PT-Profession-Wissenschaft-POLTRUM

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Psychotherapie als Profession und
Wissenschaft 1
Univ. Doz. Dr. Martin Poltrum
Philosoph, Psychotherapeut, Lehrtherapeut
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Im Zentrum der Diskussion um die Professionalität
der Psychotherapeuten steht gegenwärtig das
Verhältnis von Forschungswissen und
professionellem Handeln. Dabei fällt auf, daß von
manchen Psychotherapieforschern ein Modell
favorisiert wird, das von professioneller Praxis als
angewandter Psychologie ausgeht (Grawe et al. 1994).
L. Reiter u. E. Steiner (1996): Psychotherapie und Wissenschaft. In: A. Pritz
(Hg.) Psychotherapie – eine neue Wissenschaft vom Menschen. Wien, New York:
Springer.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Wer die Psychologie liebt, hat oft Anlass, sich der
Psychotherapie zu schämen. Wir wollen mit diesem
Buch zu einer Psychotherapie beitragen, zu der wir
als wissenschaftliche Psychologinnen und Psychologen
stehen können.“ (Vorwort V) „Über Jahrzehnte hin
herrschten in der Psychotherapie gleichsam
mittelalterliche, vorwissenschaftliche Verhältnisse. In
den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat so etwas wie
eine Aufklärung begonnen, eine im eigentlichen Sinne
wissenschaftliche Psychotherapie.
Klaus Grawe et al. (1994) Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur
Profession, Hogrefe: Göttingen / Bern / Toronto /Seattle.
PTH als Profession u. Wissenschaft
Glauben wird allmählich durch Wissen ersetzt,
abergläubische Rituale durch professionelles Handeln.
Die Aufklärung ist aber noch nicht weit in das öffentliche
Bewusstsein vorgedrungen, auch nicht in das der
Fachöffentlichkeit, und die psychotherapeutische Praxis
hinkt den wissenschaftlichen Erkenntnissen nur
wiederstrebend hinterher. (...) Klarheit darüber, was
die einzelnen Psychotherapieformen tatsächlich
bewirken, kann dazu beitragen, dass die einzelnen
Methoden in der Praxis mehr entsprechend ihrer
tatsächlichen Wirksamkeit zur Anwendung gelangen
(...).“ (ebd. S. 1)
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Psychotherapie ist, ebenso wie Medizin keine
Wissenschaft, sondern eine Profession, in deren Umfeld
Wissenschaft vorkommt.“ (S. 160)
„Psychotherapie ist keine Wissenschaft, sondern eine
Profession, in deren Umwelt Wissenschaft – und damit
Psychotherapieforschung – vorkommt.“ (S. 177)
L. Reiter u. E. Steiner (1996): Psychotherapie und Wissenschaft. In: A. Pritz
(Hg.) Psychotherapie – eine neue Wissenschaft vom Menschen. Wien, New York:
Springer.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Der Autor wendet sich gegen eine Tendenz,
Wissenschaft und Profession einander gleichzusetzen.
Selbst in den ‚harten‘ Wissenschaften wird zwischen
‚Profession‘ und ‚Wissenschaft‘ unterschieden. Was
Professionelle tun, läßt sich nicht als ‚Anwendung‘ oder
‚Konsum‘ von wissenschaftlichen Befunden
beschreiben; Professionelle greifen vielmehr auf eine
Vielfalt von Wissensbeständen zurück, von denen
nur ein Teil wissenschaftlich fundiert ist.“
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum d. Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, 75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
Beispiel: Fall-Vignette! Was tun? Was alles tun?
Wissenschaft und Suizid
Suizid zwischen Wissenschaft und Profession
- Welche Medikamente (zur Distanzierung v. SuizidGedanken), evidenzbasierte Leitlinienbehandlung
- Suizid-Monitoring (Fakten, Zahlen, Daten zur
Suizidhäufigkeit, n. Länder, n. Regionen, n.
Störungen bzw. Komorbiditäten, n.
Suizidmethoden) … positivistische Vermessung
des Suizid-Phänomens
- Skalen zur Erfassung der Suizidalität
- Suizid, Werther-Effekt, Papageno-Effekt …
- Suizid im Film, in der Oper, in der Literatur …
Gruppen mit erhöhtem Suizid-Risiko
Gruppen mit erhöhtem Suizid-Risiko
„Die Häufigkeitsverteilung variiert stark. Männer,
alleinstehende und ältere Menschen begehen eher
Suizid, Frauen eher Suizidversuche.
Besondere Risikogruppen sind Depressive jeder
nosologischen Art (ca. 10-15 % Mortalität an Suizid),
Süchtige, besonders Alkoholiker (ca. 10 %),
Schizophrene (ca. 5%), Borderline-Persönlichkeiten
(z.T. über 10%).“
1. Menschen mit psychischen Erkrankungen
- Depressive (alle Spielarten der Depression)
- Suchtkranke (Alkoholkranke, Drogensüchtige)
- Schizophrenie
- Persönlichkeitsstörungen, insbesondere vom
emotional instabilen Typus
2. Menschen mit vorliegender Suizidalität
- Suizidankündigungen
- nach Suizidversuch (10% Rezidiv mit Suizid)
C. Scharfetter (2010) Allgemeine Psychopathologie, S 288.
Gruppen mit erhöhtem Suizid-Risiko
Gruppen mit erhöhtem Suizid-Risiko
3. Alte Menschen
- mit Vereinsamung, mit schmerzhaften,
chronischen einschränkenden Krankheiten, nach
Verwitwung
- mit psychischer und körperlicher Erkrankung
4. Junge Erwachsene, Jugendliche mit
- Entwicklungskrisen, Beziehungskrisen (innerer
Vereinsamung)
- Drogenproblemen
- familiären Problemen, Ausbildungsproblemen
5. Menschen in traumarisierenden Situationen
und Veränderungskrisen
- Beziehungskrisen, Partnerverlust, Kränkungen
- Verlust des sozialen, kulturellen, politischen
Lebensraumes
- Identitätskrisen
- chronische Arbeitslosigkeit
- Kriminalität (z.B. n. Verkehrsdelikt mit
Verletzung, Tötung eines Anderen)
Gruppen mit erhöhtem Suizid-Risiko
Präsuizidales Syndrom
Situation vor dem Suizid – besteht aus:
6. Menschen mit
- schmerzhaften, chronischen,
lebenseinschränkenden, verstümmelnden,
körperlichen Erkrankungen, insbesondere des
Bewegungs- und zentralnervösen Systems,
terminale Erkrankung mit Siechtum und extremer
Pflegebedürftigkeit
- einer 4-fache Einengung
die Situation, die Interessen- und Wertewelt, die
Affektdynamik und die Isolation betreffend,
- einer Aggression, welche nicht offen und
konstruktiv „nach außen“ getragen werden kann
- und zu Selbstzerstörungsphantasien führt.
