Analysis I - Vorlesungs-Script Prof. Dr. Camillo De Lellis HS 2010 - HS 2016 Mitschrift: Simon Hafner, Paolo Fortunati Inhaltsverzeichnis 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 1.1. Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Das Prinzip der vollständigen Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Binomialkoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. reellen Zahlen Die Körperstruktur . . . . . . . . . . . . . Die Anordnung von R . . . . . . . . . . . Die Vollständigkeit der reellen Zahlen . . . Supremumseigenschaft und Vollständigkeit Abzählbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 4 7 11 12 14 17 20 22 3. Die komplexen Zahlen 24 3.1. Definition der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Funktionen 4.1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Algebraische Operationen . . . . . . 4.3. Einige Beispiele wichtiger Funktionen 4.3.1. Die Exponentialfunktion . . . 4.3.2. Polynome . . . . . . . . . . . 5. Folgen 5.1. Konvergente Folgen . . . . . . . . . . 5.2. Rechenregeln für konvergente Folgen 5.3. Monotone Folgen . . . . . . . . . . . 5.4. Der Satz von Bolzano-Weierstrass . . 5.5. Das Konvergenzkriterium von Cauchy 5.6. Uneigentliche Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 29 30 32 32 33 . . . . . . 35 35 39 43 44 47 49 6. Reihen 50 6.1. Konvergenz der Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 6.2. Konvergenzkriterien für reelle Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6.3. Konvergenzkriterien für allgemeine (komplexe) Reihen . . . . . . . . . 54 i Inhaltsverzeichnis ii 6.4. Das Wurzel- und Quotientenkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6.5. Das Cauchy-Produkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 6.6. Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 7.1. Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Rechenregeln für stetige Funktionen . . . 7.3. Der Zwischenwertsatz . . . . . . . . . . . 7.4. Maxima und Minima stetiger Funktionen 7.5. Stetige Fortsetzung und Grenzwerte . . . 8. Die 8.1. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen Existenz und Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Exponentialfunktion auf der reellen Geraden . . . . . . . . Der natürliche Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere spezielle Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 63 66 68 69 72 . . . . . 76 76 83 84 88 93 9. Differentialrechnung 9.1. Die Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Die Sätze von Rolle und Lagrange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4. Anwendungen des Mittelwertsatzes: Der Schrankensatz und die Regel von L’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5. Differentiation einer Potenzreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6. Ableitungen höherer Ordnung und die Taylorreihe . . . . . . . . . . 9.7. Die Lagrange-Fehlerabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8. Konvexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 111 115 116 120 10.Integralrechnung 10.1. Treppenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2. Regelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 10.4. Integrationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5. Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6. Integration einer Potenzreihe . . . . . . . . . . . . . . 10.7. Integralformel für den Rest der Taylorenwicklung . . . . . . . . . 125 125 128 136 139 142 148 151 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 . 95 . 99 . 104 A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 154 A.1. Beweis des Satzes A.0.1: Teil I, die Dedekindschen Schnitte . . . . . . 156 A.2. Teil II: die Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Inhaltsverzeichnis A.3. A.4. A.5. A.6. A.7. A.8. A.9. Teill III: das Axiom von Archimedes Teil IV: die Supremumseigenschaft . Teil V: die Summe . . . . . . . . . . Teil VI: das Produkt . . . . . . . . . Teil VII: das Distributivgesetz . . . . Teil VIII: die Anordnungsaxiomen . . Teil IX: Q als geordneter Unterkörper iii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 157 158 160 161 162 162 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen Wir vereinbaren die folgenden Notationen der Prädikatenlogik: : bedeutet so dass gilt ∃ bedeutet es gibt mindestens ein ∃! bedeutet es gibt genau ein ∀ bedeutet für alle =⇒ bedeutet impliziert ⇐⇒ bedeutet genau dann, wenn 1.1. Mengen Eine Menge ist eine Gesamtheit von Einzeldingen, die als neues Objekt angesehen werden muss. Eine genaue Klärung des Mengenbegriffs bleibt der Logik überlassen. Ist M eine Menge, so führen wir die folgenden Bezeichnungen ein: a ∈ M, bedeutet a ist ein Element von M, a∈ / M, bedeutet a ist kein Element von M. Einerseits können wir Mengen durch die Auflistung ihrer Elemente definieren: M = {a, b, . . .} ist die Menge, die aus den Elementen a, b, . . . besteht. Andererseits können wir Mengen auch über Eigenschaften definieren: M = {a : a hat die Eigenschaft E} 1 Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 2 heisst “M ist die Menge aller Objekte a, die die Eingenschaft E haben”. Beispiel 1.1.1. Die Zahlen 0, 1, 2, . . . bilden eine Menge: die Menge der natürlichen Zahlen, Notation: N. Gehört n zu N, so auch n + 1. Beispiel 1.1.2. Mit Z wird die Menge Z = {x : x ∈ N oder − x ∈ N} bezeichnet; Z ist die Menge der ganzen Zahlen. Beispiel 1.1.3. Die Menge der Zahlen, die sich als Quotient ganzer Zahlen a/b mit b 6= 0 darstellen lassen, heisst die Menge der rationalen Zahlen; ihre Standardbezeichnung ist Q. Zwischen Mengen können Beziehungen bestehen, und es lassen sich Verknüpfungen zwischen ihnen erklären. (1) Gleichheit: Zwei Mengen A und B sind genau dann gleich, wenn sie dieselben Elementen enthalten, in Zeichen A = B. (2) Inklusion: A heisst “in B enthalten”, wenn gilt: x ∈ A =⇒ x ∈ B, in Zeichen A ⊂ B (oder B ⊃ A). Falls A ⊂ B ist, sagen wir auch, dass “A eine Teilmenge von B ist”. (3) Durchschnitt: Der Durchschnitt zweier Menge A und B ist die Menge A ∩ B := {x : x ∈ A und x ∈ B} . (4) Vereinigung: Die Vereinigung zweier Menge A und B ist die Menge A ∪ B := {x : x ∈ A oder x ∈ B} . (5) Differenz: Die Differenz von A und B ist die Menge A \ B := {x : x ∈ A und x 6∈ B} . Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 3 Die Differenzmenge wird auch mit A − B bezeichnet. (6) Die leere Menge: Das Symbol ∅ bezeichnet die Menge, die aus keinem Element besteht. Die leere Menge ist eine Teilmenge jeder Menge! Oft werden wir die Vereinigung oder den Durchschnitt verschiedener Mengen betrachten. Eine Familie von Mengen wird dann als {Ai }i∈I bezeichnet, wobei I eine beliebige Indexmenge ist, d.h. sie kann endlich, abzählbar oder überabzählbar sein; mehr dazu später. Falls die Indexmenge endlich ist, ∃n ∈ N, so dass I = {1, 2, . . . , n}. Dann ist n die Anzahl Mengen der Familie {Ai }i∈I . Die Vereinigung von Ai ist dann gegeben durch: [ Ai := {x : ∃i ∈ I mit x ∈ Ai }, i∈I d.h. die Menge der Elemente, die mindestens zu einer Menge Ai gehören. Der Durchschnitt ist wie folgt definiert: \ Ai := {x : x ∈ Ai ∀i ∈ I}, i∈I d.h. die Menge derjenigen Elemente, die zu allen Ai gehören. Wir listen nun die elementaren Eigenschaften der Mengenoperationen auf: 1. Eigenschaften der Inklusion: a) ∅ ⊂ M b) M ⊂ M , d.h. jede Menge ist eine Teilmenge von sich selbst c) (A ⊂ B und B ⊂ A) ⇐⇒ A = B d) (A ⊂ B und B ⊂ C) =⇒ A ⊂ C 2. Assoziativität: a) (A ∪ B) ∪ C = A ∪ (B ∪ C) b) (A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C) 3. Kommutativität: a) A ∪ B = B ∪ A Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 4 b) A ∩ B = B ∩ A 4. Distributivgesetze: a) A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C) b) A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) 1.2. Das Prinzip der vollständigen Induktion Zu jeder natürlichen Zahl n sei eine Aussage A(n) gegeben. Eine Strategie, um zu beweisen, dass diese Aussage für jede natürliche Zahl gilt, ist das Prinzip der vollständigen Induktion: Alle Aussagen A(n) sind richtig wenn man (I) und (II) beweisen kann: (I) A(0) ist wahr. (Induktionsanfang) (II) Für jede natürliche Zahl n, für die A(n) wahr ist, ist auch A(n + 1) wahr. (Induktionsschluss) Beispiel 1.2.1. Wir wollen die Identität A(n) : 0 + 1 + 2 + ... + n = n(n + 1) 2 für jedes n ∈ N zeigen. Wir beweisen obige Aussage mittels des Prinzips der vollständigen Induktion: (I) A(0) ist die Aussage 0 = 0, also ist A(0) wahr, d.h. wir haben den Induktionsanfang. (II) A(n) ist die Gleichung 0 + 1 + ... + n = n(n + 1) . 2 (1.1) Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 5 Nehmen wir an dass A(n) gilt, d.h. dass (1.1) richtig ist. Dann ist auch (0 + 1 + . . . + n) + n + 1 = n(n + 1) + (n + 1) . 2 (1.2) Die rechte Seite von (1.2) ist aber n(n + 1) n2 + n + 2n + 2 (n + 1)(n + 2) +n+1= = . 2 2 2 Mit (1.1) folgt die Identität 0 + 1 + . . . + n + (n + 1) = (n + 1)(n + 2) . 2 Dies ist gerade A(n + 1), d.h. es gilt, A(n) =⇒ A(n + 1). Der Induktionsschluss ist also wahr. Oft ist die Aussage A(n) nur für n grösser als eine bestimmte Grenze N richtig. In diesem Fall lautet das Prinzip der vollständige Induktion wie folgt: (I’) A(N ) ist wahr. (Induktionsanfang) (II’) A(n) =⇒ A(n + 1) für n ≥ N . (Induktionsschluss) Beispiel 1.2.2. Wir wollen die Ungleichung A(n) : 2n ≥ n2 für jedes n ∈ N gross genug zeigen. Es ist leicht zu sehen, dass A(4) wahr ist: A(4) : 24 = 16 = 42 . Nun wollen wir zeigen, dass A(n) =⇒ A(n + 1), wenn n ≥ 4. A(n) ist die Aussage 2n ≥ n2 . Aus dieser Ungleichung folgt 2n+1 = 2 · 2n ≥ 2n2 . Für n ≥ 1 gilt 2 3 (n + 1)2 1 = 1 + + ≤ 1 + . n2 n n2 n Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 6 Falls also n ≥ 4 ist, folgt, n+1 2 3 ≥ 2n ≥ 1 + n2 ≥ (n + 1)2 . n 2 Das heisst: A(n) =⇒ A(n + 1), falls n ≥ 4. Das beweist den Induktionsschluss (II’) mit N = 4. Bemerkung 1.2.3. Manchmal wird das Prinzip der vollständigen Induktion benutzt, um bestimmte Objekte zu definieren. Das geht wie folgt. Es soll jeder natürlichen Zahl n ein Element f (n) einer Menge X zugeordnet werden durch (I) die Angabe von f (0), (II) eine Vorschrift, die für jedes n ∈ N angibt, wie das Element f (n + 1) aus den Elementen f (0), . . . , f (n) berechnet wird. Ein solches Verfahren heisst rekursive Definition. Wenn f (n) eine Zahl ist, nennt man das Verfahren auch Rekursionsformel. Wie bei der vollständige Induktion kann auch eine rekursive Definition bei einer natürlichen Zahl N 6= 0 anfangen. Beispiel 1.2.4. Wir können die Potenz einer Zahl x durch die folgende Rekursionsformel definieren: • x1 = x; • xn+1 = x · xn . Bemerkung 1.2.5. Für x 6= 0 gilt die Konvention x0 = 1. Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 7 1.3. Binomialkoeffizienten Definition 1.3.1. Für jede positive natürliche Zahl definiert man n!, sprich n-Fakultät, durch n! := 1 · 2 · · · n. Für 0 gilt die Konvention 0! = 1. Die Fakultät spielt eine wichtige Rolle in der Kombinatorik, wie folgendes Beispiel zeigt: Lemma 1.3.2. Die Anzahl aller Anordnungen n verschiedener Elemente ist n!. Beweis. Wir beweisen dieses Lemma mit dem Prinzip der vollständigen Induktion. Für n = 1 ist die Aussage trivial. Wir nehmen nun an, dass die Aussage für eine bestimmte natürliche Zahl n ≥ 1 gilt. Wir wollen nun die Anzahl Anordnungen einer Menge A mit n + 1 verschiedenen Elementen a1 , . . . an+1 bestimmen. Um die Elemente zu ordnen, wählen wir zuerst das erste Element: dafür haben wir n + 1 Möglichkeiten. Es bleibt die Anordnung der anderen n Elementen zu entscheiden, dafür gibt es n! Möglichkeiten. Also haben wir (n + 1) · n! mögliche Anordnungen für die Elemente von A und die sind genau (n + 1)!, da (n + 1) · n! = (n + 1)! ist. Definition 1.3.3. Sei m1 , . . . , mn die Anordnung einer Menge M . Eine Permutation der Elementen m1 , . . . , mn ist eine neue Anordnung der Elemente von M . Wir können also das Lemma 1.3.2 auch so formulieren: Lemma 1.3.4. Die Anzahl der Permutationen n verschiedener Elemente ist n!. Wir werden nun den folgenden Satz beweisen. Satz 1.3.5. Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer nicht leeren Menge mit n Elementen Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 8 ist für 0 < k ≤ n: n(n − 1) · . . . · (n − k + 1) n! = . k! (n − k)!k! (1.3) Definition 1.3.6. Für alle n ≥ k ∈ N definieren wir den Binomialkoeffizienten wie folgt: n n! := . k (n − k)!k! Beweis von Lemma 1.3.5. Sei M eine Menge mit n Elementen und m1 , . . . , mn eine entsprechende Anordnung. Die Anzahl möglicher Anordnungen von k geordneten Elementen ist dann n(n − 1) · . . . · (n − k + 1). (Wir wählen zuerst das erste Element: dafür haben wir n Möglichkeiten, dann wählen wir das zweite Element aus den verbleibenden Elementen, d.h. wir haben n − 1 Möglichkeiten, etc.) Für jede Wahl dieser k Elemente gibt es eine Teilmenge A ⊂ M die aus diesen Elementen besteht. Aber jede solche Teilmenge wird dann k! Mal gewählt, d.h. so oft wie die Anzahl der Permutationen ihrer Elemente. Deshalb ist die Anzahl der Teilmengen mit k Elementen gegeben durch n(n − 1) · . . . · (n − k + 1) . k! Eine sehr wichtige Anwendung der Binomialkoeffizienten ist die Binomialentwicklung oder Newtonsche Formel. Satz 1.3.7. Für jeden Exponenten n ∈ N \ {0} gilt n n (1 + x) = 1 + x + ... + xn−1 + xn . 1 n−1 n (1.4) Bemerkung 1.3.8. Obige Formel werden wir später auch für reelle oder komplexe Zahl x definieren. Definition 1.3.9. Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen 9 Seien k, m ∈ N mit k ≤ m und sei ak , ak+1 , . . . , am eine Famile von Zahlen. Dann schreiben wir für die Summe ak + ak+1 + . . . + am : m X aj j=k und für das Produkt ak · ak+1 · . . . · am : m Y aj . j=k Mit dieser neuen Notation können wir die Identität (1.4) wie folgt formulieren: n X n j (1 + x) = x, j j=0 n mit der Konvention x0 = 1. Beweis von Satz 1.3.7. Wir schreiben (1 + x)n = (1 + x) · (1 + x) · . . . · (1 + x) {z } | n Faktoren. Es gibt nj Möglichkeiten, j Klammern aus den n Klammern (1+x) der rechten Seite auszuwählen und daraus dann x als Faktor herauszuziehen. Beim Ausmultiplizieren des rechts stehenden Produktes entsteht also nj -mal die Potenz xj . Bemerkung 1.3.10. Eine sehr wichtige Rekursionsformel für die Binomialkoeffizienten ist die folgende Identität: n+1 n n = + (1.5) k+1 k k+1 Kapitel 1. Grundbegriffe: Mengen und die natürliche Zahlen Diese Identität ist leicht zu beweisen, da n n n(n − 1) · · · (n − k + 1) n(n − 1) · · · (n − k) + = + k k+1 k! k!(k + 1) n(n − 1) · · · (n − k + 1)(k + 1 + n − k) = (k + 1)! (n + 1)n · · · (n + 1 − k) n+1 = . = (k + 1)! k+1 10 2. Die reellen Zahlen Es gibt Operationen, die wir in Q nicht durchführen können: zum Beispiel das Wurzelziehen. Satz 2.0.1. Es gibt kein q ∈ Q, so dass q 2 = 2. Beweis durch Widerspruch. Wir nehmen das Gegenteil an und zeigen, dass dies zu einem Widerspruch führt. Sei also q ∈ Q mit q 2 = 2. Falls q < 0, wählen wir −q. ((−q)2 = q 2 = 2). D.h. wir können oBdA annehmen, dass q > 0. Wir schreiben q= m mit m, n ∈ N \ {0} teilerfremd (d.h. falls r ∈ N m und n dividiert, dann ist n r = 1). Wir haben also m2 = 2n2 =⇒ m ist gerade =⇒ m = 2k für ein k ∈ N 4k 2 = 2n2 =⇒ n ist gerade =⇒ (2 dividiert n), d.h. 2 dividiert m und n. Dies ist aber ein Widerspruch zur angenommenen Teilerfremdheit von m und n. Es gibt also keine Zahl q ∈ Q mit q 2 = 2. Es ist aber möglich, beliebig genaue Approximationen der Wurzel von 2 zu finden. Intuitiv ist der Grenzwert dieser Approximationen eine neue Zahl: die Wurzel von 2: √ 2 = 1, 414 · · · 11 Kapitel 2. Die reellen Zahlen 12 Intuitiv: 1, 42 <2 <1, 52 1, 412 <2 <1, 422 1, 4142 <2 <1, 4152 1, 4 =⇒ 1, 41 1, 414 √ < 2 √ < 2 √ < 2 <1, 5 <1, 42 <1, 415. Da diese neue Zahl kein Element von Q ist, hat Q “dort ein Loch”. Mit diesem Verfahren kann man eine neue Menge von Zahlen einführen, die die rationalen Zahlen als Teilmenge enthält, aber keine “Löcher” hat. Diese neue Menge heisst die Menge der reellen Zahlen, die mit R bezeichnet wird. Konstruktion: Die reellen Zahlen kann man “konstruieren” so dass Q ⊂ R. Meistens wird dazu eine der folgenden zwei Methoden benutzt: die Dedekindsche Schnitte, dazu siehe den Anhang dieses Skriptes, oder Kapitel I.10 in H. Amann, J. Escher Analysis I, oder Kapitel 1.8 in W. Rudin Principle of Mathematical Analysis, oder die Cantorsche “Vervollständigung” von Q, dazu siehe I. Stewart Introduction to metic and topological spaces. In diesem Kapitel werden wir jedoch auf die Konstruktion der reellen Zahlen verzichten und ihre Existenz einfach annehmen. Als nächstes beschäftigen wir uns mit den wichtigsten Eigenschaften von R: i) die Köperaxiome (K1) – (K4), ii) die Anordnungsaxiome (A1) – (A3), iii) das Vollständigkeitsaxiom (V). 2.1. Die Körperstruktur In R gibt es zwei wichtige Operationen: die Summe und das Produkt, die die folgenden Regeln erfüllen: Kapitel 2. Die reellen Zahlen 13 (K1) Kommutativgesetz a+b=b+a a·b=b·a (K2) Assoziativgesetz (a + b) + c = a + (b + c) (a · b) · c = a · (b · c) (K3) Distributivgesetz (a + b) · c = a · c + b · c (K4) Die Lösungen x folgender Gleichungen existieren: ∀a, b ∈ R ∀a, b ∈ R, a 6= 0, a+x=b a·x=b wobei 0 das neutrale Element der Addition ist, d.h. die Lösung der Gleichung 0 + x = x. Bemerkung 2.1.1. Da wir annehmen, dass Q ⊂ R, ist R nicht leer. Sei x ∈ R ein beliebiges Element. Dann ∃ mindestens ein Element 0, so dass 0 + x = x ist. Dieses spezielle Element hat die Eigenschaft, dass 0 + y = y für jedes y (nutze (K4), um ein z zu finden, so dass y = x + z. Dann gilt (K4) 0 + y = 0 + (x + z) = (0 + x) + z = x + z = y). Ausserdem ist 0 eindeutig: wäre 00 ein weiteres neutrales Element der Addition, dann ist 0 + 00 = 00 , aber auch (K1) 0 + 00 = 00 + 0 = 0, Kapitel 2. Die reellen Zahlen 14 d.h. das neutrale Element der Addition ist die rationale Zahl 0. Mit dem gleichen Argument zeigt man die Existenz eines eindeutigen Elements 1 mit der Eigenschaft, dass 1 · x = x · 1 = x für alle x ∈ R. Auch hier sehen wir, dass das neutrale Element der Multiplikation die rationale Zahl 1 ist. Es ist aber auch möglich, die Zahl −x als Lösung der Gleichung (−x) + x = 0 und die Zahl x1 als Lösung der Gleichung x1 · x = 1 einzuführen, falls x 6= 0 ist. 0 hat auch den Eigenschaft dass 0 · x = 0 für jede Zahl x ∈ R. In der Tat, 0 = (K1) = (K3) x + (−x) = x · 1 + (−x) = x · (1 + 0) − x = (x · 1 + x · 0) − x (K2) ((x · 0) + x) + (−x) = (x · 0) + (x + (−x)) = (x · 0) + 0 = x · 0 . Fortan werden wir x − y statt x + (−y) und x y statt 1 x · y schreiben. 2.2. Die Anordnung von R Auf R haben wir eine Ordnungrelation > (d.h. a > b und b > c impliziert a > c, die sogenannte Transitivitäteigenschaft), so dass (A1) Positive und negative Zahlen: ∀a ∈ R gilt genau eine der drei Relationen: (i) a < 0 (ii) a = 0 (iii) a > 0. (A2) Falls a > c und b ∈ R, dann ist a + b > c + b; falls a > 0 und b > 0, dann ist a · b > 0. Bemerkung 2.2.1. Seien a, b ∈ R. Aus (A1) schliessen wir dass genau ein der drei folgenden Relationen gilt: a − b < 0, a − b = 0, a − b > 0. Aus (A2) folgern wir dass ein der drei Relationen a < b, a = b, a > b gilt. Wenn a > 0 und b > 0, dann a + b > b (aus (A2)) und, aus der transitivitäteigenschaft folgt a + b > 0. Kapitel 2. Die reellen Zahlen 15 Bemerkung 2.2.2. Wir bemerken, dass 0 = a · (1 − 1) = a + a · (−1). Also ist (−1) · a = −a und (−1) · (−1) = −(−1) = 1. Sei nun a > 0. Da −a 6= 0. Folgt aus (A1): entweder ist −a < 0 oder −a > 0. Die zweite Möglichkeit zusammen mit (A2) impliziert, dass 0 = a + (−a) > 0, was im Widerspruch zu (A2) steht. Es muss also −a < 0 sein. Ferner bemerken wir, dass falls a < 0 und b < 0, dann ist −a > 0, −b > 0 und es gilt (A2) a · b = a · (−1) · (−1) · b = (−a) · (−b) > 0. Definition 2.2.3. Wir schreiben b > a (bzw. b < a) falls b − a > 0 (bzw. falls b − a < 0). Bemerkung 2.2.4. Mit obigen Argumenten folgt, dass a > b ⇐⇒ b < a. Die üblichen Regeln für die Relationen > und < im Zusammenhang mit den Verknüpfungen “+” und “·” folgen aus (A1) und (A2). Nun können wir das Axiom von Archimedes formulieren: (A3) Archimedisches Axiom: ∀a ∈ R ∃n ∈ N mit n > a. Satz 2.2.5 (Bernoullische Ungleichung). ∀x > −1, x 6= 0 und ∀n ∈ N \ {0, 1} gilt: (1 + x)n > (1 + nx) Beweis mit vollständiger Induktion. Induktionsanfang: (1 + x)2 = 1 + 2x + |{z} x2 > 1 + 2x, >0 da x 6= 0. Induktionsschritt: Wir nehmen an, dass n ≥ 2 und (1 + x)n > 1 + nx ∀x > −1 mit x 6= 0. Kapitel 2. Die reellen Zahlen 16 Deshalb sei x > −1 und x 6= 0, dann gilt: (1 + x)n+1 > (1 + nx)(1 + x) = 1 + nx + x + nx2 = 1 + (n + 1)x + |{z} nx2 > 1 + (n + 1)x >0 =⇒ (1 + x) n+1 > 1 + (n + 1)x. Definition 2.2.6. Für a ∈ R definieren wir den Betrag (oder Absolutbetrag) von a wie folgt: |a| := a, falls a ≥ 0 −a, falls a < 0 Bemerkung 2.2.7. Es gilt also: |x| = max {−x, x}. Satz 2.2.8. Der Betrag hat die folgenden Eigenschaften: (i) |ab| = |a||b| (ii) |a + b| ≤ |a| + |b| (Dreiecksungleichung) (iii) ||a| − |b|| ≤ |a − b| (umgekehrte Dreiecksungleichung) Beweis. (i) ist trivial. (ii) Es gilt a + b ≤ |a| + |b| (da x ≤ |x| ∀x ∈ R und Gleichheit gilt genau dann, wenn x ≥ 0). Andererseits Kapitel 2. Die reellen Zahlen 17 haben wir −(a + b) = −a − b ≤ |−a| + |−b| = |a| + |b| und |a + b| = max {a + b, −(a + b)} ≤ |a| + |b|. (iii) Es gilt, |a| = |(a − b) + b| ≤ |a − b| + |b| =⇒ |a| − |b| ≤ |a − b| (2.1) |b| = |a + (b − a)| ≤ |a| + |b − a| =⇒ |b| − |a| ≤ |b − a| = |a − b| (2.2) und somit (2.1),(2.2) ||a| − |b|| = max {|a| − |b|, − (|a| − |b|)} ≤ |a − b|. 2.3. Die Vollständigkeit der reellen Zahlen Definition 2.3.1. Für a < b, a, b ∈ R, heisst: a) [a, b] = {x ∈ R : a ≤ x ≤ b} abgeschlossenes Intervall, b) ]a, b[ = {x ∈ R : a < x < b} offenes Intervall, c) [a, b[ = {x ∈ R : a ≤ x < b} (nach rechts) halboffenes Intervall d) ]a, b] = {x ∈ R : a < x ≤ b} (nach links) halboffenes Intervall Sei I = [a, b] (bzw. ]a, b[, [a, b[ oder ]a, b]). Dann nennt man a, b die Randpunkte von I. Die Zahl |I| = b − a ist die Länge von I, wobei b − a > 0 ist. Kapitel 2. Die reellen Zahlen 18 Definition 2.3.2. Eine Intervallschachtelung ist eine Folge von abgeschlossenen Intervallen I1 , I2 , . . . (kurz (In )n∈N oder (In )) mit folgenden Eigenschaften: (I1) In+1 ⊂ In ∀n ∈ N, (I2) ∀ε > 0 gibt es ein Intervall In , so dass |In | < ε. Beispiel 2.3.3. √ 2 1, 42 < 2< 1, 412 < 2< 1, 4142 < .. . .. . 