das auge isst mit Ingo Hilger verbindet die Leidenschaft für Kochen und Essen mit der für die Fotografie. Doch blanke Begeisterung allein reicht nicht aus: Beide Bereiche erfordern auch Liebe zum Detail und perfekt aufeinander abgestimmte Abläufe, damit Genießbares herauskommt. Hilger gibt den Lesern einige Tipps, wie sie all dies meistern. G laubt man der Verpackung, birgt manche Dose ein kulinarisches Feuerwerk. Heraus kommt ein Rohrkrepierer, der Katzenfutter ähnelt. Doch was Ingo Hilger fotografiert, regt auch als Original den Appetit und sämtliche Sinne an. Ebenso wie bei der neueren Küche überschreiten moderne Food-Fotografen die traditionellen Vorstellungen von Suppe, Hauptgang und Nachtisch oder von kulturellen Grenzen. Unter der Bezeichnung „Foodpairing“ wird beispielsweise Kaviar mit weißer Schokolade kombiniert. Ähnlich offen geht Hilger an die Farben und For- 32 FOTOHITS 4/2015 men seiner Zutaten heran. Trotzdem sind alle Gerichte essbar – zumindest theoretisch. Er sagt: „Lieber nach getaner Arbeit in Ruhe ein gutes Glas Wein und schöne Gesellschaft. Aber bei manchem Dessert kann ich doch nicht widerstehen.“ Hilger helfen seine Erfahrung als Koch, ein perfektes Ergebnis zu zaubern. Dementsprechend rät er, noch vor der ersten Aufnahme in der eigenen Küche zu lernen, mit Lebensmitteln umzugehen. Sowohl als Koch wie auch als Food-Fotograf muss man flott arbeiten und wissen, wie sich Lebensmittel in wenigen Minuten verändern. Nachfolgend darf jeder Leser überlegen, ob er für sein ausgewähltes Fotomo- tiv die Antwort kennt: Wann zieht die Soße oder Suppe eine Haut? Unter welchen Bedingungen verflüssigt sich Schaum? Wie rasch fällt das Soufflee zusammen? ausgekocht Manche Food-Fotografen arbeiten mit viel Plastik und Chemie. Doch wer authentische Bilder gestalten will, steht ohne Netz und doppelten Boden da. Hier basiert der Erfolg auf küchentechnischen Grundkenntnissen oder der engen Zusammenarbeit mit dem Koch (auch Food-Stylist genannt). Hilger fotografiert meist nur dann alleine, wenn er einfache und haltbare Motive wie etwa Früchte vor sich hat. Praxis food-fotografie Wenn Hilger ein Gericht inszeniert, besteht die Crew neben ihm meist aus dem Koch und einem Assistenten. Denn wenn die Speisen vor Ort angerichtet werden, sollten seiner Erfahrung nach mindestens zwei Personen Hand in Hand arbeiten. Beispielsweise entstehen viele seiner Fotos direkt im Restaurant der Köche, für die er arbeitet. Gleiches gilt für Bäckereien, Kochschulen oder die Küchenabteilungen von Möbelhäusern. In den meisten Fällen ist dort wenig Platz vorhanden und es herrscht hektisches Treiben. Als erstes bespricht der Fotograf etwa mit dem Food-Designer, wie der Teller oder das Produkt angerichtet wird. Danach beanspruchen Vorbereitungen die meiste Zeit: Hilger muss das gesamte Set aufbauen und eine Tethering-Verbindung zwischen Kamera und Computer herstellen, um die Bilddaten zu überspielen. Für erste Testaufnahmen verwendet der Fotograf einen Dummy, etwa eine Tomate, die er auf den originalen Teller legt. Mit diesem Hilfsmittel stellt er bereits die Belichtung und den Schärfepunkt korrekt ein. Außerdem ermittelt er mit Hilfe eines SpyderCube der Firma Datacolor oder einer Graukarte einen Weißabgleich, der natürlich wirkende Ergebnisse garantiert. Anschließend vergehen manchmal Stunden, bis der Koch bereit ist, alle Gerichte Tipp 1: vorbereiten „Für ein gelungenes Food-Foto sollte man sich im Vorfeld über folgende Punkte Gedanken machen: • Wie gestalte ich das Bild? • Welche Requisiten benötige ich dafür? • Was für eine Beleuchtung, Kontrast- und Farbgebung schmeicheln den Speisen? • Welchen Weißabgleich ist für die gewünschte Farbgebung günstig? • Abbildung im Querformat (ruhend), oder Hochformat (lebendiger)? • Welche Aufnahmewinkel, Bildaufteilung (etwa gemäß Drittelregel) und Gewichtung der Bestandteile erzeugen Dramatik? • Wie verläuft die Schärfentiefe, also welche Blende und Brennweite sind sinnvoll. Ich fertige immer eine Skizze an, um mir ungefähr eine Vorstellung vom Ergebnis machen zu können.