Quelle: Wolfersdorft M., Nervenarzt 2008, 11:1319-34
Erwin Ringel (1953) Der Selbstmord, Maudrich, Wien
(eine Untersuchung an 745 geretteten Selbstmördern)
Prof.-Erfahrung und Suizid
- Reaktion von Therapeuten nach einem Suizid
(Abwehr = narzisstisch veranlagte Th.,
Schuldgefühle = depressiv strukturierte Th. …)
- Gegenübertragungsgefühle bezogen das jeweilige
Suizidmotiv
- Psychotherapeutische Suizid-Modelle (PsychoDynamische, Verhaltenstherapeutische …)
Suizid-Motiv und Gegenübertragungsgefühle
Apellativ: Ausdruck von Hilfsbedürftigkeit, Hilflosigkeit („Cry for
Help“), macht Gegenüber hilflos und induziert besondere Aktivität
Manipulativ: „Wirkt erpresserisch“, unter Druck setzen – Gegenüber
fühlt sich manipuliert
Intentional: Auf ein Ziel gerichtet (oft manipulativ-intentional) – Gefühl
eingesetzt zu werden
Ausgeprägter Todeswunsch: Häufig „missglückter“ Suizid, wenn
Suizidversuch überlebt wird – Gegenüber erschrickt und ist froh, dass
SV „nicht geglückt“ ist
Psychotisch: Motiv der suizidalen Handlung Angst, Hoffnungslosigkeit,
wahnhaftes Erleben, Halluzinationen – Gefühl Patient braucht
Behandlung
Hoffnungslos: Fehlende Zukunftsperspektive, Unveränderbarkeit
erwartet – Gegenüber in Gefahr der Übernahme der
Hoffnungslosigkeit und der Zustimmung zur Suizidhandlung
Wolfersdorf und Etzersdorfer 2011
Was muss am Ende eines Erstkontaktes
bzw. Erst-Gesprächs geklärt sein?
- Hat Patient Suizidideen/Todeswünsche oder
Suizidabsichten?
- Hat er einen hohen dranghaften Handlungsdruck,
Suizidideen in eine suizidale Handlung
umzusetzen, oder nicht?
- Hat er Hoffnung auf Hilfe/Veränderung jetzt, und
entlastet ihn das Gespräch/der Kontakt?
- Planungen für die nächste Zukunft? Realistisch?
Was muss am Ende eines Erstkontaktes
bzw. Erst-Gesprächs geklärt sein?
Was muss am Ende eines Erstkontaktes
bzw. Erst-Gesprächs geklärt sein?
- Kann er bzw. hat er akute Suizidabsichten „auf
später aufgeschoben“, d.h. ist aus Entschluss
wieder Ambivalenz und Inanspruchnahme von
Hilfe geworden?
- Verleugnet der Patient trotz Ansprechens, trotz
anders lautender Information Suizidalität?
- Scheint er „glaubwürdig“, ist er „offen“?
- Ist Patient überhaupt geschäftsfähig?
- Hat er psychopathologisch suizidfördernde
Symptome, z.B. Wahn, Halluzination, altruistische
Ideen o.Ä.?
- Ist stationäre oder ambulante Behandlung nötig?
Evtl. Einweisung in eine Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie gegen den Willen des
Patienten? Einschaltung der Polizei?
Was muss am Ende eines Erstkontaktes
bzw. Erst-Gesprächs geklärt sein?
Was muss am Ende eines Erstkontaktes
bzw. Erst-Gesprächs geklärt sein?
- Bei ambulanter Behandlung: Positive
Bezugspersonen vorhanden? Fürsorge gesichert?
Regelmäßige Therapietermine, evtl. kurze
Telefonkontakte möglich?
- Patient sichert glaubwürdig zu, bei
Verschlechterung bzw. drängenden oder wieder
auftretenden Suizidideen sich umgehend an
Bezugspersonen/Therapeuten zu wenden
- Patient ist mit Therapieplanung
(Krisenintervention, längerfristige Behandlung,
jetzt stationär, Medikation) einverstanden
Quelle: Wolfersdorft M., Nervenarzt 2008, 11:1319-34
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
EVERY PATIENT IS A UNIVERSE OF ONE
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Jeder neue Fall, der gründliche Behandlung erfordert,
bedeutet Pionierarbeit, und jede Spur von Routine
entpuppt sich dann als Irrweg. Die höheren Formen der
Psychotherapie sind daher eine sehr anspruchsvolle
Beschäftigung und stellen gelegentlich Aufgaben,
welche nicht nur den Verstand oder das Mitgefühl,
sondern den ganzen Menschen in die Schranken fordern.
Der Arzt wird geneigt sein, vom Patienten diesen totalen
Einsatz zu fordern. Er muß sich nur bewußt sein, daß
diese Forderung nur dann wirkt, wenn er zugleich weiß,
daß sie auch ihm selber gilt.“
C. G. Jung (1973) Die Psychologie der Übertragung. Erläutert anhand einer
alchemistischen Bilderserie, Verlag Walter: Olten u. Freiburg im Breisgau, S. 25.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
Erik. H. Erikson (1902-1994), In: M. Buchholz (1997) Psychoanalytische
Professionalität. Andere Anmerkungen zu Grawes Herausforderungen.
Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S. 75-93.
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Situationen, auf die Praktiker reagieren müssen, sind
durch wenigstens 5 Merkmale ausgezeichnet (...).“
- Sie sind komplex
- Sie sind unsicher und sie erzeugen Unsicherheit
- Situationen, die professionelle Antworten
fordern, sind instabil
- Sie sind einzigartig
- Sie erfordern Werte-Entscheidungen
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Andererseits kann niemand als der Professionelle
selbst die Situation angemessen beschreiben, weil nur er
die notwendigen intimen und teils auch flüchtigen
Detailkenntnisse hat und nur er selbst seine eigenen
Gedanken, die Teil der Situationsdefinition sind, kennt.
Vollständigkeit der Beschreibung einer Situation
wäre aber weiter eine Bedingung für die Anwendung
wissenschaftlich gefundenen Wissens.“
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Aus diesen Merkmalen ergibt sich für die Position des
professionellen Psychotherapeuten ein erkennbares
Dilemma: Er muss auf Situationen reagieren, von denen er
ein Teil ist, weshalb es besser wäre zu formulieren: er muß
in Situationen agieren … ein sechstes Merkmal anfügen:“
- Es kann nicht erwartet werden, daß eine Situation
unter solchen Bedingungen vollständig beschrieben
werden könnte.
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S. 75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Professionelle antworten nicht mit der
Anwendung von Wissen, sondern erfinden frische
Metaphern, die die Dinge in einem anderen Licht
zu sehen erlauben (...).“
„(...) Verwissenschaftlichung der Praxis ...
Verarmung der Praxis ... Bild einer ...
anorektischen Psychotherapie ... die der Poesie,
des ästhetischen Imperativs ermangelt ... .“
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S.