2< 1, 52 1, 422 =⇒ 1, 4152 I1 = [1, 4/1, 5] |I1 | = 0.1 I2 = [1, 41/1, 42] |I2 | = 0.01 I3 = [1, 414, 1, 415] |I2 | = 0.001 In = . . . Offensichtlich sind (I1) und (I2) erfüllt. Axiom 2.3.4. Zu jeder Intervallschachtelung (In )n∈N gibt es eine Zahl x ∈ R, die zu allen Intervallen In gehört. Satz 2.3.5. Die Zahl x ist eindeutig. Beweis durch Widerspruch. Sei (In ) eine Intervallschachtelung. Wir nehmen an, dass ∃α < β, so dass α, β ∈ In für alle n ∈ N. Dann ist |In | ≥ |β − α| > a, was ein Widerspruch ist. Satz 2.3.6. ∀a ∈ R mit a ≥ 0 und ∀k ∈ N \ {0} gilt, ∃!x ∈ R mit x ≥ 0 und xk = a. Wir √ 1 schreiben x = k a = a k . Bemerkung 2.3.7. Sei a > 0 und m, n ∈ N. Dann ist am+n = am an . Wir definieren a−m := 1 am für Kapitel 2. Die reellen Zahlen 19 m ∈ N. (so dass die Gleichung am−m = a0 = 1 wahr ist). Wir haben dann die folgende Eigenschaft: aj+k = aj · ak ∀j, k ∈ Z. Für m, n ∈ N haben wir aber auch z n-mal }| { m n m m m m + · · · + m (a ) = a = anm . | · a{z· · · a } = a n-mal (Und mit a−m = a1m stimmt die Regel (am )n = amn auch ∀m, n ∈ Z!). Diese Glei√ 1 chung motiviert die Notation a k für k a. Definition 2.3.8. √ m ∀q = m ∈ Q, ∀a > 0 setzen wir aq := ( n a) n Bemerkung 2.3.9. Es ist leicht zu sehen, dass die Gleichungen aq+r = aq · ar und aqr = (aq )r für alle q, r ∈ Q gelten. Beweis von Satz 2.3.6. OBdA sei a > 1 (sonst betrachte a1 ). Wir konstruieren nun eine Intervallschachtelung (In ) mit In = [αn , βn ], so dass αnk ≤ a ≤ βnk ∀n ∈ N. Wir setzen I1 := [1, a], ( In+1 = n αn , αn +β , falls a ≤ αn +βn 2 , βn , falls a > 2 αn +βn k 2 αn +βn k 2 . 1 Dann ist |In | = 2n−1 |I1 | und In+1 ⊂ In ∀n ∈ N. Mit dem Intervallschachtelungsprinzip folgt nun, ∃!x ∈ R, so dass x ∈ In ∀n ∈ N. Wir behaupten nun, dass xk = a ist. Dazu setzen wir Jn := [αnk , βnk ] und zeigen, dass Jn eine Intervallschachtelung ist: (I1) Jn+1 ⊂ Jn ∀n ∈ N, da In+1 ⊂ In ∀n ∈ N Kapitel 2. Die reellen Zahlen 20 (I2) Es ist |Jn | = βnk − αnk = (βn − αn ) (βnk−1 + βnk−2 αn + · · · + αnk−1 ) . {z } | {z } | |In | ≤kβ1k−1 Also ist |Jn | ≤ |In |kβ1k−1 . Sei nun ε > 0 gegeben. Wir wählen N gross genug, so dass |In | ≤ ε0 = ε =⇒ |Jn | ≤ ε0 kβ1k−1 = ε. kβ1k−1 D.h. (Jn ) ist tatsächlich eine Intervallschachtelung. Einerseits gilt nun x ∈ [αn , βn ] =⇒ xk ∈ αnk , βnk = Jn und andererseits a ∈ Jn ∀n ∈ N. Mit Satz 2.3.5 folgt nun a = xk . 2.4. Supremumseigenschaft und Vollständigkeit Definition 2.4.1. s ∈ R heisst obere (bzw. untere) Schranke der Menge M ⊂ R, falls s ≥ x (bzw. s ≤ x) ∀x ∈ M . Definition 2.4.2. s ∈ R heisst das Supremum der Menge M ⊂ R (Notation: s = sup M ), falls s die kleinste obere Schranke für M ist. D.h. (i) s ist eine obere Schranke für M und (ii) jede Zahl s0 < s ist keine obere Schranke für M . Beispiel 2.4.3. Sei M =]0, 1[. Dann ist sup M = 1 6∈ M . D.h. das Supremum einer Menge M muss nicht zwingend ein Element von M sein. Falls aber M = [0, 1], dann ist sup M = 1 ∈ M. Kapitel 2. Die reellen Zahlen 21 Definition 2.4.4. s ∈ R heisst das Infimum einer Menge M (Notation: s = inf M ), falls s die grösste untere Schranke von M ist. Definition 2.4.5. Falls s = sup M ∈ M , dann nennt man s das Maximum von M . Notation: s = max M . Analog wird das Minimum definiert. Satz 2.4.6 (Supremumseigenschaft von R). Falls M ⊂ R nach oben (bzw. unten) beschränkt und nicht leer ist, dann existiert sup M (bzw. inf M ). Beweis. Wir konstruieren eine Intervallschachtelung (In ), so dass alle bn obere Schranken für M und alle an keine oberen Schranken sind. Wir wählen zuerst eine obere Schranke b0 (die existiert, weil M nach oben beschränkt ist). Als nächstes wählen wir ein Element x ∈ M und setzten a0 = x − 1. Wir setzen dann I0 := [a0 , b0 ] und definieren In induktiv: Sei In gegeben. Dann definieren wir In+1 a , an +bn , falls an +bn eine obere Schranke ist n 2 2 := an +bn , b , sonst. n 2 Nun ist die Folge (In ) ist eine Intervallschachtelung, weil bn − an = (b0 − a0 )2−n und In+1 ⊂ In ist. Also ∃!s, so dass s ∈ In ∀n ∈ N. Wir behaupten nun, dass s das Supremum von M ist: (i) s ist eine obere Schranke: angenommen ∃x ∈ M , so dass x > s. Dann wählen wir ein In mit |In | < x − s. Daraus folgt x − s > bn − an ≥ bn − s =⇒ x > bn , das ist aber ein Widerspruch, da die bn obere Schranken für M sind. (ii) s ist die kleinste obere Schranke: wenn nicht, dann ∃s0 < s, das auch eine obere Schranke ist. Wir wählen dann n0 ∈ N, so dass |In0 | < s − s0 . Damit folgt aber s − s0 > bn0 − an0 ≥ s − an0 =⇒ an0 > s0 , Kapitel 2. Die reellen Zahlen 22 das ist aber ein Widerspruch, da an0 keine obere Schranke für M ist. Lemma 2.4.7. Jede nach oben (bzw. nach unten) beschränkte Menge M ⊂ Z mit M 6= ∅ besitzt ein grösstes (bzw. kleinstes) Element. Beweis durch Widerspruch. OBdA betrachten wir nur eine nach unten beschränkte Menge M ⊂ N. Angenommen M hat kein kleinstes Element. Mit dem Prinzip der vollständigen Induktion beweisen wir, dass dann M = ∅. (i) 0 6∈ M , sonst ist 0 das kleinste Element; (ii) Angenommen, dass {0, 1, . . . , k}∩M = ∅, dann ist auch {0, 1, . . . , k +1}∩M = ∅, sonst wäre k + 1 das kleinste Element von M . Aus dem Prinzip der vollständigen Induktion folgt: {0, . . . , n} ∩ M = ∅ ∀n ∈ N, d.h. M ∩ N = ∅; ein Widerspruch zur Annahme, dass M nicht leer ist. Satz 2.4.8. Q ist dicht in R, d.h. für zwei beliebige Zahlen x, y ∈ R mit y > x, gibt es eine rationale Zahl q ∈ Q, so dass x < q < y. Beweis. Wir wählen ein n ∈ N, so dass n1 < y − x. Betrachte die Menge A ⊆ Z, so dass M ∈ A =⇒ M > nx. Mit Lemma 2.4.7 folgt ∃m = min A. Dann gilt x< d.h. wir können q = m n m−1 1 m = + < x + y − x = y, n n n und die Behauptung ist bewiesen. 2.5. Abzählbarkeit Definition 2.5.1. Die Mengen A und B heissen gleichmächtig, wenn es eine Bijektion f : A → B gibt. D.h. es gibt eine Vorschrift f , so dass Kapitel 2. Die reellen Zahlen 23 (i) f ordnet jedem Element a ∈ b ein Element b ∈ B zu; dieses Element wird mit f (a) bezeichnet; (ii) f (a) 6= f (b), falls a 6= b, (iii) ∀b ∈ B: ∃a ∈ A mit b = f (a). (f ist eine bijektive Abbildung; siehe Kapitel 4). Ferner sagen wir, B habe eine grössere Mächtigkeit als A, wenn zwar A zu einer Teilmenge von B gleichmächtig ist, B aber zu keiner Teilmenge von A. Beispiel 2.5.2.1) Die Mengen {1, 2} und {3, 4} sind gleichmächtig. 2) {1, 2, · · · , n} hat kleinere Mächtigkeit als {1, 2, · · · , m}, wenn n < m ist. Definition 2.5.3. Eine Menge A heisst abzählbar, wenn es eine Bijektion zwischen N und A gibt. D.h. A kann aufgelistet werden: A = {a1 , a2 , · · · , an , · · · }. Lemma 2.5.4. Z ist abzählbar. N 1 2 Z 0 1 f : N → Z durch Beweis. 3 4 -1 2 5 -2 f (n) := ... ... Formal definieren wir die gesuchte Bijektion n, wenn n gerade 1−n , wenn n ungerade. 2 2 Satz 2.5.5. Q ist abzählbar. Satz 2.5.6. R ist nicht abzählbar. (Für die Beweise siehe Kapitel 2.4 von K. Königsberger Analysis I). 3. Die komplexen Zahlen Bemerkung 3.0.1. ∀a ∈ R: a2 > 0, d.h. die Gleichung x2 = −1 ist in R nicht lösbar. Die Einführung der imaginären Einheit i (die imaginäre Zahl mit i2 = −1) hat sehr interessante Konsequenzen, auch für die reellen Zahlen. 3.1. Definition der komplexen Zahlen Definition 3.1.1 (1. Definition der komplexen Zahlen). Seien a, b ∈ R, dann ist a + bi ∈ C. Wir definieren die Summe wie folgt: (a + bi) + (α + βi) = (a + α) + (b + β)i und das Produkt: (a + bi)(α + βi) = (aα − bβ) + (aβ + bα) i. | {z } :=A Definition 3.1.2. Seien A und B zwei Mengen. Dann heisst A × B das kartesische Produkt oder Kreuzprodukt von A und B, d.h. die Menge der Paare (a, b) mit a ∈ A und b ∈ B. Definition 3.1.3 (2. Definition der komplexen Zahlen). C = R × R mit den Verknüpfungen “+” und “·”, die wir folgt definieren: (a, b) + (α, β) = (a + α, b + β) (a, b)(α, β) = (aα − bβ, aβ + bα). | {z } =A 24 Kapitel 3. Die komplexen Zahlen 25 Bemerkung 3.1.4. Es gilt R ' {(a, 0), a ∈ R} ⊂ C, d.h. (in der Sprache der abstrakten Algebra) dass R isomorph zu R0 := {(a, 0) : a ∈ R} ist, das bedeutet, dass die Summe und das Produkt in R und R0 “gleich” sind: (a, 0) + (α, 0) = (a + α, 0) (a, 0)(α, 0) = (aα, 0) Deshalb schreiben wir a statt (a, 0). Bemerkung 3.1.5. Es ist (0, a)(0, b) = (−ab, 0) und daher (0, 1) | {z } (0, 1) = (−1, 0) Wurzel von -1 (0, −1) | {z } (0, −1) = (−1, 0). auch eine Wurzel von -1 Bemerkung 3.1.6. Es ist i = (0, 1) und wir schreiben (a, b) für a + bi. D.h. die zwei Definitionen der komplexen Zahlen sind äquivalent. Bemerkung 3.1.7. Das neutrale Element der Addition und das Annulierungselement der Multiplikation ist 0 = (0, 0) = 0 + 0i, d.h. es gilt für ξ ∈ C: 0 + ξ = ξ und 0 · ξ = 0. Satz 3.1.8. Die Körperaxiome (K1)-(K4) gelten auch für C. Beweis. (K1) Kommultativität: trivial (K2) Assoziativität: trivial (K3) Distributivität: trivial. Kapitel 3. Die komplexen Zahlen 26 (K4) Seien ξ, ζ ∈ C. ∃ω ∈ C : ξ= 6 0, dann ∃ω : ξ+ω =ζ ξω = ζ. (3.1) (3.2) Zu (3.1): Wir setzen ξ := a + bi, ζ := c + di, ω := x + yi. Dann ist ξ + ω = (a + x) + (b + y)i = ξ = c + di. Sei nun x := c − a, y := d − b. Dann gilt, ξ + ω = ζ. Zu (3.2): 1 ( = 1 + 0i)) ist das neutrale Element, denn (a + bi)(1 + 0i) = (a1 − b0) + (b1 + a0) = (a + bi). | {z } | {z } =a =b Sei ξ 6= 0. Wir suchen ein α, so dass ξα = 1. Dann ist ω = αζ eine Lösung von (3.2) (eigentlich die Lösung). Falls ξ = a + bi, dann ist α= b a − . a2 + b 2 a2 + b 2 Tatsächlich haben wir also b(−b) a(−b) ab aa − + − i = 1. ξα = a2 + b 2 a2 + b 2 a2 + b 2 a2 + b 2 | {z } | {z } =1 =0 Definition 3.1.9. Sei ξ = (x + yi) ∈ C. Dann heisst a) x der Realteil von ξ (Notation: Re ξ = x), b) y der Imaginärteil von ξ (Notation: Im ξ = y), c) x − yi die konjugierte Zahl (Notation: ξ = x − yi). Kapitel 3. Die komplexen Zahlen Bemerkung 3.1.10. Es ist q 27 q ξξ = (Re ξ)2 + (Im ξ)2 =: |ξ|. Definition 3.1.11. |ξ| heisst der Betrag oder Absolutbetrag von ξ. Satz 3.1.12. ∀a, b ∈ C gilt: (i) a + b = a + b, (ii) ab = ab, (iii) Re a = a+a , 2 (iv) (Im a)i = a−a , 2 (v) a = a genau dann, wenn a ∈ R, (vi) aa = |a|2 = (Re a)2 + (Im a)2 ≥ 0 und Gleicheit gilt genau dann, wenn a = 0. Beweis. Übung. Bemerkung 3.1.13. Sei ω ∈ C, so dass ξω = 1 (ξ 6= 0). Wir schreiben ω = 1ξ . Der Beweis von Satz 3.1.8 liefert die Identität 1 ξ = ξ . |ξ|2 Satz 3.1.14. ∀a, b ∈ C gilt: (i) |a| > 0 für a 6= 0, (ii) |a| = |a|, (iii) |Re a| ≤ |a|, |Im a| ≤ |a|, (iv) |ab| = |a||b|, (v) |a + b| ≤ |a| + |b|. Kapitel 3. Die komplexen Zahlen 28 Beweis. Die Aussagen (i) - (iii) sind trivial. Zu (iv): Betrachte |ab|2 = (ab)(ab) = abab = aabb = |a|2 |b|2 =⇒ |ab| = |a||b|. Zu (v): Es ist |a + b|2 = (a + b)(a + b) = (a + b)(a + b) = aa + bb + ab + ba | {z } ∈R = |a|2 + |b|2 + ab + ba . | {z } (3.3) ∈R Aus der letzten Identität folgt, dass ab + ba ∈ R: Tatsächlich ist ab + ba = ab + ab = 2Re (ab). Also ist |a + b|2 = |a|2 + |b|2 + 2Re (ab) ≤ |a|2 + |b|2 + 2|ab| = |a|2 + |b|2 + 2|a||b| = (|a| + |b|)2 . (3.4) 4. Funktionen 4.1. Definition Definition 4.1.1. Seien A und B zwei Mengen. Eine Funktion (oder Abbildung) f : A → B ist eine Vorschrift, die jedem Element a ∈ A ein eindeutiges Element f (a) ∈ B zuordnet. Beispiel 4.1.2. Sei A ⊂ R (oder C) und B = R (oder C). Dann ist f (x) = x2 . eine Funktion. Definition 4.1.3. Sei f : A → B eine Funktion. Dann heisst A der Definitionsbereich von f . Der Wertebereich von f ist wie folgt definiert: f (A) := {f (x) : x ∈ A} . Sei C ⊂ A, dann heisst f (C) das Bild von C unter f , d.h. f (C) ist die Menge {f (x) : x ∈ C}. Falls C ⊂ B, dann ist das Urbild von C so definiert: f −1 (C) := {x ∈ A : f (x) ∈ C} . Bemerkung 4.1.4. 29 Kapitel 4. Funktionen 30 Sei f (x) = x2 . Dann ist der Wertbereich von f gegeben durch die Menge {y ∈ R : y ≥ 0} . Definition 4.1.5. Der Graph einer Funktion f : A → B ist die Menge G(f ) := {(x, f (x)) ∈ A × B : x ∈ A} . Sei A ⊂ R und f : A → R eine Funktion. Dann ist der Graph von f eine Teilmenge von A×R ⊂ R×R, d.h. eine Teilmenge der Euklidische Ebene. Sei n ∈ N mit n ≥ 1. Dann bezeichnet die Menge Rn das n-fache kartesische Produkt von R, d.h. Rn := R × R × . . . × R . {z } | n mal Diese Menge nennen wir den n-dimensionalen Euklidischen Raum. Beispiel 4.1.6. Sei f : R → R, f (x) = |x|. Dann ist der Graph von f gegeben durch die Menge {(x, x) : x ≥ 0} ∪ {(x, −x) : x ≤ 0} ⊂ R2 , d.h. die Vereinigung von zwei Halbgeraden in der Ebene. 4.2. Algebraische Operationen Seien f, g zwei Funktionen mit dem gleichen Definitionsbereich und so dass ihre Wertbereiche in C enthalten sind. Dann definieren wir folgende algebraischen Operationen: (i) f + g ist die Funktion h : A → B gegeben durch h(x) := f (x) + g(x). Kapitel 4. Funktionen 31 (ii) f · g ist die Funktion k : A → B gegeben durch k(x) := f (x)g(x). (iii) f g ist wohldefiniert, falls der Wertebereich von g in C \ {0} enthalten ist und ist gegeben durch f f (x) (x) := . g g(x) (iv) Analog definieren wir die Funktionen Re f (den Realteil von f ), Im f (den Imaginärteil von f , f (die Konjugation von f ) und |f | (den Absolutbetrag von f ). Definition 4.2.1. Seien f : A → B und g : B → C. Die Komposition oder Verkettung von g und f , g ◦ f : A → C, ist durch die folgende Funktion gegeben: (g ◦ f )(x) = g(f (x)). Bemerkung 4.2.2. Sei f : A → R, g : A → R. Wir definieren die Funktion Ψ : A → R × R wie folgt: Ψ(a) := (f (a), g(a)) und Φ : R × R → R als Φ(x, y) = xy. Dann ist Φ ◦ Ψ(a) = Φ(Ψ(a)) = Φ ((f (a)) , g(a)) = f (a)g(a). D.h. die algebraischen Operationen können als Kompositionen aufgefasst werden. Definition 4.2.3. (i) f : A → B heisst surjektiv, falls f (A) = B. (ii) f : A → B heisst injektiv, falls gilt: f (x) 6= f (y) ∀x 6= y ∈ A. (iii) Falls f surjektiv und injektiv ist, dann sagen wir, dass f bijektiv ist. Kapitel 4. Funktionen 32 Bemerkung 4.2.4. Bijektive Funktionen sind umkehrbar: Sei f : A → B bijektiv. Dann gilt: ∀b, ∃a : f (a) = b (wegen der Surjektivität von f ), und a ist eindeutig (wegen der Injektivität von f ). Dann ist g(b) = a eine “wohldefinierte Funktion” g : B → A. Definition 4.2.5. Eine Funktion g heisst Umkehrfunktion von f , falls f : A → B, g : B → A, f ◦ g : B → B, g ◦ f : A → A und f ◦ g(b) = b ∀b ∈ B g ◦ f (a) = a ∀a ∈ A . (4.1) Definition 4.2.6. Die “dumme Funktion” h : A → A mit h(a) = a ∀a ∈ A heisst Identitätsfunktion (Notation: Id). Daher ist (4.1) ⇐⇒ f ◦ g = Id und g ◦ f = Id. 4.3. Einige Beispiele wichtiger Funktionen 4.3.1. Die Exponentialfunktion Sei a ∈ R mit a > 0. Der Definitionsbereich der Exponentialfunktion sei im Moment Q. Dann ist expa : Q → R wie folgt definiert: an = a | · a ·{z. . . · a}, für n ∈ N \ {0} expa (n) := n-mal 0, für n = 1, 1 expa (−n) := n für n ∈ N a m √ n expa (q) := a für q = m mit n ∈ N, m ∈ Z . n Dabei ist expa die einzige Funktion Φ : Q → R mit den folgenden Eigenschaften: (i) Φ(1) = a, (ii) Φ(q + r) = Φ(q)Φ(r) ∀q, r ∈ Q. Bemerkung 4.3.1. Später werden wir expa auf ganz R fortsetzen. Kapitel 4. Funktionen 33 4.3.2. Polynome Für die Analysis ist ein Polynom eine Funktion f : R (bzw. C) mit x 7→ f (x) ∈ R (bzw. C) von der Gestalt f (x) = an xn + an−1 xn−1 + · · · + a1 x + a0 , wobei die Koeffizienten a0 , . . . , an komplexe Zahlen sind. Das Produkt zweier Polynome x 7→ f (x)g(x) ist wie folgt gegeben: f (x)g(x) := (an xn + · · · + a0 ) (bm xm + · · · + b0 ) = bm an xn+m + bn an−1 xn−1+m + · · · + a0 b0 = bm an xn+m + (bm an−1 + bm−1 an ) xn+m−1 + · · · + a0 b0 = cm+n xm+n + · · · + c0 , wobei ck = X i+j=k ai b j = k X ai bk−i . i=0 Definition 4.3.2. Der Grad eines Polynoms f (x) := an xn + · · · + a0 ist n, falls an 6= 0. Satz 4.3.3 (Division mit Rest). Sei g 6= 0 ein Polynom. Dann gibt es zu jedem Polynom f zwei Polynome q und r so dass g = qf + r, wobei r = 0 oder grad r < grad f. Beweis. Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Polynomdivision. Bemerkung 4.3.4. Sei g = x − x0 und sei f ein Polynom vom Grad ≥ 1. Mit Satz 4.3.3 folgt, dass f = gq + r = gq + c0 , wobei grad r < 1 ist. Also ist r eine Konstante r = c0 und es gilt, f (x) = q(x)(x − x0 ) + c0 f (x0 ) = q(x0 )0 + c0 = c0 . Kapitel 4. Funktionen 34 Korollar 4.3.5. Falls f ein Polynom ist und x0 ∈ C, so dass f (x0 ) = 0, dann ∃ Polynom q, so dass f (x) = q(x)(x − x0 ). Definition 4.3.6. Das Polynom an xn + . . . + a0 mit an = an−1 = . . . = a0 = 0 heisst Trivialpolynom. Korollar 4.3.7. Ein nicht triviales Polynom P hat höchstens grad f Nullstellen. Korollar 4.3.8. Falls f (x) = 0 ∀x ∈ R, dann ist f das Trivialpolynom. Korollar 4.3.9. Falls f, g Polynome sind, so dass f (x) = g(x) ∀x ∈ R, dann sind die Koeffizienten von f und g gleich. Beweis. Wir setzen h := f − g. Dann ist h ein Polynom mit h(x) = (f − g)(x) = 0 ∀x ∈ C. Definition 4.3.10. Seien f, g zwei Polynome. Dann heisst f g rationale Funktion. 5. Folgen Definition 5.0.1. Eine Folge von komplexen (bzw. reellen) Zahlen ist eine Abbildung: f : N → C (bzw. R), d.h. ∀n ∈ N : f (n) ∈ C (bzw. R). Wir schreiben an für f (n). Beispiel 5.0.2. N selbst kann als Folge betrachtet werden: an := f (n) := n. 5.1. Konvergente Folgen Definition 5.1.1. Eine Folge (an )n∈N heisst konvergent, falls ∃a ∈ C, so dass ∀ε > 0, ∃N ∈ N : |an − a| < ε ∀n ≥ N. (5.1) Die Zahl a heisst Grenzwert oder Limes der Folge (an )n∈N . Beispiel 5.1.2. an = n1 ist eine konvergente Folge mit Grenzwert a = 0: Sei ε > 0 gegeben. Dann gibt es ein N ∈ N mit N > 1ε (diese Zahl existiert wegen des Axioms von Archimedes, siehe Kapitel 2.2). Für n ≥ N gilt dann, |an | = 1 1 1 −0 = ≤ < ε. n n N Bemerkung 5.1.3. Der Limes einer konvergenten Folge ist eindeutig. 35 Kapitel 5. Folgen 36 Beweis. Seien a 6= a0 zwei reelle Zahlen, die das Konvergenzkriterium (5.1) erfüllen. 0| . Dann gilt, Wir wählen ε := |a−a 2 ∃N : |an − a| < ε ∀n ≥ N ∃N 0 : |an − a0 | < ε ∀n ≥ N 0 . Für n ≥ max {N, N 0 } folgt, |a0 − a| ≤ |a0 − an | + |a − an | < 2ε = |a0 − a| =⇒ |a0 − a| < |a0 − a|, was ein Widerspruch ist. n→∞ Wenn eine Folge gegen a konvergiert, schreiben wir a = limn→+∞ (an ) oder an −→ a. Bemerkung 5.1.4. Sei α = A + 0, b0 b1 b2 . . . eine reelle Zahl, wobei A ∈ N und bi die Ziffern der Dezimaldarstellung von α − A sind. Für jedes n ∈ N sei an := A + 0, b0 . . . bn ∈ Q. Dann konvergiert die Folge (an ) gegen α: Sei ε eine beliebige positive reelle Zahl. Sei N ∈ N, so dass 10N > 1ε . Für n ≥ N gilt dann: |an − α| ≤ 10−N < ε. Definition 5.1.5. Sei (an ) eine Folge und A(n) eine “Folge von Aussagen über an ”. Wir sagen, dass A(n) wahr ist für “fast alle” n, wenn ∃N ∈ N, so dass A(n) wahr ist ∀n ≥ N . Eine alternative Formulierung von (5.1) ist also: ∀ε > 0 : |an − a| < ε für fast alle n. Beispiel 5.1.6. Kapitel 5. Folgen 37 Sei s ∈ Q mit s > 0. Sei an = 1 . ns Dann gilt, lim n→+∞ 1 ns = 0. 1 Sei N ∈ N mit N > ε s (Axiom von Archimedes). Dann ist |0 − an | = (NB: 1 s 1 < ε, ∀n ≥ N. ns ist wohldefiniert, weil s 6= 0. Zudem ist 1 1 1 ⇐⇒ n > 1 , < ε ⇐⇒ ns > s n ε εs weil s > 0.) Beispiel 5.1.7. √ Sei a > 0. Dann gilt: limn→+∞ n a = 1. Fall a > 1: Zu beweisen: ∀ε > 0 ∃N : Sei xn = √ n a − 1 < ε ∀n ≥ N ∈ N. √ n a − 1 > 0 und n ≥ 1. Dann ist n 2 n 3 a = (1 + xn ) = 1 + nxn + xn + x + · · · + xnn . 2 3 n n Deswegen ist a ≥ 1 + nxn Sei ε > 0. Wähle N ≥ 0< a−1 , ε √ n und xn ≤ a−1 . n dann folgt, a − 1 = xn ≤ Fall 0 < a < 1: Wir haben 1 a a−1 a−1 a−1 ≤ < a−1 = ε. n N ε > 1 und nutzen die Rechenregeln für konvergente Kapitel 5. Folgen 38 Folgen (siehe Satz 5.2.1(iii), unten): √ 1 n a= q n 1 √ → 11 n a −→ 1 a 1 = 1. 1 Fall a = 1: Dies ist trivial, da dann die Folge konstant ist, d.h. an = 1 ∀n ∈ N. Beispiel 5.1.8. √ Wir behaupten, dass limn→+∞ n n = 1. Wie oben sei xn = und √ n n−1 n 2 n = (1 + xn ) = 1 + nxn + x + · · · + xnn . 2 n n Diesmal nutzen wir die stärkere Ungleichung: Sei n ≥ 2, dann ist r 2 n 2 n(n − 1) 2 2 2 2 xn xn ≤ =⇒ xn ≤ . n≥1+ xn = 1 + 2 2 n n Sei ε > 0 gegeben. Wir wählen ein N ∈ N, so dass r N > ε−1 2 ( ⇐⇒ N > 2ε−2 ). Dann gilt für n ≥ N , 0≥ √ n r n−1< 2 ≤ n r 2 < N s 2 2 ε2 = ε =⇒ Übung 5.1.9. √ n Sei k ∈ N. Dann ist limn nk = 1. Beispiel 5.1.10. Sei q ∈ C mit |q| < 1. Dann ist limn→+∞ q n = 0, denn |q n − 0| = |q n | − |0| ≤ |q|n . √ | n n − 1| < ε. Kapitel 5. Folgen 39 Sei nun ε > 0 gegeben. Da √ n ε → 1 und |q| < 1, ∃N ∈ N, so dass √ | n ε − 1| < 1 − |q| ∀n ≥ N. Also gilt für n ≥ N , √ n ε > 1 − (1 − |q|) = |q| =⇒ ε > |q|n . Übung 5.1.11. Sei k ∈ N und q ∈ C mit |q| < 1. Dann gilt: limn→∞ nk q n = 0. 5.2. Rechenregeln für konvergente Folgen Satz 5.2.1. n→∞ n→∞ Seien (an ) und (bn ) zwei konvergente Folgen mit an −→ a und bn −→ b, dann gelten die folgenden Rechenregeln: n→∞ (i) an + bn −→ a + b, n→∞ (ii) an · bn −→ a · b, (iii) an n→∞ a −→ b , bn falls b 6= 0. Beweis von Satz 5.2.1(i). Es ist |(an + bn ) − (a − b)| = |(an − a) + (bn − b)| ≤ |an − a| + |bn − b|. (5.2) Sei ε > 0 gegeben. Dann gilt wegen der Konvergenz der beiden Folgen: ∃N : |an − a| < ε 2 ∀n ≥ N (5.3) ∃N 0 : |an − a| < ε 2 ∀n ≥ N 0 . (5.4) Für n ≥ max{N, N 0 } haben wir dann, |(an + bn ) − (a + b)| (5.2),(5.3)&(5.4) < ε ε + = ε. 2 2 Kapitel 5. Folgen 40 Definition 5.2.2. Eine Folge heisst beschränkt, falls gilt: ∃M > 0 : |an | ≤ M ∀n ∈ N. (5.5) Lemma 5.2.3. Eine konvergente Folge ist immer beschränkt. n→∞ Beweis. Sei an −→ a. Dann ∃N ∈ N, so dass |an − a| < 1 ∀n ≥ N . Deswegen ist |an | < |a| + 1 ∀n ≥ N . Nun wählen wir M := max{|a0 |, . . . , |aN −1 |, |a| + 1} und erhalten |an | ≤ M ∀n ∈ N. Beweis von Satz 5.2.1(ii)&(iii). (ii): Wegen Lemma 5.2.3 gilt: ∃ eine Konstante M > 0, die (5.5) erfüllt, d.h. |an bn − ab| = |an bn − an b + an b − ab| = |an (bn − b) + b(an − a)| ≤ |an ||bn − b| + |b||an − a| ≤ M |bn − b| + |b||an − a|. (5.6) Wähle N ∈N: N0 ∈ N : ε ∀n ≥ N 2M ε |an − a| ≤ ∀n ≥ N 0 . 2(1 + |b|) |bn − b| ≤ (5.7) (5.8) Für n ≥ max{N, N 0 } gilt: |an bn − ab| (5.6),(5.7)&(5.8) < ε ε + = ε. 2 2 (iii): folgt aus (ii) und 1 1 → , bn b falls bn → b 6= 0. (5.9) Kapitel 5. Folgen 41 Um (5.9) zu beweisen, betrachte 1 1 − = | b − bn | = 1 |b − bn | . bn b bn b |b| |bn | (5.10) n→∞ Da |b| > 0 und bn −→ b, folgt ∃N : |bn − b| < |b| 2 ∀n ≥ N. Also gilt für n ≥ N , |bn | ≥ |b| − |b − bn | ≥ und |b| >0 2 (5.11) 1 1 − ≤ 2 |bn − b|. bn b |b|2 Sei nun ε > 0 gegeben. Wir wählen ein N 0 ∈ N, so dass |bn − b| < ε|b|2 /2 ∀n ≥ N . Für n ≥ max{N, N 0 } folgt also, 1 1 − < ε. bn b Bemerkung 5.2.4. n→∞ n→∞ Falls an −→ a und λ ∈ C, so folgt aus Satz 5.2.1(ii), dass λan −→ λa: Wir setzen einfach bn := λ ∀n ∈ N. Satz 5.2.5. n→∞ Sei an −→ a, wobei an ∈ C ∀n ∈ N. Dann gelten die folgenden Aussagen: n→∞ (i) |an | −→ |a|, n→∞ (ii) a¯n −→ ā, n→∞ (iii) Re an −→ Re a, n→∞ (iv) Im an −→ Im a. Kapitel 5. Folgen 42 Beweis. Die Behauptungen sind triviale Konsequenzen des Konvergenzkriteriums (5.1) und der folgenden Ungleichungen: a) ||an | − |a|| ≤ |an − a|, b) |a¯n − ā| = |an − a|, c) |Im an − Im a| ≤ |an − a|, d) |Re an − Re a| ≤ |an − a|. Satz 5.2.6. n→∞ n→∞ Seien (an ) und (bn ) zwei Folgen mit an −→ a, bn −→ b mit an ≤ bn . Dann ist a ≤ b. Beweis. Sei ε > 0. Dann gilt: ∃N ∈ N : |an − a| < ε ∀n ≥ N ∃N 0 ∈ N : |bn − b| < ε ∀n ≥ N 0 . Für n = max{N, N 0 } haben wir, b − a ≥ bn − |bn − b| − an − |a − an | ≥ (bn − an ) − 2ε ≥ −2ε. Da ε eine beliebige positive Zahl war, gilt b − a ≥ 0. Satz 5.2.7. n→∞ n→∞ Seien (an ) und (bn ) zwei Folgen mit an −→ a, bn −→ a. Weiter sei (cn ) eine Folge mit der Eigenschaft, bn ≤ cn ≤ an ∀n ∈ N. Dann konvergiert die Folge (cn ) gegen a. Beweis. Sei ε > 0 gegeben. Wegen der Konvergenz finden wir N ∈N: |an − a| < ε ∀n ≥ N N0 ∈ N : |bn − a| < ε ∀n ≥ N 0 . Kapitel 5. Folgen 43 Für n ≥ max{N, N 0 } gilt dann, a − ε < a − |a − an | ≤ an = an ≤ cn ≤ bn ≤ a + |bn − a| < a + ε. =⇒ |cn − a| < ε. Beispiel 5.2.8. Sei s ≥ 0 und k ∈ N mit k ≤ s ≤ k + 1. Weiter sei q ∈ C mit |q| < 1. Dann gelten die folgenden Ungleichungen: √ √ √ n n nk ≤ n ns ≤ nk+1 0 ≤ ns |q|n ≤ nk |q|n . Daraus schliessen wir, dass √ n n→∞ n→∞ ns −→ 1 und nk q n −→ 0. 