Uralte Bäume – mehr als nur Holz und Laub

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Uralte Bäume – mehr
als nur Holz und Laub
Eine Linde aus
dem Mittelalter
Auf bis zu 900 Jahre schätzt der
Fotograf und Autor diese 35 Meter
hohe Linde, die in Kirchberg am
Wechsel zu finden ist. Mit ihrem
Alter passt sie perfekt in den mittelalterlichen Dorfkern der niederösterreichischen Marktgemeinde.
Dort steht sie neben einem Gasthof,
der den naheliegenden Namen „Zur
Tausendjährigen Linde“ trägt. Dessen
Keller musste man immer wieder
rückbauen, um dem massiven Stamm
und Wurzelwerk Platz einzuräumen.
Die Lindenkrone ragt über
die angrenzenden Dächer hinaus.
Geodaten: 47° 36’35,0“ N +
15° 59’025,0“ O, auf 570 m
Manchmal stehen sie ganz
alleine auf weiter Flur, ein
anderes Mal findet man sie
als Gruppe: uralte Bäume,
mächtig und unverkennbar.
„Baumpersönlichkeiten“,
wie Autor Conrad Amber
sagt. Er hat ein Buch
über sie geschrieben und
weiß, wo man sie findet
Hohl, aber
kerngesund
Esche mit Aussicht auf Appenzell
Fotos: Conrad Amber (3), Christoph Schöch
„Die Seele der Welt
liegt in der Natur“,
sagt Conrad Amber.
Mit seinen Bildern will
der Vorarlberger den
alten Baumriesen ein
Denkmal setzen
Obwohl diese Linde einen zweigeteilten und völlig hohlen Stamm hat,
„erfreut sie sich guter Gesundheit“,
so Conrad Amber. Ihre Krone ist
dicht und ausladend und reicht bis
in eine Höhe von etwa 18 Metern.
Sie wächst seit 500 bis 600 Jahren im
hügeligen Umland von Kempten im
Allgäu, genauer gesagt bei Prestlings.
Dort gibt es viele einzelne Höfe, die
verstreut im Tal liegen. Nicht weit
von der Linde liegt der Gissibelhof
am Marienbergweg. Steht man am
Stamm der Linde, kann man weit in
die Landschaft sehen und hier und
da weitere Gehöfte erkennen.
Geodaten: 47° 43’51,7“ N +
10° 16’24,0“ N, auf 850 m
Mit „nur“ 150 Jahren ist die Esche am Ortsrand von Appenzell
in der Schweiz einer der jüngsten Bäume, die Conrad Amber
für sein Buch fotografiert hat. Doch schon jetzt sind ihre Ausmaße beeindruckend: Sie ist etwa 25 Meter hoch und hat einen
ebenso großen Kronendurchmesser. Darunter steht eine Bank,
die zum Verweilen einlädt. Während die Blätter oben rauschen,
kann man von dem Standort am Mettlenweg am Fluss Sitter
auf die Stadt blicken.
Geodaten: 47° 20’10,0“ N + 09° 24’30,9“ O, auf 770 m
Land & Berge | 127
Uralte Zirben an
der Passstraße
Österreichs
wohl ältester
Berg-Ahorn
Einsam ist der alte Berg-Ahorn
auf keinen Fall: Viele Vögel haben
in seiner Krone ihre Schlafstätte,
und auf den Wiesen um seinen
Standort im Kleinwalsertal, in
Riezlern am Hörnlepass kurz vor
der Grenze zu Deutschland, weiden
Kühe und Pferde. Außerdem sind
da noch die vielen Moose und
Flechten, die seine Rinde bedecken,
sowie die hohen Brennnesseln rund
um seinen Stamm. Der BergAhorn, der als der älteste Österreichs gilt, ist 500 bis 600 Jahre alt
und hat eine Höhe von zwölf
Metern erreicht. Der Stamm ist
teils hohl, der Baum aber noch vital.
Geodaten: 47° 23’07,2“ N +
10° 11’08“ O, auf 1 180 m
Fotos: Conrad Amber (4), Kosmos-Verlag
Edelkastanie wehrt sich
Buche wächst über dem Comer See
Ein traumhaftes Plätzchen Erde hoch über dem Comer See hat sich
diese Buche als Lebensort ausgesucht. Man findet die 350 Jahre alte
Dame inmitten von „Jungspunden“ in einem vergleichsweise jungen
Buchenwald, wenn man vom Dorf Casargo aus dem Weg zur Alpe
Ortighera folgt. Obwohl ein Seitenstamm abgestorben ist, hat sie mit
6,6 Metern einen beachtlichen Umfang.
Geodaten: 46° 03’05,6“ N + 09° 22’32,3“ O, auf 1 300 m
128 | Land & Berge
„Der Lebenswille dieses Baumgreises scheint ungebrochen zu sein“, ist sich Conrad Amber sicher.
Denn die etwa 750 Jahre alte Edelkastanie ist vom
Pilz Castanea dentata befallen. Doch sie wehrt
sich! Das sieht man unter anderem am riesigen
und verschlungenen Stamm, der die unentwegten
Bemühungen der Pflanze zeigt, sich zu erneuern.
Die Kastanie steht auf einer Anhöhe am Ortsrand von Chironico im Schweizer Kanton Tessin.
