Für den sozialwissenschaftlichen Zweig des Sachunterrichts liefert

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Dirk Lange
Positionspapier zur Politische Bildung
(Auszüge aus: Dirk Lange, Politische Bildung, erscheint in: Niedersachsen-Lexikon,
hrsg. v. d. NLpB, Opladen 2004)
Jeder Mensch entwickelt Vorstellungen über die politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit. In
Lernprozessen entsteht ein politisch-gesellschaftliches Bewusstsein, das der individuellen
Orientierung in der sozialen Umwelt dient. Das Bewusstsein produziert den Sinn, der es dem
Menschen ermöglicht, die politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit zu interpretieren und handelnd zu beeinflussen. Die Entwicklung politisch-gesellschaftlichen Bewusstseins stellt einen
unabgeschlossenen und lebenslangen Prozess dar. Politische Bildung wirkt auf diesen Lernprozess unter der Zielsetzung ein, auf Seiten der Lernenden ein Höchstmaß an Autonomie und
Mündigkeit zu entwickeln. Insofern leistet Politischen Bildung einen Beitrag zur Fundierung,
Legitimation und Reproduktion demokratischer Herrschaft.
Die politische Urteils- und Handlungskompetenz der Bürgerinnen und Bürger stellt eine Voraussetzung für das Funktionieren und die Dauerhaftigkeit demokratischer Systeme dar. Im
Gegensatz zu anderen Formen politischer Erziehung unterliegt Politische Bildung dabei aber
nicht dem Primat der Systemadaption, sondern dem Primat der politischen Selbstverwirklichung mündiger Menschen. Politische Bildung zielt nicht einfach auf den Erhalt des erreichten Status Quo, sondern sieht sich im Kontext eines historischen Demokratisierungsprozesses,
der eine grundsätzliche Wandlungs- und Verbesserungsfähigkeit der vorgefunden Wirklichkeit unterstellt.
Im Mittelpunkt Politischer Bildung stehen die Schülerinnen und Schüler, denen durch die
Entwicklung politisch-gesellschaftlicher Deutungs- und Handlungskompetenzen eine selbstbestimmte Lebensführung in einer immer komplexeren Gesellschaft ermöglicht werden soll.
Politische Bildung will Lernende befähigen, die politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit zu
erkennen, zu beurteilen und zu beeinflussen.
Politischer Bildung in Niedersachsen liegt ein offener Politikbegriff zu Grunde, der unterschiedliche Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens umfasst. Dadurch fungiert Politische Bildung als ein Dachkonzept, das verschiedene sozialwissenschaftliche Lernfelder integriert. Es lassen sich folgende Lernformen unterscheiden:
Soziales Lernen entwickelt das Verständnis für gesellschaftliche Differenz und Interessenvielfalt. Es verbessert die in einer heterogen zusammengesetzten Gesellschaft notwendigen Interaktions- und Kommunikationskompetenzen der Lernenden. Für die Politische Bildung hat
die Befähigung zur Gewaltvermeidung, zur Kooperation, zur Konfliktbewältigung und zur
Anerkennung von Differenz eine besondere Bedeutung. Soziale Kompetenz gründet auf einer
stabilen Persönlichkeit.
Moralisches Lernen zielt auf die Wertebildung. Politische Bildung will dazu beitragen, dass
Wert- und Normvorstellungen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erkannt, hinterfragt und entwickelt werden können. Das Ziel ist die Befähigung zur moralischen Urteilsbildung auf der normativen Grundlage von allgemein gültigen Prinzipien der Grund- und Menschenrechte.
Ökonomisches Lernen beeinflusst die Vorstellungen über die Strukturen und Prozesse des
Wirtschaftslebens. Politische Bildung will Kenntnisse über die Funktionslogik des ökonomischen Systems vermitteln und zur aktiven und reflektierten Teilhabe am Arbeitsleben befähigen. Lernende werden mit dem Prozess der Produktion und Verteilung von Gütern und
Dienstleistungen vertraut sowie auf eine Rolle als „mündige Verbraucher“ vorbereitet.
Historisches Lernen formt und entwickelt das Geschichtsbewusstsein. Durch Politische Bildung wird gelernt, wie aus vergangenen Erfahrungen Sinnzusammenhänge für die Gegenwart
und Zukunft gewonnen werden können. Historisch-politische Bildung lehrt zugleich, dass die
politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit geworden und damit auch veränderbar ist.