5.3. Monotone Folgen Definition 5.3.1. Eine Folge (an ) reeller Zahlen heisst monoton fallend (bzw. monoton wachsend ), falls an ≤ an−1 ∀n ∈ N (bzw. an ≥ an−1 ∀n ∈ N). Eine Folge heisst monoton, falls sie monoton fallend oder monoton wachsend ist. Satz 5.3.2. Eine beschränkte monotone Folge konvergiert immer. Beweis. OBdA können wir (an ) wachsend annehmen: Denn falls die Folge fallend ist, dann ist (−an )n∈N eine wachsende Folge. Haben wir die Aussage des Satzes für n→∞ wachsende Folgen gezeigt, so gilt: an −→ L für ein L ∈ C und somit, lim an = lim (−1)(−an ) = lim (−1) lim (−an ) = −L. n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ Kapitel 5. Folgen 44 Sei also (an ) wachsend. Wir setzen s := sup {an : n ∈ N} {z } | =:M und behaupten, dass s = lim an . Da an ≤ s, müssen wir zeigen, dass gilt, n→∞ ∀ε > 0 ∃N : an > s − ε ∀n ≥ N. (5.12) Sei ε > 0 gegeben. Dann ∃aj ∈ M : aj > s − ε, denn sonst wäre s − ε eine obere Schranke, die kleiner ist als s. Da die Folge wächst, folgt an ≥ aj > s − ε ∀n ≥ j. Beispiel 5.3.3. Die Beschränktheit einer Folge allein impliziert noch nicht deren Konvergenz: Betrachte z.B. die Folge an = (−1)n . Offensichtlich ist sie beschränkt, aber nicht konvergent. 5.4. Der Satz von Bolzano-Weierstrass Definition 5.4.1. Sei (an ) eine Folge. Eine Teilfolge von (an ) ist eine neue Folge bk := ank , wobei nk ∈ N mit nk > nk−1 (zum Beispiel: a0 a1 a2 a3 a4 a5 a6 |{z} |{z} |{z} b0 b1 . . .). b2 Satz 5.4.2 (von Bolzano-Weierstrass). Jede beschränkte Folge (an ) ⊂ R (bzw. C) besitzt eine konvergente Teilfolge. Beweis. Schritt 1: Sei (an ) eine Folge reeller Zahlen. Seien I, M ∈ R, so dass I ≤ an ≤ M ∀n ∈ N. OBdA sei I < M , sonst wäre (an ) eine konstante Folge. Wir konstruieren eine Intervallschachtelung. Dazu definieren wir J0 := [I, M ] und teilen J0 in zwei Intervalle: J0 = [I, A0 ] ∪ [A0 , M ] , wobei A0 = M −I M +I +I = . 2 2 Kapitel 5. Folgen 45 Mindestens eines dieser Intervalle enthält unendlich viele an . Wir nennen dieses Intervall J1 . Rekursiv definieren wir eine Folge von Intervallen Jk , so dass (i) Jk+1 ⊂ Jk ∀k ∈ N; (ii) Die Länge `k von Jk ist (M − I)2−k ∀k ∈ N; (iii) jedes Intervall entält unendlich viele Glieder der Folge (an ). Diese Folge ist eine Intervallschachtelung und deswegen ∃!L mit L ∈ Ji ∀i. Wir wählen ein n0 ∈ N, so dass an0 ∈ J0 . Da J1 unendlich viele an enthält, ∃n1 > n0 mit an1 ∈ J1 . Rekursiv definieren wir eine Folge natürlicher Zahlen (nk )k∈N mit nk+1 > nk und ank ∈ Jk ∀k ∈ N. Die Folge bk := ank ist dann eine Teilfoge von (an ). Ausserdem gilt, |bk − L| ≤ `k = 2−k (M − I), k→∞ da bk , s ∈ Jk . D.h. wir haben bk −→ L. Schritt 2: Sei nun ak = ξk + iζk eine beschränkte komplexe Folge. Dann ist (ξk ) eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Mit Schritt 1 folgt, ∃(ξkj ) Teilfolge, die konvergiert. Ferner ist auch (ζkj ) eine beschränkte Folge reeller Zahlen und deswegen besitzt auch sie eine konvergente Teilfolge (ζkjn ). Setzen wir bn := akjn = ξkjn + iζkjn , so haben wir eine konvergente Teilfolge gefunden. Definition 5.4.3. Sei (an ) eine Folge und a der Limes einer konvergenten Teilfolge. Dann heisst a Häufungswert der Folge (an ). Lemma 5.4.4. Sei (an ) eine Folge. Dann gilt: a ist ein Häufungswert ⇐⇒ Für jedes offene Intervall mit a ∈ I enthält unendlich viele an . Beweis. Trivial. Kapitel 5. Folgen 46 Definition 5.4.5. Sei (an ) eine reelle Folge. Wenn die Menge der Häufungswerte von (an ) ein Supremum (bzw. ein Infimum) besitzt, heisst dieses Supremum Limes superior (bzw. Limes inferior ) und wir schreiben lim sup an (bzw. lim inf an ). n→∞ n→∞ Wenn die Folge keine obere (bzw. untere) Schranke besitzt, schreiben wir lim sup an = +∞ (bzw. lim inf an = −∞.) n→∞ n→∞ Bemerkung 5.4.6. Eine konvergente Folge hat genau einen Häufungswert, den Limes der Folge. Lemma 5.4.7. Der Limes superior (bzw. Limes inferior) ist das Maximum (bzw. das Minimum) der Häufungswerte, falls er endlich ist. Ausserdem konvergiert eine Folge reeller Zahlen genau dann, wenn Limes superior und der Limes inferior endlich sind und übereinstimmen. Beweis. Teil 1: Sei lim supn→∞ an = S ∈ R. Zu beweisen ist, dass S ein Häufungswert ist. Sei I =]a, b[ ein Intervall mit S ∈ I. Wir behaupten, dass I unendlich viele Glieder von (an ) enthält: Dann folgt aus Lemma 5.4.4, dass S ein Häufungswert ist. Da S das Supremum der Häufungswerte ist, ∃ ein Häufungswert h > a. Aber dann ist h ∈ I, und aus Lemma 5.4.4 folgt, dass I unendlich viele an enthält. Teil 2: Sei (an ) eine Folge mit lim inf an = lim sup an = L ∈ R . n→∞ n→∞ Daraus folgt, dass (an ) eine beschränkte Folge ist. Falls an nicht gegen L konvergierte, gäbe es ein ε > 0 und unendlich viele an mit |an − L| > ε, d.h. es gäbe eine Teilfolge von (an ), bk = ank , mit |bk −L| > ε. Aus dem Satz von Bolzano-Weierstrass folgt dann die Existenz einer konvergenten Teilfolge von (bn ) mit Limes ` 6= L. Dann wäre ` aber ein Häufungswert von (an ). Dies ist jedoch ein Widerspruch, da nach Kapitel 5. Folgen 47 Definition von liminf und limsup gilt: L ≤ ` ≤ L. Bemerkung 5.4.8. Der Limes superior und der Limes superior existieren immer; ein klarer Vorteil gegenüber dem Limes. Ausserdem gilt für zwei beliebige reelle Folgen (an ) und (bn ) mit an ≤ bn : lim sup an ≤ lim sup bn und lim inf an ≤ lim inf bn . n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ Wegen diesen Eigenschaften werden wir oft das letzte Lemma und den Limes superior brauchen, wie in folgendem “Musterargument”: Nehmen wir an, wir wollen beweisen, dass eine bestimmte Folge {zn } ⊂ C den Grenzwert z hat. Betrachten wir dann die reelle Folge (|zn − z|). Dies ist eine Folge positiver reeller Zahlen und deshalb gilt, lim inf |zn − z| ≥ 0. n→∞ Es genügt also eine geeignete Folge (cn ) zu finden, die (|zn − z|) majorisiert, d.h. cn ≥ |zn − z|, und deren Konvergenz gegen 0 leicht zu beweisen ist. Wenn wir diese Folge gefunden haben, dann können wir schliessen, dass lim sup |zn − z| ≤ lim sup cn = 0. n→∞ n→∞ Lemma 5.4.7 impliziert dann lim |zn − z| = 0. n→∞ Also gilt: limn→∞ zn = z. 5.5. Das Konvergenzkriterium von Cauchy Satz 5.5.1. Eine Folge komplexer Zahlen konvergiert genau dann, wenn das sogenannte Cauchy- Kapitel 5. Folgen 48 Kriterium gilt: ∀ε > 0, ∃N : |an − am | < ε ∀n, m ≥ N. (5.13) Bemerkung 5.5.2. Eine Folge, die dem Cauchy-Kriterium genügt, heisst Cauchy-Folge. n→∞ Beweis. Konvergenz =⇒ Cauchy-Kriterium: Sei (an ), so dass an −→ a und ε > 0 gegeben. Dann gilt, ∃N : |an − a| < ε ∀n ≥ N. 2 Deshalb haben wir |an − am | = |an − a + a − am | ≤ |an − a| + |a − an | < ε ε + ∀n, m ≥ N. 2 2 Cauchy-Kriterium =⇒ Konvergenz. Sei (an ) eine Cauchy-Folge (d.h. (5.13) gilt). Bemerkung 5.5.3. Falls a ein Häufungswert ist, dann konvergiert die ganze Folge gegen a. Sei (ank ) eine Teilfolge, die gegen a konvergiert. D.h. es gilt, ∀ε > 0 ∃K : k>K =⇒ ε |ank − a| < . 2 (5.14) Die Cauchy-Eigenschaft impliziert aber auch die Existenz einer Zahl N , so dass |am − an | < ε ∀m, n > N . 2 (5.15) Sei nun n ≥ N . Dann ∃nk > N mit k ≥ K. D.h. es gilt für n > N , |a − an | = |a − ank + ank − an | ≤ |a − ank | + |ank − an | (5.14)&(5.15) < ε. Dies beweist die Bemerkung 5.5.3. Um den Satz zu beweisen, genügt es also die Existenz eines Häufungswerts zu zeigen. Wenn wir zeigen können, dass die Folge beschränkt ist, dann folgt die Existenz eines Häufungswerts aus dem Satz von Bolzano-Weierstrass. Also zeigen wir nun, Kapitel 5. Folgen 49 dass die Beschränktheit der Folge. Dazu wählen wir ε = 1. Dann gilt, ∃N̄ : |an − am | < 1 ∀n, m ≥ N̄ . Folglich ist |an | ≤ |an − aN̄ | + |aN̄ | < |aN̄ | + 1 ∀n ≥ N̄ . Sei nun M := max( |ak | : k < N̄ ∪ {|aN̄ + 1|}). Dann ist |an | ≤ M und die Folge ist tatsächlich beschränkt. 5.6. Uneigentliche Konvergenz Definition 5.6.1. Sei (an ) eine Folge reeller Zahlen. Dann schreiben wir: n→∞ (i) an −→ +∞ (oder limn→+∞ an = +∞), falls ∀M ∈ R: ∃N ∈ R : an ≥ M ∀n ≥ N (d.h. an ≥ M für fast alle n) n→∞ (ii) an −→ −∞ (limn→−∞ an = −∞), falls ∀M ∈ R: an ≤ M für fast alle n. Übung 5.6.2. lim supn→+∞ an = +∞ (bzw. lim inf n an = −∞) ⇐⇒ ∃ Teilfolge {ank }k∈N mit k→+∞ ank −→ +∞ k→+∞ bzw. ank −→ −∞ . Bemerkung 5.6.3. Sei (an ) eine monoton wachsende (bzw. fallende) Folge. Dann gilt: (i) entweder konvergiert an , (ii) oder limn→+∞ an = +∞ (bzw. limn→+∞ an = −∞). 6. Reihen 6.1. Konvergenz der Reihen Definition 6.1.1. Sei (an )n∈N eine Folge komplexer Zahlen. Durch s0 := a0 , s1 := a0 + a1 , s2 := a0 + a1 + a2 , .. . n X sn := ak k=0 wird der Folge (an ) eine weitere Folge (sn ) zugeordnet. (sn ) heisst unendliche Reihe oder kurz eine Reihe und wir schreiben für sie ∞ X ak oder a0 + a1 + a2 + . . . . k=0 Dabei nennen wir die Zahlen an die Glieder und die Zahlen sn die Partialsummen der Reihe. Konvergiert die Folge (sn ), so heisst die Reihe konvergent. Falls die Reihe konvergiert, so heisst die Zahl s = limn→∞ sn die Summe oder der Wert der Reihe und wir schreiben ∞ X s= ak = a0 + a1 + a2 + . . . . k=0 50 Kapitel 6. Reihen 51 P∞ Es sei darauf hingewiesen, dass das Symbol k=0 ak zwei Bedeutungen hat: Es bezeichnet einerseits die Folge (sn ) und andererseits im Konvergenzfall auch ihren Grenzwert. Wenn die Partialsumme eine Folge reeller Zahlen ist und sn → +∞ (bzw. −∞), P dann schreiben wir an = +∞ (bzw. −∞). Beispiel 6.1.2. P n Sei z eine komplexe Zahl. Dann heisst die Reihe ∞ n=0 z geometrische Reihe (für z = 0 gilt die Konvention dass z 0 = 1). Für |z| < 1 konvergiert die geometrische Reihe: Denn es ist, 1 − z n+1 (1 − z)(1 + z + · · · z n ) = 1 − z n+1 und sn = 1−z n 1−z 1 1 1 =⇒ lim = lim − lim z n = . n→+∞ 1 − z n→+∞ 1−z 1 − z n→+∞ 1−z | {z } =0, da |z|<1 Für |z| ≥ 1 divergiert die geometrische Reihe: Denn es gilt: • Falls z = 1 ist, dann ist sn = 1 + 1 + · · · + 1 = n + 1; • Falls z 6= 1 ist, gilt die Formel sn = (1 − z n+1 ) . 1−z und sn konvergiert genau dann, wenn z n konvergiert. Aber z n konvergiert nicht, denn: Für z > 1 haben wir |z|n → ∞ und für |z| = 1 (z 6= 1) haben wir die Identität z = cos θ + i sin θ =⇒ z n = cos(nθ) + i sin(nθ) (siehe Kapitel 8.4) mit θ ∈]0, 2π[ und es ist einfach zu sehen, dass z n+1 nicht konvergiert. Beispiel 6.1.3. P 1 Die folgende Reihe heisst harmonische Reihe: ∞ n=1 n . In diesem Fall gilt sn+1 ≥ sn , d.h. (sn ) ist eine wachsende Folge. Entweder konvergiert (sn ) gegen eine reelle Zahl Kapitel 6. Reihen 52 oder limn sn = +∞. Wir betrachten nun die Teilfolge s2n −1 : s2n −1 = 1 + ≥ 1+ 1 1 + + 2 | {z 3} ··· |{z} +··· + ··· |{z} 2n−1 ≤j≤2n −1 2k−1 ≤j≤2k −1 1 1 1 1 + +··· + k + ··· + k +··· |4 {z 4} |2 {z 2 } 2k−1 ≥ 1+ 1 1 n−1 + + ··· = 1 + . 2 |2 2{z } n−1 Also ist limn s2n −1 = +∞ und auch die ursprüngliche Folge (sn ) divergiert. D.h. lim sn = +∞ n→+∞ ⇐⇒ ∞ X 1 = +∞. n n=1 6.2. Konvergenzkriterien für reelle Reihen Bemerkung 6.2.1. Falls ∞ X an n→∞ konvergiert =⇒ an −→ 0. n=0 (Wir nennen (an ) eine Nullfolge.) Beweis. Da an+1 = sn+1 − sn und limn→∞ sn = limn→∞ sn+1 = lim an = n→∞ ∞ X n=0 an − ∞ X P∞ n=0 an ist, folgt an = 0 . n=0 Bemerkung 6.2.2. Die obige Bemerkung gilt auch für komplexe Reihen. Übung 6.2.3. Beweise so einfach wie möglich, dass die geometrische Reihe nicht konvergiert, wenn Kapitel 6. Reihen 53 |z| ≥ 1. Bemerkung 6.2.4. n→∞ Die Umkehrung der obigen Bemerkung gilt im Allgemeinen nicht, d.h. an −→ 0 P impliziert nicht, dass ∞ n=0 an konvergiert! Betrachte dazu die harmonische Reihe: P∞ P∞ 1 n=1 an = n=1 n . Satz 6.2.5. P Sei an eine Reihe mit an ∈ R und an ≥ 0. Dann gilt: (i) Entweder ist die Folge (sn ) beschränkt und die Reihe konvergiert, (ii) oder P∞ n=0 sn = +∞. Beweis. Trivial: (sn ) ist eine wachsende Folge. Satz 6.2.6 (Konvergenzkriterium von Leibnitz). P∞ n Sei (an ) eine fallende Nullfolge. Dann konvergiert n=0 (−1) an (eine Reihe von dieser Form nennt man alternierende Reihe). Beweis. Es ist sk − sk−2 = (−1)k−1 ak−1 + (−1)k ak = (−1)k (ak − ak−1 ) . | {z } ≤0 Ferner gilt (i) sk − sk−2 ≥ 0, falls k ungerade ist und (ii) sk − sk−2 ≤ 0, falls k gerade ist. Für k ungerade haben wir s1 ≤ s3 ≤ s5 ≤ · · · und sk = sk+1 + (−1)k+1 an+1 ≤ sk+1 . |{z} |{z} | {z } |{z} gerade ungerade ≥0 ≥0 Und für k gerade, s0 ≥ s2 ≥ s4 ≥ · · · Kapitel 6. Reihen 54 (Beweis gleich wie für ungerade k) Also ist (i) (s2k+1 ) ist eine wachsende Folge mit s2k+1 ≤ s0 , d.h. (s2k+1 ) ist eine beschränkte wachsende Folge. (ii) (s2k ) ist eine fallende Folge mit s2k ≥ s1 , d.h. (s2k ) ist eine monoton fallende Folge. Also konvergieren die beiden Folgen. Seien lim s2k = Sg k→+∞ und lim s2k+1 = Su . k→∞ Dann ist Su − Sg = lim s2n+1 − lim s2n = lim (s2n+1 − s2n ) = lim a2n+1 = 0 n→+∞ =⇒ Su = Sg =⇒ Korollar 6.2.7. Die Reihe n→+∞ n→+∞ n→+∞ lim sn = Su (= Sg ). n→+∞ ∞ X 1 1 1 1 (−1)n 1 − + − + ··· = 2 3 4 n+1 n=0 konvergiert. 6.3. Konvergenzkriterien für allgemeine (komplexe) Reihen Bemerkung 6.3.1 (Cauchy-Kriterium). P an konvergiert ⇐⇒ (sn ) konvergiert ⇐⇒ (sn ) ist eine Cauchyfolge. ⇐⇒ ∀ε > 0 ∃N : |an + an−1 + . . . + am+1 | = |sn − sm | < ε ∀n ≥ m ≥ N . (6.1) Kapitel 6. Reihen 55 Korollar 6.3.2 (Majorantenkriterium). P P Sei an eine Reihe komplexer Zahlen und bn eine konvergente Reihe nichtnegaP tiver reeller Zahlen. Falls |an | ≤ bn , dann konvergiert an . (Wir sagen dann, dass P P bn die Reihe an majorisiert.) P Beweis. Seien sn die Partialsummen von an und σn die Partialsummen von bn . P Da bn konvergiert, gilt (6.1), d.h. ∀ε > 0, ∃N : bn + . . . + bm+1 = |σn − σm | < ε ∀n ≥ m ≥ N. Deswegen ist für n ≥ m ≥ N , |sn − sm | ≤ |an | + . . . + |am+1 | ≤ bn + . . . bm+1 < ε. Aus dem Cauchy-Kriterium folgt nun, dass P an konvergiert. 6.4. Das Wurzel- und Quotientenkriterium Definition 6.4.1. P∞ P Eine Reihe ∞ a=0 |an | eine konvergente Reihe n=0 an heisst absolut konvergent, falls ist. Bemerkung 6.4.2. Aus dem Majorantenkriterium folgt, dass die absolute Konvergenz einer Reihe ihre Konvergenz impliziert. Satz 6.4.3 (Quotientenkriterium). P | = q existiert. Sei an eine Reihe, so dass an 6= 0 für fast alle n und limn→+∞ | an+1 an Dann gilt: (i) Falls q < 1 ist, konvergiert die Reihe absolut. (ii) Falls q > 1 ist, divergiert die Reihe. Der Fall q = 1 ist nicht allgemein entscheidbar, d.h. muss für jede Reihe konkret berechnet werden. Kapitel 6. Reihen 56 Beweis. (ii) Sei q > 1 und setze 1 < q̃ := 12 + 2q < q. Dann ∃N , so dass |an+1 | ≥ q̃|an |, falls n ≥ N . Deshalb ist |an | ≥ q̃|an−1 | ≥ q̃ 2 |an−2 | · · · ≥ q̃ n−N |aN |. OBdA sei |aN | = 6 0. Dann folgt, lim |an | = +∞ =⇒ n→+∞ X an divergiert. (i) Seien q < 1 und 1 < q̃ = 21 + 2q < q. Dann ∃N , so dass |an | ≤ q̃ n−N |aN | (dies folgt mit dem gleichen Argument wie in (ii)). Also haben wir, q̃ n−N |a | = C q̃ n , falls n ≥ N N bn = |a |, falls n < N . n P P D.h. die Reihe bn majorisiert an , also folgt mit dem Majorantenkriterium, dass P die Reihe an konvergiert. Satz 6.4.4 (Wurzelkriterium). p p P Sei an eine Reihe und L := lim supn→+∞ n |an |. (L = +∞, falls n |an | unbeschränkt ist!) Dann gilt: (i) Falls L < 1 ist, konvergiert die Reihe absolut. (ii) Falls L > 1 ist, divergiert die Reihe. Der Fall L = 1 ist nicht allgemein entscheidbar, d.h. muss für jede Reihe konkret berechnet werden. Beweis. (i) Sei L < 1. Dann gilt, L < L̃ = p L 1 + < 1 =⇒ ∃N : n |an | ≤ L̃ ∀n ≥ N. 2 2 Dann ist |an | ≤ L̃n für n ≥ N und wir haben die absolute Konvergenz der Reihe. p n→∞ Sei nun L > 1. Dann gilt: ∃ eine Teilfolge (kn ), so dass kn |akn | −→ L. Ferner ist Kapitel 6. Reihen 1 < L̃ = L 2 57 + 12 < L und ∃N , so dass für kn ≥ N gilt, n→∞ |akn | ≥ L̃kn −→ ∞ Beispiel 6.4.5. P Sei s ≥ 1 und n≥1 1 . ns p kn n→∞ =⇒ an 6−→ 0 =⇒ |akn | ≥ L̃ und daraus folgt X an divergiert. Dann gilt: (1) Falls s = 1 ist, dann ist die obige Reihe die harmonische Reihe, d.h. sie divergiert. (2) Falls s > 1 ist, dann konvergiert die Reihe. (Leonard Euler hat die folgende P 1 P 2 Formel bewiesen: = π6 . Allgemeiner kann man zeigen, dass ( n12k = n2 ck π 2k , wobei ck ∈ Q.) Wir haben schon gesehen, dass die harmonische Reihe divergiert. D.h. wir beweisen nur die zweite Aussage. Um (2) zu zeigen, setzen wir an = n1s und bemerken, dass an+1 =1 n→+∞ an lim und lim n→+∞ √ n an = 1 ∀s ≥ 1 ∀s ≥ 1. Daraus ist ersichtlich, dass die Fälle q = 1 (bzw. L = 1) für das Quotientenkriterium (bzw. Wurzelkriterium) nicht allgemein entscheidbar sind. Nun betrachten wir die Reihe 1 1 1 1 1 1 1 + s + s + s + · · · + s + · · · + ks + · · · + ks s 1 |2 {z 2} |4 {z 4} |2 {z 2 } n 2-mal 4-mal 2k -mal. P P und die entsprechenden Partialsummen sn . Dann majorisiert bn die Reihe an . X bn = Kapitel 6. Reihen 58 Da bn ≥ 0 ist, bleibt die Beschränktheit von sn zu zeigen. Es gilt, s2k −1 ∞ X 1 2 2k−1 1 = s + s + · · · + (k−1)s ≤ j(s−1) 1 2 2 2 j=0 j ∞ X 1 1 = = < ∞. s−1 −(s−1) 2 1 − 2 j=0 Die Konvergenz der Reihe P an folgt nun aus dem Majorantenkriterium. 6.5. Das Cauchy-Produkt Definition 6.5.1. P P P Sein an und bn . Das Cauchy-Produkt ist die Reihe cn , wobei cn = a0 bn + a1 bn−1 + · · · + an b0 = n X aj bn−j = j=0 X aj bk . j+k=n Bemerkung 6.5.2. Es ist also c 0 = a0 b 0 c 1 = a0 b 1 + a1 b 0 c 2 = a0 b 2 + a1 b 1 + a2 b 0 .. . Satz 6.5.3. P P Falls an und bn absolut konvergieren, dann konvergiert auch ihr Cauchy-Produkt absolut. Ferner gilt, ! ! X X X cn = an bn . n Beweis. Seien sk = n k X j=0 aj , n σk = k X i=0 bi . Kapitel 6. Reihen 59 Dann ist sk σk = n X n X b i aj j=0 i=0 und cn = X ai b j , βk = βk = ck . n=0 j+i=n D.h. k X k X X X ai b j = n=0 i+j=n ai b j . i+j≤n Unseres Ziel ist es, die Differenz βk − σk sk abzuschätzen. Zuerst zeigen wir die P P absolute Konvergenz der Reihe, d.h. |ck | < +∞. Dazu setzen wir BN := N k=0 |ck | und zeigen, dass (BN ) eine beschränkte Folge ist: N X N X X X X BN = ai bj ≤ |ai ||bj | = |ai ||bj | i+j≤N k=0 i+j≥k k=0 i+j=k ! N ! N X N N X X X ≤ |ai ||bj | = |ai | |bj | i=0 j=0 i=0 j=0 X X ≤ |ai | |bj | = LM, P P wobei L = |ai | und M = |bj |. Daraus folgt, dass (BN ) konvergiert und dies P impliziert die absolute Konvergenz der Reihe cn . Kapitel 6. Reihen 60 N →∞ Nun beweisen wir, dass |βN − σN sN | −→ 0. Es ist N N N N X X X X X |βN − σN sN | = ai bj − ck = ai bj − ai b j i=0 j=0 i,j=0 i+j≤N k=0 X X ai bj ≤ |ai ||bj | = i+j>N, i+j>N, i,j≤N i,j≤N X X X |ai ||bj | ≤ |ai ||bj | = |ai ||bj | − i,j≤N, i,j≥ N 2 N X = i,j≤N ! |ai | i=0 N X i,j< N 2 ! |bj | − j=0 | N b2c X bN c 2 X |ai | |bj |, i=0 j=0 {z } :=ΓN und es gilt lim ΓN = N →+∞ ∞ X i=0 |ai | ∞ X ∞ ∞ X X |bj | − |ai | |bj | = 0. j=0 i=0 j=0 Also ist lim sup |βN − sN σN | ≤ lim ΓN = 0 N →∞ N →∞ und X cn = lim βN = lim sN σN = n N →∞ N →∞ X n an X bn . n 6.6. Potenzreihen Definition 6.6.1. Die wichtigsten Reihen der Analysis sind die Potenzreihen, d.h. Reihen von der Form P (z) := X n=0 an z n = a0 + a1 z + a2 z 2 + a3 z 3 + . . . , Kapitel 6. Reihen 61 wobei z ∈ C. Lemma 6.6.2. Konvergiert die Potenzreihe P in einem Punkt z0 6= 0, so konvergiert sie absolut in jedem Punkt z ∈ C mit |z| < |z0 |. Beweis. Da P (z0 ) konvergiert, ist an z0n eine Nullfolge. D.h. ∃C > 0, so dass |an z0n | ≤ C ∀n ∈ N. Also gilt n |an z | ≤ |an z0n | −1 |z||z0 | | {z } n ≤ Cαn . :=α Da jedoch |z| < |z0 | ist, folgt α < 1. Folglich konvergiert die geometrische Reihe P Cαn , welche eine Majorante für die Potenzreihe ist. Das Lemma folgt nun aus dem Majorantenkriterium. Sei (an ) eine Folge mit Koeffizienten an ∈ C. Sei n o X n K := z ∈ C : an z konvergiert . Dann definieren die Werte der Potenzreihen eine wohldefinierte Funktion, K 3 z 7→ f (z) = ∞ X an z n . n=0 Satz 6.6.3. P P Seien f (z) = an z n und g(z) = bn z n zwei in z konvergente Reihen. Dann definieren wir die Addition durch f (z) + g(z) = X (an + bn )z n . Zudem gilt, falls die Reihen absolut konvergieren, f (z)g(z) = wobei P cn das Cauchy-Produkt von P X cn z n , n an und P bn ist. Kapitel 6. Reihen 62 P Beweis. Die erste Behauptung ist trivial. Für die zweite sei P Produkt von an z n und bn z n . Wir wissen, dass X an z n X n bn z = X γn = ∞ X X ai z i bj z j γn das Cauchy- n=0 i+j=n = ∞ X X ai b j z n=0 i+j=n i+j = ∞ X zn n=0 X | = ∞ X ai b j i+j=n {z =cn } cn z n . n=0 Als einfaches Korollar des Wurzelkriteriums erhalten wir: Satz 6.6.4 (Cauchy-Hadamard). p P Sei an z n und L := lim sup n |an |. Dann gilt: (i) Falls |z| < 1 L ist, folgt dass die Reihe P an z n absolut konvergiert. (ii) Falls |z| > 1 L ist, folgt dass die Reihe P an z n divergiert. (iii) Falls |z| = 1 ist, kann keine allgemeine Aussage über die Konvergenz getroffen werden. 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 7.1. Stetigkeit In diesem Kapitel sei D immer eine Teilmenge von R oder von C. Definition 7.1.1. Seien f : D 7→ R (bzw. C) und x0 ∈ D. Dann heisst f stetig in x0 , falls ∀ε > 0, ∃δ > 0, so dass |x − x0 | < δ, x ∈ D =⇒ |f (x) − f (x0 )| < ε. (7.1) Ferner heisst f stetig, falls f in jedem Punkt x0 ∈ D stetig ist. Bemerkung 7.1.2. Aus obiger Definition sehen wir, dass für eine Unstetigkeitsstelle x0 von f gilt: ∃ε > 0, so dass ∀δ > 0, ∃x ∈ ]x0 − δ, x0 + δ[ mit |f (x) − f (x0 )| ≥ ε. Bemerkung 7.1.3. (i) Die Bedingung (7.1) ist trivial für die Funktion f = const. (ii) Die Bedingung (7.1) ist auch trivial für die Funktion f (x) = x, denn |x − x0 | < δ = ε =⇒ |f (x) − f (x0 )| = |x − x0 | < ε. D.h. die konstanten Funktionen und die identische Funktion sind in jedem Punkt x0 stetig. Beispiel 7.1.4. 