Leseprobe - Die Kanzler und die Medien

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Die behauptete Amerikanisierung
Eine erste Annäherung an unser Thema bietet ein kurzer Flug über den
Atlantik, der uns zur Generalthese des Wandels politischer PR führt:
Der Amerikanisierung. Auch hier gilt es, Mythen zu entzaubern. Vorweggeschickt: Ja, es gibt so etwas wie eine Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Bundesrepublik. Diese »Amerikanisierung«, die allerdings viel eher als ein Abschauen der modernsten Kniffe
daherkommt, ist allerdings viel älter, als die meisten Autoren und Kommentatoren uns glauben machen wollen.
Die Amerikanisierungsdebatte1 war in Deutschland zu keiner Zeit
ideologiefrei und ist es bis heute nicht. Besonders die Achtundsechziger
prägten sie leidenschaftlich und überfrachteten den Begriff der Amerikanisierung mit Schlagworten wie dem vermeintlichen »Kulturimperialismus« der USA. Wer redlich argumentieren will, kann seit 1968 praktisch
nicht mehr von Amerikanisierung sprechen, ohne sich dem Verdacht
politischer Einseitigkeit auszusetzen. Die hohen, emotionalen Wellen,
die die ohne Zweifel umstrittene Politik George W. Bushs seit dem
11. September und das Nein Gerhard Schröders zum Irakkrieg auslösten, zeigen, wie tief verwurzelt anti-amerikanische Ressentiments in Teilen der bundesrepublikanischen Gesellschaft sind.
Der »gütige Hegemon«2, der in unseren Tagen in Selbstzweifel über
seine Rolle in der neuen monopolaren, aber nicht minder bedrohten
Weltordnung verfällt, ist für die Deutschen ein in allen Facetten schimmerndes fascinosum et tremendum. Faszination und Furcht liegen beim
Blick über den Atlantik stets dicht beieinander. Dies gilt insbesondere
für den Bereich der Politik. Allerdings hat hier ein historischer Bedeutungswandel stattgefunden: Während früher eher die Fremdbestimmung
der Politik durch Werbeagenturen und Meinungsforschungsinstitute als
typisch amerikanisch oder amerikanisiert kritisiert wurde, steht heute
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vor allem die Medienfixierung von Politik unter Amerikanisierungsverdacht. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass heute anders als in
den fünfziger und sechziger Jahren die politische Meinungsbildung fast
ausschließlich über Medienvermittlung bestimmt wird. Medienbezogene,
politische Öffentlichkeitsarbeit hat die klassische, politische Werbung
mittlerweile verdrängt und ist zum zentralen Feld der Politikvermittlung
geworden.
Vor allem die deutsche Kommunikationsforschung beschäftigt sich
seit den neunziger Jahren intensiv mit der These der Amerikanisierung.
Diese Beschäftigung unterliegt einer wellenartigen Konjunktur. In
Wahljahren ist das Thema besonders schick, im Anschluss tritt es wieder
deutlich in den Hintergrund. Die Wahlkampffixierung der meisten Autoren wird bereits anhand der Definitionsversuche sichtbar. Winfried
Schulz beschreibt Amerikanisierung knapp als »einen Vorgang, dessen
auffälligstes Merkmal die Übernahme von Wahlkampfmethoden aus den
USA ist«.3 Barbara Pfetsch erklärt Amerikanisierung in ähnlicher, aber
ausführlicherer Weise: »Die Personalisierung der Kampagne, die Hervorhebung des Kandidatenwettstreits, Elemente des Angriffswahlkampfes, Ereignis- und Themenmanagement, Professionalisierung und der
Einsatz von Marketingmethoden – der Export von US-amerikanischen
Wahlkampftechniken und die Globalisierung der US-Politikberatungsindustrie bewirken, dass die professionelle Wahlkampfkommunikation
in den meisten westlichen Ländern ähnliche Charakteristika aufweist.«4
Das Kopieren von professionellem PR-Know-how aus den USA ist ein
zentraler Aspekt der Amerikanisierungsdiskussion.