“ Beleuchtungsaufbau: Links spendete ein Fenster das Hauptlicht. Ein Reflektor und ein kleiner Spiegel rechts sowie eine Hartschaumplatte hinten lenkten es. Hoch oder quer? Das sollte vor dem Aufnahme feststehen, da man vor Ort wenig Zeit hat. anzurichten. Hilger zufolge dauert dies meist länger, als wenn er in einem Restaurant essen gehen würde. Das eigentliche Shooting wiederum ist in wenigen Minuten erledigt, hier zählt plötzlich Schnelligkeit. Der Ablauf des Anrichtens sollte gut durchdacht und organisiert sein. Für das Dessert etwa gilt: Eis, Sorbet oder Schaum zuletzt anrichten. Eventuell werden einzelne Bestandteile nochmals mit Öl oder einer Sprühflasche mit Wasser glänzend gemacht und vorsichtig mit der Pinzette positioniert. Mit solchen Meisterwerke kann man auf vielen Wegen Geld verdienen, etwa bei Bildagenturen, Restaurants oder der Lebensmittelindustrie. Praxis Food-fotografie Tipp 2: präziser Schärfeverlauf „Ein Foto wie das unten gezeigte erfordert Millimeterarbeit. Hier ist dieselbe Sorgfalt wie bei der Porträtfotografie gefragt. Denn eine bewusst gewählte Schärfeebene lenkt den Blick des Betrachters auf das Wesentliche, in diesem Fall auf die grazilen Formen und lebhaften Farben des Gemüses. Dagegen befindet sich die Tischdekoration im Unschärfebereich. Sie ist aber keineswegs nebensächlich. Mithilfe von Lichtreflexen und einem schönen Bokeh sorgt sie für einen eleganten Bildhintergrund. Eine durchgehende Schärfentiefe (vulgo: ein hoher Bendenwert) ist bei Food-Fotos selten zu finden. Sie setzt man eher für Einzelaufnahmen von Produkten ein, etwa bei der sachlichen Warenkunde. Wie in Tipp Eins erwähnt lege ich den Fokus meist schon im Vorfeld fest. Damit er sich nicht wieder verschiebt, sind einige Punkte zu beachten: • In jedem Fall ist ein Stativ erforderlich. Nachdem die Kamera darauf befestigt wurde, muss man daran denken, den Bildstabilisator auszuschalten. • Bei einer Spiegelreflexkamera muss man den „Live View“ aktivieren, da ansonsten auf dem Display nichts zu sehen ist. Dann ist es möglich, manuell und per Augenmaß den Fokus zu überprüfen. • Die Spiegelvorauslösung verhindert, dass der Spiegelschlag eine Erschütterung und damit ein unscharfes Bild verursacht. • Ein Fern- oder zeitgesteuerter Selbstauslöser vermindern die Verwacklungsgefahr durch den Fingerdruck. • Die Brennweiten sollten sich zwischen 50 und 120 Millimetern bewegen. Weitwinkelobjektive führen erstens zu Bildverzerrungen. Zweitens weisen sie bauartbedingt eine ausgedehnte Schärfentiefe auf, die sich auch durch eine geöffnete Blende (einen niedrigen Blendenwert) nicht kompensieren lässt. Ich benutzte einen Canon EOS 6D, die mit einem Vollformatsensor ausgestattet ist. Ein Objektiv mit einer typischen Porträtbrennweite von 135 Millimetern ergänzt sie. In Kombination mit einem sehr niedrigen Ein Food-Fotograf und jemand, der nur rasch zum Ziel kommen will, unterscheiden sich wie Slow und Fast Food. Ein wahrer Augenschmaus erfordert Zeit und Liebe zum Detail. 34 FOTOHITS 4/2015 Blendenwert von f2,8 ergab die Optik eine stark verkürzte Schärfentiefe, die nur wenige Millimeter betrug. Die Belichtungszeit betrug 1/80 Sekunde, was dank des Stativs keine Verwacklungsgefahr nach sich zog. Das Einzige, was nach allen Vorbereitungen noch schief gehen kann ist, dass jemand in der Hektik drumherum über ein Kabel stolpert.