63 Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 64 Polynome sind stetige Funktionen, weil die Summe und das Produkt stetiger Funktionen wieder stetig ist (siehe Satz 7.2.1). Definition 7.1.5. Eine Funktion f : D → R (bzw. C) heisst Lipschitz-stetig, kurz Lipschitz, falls ∃ eine Konstante L ≥ 0, so dass |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| ∀x, y ∈ D . (7.2) Bemerkung 7.1.6. Es ist leicht zu sehen, dass die Lipschitz-Stetigkeit die Stetigkeit impliziert (wähle δ := Lε ). Korollar 7.1.7. Die Funktion g(x) := |x| ist stetig, denn |g(x) − g(y)| = ||x| − |y|| ≤ |x − y|, d.h. (7.2) gilt mit L = 1. Beispiel 7.1.8. Die Funktion fg ist stetig an der Stelle x0 , falls f ,g stetig in x0 sind und g(x0 ) 6= 0. P (x) stetig sind auf (siehe Satz 7.2.1). Daraus folgt, dass die rationalen Funktionen Q(x) der Menge D = C \ {x : Q(x) = 0}. Beispiel 7.1.9. Sei f (x) = xk mit k ∈ N. Dann ist f ein Polynom und daher eine stetige Funktion. √ 1 Sei nun g(x) := x k = k x mit k ∈ N \ {0} (g(x) ist die einzige reelle Zahl y ∈ R mit y ≥ 0 und y k = x ). Sei x0 ∈ R mit x0 ≥ 0. Wir behaupten, dass f stetig in x0 ist. Denn es gilt, p √ √ | k x − k x0 | ≤ k |x − x0 | ⇐⇒ |y − y0 |k ≤ |y k − y0k |. |{z} |{z} y y0 Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 65 OBdA sei y ≥ y0 . Dann ist (y − y0 )k ≤ y k − y0k ⇐⇒ ak + bk ≤ ck = (a + b)k | {z } |{z} |{z} :=ck :=ak und :=bk k k−1 a + b ≤ (a + b) = a + a b + · · · +bk . 1 | {z } k k k k ≥0 Sei nun ε > 0 gegeben. Wir wählen δ = εk . Damit ist √ p √ √ k |x − x0 | < δ, x ≥ 0 =⇒ | k x − k x0 | ≤ k |x − x0 | < εk = ε. Beispiel 7.1.10. Sei a > 0 und f (x) = ax . Dann gilt: ∀x ∈ Q ist f : Q → R stetig. Dies werden wir später beweisen, wenn wir die Exponentialfunktion auf der ganzen komplexen Ebene eingeführt haben. Satz 7.1.11 (Folgenkriterium für Stetigkeit). Sei f : D → R (bzw. C) und x0 ∈ D. Dann sind die folgenden zwei Aussagen äquivalent: (i) f ist stetig an der Stelle x0 , n→∞ n→∞ (ii) ∀(xn )n∈N ⊂ D mit xn −→ x0 gilt f (xn ) −→ f (x0 ). Beweis. (i) ⇒ (ii): Sei ε > 0 gegeben. Da f stetig in x0 ist, folgt: ∃δ > 0 mit n→∞ |f (x) − f (x0 )| < ε, falls |x − x0 | < δ. Da xn −→ x0 =⇒ ∃N , so dass |xn − x0 | < δ ∀n ≥ N , also folgt |f (xn ) − f (x0 )| < ε ∀n ≥ N, d.h. die Konvergenz von f (xn ) gegen f (x0 ) für n → ∞. (ii) ⇒ (i): Wir nehmen an, dass f in x0 nicht stetig ist (d.h. wir führen einen Beweis durch Widerspruch). Also gilt, ∃ε > 0 : ∀δ > 0 : ∃x mit |x − x0 | < δ, so dass |f (x) − f (x0 )| ≥ ε. Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 66 Sei nun n ∈ N \ {0}. Dann setzen wir δ := n1 und wählen ein xn mit |xn − x0 | < n1 n→∞ n→∞ und |f (xn ) − f (x0 )| ≥ ε. Dann folgt, dass xn −→ x0 , aber f (xn ) 6 −→ f (x0 ), was ein Widerspruch zur Folgenstetigkeit von f . 7.2. Rechenregeln für stetige Funktionen Satz 7.2.1. Seien f, g : D → R (bzw. C) zwei stetige Funktionen in x0 . Dann gilt: (i) f + g ist stetig in x0 , (ii) f · g ist stetig in x0 und (iii) f g ist stetig in x0 , falls f (x0 ) 6= 0. n→∞ Beweis. Sei x0 ∈ D und (xn ) ⊂ D mit xn −→ x0 (für fg wählen wir (xn ) so, dass g(xn ) 6= 0 ∀n ∈ N und g(x0 ) 6= 0). Dann folgt mit dem Folgenkriterium für die Stetigkeit: n→∞ (i) f (xn ) + g(xn ) −→ f (x0 ) + g(x0 ), n→∞ (ii) f (xn )g(xn ) −→ f (x0 )g(x0 ), (iii) f (xn ) n→∞ f (x0 ) −→ g(x0 ) . g(xn ) Der Satz ist also ein Korollar des Folgenkriteriums. Satz 7.2.2. Seien f : D → A, g : A → B, so dass f stetig x0 ist und g stetig in f (x0 ) = y0 . Dann ist auch die Komposition g ◦ f : D → B stetig in x0 . n→∞ Beweis. Seien x0 ∈ D und (xn ) ⊂ D mit xn −→ x0 . Dann folgt wegen der Stetigkeit von f , n→∞ f (xn ) −→ f (x0 ), | {z } | {z } :=yn :=y0 wobei (yn ) ⊂ A und y0 ∈ A. Mit der Stetigkeit von g in f (x0 ) = y0 folgt, n→∞ g(f (xn )) = g(yn ) −→ g(y0 ) = g(f (x0 )), Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 67 n→∞ d.h. g ◦ f (xn ) −→ g ◦ f (x0 ) und zeigt die Stetigkeit von g ◦ f im Punkt x0 . Satz 7.2.3 (Stetigkeit der Umkehrfunktion). Sei f : [a, b] → R (bzw. C) injektiv und sei B := f ([a, b]) (= {z : ∃x ∈ [a, b] mit f (x) = z}) . Dann ist f : [a, b] → B bijektiv und somit umkehrbar. Sei nun f −1 : B → [a, b] die Umkehrfunktion von f . Dann ist f −1 stetig, falls f stetig ist. n→∞ Beweis. Sei x0 ∈ B und (xn ) ⊂ B, so dass xn −→ x0 . Wir müssen zeigen, dass n→∞ f −1 (xn ) −→ f −1 (x0 ) . | {z } | {z } =yn =y0 Dazu nehmen wir an, dass (yn ) ⊂ [a, b], y0 ∈ [a, b] mit yn 6→ y0 , dann gilt: ∃ε > 0 : ∀N ∈ N : ∃n ≥ N : |yn − y0 | ≥ ε. Nun wählen wir eine Teilfolge (ynk ), so dass |ynk − y0 | ≥ ε, ∀k ∈ N. Mit dem Satz j→∞ von Bolzano-Weierstrass folgt die Existenz einer Teilfolge ynkj −→ ȳ mit ȳ 6= y0 und f (ynkj ) = xnkj . j→∞ j→∞ Die Stetigkeit von f impliziert, dass f (ynkj ) −→ f (ȳ), und da xnkj −→ x0 sowie xnkj = f (ynkj ) ist, bedeutet dies, dass f (ȳ) = x0 . Es ist aber f (y0 ) = x0 und somit ist f (ȳ) = f (y0 ) mit ȳ 6= y0 . Dies ist jedoch ein Widerspruch zur der Injektivität n→∞ von f . Also gilt: f −1 (xn ) = yn −→ y0 = f −1 (x0 ), d.h. f −1 ist stetig in x0 . Bemerkung 7.2.4. 1 Aus diesem Satz folgt die Stetigkeit der Abbildung x 7→ x k aus der Stetigkeit von x 7→ xk . Bemerkung 7.2.5. Für Satz 7.2.3 brauchen wir die Stetigkeit auf ganz D im Gegensatz zu den Sätzen 7.2.1 und 7.2.2. Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 68 7.3. Der Zwischenwertsatz Satz 7.3.1 (Zwischenwertsatz). Eine stetige Abbildung f : [a, b] → R nimmt jeden Wert γ zwischen f (a) und f (b) an. Beweis. OBdA sei f (a) ≤ f (b) und γ ∈ R mit f (a) ≤ γ ≤ f (b). Wir setzen I0 := [a, b] =: [a0 , b0 ] und teilen dieses Intervall in zwei weitere Intervalle: a+b a, 2 und a, a+b , I1 := [a1 , b1 ] := 2 a+b , b , 2 a+b ,b . 2 falls f a+b 2 falls f a+b 2 ≥γ < γ. Rekursiv definieren eine Intervallschachtelung wie folgt: Falls Ik = [ak , bk ] mit f (ak ) ≤ γ ≤ f (bk ), so setzen wir Ik+1 a , ak +bk , k 2 := [ak+1 , bk+1 ] := a +b k k,b , k 2 falls f ak +bk 2 ≥γ falls f ak +bk 2 < γ. Dann gilt, k→+∞ |Ik | = 2−k (b − a) −→ 0, d.h. (Ik ) ist tatsächlich eine Intervallschachtelung, also ∃!x0 mit x0 ∈ Ik ∀k. Ausserdem gilt, bk ↓ x0 =⇒ f (x0 ) = lim f (bk ) ≥ γ k→+∞ ak ↑ x0 =⇒ f (x0 ) = lim f (ak ) ≤ γ k→+∞ =⇒ f (x0 ) = γ. Korollar 7.3.2 (Fixpunktsatz). Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 69 Sei f : [a, b] → [a, b] eine stetige Abbildung. Dann besitzt f einen Fixpunkt, d.h. ∃x0 ∈ [a, b] : f (x0 ) = x0 . Beweis. Wir setzen g(x) := f (x) − x. Dann gilt, g(a) = f (a) − a ≥ 0, g(b) = f (b) − b ≤ 0. Mit Satz 7.3.1 folgt nun, ∃x0 ∈ [a, b], so dass g(x0 ) = 0 ⇐⇒ f (x0 ) − x0 = 0 ⇐⇒ f (x0 ) = x0 . 7.4. Maxima und Minima stetiger Funktionen Satz 7.4.1. Sei f : [a, b] → R stetig. Dann ∃xM , xm ∈ [a, b] mit f (xm ) ≤ f (x) ≤ f (xM ) ∀x ∈ [a, b] . Beweis. OBdA suchen wir nur die Maximumsstelle (Analoges gilt für die Minimumsstelle). Sei S := sup {f (x) : x ∈ [a, b]} (= +∞ falls {f (x) : x ∈ [a, b]} keine obere Schranke besitzt). Falls S ∈ R ist, sei Sn := S − n1 . Falls S = +∞ ist, dann sei S := n. In beiden Fällen Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 70 folgt, ∃xn mit f (xn ) ≥ Sn und (xn ) ⊂ [a, b] =⇒ ∃ (xnk ) mit xnk → x̄ S∈R ! =⇒ f (x̄) = lim f (xnk ) = S = max f (x) = max f k→+∞ x∈[a,b] [a,b] S=+∞ =⇒ f (x̄) = lim f (xnk ) = +∞ =⇒ Widerspruch. k→+∞ Bemerkung 7.4.2. Sei E ⊂ R eine Menge mit der folgenden Eigenschaft: (K) ∀(xn ) ⊂ E ∃eine Teilfolge (xnk ) x ∈ E mit xnk → x. Frage: Ist E immer ein abgeschlossenes Intervall? Nein. Aber zum Beispiel besitzt E := [0, 1] ∪ [2, 3] die Eigenschaft (K): Sei (xn ) ⊂ [0, 1]∪[2, 3]. Dann ∃ eine Teilfolge (xnk ), die entweder in [0, 1] oder in [2, 3] enthalten ist, d.h. sie ist beschränkt. Mit dem Satz von BolzanoWeierstrass folgt die Existenz einer konvergenten Teilfolge. Definition 7.4.3. Die Mengen E ⊂ R (oder ⊂ C) mit der Eigenschaft(K) heissen kompakte Mengen. Satz 7.4.4 (Satz vom Maximum und Minimum). Eine reellwertige stetige Funktion auf einem kompakten Definitionsbereich besitzt mindestens eine Maximumsstelle und eine Minimumsstelle. Beweis. Analog wie der Beweis von Satz 7.4.1. Bemerkung 7.4.5. Zur Erinnerung: Die Stetigkeit an der Stelle x bedeutet, ∀ε > 0, ∃δ > 0 mit |x − y| < δ und y ∈ D =⇒ |f (x) − f (y)| < ε. (7.3) Die Stetigkeit auf D bedeutet Stetigkeit in jedem Punkt x ∈ D. Sei nun f stetig auf D und ε > 0 gegeben. Dann gilt, ∀x ∈ D, ∃δ > 0, so dass (7.3) gilt. Aber im Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 71 Allgemeinen hängt diese Konstante δ von x ab. Falls es eine Zahl δ > 0 gibt, so dass (7.3) immer mit dem gleichen δ gilt (d.h. δ ist unabhängig von x), so heisst die Funktion f gleichmässig stetig. Definition 7.4.6. Eine Funktion f : D → R(bzw. C) heisst gleichmässig stetig, falls ∀ε > 0, ∃δ > 0 : |x − y| < δ mit x, y ∈ D =⇒ |f (x) − f (y)| < ε. Beispiel 7.4.7. Sei f Lipschitz. Dann ∃L, so dass |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| ∀x, y ∈ D. Dann ist f gleichmässig stetig: Wir wählen δ = |x − y| < ε L und erhalten, ε ε =⇒ |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| < Lδ = L = ε. L L Satz 7.4.8. Falls D eine kompakte Menge ist, dann ist jede stetige Funktion f : D → R (bzw. C) gleichmässig stetig auf D. Beweis durch Widerspruch. Sei f stetig, aber nicht gleichmässig stetig. Dann ∃ε > 0 : ∀δ > 0 gilt, ∃x, y ∈ D mit |x − y| < δ und |f (x) − f (y)| ≥ ε. Mit δ = 1 n > 0 folgt, ∃(xn ), (yn ), so dass |xn − yn | < 1 und |f (xn ) − f (yn )| ≥ ε. n Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 72 k→∞ Da D kompakt ist, ∃ Teilfolge (xnk ) mit xnk −→ x ∈ D und damit k→∞ k→∞ k→∞ ynk −→ x ∈ D =⇒ f (xnk ) −→ f (x) und f (ynk ) −→ f (x) k→∞ =⇒ |f (xnk ) − f (ynk )| −→ 0. Aber das ist ein Widerspruch zu |f (xnk ) − f (ynk )| ≥ ε. 7.5. Stetige Fortsetzung und Grenzwerte Definition 7.5.1. Sei g : E → A und D ⊂ E. Dann bezeichnet g|D : D → A die Funktion mit der Eigenschaft g|D (x) = g(x) ∀x ∈ D, d.h. die Einschränkung von g auf D. Definition 7.5.2. Sei f : D → R (bzw. C) stetig und E ⊃ D. Eine stetige Fortsetzung von f ist eine stetige Funktion f˜ : E → R (bzw. C) mit f˜|D = f (d.h. f (x) = f˜(x) ∀x ∈ D). Sei f : D → R(bzw. C) stetig. Sei x0 6∈ D. Wir stellen uns die folgenden Fragen: (a) Gibt es eine stetige Fortsetzung von f auf D ∪ {x0 } ? (b) Ist diese Fortsetzung eindeutig? Definition 7.5.3. x0 heisst Häufungspunkt einer Menge E, wenn ∀ε > 0: ∃ unendlich viele Punkte x ∈ E mit |x − x0 | < ε. Bemerkung 7.5.4. n→∞ x0 ist ein Häufungspunkt von E ⇐⇒ ∃ Folge (xn ) ⊂ E \ {x0 } mit xn −→ x0 . Die Fragen (a) und (b) haben einfache Antworten: Wenn x0 kein Häufungspunkt von D ist, dann gibt es (unendlich) viele stetige Fortsetzungen. Wenn x0 ein Häufungspunkt von D ist, so ist die Antwort auf die Frage (b) Ja“. ” Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 73 Aber wir werden sehen, dass eine stetige Fortsetzung nicht immer existiert, d.h. die Antwort auf die Frage (a) lautet Nein“. ” Definition 7.5.5. Sei f : D → R (bzw. C) mit D ⊂ R (bzw. C). Sei x0 ∈ D ein Häufungspunkt. Der Grenzwert von f (falls er existiert) an der Stelle x0 ist die eindeutige Zahl a ∈ R (bzw. C), so dass f (x), x ∈ D \ {x } 0 F (x) = a, x=x 0 in x0 stetig ist. In diesem Fall schreiben wir a = x→x lim , f (x). 0 x∈D Bemerkung 7.5.6. Auch wenn der Grenzwert a existiert, gilt nicht unbedingt f (x0 ) = a. Aber es gilt: f (x0 ) = a genau dann, wenn f an der Stelle x0 stetig ist. Satz 7.5.7. Die folgenden Aussagen sind äquivalent: (i) Es gibt a ∈ R, so dass limx→x0 f (x) = a. n→∞ n→∞ (ii) Es gibt a ∈ R, so dass ∀ {xn } ⊂ D \ {x0 } mit xn −→ x0 gilt: f (xn ) −→ a. (iii) Es gibt a ∈ R, so dass: ∀ε > 0, ∃δ > 0, so dass |x − x0 | < δ und x ∈ D \ {x0 } =⇒ |f (x) − a| < ε. (iv) ∀ε > 0, ∃δ > 0, so dass |x − x0 |, |y − x0 | < δ und x, y ∈ D \ {x0 } =⇒ |f (x) − f (y)| < ε. Die letzte Aussage heisst Cauchy-Bedingung für Grenzwerte. Beweis. Die Aussagen sind triviale Folgerungen der Definitionen und des Folgenkriteriums für die Stetigkeit von f . Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 74 Satz 7.5.8 (Rechenregeln für Grenzwerte). Seien f, g : D → R (bzw. C) und sei x0 ein Häufungspunkt von D. Dann gilt, falls die Grenzwerte existieren: (i) limx→x0 (f + g)(x) = (limx→x0 f (x)) + (limx→x0 g(x0 )), (ii) limx→x0 (f g)(x) = (limx→x0 f (x)) (limx→x0 g(x0 )), (iii) limx→x0 fg (x) = limx→x0 f (x) , limx→x0 f (x) falls limx→x0 g(x) 6= 0. Beweis. Dies sind eine einfache Folgerungen der Rechenregeln für Folgen. Als Bein→∞ spiel zeigen wir (i): Für f, g haben wir, ∀ {xn } ⊂ D \ {x0 } mit xn −→ x0 gilt, lim f (xn ) = lim f (x0 ) und n→∞ lim g(xn ) = lim g(x0 ) x→x0 n→∞ x→x0 =⇒ lim (f + g)(xn ) = lim f (xn ) + lim g(xn ) n→∞ n→∞ n→∞ | {z } | {z } limx→x0 f (x) Satz 7.5.7 =⇒ limx→x0 g(x) lim (f + g)(x) = lim f (x) + lim g(x). x→x0 x→x0 x→x0 Satz 7.5.9. Seien f : D → E, g : E → R (bzw. C) und x0 ∈ D, y0 ∈ E, so dass (i) x0 ein Häufungspunkt von D ist und y0 = limx→x0 f (x), (ii) y0 ∈ E und g stetig im Punkt y0 ist. Dann gilt: lim g ◦ f (x) = g(y0 ) = g x→x0 lim f (x) . x→x0 Beweis. Ähnlich wie der Beweis von Satz 7.5.8. Definition 7.5.10. Sei f : D → R und x0 ein Häufungspunkt von D. Dann schreiben wir, n→∞ limx→x0 f (x) = +∞(bzw. − ∞), falls ∀ {xn } ⊂ D \ {x0 } mit xn −→ x0 gilt: limn→+∞ f (xn ) = +∞ (bzw. −∞). Kapitel 7. Stetige Funktionen und Grenzwerte 75 Ähnliches gilt, falls f : D → C und D nicht nach oben beschränkt ist. Wir schreiben limx→+∞ f (x) = a genau dann, wenn ∀ {xn } ⊂ D mit xn → ∞ gilt, limn→+∞ f (xn ) = a. Die folgenden Begriffe sind ähnlich definiert, und wir überlassen die Details dem/der Leser/in: lim f (x) = a, x→−∞ lim f (x) = ±∞, x→+∞ lim f (x) = ±∞. x→−∞ Definition 7.5.11. Seien D ⊂ R, f : D → R (bzw. C) und x0 ein Häufungspunkt von ]−∞, x0 [ ∩ D. Dann ist limx↑x0 f (x) = a, falls n→∞ ∀ {xn } ⊂ D ∩ ]−∞, x0 [ mit xn −→ x gilt, lim f (xn ) = a. n→+∞ Wir schreiben dafür auch lim f (x) = a. x→x− 0 Falls x0 ein Häufungspunkt von D ∩ ]x0 + ∞[ ist, gilt analog, lim f (x) = a x↓x0 = lim+ f (x) , x→x0 n→∞ n→∞ falls ∀ {xn } ⊂ D ∩ ]x0 , +∞[ mit xn −→ x0 gilt, f (xn ) −→ a. Ähnlich definiert man limx→x±0 f (x) = ±∞. Beispiel 7.5.12. n→∞ Falls f : D → R (bzw. C) stetig ist und (xn ) ⊂ D mit xn −→ x0 ∈ D, dann wissen wir, dass lim f (x) = f (x0 ). x→x0 Nun gilt: (i) Falls limx→x0 f (x) 6= f (x0 ) ist, so ist f nicht stetig in x0 . (ii) Falls limx→x0 f (x) = +∞, dann hat die Funktion f in x0 eine Asymptote. 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen √ m ∈ Q. Ziel dieses Sei a ∈ R mit a > 0. Dann ist aq = a n = n am für jedes q = m n z Kapitels ist es, die Funktion a auf der ganzen komplexen Ebene zu definieren. 8.1. Existenz und Eindeutigkeit Satz 8.1.1. ∃! Funktion exp : C → C mit folgenden Eigenschaften: (AT) (Additionstheorem) exp(z + w) = exp(z) exp(w), (WT) (Wachstum) limz→0 exp(z)−1 z = 1. Für diese Funktion gilt ferner: (i) exp(z) = P∞ zn n=0 n! ∀z ∈ C (ii) exp(z) = limn→+∞ 1 + z n n ∀z ∈ C (iii) exp ist stetig und falls e := exp(1), dann ist eq = exp(q) ∀q ∈ Q. Die bemerkenswerte Zahl e := exp(1) wird auch eulersche Zahl oder Konstante von Napier genannt. Aus (i) und (ii) erhalten wir folgende Identität, n X 1 1 e= = lim 1 + . n! n→+∞ n 76 Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 77 Bemerkung 8.1.2. Die Kernidee ist die folgende: Wir suchen eine Funktion exp(z) =: f (z) mit den Eigenschaften (AT) und (WT), d.h. f (z) = f nz =f n z n + z z (AT) z n + ··· + = f . n n n (8.1) Wir definieren nun eine Folge (zn ), so dass f Für n → +∞ gilt z n z n zn , n =1+ z d.h. zn = n f −1 . n → 0 und aus (WT) erhalten wir, f lim zn = z lim n→+∞ z n z n n→+∞ −1 = z. (8.2) Aus (8.1) folgt nun zn n zn n f (z) = 1 + =⇒ f (z) = lim 1 + . n→+∞ n n (8.3) Dürfen wegen (8.2) zn durch z in (8.3) ersetzen? Antwort auf diese Frage gibt das nächste Lemma. Lemma 8.1.3 (Fundamentallemma). n→∞ ∀ {zn } ⊂ C mit zn −→ z gilt: lim n→∞ ∞ 1+ zn n z n X z n = lim 1 + = . n→∞ n n n! n=0 Bemerkung 8.1.4. P zn Bevor wir dieses Lemma beweisen, zeigen wir, dass die Reihe konvergiert. Wir n! P zn wenden das Konvergenz-Kriterium von Hadamard an, um zu zeigen, dass für n! alle z konvergiert. D.h. wir behaupten, 1 lim supn→+∞ q n = +∞. 1 n! (8.4) Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen (8.4) ist äquivalent zu lim √ n n→+∞ 78 n! = +∞. Wir betrachten nun die folgenden Fälle: Falls n gerade ist, gilt: n n! ≥ n(n − 1) · · · + 1 n2 · 1 ≥ {z 2 } | Falls n ungerade ist, gilt: n! ≥ n(n − 1) · · · {z | n 2 n+1 2 n 2 n2 Faktoren n + 1 n−1 ·1≥ 2 } 2 n+1 2 n+1 2 Faktoren Deshalb haben wir die Abschätzung √ n n! ≥ n n1 n 2 2 r = n → +∞. 2 Beweis des Fundamentallemmas. Es genügt zu zeigen, dass ∞ zn n X z k lim sup 1 + − = 0. n k! n→+∞ n=0 | {z } =:An Dazu verwenden wir die Binomialentwicklung, An = n k X n z k=0 k n nk − ∞ X zk k=0 k! . Sei M ∈ N mit n ≥ M . Dann gilt M ∞ n X X X n znk z k n |zn |k |z|k |An | ≤ − + . + k k k n k! k n k! k=M +1 k=0 k=M +1 | {z } | {z } | {z } =:Bn =:Cn =:D ≥ n 2 n2 . Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 79 Wir setzen nun ak,n k znk n zn n! n(n − 1) · · · (n − k + 1) znk . := = = (n − k)!k! nk | n ·{z ··n k nk } k! k−mal Damit folgt, lim ak,n n→∞ 1 k − 1 znk zk = lim 1 1 − ··· 1 − = , n→+∞ n n k! k! (8.5) und somit, lim sup |An | ≤ lim sup Bn + lim sup Cn + D. n→+∞ n→+∞ n→+∞ | {z } =0, wegen (8.5) Nun schätzen wir Cn ab: n X |zn |k 1 k−1 Cn = 1 1− ··· 1 − . k! n n k=M +1 Da |zn | gegen |z| konvergiert, folgt, ∃R ≥ 0 mit |zn | ≤ R ∀n ∈ N, d.h. wir haben n ∞ X X |zn |k Rk Cn ≤ ≤ k! k! k=M +1 k=M +1 und daraus ergibt sich lim sup |An | ≤ n→+∞ ∞ ∞ ∞ X X X |z|k Rk Rk + ≤2 . k! k! k! k=M +1 k=M +1 k=M +1 Die Ungleichung (8.6) gilt für jedes M ∈ N und somit ist lim sup |An | ≤ 2 lim sup n→+∞ M →∞ ∞ X Rk = 0. k! k=M +1 (8.6) Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 80 Um die letzte Gleichung zu begründen, bemerken wir, dass lim M X Rk M →+∞ und daher k=0 k! = ∞ X Rk k=0 k! <∞ ∞ ∞ M X X Rk Rk X Rk lim = lim − M →+∞ M →+∞ k! k! k! k=M +1 k=0 k=0 ! = 0. Beweis von Satz 8.1.1. Teil 1: Das Fundamantallemma und die Bemerkung 8.1.2 implizieren: Falls eine Funktion mit der Eigenschaft (AT) und (WT) existiert, dann gilt, ∞ z n X z k = . exp(z) = lim 1 + n→+∞ n k! k=0 Die Eindeutigkeit und die zwei verschiedenen Darstellungen der Exponentialfunktion sind also bereits bewiesen. Für die Existenz definieren wir ∞ X z n zk = lim 1 + . exp(z) := n→+∞ k! n k=0 Wir beweisen nun die Eigenschaft (AT): w n z n exp(z) exp(w) = lim 1 + lim 1 + n→∞ n n→∞ n n z w n z + w zw = lim 1+ 1+ = lim 1 + + 2 n→∞ n→∞ n n n n =:αn z = lim n→∞ }| { zw ! n z+w+ z+w n 1+ = lim 1 + n→∞ n n = exp(z + w), Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 81 da αn → (z + w). Ausserdem ist e = exp(1) = lim n→∞ 1 1+ n n = ∞ X 1 . k! k=0 Zur Erinnerung: Falls f : Q → R die Eigenschaften (i) f (1) = a > 0 und (ii) f (q + s) = f (q)f (s) ∀q, s ∈ Q erfüllt, dann ist f (q) = aq ∀q ∈ Q. Deshalb folgt aus (AT), dass exp(q) = wq ∀q ∈ Q. Um den zweiten Teil von Satz 8.1.1 zu beweisen, brauchen wir noch ein Lemma über Potenzreihen. Lemma 8.1.5. P Sei an z n eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0 (R = +∞, falls die Reihe P überall konvergiert). Dann ist f (z) = an z n eine stetige Funktion auf {|z| < R} (bzw. auf ganz C, falls R = +∞). Beweis von Satz 8.1.1. Teil 2: Das obige Lemma impliziert die Stetigkeit von exp. Ausserdem gilt, exp(z) − 1 =1 lim z→0 z und P ∞ zk X 1+ ∞ exp(z) − 1 z k−1 k=1 k! − 1 = = = G(z). z z k! k=1 Die Reihe, die G definiert, hat Konvergenzradius +∞, d.h. G ist stetig und exp(z) − 1 = lim G(z) − G(0) = 1, z→0 z→0 z lim d.h. (WT) gilt. Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 82 Beweis von Lemma 8.1.5. Zu beweisen: Sei z0 ∈ C mit |z0 | < R. Dann gilt, ⇐⇒ lim f (z) = f (z0 ) z→z0 lim ∞ X z→z0 an z n = n=0 ∞ X an z0n . n=0 D.h., wir würden gerne den Limes mit der Summe vertauschen. Allgemein ist das Vertauschen von solchen Grenzwerten nicht erlaubt. (Übung: Finde eine Folge ak,n ∈ R, so dass A := lim ∞ X n→∞ ak,n und B := ∞ X k=0 k=0 lim ak,n n→∞ existieren und endlich sind, aber A 6= B). k→∞ Sei (zk ) ⊂ C mit zk −→ z0 . Dann gilt die folgende Abschätzung, M ∞ M ∞ X X X X an zkn − lim sup an zkn − an z0n z0n ≤ lim sup k→+∞ n=0 k→+∞ n=0 n=0 n=0 {z } | Ak ∞ X + lim sup k→+∞ |an ||zkn | + n=M ∞ X |an ||z0 |n . n=M k→∞ Sei ρ > 0 mit |z0 | < ρ < R. Da zk −→ z0 , gilt |zk | < ρ, falls k gross genug ist, d.h. lim sup Ak ≤ 0 + 2 k→+∞ Wir haben aber auch lim sup M →+∞ ∞ X |an |ρn . n=M +1 ∞ X |an |ρn = 0, n=M +1 da n |an |ρn eine konvergente Reihe ist (siehe Beweis des Fundamentallemmas). Also folgt, P lim f (zn ) = k→∞ ∞ X n=0 ! zkn an = f (z0 ) = ∞ X n=0 ! z0n an =⇒ lim f (z) = f (z0 ). z→z0 Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 83 8.2. Die Exponentialfunktion auf der reellen Geraden Satz 8.2.1. Es gilt: (a) Für x ∈ R ist ex reell und strikt positiv. (b) exp : R → R wächst streng monoton. (c) exp : R → R+ ist bijektiv. x x x Beweis. (a) Es ist ex = e 2 + 2 = (e 2 )2 ≥ 0 und ex = 0 ist nicht möglich, sonst wäre exq = 0 für alle q ∈ Q und wegen der Dichtheit der rationalen Zahlen und der Stetigkeit von f würde gelten: ey = 0 ∀y ∈ R. (b) Es gilt, h ex+h = eh = 1 + + · · · > 1. x e 1! (c) Wir wollen zeigen, dass ∀y ∈ R+ , ∃x mit ex = y. Falls y ≥ 1 ist, haben wir ZWS e0 = 1 ≤ y ≤ ey =⇒ ∃x : ex = y. Falls 0 < y < 1, dann betrachte 1 y > 1 und damit ∃x : ex = Satz 8.2.2 (vom Wachstum). Für jede natürliche Zahl n gilt: ex = +∞, x→∞ xn (i) lim (ii) limx→−∞ xn ex = limξ→∞ ξn eξ = 0. 