Bedeutung und Möglichkeiten politischer Bildung an den Schulen

Werbung
Bedeutung und Möglichkeiten politischer Bildung an den Schulen des Landes
Sachsen-Anhalt
Bildung ist die gesellschaftliche Ressource in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland
und zugleich die entscheidende individuelle Ressource für Selbstbestimmung und –
verwirklichung wie für die Mitgestaltung und Verantwortung in der Gesellschaft. Im Zentrum
der Schule als einen Ort systematischen, verantworteten und methodenorientierten Lernens
steht der Unterricht mit dem Ziel, geordnetes, abrufbares, hergeleitetes, in seinen Strukturen
zu durchschauendes und daher anwendungsbereites Wissen sicherzustellen und die Fähigkeit zum eigenständigen Wissenserwerb und darauf fußender Problemlösungsstrategien zu
entwickeln. Schule ist aber nicht nur Unterricht, sondern ein Lebens- und Erfahrungsraum, in
dem junge Menschen auch wesentliche Lebenserfahrungen machen und wertgebundenes
Verhalten einüben, in dem sich Überzeugungen und Lebensleitlinien entwickeln.
Verantwortetes Leben und Handeln in einem demokratischen Staat und in einer demokratischen Gesellschaft setzen Kenntnisse über demokratische Abläufe und Strukturen voraus –
aber nicht nur Kenntnisse: Wir alle wissen, dass wir das, was wir als richtig erkannt haben
und erkennen, nicht auch schon in unser Tun umsetzen. Es bedarf der Begegnung mit Personen und Gemeinschaften, die diese Erfahrungen zu vermitteln vermögen und damit auch
die Kraft, das als richtig und sinnvoll Eingesehene in tatkräftiges, mutiges, Risiken nicht
scheuendes Handeln zu übersetzen.
Neben dem Elternhaus kommt hier vor allem der Schule eine entscheidende pädagogische
Verantwortung zu.
Hartmut von Hentig schreibt in dem Band „Schule neu denken“ zum Zusammenhang von
schulischer Erfahrung und der Fähigkeit zum mitgestaltenden Leben im demokratischen
Gemeinwesen:
„Wir brauchen eine Erziehung zur Politik. Die Politik der Bürger, die bewegliche Regelung
gemeinsamer Angelegenheiten, ist in unserer Welt so schwierig, dass sie einer besonderen,
einer kunstvollen Anlage bedarf. Ich nenne es die Schulpolis. Nur wenn wir im kleinen, überschaubaren Gemeinwesen dessen Grundgesetze erlebt und verstanden haben – das Gesetz
der res publica, das des logon didonei (der Rechenschaftspflicht), das der Demokratie, das
der Pflicht zur Gemeinverständlichkeit in öffentlichen Angelegenheiten, also der Aufklärung,
das des Vertrauens, der Verlässlichkeit, der Vernünftigkeit unter den Bürgern und nicht zuletzt das der Freundlichkeit und Solidarität unter den Menschen überhaupt -, werden wir sie
in der großen POLIS wahrnehmen und zuversichtlich befolgen.“
Ich möchte Sie ermuntern und ermutigen, in Ihren Schulen das demokratische Engagement
der Schülerinnen und Schüler zu fördern und dabei alle Möglichkeiten des Zusammenwirkens mit den demokratisch legitimierten Einrichtungen und Institutionen im Land zu nutzen,
aber auch Begegnungen mit Persönlichkeiten des politischen Lernens in den Schulen zu
ermöglichen und zu fördern.
So kann die Schule Abgeordnete des Europaparlaments, des Deutschen Bundestages, des
Landtages von Sachsen-Anhalt sowie kommunale Mandatsträger zur Teilnahme am Unterricht oder anderen Veranstaltungen wie Vorträgen und Diskussionen einladen.
Auch Schülerrat, Schulelternrat und die Lehrervertretung können im Einvernehmen mit der
Schulleiterin oder dem Schulleiter Diskussionen zu allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Fragen mit Abgeordneten durchführen.
Wie Sie wissen, sind gerade diese Begegnungen und unmittelbaren Informationen für Schülerinnen und Schüler besonders einprägsam. Sie werden z.B. vielleicht eher auf diese Weise
einen lebendigen Eindruck von den Aufgaben der Kommunalpolitik und damit auch von der
Bedeutung der Teilnahme an Kommunalwahlen erhalten.
2
Andererseits können sich die Abgeordneten bei ihren Besuchen in den Schulen auch über
die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schulen informieren. Solche praxisnahen Informationen werden bei politischen Entscheidungen sicherlich hilfreich sein können.