Eine so verstandene »Amerikanisierung« hat in Deutschland ohne
Zweifel stattgefunden und findet nach wie vor statt. Winfried Schulz
meint hierzu: »Eine Orientierung an den Konzepten und Praktiken der
Wahlkampfführung in den USA ist inzwischen selbstverständlich für
europäische Kampagnenmanager.«5 Zumindest für die Bundesrepublik
ist eine derartige Orientierung jedoch nicht erst inzwischen, sondern bereits seit sechzig Jahren selbstverständlich. Wir werden noch ausführlich
davon hören, dass bereits die Berater des ersten Kanzlers, Konrad Adenauer, in die USA reisten, dort das Gespräch mit ihren amerikanischen
Kollegen suchten und viele Herangehensweisen mit nach Deutschland
brachten. Gleiches gilt auch und in noch stärkerem Maße für die PR-
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Berater Willy Brandts, die seit den sechziger Jahren eine enge Orientierung an US-amerikanischen Wahlkampfpraktiken erprobten.
Die Mediendemokratie: Ein Modell für Deutschland?
Die Verfechter der Amerikanisierung ordnen ihrer These aber noch viel
weiter reichende Bereiche unter, die über die eng gefasste Bedeutung
des reinen Methoden- und Strategietransfers hinaus gehen: Im Kern
geht es um die Angleichung des gesamten politischen Systems in
Deutschland an das amerikanische Modell der »Mediendemokratie«. –
Sie argumentieren, in den Vereinigten Staaten habe das politische
System sich weitestgehend den Gesetzmäßigkeiten der Medien unterworfen, weil es ohne sie nicht ausreichend Legitimität erhalte. Zeitverzögert geschehe dies nun auch in Europa. Eine solche Unterwerfung
des politischen Systems unter das »Diktat« der Medien führe zwangsläufig auch zu einer sukzessiven Angleichung politischer Strukturen,
Werte und Normen nach amerikanischem Muster. Die amerikanische
Mediendemokratie und ihre spezifische politische Kultur erscheinen in
dieser Argumentation als generalisierbare Blaupause des Wandels von
Politiksystemen in westlichen Demokratien schlechthin. Die »Mediokraten« fürchten, durch die Unterwerfung des politischen Prozesses
unter das »Joch« der universellen Funktionslogik der Medien verliere das
politische System zunehmend seine Eigenlogik. So werde langfristig
auch jede Form von strukturellem Unterschied zwischen den politischen
Systemen westlicher Demokratien außer Kraft gesetzt.
Diese sehr weitreichende Argumentation bedarf einer deutlichen
Relativierung. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass besonders das Fernsehen länderspezifische, kulturelle und institutionelle Besonderheiten,
Werte und Traditionen universal überformt. Die kulturelle Wirkung
optischer Medien vergleicht der bedeutende amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman mit dem Eindringen einer neuen Art in ein
gewachsenes Ökosystem: Neue Techniken können ihm zufolge nicht
ohne soziale Veränderungen in ein bestehendes System integriert werden. Sie wirken auf die Gesellschaft, die sie benutzt, weder additiv noch
subtraktiv, sondern ökologisch. Das heißt: Kommt ein neues Medium
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hinzu, ist es nicht einfach eine Ergänzung des bestehenden Gefüges.