75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Mit meiner Verschiebung des Diskussionsfokus
aus Anlaß der Grawe‘schen Herausforderung
auf ‚Profession‘ und auf deren Verhältnis zur
Wissenschaft wollte ich zu zeigen versuchen, daß
professionelle Praxis ihre Eigenständigkeit
gegenüber der wissenschaftlichen Umwelt
behaupten kann.“
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S. 75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Wenn wir uns vorstellen, daß wissenschaftliche
Befunde in der Praxis angewendet würden, dann
schließt das ein, daß man sich die Wissenschaft
hierarchisch als über der Praxis stehend vorstellt.“
(...) „Wissenschaft liefert nicht besseres, sondern
anderes Wissen; beide müssen als nebeneinander
positioniert vorgestellt werden.“ (...)
„Wissenschaft und Profession sind
gleichberechtigte Diskurse (...).“
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum der Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, S. 75-93.
PTH als Profession u. Wissenschaft
„Der Autor wendet sich gegen eine Tendenz,
Wissenschaft und Profession einander gleichzusetzen.
Selbst in den ‚harten‘ Wissenschaften wird zwischen
‚Profession‘ und ‚Wissenschaft‘ unterschieden. Was
Professionelle tun, läßt sich nicht als ‚Anwendung‘ oder
‚Konsum‘ von wissenschaftlichen Befunden
beschreiben; Professionelle greifen vielmehr auf eine
Vielfalt von Wissensbeständen zurück, von denen
nur ein Teil wissenschaftlich fundiert ist.“
M. Buchholz (1997) Psychoanalytische Professionalität. Andere Anmerkungen zu
Grawes Herausforderungen. Forum d. Psychoanalyse, Band 13, Heft 2, 75-93.
Wissensbestände!
Die Wege, auf denen die Seele
bejahend oder verneinend die
Wahrheit trifft, mögen fünf sein:
Sachkundigkeit (téchne),
Wissenschaftlichkeit (epistéme),
Vernünftigkeit (phrónesis),
Weisheit (sophía), Vernunft
(noûs). (Nikomachische Ethik, VI. Buch, Seite 29)
Aristoteles (384-322) Nikomachische Ethik, H.-G. Gadamer (1998),
Herausgegeben und übersetzt, Klostermann Verlag, Frankfurt a. Main.
Welches Wissen?
Welches Wissen?
ARTEN DES WISSENS
ARTEN DES WISSENS
Episteme – Wissenschaft
Episteme – Wissenschaft
Techne – Kunst (Können)
Techne – Kunst (Können)
Sophia – Weisheit
Sophia – Weisheit
Nous – Geist (Erk. d. Prinzipien)
Phronesis – (praktische Klugheit)
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
Wissensbestände – Episteme!
Was nun ‚Wissenschaft‘ sei, ergibt sich, wenn wir
die Worte genau nehmen und uns nicht durch bloße
Ähnlichkeiten leiten lassen, klar aus folgendem: Wir
alle nehmen an, daß das, wovon es Wissenschaft
gibt, nicht anders sein kann. (…) Daher kommt
dem Gegenstand der Wissenschaft ein ‚mit
Notwendigkeit‘ Sein zu. Also ist er ewig. Denn das
schlechthin Notwendige ist ewig, das Ewige aber ist
ungeworden und unvergänglich. (31)
Aristoteles (384-322) Nikomachische Ethik, H.-G. Gadamer (1998),
Herausgegeben und übersetzt, Klostermann Verlag, Frankfurt a. Main.
Nous – Geist (Erk. d. Prinzipien)
Phronesis – (praktische Klugheit)
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
Wissensbestände!
Was auch anders ein kann, ist entweder Sache des
Herstellens (poíesis) oder Sache des Verhaltens
(praxis). (31)
zwei (...) verschiedene Gebiete des Erkennens (...)
zwei (...) verschiedene Teile der Seele (...). Wir
möchten den einen dieser Teile als „auf Wissen
beruhend“ (epistemonikón) und den anderen „auf
Überlegung beruhend“ (logistikón) bezeichnen.
Denn Überlegen und Sich-Beraten ist ein- und
dasselbe. Niemand berät sich aber über das was
gar nicht anders sein kann als es ist. (27)
Welches Wissen?
Welches Wissen?
ARTEN DES WISSENS
ARTEN DES WISSENS
Episteme – Wissenschaft
Episteme – Wissenschaft
Techne – Kunst (Können)
Techne – Kunst (Können)
Sophia – Weisheit
Sophia – Weisheit
Nous – Geist (Erk. d. Prinzipien)
Phronesis – (praktische Klugheit)
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
Nous – Geist (Erk. d. Prinzipien)
Phronesis – (praktische Klugheit)
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
Antike Selbsterkenntnis
„Erkenne, dass du ein Mensch bist. (...) Sterblich,
nicht unsterblich. Gebrechlich, nicht unverletzlich.
Fehlerhaft, nicht vollkommen. Ohnmächtig, nicht
allmächtig. Unwissend, nicht allwissend. Anders
formuliert: Erkenne die Bedingungen, die
Möglichkeiten und die Grenzen, mit denen du zu
leben hast.“
„Erkenne dich selbst“ – gnōthi sautón – Tempel des Apoll in Delphi
W. Schmid (2007) Mit sich selbst befreundet sein
Welches Wissen?
ARTEN DES WISSENS
PHYSIK DER SUCHE
Episteme – Wissenschaft
Techne – Kunst (Können)
Sophia – Weisheit
Nous – Geist (Erk. d. Prinzipien)
Phronesis – (praktische Klugheit)
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
„Letzten Endes kam ich zu der Überzeugung,
dass es so etwas gibt wie die Physik der
Suche. Eine Kraft in der Natur, die von so
realen Gesetzen regiert wird wie das Gesetz
der Schwerkraft. ... Das erste physikalische
Gesetz der Suche lautet ungefähr so: Wer
mutig genug ist, alles Vertraute und
Wohltuende hinter sich zu lassen, egal was,
vom Haus bis zu alten Verletzungen und sich
auf die Suche nach der Wahrheit macht, sei es
nach innen gewandt oder nach außen, und wer
wahrhaft gewillt ist, alles was ihm auf dieser
Reise passiert als Schlüssel zu betrachten und
jeden der ihm unterwegs begegnet als Lehrer
zu akzeptieren, und vor allem, wer dazu bereit
ist sich unangenehmen Realitäten die einen
selbst betreffen zu stellen, und diese zu
verzeihen, dem wird sich die Wahrheit
offenbaren. ... Davon bin ich fest überzeugt,
nach allem was ich erlebt habe.“
Goethes Variante der Physik der Suche
„Solange man sich nicht hingibt, herrscht
Zaudern, die Möglichkeit zurückzuweichen,
stete Wirkungslosigkeit. Was initiatives und
schöpferisches Handeln angeht, gibt es nur
eine elementare Wahrheit - deren Unkenntnis
zahllose Einfälle und großartige Pläne zunichte
macht: Dass nämlich in dem Moment, in dem
man sich völlig hingibt, auch die Vorsehung
sich entwickelt. Es geschehen dann
zu unserer Hilfe alle möglichen Dinge, die
sonst nie eingetreten wären. Eine ganze Reihe
von Ereignissen entspringt der Entscheidung
und bewirkt zu unseren Gunsten eine Vielzahl
unerwarteter Begebenheiten und materielle
Unterstützung, von denen niemand sich
geträumt hätte, dass sie ihm zuteil würden ... .