Geodaten: 46° 25’26,2“ N + 08° 50’40,5“ O, auf 780 m
Insgesamt 15 betagte Zirben (Arven)
stehen im Tiroler Ötztal weit über
der Waldgrenze auf 2 200 Metern.
Die Riesen sind zwischen 500 und
700 Jahre alt und wachsen auf
dieser ungewöhnlichen Höhe
extrem langsam: „Pro Jahr manchmal nur um wenige Millimeter
oder zuweilen gar nicht“, so der
Baumliebhaber. An ihrem Standort
in Hochgurgl an der Passstraße
zum Timmelsjoch, in der Nähe
der Mautstelle, weiden oftmals
auch Schafe in ihrem Schatten.
Geodaten: 46° 54’15,7“ N +
11° 03’09,5“ O, auf 2 200 m
„Die Liebe zu Bäumen war schon immer da“
V
or fünf Jahren hat Conrad Amber seinen Beruf und
seinen bürgerlichen Namen aufgegeben und ist
seitdem gereist, von Kiel bis nach Mailand. Immer
auf der Suche nach uralten Bäumen. Für den österreichischen Autor und Fotografen sind sie nicht nur Holz,
sondern „echte Persönlichkeiten“, die Lebensgrundlage des
Menschen und Lebewesen, bei denen er sich wohlfühlt.
Herr Amber, Sie stellen in Ihrem Buch mehr als
100 Bäume vor. Wie haben Sie sie alle gefunden?
Zum einen tausche ich mich mit Dendrologen, also
Baumwissenschaftlern, in der Schweiz und in Deutschland
aus, die über Verzeichnisse und Archive verfügen. Von
ihnen erfahre ich immer wieder neue Baumstandorte. Dann
gibt es Forstämter und Naturschutzbehörden, bei denen ich
mich erkundige, bevor ich in die Region reise. Viele Infos
habe ich auch über Facebook bekommen von Menschen,
die mir Hinweise zu Bäumen in Regionen geben, die ich
nicht kenne. Und wenn ich auf Reisen bin, frage ich dort
weiter – bei Förstern, im Gasthaus oder beim Bürgermeister.
Ich hatte schon tolle Begegnungen und wurde zum Beispiel
mit dem Traktor auf eine Alpe gefahren oder Förster haben
mich mitgenommen. Die Menschen zeigen mir wunderbare
Bäume. Aber manchmal finde ich eben auch – nichts.
Wie meinen Sie das?
Letztens war ich in einem Tal im Piemont, in dem es noch
alte Buchenwälder gibt. Ich habe eine uralte Buche gesucht,
die dort stehen sollte. Sechs oder sieben Stunden bin ich
herumgelaufen, aber ich habe sie nicht gefunden. Das war
ein Abenteuer, schon allein weil ich später den Rückweg
durch den Wald wiederfinden musste. Am nächsten
Tag habe ich erfahren, dass die Buche bei einem Brand
gestorben ist. Leben entsteht und vergeht.
Warum haben Sie sich vor fünf Jahren entschieden
damit zu beginnen, Bäume zu fotografieren?
Die Liebe zu Bäumen war schon immer da. Ich habe
wissenschaftliche Werke über alte Bäume gelesen und dabei
gemerkt, dass die Texte eben sehr dendrologisch beschrieben
waren – eher emotionslos und schlecht fotografiert. Doch die
Bäume haben so eine Ausstrahlung, eine Wirkung und Kraft.
Was da an Geschichte und Überlebenskampf drinsteckt,
erfährt man erst, wenn man sie mehrere Stunden beobachtet,
sie mehrmals besucht, auch zu verschiedenen Jahreszeiten.
Ich habe immer mehr das Gefühl, dass Bäume mehr können,
als wir ihnen zutrauen. Manchmal reagieren sie nicht nur,
sondern agieren. Das will ich im Buch zeigen.
Die Bäume agieren?
Ja. Zum Beispiel kann man über längere Zeit beobachten,
wie sich ein Baum in Hanglage benimmt: Wenn er merkt,
dass Steinschläge oder Lawinen von oben kommen, baut er
eine dickere Rinde auf. Er verschiebt seine Krone oder die
Wurzeln, um die Statik zu verändert. Damit er überlebt. Es
ist spannend zu erleben, wie er lebendig handelt.
Sie sprechen in Ihrem Buch immer wieder von
„Baumpersönlichkeiten“.
Ja, ich sage auch selten, dass ein Baum irgendwo steht, sondern dass er dort lebt. Das soll uns zeigen, dass er nicht nur
Laub und Holz ist, sondern ein Lebewesen. Spannend sind
auch Waldverbünde, also Gruppen von vielen Bäumen. Es ist
zu beobachten, dass ein Baum, der sich eine Wuchsart zulegt,
die für diesen Standort optimal ist, ein Vorbild für seine
Nachkommen ist: Er hat eine sehr individuelle und persönliche Lösung entwickelt, und die
Nachkommen übernehmen die
bewährte Wuchsform von ihm.
In dem Bildband „Baumwelten
und ihre Geschichten“ beschreibt
Conrad Amber uralte Bäume
und Wälder. Kosmos-Verlag,
448 Seiten, 49,99 Euro
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