sexuelle belästigung im arbeitsleben - Landkreis Freyung

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„SEXUELLE BELÄSTIGUNG IM ARBEITSLEBEN“
(K)EIN KAVALIERSDELIKT?
Was ist das denn überhaupt?
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jedes sexuell bestimmte Verhalten, das von den
Betroffenen unerwünscht und geeignet ist, sie als Person herabzuwürdigen. Hierzu gehören
etwa körperliche Berührungen und Übergriffe, Bemerkungen mit sexuellem Inhalt, Vorzeigen
pornographischer Darstellungen und Aufforderungen zu sexuellen Handlungen.
Sexuelle Belästigung kann sich in Worten, Handlungen, Gesten oder sonstigem sexuell
bestimmten Verhalten ausdrücken. Sexuelle Belästigung ist immer ein einseitiges und
unerwünschtes Verhalten.
Besonders verwerflich ist sexuelle Belästigung dann, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis
ausgenutzt wird, insbesondere berufliche Vorteile versprochen oder Nachteile angedroht
werden.
Ein „ganz normaler“ Arbeitstag:
Frau S. sitzt an ihrem Computer und erstellt einen Bericht, als Herr W. ihr Zimmer betritt. Er
weist auf einen Tippfehler hin und beugt sich von hinten ganz dicht über sie. Dabei streift er
wie zufällig mit der Hand ihre Brust. Frau S. zuckt ein wenig zur Seite, ärgert sich, weil das
schon öfter vorgekommen ist. Sie überlegt, ob sie ihn zurechtweisen soll. Aber dann würde
er sicher sagen, sie hätte sich dass nur eingebildet. Also schluckt sie ihren Ärger runter. Sie
nimmt sich vor, in Zukunft noch distanzierter und sachlicher mit ihm umzugehen.
Frau G. sitzt in der Mittagspause in der Kantine. Am Nebentisch hört sie den neuesten
Klatsch. „Der Maier konnte bei der neuen Aushilfe die Finger nicht bei sich behalten und ist
ein bisschen zu weit gegangen. Jetzt hat sie sich beim Personalrat beschwert, ausgerechnet
die, wie die rumläuft, reizt sie doch jeden Mann. Da braucht sie sich nicht zu wundern. Vom
Maier weiß doch jeder, dass er hinter jedem Rock her ist.“
Frau P. hat sich nach der Mittagspause einen frischen Kaffee gekocht, an dem sich Kollege
F. ungefragt bedient. Verärgert weist sie ihn darauf hin, dass es nicht ihre Aufgabe ist, die
gesamte Abteilung mit Kaffee zu versorgen. Herr F. entgegnet ihr mit einem
„freundschaftlichen“ Klaps auf den Po. „Was bist Du denn heute so zickig, Mädchen, sei
doch mal ein bisschen nett zu einem Kollegen! Oder hast Du Frust, weil Dein Schatz wieder
so lange auf Geschäftsreise ist?“
Solche und ähnliche Vorfälle passieren täglich in vielen Betrieben und auch Behörden. Für
einen Großteil berufstätiger Frauen gehören die beschriebenen Situationen zum beruflichen
Alltag.
Aber das sind doch nur Ausnahmen!
Diese Meinung basiert auf einem schweren Irrtum. Sexuelle Belästigung ist am Arbeitsplatz
wesentlich größer als allgemein angenommen wird. Den meisten Frauen sind die
geschilderten Erlebnisse nicht unbekannt. Bei einer Umfrage gaben 72 % aller befragten
Frauen an, Situationen am Arbeitsplatz erlebt zu haben, die als sexuelle Belästigung
einzustufen ist.
Die Frauen, die belästigt werden, fordern es doch selbst heraus!
Auch dies ist ein Irrtum! Prinzipiell kann jede Frau, unabhängig von ihrem Äußeren, ihrer
beruflichen Position oder ihrem Alter, egal ob bewährte Fachkraft oder junge
Berufsanfängerin, zum Opfer sexueller Belästigung werden. Keineswegs sind Frauen selbst
„schuld“, weil sie z.B. Miniröcke tragen. Dies kann kein Freibrief für Übergriffe sein!
Wer sind die Täter?