Welches Wissen?
ARTEN DES WISSENS
Was immer du tun oder erträumen kannst, du
kannst damit beginnen. In der Kühnheit
wohnen Schöpferkraft, Stärke und Zauber.
Beginne jetzt.“
Episteme – Wissenschaft
Techne – Kunst (Können)
Sophia – Weisheit
Nous – Geist (E. d. Prinzipien)
Johann Wolfgang von Goethe
Phronesis – (praktische Klugheit)
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
Satz von Widerspruch
„Doch das sicherste Prinzip von
allen ist das, bei dem eine
Täuschung unmöglich ist (…)
Welches das aber ist, wollen wir
nun angeben: Denn es ist
unmöglich, dass dasselbe
demselben in derselben Beziehung
zugleich zukomme und nicht
zukomme. (…) Doch wir haben
eben angekommen, es sei
unmöglich, dass etwas zugleich
sei und nicht sei.“
Vier-Ursachen-Lehre
Causa finalis – Finalursache,
Zielursache, Zweckursache, Teleologie
z.B. um im Tempel zu beten
Causa efficiens – Wirkursache
z.B. das Hämmern des Bildhauers
Causa materialis – Stoffursache
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Metaphysik 1005b
z.B. der Stein gründet den Tempel
Causa formalis – Formursache
z.B. die Form (gr. idea o. eidos)
bestimmt das Aussehen des Tempels
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Physik, Kap II 3 194 b
causa efficiens
causa finalis
causa materialis
causa formalis
Die causa materialis und die causa
formalis bestimmen das Sein eines
Gegenstandes: die Form durchdringt
den an sich ungeformten und
unbewegten Stoff (d.h. die Materie)
und bildet ihn zu einem konkreten,
Ding. Die causa efficiens und die
causa finalis beziehen sich dagegen
auf das Werden der Gegenstände.
Die causa efficiens wird im Sinne
eines äußeren Anstoßes der
Bewegung verstanden und die causa
finalis als der Zweck, um
dessentwillen etwas geschieht, eine
bestimmte Tätigkeit ausgeführt wird.
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Mittelalterliche Handschrift
der Physik in lateinischer
Übersetzung
Immanuel Kant 1724-1805
Hauptwerke
Kritik der reinen Vernunft (1781 u. 1787)
Kritik der praktischen Vernunft (1788)
Kritik der Urteilskraft (1790)
KAUSALITÄT
„Kausalität nach Gesetzen der Natur“
„Alles, was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas
voraus, worauf es nach einer Regel folgt.“
(Kritik der reinen Vernunft A 189)
„Das Schema der Ursache und der Kausalität eines
Dinges überhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach
Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt.“
Immanuel Kant (1781) Kritik der reinen Vernunft, S. 192.
„Realität ist im reinen Verstandesbegriffe das, was
einer Empfindung überhaupt korrespondiert; dasjenige
also, dessen Begriff an sich selbst ein Sein (in der Zeit)
anzeigt.“
Immanuel Kant (1781) Kritik der reinen Vernunft, S. 191.
Welches Wissen?
ARTEN DES WISSENS
Episteme – Wissenschaft
Techne – Kunst (Können)
Sophia – Weisheit
Nous – Geist (Erk. d. Prinzipien)
Phronesis – (praktische Klugheit)
Phrónesis!
Was ferner die Vernünftigkeit (phrónesis) sei,
können wir daraus lernen, daß wir uns fragen,
welche Menschen wir „vernünftig“ (phrónimos)
nennen. Nun scheint es dem Vernünftigen
eigentümlich zu sein, daß er wohl überlegen kann,
was für ihn gut und nützlich ist, und zwar nicht nur
in besonderer Hinsicht, etwa was seiner Gesundheit
oder Stärke zuträglich ist, sondern in allgemeinerer
Hinsicht, was nämlich im ganzen Leben gut und
glücklich macht. (33)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
Phrónesis!
Phrónesis!
Ein Zeichen dafür ist, daß wir jemanden in etwas
„vernünftig“ nennen, wenn er in einer Sache einen
guten Zweck zu erreichen weiß, in der einem keine
Sachkundigkeit hilft. Im Allgemeinen wird also
vernünftig sein, wer selber Rat finden kann.
Wer so Rat sucht, hat es weder mit dem zu tun,
was nicht anders sein kann, noch mit dem, was
der Rat-Suchende nicht selber ins Werk zu
setzen vermag. (33)
Die Vernünftigkeit aber hat es mit den Menschen zu
tun und mit solchen, in welchen es ein Sich-Beraten
gibt. Dem vernünftigen Menschen legen wir ja als
Hauptgeschäft das richtige Sich-Beraten bei.
Niemand aber überlegt und beratschlägt über
das, was unmöglich anders sein kann und
ebensowenig über das, was zwecklos ist, oder
genauer, was nicht ein dem Menschen erreichbares
Gut bezweckt. (41)
Aristoteles (384-322) Nikomachische Ethik, H.-G. Gadamer (1998),
Herausgegeben und übersetzt, Klostermann Verlag, Frankfurt a. Main.
Aristoteles (384-322) Nikomachische Ethik, H.-G. Gadamer (1998),
Herausgegeben und übersetzt, Klostermann Verlag, Frankfurt a. Main.
Phrónesis!
Richtiges Sich-Beraten schlechthin schreibt man
dem zu, der durch Nachdenken das größte dem
Menschen erreichbare Gut zu treffen weiß.
Ferner bezieht sich Vernünftigkeit nicht bloß auf
das Allgemeine, sondern auch auf die Kenntnis im
Einzelnen. Denn sie gehört ja zum Verhalten, und
das Sich-Verhalten hat es mit dem Einzelnen zu
tun. Daher gibt es auch Leute, die ohne besonderes
Wissen in ihrem Verhalten geschickter sind als
andere mit all ihrem Wissen; (...). (ebd. 41)
.
Phronesis!
der Wege, die zu einem durch Tugend vorgegebenen
Ziel führen. (...) Weil ‚phronesis‘ daher in gewisser
Weise für die Wahl der Mittel zu gegebenen
Zwecken zuständig ist, wird sie oft mit einer
instrumentellen Vernünftigkeit verglichen, die im
Deutschen als ‚Klugheit‘ bezeichnet wird. Im
Gegensatz zur Klugheit jedoch, die die Mittel zu
beliebigen Zwecken auszusuchen versteht, ist die
Christof Rapp (2001) Aristoteles zur Einführung. Junius
Verlag: Hamburg, Seite 26.
Phronesis!