Wie in der Natur bewirkt das Auftauchen einer neuen Art immer auch
ein neues, völlig anders ausbalanciertes System.6 Das Urheberrecht auf
diese ökologische Wirkung vor allem des Fernsehens liegt aber nicht bei
einem bestimmten Land. Das Fernsehen ist kein amerikanisches, sondern ein universelles Medium. Die Vereinigten Staaten sind nicht Vorbild, sondern lediglich Vorreiter einer globalen Transformation politischer Handlungsmuster durch den Diskurs elektronischer Medien. Sie
waren das erste Land, in dem die Voraussetzungen für eine Mediatisierung von Politik flächendeckend existierten: eine demokratische Gesellschaftsordnung mit einem freien Markt konkurrierender Meinungen und
eine Öffentlichkeit, die sich durch ein kommerzialisiertes Massenmediensystem mit dem Leitmedium Fernsehen strukturiert. Die immer
größere Ähnlichkeit der politischen Kommunikation in westlichen Demokratien ist also letztlich vor allem auf die diskursive Wirkung moderner Medien als dem Hauptkampfplatz des Politischen in solchen Gesellschaften zurückzuführen. Dass die USA hier eine Vorreiterrolle spielen,
ist historischer Natur und kaum Ursprung eines wie auch immer gearteten »Kulturimperialismus«.
Die Anfänge der modernen, fernsehorientierten Politkampagnen liegen in den USA bereits im Eisenhower-Nixon-Wahlkampf 1952 und
damit zwanzig Jahre vor den ersten großen Fernsehwahlkämpfen in
Deutschland. Grundlegende Meilensteine waren damals die Fernsehwerbekampagne »Eisenhower answers America«, für die eigens der
große Werbepionier Rosser Reeves engagiert wurde und der perfekt
kalkulierte Studioauftritt, mit dem sich der damalige Eisenhower-Vize
und spätere Präsident Richard Nixon suggestiv gegen Korruptionsvorwürfe wehrte. Nixon trat gemeinsam mit seinem kleinen Hund Checker
auf und erklärte, dies sei das einzige Geschenk, das er jemals angenommen habe. Wenn man ihm seinen Hund wegnehmen wolle, so
werde er sich dem Willen des Wählers fügen. Dieser Auftritt verlagerte
den Wahlkampf zunehmend in den redaktionellen Teil des Fernsehens.
Die Generierung von kostenloser Medienaufmerksamkeit wurde in den
USA bereits ab den sechziger Jahren als so zentral angesehen, dass reine
Werbeagenturen, die ausschließlich Kompetenzen im Bereich der »Paid
Media« besitzen, bei politischen Kampagnen in den Hintergrund traten.
Aufgrund dieser historischen Vorreiterrolle ist es nur logisch, dass der
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Blick europäischer PR-Profis sich gerade nach Amerika wandte, um von
diesen langjährigen Erfahrungen zu profitieren.
Dies bedeutet aber nicht, dass sich durch die Übernahme von Methoden und Strategien der Politikvermittlung aus den USA auch das
politische System als solches nach amerikanischem Muster verändert.
Auch hier ist die Debatte noch immer von Vorurteilen und Missverständnissen beherrscht. Wer sich eingehender mit den Politiksystemen
in Deutschland und den USA beschäftigt, muss zu dem Schluss kommen, dass das US-amerikanische Modell der Mediendemokratie wesentlich einzigartiger, als dies früher angenommen wurde. Dies ist für unsere
weitere Diskussion nicht unerheblich. Denn entscheidend für Stil und
Ausprägung politischer Öffentlichkeitsarbeit ist nämlich vor allem und
in erster Linie die länderspezifische Bedeutung der Medien im Prozess
der Politikvermittlung. Hier bestehen zwischen Deutschland und den
USA gravierende Unterschiede: In den Vereinigten Staaten sind Medien
die zentrale strategische Ressource zur Machtlegitimation und -sicherung und damit zur Herstellung jedweder politischer Handlungsfähigkeit. Dies war in der Vergangenheit und ist in Deutschland auch
heute keineswegs der Fall. Während in den USA ein präsidiales Regierungssystem mit schwachen Parteien und einem stark fragmentierten,
öffentlichen Willenbildungsprozess mit vielen Lobbygruppen besteht,
verfügt die Bundesrepublik über ein repräsentatives Regierungssystem
mit einer ausgesprochen dominanten Rolle der Parteien in allen Gesellschaftsbereichen und wenigen, aber starken Lobbygruppen.