Die „Täter“ sind selten „brutale Sittlichkeitsverbrecher“ oder „perverse Typen“, wie so oft
angenommen wird. Meist sind es „ganz normale Männer“ mit Familie, z.B. Kollegen,
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Vorgesetzte oder Ausbilder. Im Gegensatz zu den Belästigungsopfern arbeiten sie meist in
gesicherten beruflichen Positionen. Viele sind bereits im Betrieb unter der Hand für ihr
Verhalten bekannt.
Welche Folgen hat sexuelle Belästigung für die Opfer?
Frauen, die von sexuellen Übergriffen betroffen sind, leiden unter vielfältigen Belastungen.
Sie haben weniger Spaß an ihrem Beruf, fühlen sich seelisch und körperlich unwohl,
angespannt und ausgeliefert. Viele zweifeln an ihrer beruflichen Belastbarkeit und
Kompetenz. Betroffene leiden infolgedessen unter typischen Stresssymptomen,
Verunsicherungen, Ängsten, Depressionen und Aggressionen. Bei vielen treten
psychosomatische Beschwerden auf, die zu schwerwiegenden Krankheiten führen können.
Es müssen aber nicht erst gravierende Handgreiflichkeiten und Übergriffe geschehen, damit
Frauen sich am Arbeitsplatz unwohl und abgewertet fühlen. Geschmacklose Bemerkungen
und Witze, anzügliche Blicke und zweideutige Gesten schaffen für viele Frauen eine
belastende und bedrückende Arbeitsatmosphäre und reichen aus, die berufliche
Zufriedenheit erheblich zu beinträchtigen.
Wie gehen Kollegen und Kolleginnen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz um?
Bei den Tätern ist oft kein Unrechtsbewusstsein vorhanden. Daher geschehen sexuelle
Übergriffe häufig bedenkenlos im Beisein von Anderen. Viele Zeuginnen und Zeugen von
Belästigungsvorfällen schweigen und unterstützen den Belästiger. Andere ist die Situation
peinlich und sie sind oft unangenehm berührt. Sie greifen jedoch selbst nicht ein, da sie z.B.
befürchten, als „Spielverderber“, als zu prüde oder zu empfindlich kritisiert zu werden. Die
meisten wissen selbst nicht so genau, wie sie reagieren sollen. Die oft fehlende Solidarität
der Kolleginnen und Kollegen macht es den betroffenen Frauen schwer, gegen Übergriffe
vorzugehen. Die „Täter“ fühlen sich durch fehlende Kritik in ihrem Verhalten bestärkt. In den
meisten Fällen bleibt es dann nicht nur bei einem einmaligen Übergriff.
Bei uns im Betrieb oder der Behörde kommt so etwas nicht vor!
Ein weiterer Irrtum! Da das Problem in den meisten Fällen geleugnet oder vertuscht wird, ist
die Dunkelziffer von sexueller Belästigung in den Betrieben und Behörden sehr hoch.
Vielfach wird die Meinung vertreten, dass sexuelle Übergriffe nur eine
Ausnahmeerscheinung im betrieblichen Miteinander sind. Wenn sexuelle Übergriffe bekannt
werden, wird oft mit großer Empörung reagiert. Viele wollen nicht glauben, dass in ihrem
Unternehmen männliche Beschäftigte zu derartigen Übergriffen fähig sind.
Wie reagieren die Frauen?
Da das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz selten thematisiert wird, glauben
viele Frauen, dass nur sie davon betroffen sind und andere nicht. Viele quälen sich mit
Selbstvorwürfen: Liegt es an mir, dass er sich das getraut hat? Habe ich den Täter nicht
vielleicht doch zu seinem Verhalten provoziert? Habe ich ihn möglicherweise nicht massiv
genug zurückgewiesen?
Sexuelle Belästigung betrifft den Intimbereich einer Frau. Aus Scham, Angst und Peinlichkeit
wagen es viele Betroffene nicht, über die Vorfälle zu sprechen. Sie scheuen eine offene
Auseinandersetzung mit dem Thema und versuchen allein, ohne fremde Hilfe eine Lösung
zu finden.
Und was passiert mit den Tätern?
Solange das Problem in den Betrieben und Behörden nicht ernst genommen wird und
sexuelle Belästigung als „Kavaliersdelikt“ bzw. als Privatsache vereinzelter Frauen
angesehen wird, bleiben die eigentlich Schuldigen von negativen Konsequenzen verschont.