„Um im Sinne der ‚phronesis‘ vernünftig zu sein,
genügt es nicht, dass man über Allgemeinwissen
verfügt, man muss vielmehr das Einzelne kennen,
d.h., man muss Erfahrungen mit ähnlichen
Handlungsumständen selbst gemacht (...) und
ähnliche Entscheidungen selbst oder mithilfe der
Gesetze oder des Erziehers getroffen haben. Die
praktische Vernünftigkeit bezieht sich auf die Wahl
Christof Rapp (2001) Aristoteles zur Einführung. Junius
Verlag: Hamburg, Seite 26.
Phronesis!
‚phronesis‘ den verfolgten Zielen gegenüber
keineswegs neutral, sie bezieht sich stets auf die
Mittel zu tugendhaften Zielen und zum guten
Leben.
Christof Rapp (2001) Aristoteles zur Einführung. Junius
Verlag: Hamburg, Seite 26.
Wissens- und Gewissheitsarten in der Psychotherapie
Welches Wissen?
Techne
Phronesis
PSYCHOTHERAPEUTISCHES WISSEN
Episteme – Outcome-Studien, Epidemiologie,
Versorgungsforschung, Ausbildungsforschung ...
Techne – Erzeugung von Atmosphären ...
Episteme
Sophia
Nous
Sophia – Fähigkeit zur Dialektik ...
Nous – Prinzipielles Wissen über UbW ...
Phronesis – Fähigkeit den jeweils höchsten Wert
einer Situation zu sehen ... Überlegen u. Abwägen
Welches Wissen?
Welche Wissenschaft?
DREI-STADIEN-GESETZ
ARTEN DES WISSENS
Episteme – Wissenschaft
Techne – Kunst (Können)
Sophia – Weisheit
Nous – Geist (Erk. d. Prinzipien)
Phronesis – (praktische Klugheit)
Glauben
Aristoteles
(384–322 v. Chr.)
Nikomachische Ethik, ἠθικὰ Νικομάχεια, ēthiká Nikomácheia
Theologische oder fiktive Stadium
-Fetischismus
-Polytheismus
-Monotheismus
Metaphysische o. abstrakte Stadium
Das positive oder wissenschaftliche
Stadium
Comte (1842) Cours de philosophie positive
Auguste Comte
(* 1798 – † 1857)
Soziologe, Begründer
des Positivismus
Welche Wissenschaft?
Welche Wissenschaft?
POSITIVISMUS
Windelband unterschied zunächst
Mathematik und Philosophie als
rationale Wissenschaften von den
Erfahrungswissenschaften. Letztere
werden dann von ihm eingeteilt in die
nomothetischen Naturwissenschaften
und die ideographischen
Geisteswissenschaften.
Wilhelm Windelband
Die wissenschaftstheoretische
Unterscheidung zwischen
(* 1848 – † 1915)
nomothetischer u. ideographischer Neukantianismus
Forschung geht auf ihn zurück.
Methodendualismus
Posito (lat.): setzen, legen, stellen
fest-stellen, fest-legen und
fest-setzen von Phänomenen,
damit Tat-Sachen entstehen
Auguste Comte
Evidenz (lat.) videre (sehen)
(* 1798 – † 1857)
Metrische Evidenz, Zweifelsfreiheit,
Soziologe, Begründer
absolute Gewissheit
des Positivismus
Welche Wissenschaft?
Welche Wissenschaft?
Nomothetisch (von griechisch
nomos: ‚Gesetz‘ und thesis:
‚aufbauen‘) bezeichnet eine
Forschungsrichtung, bei der das Ziel
wissenschaftlicher Arbeit
allgemeingültige Gesetze sind. Ihre
Methoden sind experimentell, oft
reduktionistisch, die erhobenen Daten
quantitativ. Nomothetische Theorien
abstrahieren von den Phänomenen.
Diese Denkweise ist typisch für d.
Naturwissenschaften.
Idiographisch (von griech. idios:
‚privat‘ ‚eigentümlich‘ ‚individuell‘
und graphein: ‚beschreiben‘) ist eine
Forschungsrichtung, bei der das Ziel
wissenschaftlicher Arbeit die
umfassende Analyse konkreter, also
zeitlich und räumlich einzigartiger
Gegenstände ist.
Wilhelm Windelband
(* 1848 – † 1915)
Neukantianismus
Methodendualismus
Wilhelm Windelband
Ihr Hauptanwendungsbereich sind die (* 1848 – † 1915)
Neukantianismus
Geisteswissenschaften.
Methodendualismus
Gesetzes- und Ereigniswissenschaften
Gesetzes- und Ereigniswissenschaften
„Die einen suchen allgemeine Gesetze, die anderen
besondere geschichtliche Tatsachen (...). So dürfen
wir sagen: die Erfahrungswissenschaften suchen in
der Erkenntnis des Wirklichen entweder das Allgemeine
in Form des Naturgesetzes oder das Einzelne in der
geschichtlich bestimmten Gestalt; sie betrachten zu
einem Teil die immer sich gleichbleibende Form, zum
anderen Teil den einmaligen, in sich bestimmten Inhalt
des wirklichen Geschehens.
Die einen sind Gesetzeswissenschaften, die anderen
Ereigniswissenschaften; jene lehren, was immer ist,
diese, was einmal war. Das wissenschaftliche Denken
ist – wenn man neue Kunstausdrücke bilden darf – in
dem einen Falle nomothetisch, in dem anderen
ideographisch.“
Wilhelm Windelband (1894) Geschichte und Naturwissenschaft,
In: Hans-Georg Gadamer (Hg.) Philosophisches Lesebuch, Band
3., Fischer Verlag: Frankfurt Main 2004, S. 237 f.
Nomothetischer Zugang zu psychischen Störungen
„Psychische Krankheiten sind Erkrankungen des
Gehirns.“
Wilhelm Griesinger (1817-1868) Psychiater und Internist,
Begründer der naturwissenschaftlichen (biologischen) Psychiatrie
„Geisteskrankheiten sind Gehirnkranheiten.“
Wilhelm Griesinger (1845) Pathologie und Therapie der
psychischen Krankheiten
Depression eine Gehirnerkrankung! Neurons use
chemicals called neurotransmitters to send messages. The
message (neural signal) travels in a specific direction
from one cell to the next across a connecting synapse,
often transmitted from the axon terminal of one cell (the
presynaptic neuron) across the synapse to the dendrites
of the next (the postsynaptic neuron). Some
antidepressant medications work by targeting levels of
serotonin and other neurotransmitters in the synapses.
Welche Wissenschaft?
Welche Wissenschaft?
Mit Windelband kann man sagen: Die
biologische Psychiatrie verfährt
nomothetisch, da sie psychische
Störungen als Störungen des
chemischen Gleichgewichts des
Gehirn auffasst und an den
allgemeinen Gesetzmäßigkeiten dieser
Störungen interessier ist. Die
Psychotherapie verfährt
ideographisch da sie interessiert
warum die individuelle Person in
dieser spezifischen Situation an genau
dieser Erkrankung erkrankte.