1 =⇒ e−x = y . y Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 84 Beweis. Es gelten die Abschätzungen ex xn+1 x x→∞ =⇒ n > −→ ∞ (n + 1)! x (n + 1)! (−x)n (−x)→∞ xn =⇒ xn ex = −x = (−1)n −x −→ 0. e e ex > 8.3. Der natürliche Logarithmus Definition 8.3.1. Der natürliche Logarithmus ln : R+ → R wird als die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion definiert. Aus Satz 8.2.1(3) folgt die Wohldefiniertheit des natürlichen Logarithmus. Ferner erhalten wir aus dem Satz über die Stetigkeit der Umkehrfunktion die Stetigkeit des natürlichen Logarithmus. Satz 8.3.2. Die Logarithmusfunktion hat die folgende Eigenschaft, ∀x, y ∈ R+ : ln(xy) = ln x + ln y. Beweis. Wegen den Eigenschaften der Exponentialfunktion haben wir eln(xy) = xy = eln x eln y = eln x+ln y =⇒ ln(xy) = ln x + ln y. Satz 8.3.3 (vom Wachstum 2). Es gilt: ln x lim √ = 0. x→∞ n x Beweis. Für jedes x ∈ R+ , ∃y : x = eny und es gilt: y = 1 n ln x. Wir bemerken, dass Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 85 k→∞ limx→∞ ln x = ∞ (sonst gäbe es eine Folge (xk ) ⊂ R und M ∈ R mit xk −→ ∞ und ln xk ≤ M ∀k ∈ N. Aus der Monotonie der Exponentialfunktion folgt aber, dass xk = eln xk ≤ eM < ∞; ein Widerspruch). Wir schreiben ln eny ln x ny √ √ = = y n ny n e x e und schliessen, dass ln x ny lim √ = lim y = 0. n y→∞ e x x→∞ Satz 8.3.4. Falls y > x, dann ist ln y > ln x. Weiter ist lim x→0 ln(1 + x) = 1. x Beweis. Sei y > x. Dann ist eln y = y > x = eln x . Nehmen wir an, dass ln y ≤ ln x. Dann folgt aus der Monotonie von z 7→ ez , dass eln y ≥ eln x ; ein Widerspruch. Ferner ist ln(1 + x) ln ey y lim = lim y = lim y = 1. x→0 y→0 y→0 x e −1 e −1 Bemerkung 8.3.5. Seien y = m ∈ Q, n ∈ N und a > 0. Dann gilt: n √ m an = ay = ey ln a . Warum? Wir definieren f, g : Q → R wie folgt: f (y) := ay und g(y) := ey ln a . Dann ist f (1) = a und f (q + s) = f (q)f (s) ∀q, s ∈ Q. Aber diese Eigenschaften gelten auch für g: g(1) = eln a = a Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 86 und g(q + s) = e(q+s) ln a = eq ln a+s ln a = eq ln a es ln a = g(q)g(s). Aber wir wissen, dass es nur eine Funktion gibt, die über diese Eigenschaften verfügt: die Exponentialfunktion, d.h. eq ln a = g(q) = f (q) = aq ∀q ∈ Q. Definition 8.3.6. Sei a > 0 und z ∈ C. Dann definieren wir az := ez ln a . Satz 8.3.7. Es gelten die folgenden Eigenschaften: (i) ax+y = ax ay ∀x, y ∈ C, (ii) (ax )y = axy ∀x, y ∈ R, (iii) (ab)x = ax bx ∀x ∈ C. Beweis. (i) ax+y = w(x+y) ln a = ex ln a+y ln a = ex ln a ey ln a = ax ay . (ii) Ähnlich wie (i). (iii) Ähnlich wie (i). Satz 8.3.8. Wir haben die folgenden Grenzwerte: (i) ∞, lim xa = 1, x→∞ 0, falls a > 0 falls a = 0 falls a < 0, (ii) 0, lim xa = 1, x→0 ∞, falls a < 0, falls a > 0 falls a = 0 Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 87 (iii) +∞, a lim x ln x = x→∞ 0, falls a ≥ 0 falls a < 0, (iv) lim xa ex = +∞, x→∞ und (v) ax − 1 = ln a. x→0 x lim Beweis. (i) xa = ea ln x . Die Behauptung folgt nun aus dem Wachstumssatz für x 7→ ex . (ii) folgt aus (i) durch die Substitution x 7→ x1 . Falls a > 0, ist xa monoton wachsend. (iii) Für a ≥ 0 ist die Aussage offensichtlich. Sei also a < 0. Dann ∃n ∈ N a < − n1 ⇐⇒ −a > n1 . Also gilt, xa ln x = ln x ln x < 1 −a x xn Satz 8.3.3 x→∞ −→ 0 . (iv) Für a > 0 ist die Behauptung trivial. Sei also a < 0. Dann ∃n ∈ N, so dass a > −n ⇐⇒ −a < n, d.h. xa e x = ex ex > x−a xn Satz 8.2.2 x→∞ −→ ∞. (v) Betrachte ax − 1 ex ln a − 1 ex ln a − 1 x→0 = = ln a −→ ln a. x x ln a } | x {z →1 Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 88 8.4. Die trigonometrischen Funktionen Definition 8.4.1. Falls φ die Grösse eines Winkels (in Radianten) ist, dann bezeichnen wir mit cos(φ) und sin(φ) die entsprechenden Werte des Cosinus und Sinus (d.h. die zwei Koordinaten eines Punkt P in der Ebene mit Abstand 1 zum Ursprung und die den Winkel φ mit der x-Achsen einschliessen). Wir erweitern diese Funktionen auf die ganze reelle Achse durch: cos(φ) := cos(φ − 2πn), falls 2πn ≤ φ < 2π(n + 1), sin(φ) := sin(φ − 2πn), falls 2πn ≤ φ < 2π(n + 1). Satz 8.4.2. Für φ klein genug gilt: (i) |sin φ| ≤ |φ| ≤ |sin φ| , cos φ (ii) 1 − cos φ ≤ φ2 . Beweis. (i) Da sin −φ = − sin φ, OBdA nehmen wir φ > 0 an. Der Inhalt vom Dreieck ACE ist kleiner als der Inhalt vom entsprechenden Sektor. Wenn wir die Länge von AE gleich 1 setzen, dann haben wir: sin φ CB φ = ≤ . 2 2 2 An der anderen Seite der Inhalt des Sektors ist kleiner als der Inhalt vom Dreieck ADE. Also φ DE tan φ ≤ = 2 2 2 (ii) Es ist 1 − cos φ = (1 − cos φ)(1 + cos φ) 1 − (cos φ)2 sin2 φ = ≤ ≤ φ2 . 1 + cos φ 1 + cos φ 1 Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen C D B E 89 φ A Korollar 8.4.3. Es gelten: (i) sin φ = 1, φ→0 φ lim (ii) 1 − cos φ = 0, φ→0 φ lim (iii) sin x und cos x sind stetige Funktionen. Beweis. (i) Da |sin φ| 1 ≤ ≤ 1, cos φ φ folgt die Behauptung aus (ii). (ii) Es ist 0≤ 1 − cos φ ≤ |φ|. |φ| (iii) Die Stetigkeit von cos x und sin x folgt aus (i), (ii) und den Additionstheoremen: cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y, sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y. Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 90 Satz 8.4.4 (von Euler). Es gilt die sogenannte Euler-Identität: ex+iy = ex (cos y + i sin y) ∀x, y ∈ R. (8.7) Beweis. Wir definieren f (z) := ex (cos y + i sin y) und behaupten, dass f (AT) und (WT) aus Satz 8.1.1 erfüllt. Die Eindeutigkeitsaussage des Satzes impliziert dann die Identität (8.7). (AT) folgt aus den Additionstheoremen und aus ex0 +x1 = ex0 ex1 . (WT) ist die Behauptung eRe z (cos(Im z) + i sin(Im z)) − 1 = 1. z→0 z lim Dank dem Folgenkriterium für die Stetigkeit ist diese Aussage äquivalent zu exn (cos yn + i sin yn ) − 1 =1 n→∞ xn + iyn lim (8.8) für alle Nullfolgen von reellen Zahlen (xn ), (yn ). Wir betrachten deshalb zwei beliebige reelle Nullfolgen (xn ) und (yn ). Wir definieren zn := xn + iyn und An := exn (cos yn + i sin yn ) − 1 − (xn + iyn ). Wir haben dann, An = exn (cos yn − 1) + exn − 1 − xn + i(sin yn − yn ) + i sin yn (exn − 1) . {z } | {z } | {z } | {z } | =:Cn =:Bn =:Dn (8.9) =:En Wir wollen zeigen dass Bn Cn Dn En = lim = lim = lim = 0. n→∞ zn n zn n→∞ zn n→∞ zn lim (8.10) Wir erinnern uns, dass |yn |, |xn | ≤ |zn | ist, d.h. (xn ) und (yn ) sind beide Nullfolgen. Deswegen ist |Bn | ≤ exn |yn |2 ≤ C|yn |2 ≤ C|zn |2 Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen und Bn = 0. n→∞ zn lim 91 (8.11) Falls xn = 0, dann Cn = 0. Sonst, haben wir auch |Cn | |Cn | exn − 1 ≤ = − 1 . |zn | |xn | xn Da ex − 1 = 1, x∈R,x→0 x lim folgt Cn = 0. n→∞ zn lim (8.12) In ähnlicher Weise, wenn yn = 0, dann Dn = 0, und sonst, wenn yn 6= 0, |Dn | |Dn | sin yn ≤ = − 1 |zn | |yn | yn und somit Dn = 0. n→∞ zn (8.13) lim Schliesslich, wenn yn = 0, dann En = 0, und sonst |En | ≤ und somit | sin yn | xn |e − 1| ≤ |exn − 1| |yn | En = 0. n→∞ zn lim Wir haben (8.10) bewiesen. Ferner gilt, exn (cos yn + i sin yn ) − 1 An − 1 = lim n→∞ n→∞ zn xn + iyn lim (8.9)&(8.10) = 0. Bemerkung 8.4.5. Wie hat Euler seine berühmte Formel gefunden? Schon die Mathematiker vor Euler Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 92 wussten, dass es die folgenden Darstellungen von sin x und cos x gibt: cos y = ∞ X (−1)k y 2k , (2k)! (−1)k y 2k+1 . (2k + 1)! k=0 sin y = ∞ X k=0 Diese zwei Identitäten kann man mithilfe der Differentialrechung herleiten (mittels der Taylorentwicklung, die wir später einführen werden). Wenn wir in die Formel z e := ∞ X zk k=0 k! z = iy einsetzen, so erhalten wir iy e = ∞ ∞ 2k X X y 2k+1 k y = (−1) +i (−1)k k! (2k)! (2k + 1)! k=0 k=0 | {z } | {z } ∞ X (iy)k k=0 =cos y =sin y iy =⇒ e = cos y + i sin y. Für y = π haben wir eiπ = −1: mit “Eulersche Formel” wird manchmal dieser Spezialfall bezeichnet. Als Korollar von Satz 8.4.4 erhalten wir auch die Formel von de Moivre: Korollar 8.4.6. Für jedes n ∈ N und φ ∈ R gilt: (cos φ + i sin φ)n = cos(nφ) + i sin(nφ) . Beweis. Aus (AT) folgt, einφ = eiφ+...+iφ = |eiφ · eiφ{z · . . . · eiφ} = (eiφ )n . n Faktoren Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 93 Mit der Euler-Identität erhalten wir also cos(nφ) + i sin(nφ) = einφ = (eiφ )n = (cos φ + i sin φ)n . Bemerkung 8.4.7. Die Formel von de Moivre kann man auch direkt mittels vollständiger Induktion aus den Additionstheoremen der trigometrischen Funktionen herleiten. 8.5. Weitere spezielle Funktionen Wir definieren zuerst den Tangens durch tan x = sin x . cos x Der Definitionsbereich dieser Funktion ist die reelle Gerade ohne die Nullstellen des Cosinus: o nπ + kπ; k ∈ N −→ R. tan : R \ |2 {z } Nullstellen des Cosinus Geometrisch ist leicht zu sehen, dass h π πi sin : − , → [−1, 1] 2 2 injektiv und surjektiv ist. Die Umkehrfunktion heisst Arcussinus, h π πi . arcsin : [−1, 1] → − , 2 2 Analog ist cos : [0, π] → [−1, 1] bijektiv. Die Umkehrfunktion heisst Arcuscosinus, arccos : [−1, 1] → [0, π] . Kapitel 8. Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 94 Auch der Tangens eingeschränkt auf einem geeigneten Intervall ist bijektiv: i π πh → R. tan : − , 2 2 Die Surjektivität folgt aus der Stetigkeit und lim tan(x) = ±∞. x→± π2 Die Injektivität werden wir später beweisen (mithilfe der Differentialrechnung, siehe Bemerkung 9.3.7). Die Umkehrfunktion des Tangens heisst Arcustangens, i π πh arctan : R → − , . 2 2 Schliesslich definieren wir noch die hyperbolischen Funktionen Sinushyperbolicus, Cosinushyperbolicus und Tangenshyperbolicus: et − e−t , 2 et + e−t cosh(t) = , 2 sinh(t) tanh(t) = . cosh(t) sinh(t) = (NB: Der Definitionsbereich von tanh ist die ganze reelle Gerade, weil cosh(t) > 0 ∀t ∈ R). Bemerkung 8.5.1. Wir haben die Identität cosh2 (t) − sinh2 (t) = 1. ∀t ∈ R ist (cos t, sin t) ein Punkt auf dem Kreis mit Radius 1 und Mittelpunkt (0, 0). Die Punkte (cosh t, sinh t) liegen auf einer Hyperbel, daher der Name “hyperbolische” Funktionen. 9. Differentialrechnung Eine affine Funktion f : R → R ist eine Funktion von der folgenden Form: f (t) = c0 + m0 t . Die Konstante m0 (die Steigung der Geraden) ist leicht zu berechnen: m0 = f (t2 ) − f (t1 ) , t2 − t1 wobei t1 6= t2 zwei beliebige reelle Zahlen sind. f heisst linear, falls c0 = 0. 9.1. Die Ableitung Wir suchen die beste Approximation einer Funktion f mittels einer affinen Funktion g in der Nähe eines Punktes x0 , d.h. die Tangente an den Graphen von f im Punkt (x0 , f (x0 )). Manchmal gibt es keine solche Approximation mit einer affinen Funktion (z.B. f (x) = |x| und x0 = 0). Falls ξ eine andere Stelle des Definitionsbereichs von f ist, dann enthält die Gerade g(x) = f (x0 ) + f (ξ) − f (x0 ) (x − x0 ) ξ − x0 die Punkte (x0 , f (x0 )) und (ξ, f (ξ)). Falls ξ − x sehr klein ist, ist diese Gerade “fast” die Tangente in (x0 , f (x0 )). Definition 9.1.1. Sei f : [a, b] → R (bzw. C). Die Ableitung von f an der Stelle x0 ist wie folgt 95 Kapitel 9. Differentialrechnung 96 definiert: f (x0 + h) − f (x0 ) f (x0 ) = lim h→0 h 0 f (x) − f (x0 ) = lim x→x0 (x − x0 ) , falls der Limes existiert (und endlich ist!). Wenn er existiert, dann heisst f differenzierbar an der Stelle x0 . f heisst differenzierbar, wenn die Ableitung von f in jedem Punkt x0 ∈]a, b[ existiert. Satz 9.1.2. Eine Funktion f : I → C ist in x0 genau dann differenzierbar, wenn es eine lineare Abbildung L : R → C gibt, so dass f (x0 + h) − f (x0 ) − L(h) = 0. h→0 h lim Beweis. Wir wissen, dass eine Funktion L genau dann linear ist, wenn es ein m0 ∈ C gibt, so dass L(h) = m0 h ∀h ∈ R. Nun betrachten wir f (x0 + h) − f (x0 ) − L(h) = lim lim h→0 h→0 h f (x0 + h) − f (x0 ) − m0 h (9.1) und f (x0 + h) − f (x0 ) . (9.2) h→0 h Der Limes in (9.1) existiert und verschwindet genau dann, wenn der Limes in (9.2) existiert (d.h. wenn f in x0 differenzierbar ist) und gleich m0 ist (d.h. m0 = f 0 (x0 )). lim Satz 9.1.3. Eine Funktion f : I → C ist in x0 ∈ I genau dann differenzierbar, wenn es ein φ : I → C gibt, so dass (i) φ in x0 stetig ist und (ii) f (x) − f (x0 ) = φ(x)(x − x0 ). Gegebenenfalls ist φ(x0 ) = f 0 (x0 ). Kapitel 9. Differentialrechnung 97 Beweis. “⇐=”: Sei also die Existenz einer Funktion φ mit obigen Eigenschaften gegeben. Dann folgt mit der Stetigkeit von φ, f (x) − f (x0 ) x→x0 x→x0 x − x0 f (x0 + h) − f (x0 ) = f 0 (x0 ). = lim h→0 h φ(x0 ) = lim φ(x) = lim “ =⇒ ”: Dazu setzen wir f 0 (x ), 0 φ(x) := f (x)−f (x0 ) , x−x0 falls x = x0 falls x 6= x0 . Dann erfüllt φ die Bedingungen (i) und (ii). Beispiel 9.1.4. Sei f (x) = xn . Dann ist (x0 + h)n − xn0 h→0 n h n n−1 x0 + 1 x0 h + n2 x0n−2 h2 + · · · + hn − xn0 = lim h→0 h n n−2 n−1 n−1 = lim nx0 + x h + ··· + h = nxn−1 , 0 h→0 2 0 f 0 (x0 ) = lim d.h. x 7→ f (x) = xn ist in jedem Punkt differenzierbar und die Ableitung ist gegeben durch f 0 (x) = nxn−1 . Beispiel 9.1.5. Sei f (x) = ex . Dann ist die Ableitung in x0 gegeben durch eh − 1 ex0 +h − ex0 = ex0 lim = ex0 . h→0 h→0 h h f 0 (x0 ) = lim D.h. x 7→ f (x) = ex ist überall differenzierbar und die Ableitung ist f 0 (x) = ex . Die Exponentialfunktion besitzt also die bemerkenswerte Eigenschaft, dass die Ableitung wieder die Funktion selbst ist. Kapitel 9. Differentialrechnung 98 Übung 9.1.6. Zeige, dass die Funktion f (x) = ax überall differenzierbar ist und ihre Ableitung gegeben ist durch f 0 (x) = ln(a)ax . Beispiel 9.1.7. Sei f (x) = ln x. Dann ist ln(x0 + h) − ln(x0 ) = lim h→∞ h ln 1 + xh0 1 = 1. = lim h h→0 x0 x0 x0 f 0 (x0 ) = lim h→∞ ln x0 +h x0 h D.h. die Funktion R+ 3 x 7→ f (x) = ln x ist überall (auf ihrem Definitionsbereich!) differenzierbar und es gilt f 0 (x) = x1 . Bemerkung 9.1.8. Falls f in x0 differenzierbar ist, dann ist f auch stetig in x0 : 0 0 = f (x0 ) · 0 = lim x→x0 f (x) − f (x0 ) x − x0 (x − x0 ) =⇒ lim (f (x) − f (x0 )) = 0 x→x0 ⇐⇒ lim f (x) = f (x0 ) ⇐⇒ f stetig in x0 . x→x0 Bemerkung 9.1.9. Die Umkehrung dieser letzten Aussage ist im Allgemeinen falsch. Dazu betrachten p wir folgende Funktion: f (x) = n |x|. Für n ≥ 2 gilt, f (x) − f (0) = +∞ x→0 x−0 lim und für n = 1, f (x) − f (0) = ±1. x→0 x−0 Dies zeigt, dass die Funktion f nicht differenzierbar ist in 0, sie ist jedoch überall p stetig (in x0 6= 0 ist n |x| sogar differenzierbar). lim Kapitel 9. Differentialrechnung 99 9.2. Rechenregeln Satz 9.2.1. Seien f, g : I → C differenzierbar in x0 . Dann gelten die folgenden Rechenregeln: (i) f + g ist auch differenzierbar in x0 und (f + g)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) + g 0 (x0 ) ( Summenregel), (ii) f · g ist auch differenzierbar in x0 und (f g)0 (x0 ) = f 0 (x0 )g(x0 ) + f (x)g 0 (x0 ) (iii) Sei g(x0 ) 6= 0. Dann ist differenzierbar mit f g ( Produkteregel), in der Nähe von x0 wohldefiniert und 0 f 0 (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g 0 (x0 ) f (x0 ) = g g(x0 )2 f g ist in x0 ( Quotientenregel). Beweis. (i) Es ist (f + g)(x0 + h) − (f + g)(x0 ) lim = lim h→0 h→0 h ! f (x0 + h) − f (x0 ) g(x0 + h) − g(x0 ) + , h h {z } | {z } | →f 0 (x0 ) →g 0 (x0 ) dies beweist (i). (ii) Wir haben (f g)(x0 + h) − (f g)(x0 ) h→0 h f (x0 + h)g(x0 + h) − f (x0 + h)g(x0 ) + f (x0 + h)g(x0 ) − f (x0 )g(x0 ) = lim h→0 h g(x0 + h) − g(x0 ) f (x0 + h) − f (x0 ) = lim f (x0 + h) + g(x0 ) h→0 h h lim =f (x0 )g 0 (x0 ) + g(x0 )f 0 (x0 ), Kapitel 9. Differentialrechnung 100 wobei wir benutzt haben, dass f und g in x0 stetig sind. (iii) Es ist lim h→0 f (x0 +h) g(x0 +h) − h f (x0 ) g(x0 ) f (x0 + h)g(x0 ) − f (x0 )g(x0 + h) h→0 [g(x0 )g(x0 + h)] h 1 f (x0 + h)g(x0 ) − f (x0 + h)g(x0 + h) = lim h→0 g(x0 )g(x0 + h) h f (x0 + h)g(x0 + h) − f (x0 )g(x0 + h) + h 1 g(x0 + h) − g(x0 ) = lim f (x0 + h) − h→0 g(x0 )g(x0 + h) h f (x0 + h) − f (x0 ) + g(x0 + h) h 1 (f (x0 )(−g 0 (x0 )) + g(x0 )f 0 (x0 )) . = g(x0 )2 = lim Satz 9.2.2 (Kettenregel). f g Seien I → J → C, wobei I, J ⊂ R Intervalle sind. Falls f an der Stelle x0 und g an der Stelle f (x0 ) differenzierbar ist, dann ist auch g◦f an der Stelle x0 differenzierbar und es gilt die Kettenregel: (g ◦ f )0 (x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). Beweis. Eine Idee diese Aussage zu beweisen, wäre die folgende: g(f (x0 + h)) − g(f (x0 )) g ◦ f (x0 + h) − g ◦ f (x0 ) = lim h→0 h→0 x − x0 x − x0 =:yh =:y z }| { z }|0 { g(f (x0 + h) −g(f (x0 ))) f (x0 + h) − f (x0 ) = lim h→0 f (x0 + h) − f (x0 ) x − x0 | {z } | {z } lim =:yh =:y0 = g 0 (y0 )f 0 (x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) Dies ist jedoch kein Beweis, weil yh − y0 auch gegen Null gehen kann. Den korrekten Kapitel 9. Differentialrechnung 101 Beweis erhalten wir mit Satz 9.1.3: Wegen der Differenzierbarkeit von f und g gibt es zwei stetige Funktionen φ und γ, so dass φ stetig in x0 und γ stetig in f (x0 ) ist und f (x) − f (x0 ) = φ(x)(x − x0 ), g(y) − g(y0 ) = γ(y)(y − y0 ), wobei φ(x0 ) = f 0 (x0 ) und γ(y0 ) = g 0 (y0 ). Also ist g(f (x)) − g(f (x0 )) = γ(f (x))(f (x) − f (x0 )) = γ(f (x))φ(x)(x − x0 ). | {z } =:Φ(x) Dann ist auch Φ stetig an der Stelle x0 . Nun wenden noch einmal den Satz 9.1.3 an und sehen, dass g ◦ f in x0 differenzierbar ist mit (g ◦ f )0 (x0 ) = Φ(x0 ) = γ(f (x0 ))φ(x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). Beispiel 9.2.3. Wir wissen, dass eit = cos t + i sin t. Dann ist 0 (cos x) = eix + e−ix 2 0 = 1 (eix )0 + (eix )0 . 2 Nun würden wir gerne die Identität (eix )0 = ieix (9.3) anwenden. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten! Diese Identität ist keine Folgerung des Satzes 9.2.2: die Werte der Funktion f : x 7→ ix sind nicht in R enthalten (für die Gültigkeit von Satz 9.2.2 haben wir die Voraussetzung, dass f : I → J ⊂ R)! Es gibt tatsächlich eine Erweiterung des Satzes 9.2.2, die auch den Fall (eix )0 enthält (dazu siehe die Theorie der holomorphen Funktionen). Kapitel 9. Differentialrechnung 102 In unserem Fall folgt (9.3) aus der Wachstums-Identität der Exponentialfunktion (siehe (WT) in Satz 8.1.1): ei(x+h) − eix (AT ) ix eih − 1 eih − 1 (W T ) ix = e lim = eix i lim = ie . h→0 h→0 h→0 h h ih lim Deshalb haben wir i 1 i (cos x)0 = eix + e−ix = − (eix − e−ix ) = − sin x. 2 2 2i Analog folgt 0 (sin x) = eix − e−ix 2i 0 = ieix + ie−ix eix + e−ix = = cos x. 2i 2 Übung 9.2.4. Zeige die Identitäten cos0 = − sin und sin0 = cos mithilfe der Additionstheoreme für trigonometrische Funktionen und mit Korollar 8.4.3. Beispiel 9.2.5. Die Ableitung des Tangens ist gegeben durch 0 tan(x) = sin(x) cos(x) 0 = sin(x)0 cos(x) − sin(x) cos(x)0 sin(x)2 + cos(x)2 1 = = . 2 2 cos(x) cos(x) cos(x)2 Satz 9.2.6 (Differentiation der Umkehrfunktion). Sei g die Umkehrfunktion einer stetigen, streng monotonen Funktion f : I → R. Falls f in x0 differenzierbar ist und f 0 (x0 ) 6= 0, dann ist g in y0 = f (x0 ) differenzierbar und es gilt, 1 1 0 = 0 . g (y0 ) = 0 f (x0 ) f (g(y0 )) Beweis. Wegen der Differenzierbarkeit von f in x0 , gibt es eine in x0 stetige Funktion φ, so dass f (x) − f (x0 ) = φ(x)(x − x0 ) Kapitel 9. Differentialrechnung 103 und φ(x0 ) = f 0 (x0 ). Dann folgt für x := g(y), x0 := g(y0 ): y − y0 = φ(g(y))(g(y) − g(y0 )). Also ist φ(g(y)) 6= 0, wenn y 6= y0 . Aber wir haben auch φ(g(y0 )) = φ(x0 ) = f 0 (x0 ) 6= 0. Nun ist φ stetig in x0 und g stetig in y0 =⇒ φ(g) ist stetig in y0 . Sei nun ψ := [φ(g(y))]−1 . Dann ist ψ stetig an der Stelle y0 . Somit ist g differenzierbar in y0 , da g(y) − g(y0 ) = ψ(y)(y − y0 ). Ausserdem ist g 0 (y0 ) = ψ(y0 ) = φ(g(y0 )) = [f 0 (x0 )]−1 ; damit ist alles bewiesen. Bemerkung 9.2.7. Sei f : I → R streng monoton und stetig. Sei g : J → I die Umkehrfunktion von f : I → J. Angenommen beide Funktionen sind differenzierbar. Dann folgt mit der Kettenregel, dass (f ◦ g)0 (x0 ) = f 0 (g(x0 ))g 0 (x0 ) = 1. 1 . Das ist aber kein Beweis des Satzes Falls f 0 (g(x0 )) 6= 0 ist, folgt g 0 (x0 ) = f 0 (g(x 0 )) 9.2.6, da die Differenzierbarkeit von g eine Annahme war und nicht bewiesen wurde. Beispiel 9.2.8. Wir wissen, dass tan0 (x0 ) = 1 6= 0. cos2 (x0 ) Wir haben behauptet, dass tan(x) streng monoton auf ] − π2 , π2 [ mit Bild tan(] − π π , [) = R ist (siehe Beispiel 9.3.7 für den Beweis). D.h. wir dürfen Satz 9.2.6 2 2 anwenden: arctan(x) ist überall differenzierbar mit (arctan)0 (x0 ) = 1 = tan (arctan(x0 )) 0 = cos2 (arctan(x0 )). 1 1 cos2 (arctan(x0 )) Kapitel 9. Differentialrechnung 104 Ferner ist 1 cos2 (x) = 1 + tan(x)2 1 1 ! = cos(x)2 +sin(x)2 = cos(x)2 sin(x)2 1 + cos(x) 2 cos(x)2 1 1 =⇒ cos2 (arctan(x0 )) = = 2 1 + (tan(arctan(x0 ))) 1 + x20 1 =⇒ arctan0 (x) = . 1 + x2 = Übung 9.2.9. Leite analog zu obigem Beispiel die Ableitungen von arccos(x) und arcsin(x) her. 9.3. Die Sätze von Rolle und Lagrange Satz 9.3.1. Sei f : I → R eine überall differenzierbare Funktion und sei x0 ∈ I ein Maximum (bzw. ein Minimum) von f . Dann gilt: (a) Falls x0 im Inneren von I ist, dann ist f 0 (x0 ) = 0, (b) Falls x0 das rechte Extremum von I ist, dann ist f 0 (x0 ) ≥ 0 (bzw. bei einem Minimum: f 0 (x0 ) ≤ 0), (c) Falls x0 das linke Extremum von I ist, dann ist f 0 (x0 ) ≤ 0 (bzw. bei einem Minimum: f 0 (x0 ) ≥ 0). Beweis. (a) Sei x0 im Innern von I. Dann gilt: ≤0 }| { z f (x) − f (x 0) ≤0 limx↓x0 x − x | {z }0 ≥0 ≤0 z }| { f (x) − f (x 0) ≥0 limx↑x0 x − x | {z }0 ≤0 . Kapitel 9. Differentialrechnung 105 Also ist f 0 (x0 ) = 0. (c) Sei x0 das linke Extremum und eine Maximumstelle. Dann ist f 0 (x0 ) = lim x↓x0 f (x) − f (x0 ) ≤ 0. x − x0 (b) Analog. Satz 9.3.2 (Mittelwertsatz oder Satz von Lagrange). Sei f : [a, b] → R eine in jedem Punkt stetige Funktion, die in ]a, b[ differenzierbar ist. Dann ∃ξ ∈]a, b[, so dass f 0 (ξ) = f (b) − f (a) . b−a Satz 9.3.3 (von Rolle). Sei f wie oben mit f (b) = f (a). Dann gibt es ein ξ ∈]a, b[, so dass f 0 (ξ) = 0. Der Satz von Rolle ist ein Spezialfall des Satzes von Lagrange. Trotzdem werden wir zuerst den Satz von Rolle beweisen und anschliessend den von Lagrange daraus herleiten. Beweis von Satz 9.3.3. Es gilt, 1. Fall: ∃x ∈]a, b[ mit f (x) < f (b), f (b) = f (a) =⇒ 2. Fall: ∃x ∈]a, b[ mit f (x) > f (b) 3. Fall: f (x) = f (b) ∀x ∈]a, b[. 3. Fall: f ist konstant auf [a, b]. Dann ist aber f 0 (ξ) = 0 ∀ξ ∈]a, b[. 2. Fall: Sei x0 eine Maximumstelle von f in [a, b]. Dann ist x0 ∈]a, b[, weil f (x0 ) > f (a) = f (b) und somit ist f 0 (x0 ) = 0. 1. Fall: Sei x0 eine Minimumstelle von f in [a, b]. Dann ist x0 ∈]a, b[ und daher ist f 0 (x0 ) = 0. Beweis von Satz 9.3.2. Wir setzen g(x) := f (x) − x−a (f (b) − f (a)). b−a Kapitel 9. Differentialrechnung 106 Dann ist g(a) = f (a) = g(b) und mit dem Satz von Rolle folgt, ∃ξ ∈]a, b[, so dass g 0 (ξ) = 0. Also ist f (b) − f (a) 0 = g 0 (ξ) = f 0 (ξ) − . a−b Korollar 9.3.4 (Monotoniekriterium). Sei f :]a, b[→ R eine differenzierbare Funktion. Dann gelten die folgenden Aussagen: 1. f 0 ≥ 0 =⇒ f wächst in ]a, b[ monoton, 2. f 0 > 0 =⇒ f wächst in ]a, b[ streng monoton, 3. f 0 ≤ 0 =⇒ f fällt in ]a, b[ monoton, 4. f 0 < 0 =⇒ f fällt in ]a, b[ streng monoton. Beweis. Seien c, d ∈]a, [] mit c < d. Dann folgt mit dem Mittelwertsatz: ∃ξ ∈]c, d[, so dass f (d) − f (c) = f 0 (ξ) (d − c) . | {z } >0 Wir können also die Aussagen des Korollars direkt an obiger Gleichung ablesen. Korollar 9.3.5 (Kriterium für Extrema). Sei f :]a, b[→ R differenzierbar. Falls für die Ableitung f 0 (x) gilt: (a) f 0 (x) < 0 ∀x > x0 und (b) f 0 (x) > 0 ∀x < x0 , dann ist x0 das Maximum von f in ]a, b[. Korollar 9.3.6 (Kriterium für Konstanz). Sei f :]a, b[→ R differenzierbar mit f 0 ≡ 0. Dann ist f = konst. Beispiel 9.3.7. Der Tangens ist streng monoton wachsend in ] − π2 , π2 [, denn: tan(x)0 = 1 > 0. cos(x)2 Kapitel 9. Differentialrechnung 107 NB: Der Tangens ist nicht monoton auf R \ π2 + kπ : k ∈ Z (z.B. 1 = tan( π4 ) = tan( π4 + kπ) ∀k ∈ N). D.h. auf R \ π2 + kπ : k ∈ Z ist Korollar 9.3.4 nicht anwendbar! 