In den USA kann sich der Präsident nicht auf eine starke Partei berufen, sondern ist gezwungen, immer neue, an Einzelfragen orientierte
nationale Koalitionen zu schmieden. Für diese überparteilichen Koalitionen wirbt er durch seine Medienperformance, in der Hauptsache durch
seine Fernsehpräsenz, direkt bei den amerikanischen Wählern. Medienvermittelter Legitimität kommt in den USA zudem eine wesentlich größere Kontrollfunktion zu: Weder der Präsident noch die Secretaries of
State können durch Misstrauensvoten abgelöst werden. Es besteht lediglich die mit hohen Hürden versehene Möglichkeit des Impeachment.
Wie schwer es ist, einen einmal gewählten Präsidenten aus dem Sattel zu
heben, zeigt der Umstand, dass es in der 230-jährigen Geschichte der
USA erst einen Rücktritt eines Präsidenten, nämlich eben jenes Richard
Nixon gab, der einer der Pioniere des modernen Fernsehwahlkampfs
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war. In der Bundesrepublik gab es dem gegenüber bereits drei Kanzlerrücktritte in nur sechzig Jahren. Medien fällt in den USA nicht nur die
zentrale Rolle bei der Herstellung, sondern auch bei der Kontrolle von
Politik zu. Deshalb trifft hier der Begriff der »Mediendemokratie« voll
und ganz zu. Das politische System ist in seinen wesentlichen Mechanismen und Funktionen auf Medien zugeschnitten.
In Deutschland sind demgegenüber die Parteien – wenngleich von
vielen totgesagt – noch immer die zentralen strategischen Organisationseinheiten, aus denen sowohl inhaltliche Programmatik als auch politisches Personal und Unterstützung geschöpft werden. Deutsche Politiker werden deshalb, anders als ihre amerikanischen Kollegen, immer
zuerst Rückhalt und Legitimität in der eigenen Partei und erst in zweiter
Linie über Medien beim Wähler suchen. Dies entspricht dem repräsentativen Charakter unseres Systems. Die Bedeutung der Parteien in den
USA ist demgegenüber stark auf technische Funktionen einer Wahlkampflokomotive reduziert. Weder werden die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten in Form eines Durchlaufs durch die Parteihierarchien rekrutiert – in Deutschland ist diese »Ochsentour« bis heute üblich –, noch haben die Parteien in den USA größeren Einfluss auf die
politische Programmatik. Während in Deutschland niemand Kanzler
werden kann, der vorher nicht eine häufig jahrzehntelange Karriereleiter
in seiner Partei erklommen hat, nimmt in den USA das Fernsehen den
Parteien praktisch die Kandidatenrekrutierung ab. Nicht ein Gremium
aus Spitzenfunktionären der Partei, sondern die unmittelbare Basis bestimmt in den Primaries, welcher Kandidat ins Rennen geschickt wird.
Das Publikum wählt dort seine Helden selbst. Die Elitenrekrutierung
hat in den USA deshalb einen stark plebiszitären Charakter. Jenseits des
Atlantiks werden auf allen staatlichen Ebenen regelmäßig politische
Outsider, die in erster Linie durch ihre Prominenz und Popularität bestechen, zu politischen Spitzenkandidaten. So konnte der austro-amerikanische Hollywood-Held Arnold Schwarzenegger Gouverneur des
Bundesstaates Kalifornien werden, der Wrestling-Star Jesse Ventura
wurde zum Gouverneur von Minnesota gewählt. Das Präsidentenamt
konnten der populäre Weltkriegsgeneral Dwight D. Eisenhower und der
Schauspieler Ronald Reagan – einer der Großmeister charismatischer
Politkommunikation – erringen. NATO-General Wesley Clark konnte
Präsidentschaftskandidat werden. Sogar Kandidaturen gegen den er-
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