Der Gegensatz von Natur und
Geisteswissenschaft beruht nach
Dilthey auf dem Unterschied von
Erklären und Verstehen.
„Die Natur erklären wir, das
Seelenleben verstehen wir.“
Wilhelm Windelband
(* 1848 – † 1915)
Neukantianismus
Methodendualismus
Wilhelm Dilthey (1894) Ideen über eine
beschreibende und zergliedernde Psychologie,
In: Gesammelte Schriften, Bd. V
Wilhelm Dilthey
(* 1883 – † 1911)
Lebensphilosophie
Hermeneutik
Naturwissenschaften
Erklären
Gegenstand ist die
Natur. Sie kann nur
untersucht und
beobachtet werden. Über
die Ursachen natürlicher
Vorgänge werden
Annahmen angestellt,
ein Nacherleben ist nicht
möglich. Das Erklären
arbeitet mit KausalVorstellungen.
Geisteswissenschaften
Verstehen
Sie hat die Erzeugnisse
des menschlichen
Geistes zum
Gegenstand. Diese
können, weil sie vom
Menschen selbst
hervorgebracht sind,
verstanden werden.
Gegenstände
geisteswissenschaftlicher
„Wenn z.B. jemand einen Text
in die Schreibmaschine tippt,
kann man das
Zustandekommen der Schrift
als Ergebnis von mechanischen Vorgängen in der
Maschine und physiologischen Zusammenhängen
im Körper des Schreibenden erklären; um aber zu
verstehen, was niedergeschrieben wird, muß man
die Bewußtseinsvorgänge im Schreibenden
nacherleben bzw. nachvollziehen. Dabei stellt sich
Naturwissenschaften
Erklären
Vorgänge in der Natur
werden als Spezialfall
eines abstrakten
allgemeinen Gesetzes
aufgefasst. Naturwissenschaftliches Begreifen ist
seinem Untersuchungsobjekt gegenüber neutral
und für die Persönlichkeitsentwicklung von
geringerer Bedeutung.
Geisteswissenschaften
Verstehen
Untersuchung werden in
ihrem konkreten
Zusammenhang aufgefasst.
Das Verstehen fremden
Daseins, vergangener
Kulturen und
Persönlichkeiten führt zu
einer Umformung des Selbst.
Fremde geistige Inhalte
werden in die eigenen
lebendig einbezogen.
der Schreibvorgang als
Ausdruck eines bestimmten
Erlebens dar, und das
Verstehen besteht im
Nacherleben dieses Erlebens. Dazu werden wir
imstande sein, wenn wir die Situation des
Schreibenden kennen, wenn wir aus seinen
Äußerungen wissen, zu welchem Zweck er schreibt
usw. Während die Erklärung der Vorgänge in der
Schreibmaschine die Kenntnis mechanischer
Gesetze voraussetzt, beruht
das Verstehen nicht auf
Gesetzeserkenntnis, sondern
auf der Fähigkeit, auf Grund
von Lebensäußerungen individuelle Erlebnisse in
individueller Weise nachzuvollziehen.“
Zum szientistischen Selbstmissverständnis Freuds (J. Habermas)!
Wolfgang Röd (1996) Der Weg der Philosophie, Band II,
17. bis 20. Jahrhundert, C.H. Beck: München.
Szientistisches Selbstmissverständnis
Szientistisches Selbstmissverständnis
„(...) die Wissenschaftstheorie, die seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts das Erbe der Erkenntnistheorie antritt, ist
eine im szientistischen Selbstmissverständnis der
Wissenschaften betriebene Methodologie. ‚Szientismus‘
meint den Glauben der Wissenschaft an sich selbst,
nämlich die Überzeugung, daß wir Wissenschaft nicht
länger als eine Form möglicher Erkenntnis verstehen
können, sondern Erkenntnis mit Wissenschaft
identifizieren müssen.“
Das szientistische Selbstmissverständnis Freuds
Jürgen Habermas (1968) Erkenntnis und Interesse. Frankfurt am Main, S. 13.
„Freud bekennt in seiner Selbstdarstellung, daß sich sein
wissenschaftliches Interesse schon in jungen Jahren eher
‚auf menschliche Verhältnisse als auf natürliche Objekte‘
bezogen habe; (...). Gleichwohl findet der Student erst
‚Ruhe und volle Befriedigung‘ in der Physiologie. Im
Laboratorium von Ernst Brücke hat er sechs Jahre lang
an Fragen der Histologie des Nervensystems gearbeitet.
Diese Zwiespältigkeit des Interesses mag dazu
beigetragen haben, daß Freud in
Szientistisches Selbstmissverständnis
Szientistisches Selbstmissverständnis
Das szientistische Selbstmissverständnis Freuds
Freud: „Unsere Annahme eines räumlich ausgedehnten,
zweckmäßig zusammengesetzten, durch Bedürfnisse des
Lebens entwickelten psychischen Apparates, der nur an
einer bestimmten Stelle unter gewissen Bedingungen
den Phänomenen des Bewußtseins Entstehung gibt, hat
uns in den Stand gesetzt, die Psychologie auf einer
ähnlichen Grundlage aufzurichten wie jede andere
Naturwissenschaft, z.B. die Physik.“
der Tat eine neue Humanwissenschaft begründet, aber in
ihr stets eine Naturwissenschaft gesehen hat. Mehr noch,
der Neurophysiologie, in der er anthropologisch
relevante Fragen mit medizinisch-naturwissenschaftlichen Methoden zu bearbeiten gelernt hatte, entlehnt
Freud die für die Theoriebildung bestimmenden
Modelle. Freud hat nie daran gezweifelt, dass die
Psychologie eine Naturwissenschaft sei.“
S. Freud, Ges. Werke, XVII, 126; vgl. auch XVII, 80., in: Habermas (ebd.), S. 301.
Jürgen Habermas (1968) Erkenntnis und Interesse. Frankfurt am Main, S. 300 f.
Szientistisches Selbstmissverständnis
Szientistisches Selbstmissverständnis
Freud: „Die Zukunft mag uns lehren, mit besonderen
chemischen Stoffen die Energiemengen und deren
Verteilung im seelischen Apparat direkt zu beeinflussen;
(…) vorläufig steht uns nichts besseres zu Gebote als die
psychoanalytische Technik.“
S. Freud, Gesammelte Werke Band. XVII., S. 108.
Freud: „Eines Tages machte man die Entdeckung, dass
die Leidenssymptome gewisser Nervöser einen Sinn
haben. Daraufhin wurde das psychoanalytische
Heilverfahren begründet. (...)“
entdeckt wurde auch (u.a. durch d. Pat. Anna O.)
„dass die Symptome mit dem Wissen um ihren Sinn
vergehen (...).“
Freud in: M. Poltrum (2010) Klinische Philosophie. Logos Ästhetikus und
Philosophische Therapeutik, Parodos Verlag: Berlin.