9.4. Anwendungen des Mittelwertsatzes: Der Schrankensatz und die Regel von L’Hospital Satz 9.4.1 (Schrankensatz). Sei f : [a, b] → R stetig auf [a, b] und differenzierbar in ]a, b[ mit |f 0 (ξ)| ≤ M ∀ξ ∈]a, b[. Dann ist f Lipschitz-stetig mit |f (y) − f (x)| ≤ M |x − y| ∀x, y ∈ [a, b]. Beweis. ∀y 6= x (OBdA: y > x) gilt wegen dem Mittelwertsatz, ∃ξ ∈]x, y[⊂]a, b[, so dass f (y) − f (x) = f 0 (ξ)(y − x) =⇒ |f (y) − f (x)| = |f 0 (ξ)||y − x| ≤ M |y − x|. Die Funktionen, die wir bis jetzt gesehen haben, sind alle differenzierbar mit stetiger Ableitung. Dann ist die Einschränkung der Ableitung auf einem kompakten Intervall beschränkt. Mit dem Schrankensatz folgt dann die Lipschitz-Stetigkeit dieser Einschränkung. Satz 9.4.2 (Verallgemeinerter Mittelwertsatz oder Satz von Cauchy). Seien f, g : [a, b] → R überall stetig und differenzierbar in ]a, b[. Ferner sei g 0 (x) 6= 0 Kapitel 9. Differentialrechnung 108 ∀x ∈]a, b[. Dann ∃ξ ∈]a, b[, so dass f 0 (ξ) f (b) − f (a) = 0 . g(b) − g(a) g (ξ) Bemerkung 9.4.3. Der Mittelwertsatz ist ein Spezialfall des Satzes von Cauchy: Dazu setzen wir g(x) := x. Dann ist g 0 (x) = 1 ∀x und somit, f (b) − f (a) f (b) − f (a) f 0 (ξ) f 0 (ξ) = = 0 = = f 0 (ξ). b−a g(b) − g(a) g (ξ) 1 Beweis. Wie der Satz von Lagrange kann auch der Satz von Cauchy aus dem Satz von Rolle hergeleitet werden: Dazu setzen wir F (x) := f (x) − f (b) − f (a) (g(x) − g(a)). g(b) − g(a) Dann ist F (a) = f (a) = F (b) und mit dem Satz von Rolle folgt, ∃ξ ∈]a, b[, so dass F 0 (ξ) = 0 =⇒ f 0 (ξ) = f (b) − f (a) 0 g (ξ), g(b) − g(a) was zu zeigen war. Satz 9.4.4 (De L’Hospitalsche Regel). Seien f, g :]a, b[→ R überall differenzierbar, und es sei g 0 (x) 6= 0 ∀x ∈]a, b[. In jeder der beiden folgenden Situationen (a) f (x) → 0 und g(x) → 0 für x ↓ a, (b) f (x) → ∞ und g(x) → ∞ für x ↓ a, gilt: Existiert limx↓a f 0 (x) , g 0 (x) so existiert auch limx↓a lim x↓a f (x) g(x) und es ist f (x) f 0 (x) = lim 0 . x↓a g (x) g(x) Entsprechend für x ↑ b, x → ∞ und x → −∞. Kapitel 9. Differentialrechnung 109 Eine grobe Idee wieso dieser Satz gilt, ist die folgende: Nehmen wir an, dass die Funktionen f und g auch in a definiert und differenzierbar sind, mit f (a) = g(a) = 0, Dann gilt, falls |x − a| klein genug ist, f (x) = f 0 (a)(x − a) + R, g(x) = g 0 (a)(x − a) + R0 , wobei R und R0 sehr klein im Vergleich zu |x − a| sind. Damit folgt, f 0 (a) f (x) ∼ 0 . g(x) g (a) Wenn die Ableitungen von f und g zusätzlich noch stetig sind, dann ist f (x) f 0 (x) ∼ 0 . g(x) g (x) Beweis. (a) Wir fassen f und g als Funktionen auf, die in a stetig sind und dort den Wert 0 haben, d.h. f (a) = g(a) = 0. Mit dem verallgemeinerten Mittelwertsatz folgt, ∀x ∈]a, b[ ∃ξ ∈]a, x[, so dass f (x) − f (a) f 0 (ξ) f (x) = = 0 g(x) g(x) − g(a) g (ξ) ist. x → a impliziert ξ → a und damit ist die Behauptung (a) bewiesen. (b) Sei A := limξ→a dass f 0 (ξ) g 0 (ξ) ∈ R und ε > 0 gegeben. Dann wählen wir ein δ > 0, so 0 f (t) < ε ∀t ∈]a, a + δ[. − A g 0 (t) Mit dem verallgemeinerten Mittelwertsatz folgt dann für beliebige Punkte x, y ∈ ]a, a + δ[ mit y 6= x, f (x) − f (y) < ε. − A g(x) − g(y) Nun ist g(y) f (x) f (x) − f (y) 1 − g(x) = · . g(x) g(x) − g(y) 1 − f (y) f (x) Kapitel 9. Differentialrechnung 110 Sei nun y ∈]a, a + δ[ fixiert. Der rechte Faktor geht beim Grenzübergang x ↓ a gegen 1; insbesondere ∃δ ∗ ∈]0, δ[, so dass für alle x ∈]a, a + δ ∗ [ gilt, f (x) f (x) − f (y) g(x) − g(x) − g(y) < ε. Für x ∈]a, a + δ ∗ [ erhalten wir damit, f (x) g(x) − A < 2ε. Dies beweist (b). Der Grenzübergang x → ∞ kann auf den bewiesenen Grenzübergang y ↓ 0 durch die Substitution x = y1 zurückgeführt werden. Beispiel 9.4.5. Wir wollen nun einige Grenzwerte mit Hilfe der De L’Hospitalsche Regel bestimmen. Sei f (x) = ex und g(x) = x. Dann ex f (x) f 0 (x) = lim = lim 0 = lim ex = +∞. x→∞ x x→∞ x x→∞ g (x) x→∞ lim In ähnlicher Weise, wenn f (x) = ex and g(x) = xn , dürfen wir die Regel n Mal anwenden: f (x) f 0 (x) f (n) (x) ex = lim 0 = . . . = lim (n) = lim = +∞. x→∞ g(x) x→∞ g (x) x→∞ g (x) x→∞ n! lim Ab und zu ist es hilfreich einen Grenzwert als Limes eines Bruchs umzuschreiben, Kapitel 9. Differentialrechnung 111 um die De L’Hospitalsche Regel anzuwenden: f 0 (x) f (x) z }| { z }| { 1 cos x − 1 1 sin x − x − = lim lim = lim x→0 x sin x x→0 x→0 sin x + x cos x x sin x | {z } | {z } g 0 (x) g(x) f 00 (x)→0 z }| { − sin x − 0 = lim = 0. x→0 cos x − x sin x + cos x | {z } g 00 (x)→2 9.5. Differentiation einer Potenzreihe Wegen den Rechenregeln für die Ableitung wissen wir, dass für ein Polynom P (x) := an xn + an−1 xn−1 + · · · + a0 gilt: P 0 (x) = nan xn−1 + (n − 1)an−1 xn−2 + · · · + a1 . Sei nun f durch eine Potenzreihe mit nicht trivialem Konvergenzradius definiert: f (x) = ∞ X an x n . n=0 Nun stellt sich die Frage, ob die Potenzreihe f auf ihrem Definitionsbereich differenzierbar ist. Wenn ja, gilt dann die Formel 0 f (x) = ∞ X nan xn−1 ? n=1 Antworten auf diese Fragen gibt der folgende Satz: Satz 9.5.1 (Differentiation einer Potenzreihe). P n Sei ∞ n=0 an x = f (x) eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0 (auch R = +∞ Kapitel 9. Differentialrechnung 112 ist zugelassen). Falls |x0 | < R, dann ist f in x0 differenzierbar und es gilt: f 0 (x0 ) = ∞ X nan xn−1 . n=1 (Falls R = +∞, dann ist f auf ganz R differenzierbar.) Bemerkung 9.5.2. Aus dem Konvergenzkriterium von Cauchy-Hadamard folgt, dass die Reihen ∞ X nan x n−1 und n=1 ∞ X an x n n=0 P n−1 konvergiert genau den gleichen Konvergenzradius haben: Die Reihe ∞ n=1 nan x P∞ n dann, wenn n=0 an x konvergiert und ihre Konvergenzradien sind gleich: R0 = 1 lim supn→∞ 1 p p = = R. n n|an | lim supn→∞ n |an | Wir wollen uns noch einmal mit Lemma 6.6.2 beschäftigen. Dieses Lemma besagt, dass wenn eine Potenzreihe an einer Stelle x0 konvergiert, so konvergiert sie auch in jedem Punkt x mit |x| < |x0 |. Aber die Kernidee des Beweises dieses Lemmas hat noch weitere Konsequenzen, wie wir gleich sehen werden. Definition 9.5.3. Sei I = [a, b] ein abgeschlossenes Intervall und f : I → R eine stetige Funktion. Dann definieren wir : kf kC 0 (I) := max |f (x)|. x∈I Definition 9.5.4. Sei I ein abgeschlossenes Intervall und fn : I → R eine Folge von Funktionen. Falls P n fn (x) für jedes x ∈ I konvergiert, dann definieren wir eine neue Funktion durch: I 3 x 7→ f (x) := ∞ X fn (x) ∈ R. n=0 Für diese neue Funktion schreiben wir kurz f = P n fn , d.h. f ist eine Reihe von Kapitel 9. Differentialrechnung 113 Funktionen. Falls jedes fn stetig ist und ∞ X kfn kC 0 (I) < ∞, n=0 dann heisst die Reihe P n fn normal konvergent. Bemerkung 9.5.5. Eine Potenzreihe ist dann ein Beispiel einer Reihe von Funktionen und der Beweis von Lemma 6.6.2 impliziert, dass eine Potenzreihe im Inneren ihres Konvergenzkreises normal konvergiert. Lemma 9.5.6. P Sei an xn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Des Weiteren sei ρ < R und I = [−ρ, ρ]. Dann konvergiert die Potenzreihe normal auf I. P Beweis. Sei x0 , so dass ρ < |x0 | < R. Dann konvergiert die Reihe an xn0 . Deshalb ist |an ||x0 |n eine Nullfolge und somit beschränkt, d.h. ∃M ≥ 0, so dass |an ||x0 |n ≤ M ∀n ∈ N. Sei nun fn (x) := an xn . Dann ist kfn kC 0 (I) = max |fn (x)| = max |an ||x|n = |an |ρn |x|≤ρ |x|≤ρ n ρ n ≤ M γ n. = |an ||x0 | |x0 | |{z} =:γ P Da γ < 1 ist, konvergiert die geometrische Reihe n M γ n und mit dem Majorantenkriterium folgt nun die normale Konvergenz unserer Potenzreihe, d.h. ∞ X n=0 kfn kC 0 (I) < ∞. Kapitel 9. Differentialrechnung 114 P P Sei nun n fn = n an xn eine Potenzreihe wie in Satz 9.5.1. Sei R > 0 ihr Konvergenzradius und ρ eine beliebige positive reelle Zahl mit ρ < R. Mit Bemerkung 9.5.2 und Lemma 9.5.6 folgt, (1) ∀n ∈ N: fn ist differenzierbar (2) P fn und P fn0 konvergieren normal auf I = [−ρ, ρ]. Dann folgt Satz 9.5.1 aus der folgenden allgemeineren Aussage: Theorem 9.5.7. P Sei fn eine Reihe von Funktionen auf einem abgeschlossenen Intervall I. Falls 1. P fn (x) ∀x ∈ I konvergiert und 2. P fn0 normal konvergiert, dann ist f überall differenzierbar mit f 0 = P fn0 . Beweis. Sei x ∈ I. Die Differenzierbarkeit an dieser Stelle bedeutet: f (x + h) − f (x) 0 − f (x) = 0. lim h→0 h Daher müssen wir beweisen, dass ∞ X fn (x + h) − fn (x) lim − fn0 (x) = 0. h→0 h n=0 | {z } :=D Für jedes N ∈ N und jedes h mit x + h ∈ I folgt mit der Dreiecksungleichung, X N ∞ X fn (x + h) − fn (x) f (x + h) − f (x) n n D≤ − fn0 (x) + − fn0 (x) . h h n=0 | {z } |n=N +1 {z } =:A =:B Sei nun ε > 0 gegeben. Wir zeigen, dass ∃N ∈ N und ∃h̄ > 0, so dass A< ε 2 und B< ε 2 ∀h mit |h| < h̄. Kapitel 9. Differentialrechnung 115 Zuerst wählen wir die Zahl N : ∞ ∞ X fn (x + h) − fn (x) Schrankensatz X 0 0 0 B≤ ≤ kfn kC 0 (I) + kfn kC 0 + |fn (x)| h n=N +1 n=N +1 ! ∞ ∞ N X X X ε = 2kfn0 kC ◦ (I) = 2 kfn0 kC ◦ (I) − kfn0 kC ◦ (I) < 2 n=0 n=0 n=N +1 | {z } | {z } =:bN →b =:b für N gross genug. Diese Wahl von N garantiert sogar, dass B < ε/2 für jedes h! Nun wählen wir h̄: Da N fixiert ist, gilt, X N h→0 fn (x + h) − fn (x) − fn0 (x) −→ 0. A = h n=0 | {z } →0 Also ∃h̄ > 0, so dass A < ε/2, wenn |h| < h̄ und damit ist das Theorem bewiesen. 9.6. Ableitungen höherer Ordnung und die Taylorreihe Definition 9.6.1. Sei f im Intervall I differenzierbar. Falls die Funktion f 0 : I → R in x0 differenzierbar ist, so heisst die Ableitung von f 0 in x0 die zweite Ableitung von f in x0 . Wir bezeichnen diese mit f 00 (x0 ). Allgemein definieren wir rekursiv die n-te Ableitung f (n) von f als Ableitung von f (n−1) , falls f (n−1) differenzierbar ist. Ist f n-mal differenzierbar für jedes n ∈ N, so heisst f beliebig oft differenzierbar. Bemerkung 9.6.2. P n Sei f (x) = ∞ n=0 an x eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Dann ist f beliebig oft differenzierbar auf ] − R, R[. Ausserdem können wir die k-te Ableitung wie folgt bestimmen: f (k) (x) = ∞ X n=k n(n − 1)(n − 2) · · · (n − k + 1)an xn−k . Kapitel 9. Differentialrechnung 116 Es folgt, dass f (0) = a0 f 0 (0) = a1 .. . f (k) (0) = k!ak . Definition 9.6.3. Eine Funktion f heisst analytisch an der Stelle x0 , falls auf einem Intervall ]x0 − ρ, x0 + ρ[ mit ρ > 0 gilt, X f (x) = an (x − x0 )n . Die Bemerkung 9.6.2 hat deswegen die folgende Konsequenz: Korollar 9.6.4. Sei f analytisch in x0 . Dann ∃ρ > 0, so dass 1. f beliebig oft differenzierbar in I =]x − ρ, x + ρ[ ist und 2. f (x) = P∞ n=0 f (n) (x0 ) (x n! − x0 )n ∀x ∈ I. Es ist jedoch Vorsicht geboten: beliebig oft differenzierbar impliziert nicht analytisch! Beispiel 9.6.5. Sei x0 = 0 und f (x) := ex . Dann gilt, f (0) (x) = ex = f 0 (x) = f 00 (x) = · · · = f (k) (x) = ex und f (n) (0) = 1 ∀n ∈ N, d.h. ex = P xk k! . 9.7. Die Lagrange-Fehlerabschätzung Definition 9.7.1. Sei f n-mal differenzierbar. Das Taylorpolynom der Ordnung n an der Stelle x0 ist Kapitel 9. Differentialrechnung 117 wie folgt definiert: Txn0 := n X f (i) (x0 ) i=0 i! (x − x0 )i . Satz 9.7.2 (Lagrange-Fehlerabschätzung). Sei f (n + 1)-mal differenzierbar in I und x0 ∈ I. Dann gilt: ∀x ∈ I, ∃ξ ∈]x0 , x[, so dass f (n+1) (ξ) Rxn0 (x) := f (x) − Txn0 (x) = (x − x0 )n+1 . (9.4) (n + 1)! Bemerkung 9.7.3. (9.4) ist für n = 0, f (x) − f (x0 ) = f 0 (ξ)(x − x0 ) ⇐⇒ | {z } f (x) − f (x0 ) = f 0 (ξ). x − x0 =Tx00 (x) D.h. die Lagrange-Fehlerabschätzung ist eine Verallgemeinerung des Satzes von Lagrange (d.h. des Mittelwertsatzes). Beweis. Seien h(x) := Rxn0 (x) und g(x) = (x − x0 )n+1 . Es ist dann leicht zu sehen, dass g(x0 ) = g 0 (x0 ) = . . . = g (n) (x0 ) = 0, h(x0 ) = h0 (x0 ) = . . . = h(n) (x0 ) = 0, und h(n+1) (x) = f (n+1) (x) ∀x ∈ I. Wir können also den verallgemeinerten Mittelwertsatz (vMWS) (n + 1)-mal anwenden und erhalten, h(x) h(x) − h(x0 ) vMWS h0 (ξ1 ) h0 (ξ1 ) − h0 (x0 ) = = = g(x) g(x) − g(x0 ) g 0 (ξ1 ) g 0 (ξ1 ) − g 0 (x0 ) (n+1) (ξn+1 ) f (n+1) (ξn+1 ) vMWS h = ··· = = , g (n+1) (ξn+1 ) (n + 1)! vMWS = h00 (ξ2 ) g 00 (ξ2 ) wobei ξ1 ∈]x, x0 [, ξ2 ∈]ξ1 , x0 [, . . . , ξn+1 ∈]ξn , x0 [. Nun setzen wir ξ := ξn+1 und es Kapitel 9. Differentialrechnung 118 folgt, f (x) − Txn0 (x) = Rxn0 (x) = h(x) = f (n+1) (ξ) f (n+1) (ξ) g(x) = (x − x0 )n+1 , (n + 1)! (n + 1)! was zu zeigen war. Beispiel 9.7.4. Wir haben bereits gesehen, dass x e = ∞ X xj j=0 j! ∀x ∈ R. Diese Identität kann man auch aus der Lagrange-Fehlerabschätzung herleiten. Das Taylorpolynom der Ordnung n in 0 ist gegeben durch T0n (x) = n X xj j=0 j! . Sei nun x ∈ R fixiert. Dann ist n x X xj eξn xn+1 , e − = j! (n + 1)! j=0 | {z } =R0n+1 (x) wobei ξn ein Punkt zwischen x und 0 ist. Also ist |ξn | ≤ |x| und es folgt, n j X x |x|n+1 x e − ≤ e|x| j! (n + 1)! (9.5) |x|n+1 = 0. n→∞ (n + 1)! (9.6) j=0 Wir wissen schon, dass lim Zur Erinnerung: Sei N ∈ N, so dass N ≥ 2|x|. Dann ist |x|n+1 |x|N |x| |x| |x| |x|N = ··· ≤ (n + 1)! N! N + 1 N + 2 n+1 N! n+1−N 1 . 2 Kapitel 9. Differentialrechnung 119 Mit (9.5) und (9.6) folgt nun, dass ∞ j X x n 0 ≤ f (x) − = f (x) − lim T0 (x) n→∞ j! j=0 |x|n+1 = lim R0n (x) ≤ lim sup |R0n (x)| ≤ lim e|x| = 0. n→∞ n→∞ (n + 1)! n→∞ Beispiel 9.7.5. Sei f (x) := ln(x + 1). (Bemerkung: das Taylorpolynom (bzw. die Taylorreihe) in 0 von f ist das Taylorpolynom (bzw. die Taylorreihe) von ln(x) an der Stelle 1.) Dann ist T0n (x) = n X f (j) (0) j! j=0 xj = n X (−1)j−1 j=1 j xj = x − x2 x3 x4 xn + − + · · · + (−1)n−1 . 2 3 4 n Wir wollen zeigen, dass n X xj ln(x + 1) = (−1)j−1 j j=1 x2 x3 x4 =x− + − + ··· 2 3 4 (9.7) in einer Umgebung von 0. Dazu sei x > −1. Mit der Lagrange-Fehlerabschätzung folgt, n! (n+1) (ξn )| n+1 (1+ξn )n+1 f (x) − T0n (x) = |f |x| = |x|n+1 , | {z } (n + 1)! (n + 1)! =R0n (x) wobei ξn zwischen 0 und x liegt. Deswegen ist ξn > −1 und 1+ξn ≥ 1−|ξn | ≥ 1−|ξ|. Folglich ist 1 |x|n+1 |R0n (x)| ≤ . (n + 1) (1 − |x|)n+1 Da aber |x| ≤ 1 2 =⇒ |x| 1−|x| ≤ 1 und lim |R0n (x)| n→∞ 1 1 1 ≤ lim = 0 ∀x ∈ − , . n→∞ n + 1 2 2 Kapitel 9. Differentialrechnung 120 Falls x ∈]0, 1], dann ist ξn > 0 und |R0n (x)| ≤ |x|n+1 1 ≤ . n+1 n+1 Deshalb gilt die Gleichung (9.7) auch für x ∈] 21 , 1]. Tatsächlich gilt diese Gleichung auch für x ∈] − 1, − 21 [; dies folgt aber aus einer (anderen) Formel für den Rest. P xj j Ferner hat die Reihe ∞ j=1 j (−1) Konvergenzradius R = 1. D.h. die Identität (9.7) ist falsch, wenn x > 1. 9.8. Konvexität Definition 9.8.1. Eine Funktion f : I → R heisst konvex, wenn sie die folgende Eigenschaft hat: ∀x1 < x2 ∈ I gilt, f (x) ≤ x − x1 x2 − x f (x2 ) + f (x1 ) =: g(x) ∀x ∈]x1 , x2 [. x2 − x1 x 2 − x1 (9.8) f heisst streng konvex, falls “<” in (9.8) gilt. Ferner heisst f konkav (bzw. streng konkav ), falls “≥” (bzw. “>”) in (9.8) gilt. Bemerkung 9.8.2. Im Allgemeinen folgt aus der Konvexität einer Funktion f nicht deren Differenzierbarkeit. Betrachte z.B. die Funktion f (x) = |x| auf R. Satz 9.8.3. Sei f : I → R stetig und differenzierbar im Inneren von I. Dann gilt: f konvex ⇐⇒ f 0 (x1 ) ≤ f 0 (x2 ) ∀x1 < x2 f streng konvex ⇐⇒ f 0 (x1 ) < f 0 (x2 ) ∀x1 < x2 . Korollar 9.8.4. Kapitel 9. Differentialrechnung 121 Sei f wie in Satz 9.8.3, aber 2-mal differenzierbar im Inneren von I. Dann gilt: f 00 ≥ 0 ⇐⇒ f konvex f 00 > 0 =⇒ f streng konvex. Beispiel 9.8.5. Sei f (x) = x4 . Dann ist f ist streng konvex und f 00 (x) = 12x2 . Nun verschwindet die Ableitung von f an der Stelle x = 0, aber f ist trotzdem streng konvex. Bemerkung 9.8.6. Sei f überall differenzierbar und 2-mal differenzierbar in x0 mit f 0 (x0 ) = 0. Dann gilt: (i) Falls f 00 (x0 ) > 0 =⇒ x0 ist ein lokales Minimum. (ii) Falls f 00 (x0 ) < 0 =⇒ x0 ist ein lokales Maximum. Nehmen wir an, dass f 0 (x0 ) = 0, f 00 (x0 ) > 0. Dann ∃ε > 0, so dass f 0 (x) > 0 ∀x ∈]x0 − ε, x0 [ und f 0 (x) < 0 ∀x ∈]x0 , x0 + ε[. Tatsächlich ist f 0 (x) f 0 (x) − f 0 (x0 ) = f 00 (x0 ) =⇒ lim = f 00 (x0 ) > 0 x→x0 x − x0 x→x0 x − x0 f 0 (x) =⇒ ∃ε : > 0 ∀x ∈]x0 − ε, x0 + ε[\ {x0 } x − x0 ( f 0 (x) > 0 ∀x ∈]x0 , x0 + ε[ =⇒ f 0 (x) < 0 ∀x ∈]x0 − ε, x0 [. lim Lemma 9.8.7. (9.8) ⇐⇒ f (λx1 + (1 − λ)x2 ) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) ∀x1 < x2 , ∀λ ∈]0, 1[. Kapitel 9. Differentialrechnung 122 Beweis. Sei x1 < x2 . Es ist f (x) = Nun setzen wir λ := x − x1 x2 − x f (x1 ) + f (x2 ) ∀x ∈]x1 , x2 [ . x2 − x1 x2 − x1 x2 −x x2 −x1 (9.9) und es gilt, ∀x ∈]x1 , x2 [ =⇒ λ = x2 − x ∈]0, 1[ x2 − x1 ∀λ ∈]0, 1[ =⇒ x = λx1 + (1 − λ)x2 ∈]x1 , x2 [ x2 − x ⇐⇒ λ(x2 − x1 ) = x2 − x ⇐⇒ x = λx1 + (1 − λ)x2 . λ= x2 − x1 Folglich ist die Abbildung ]0, 1[3 λ 7→ λx1 + (1 − λx2 ) ∈]x1 , x2 [ bijektiv. Wir können also λ statt x in der Identität (9.9) einsetzen. Es ist jedoch λ= x2 − x x2 − x 6 x2 − x1 − 6 x2 + x x − x1 ⇐⇒ 1 − λ = 1 − = = . x2 − x1 x2 − x1 x2 − x1 x2 − x1 Deswegen ist (9.9) äquivalent zu f (λx1 + (1 − λ)x2 ) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) ∀x1 < x2 , ∀λ ∈]0, 1[, was zu zeigen war. Lemma 9.8.8. Ein Funktion f : I → R ist genau dann konvex, wenn für jedes Tripel x1 < x < x2 ∈ I die folgende Ungleichung gilt: f (x) − f (x1 ) f (x2 ) − f (x) ≤ . x − x1 x2 − x (9.10) f ist genau dann streng konvex, wenn für jedes Tripel x1 < x < x2 die echte Ungleichung in (9.10) gilt. Kapitel 9. Differentialrechnung 123 Beweis. Es ist f (x2 ) − f (x) f (x) − f (x1 ) ≤ x − x1 x2 − x 1 1 f (x1 ) f (x2 ) ⇐⇒ f (x) + ≤ + x − x1 x2 − x x − x1 x2 − x x2 − x x − x1 x2 − x + x − x1 (x2 − x)(x − x1 ) ≤ f (x1 ) + f (x2 ) ⇐⇒ f (x) (x − x1 )(x2 − x) x2 − x1 x2 − x1 x2 − x1 x2 − x x − x1 ⇐⇒ f (x) ≤ f (x1 ) + f (x2 ) . x2 − x1 x2 − x1 Beweis von Satz 9.8.3. f konvex =⇒ f 0 wachsend: Es ist f (x + h) − f (x) , h↓0 (x + h) − x f (y + h) − f (y) f 0 (y) = lim . h↓0 (y + h) − y f 0 (x) = lim Wenn h sehr klein ist, gilt x < x + h < y < y + h. In diesem Fall impliziert Lemma 9.8.8 die Ungleichungen f (y) − f (x + h) f (y + h) − f (y) f (x + h) − f (x) ≤ ≤ . (x + h) − x y − (x + h) (y + h) − y Also ist f 0 (x) = lim h↓0 f (x + h) − f (x) f (y + h) − f (y) ≤ lim = f 0 (y). h↓0 (x + h) − x (y + h) − y f 0 wachsend =⇒ f konvex: Sei x1 < x < x2 . Mit dem Satz von Lagrange folgt, ∃ξ1 ∈]x1 , x[, so dass f (x) − f (x1 ) = f 0 (ξ1 ) x − x1 und ∃ξ2 ∈]x1 , x[, so dass f (x2 ) − f (x) = f 0 (ξ2 ). x2 − x NB: Es ist ξ2 > ξ1 . Weil f 0 (ξ2 ) ≥ f 0 (ξ1 ) ist, gilt (9.10). Mit Lemma 9.8.8 folgt dann Kapitel 9. Differentialrechnung 124 die Konvexität von f . Die zweite Behauptung des Satzes kann analog zur ersten bewiesen werden. 10. Integralrechnung Sei f : [x0 , x1 ] = I → R eine nichtnegative stetige Funktion. Das Ziel der Integralrechnung ist, den Inhalt der folgenden Fläche zu berechnen: G := {(x, y) : x ∈ I und 0 ≤ y ≤ f (x)} . 10.1. Treppenfunktionen Definition 10.1.1. Eine Funktion φ : [a, b] → R heisst Treppenfunktion, wenn es eine Zerlegung von [a, b] gibt, d.h. ∃x0 , x1 , . . . , xn mit a = x0 < x1 < · · · < xn = b, so dass φ auf jedem Intervall ]xk−1 , xk [ konstant ist. Definition 10.1.2. Sei φ eine Treppenfunktion und x0 < x1 < . . . < xn ein Zerlegung wie in der obigen Definition. Falls ck der Wert von φ auf ]xk−1 , xk [ ist, dann ist das Integral von f auf dem Intervall [a, b] definiert als Z b f (x)dx := a n X (xk − xk−1 )ck . k=1 Übung 10.1.3. Rb Es ist leicht zu sehen (aber sehr wichtig), dass a f (x)dx unabhängig von der Zerlegung und deswegen wohldefiniert ist. Deshalb definieren wir als nächstes die Verfeinerung einer Zerlegung. Definition 10.1.4. Eine Zerlegung des Intervalls [a, b] ist gegeben durch endlich viele Punkte a = x0 < 125 Kapitel 10. Integralrechnung 126 x1 < . . . < xn = b. Eine Zerlegung 0 = y0 < . . . < yN = b heisst Verfeinerung der Zerlegung a = x0 < x1 < . . . < xn = b, wenn {y1 , . . . , yN } ⊃ {x1 , . . . , xn }. Lemma 10.1.5. Sei f eine Treppenfunktion und a = x0 < x1 < . . . < xn = b eine Zerlegung von I, so dass f auf jedem Intevall ]xk−1 , xk [ einen konstanten Wert αk annimmt. Sei 0 = y0 < y1 < . . . < yN = b eine Verfeinerung dieser Zerlegung. Dann nimmt die Funktion f einen konstanten Wert βj auf jedem Intervall ]yj−1 , yj [ an. Zudem ist n X αk (xk − xk−1 ) = N X βj (yj − yj−1 ). j=1 k=1 Beweis. Der Beweis ist einfach und sei deshalb dem/der Leser/in überlassen. Korollar 10.1.6. Sei f eine Treppenfunktion und a = x0 < x1 < . . . < xn = b, a = z0 < z1 < . . . < zm = b zwei Zerlegungen, so dass f |]xk−1 ,xk [ ≡ αk und f |]zj−1 ,zj [ ≡ γj . Dann gilt: n X αk (xk − xk−1 ) = m X γj (zj − zj−1 ). j=1 k=1 Beweis. Wir konstruieren eine neue Zerlegung: Wir nehmen die Menge {x0 , . . . , xn }∪ {z0 , . . . , zm } und ordnen die entsprechenden Punkte wie folgt: a = y0 < . . . < aN = b. Diese neue Zerlegung ist eine Verfeinerung von a = x0 < x1 < . . . < xn = b, aber auch eine Verfeinerung von a = z0 < z1 < . . . < zm = b. Mit Lemma 10.1.5 folgt dann, n X αk (xk − xk−1 ) = k=1 N X `=1 = m X j=1 Bemerkung 10.1.7. βj (y` − y`−1 ) γj (zj − zj−1 ). Kapitel 10. Integralrechnung 127 Manchmal schreiben wir auch kurz [a, b] bezeichnet). Rb a f, R R f oder I I f (x)dx (wobei I das Intervall Lemma 10.1.8. Für Treppenfunktionen φ, ψ und beliebige α, β ∈ R gilt: (i) αφ + βψ ist eine Treppenfunktion und Z b b Z (αφ + βψ)dx = α Z ψdx + β a a b ψdx (Linearität). a (ii) |ψ| ist auch eine Treppenfunktion und Z b Z b ψdx ≤ |ψ|dx ≤ (b − a) max |ψ(x)| (Beschränktheit). x∈[a,b] a a (iii) Falls φ ≤ ψ (d.h. φ(x) ≤ ψ(x) ∀x ∈ [a, b]), dann ist Z b Z φdx ≤ a b ψdx (Monotonie). a Beweis. (i) Es gibt eine Zerlegung a = x0 < x1 < · · · < xn = b, so dass φ|]xk ,xk+1 ≡ konstant und eine Zerlegung a = y0 < y1 < · · · < yn = b, so dass φ|]yk ,yk+1 ≡ konstant. Seien a = z0 < z1 < . . . < zN = b, so dass {x0 , · · · , xn , y0 , · · · ym } = {z0 , z1 , · · · , zN } . Dann gilt, ∀k ∈ {1, . . . , N } ist φ|]zk−1 ,zk [ ≡ ck ∈ R und ψ|]zk−1 ,zk [ ≡ dk ∈ R. Folglich ist F := αφ + βψ konstant auf jedem Intervall ]zk−1 , zk [ und das Kapitel 10. Integralrechnung 128 beweist, dass F eine Treppenfunktion ist. Ferner gilt, F |]zk−1 ,zn [ = αck + βdk , Z b N X φ= (zk − zk−1 )ck , a b Z ψ= a k=1 N X (zk − zk−1 )dk k=1 und Z b F = a N X N N X X (zk − zk−1 )(αck + βdk ) = α (zk − zk−1 )ck + β (zk − zk−1 )ck k=1 Z k=1 b Z ψ. φ+β =α a k=1 b a (ii) Seien a = x0 < x1 < · · · < xn = b mit φ|]xk−1 ,xk = ck ∈ R. Dann ist |φ||]xk−1 ,xk = |ck | ∈ R, d.h. |φ| ist eine Treppenfunktion und Z b n Z b n X X (xk − xk−1 )|ck | = |φ|. φ = (xk − xk−1 )cn ≤ a k=1 k=1 a (iii) ist eine einfache Folgerung der gleichen Ideen. 