Selbstverständlich müssen Lehrkräfte und Schulleiter dem Gebot der Toleranz entsprechen,
den verschiedenen in der Gesellschaft vorhandenen Werteauffassungen ausreichenden
Raum geben, das Gebot der parteipolitischen Neutralität beachten und dafür Sorge tragen,
dass entsprechende Sachverhalte innerhalb und außerhalb des Unterrichts in der Schule
insgesamt ausgewogen dargestellt werden.
Dem wird im übrigen nicht durch ein schematisches Verständnis Genüge getan – etwa dergestalt, dass in jeder Veranstaltung zu jedem Thema immer auch der parteipolitische Proporz gewahrt wird – sondern dadurch, dass unterschiedliche Positionen, Auffassungen und
Meinungen jeweils eine solche Geltung erlangen, dass sich die Schülerinnen und Schüler
möglichst ein eigenständiges Urteil bilden können und nicht einseitigen Einflussnahmen ausgesetzt werden. Andererseits sind Diskussionsveranstaltungen mit Vertretern verschiedener
Parteien und gesellschaftlicher Gruppen auch geeignet, das Verständnis der Schülerinnen
und Schüler für die notwendige und gewollte Pluralität der Meinungen in einer Demokratie zu
fördern. Wenn Schülerinnen und Schüler erfahren und begreifen, dass der Dissens zur Demokratie gehört und Konsens keineswegs immer zu erzielen ist, wird dies zur Achtung anderer Auffassungen und zur Bereitschaft, Konflikte im Diskurs auszutragen, beitragen.
Um einseitige Beeinflussungen zu vermeiden, ist es auch nach wie vor geboten und sinnvoll,
dass innerhalb des Schulgebäudes und auf dem Schulgelände parteipolitische Werbung für
oder durch Parteien nicht betrieben wird.
Ich empfehle auch, auf einzelne Besuche von Vertretern politischer Parteien in einem Zeitraum von ca. vier Wochen vor Wahlen zum Deutschen Bundestag, zum Landtag von Sachsen-Anhalt oder zur kommunalen Vertretung des Schulträgers zu verzichten.
Eigene Veranstaltungen politischer Parteien sollten in Schulgebäuden nur durchgeführt werden, wenn sie erkennbar nicht rein parteipolitischer Natur sind, sondern sich wichtigen Fragen in Staat und Gesellschaft widmen und offen sind für die Teilnahme anderer.
Lassen Sie mich abschließend auch auf weitere Möglichkeiten politischer Bildung hinweisen:
Das Jugendparlament ist eine geeignete Form des Erlernens und des Erlebens parlamentarischer Arbeit. Schülerinnen und Schüler, die an den früheren Jugendparlamenten teilnahmen, beschreiben unvergessliche Eindrücke und wurden zu eigenem gesellschaftlichen Engagement motiviert.
Zur „Juniorwahl 2004“ können Schulklassen ab 7. Schuljahrgang von Sekundarschulen,
Gymnasien und berufsbildenden Schulen wählen. Der Wahlakt ist einerseits eingebettet in
die Behandlung des Themas im Unterricht durch die Lehrkräfte und andererseits in die Organisation der Wahlprozedur durch die Schülerinnen und Schüler. Die simulierte Wahl wird
im Unterricht inhaltlich vorbereitet und durchgeführt. Dafür stehen zahlreiche Unterrichtsvorschläge zur Verfügung, die speziell für die Europawahl entwickelt werden. Mit der Teilnahme
an der Juniorwahl können Jugendliche für demokratische Prozesse motiviert und zu einer
fundierten Meinungsbildung herangeführt werden.
Die Staatliche Lehrerfortbildung bietet in dem Spektrum „Wertevermittlung“, „Moderne Methoden zum Erwerb von Sozial- und Kommunikationskompetenz“, „Fächerübergreifender
Unterricht in den gesellschaftswissenschaftlichen Lernbereichen“ hervorragende Möglichkeiten der Fortbildung.
3
Die Professoren Peter Fauser und Wolfgang Edelstein, Verfasser des Programmgutachtens
„Demokratie lernen und leben“, schreiben:
„Kinder und Jugendliche müssen die Chance haben, Demokratie als wirkungsvolle Idee im
gelebten Alltag zu erfahren, durch eigenes Tun für die Demokratie aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Nur so können sie die Überzeugung gewinnen, dass es auf sie
ankommt und dass ihr Engagement sich lohnt.“
Eröffnen wir unseren Kindern und Jugendlichen in unseren Schulen diese Chance.
W. Willems
Staatssekretär
Kultusministerium Land Sachsen-Anhalt
Herunterladen