, sogenannte für die weitere Zulassung von Neonicoti- Universitätsmedizin Mainz kürzlich festge- Neonicotinoide. Diese synthetischen Niko- noiden an. Nach Presseberichten will das stellt, das sie schon in geringer Konzentrati- tin-Verbindungen wirken als Nervengift auf Landwirtschaftsministerium in Berlin das on die Fortpflanzung der Bienen schädigen. Insekten, tausend mal giftiger als das ver- geltende Verbot durch Ausnahmeregelun- Zu alarmierenden Ergebnissen kamen botene DDT. Bereits zwei Maiskörner, die gen aufweichen. Frankreich dagegen will weitere Studien: Die umstrittenen Insektizi- damit gebeizt sind und in eine Wasserpfüt- den Gifteinsatz weiter verbieten. Die Aus- de töten die Bienen nicht sofort, sondern ze fallen, könnten für Bienen tödlich sein, sagt Walter Haefeker, Präsident des Europäischen Berufsimkerverbands. Die neuen Insektengifte werden von der chemischen Industrie angepriesen und bringen Milliardenumsätze für Hersteller wirken »subletal«, d.h. sie schädigen ihr Erbgut, schwä- »Bienen sind ein Gradmesser für eine intakte Umwelt« chen das Immunsystem und machen Prof. Jürgen Tautz, Bienenforscher sie anfällig für Krankheiten oder stören das an der Universität Würzburg Orientierungsvermögen, so- wie BASF, Bayer und Syngenta. Sie werden dass sie nicht zu ihrem Volk teils direkt auf die Pflanzen gespritzt, teils einandersetzung dürfte sich in den kom- zurückfinden und verhungern. Im vergan- wird das Saatgut damit getränkt, um menden Monaten verschärfen. genen Jahr veröffentlichte das Wissen- Schädlinge abzutöten. Ähnlich wie beim umstrittenen Pflanzen- schaftsjournal Nature zwei neue Studien, gift Glyphosat, das ebenfalls die Artenviel- nach denen auch Vögel und Fische, gifteinsatz erlaubt? falt bedroht, vermitteln deutsche und euro- insbesondere aber auch Wildbienen und Einige dieser Gifte sind bis auf weiteres auf päische Agrarpolitik den Eindruck, dass sie Hummeln von den Neonicotinoiden be- Feldern mit Bienenpflanzen verboten, an- eher industrienahe Meinungen vertreten droht sind. dere dürfen nur stark eingeschränkt ver- und das Vorsorgeprinzip des Verbraucher- Für den Lebensmittelanbau ist das eine wendet werden. Trotzdem fand die Um- schutzes hintanstellen. Die Industrie drängt weitere Hiobsbotschaft. Denn so wie die weltorganisation BUND vor kurzem bei ei- auf Freigabe ihrer umsatzträchtigen Pro- Honigbienen leisten auch ihre wilden Ver- ner Inhaltsanalyse Spuren von Neonicoti- dukte und argumentiert, ohne Pestizide wandten wertvolle Dienste. Neben den Mangels Bienen bestäubt Vom Ei zur Arbeitsbiene: eine chinesische Bäuerin Forscher untersuchen das ihre Obstbäume von Hand. Wachstum in den Waben. 9 von den Imkern gehegten und gezüchteten Bienen (Apis mellifera) gibt es allein in Deutschland mehrere hundert wilde Bienenarten. Sie leben teils in kleinen Völkern in Erd- oder Baumhöhlen, teils sogar einzeln als Solitärbienen. Sie tragen erheblich zur Bestäubung und damit zur Ernte von Äpfeln, Kirschen, Gurken, Kürbissen und vielen anderen Gemüsen und Salaten bei. lebender organismus Umweltverbände wie NABU, BUND, Greenpeace und das »Netzwerk Blühende Landschaften« fordern deshalb, dem Bienenschutz in der Landwirtschaft insgesamt höhere Priorität zu geben. Auch die Verbraucher können dazu beitragen. »Bio-Lebensmittel kaufen«, rät Christiane Huxdorff von Greenpeace, »denn diese werden ohne chemisch-synthetische Pestizide produziert«. Wer einen Garten hat, kann auf Pestizide verzichten und den Insekten statt eintönigem Rasen mehr Vielfalt in Form von Naturwiese und bienenfreundlichen Pflanzen bieten. »Bienen sind ein Gradmesser für eine intakte Umwelt«, sagt Prof. Jürgen Tautz von der Universität Würzburg. Er erforscht die Bienen seit vielen Jahren und ist fasziniert von ihren Fähigkeiten und dem hoch orgaSoziale Organisation im Bienenstock: nisierten Sozialleben. Ihre Kommunikation Zusammenarbeit und Kommunikation. untereinander durch Tänze, Berührungen und Duftmarkierungen sei noch lange nicht vollständig erforscht. Ihre Fähigkei- weitere infos bücher: ■ Jürgen Tautz: Festigkeit und einem Minimum an Materi- Phänomen Honigbiene (Dokumentation, alaufwand sei inspirierend für technische (278 Seiten, Berlin/ 90 Min., 2014) Konstruktionen. Und die soziale Organisa- ■ ■ Bienen – Himmels- Randolf Menzel, volk in Gefahr Matthias Eckoldt: (55 Min., 2014) Die Intelligenz der Bienen (368 Seiten, München 2016) ■ Wabenstrukturen mit einem Maximum an More than Honey Heidelberg 2012) ■ ten als Baumeister von exakt sechseckigen dvds: Kerstin Eitner, Katja internet: ■ ■ Morgenthaler: tion eines Bienenvolkes ist einzigartig: mit einer Königin und Zehntausenden von Arbeiterinnen, die vielfältige Aufgaben erfüllen – beim Sammeln von Nektar und Pollen, als Wächterinnen, bei der Brutpflege, Mellifera (Verein für ökologische beim Bau von Honigwaben und als Kund- Bienenhaltung): www.mellifera.de schafterinnen, wenn ein Bienenvolk aus- Hobos (Bienenforschung an der schwärmt. Diese Zusammenarbeit erfolgt Universität Würzburg): www.hobos.de so reibungslos, dass die Bienenkolonie wie BUND (Bund für Umwelt und ein einziger lebender Organismus wirkt. erklärung (152 Seiten, Naturschutz Deutschland): Sie gehören nach den Worten des Bienen- Greenpeace Media 2015) www.bund.net/honigbiene forschers Tautz »zu den erstaunlichsten Die Biene – eine Liebes- ■ Geschöpfen der Erde.« ■ 10