Politisches Lernen thematisiert Politik im engeren Sinne. Politik wird dabei als ein Handeln
begriffen, das darauf gerichtet ist, allgemein verbindliche Regelungen und Entscheidungen
innerhalb einer sozialen Gruppe herzustellen. In der Politik bilden sich Strukturen (polity) und
Verfahren (politics) heraus, durch die offene Probleme (policy) bewältigt werden. Durch politisches Lernen werden Vorstellungen darüber aufgebaut, wie in sozialen Gruppen allgemeine Verbindlichkeit hergestellt wird beziehungsweise werden soll. Politische Bildung will
das Politikbewusstsein in eine Richtung entwickeln, dass es Lernenden die kritische Beurteilung politikrelevanter Problemlagen und die aktive Teilhabe am politischen Prozess
ermöglicht.
Politische Bildung integriert damit verschiedene sozialwissenschaftliche Lernformen. Das
innere Band zwischen diesen Zugangsweisen wird durch die normative Ausrichtung auf die
Leitidee der Demokratie gezogen. Alle Lernformen Politischer Bildung leisten einen Beitrag
zu einer demokratischen Bürgerschaftsbildung. Diese Wertbindung Politischer Bildung gilt
im Hinblick auf abstrakte Grundsätze, beispielsweise der Humanität, der Menschwürde, des
Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Gleichheit, der Toleranz oder der Solidarität.
Politische Bildung ist wertfrei hinsichtlich der Ausgestaltung und Umsetzung dieser Prinzipien an konkreten Problemen. Hierbei fühlen sich die vielfältigen Konzepte Politischer Bildung, die in Niedersachsen praktiziert werden, den drei Anforderungen des „Beutelsbacher
Konsenses“ verpflichtet. Demnach ist es Politischen Bildnern erstens untersagt, Lernende mit
politischen Meinungen, Einstellungen und Werthaltungen zu „überwältigen“. Jede Form der
Indoktrination ist mit der Vorstellung vom „mündigen Bürger“ unvereinbar. Politischen Bildnern ist zweitens geboten, die Perspektivenvielfalt und Interessenpluralität eines Problems zu
reflektieren. Was in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft kontrovers ist, muss auch in der
Politischen Bildung kontrovers behandelt werden. Drittens sollen die Lernenden in die Lage
versetzt werden, ihre eigene politische Interessenlage zu analysieren und die gesellschaftliche
Wirklichkeit in diesem Interesse zu beeinflussen.
So bewegt sich Politische Bildung im Spannungsfeld gesellschaftlicher Konsens- und Konfliktfelder. Sie reproduziert die normativen Grundlagen demokratischen Zusammenlebens, die
auf der Anerkennung einer konsensualen Wertebasis und einer konfliktiven Interessenssphäre
zugleich beruhen.
Nicht Wissens-, sondern Kompetenzerwerb ist das Ziel Politischer Bildung. Der Erwerb politischer Kompetenz hängt nicht vom Gegenstand, sondern von der Form der Auseinandersetzung mit diesem ab. Für die Themenauswahl orientiert sie sich an den Herausforderungen und
Schlüsselproblemen der Gesellschaft. Dieses Auswahlinstrument, das auch die niedersächsischen Rahmenpläne für den Politikunterricht prägt, stellt die lebenspraktische Bedeutung der
Lerninhalte in den Vordergrund. Politische Kompetenz drückt sich dann darin aus, dass Lernende aktuelle politisch-gesellschaftliche Problemfelder analysieren, beurteilen und beeinflussen können. Typische Problemfelder der Politischen Bildung Niedersachsens lauten:
Krieg/Frieden, Umwelt, Gender, Globalisierung, Migration/Interkulturalität, Rechtsextremismus und Arbeit.
Sechzig Jahre Politscher Bildung in Niedersachsen sind zweifelsohne als Erfolgsgeschichte zu
bewerten. Ihre Ziele, Träger, Programme und Methoden sind fest in der niedersächsischen
Bildungslandschaft verankert. Politische Bildung bleibt aber ein unabgeschlossener Prozess,
der die politisch-kulturellen Grundlagen demokratischen Zusammenlebens beständig reproduziert und erneuert. Um die Qualität Politischer Bildung in Niedersachsen auch zukünftig zu
sichern, wird es notwendig sein, bisherige Aufgaben der Landeszentrale für Politische Bildung neu zu institutionalisieren und den Abbau politikdidaktischer Forschungskapazitäten an
den Universitäten zu stoppen.
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