10.2. Regelfunktionen Definition 10.2.1. Eine Funktion f : [a, b] → R heisst Regelfunktion, falls eine Folge von Treppenfunk- Kapitel 10. Integralrechnung 129 tionen fn : [a, b] → R existiert, so dass ! sup |fk (x) − f (x)| lim k→∞ = 0. (10.1) x∈[a,b] | {z } :=kfk −f k Bemerkung 10.2.2. Die obige Definition ist nicht die übliche, die man in Bücher findet: Normalerweise sagt man, dass eine Funktion f eine Regelfunktion ist, wenn die linksseitigen und rechtsseitigen Grenzwerte überall existieren. Die obige Definition ist aber eine Charakterisierung der Regelfunktionen. Satz 10.2.3. Sei f eine Regelfunktion und seien (fn ) und (gn ) zwei Folgen von Treppenfunktionen, die beide (10.1) erfüllen. Dann existieren die Grenzwerte b Z lim k→∞ Z gk (x)dx und lim k→∞ a b fk (x)dx. a Des Weiteren stimmen diese Grenzwerte überein und gehören zu R. Definition 10.2.4. Sei f eine Regelfunktion und (fk ) eine Folge von Treppenfunktionen, die (10.1) erfüllt. Dann existiert das Integral von f auf [a, b] und ist gegeben durch Z b Z a k→∞ b fk (x)dx. f (x)dx = lim a Bemerkung 10.2.5. Rb Satz 10.2.3 garantiert, dass das Integral a f wohldefiniert ist. Sei f ≥ 0 eine Treppenfunktion und a = x0 < x1 < . . . < xN = b eine Zerlegung von [a, b], so dass f |] xk , xk+1 [≡ ck . Es ist leicht zu sehen, dass die Fläche G := {(x, y) : x ∈ [a, b], 0 ≤ y ≤ f (x)} Kapitel 10. Integralrechnung 130 aus endlich vielen disjunkten Rechtecken der Form Rk :=]xk , xk+1 [×[0, ck ] besteht; genauer enthält die Menge G auch die Segmenten {xk } × [0, f (xk )], aber dieses Detail spielt in der folgenden Diskussion keine Rolle. Der Inhalt von G ist leicht zu berechnen: Inhalt(G) = N −1 X Inhalt(Rk ) = k=0 N −1 X Z ck (xk − xk−1 ) = b f. a k=0 Sei nun f eine Regelfunktion und fk eine Folge von Treppenfunktionen, die die Bedingung (10.1) erfüllt. Dann ist auch die Folge (gk )k∈N := (max{fk , 0})k∈N eine Folge von Treppenfunktionen mit der Eigenschaft (10.1). Wir können die Menge Gk := {(x, y) : x ∈ [a, b], 0 ≤ y ≤ fk (x)} als eine gute Approximation der Menge Rb G := {(x, y) : x ∈ [a.b], 0 ≤ y ≤ f (x)} betrachten. Also können wir a f als den Inhalt der Menge G interpretieren. Aber dies ist in unserem Fall nur eine Definition (eine Alternative wäre eine geeignete “Masstheorie” zu entwickeln: die Gleichung Rb Inhalt(G) = a f wäre dann ein Theorem; dies ist aber Teil der Vorlesungen Analysis II und III.) Bemerkung 10.2.6. Es ist leicht zu sehen, dass R b f ≥ 0, a R b f = − R b (−f ) ≤ 0, a a Wenn f ≤ 0, können wir also − [a, b], f (x) ≤ y ≤ 0} interpretieren. Rb a falls f ≥ 0 falls f ≤ 0. f als den Inhalt von G := {(x, y) : x ∈ Kapitel 10. Integralrechnung 131 Beweis von Satz 10.2.3. Als erstes bemerken wir, dass ∀k, i gilt, Z b Z b Z b ≤ (b − a) sup |fk − fi |(x) (f − f ) f = f − k i i k x∈[a,b] a a a ≤ (b − a) sup {|fk − f |(x) + |f − fi |(x)} x∈[a,b] ! ≤ (b − a) sup |fk − f |(x) + sup |f − fi |(x) x∈[a,b] x∈[a,b] = (b − a) (kfk − f k + kf − fi k) Sein nun ε > 0 gegeben. Dann ∃N ∈ N, so dass kf − fj k < ε/(2(b − a)) ∀i ≥ N . Wenn k, i ≥ N ist, folgt also Z b Z b < ε. f − f k i a D.h. (ak ) := R b a a Z k→∞ b fk ∈ R. fk ist eine Cauchyfolge und somit existiert lim a Bemerkung 10.2.7. Wir bemerken hier eine wichtige Eigenschaft von k · k, die sogenannte Dreiecksungleichung: (iii) kf + gk ≤ kf k + kgk. Dies ist leicht zu sehen, denn kf + gk = |sup f (x)+g(x)| ≤ sup|f (x)|+|g(x)| ≤ sup|f (x)|+sup|g(x)| = kf k+kgk. x x x x Die Ungleichung in (iii) ist ähnlich zur uns bereits bekannten Dreiecksungleichung für den Betrag: |a + b| ≤ |a| + |b|. Es gilt auch (i) kf k ≥ 0 und kf k = 0 ⇐⇒ f ≡ 0. (ii) kλf k = |λ|kf k für jede Regelfunktion f und λ ∈ R; Eine Abbildung k·k : V → [0, +∞[, die die Eigenschaften (i) - (iii) erfüllt, heisst Norm. Wir werden später sehen, dass Linearkombinationen von Regelfunktionen Kapitel 10. Integralrechnung 132 wieder Regelfunktionen sind, d.h. die Menge der Regelfunktionen auf einem Intervall [a, b] bildet einen reellen Vektorraum. Wenn man einen reellen Vektorraum V und eine Norm hat, dann heisst das Paar (V, k · k) ein normierter Vektorraum. Zurück zum Beweis: Es gilt, Z b Z b Z b Z b Z b lim fk − lim gk = lim fk − gk = lim (fk − gk ) k→∞ k→∞ a k→∞ k→∞ a a a a Z b |fk − gk | ≤ lim sup(b − a)kfk − gk k ≤ lim sup k→∞ k→∞ a (iii) ≤ (b − a) lim kfk − f k + kgk − f k = 0 k→∞ | {z } | {z } →0 →0 Z b Z b fk = lim gk , =⇒ lim k→∞ a k→∞ a damit ist alles bewiesen. Satz 10.2.8. Jede stetige Funktion f : [a, b] → R ist eine Regelfunktion. Beweis. Sei k ∈ N \ {0}, f stetig und [a, b] kompakt. Dann ist f ist gleichmässig stetig auf [a, b]. Wir wählen ε := k1 in der Definition der gleichmässigen Stetigkeit. Dann folgt: 1 ∃δ > 0 : |x − y| < δ =⇒ |f (x) − f (y)| < . k Nun wählen wir die Zerlegung x0 := a, x1 := a + δ, . . ., xN := a + N δ, xN +1 = b, wobei N = max {k ∈ N : a + kδ < b}. x +x Sei yj := j−12 j (d.h. der Mittelpunkt von I = [xj−1 , xj ]). Wir definieren eine Folge von Funktionen wie folgt: f (y ), j fk (x) := f (y N +1 ), falls x ∈ [xj−1 , xj [ falls x = b. Kapitel 10. Integralrechnung 133 Wir behaupten, dass kf − fk k = sup|fk (x) − f (x)| < x∈I 1 . k Denn, falls x ∈ I, dann ist x ∈ [xj−1 , xj [ oder x ∈ [xN , xN +1 ]. Also ist |x − yj | ≤ oder |x − yN +1 | ≤ 2δ und es folgt, |f (x) − fk (x)| = |f (x) − f (yj )| < 1 k oder |f (x) − fk (x)| = |f (x) − f (yN +1 )| < δ 2 1 . k k→∞ D.h. ∀k ∈ N ist fk eine Treppenfunktion mit kfk − f k −→ 0. Dies zeigt, dass f eine Regelfunktion ist. Bemerkung 10.2.9. Da (fk ) eine Folge von Treppenfunktion ist, gilt, Z N +1 X b (xj − xj−1 )f (yj ). fk = a Die Summe j=1 N +1 X (xj − xj−1 )f (yj ) (10.2) j=1 Rb konvergiert gegen a f , wenn N → ∞. Es ist nicht nötig, dass yj der Mittelpunkt des Intervalls [xj−1 , xj ] ist. Die gleiche Konvergenz erreicht man für beliebige Stellen yj ∈ [xj−1 , xj ]. In diesem Fall heisst die Summe in (10.2) eine Riemannsche Summe. Definition 10.2.10. Eine Funktion f : [a, b] → R heisst stückweise stetig, wenn es eine Zerlegung a = x0 < x1 < . . . < xn = b von [a, b] gibt, so dass (i) f auf ]xj−1 , xj [ stetig ist und (ii) ∀j ∈ {0, 1, . . . , n} existieren die Grenzwerte limx↓xj f (x) ∈ R und limx↑xj f (x) ∈ R. Kapitel 10. Integralrechnung 134 Korollar 10.2.11. Jede stückweise stetige Funktion auf [a, b] ist eine Regelfunktion. Theorem 10.2.12. Seien f, g : [a, b] → R Regelfunktionen und α, β ∈ R. Dann gelten die folgenden Eigenschaften: (i) Linearität: αf + βg ist auch eine Regelfunktion und Z b b Z (α + βg) = α a Z f +β a b g. a (ii) Beschränktheit: Z b Z b ≤ f |f | ≤ |b − a|kf k. a a (iii) Monotonie: Falls f ≤ g, dann ist Z b Z b f≤ a g. a (iv) Additivität: ∀c ∈]a, b[ ist b Z Z f= a c Z f+ a b f. (10.3) c (v) Mittelwertsatz: Falls f stetig ist, ∃ξ[a, b], so dass Z b f = f (ξ)(b − a). (10.4) a Bemerkung 10.2.13. In der Tat es ist möglich zu beweisen dass es eine Stelle ξ im Inneren von [a, b] gibt die die Gleichung (10.4), siehe Bemerkung 10.3.4 Beweis. (i) Da f und g Regelfunktionen sind, gibt es Folgen von Treppenfunktiok→∞ k→∞ nen (fk ) und (gk ), so dass kf − fk k −→ 0, kg − gk k −→ 0. Wir wissen, dass Kapitel 10. Integralrechnung 135 dann auch αfk + βgk eine Treppenfunktion ist und k→∞ k(αf + βg) − (αfk − βgk )k ≤ |α|kf − fk k + |β|kg − gk k −→ 0. Des Weiteren ist Z a b Z b Z b (αf + βg) = lim (αfk + βgk ) = lim α fk + β gk k→∞ a k→∞ a a Z b Z b Z b Z b fk + lim β gn = α lim fk + β lim gk = lim α k→∞ k→∞ a k→∞ a k→∞ a a Z a Z b g. f +β =α Z b b a (ii) Sei (fk ) wie oben. Wegen der Dreiecksungleichung für die Norm k·k ist −kf − fk k ≤ kf k − kfk k ≤ kf − fk k. Damit erhalten wir Z b Z b Z b |fk | ≤ lim (b − a)kfk k = (b − a)kf k. fk ≤ lim f = lim k→∞ k→∞ k→∞ a a a (iii) Seien (fk ) und (gk ) wie oben. Wir definieren f˜k := fk + kf − fk k ( =⇒ f˜k ≥ f ) und g˜k := gk + kg − gk k ( =⇒ g ≥ g˜k ). Damit folgt f˜k ≥ f ≥ g ≥ g˜k und daher Z b Z b Z b Z b g˜k = g. f˜k ≥ lim f = lim a k→∞ k→∞ a a a (iv) Sei fk wieder wie oben. Die zu zeigende Identität folgt aus den Identitäten für die Treppenfunktionen fk , die wir bereits bewiesen haben. (v) Mit der Monotonie erhalten wir Z (b − a) min(f ) ≤ b f ≤ (b − a) max(f ). a Der Zwischenwertsatz für stetige Funktionen impliziert nun die Existenz einer Kapitel 10. Integralrechnung 136 Stelle ξ ∈ [a, b] mit 1 f (ξ) = b−a b Z f. a 10.3. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Das Integral kann als eine Art von “Umkehrung” der Ableitung betrachtet werden. Definition 10.3.1. Sei f : [a, b] → R eine Regelfunktion. Dann setzen wir Z b f := a R − a f, falls b < a 0, falls a = b. b Theorem 10.3.2 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Sei f : I → R eine stetige Funktion und a ∈ I beliebig. Wir definieren die Funktion Rx F (x) := a f (y)dy. Dann ist F differenzierbar mit F 0 (x) = f (x) ∀x ∈ I. F heisst eine Stammfunktion von f . Bemerkung 10.3.3. Falls F eine Stammfunktion von f ist, folgt dass auch F + c0 eine Stammfunktion von f ist (d.h. Stammfunktionen sind nicht eindeutig!). Beweis. Sei x ∈ I. Wir wollen zeigen, dass F (x + h) − F (x) . h→0 h (10.5) f (x) = lim Falls h > 0, dann ist F (x + h) − F (x) 1 = h h Z x+h Z f (y)dy − a x f (y)dy a 1 = h Z x+h f (y)dy. x Kapitel 10. Integralrechnung 137 Ferner ist Z 1 x+h 1 F (x + h) − F (x) − f (x) = f (y)dy − hf (x) h h x h Z x+h Z 1 1 x+h = f (y)dy − f (x)dy h x h x Z 1 x+h = (f (y) − f (x))dy. h x Sei nun ε > 0 gegeben. Dann ∃δ > 0, so dass |y − x| < δ =⇒ |f (y) − f (x)| < ε. Für h < δ gilt dann, Z x+h Z Z 1 1 x+h 1 x+h (f (y) − f (x))dy ≤ |f (y) − f (x)|dy ≤ εdy = ε h h x h x x Z 1 x+h (f (y) − f (x))dy = 0 =⇒ (10.5). =⇒ lim h↓0 h x Falls h < 0 ist, setzen wir h := −k, wobei k > 0 ist und erhalten, 1 F (x) − F (x − k) 1 (F (x + h) − F (x)) = (F (x − k) − F (x)) = h −k k Z x Z x−k Z 1 1 x = f (y)dy − f (y)dy = f (y)dy. k k x−k a a Mit einem ähnlichen Argument wie oben folgt, 1 lim k↓0 k Z x f (y)dy = f (x). x−k Bemerkung 10.3.4. Mit dem Hauptsatz können wir nun leicht beweisen dass es eine Stelle ξ ∈]a, b[ wie Rx im Satz 10.2.12(v) gibt. In der Tat sei f : [a, b] → R stetig und F (x) := a f . Die Funktion F ist dann differenzierbar und wir können den Hauptsatz mit dem Satz von Lagrange kombinieren: deshalb existiert ξ ∈]a, b[ mit F (b) − F (a) = F 0 (ξ) = f (ξ) . b−a Kapitel 10. Integralrechnung 138 An der anderen Seite haben wir 1 F (b) − F (a) = b−a b−a Z b f (x) dx . a Deshalb erfüllt ξ die Gleichung (10.4). Bemerkung 10.3.5. Sei f : [a, b] → R und seien F, G : [a, b] → R zwei Stammfunktionen von f . Dann gilt, (F − G)0 = F 0 − G0 = f − f = 0 =⇒ F − G = konstant. R Wir werden manchmal die Notation f verwenden, um die Stammfunktionen von R f zu bezeichnen. Das bedeutet, dass f keine eindeutig bestimmte Funktion ist: die “Konstante” ist noch frei wählbar. Korollar 10.3.6. Sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion und G : [a, b] → R eine Stammfunktion von f . Dann ist Z b b f (x)dx = G(b) − G(a) =: G . a a Rx Beweis. Es ist F (x) = a f (y)dy. Wir bemerken, das der Beweis des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung die Differenzierbarkeit von F auch an den Stellen a und b impliziert, wobei (wegen unserer Konvention) F (a) = 0 ist. Deswegen ist F eine Stammfunktion wie in der Bemerkung 10.3.5. D.h. ∃c ∈ R mit F (x) = G(x) + c ∀x ∈ [a, b]. Also ist Z b f (y)dy = F (b) = F (b) − F (a) = (F (b) − c) − (F (a) − c) = G(b) − G(a). a Beispiel 10.3.7. Sei f (x) = x2 , A := {(x, y) : |x| ≤ 1, x2 ≤ y ≤ 1} und B := {(x, y) : |x| ≤ 1, 0 ≤ y ≤ x2 }. Dann gilt für den Inhalt von A, |A| := Inhalt(A) = 2 − Inhalt(B) =: |B|. Kapitel 10. Integralrechnung Nun ist G(x) := x3 3 139 eine Stammfunktion von f , weil G0 (x) = x2 = f (x) ist. Also ist 1 x3 1 2 1 f (x)dx = = . |B| = = − − 3 −1 3 3 3 −1 Z 1 Beispiel 10.3.8. Wir möchten den Inhalt des Einheitskreises K mit Mittelpunkt (0, 0) berechnen. Sei √ dazu f (x) = 1 − x2 und A := {(x, y) : 0 ≤ x ≤ 1, 0 ≤ y ≤ f (x)}. Dann ist Z |K| = 4|A| = 4 1 √ 1 − x2 dx. (10.6) 0 Das Integral in (10.6) ist nicht so einfach zu bestimmen. Wir bemerken, dass die Ableitung des Arcsinus “fast” f ist: arcsin0 (x) = √ 1 . 1 − x2 Im nächsten Unterkapitel werden wir diese Bemerkung nutzen, um das Integral in (10.6) zu berechnen. Dafür brauchen wir jedoch ein paar wichtige Integrationstechniken, um die Stammfunktionen von f zu finden. 10.4. Integrationstechniken Es gibt zwei wichtige Methoden um Integrale zu berechnen: (1) die Methode der partiellen Integration und (2) die Substitutionsregel. Satz 10.4.1 (Partielle Integration). Seien f, g : [a, b] → R stetig und F, G die entsprechenden Stammfunktionen von f und g. Dann gilt die Formel Z b F (x)g(x)dx = a F G|ba Z − b f (x)G(x)dx. a (10.7) Kapitel 10. Integralrechnung 140 Beweis. Es ist Z (10.7) ⇐⇒ a b b (F (x)g(x) + f (x)G(x))dx = F G . | {z } a (10.8) =:h(x) Ferner gilt (F G)0 (x) = F (x)G0 (x) + F 0 (x)G(x) = F (x)g(x) + f (x)G(x), D.h. F G ist eine Stammfunktion von h. Da h stetig ist, dürfen wir den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung anwenden und erhalten die rechte Seite der Gleichung in (10.8). Beispiel 10.4.2. Wir berechnen nun das Integral in (10.6). Es ist Z 1 √ Z 1− x2 dx 0 = 0 1 √ 1 − x2 · 1 dx. | {z } |{z} =:F (x) =:g(x) Also folgt, f (x) = F 0 (x) = − 6 2x x √ = −√ , 6 2 1 − x2 1 − x2 und eine Stammfunktion von g(x) = 1 ist G(x) = x. Leider können wir Satz 10.4.1 nicht direkt anwenden, da die Funktion f (x) in x = 1 nicht definiert ist (es ist limx→1 f (x) = −∞ und deswegen besitzt f keine stetige Fortsetzung auf [0, 1]). Wir Kapitel 10. Integralrechnung 141 lösen dieses Problem wie folgt, Z 1 √ 1−ε Z 1− 0 x2 dx √ 1 − x2 dx 1−ε Z 1−ε √ x2 Satz 10.4.1 2 √ = lim 1 − x x + dx ε↓0 0 1 − x2 0 Z 1−ε 1 √ x2 √ = 1 − x2 x + lim dx 2 ε↓0 0 0 1 − x | {z } =0 Z 1−ε 2 x −1 1 √ = lim +√ dx ε↓0 0 x2 − 1 x2 − 1 Z 1−ε √ Z 1−ε dx √ = lim − 1 − x2 dx + lim ε↓0 0 ε↓0 0 1 − x2 Z 1√ Z 1√ 1−ε 1 2 2 =− 1 − x + lim arcsin =− 1 − x + arcsin ε↓0 0 0 Z0 1 √ Z 1√0 π π =− 1 − x2 + −0 =− 1 − x2 + . 2 2 0 0 = lim ε↓0 0 Folglich ist Z 1 Z √ 2 1 − x dx = − 0 0 1 √ π 1 − x2 dx + 2 Z =⇒ 2 0 1 √ 1 − x2 dx = π . 2 D.h. der Inhalt des Einheitskreis mit Mittelpunkt (0, 0) ist π (siehe Beispiel 10.3.8). Satz 10.4.3 (Substitutionsregel). Seien f : [a, b] → R und g : f ([a, b]) =: [m, M ] → R zwei stetige Funktionen (wobei m = min[a,b] f , M = max[a,b] f ). Falls f differenzierbar ist mit stetiger Ableitung f 0 , dann gilt die Formel Z b 0 Z f (b) g(f (x))f (x)dx = a g(y)dy. f (a) Beweis. Da g stetig ist, existiert eine Stammfunktion G von g (siehe Hauptsatz der Kapitel 10. Integralrechnung 142 Differential- und Integralrechnung). D.h. es gilt, Z b 0 Z 0 G (f (x)f (x)dx = a Z =⇒ a a b b b (G(f (x)))0 dx = G ◦ f a f (b) Z 0 = g(f (x))f (x)dx = G(f (b)) − G(f (a)) = G f (a) f (b) g(y)dy. f (a) Bemerkung 10.4.4. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung ist das erste Beispiel einer Existenzaussage für Differentialgleichungen, d.h. er garantiert die Existenz einer Lösung für Differentialgleichungen der Form F0 |{z} = Die Unbekannte f , |{z} bekannt falls f stetig (bzw. eine Regelfunktion) ist. (Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung gilt auch für Regelfunktionen) 10.5. Uneigentliche Integrale Definition 10.5.1. Sei I =]a, b[, wobei −∞ ≤ a < b ≤ +∞, d.h. auch I =] − ∞, ∞[= R ist möglich. Sei f : I → R, so dass ∀a < α < β < b gilt: f |[α,β] ist eine Regelfunktion. Falls c ∈ I und die folgenden Grenzwerten existieren und reell sind: Z Z f ∈R lim β↑b β und c dann definieren wir Z b Z Bemerkung 10.5.2. β↑b α↓α c Z c f + lim f := lim a f ∈ R, lim β c a↓0 α f. α Kapitel 10. Integralrechnung Rb Das Integral a 143 f hängt nicht von c ab: Sei c̃ eine andere Stelle in I. Dann ist Z lim β↑b b β Z f− f = lim β↑b c̃ c̃ Z Z f Z c̃ f− = lim β↑b c c β f c c und analog c̃ Z lim Z c f = lim α↓a f. f+ α↓a α c̃ Z c α Deswegen ist Z lim β↑b b Z c̃ f + lim c̃ α↓a β Z Z c̃ Z f− f = lim f + lim β↑b c α↓a c Z β Z c = lim f + lim f. α c β↑b a↓0 c Z f+ α c̃ f c α Definition 10.5.3 (Absolute Integrierbarkeit). Sei I wie oben. Eine Funktion f : I → R heisst absolut integrierbar, falls (i) f |[α,β] ∀a < α < β < b eine Regelfunktion ist und (ii) Z b Z β |f | < ∞. |f | = lim α↓a,β↑b a α Bemerkung 10.5.4. Rα Da α 7→ x0 |f | eine monotone Funktion ist, existiert der Grenzwert Z β |f | lim β→b x0 in jedem Fall. D.h. wenn die Bedingung (i) erfüllt ist, aber (ii) nicht gilt, so setzen wir Z b |f | := +∞. a Mit dieser Konvention ist die absolute Integrierbarkeit äquivalent zu (i) zusammen mit der Forderung Z b |f | < ∞. a Kapitel 10. Integralrechnung 144 Bemerkung 10.5.5. Sei f eine Regelfunktion auf [α, β]. Dann ist auch |f | eine Regelfunktion auf [α, β]. D.h. ∀ε > 0, ∃ eine Treppenfunktion g mit kf − gk < ε. Wiederum ist auch |g| eine Treppenfunktion und k|f | − |g|k < ε. Des Weiteren gilt, ||f |(x) − |g|(x)| ≤ |f (x) − g(x)| =⇒ k|f | − |g|k ≤ kf − gk. Satz 10.5.6. Die absolute Integrierbarkeit impliziert die Existenz des uneigentlichen Integrals. Rb Beweis. Da a |f | < ∞ ist, gilt für jedes x0 ∈]a, b[, Z x0 Z x0 |f | < ∞ |f | = lim α↓a a b Z Z β |f | = lim und β↑b x0 α |f | < ∞. x0 Wir behaupten, dass x0 Z |f | < ∞ lim α↓a =⇒ α und Z β↑b f existiert und ∈ R, lim α↓a β =⇒ x0 (10.9) α β Z |f | < ∞ lim x0 Z f existiert und ∈ R. lim β↑b (10.10) x0 Rx Wir beweisen nur (10.9) ((10.10) folgt dann analog): Sei F (α) := α 0 |f |. Aus der Existenz von lim F (α) folgt die Cauchy-Eigenschaft, d.h. ∀ε > 0, ∃δ > 0, so dass α↓a wenn ã, ā ∈]a, a + δ[, dann ist |F (ã) − F (ā)| < ε. Folglich ist Z |F (ã) − F (ā)| = x0 |f | − ã Sei nun G(α) := R x0 α x0 Z ā Z ā |f | = |f | < ε. ã f . Für a < ã ≤ ā < a + δ gilt, Z |G(ã) − G(ā)| = ã ā Z f ≤ ā |f | < ε, ã d.h. G erfüllt die Cauchy-Bedingung. Also ist lim G(α) ∈ R. α↓a Kapitel 10. Integralrechnung 145 Beispiel 10.5.7. Rb Es gibt Funktionen f mit a f < +∞, die aber nicht absolut integrierbar sind. Sei zum Beispiel f (x) := (−1)n n, falls x ∈ 0, sonst. 1 ,1 n+1 n für n ∈ N \ {0} Dann ist f :]0, 1] → R und ∀α > 0 ist f |[α,1] offenbar eine Regelfunktion (f |[α,1] ist sogar eine Treppenfunktion). Sei nun α ∈ N1+2 , N1+1 . Dann gilt, Z 1 f (x)dx = N X 1 α 1 − n n+1 n=1 n n(−1) + (N + 1) 1 − α (−1)N +1 . N +1 Beachte, dass: (i) N X 1 n=1 (ii) (−1)n n=1 n+1 P∞ 1 − n n+1 n(−1)n = N X n=1 1 (−1)n , n+1 konvergiert (Kriterium von Leibnitz), (iii) 0 ≤ (N + 1) 1 −α N +1 ≤ (N + 1) 1 1 − N +1 N +2 = 1 N →∞ −→ 0. N +2 1 Z Somit existiert lim f . Aber es ist α↓0 α Z 1 |f (x)|dx = α N X 1 n=1 1 − n n+1 n= N X n=1 1 n+1 P 1 und divergiert (harmonische Reihe)! Also ist f integrierbar, aber nicht absolut n+1 integrierbar. Kapitel 10. Integralrechnung 146 Korollar 10.5.8 (Majorantenkriterium). Sei f : I → R eine Funktion mit den folgenden Eigenschaften: (i) ∀α < β ∈ I ist f |[α,β] eine Regelfunktion, (ii) ∃g integrierbar auf I mit |f | ≤ g. Dann ist f absolut integrierbar. Bemerkung 10.5.9. Korollar 10.5.8 ist sehr nützlich, um die Integrierbarkeit von Funktionen zu beweisen. Beispiel 10.5.10. Wir möchten zeigen, dass das folgende (uneigentliche) Integral endlich ist: ∞ Z 2 e−x dx. −∞ 2 2 Auf [1, +∞[ ist e−x ≤ xe−x und daher Z +∞ xe 1 −x2 R 1 −x2 xe dx = lim − e R→∞ 2 1 x=1 ! 1 1 −1 1 −R e − |{z} e = . 2 2 2e Z dx = lim R→∞ = lim R→∞ 2 R −x2 →0 2 Analog benutzt man, dass e−x ≤ −xe−x für x ∈] − ∞, −1]. Ry 2 In diesem Fall kann man nicht “direkt” eine Stammfunktion F (y) = 0 e−x dx angeben. Es ist bekannt, dass die Funktion F keine “elementare Funktion ist” (d.h. F kann nicht als Verkettung von bekannten Funktionen geschrieben werden, d.h. nicht mittels Verkettung von Polynomen, Exponential-, Logarithmus- oder trigonometrischen Funktionen). Korollar 10.5.8 kann auch benutzt werden, um die Konvergenz von Reihen zu beweisen, wie das folgende Korollar zeigt. Korollar 10.5.11 (“Integralkriterium” für Reihen). Kapitel 10. Integralrechnung P∞ Sei n=0 147 an eine Reihe. Wir definieren eine Funktion f : [0, +∞] durch a , n f (x) := 0, falls x ∈ [n, n + 1[, n ∈ N sonst. Dann gilt: +∞ Z f ⇐⇒ existiert 0 ∞ X an konvergiert, n=0 und ∞ X ⇐⇒ f ist absolut integrierbar an konvergiert absolut. n=0 Beweis. “⇐=”: Es ist Z R N Z f= 0 R Z f+ 0 f, N wobei N := bRc := max{n ∈ N : n ≤ R} und Z N f= 0 Da P N −1 X n=0 N →∞ an −→ ∞ X an < ∞. n=0 an konvergiert, ist an eine Nullfolge. D.h. R Z N R N +1 “ =⇒ ”: Es ist P genz von an . 0 f= R→∞ f = |(R − N )aN | ≤ |aN | =⇒ 0. Z P∞ N +1 n=0 an , und da lim N →∞ f existiert, folgt die Konver0 Beispiel 10.5.12. Wir möchten zeigen, dass X n≥2 1 < ∞. n(ln n)2 Wir werden Korollar 10.5.11 zwischen 3 und ∞ statt zwischen 0 und ∞ anwenden. Sei f (x) = n(ln1n)2 , falls x ∈ [n, n + 1[ (n ≥ 3) und g(x) = x(ln1x)2 . Wir halten fest, Kapitel 10. Integralrechnung 148 dass ln x > 0 ∀x > 1. Falls also x ∈ [n, n + 1[ mit n ≥ 3, gilt n > x − 1 und somit ln n > ln(x − 1) ≥ ln(n − 1) ≥ ln 2 > 0 1 1 =⇒ f (x) = < = g(x − 1). 2 n(ln n) (x − 1)(ln(x − 1))2 Zudem ist +∞ Z +∞ Z +∞ 1 dx x(ln x)2 2 2 R Z R 1 1 dx = lim − = lim R→∞ R→∞ 2 x(ln x)2 ln x x=2 1 1 1 = − lim . = ln 2 R→∞ | {zln R} ln 2 g(x − 1)dx = 3 Z g(x)dx = =0 Also folgt, X n≥2 X 1 1 1 1 1 = + ≤ + < +∞. 2 2 2 2 n(ln n) 2(ln 2) n(ln n) 2(ln 2) ln 2 n≥3 10.6. Integration einer Potenzreihe Zur Erinnerung: Wir haben den folgenden Satz bewiesen: Satz 10.6.1. P P Ist fn = an xn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0, so konvergiert P fn normal auf jedem Intervall [−ρ, ρ], wobei 0 < ρ < R. Zunächst beweisen wir den nächsten Satz. Als Korollar erhalten wir dann eine entsprechende Potenzreihendarstellung für das Integral einer Potenzreihe. Satz 10.6.2. P Ist f = fn eine Reihe von Regelfunktionen auf [a, b], welche auf [a, b] normal konvergiert, so ist f selber eine Regelfunktion auf [a, b] und es gilt: Z b f= a XZ a b fn . (10.11) Kapitel 10. Integralrechnung 149 Beweis. Sei ε > 0 gegeben. Wir wählen ein N ∈ N, so dass ∞ X kfn k < n=N +1 ε 2 sowie eine Folge von Treppenfunktionen (gn ), so dass kfn − gn k < Dann ist g := PN n=0 ε 2n+1 ∀n ∈ {0, . . . , N } . gn auch eine Treppenfunktion und es gilt, n N X X fk (x) − gk (x) |f (x) − g(x)| = lim n→∞ k=0 ≤ N X k=0 |fk (x) − gk (x)| + lim n→∞ k=0 ≤ N X kfk − gk k + n=0 < N X k=0 n X ∞ X |fk (x)| k=N +1 kfk k k=N +1 ∞ −k−1 ε2 ε X −k−1 ε ε ε + < 2 + = + = ε. 2 k=0 2 2 2 Daraus folgt, dass f eine Regelfunktion ist. Somit gilt auch Z Z X N Z b N Z b b b X (f − g ) f ≤ (f − g) + f − n n n a a n=0 a n=0 a ε < (b − a)ε + (b − a) 2 und Z b ∞ Z b N Z b k k X X X X fn − fn = lim fn ≤ lim (b − a)kfn k n=0 a k→∞ k→∞ a n=0 a n=N +1 n=N +1 ε < (b − a) . 2 Kapitel 10. Integralrechnung 150 Folglich ist Z ∞ Z b b X f− fn < 2ε(b − a). a a n=0 Da ε beliebig war, folgt die Behauptung. Korollar 10.6.3. P Sei f (x) = ∞ an xn eine analytische Funktion mit Konvergenzradius R > 0. Dann R xn=0 ist F (x) = 0 f (y)dy ebenfalls analytisch und die Potenzreihe ist gegeben durch ∞ X an n+1 F (x) = x n+1 n=0 (10.12) mit Konvergenzradius R. Beweis. Gleichung (10.12) für |x| < R ist ein Korollar von Satz 10.6.1 und Satz 10.6.2. Der Konvergenzradius der Reihe in (10.12) ist gegeben durch R0 = 1 lim supn→+∞ p n an n+1 1 = Beispiel 10.6.4. Wir betrachten lim supn→+∞ x Z ln(1 + x) = 0 = R. √ n a n dy . 1+y Für |x| < 1 ist ∞ X 1 = (−1)n xn 1 + x n=0 und somit gilt ln(1 + x) = ∞ X (−1)n n=0 n+1 xn+1 . (10.13) Wir haben diese Formel bereits für x ∈]− 21 , 1] bewiesen. Dank Korollar 10.6.3 können wir nun diese Identität auf ] − 1, − 12 ] erweitern. Der Bereich I =] − 1, 1] ist aber auch die optimale Menge: ausserhalb dieses Intervalls konvergiert die Potenzreihe auf der rechten Seite in (10.13) nicht. Kapitel 10. Integralrechnung 151 Beispiel 10.6.5. Es ist Z x 1 dy 1 + y2 arctan(x) = 0 und ∞ X 1 = (−1)n x2n 1 + x2 n=0 ∀x ∈] − 1, 1[. (10.14) Damit erhalten wir die Potenzreihe für den Arcustangens: arctan(x) = ∞ X (−1)n 2n+1 x 2n + 1 n=0 ∀x ∈] − 1, 1[ . (10.15) Hier sehen wir ein interessantes Phänomen: die Reihe in (10.14) konvergiert nicht für x = ±1. Aber die Reihe (10.15) konvergiert auch für x = ±1. Eine natürliche Frage ist, ob die Identität (10.15) auf dem ganzen Intervall [−1, 1] wahr ist. Die Antwort ist “ja”, siege Beispiel 10.7.2 unten. Als Korollar erhalten wir die berühmte Leibnitz-Formel: ∞ X (−1)n 1 1 1 π = arctan 1 = = 1 − + − + .... 