Ist dann etwa jeder nette Flirt verboten?
Es geht nicht um das Verbot von Erotik am Arbeitsplatz. Flirts, wenn sie von Frau und Mann
gleichermaßen erwünscht sind, können Spaß machen. Schließlich lernt eine große Anzahl
von Frauen oder Männern ihren Partner/in am Arbeitsplatz kennen. Beim Thema sexuelle
Belästigung geht es dagegen um erwünschtes einseitiges Verhalten, das Frauen abwertet
und ihre Zufriedenheit im Berufsalltag nachhaltig beeinträchtigen kann.
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Sexuelle Belästigung geht alle an!
Sexuelle Belästigung hat nicht nur negative Auswirkungen auf die betroffenen Frauen. Eine
diskriminierende und frauenfeindliche Arbeitsatmosphäre führt auch zu Verschlechterungen
des allgemeinen Betriebsklimas. Motivationsverluste, höhere Krankenstände können die
Folgen sein.
Der Arbeitgeber hat sowohl im öffentlichen Dienst wie auch in der Privatwirtschaft vielfältige
Möglichkeiten und Verpflichtungen, um individuelle Persönlichkeitsrechte und das Recht auf
sexuelle Selbstbestimmung zu schützen.
Was können Frauen tun, wenn sie sexuell belästigt werden?
Im konkreten Fall haben betroffene Frauen folgende Abwehrstrategien als besonders
wirkungsvoll bewertet:
• Wichtig ist, dem Täter deutlich zu machen, dass sein Verhalten nicht erwünscht ist.
Fordern sie ihn auf, Übergriffe zu unterlassen. In manchen Fällen kann bereits ein
klärendes Gespräch erfolgreich sein.
•
Wenn sie kein persönliches Gespräch mit dem Täter führen möchten, schreiben sie
ihm einen Brief. Formulieren sie ihre Anschuldigungen ausführlich und möglichst
sachlich. Fordern sie ihn auf, sein Verhalten zu ändern und kündigen sie an, bei
nochmaligem Vorkommen weitere Schritte einzuleiten. Bewahren sie eine Kopie des
Schreibens auf. Dies hilft ihnen, wenn sie später eine Beschwerde einreichen
möchten.
•
Verunsichern sie den Täter z.B. durch Nachfragen „Was meinen Sie damit?“ oder
„Könntest Du mir das bitte erklären?“.
•
Auch wenn sie keinen Brief schreiben möchten, notieren sie Ort, Datum und Uhrzeit
von Vorkommnissen und halten sie schriftlich fest, wen sie über den Vorfall informiert
haben. Wenn sie weitere Schritte unternehmen möchten, können schriftliche Notizen
als Beweismittel herangezogen werden.
•
Sprechen sie sich mit einer Person ihres Vertrauens über den Vorfall aus. Dies
können Vorgesetzte, Kolleginnen oder Kollegen, Personalräte oder die
Gleichstellungsbeauftragte sein. Überlegen sie gemeinsam, wie gegen den Belästiger
vorgegangen werden kann.
•
Suchen sie sich Verbündete. Gemeinsam können sie ihre Erfahrungen austauschen.
Möglicherweise gibt es auch andere Kolleginnen, die mit dem gleichen Mann
ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie sie – nur traut sich keine, das Problem
offen anzusprechen. Gemeinsam lässt es sich effektiver handeln.
Im Arbeitsrecht sind sexuelle Beeinträchtigungen verboten:
Der Arbeitgeber ist im Rahmen der Fürsorgepflicht verantwortlich dafür, dass die
Persönlichkeitsrechte auf sexuelle Integrität und Selbstbestimmung beachtet werden. Im
Rahmen des Arbeitsrechts ist er verpflichtet, den Betriebsfrieden zu wahren und kann
sexuell unerwünschtes verbales und körperliches Verhalten nach arbeitsrechtlichen
Grundsätzen sanktionieren.
Der Personalrat ist verpflichtet, Geschlechtsdiskriminierungen zu verhindern und ggf.
Maßnahmen zu ergreifen.
Freyung, 15.12.2008
Gertraud Seidl
Gleichstellungsbeauftragte
Quelle: (K)ein Kavaliersdelikt? Herausgegeben Bundesministerium f. Frauen u. Jugend
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