Psychotherapie als Hermeneutik
Psychotherapie als Hermeneutik
„Freud hat die Traumdeutung stets am hermeneutischen
Vorbild der philologischen Arbeit orientiert. Er
vergleicht sie gelegentlich mit der Übersetzung eines
fremdsprachigen Autors (...). Aber die Deutungsarbeit
des Analytikers unterscheidet sich von der des
Philologen nicht nur durch Ausgliederung eines
besonderen Objektbereiches; sie verlangt eine spezifisch
erweiterte Hermeneutik, die gegenüber der üblichen
geisteswissenschaftlichen Interpretation eine neue
Dimension berücksichtigt.“
„Die Tiefenhermeneutik, die Freud der philologischen
Diltheys entgegensetzt, bezieht sich auf Texte, die
Selbsttäuschungen des Autors anzeigen.“ (S. 267)
„Die Technik der Traumdeutung geht insofern über die
Kunst der Hermeneutik hinaus, als sie nicht nur den
Sinn eines möglicherweise entstellten Textes, sondern
den Sinn der Textentstellung selber, ... rekonstruieren
muß (...).“ (S. 270 f.)
Jürgen Habermas (1968) Erkenntnis und Interesse. Frankfurt am Main.
Jürgen Habermas (1968) Erkenntnis und Interesse. Frankfurt am Main, S. 263.
Freud zum Verhältnis von Geist und Gehirn
Freud zum Verhältnis von Geist und Gehirn
„Ist es gerechtfertigt, eine Nervenfaser, die über die
ganze Strecke ihres Verlaufes bloß ein physiologisches
Gebilde und physiologischen Modifikationen
unterworfen war, mit ihrem Ende ins Psychische
einzutauchen?“
„Die Kette der physiologischen Vorgänge im
Nervensystem steht ja wahrscheinlich nicht im
Verhältnis der Kausalität zu den psychischen
Vorgängen. Die physiologischen Vorgänge hören nicht
auf, sobald die psychischen begonnen haben, vielmehr
Sigmund Freud (1891) Zur Auffassung der Aphasien
Zitat aus: Hartmann Hinterhuber (2001) Die Seele. Natur- und
Kulturgeschichte von Psyche, Geist und Bewusstsein, Springer
Verlag: Wien New York, Seite 142.
Sigmund Freud (1891) Zur Auffassung der Aphasien
Zitat aus: Hartmann Hinterhuber (2001) Die Seele. Natur- und
Kulturgeschichte von Psyche, Geist und Bewusstsein, Springer
Verlag: Wien New York, Seite 142.
Freud zum Verhältnis von Geist und Gehirn
Freud zum Verhältnis von Geist und Gehirn
geht die physiologische Kette weiter, nur dass jedem
Glied der selben (oder einzelnen Gliedern) von einem
gewissen Moment an ein psychisches Phänomen
entspricht. Das Psychische ist somit ein
Parallelvorgang des Physiologischen.“
„Es scheint mir ebenso mutwillig, die Natur durchwegs
zu beseelen, wie sie radikal zu entgeistern. Lassen wir
ihr jedoch ihre großartige Mannigfaltigkeit, die vom
Unbelebten zum organischen Belebten, vom
Körperlichlebenden zum Seelischen aufsteigt. Gewiss
ist das Ubw die richtige Vermittlung zwischen dem
Körperlichen und dem Seelischen, vielleicht das
langentbehrte ‚missing-link‘.“
Sigmund Freud (1891) Zur Auffassung der Aphasien
Zitat aus: Hartmann Hinterhuber (2001) Die Seele. Natur- und
Kulturgeschichte von Psyche, Geist und Bewusstsein, Springer
Verlag: Wien New York, Seite 142.
Sigmund Freud – Zitat aus: H. Hinterhuber (2001) Seite 141 f.
Psychotherapie als Hermeneutik
Psychotherapie als Hermeneutik
Paul Ricœur – Freuds Werk stellt sich:
„Psychotherapie ist eine zirkuläre Wissenschaft,
hermeneutischen Art. Mit dem wesentlichen
Unterschied, daß das Ende des hermeneutischen Kreises
eine interpersonale Aktivität darstellt. Der
hermeneutische Zirkel endet gewaltsam, an einem
bestimmten Punkt.“
„von Anfang an als eine gemischte, sogar zwiespältige
Rede“ (...) dar, die (...) „bald Aussagen über – einer
Energetik unterworfene – Kräftekonflikte macht, bald
Aussagen über – einer Hermeneutik unterworfene –
Sinnbeziehungen.“
Paul Ricœur (1974) Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, übers. von Eva
Moldenhauer, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main, Seite 79.
Fritz Wallner (1996) Eine neue Ontologie für Psychotherapien. Zur Korrektur eines
epistemologischen Mißverständnisses, In: A. Pritz (Hg.) Psychotherapie – eine neue
Wissenschaft vom Menschen. Wien, New York: Springer.
Welche Wissenschaft?
Welche Wissenschaft?
Der Gegensatz von Natur und
Geisteswissenschaft beruht nach
Dilthey auf dem Unterschied von
Erklären und Verstehen.
Windelband unterschied zunächst
Mathematik und Philosophie als
rationale Wissenschaften von den
Erfahrungswissenschaften. Letztere
werden dann von ihm eingeteilt in die
nomothetischen Naturwissenschaften
und die ideographischen
Geisteswissenschaften.
Wilhelm Windelband
Die wissenschaftstheoretische
Unterscheidung zwischen
(* 1848 – † 1915)
nomothetischer u. ideographischer Neukantianismus
Forschung geht auf ihn zurück.
Methodendualismus
„Die Natur erklären wir, das
Seelenleben verstehen wir.“
Wilhelm Dilthey (1894) Ideen über eine
beschreibende und zergliedernde Psychologie,
In: Gesammelte Schriften, Bd. V
Naturwissenschaften
Wilhelm Dilthey
(* 1883 – † 1911)
Lebensphilosophie
Hermeneutik
Geisteswissenschaften
Naturwissenschaften
Geisteswissenschaften
Causa efficiens (Aristoteles) Causa finalis (Aristoteles)
Causa efficiens (Aristoteles) Causa finalis (Aristoteles)
Nomothetisch (Windelband) Ideographisch (Windelband)
Nomothetisch (Windelband) Ideographisch (Windelband)
Erklären (Dilthey)
Verstehen (Dilthey)
Erklären (Dilthey)
Verstehen (Dilthey)
Res Extensa (Descartes)
Res Cogitans (Descartes)
Res Extensa (Descartes)
Res Cogitans (Descartes)
Kategorien (Heidegger)
Existentialien (Heidegger)
Kategorien (Heidegger)
Existentialien (Heidegger)
3.-Person Perspektive
positivistischer Ansatz,
objektivierender Ansatz,
liegt der kategorialen
Diagnostik d. DSM-V u. d.