4 2n + 1 3 5 7 n=0 (10.16) 10.7. Integralformel für den Rest der Taylorenwicklung Mit der Integralrechnung können wir eine alternative Formel für den Rest der Taylorentwicklung geben, die oft eine bessere Abschätzung als die von Lagrange gibt (siehe Satz 9.7.2). Satz 10.7.1. Sei f : [a, b] → R n + 1 Mal differenzierbar und f (n+1) stetig. Dann für alle x0 , x ∈ [a, b] gilt f (x) = n X f (k) (x0 ) k=0 k! 1 (x − x0 ) + n! k Z x x0 (x − t)n f (n+1) (t) dt . (10.17) Kapitel 10. Integralrechnung 152 Beweis. Für n = 0 ist die Identität (10.17) eine alternative Formulierung des Fundamentalsatzes der Integralrechnung, d.h. Z x f (x) = f (x0 ) + f 0 (t) dt . x0 Also nehmen wir an dass n > 0. Wir definieren die Funktion g(t) := f (t) − n X f (k) (x0 ) k! k=0 (t − x0 )k . g is n + 1 Mal differenzierbar und g (n+1) (t) = f (n+1) (t). Ausserdem, g(x0 ) = g 0 (x0 ) = . . . = g (n) (x0 ) = 0. Der Fundamentalsatz der Integralrechung gibt Z x Z 0 g(x) = g(x0 ) + x g (t) dt = x0 g 0 (t) . x0 Mittels einer partiellen Integration schreiben wir auch Z x Z x x 00 g(x) = g (t)(t − x) − (t − x)g (t) dt = (x − t)g 00 (t) dt , 0 x0 x0 x0 wo wir g 0 (x0 ) = 0 benutzt haben. Wenn n = 1, dann sind wir fertig, weil g 00 (t) = f 00 (t). Sonst g 00 (x0 ) = 0 und wir können noch ein Mal partiell integrieren um die folgende Identität zu schliessen: 1 g(x) = 2 Z (x − t)2 g (3) (t) dt . x0 Wenn n = 2 dann sind wir fertig. Sonst können noch n − 2 Mal die gleiche Idee anwenden und schliesslich kriegen wir 1 g(x) = n! Z x n (n+1) (x − t) g x0 1 (t) dt = n! Z x (x − t)n f (n+1) (t) dt . x0 Beispiel 10.7.2. Wir nutzen nur die Ingteralformel um zu zeigen dass die Identität (10.15) auch in Kapitel 10. Integralrechnung 153 x = 1 gilt, d.h. (10.16). Wir rechnen zuerst Z 1 n n X X 1 (−1)k k 2k = arctan 1 − − dx (−1) x 2 2k + 1 1 + x 0 k=0 k=0 {z } | (10.18) g(x) Dann führen wir die Funktion h(x) = 1 1+x ein und erknennen wir dass R(y) = h(y) − n X (−1)k y k k=0 der Rest der Taylorentwicklung ist und dass g(x) = R(x2 ). Die Integralformel impliziert dann 1 R(y) = n! Z y (y − t)n h(n+1) (t) dt . 0 (n+1)! n Wir rechnen hn+1 (t) = (−1)n+1 (1+t) n+2 . Ausserdem, wenn y ≥ 0 haben wir (y−t) ≤ y n für alle t ∈ [0, y]. Deswegen Z |R(y)| ≤ (n + 1) 0 y 1 1 n dt ≤ y 1 − y ≤ yn (1 + t)n+2 (1 + y)n+1 n und |g(x)| = |R(x2 )| ≤ x2n . Aus (10.18) schliessen wir dann Z Z 1 n 1 k X (−1) 1 |g(x)| dx ≤ x2n dx = . ≤ arctan 1 − 2k + 1 2n + 1 0 0 k=0 Für n ↑ ∞ haben wir dann ∞ X (−1)k π = arctan 1 = . 4 2k + 1 k=0 A. Die Konstruktion der reellen Zahlen In diesem Kapitel werden wir einen Beweis der Existenz der reellen Zahlen geben. Satz A.0.1. Es gibt einen geordneten Körper K der i) die Supremums-Eigenschaft hat; ii) Q als geordnete Unterkörper enthält; iii) das Axiom von Archimedes erfüllt. K ist ein geordneter Köper falls • K ein Köper ist, d.h. es gibt zwei Operationen +, · die die Axiomen (K1)–(K4) im Kapitel 2.1 erfüllen; • Es gibt eine Ordnungsrelation > die die Eigenschaften (A1) und (A2) im Kapitel 2.2 besitzt. Q ist ein geordneter Unterkörper von K wenn: • Q eine Teilmenge von K ist; • die Operationen +, · und die Ordnungsrelation > eingeschränkt auf Q mit den üblichen Operationen und der üblichen Relation übereinstimmen. Das Axiom von Archimedes ist das Axiom (A3) im Kapitel 2.2, d.h. (A3) ∀x ∈ K ∃n ∈ N mit x < n. 154 Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 155 Schliesslich die Supremumseigenschaft ist die folgende: (S) jede nach oben beschränkte nichtleere Teilmenge A ⊂ K besitzt das Supremum, d.h. die kleinste obere Schranke von Z existiert. Die Supremumseigenschaft ist äquivalent zum Vollständigkeitsaxiom 2.3.4 (oder Intervallschachtelungsprinzip). Mit dem Satz 2.4.6 haben wir schon gesehen, dass das Axiom 2.3.4 die Supremumseigenschaft impliziert. Wir werden nun sehen, dass das Intervallschachtelungsprinzip aus der Supremumseigenschaft folgt. Satz A.0.2. Ein Körper K wie im Satz A.0.1 erfüllt das Intervallschachtelungsprinzip. Beweis. Sei I0 ⊃ I1 ⊃ I2 ⊃ . . . eine Intervallschachtelung, wobei In = [an , bn ]. Das Ziel ist es, ein Element x ∈ K zu finden das zu jedem Intervall Ij gehört. Zuerst bemerken wir dass a0 ≤ a1 ≤ a2 ≤ . . . ≤ an ≤ . . . b0 ≥ b1 ≥ b2 ≥ . . . ≥ bn ≥ . . . . Da aj ≤ bj ∀j ∈ N, ist jedes bj eine obere Schranke für die Menge A = {ai : i ∈ N}. Wegen der Supremumseigenschaft besitzt A das Supremum, das wir x nennen. x ist eine obere Schranke für A und deshalb aj ≤ x ∀j ∈ N . (A.1) Aber S ist auch die kleinste obere Schranke, daher x ≤ bj Aus (A.1) und (A.2) folgt x ∈ Ij ∀j ∈ N. ∀j ∈ N . (A.2) Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 156 A.1. Beweis des Satzes A.0.1: Teil I, die Dedekindschen Schnitte In diesem Beweis konstruieren wir eine Menge K die die Eigenschaften i), ii) und iii) des Satzes A.0.1 besitzt. Die Menge K besteht aus den sogenannten Dedekindschen Schnitten von Q. Definition A.1.1. Eine Teilmenge α ⊂ Q heisst Schnitt falls (i) α 6= ∅ und α 6= Q; (ii) ∀p ∈ α und ∀q ∈ Q mit q < p, gilt q ∈ α; (iii) ∀p ∈ α ∃r ∈ α mit p < r (also α besitzt kein Maximum). Also, unsere Definition von K lautet K := {α ⊂ Q : α ist ein Schnitt} . Falls q ∈ Q, setzen wir [q] := {p < q : p ∈ Q} . Also ist [q] ein Schnitt von Q. Falls q 6= q 0 ∈ Q, dann sind [q] 6= [q 0 ]. Deshalb können wir die Teilmenge {[q] : q ∈ Q} ⊂ K als eine “Kopie” von Q in K auffassen und, in diesem Sinne, betrachten wir Q selber als eine Teilmenge von K. A.2. Teil II: die Anordnung Wir definiere nur eine Anordnung < auf K wie folgt. α < β falls α ⊂ β und α 6= β. Zuerst kontrollieren wir, dass diese Relation wirklich eine Anordnung ist: a) Sei α 6= β. Falls α eine Teilmenge von β ist, dann α < β. Sonst gibt es mindestens ein Element q ∈ α mit q 6∈ β. Das impliziert, dass r ≤ q für jedes r ∈ β, weil sonst aus der Definition A.1.1(ii) folgt q ∈ β. Aber wenn r ≤ q ∀r ∈ β, dann, nochmals aus der Definition A.1.1(ii), schliessen wir β ⊂ α, d.h. β < α. Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 157 b) Falls α < β < γ, dann α ⊂ β ⊂ γ und α 6= β 6= γ. Also α ⊂ γ aber auch α 6= γ, d.h. α < γ. Es ist auch klar dass diese Anordnung, eingeschränkt auf Q, die alte Anordnung von Q gibt: in der Tat [q] ⊂ [q 0 ] genau dann wenn q ≤ q 0 . A.3. Teill III: das Axiom von Archimedes Sei q ∈ Q und schreiben wir q = m n mit m ∈ N und n ∈ Z \ {0}. Also q ≤ m. D.h. ∀q ∈ Q ∃m ∈ N mit q ≤ m. (A.3) Sei α ∈ K. Dann aus der Definition A.1.1(i) folgt die Existenz einer Zahl q ∈ Q \ α. Daher, p < q ∀q ∈ α, d.h. α ⊂ q. Aber aus (A.3) folgt auch α ⊂ [m]. Da q 6∈ α, [m] 6= α. Deshalb α < [m]. Also für jedes Element α ∈ K haben wir eine Zahl m ∈ N mit α < [m] gefunden und das beweist das Axiom von Archimedes. A.4. Teil IV: die Supremumseigenschaft Sei nun A ⊂ K eine nichleere Teilmenge, die nach oben beschränkt ist. Also, A ist eine Menge deren Elemente einige Schnitte sind, und die eine obere Schranke ω besitzt. Das bedeutet: α⊂ω ∀α ∈ A . Wir bezeichnen mit γ die Teilmenge von Q die die Vereinigung aller Elementen α ∈ A ist: [ γ= α. α∈A Da A nichtleer ist, enthält γ mindestens ein Element. Ausserdem, γ ⊂ ω, und da ω ein Schnitt ist, ω 6= Q. Also auch γ 6= Q. Deshalb erfüllt γ die Bedingung (i) der Definition A.1.1. Sei nun p ∈ γ. Also gehört p zu einem Element α von A. Falls q ∈ Q und q < p, dann q ∈ α, weil α ein Schnitt ist. Aber dann gehört q auch zu γ, weil α ⊂ γ. Also, γ erfüllt die Bedindung (ii) der Definition A.1.1. Ausserdem, da α ein Schnitt ist, gibt es auch ein Element r ∈ α mit r > p und nochmals haben wir Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 158 r ∈ γ. Also, γ erfüllt auch die dritte Bedingung der Definition A.1.1. Daraus folgt, dass γ ein Schnitt ist. Da α ⊂ γ ∀α ∈ A, ist γ eine obere Schranke von A. Sei nun γ 0 irgendeine andere obere Schranke von A. Dann α ⊂ γ 0 für jede α ∈ A. Deshalb sind alle Elementen von γ auch in γ 0 enthalten. Wir schliessen γ < γ 0 . Da γ 0 eine beliebige obere Schranke anders als γ war, schliessen wir dass γ die kleinste obere Schranke ist, d.h. das Supremum von A. Wir haben bewiesen dass jede nach oben beschränkte nichleere Menge A ⊂ K das Supremum in K besitzt: dies ist aber die Behauptung der Supremumseigenschaft. A.5. Teil V: die Summe Definition A.5.1. Falls α, β ∈ K definieren wir die Summe als α + β = {p + q : p ∈ α, q ∈ β} . (A.4) Es ist ganz klar dass α + β ein Schnitt ist: i) α + β ist sicher nicht leer. Da α 6= Q und β 6= Q, ∃p, p0 ∈ Q sodass q<p ∀q ∈ α q < p0 ∀q ∈ β . Deshalb p + p0 > r ∀r ∈ α + β und so p + p0 6∈ α + β. Das beweist dass α + β 6= Q. ii) Sei p ∈ α + β. Es gibt dann r ∈ α und r0 ∈ β mit r + r0 = p. Wenn q ∈ Q eine rationale Zahl kleiner als p ist, dann haben wir r00 := r0 − (p − q) ∈ β, weill r00 < r0 . Also ist r + r00 = q ein Element von α + β. iii) Schliesslich, seien p, r und r0 wie in ii) oben. Es gibt dann s ∈ α und s0 ∈ β mit s > q und s0 > q 0 . Deshalb gehört t = s + s0 zu α + β und ist grösser als p. Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 159 Die Summe ist dann eine wohldefinierte Operation auf Q. Ausserdem, es ist klar dass • die Summe kommutativ ist; • die Summe assoziativ ist; • α + [0] = α ∀α ∈ K, also [0] ist das neutrale Element der Summe. Für jedes α definieren wir nun − α = {q : ∃p 6∈ α mit q < −p} . (A.5) Die Menge −α ist ebenfalls ein Schnitt: i) Sie ist nicht leer. Um zu zeigen, dass −α eine echte Teilmenge von Q ist, bemerken wir zuerst, dass α mindestens eine negative Zahl enthält. Sei −q irgendeine solche Zahl, die zu α gehört. Dann ist q sicher kein Element von −α, weil für jedes p 6∈ α haben wir −q < p und also q > −p. ii) Wenn q ∈ −α und q 0 ∈ Q eine kleinere Zahl ist, dann gibt es ein p 6∈ α mit q 0 < q < −p, also gehört auch q 0 zu −α. iii) Wenn q ∈ −α, sei nochmals p 6∈ α mit q < p0 . Dann gibt es r ∈ Q mit q < r < p0 und deswegen r ∈ −α. Schliesslich, behaupten wir dass α + (−α) = [0]. In der Tat: a) α + (−α) enthält keine positive Zahl r. Tatsächlich, sei q ∈ α. Dann für jedes p 6∈ α haben wir q < p und also −q > −p, d.h. −q 6∈ −α. b) Sei nun r ∈ Q irgendeine negative Zahl und setzwen wir v = − 2r . Sei q 0 ∈ Q \ α und q irgendeine positive rationale Zahl grösser als q 0 . Wenn n ∈ N grösser als q/v ist, dann haben wir nv > q > q 0 und somit mv 6∈ α. Ausserdem, enthält α sicher eine negative Zahl −q und wenn n ∈ N kleiner als −q/v ist, dann gehört nv zu α. Sei deshalb n0 ∈ Z mit n0 v ∈ α. Die Menge A = {n ∈ Z : n ≥ n0 und nv ∈ α} ist eine endliche nichleere Menge und besitzt das Maximum, das wir m nennen. Dann haben wir mv ∈ α und (m + 1)v 6∈ α. Deshalb −(m + 2)v ∈ −α und dann r = −2v = mv + (−(m + 2)v) ∈ α + (−α). Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 160 Wir haben bewiesen, dass jede negative Zahl zu α + (−α) gehört, aber auch, dass jedes Element von α + (−α) negativ ist. Also ist unbedingt α + (−α) = [0]. Aus der Definition ist es auch klar dass −α < [0] wenn α > [0] und dass −(−α) = α. A.6. Teil VI: das Produkt Die Definition des Produktes ist ein wenig aufwendiger als die Definition der Summe. Definition A.6.1. Seien α, β ∈ K. Wenn α > [0] und β > [0], dann definieren wir das Produkt als αβ = {q : ∃r ∈ α, s ∈ β mit r, s ≥ 0 und q ≤ rs} . (A.6) Wenn α = [0] oder β = [0], dann definieren wir αβ = [0]. Wenn α < [0] und β > [0], dann definieren wir αβ = −((−α)β). Wenn α > [0] und β < [0], dann setzen wir αβ = −(α(−β)) und schliesslich, wenn α < [0] und β < [0], definieren wir αβ = (−α)(−β). Die folgenden Behauptungen sind leicht zu verifizieren mit ähnlichen Argumenten wie im Teil V: • αβ ist immer ein Schnitt; • · ist assoziativ; • · ist kommutativ; • [1] · α = α. Um das Inverse zu definieren, nehmen wir zuerst an, dass α > 0. Wir setzen dann 1 = α 1 p : ∃q 6∈ α mit p < . q Für α < [0] setzten wir 1 1 =− . α (−α) Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 161 Die Identität 1 = [1] α folgt aus einem Argument ähnlich zu dem vom Teil V für die Identität α+(−α) = [0]. α· A.7. Teil VII: das Distributivgesetz Wir behaupten, dass α(β + γ) = αβ + αγ ∀α, β, γ ∈ K . (A.7) Wir betrachten den Fall wo alle Elemente positiv sind: der Fall, wo ein Element null ist, ist einfacher und der Fall, wo einige Zahlen positiv und einige negativ sind, folgt aus dem Fall wo alle positiv sind. Zuerst bemerken wir, dass β + γ auch positiv ist, weil es sicher einige positive Elemente enthält. Deshalb gehört s ∈ Q zu α(β + γ) genau dann wenn s < ar für a ∈ α und r ∈ β + γ mit a, r > 0. Ausserdem, r ∈ β + γ wenn es b0 ∈ β und c0 ∈ γ gibt mit b0 + c0 = r. Wenn wir b ∈ β und c ∈ γ positiv und grosser als b0 , beziehungsweise c0 , wählen, dann s < a(b + c). Also schliessen wir α(β + γ) = {s : ∃a ∈ α, b ∈ β, c ∈ γ mit a, b, c > 0 und s < a(b + c)} . (A.8) Nun sei s ∈ αβ + αγ. Dann ∃r ∈ αβ und t ∈ αγ mit s = r + t. Wegen der Definition von αβ, gibt es a0 ∈ α und b ∈ β beide positiv mit s < a0 b; ähnlicherweise gibt es a00 ∈ α und c ∈ γ beide positiv mit t < a00 c. Sei nun a = max{a0 , a00 }. Dann ist a positiv, gehört zu α und s < ab + ac. An der anderen Seite, wenn a ∈ α, b ∈ β und c ∈ γ alle positiv sind, gehört ab zu αβ und ac zu αγ. Deshalb haben wir ab + ac ∈ αβ + αγ. Also gehört es jede s ∈ Q kleiner als ab + ac gehört zu α(β + γ). Schliesslich, αβ + αγ = {s : ∃a ∈ α, b ∈ β, c ∈ γ mit a, b, c > 0 und s < a(b + c)} . Aus (A.9) und (A.8) folgt dann α(β + γ) = αβ + αγ. (A.9) Anhang A. Die Konstruktion der reellen Zahlen 162 A.8. Teil VIII: die Anordnungsaxiomen Es ist ganz klar, dass wenn α ⊂ β, dann α + γ ⊂ β + γ. In der Tat, falls r ∈ α + γ, müssen wir zeigen dass r ∈ β + γ. Wir haben aber, dass es a ∈ α und c ∈ γ gibt mit a + b = c. Da a aber auch zu β gehört, folgt sofort, dass r = a + c ∈ β + γ. Wenn α und β beide positiv sind, dann besitzen beide mindestens ein positiv zu αβ. Also ist Element. Sei dann a ∈ α und b ∈ β mit a, b > 0. Dann gehört ab 2 auch αβ positiv. A.9. Teil IX: Q als geordneter Unterkörper Wir haben schon bemerkt dass [q + r] = [q] + [r] wenn q, r ∈ Q. Auch für die Anordnung ist es klar, dass [q] ⊂ [r] genau dann wenn q ≤ r. Also bleibt nur zu zeigen, dass [qr] = [q][r]. Wenn q oder r null ist, dann folgt die Identität aus der Definition des Produktes. Seien nun q und r beide positiv. Falls s ∈ [qr] dann s < qr. Nehmen wir an dass s positiv ist: dann s/q ∈ [r]. Sei nun r0 eine rationale Zahl grosser als s/q und kleiner als r. Dann q 0 := s/r0 ist sicher kleiner als q und es gibt eine rationale Zahl q 00 grosser als q 0 aber kleiner als q. Dann haben wir s < q 00 r0 und deshalb s ∈ [q][r]. Wir schliessen, dass alle positive rationale Zahlen kleiner als qr in [q][r] enthalten sind: deswegen haben wir [qr] ⊂ [q][r]. An der anderen Seite, wenn s ∈ [qr] dann gibt es zwei positive Zahlen q 0 ∈ [q] und r0 ∈ [r] mit s < q 0 r0 . Da q 0 r0 < qr schliessen wir s ∈ [qr]. Deswegen haben wir auch [q][r] ⊂ [qr]. Wir wollen nun die Identität [qr] = [q][r] zeigen, wenn ein der Elementen negativ ist. Aus der Definition des Produktes genügt es, die Identität [−q] = −[q] für alle q ∈ Q zu zeigen. Diese ist aber einfach, da −[q] = {p ∈ Q : ∃r ∈ Q \ [q] mit p < −r} = {p ∈ Q : ∃r ≥ q mit p < −r} = {p ∈ Q : p < −q} = [−q] . Index n-te Ableitung einer Funktion, 115 Archimedisches Axiom, 15 Asymptote, 75 Axiom von Archimedes, 15 Abbildung, 29 abgeschlossenes Intervall, 17 Ableitung, 95 n-te, 115 einer Potenzreihe, 111 Ableitungsoperator, 167 absolut integrierbar, 142 absolut konvergente Reihe, 55 Absolutbetrag einer Funktion, 30 einer komplexen Zahl, 27 abzählbare Menge, 23 Abzählbarkeit einer Menge, 23 Additionstheoreme, 89 affine Funktion, 95 algebraische Operation, 30 alternierende Reihe, 53 analytische Funktion, 116 Anfangswertproblem, 156 Anordnungsaxiome, 14 beliebig oft differenzierbar, 115 Bernoullische Differentialgleichung, 160 Bernoullische Ungleichung, 15 beschränkte Folge, 40 Betrag einer Funktion, 30 einer komplexen Zahl, 27 Bijektion, 22, 31 bijektive Abbildung, 22 bijektive Funktion, 31 Bild einer Menge unter einer Funktion, 29 Binomialentwicklung, 8 Binomialkoeffizient, 8 Cauchy-Bedingung für Grenzwerte, 73 Cauchy-Eigenschaft für Folgen, 47 163 Index Cauchy-Folge, 48 Cauchy-Kriterium für Folgen, 47 für Reihen, 54 Cauchy-Produkt, 58 charakteristisches Polynom einer Differentialgleichung, 165 De L’Hospitalsche Regel, 108 Dedekindsche Schnitte, 171 Definition rekursive, 6 Definitionsbereich einer Funktion, 29 Dichtheit der rationalen Zahlen, 22 Differentialgleichung gewöhnliche, 151 gewöhnliche 1. Ordnung mit getrennten Variablen, 157 lineare gewöhnliche, 153 lineare gewöhnliche mit konstanten Koeffizienten, 161 lineare homogene, 153 von Bernoulli, 160 Differentiation einer Potenzreihe, 111 differenzierbar, 95 beliebig oft, 115 Einschränkung einer Funktion, 72 Euklidischer Raum, 30 Euler-Identität, 89 eulersche Zahl, 76 164 Faktorisierung reelle eines Polynoms, 165 Fakultät, 7 Fehlerabschätzung von Lagrange, 120 Fixpunkt einer Funktion, 68 Fixpunktsatz für stetige Funktionen, 68 Folge von Zahlen, 35 konvergente, 35 monoton fallende, 43 monoton wachsende, 43 monotone, 43 von Funktionen, 112 Folgenkriterium für Stetigkeit, 65 Folgenstetigkeit einer Funktion, 65 Formel von Cauchy-Hadamard, 62 von Leibnitz, 150 von Newton, 8 Formel von de Moivre, 92 Fortsetzung stetige, 72 Fundamentalllemma für die Exponentialfunktion, 77 Fundamentalsatz der Algebra, 165 Funktion, 29 Index affine, 95 analytische, 116 konkave, 116 konvexe, 116 lineare, 95 rationale, 34 stückweise stetige, 133 streng konkave, 116 streng konvexe, 116 Funktionenfolge, 112 165 homogene lineare Differentialgleichung, 153 ganze Zahlen, 2 geometrische Reihe, 51 gewöhnliche Differentialgleichung, 151 gleichmächtige Mengen, 22 gleichmässig stetig, 71 Glieder einer Reihe, 50 Grad eines Polynoms, 33 Graph einer Funktion, 30 Grenzwert einer Folge, 35 einer Funktion, 73 Gronwallsches Lemma 1. Version, 163 2. Version, 164 Identitätsabbildung, 32 Identitätsfunktion, 32 Imaginärteil einer Funktion, 30 einer komplexen Zahl, 26 Induktion vollständige, 4 Infimum, 21 Injektion, 31 injektive Funktion, 31 Integral, 125 Integralkriterium für Reihem, 146 Integration partielle, 139 Integrierbarkeit absolute, 142 Intervall abgeschlossenes, 17 halboffenes, 17 offenes, 17 Intervalllänge, 17 Intervallschachtelung, 18 Intervallschachtelungsprinzip, 18 Häufungswert einer Folge, 45 Häufungspunkt einer Menge, 72 halboffenes Intervall, 17 harmonische Reihe, 51 kartesisches Produkt, 24 Kettenregel für die Ableitung, 100 Koeffizienten eines Polynoms, 33 Körperaxiome, 12 Körper Index geordenete, 169 kompakte Menge, 70 komplexe Zahlen, 24 Komposition von Funktionen, 31 Konjugation einer Funktion, 30 einer komplexen Zahl, 26 konjugierte komplexe Zahl, 26 konkave Funktion, 116 Konstante von Napier, 76 konvergente Folge, 35 Konvergenz normale, 112 Konvergenzkriterium von Leibnitz, 53 Konvergenzkriterum von Cauchy, 47 Konvergenzradius Formel von Cauchy-Hadamard, 62 konvexe Funktion, 116 Kreuzprodukt siehe kartesisches Produkt, 24 Kriterium für Extrema, 106 für Konstanz, 106 Länge eines Intervalls, 17 Lagrange-Fehlerabschätzung, 120 Leibnitz-Formel, 150 Lemma von Gronwall (1. Version), 163 166 von Gronwall (2. Version), 164 Limes einer Folge, 35 Limes inferior, 45 Limes superior, 45 lineare Funktion, 95 lineare gewöhnliche Differentialgleichung, 153 lineare gewöhnliche Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten, 161 Lipschitz-stetig, 64 Logarithmusfunktion, 84 Majorantenkriterium für Integrale, 145 Majorantenkriterum für Reihen, 54 Maximum einer Menge, 21 Menge, 1 Minimum einer Menge, 21 Mittelwertsatz, 105 verallgemeinerter, 107 monoton fallende Folge, 43 monoton wachsende Folge, 43 monotone Folge, 43 Monotoniekriterium für differenzierbare Funktionen, 106 Napier-Konstante, 76 natürliche Zahlen, 2 Index natürlicher Logarithmus, 84 Newtonsche Formel, 8 Norm, 131 normal konvergent Reihe, 112 normierter Vektorraum, 131 Nullfolge, 52 obere Schranke einer Menge, 20 offenes Intervall, 17 Operator, 167 Partialsumme, 50 partielle Integrationsregel, 139 Permutation, 7 Polynom, 33 charakteristisches einer Differentialgleichung, 165 Potenzreihe, 60 Prinzip der vollständigen Induktion, 4 Produkt kartesisches, 24 Produkteregel für die Ableitung, 99 Quotientenregel für die Ableitung, 99 Quotiontenkriterum für Reihen, 55 Randpunkt eines Intervalls, 17 rationale 167 Funktion, 34 rationale Zahlen, 2 Realteil einer Funktion, 30 einer komplexen Zahl, 26 reelle Faktorisierung eines Polynoms, 165 reelle Zahlen, 12 Regel von L’Hospital, 108 Regelfunktion, 128 Reihe, 50 absolut konvergente, 55 alternierende, 53 geometrische, 51 harmonische, 51 unendliche, 50 von Funktionen, 112 Rekursionsformel, 6 für Binomialkoeffizienten, 9 rekursive Definition, 6 Riemannsche Summe, 133 Satz von der Division mit Rest, 33 vom Maximum und Minimum, 70 von Bolzano-Weierstrass, 44 von Cauchy, 107 von de Moivre, 92 von der Differentiation der Umkehrfunktion, 102 von der Differenzierbarkeit einer Potenzreihe, 111 Index von Lagrange, 105 von Rolle, 105 Schranke obere, 20 untere, 20 Schrankensatz, 107 stückweise stetig, 133 Stammfunktion, 136 stetig gleichmässig, 71 stetige Fortsetzung, 72 stetige Funktion, 63 Stetigkeit, 63 der Umkehrfunktion, 67 streng konkave Funktion, 116 streng konvexe Funktion, 116 Substitutionsregel, 141 Summe, 50 Riemannsche, 133 Summenregel für die Ableitung, 99 Supremum, 20 Supremumseigenschaft der reellen Zahlen, 21 von R, 21 Surjektion, 31 surjektive Funktion, 31 Taylorpolynom, 120 Teilfolge, 44 Treppenfunktion, 125 triviales Polynom, 34 Trivialpolynom, 34 168 Umkehrfunktion, 32 Ungleichung von Bernoulli, 15 Unstetigkeitsstelle, 63 untere Schranke einer Menge, 20 Unterkörper geordnete, 169 Urbild einer Menge, 29 Vektorraum normierter, 131 Verallgemeinerter Mittelwertsatz, 107 Verfeinerung einer Zerlegung, 125 Verkettung von Funktionen, 31 Vielfachheit einer Nullstelle, 165 vollständige Induktion, 4 Wert einer Reihe, 50 Wertebereich einer Funktion, 29 Wurzelkriterium für Reihen, 56 Zahlen ganze, 2 komplexe, 24 natürliche, 2 rationale, 2 reelle, 12 Zahlenfolge, 35 Zerlegung Index eines Intervalls, 125 Zwischenwertsatz, 68 169