ICD-10 zugrunde. (T. Fuchs)
1.-Person Perspektive
subjektorientierter Ansatz,
auf Selbsterleben bezogen.
2.-Person Perspektive
intersubjektive Ansatz, DuPerspektive. (T. Fuchs)
3.-Person Perspektive
positivistischer Ansatz,
objektivierender Ansatz,
liegt der kategorialen
Diagnostik d. DSM-V u. d.
ICD-10 zugrunde. (T. Fuchs)
1.-Person Perspektive
subjektorientierter Ansatz,
auf Selbsterleben bezogen.
2.-Person Perspektive
intersubjektive Ansatz, DuPerspektive. (T. Fuchs)
GEMEINSAME TEXTLEKTÜRE
THOMAS FUCHS
Psychopathologie und Phänomenologie
In: 2/08 Spectrum Psychiatrie, M. Musalek (Hg.)
MedMedia Verlag: Wien 2008, S. 41-45
Thomas Fuchs: Body-Mind-Circulation
Psychotherapie als Wissenschaft
Psychotherapie als Wissenschaft
„In den meisten Ländern ist Psychotherapie bisher in
Medizin und Psychologie eingebunden. Die Verbindung der
Psychotherapie mit diesen Disziplinen entspricht einer
historisch gewachsenen Struktur, die sich mehr oder weniger
bewährt hat. Ungewöhnlich an dieser organisatorischen
Einbindung ist, dass eine wissenschaftliche Disziplin
ausschließlich im Rahmen von Nachbarfächern angesiedelt
ist. Diese folgen ihrer eigenen methodenbedingten
Gegenstandsbestimmung, die von der psychotherapeutischen
erheblich abweicht bis hin zu
Unvereinbarkeiten. ‚Fremdunterbringung‘ schafft ungünstige
Voraussetzungen für die Entwicklung einer Disziplin und hat
im Falle der Psychotherapiewissenschaft (PTW)
wahrscheinlich dazu beigetragen, dass sich das Fach noch
heute in einer vor-paradigmatischen Verfassung befindet.
(…) Unsere Ausführungen (…) haben schon verdeutlicht,
dass eine gründliche Beschäftigung mit Philosophie und mit
Themen, die andere sozial- und geisteswissenschaftliche
Fächer bearbeiten, wie etwa Soziologie, Pädagogik,
Semiotik und Kulturwissenschaften
Gottfried Fischer (2008) Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der
Psychotherapiewissenschaft, Asanger Verlag: Kröning, S. 40.
Gottfried Fischer (2008) Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der
Psychotherapiewissenschaft, Asanger Verlag: Kröning, S. 40.
Psychotherapie als Wissenschaft
Psychotherapie als Wissenschaft
für die PTW unverzichtbar ist. Die Medizin hat vor mehr als
100 Jahren das ‚Philosophikum‘ abgeschafft, die
Psychologie in Deutschland seit etwa drei Jahrzehnten.
Psychotherapie kann sich nicht in gleicher Weise von der
philosophischen Tradition trennen. Der Kern ihrer
Gegenstandsbestimmung und Methodik wurzelt in einer
Denktradition, die bis zu den platonischen Dialogen
zurückreicht.“
„Der Aufbau einer ‚Mutterdisziplin‘ PTW sollte also nicht zu
Lasten der psychotherapeutischen ‚Tochterdisziplinen‘
gehen, die in Medizin und Psychologie schon angesiedelt
sind. Der Aufbau der PTW beendet lediglich die im
Wissenschaftsraum durchaus ungewöhnliche Existenz von
Tochterdisziplinen ohne Mutterdisziplin. Die PTW bündelt
das in Medizin und Psychologie vorhandene
Erfahrungswissen und sorgt für den Transfer von
gesichertem psychotherapeutischem Wissen hin zu Medizin
und Psychologie, aber auch zu Pädagogik (…).“
Gottfried Fischer (2008) Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der
Psychotherapiewissenschaft, Asanger Verlag: Kröning, S. 40.
Gottfried Fischer (2008) Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der
Psychotherapiewissenschaft, Asanger Verlag: Kröning, S. 305 f.
Psychotherapie als Wissenschaft
Psychotherapie als Wissenschaft
„Um diese vielfältige Integrationsaufgabe leisten zu können,
muss die PTW auch in sich selbst integrativ gestaltet sein
und nicht nur Natur-, sondern auch Geistes- und
Kulturwissenschaften einbinden. Durch die bisherige
Zuordnung von Psychotherapie zu Medizin und
experimenteller Psychologie wurde in den letzten
Jahrzehnten eine naturwissenschaftliche Ausrichtung der
Psychotherapie übermäßig betont, wofür die
Verhaltenstherapie ein anschauliches Beispiel darstellt.
„In der vorliegenden Untersuchung wurden demgegenüber
vielfache Gründe angeführt, dass Psychotherapie wesentlich
als Kommunikationswissenschaft zu verstehen ist, die in
naturwissenschaftliche Bereiche zwar hineinreicht, ihrer
inneren Logik und Gegenstandsbestimmung nach jedoch
primär Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften verankert
ist.“
Gottfried Fischer (2008) Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der
Psychotherapiewissenschaft, Asanger Verlag: Kröning, S. 306.
Gottfried Fischer (2008) Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der
Psychotherapiewissenschaft, Asanger Verlag: Kröning, S. 306.
Psychotherapie als Wissenschaft
„Dem psychotherapeutischen Gegenstand sind in besonderer
Weise Methoden angemessen, die in den Geistes- und
Sozialwissenschaften entwickelt wurden. Dabei handelt es
sich insbesondere um Phänomenologie, Hermeneutik und
Dialektik.“
Gottfried Fischer (2008) Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der
Psychotherapiewissenschaft, Asanger Verlag: Kröning, S. 145.
Psychotherapie als Wissenschaft
„Das Verhältnis der Philosophie zur so genannten
positiven Wissenschaft lässt sich auf die Formel
bringen: Philosophie stellt diejenigen Fragen, die
nicht gestellt zu haben die Erfolgsbedingung des
wissenschaftlichen Verfahrens war.“
Carl Friedrich von Weizsäcker (1978): Deutlichkeit – Beiträge zu politischen
und religiösen Gegenwartsfragen, Deutscher Taschenbuchverlag, München.
Psychotherapie als Wissenschaft
Literaturwissenschaften (Beschreibung von suizidalen
Erfahrungen, Beschreibungen von Rauscherfahrungen …)
Filmwissenschaften (der Psychotherapeut im Film,
Psychopathologische Störungen im Film, Psychose im
Film, Sucht im Film, Cinematherapie ...)
Philosophie (Phänomenologie, Hermeneutik, Dialektik,
Ideologie-Kritik, Dekonstruktion, Rhetorik, Mäeutik ...)
Soziologie (Pathologien des Zeitgeistes, Kritik an der
Privatisierung von Störungen ...)
Ethnologie (kulturvergleichende Psychotherapie,
Krankheits- und Behandlungskonzepte anderer Kulturen)
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