“ Die Beleuchtung ist insgesamt eher flächig gehalten. Links kommt gedämpftes Tageslicht durch das Fenster. Für eine intensivere Beleuchtung von rechts sorgt eine LED-Flächenleuchte, die aber durch einen davor stehenden Diffusor abgemildert wird. Die Austern durften keinesfall austrocknen, wofür eine Sprühflasche bereitstand. Das Gemüse erhielt durch Blanchieren und Natron eine frische Farbe. Die Beleuchtung für das Bild rechts bestand aus einem Blitzgerät mit Diffusor (links hinten) und einem Spotlight (links vorne), der das Fleisch aufhellte. Eine Softbox von rechts wiederum lieferte weiches, gestreutes Licht. Tipp 3: frische farben „Natürlich benutzen auch redliche Food-Fotografen einige Tricks, damit die Speisen möglichst appetitlich erscheinen: • Schöne und leuchtende Farben entstehen, wenn man Gemüse nur kurz blanchiert und mit Eiswasser abschreckt. • Eventuell hilft auch, dem Kochwasser Zitronensaft oder Natron zuzugeben. • Nach Gusto kann man Gemüse oder Meeresfrüchte nach dem Anrichten mit Wasser besprühen. Dabei ist wieder Maßarbeit gefragt, da man niemals den ganzen Teller einnässen sollte. • Lebensmittelfarben kommen nicht zwangsläufig aus dem Chemielabor. Mit Wasser vermengtes Kurkuma etwa trägt man mit einem Pinsel auf ein Brathähn- chen auf, um ihm ein knusprig-braunes Aussehen zu verleihen. • Aufsteigender Dampf zeigt an, dass ein Gericht frisch aus der Küche kommt. Doch benötigt er einen dunklen Hintergrund, um gut sichtbar zu sein, der nicht immer erwünscht ist. Als Hilfsmittel dienen so genannte Steam Chips, Trockeneis oder versteckte dampfende Kartoffeln.“ FOTOHITS 4/2015 35 Praxis Food-fotografie Tipp 4: sorgfältige Beleuchtung „Die begleitend zu den Tipps gezeigten Beleuchtungsaufbauten geben nur den Rahmen vor, aus welcher Richtung das Licht kam und wie es beschaffen war. Wer sie im eigene Studio nachvollzieht, wird rasch merken, dass meine Settings kein Fertiggericht sind – die Leuchten müssen mit Blick auf das Motiv genau platziert werden. Trotzdem geben zwei Richtlinien jedem Anfänger einen guten Halt: • Als Faustregel beleuchtet man Gerichte möglichst von hinten. Um sie zusätzlich von vorne aufzuhellen, müssen nur einfache Helfer platziert werden, etwa Hartschaumplatten, Spiegel oder Reflektoren. • Eine Graukarte ist ein unverzichtbares Hilfsmittel, um sowohl die Farbtemperatur als auch die Belichtung zuverlässig abzustimmen. Dazu wird die Graukarte etwa neben dem Teller platziert und man merkt sich die Werte, die der automatische Belichtungsmesser angibt. Um die Farbtemperatur manuell zu ermitteln, stellen (semi)professionelle Kameras einen eigenen Menüpunkt bereit. Im Bild unten wich ich von einer ‚korrekten‘ Belichtung ab. Es war deutlich zu hell abgelichtet, was einen so genannte HighKey-Effekt ergab. Dazu genügte allerdings nicht, einfach die Belichtungskorrektur mit beispielsweise +EV 3 hochzujubeln. Auf die­se Weise wird nur das Gesamtbild überstrahlt und das eigentliche Motiv kaum noch erkennbar. • Der Teller mit dem Dessert stand auf einer weißen Plexiglasplatte. • Der Hintergrund war ebenfalls Weiß und befand sich in einer Entfernung von ungefähr 1,5 Meter. • Der Kamerablitz feuerte auf den Hintergrund, was ein indirektes Licht auf den Nachtisch zurückwarf. • Zwei Hartschaumplatten links und rechts des Tellers dienten als zusätzliche Reflektoren. • Ein Striplight samt Wabe stand links hinten. Es erzeugte ein flächiges, aber durch die Waben gerichtetes und daher intensives Licht. • Eine Softbox leuchtete direkt von oben auf die Leckereien. Das High-Key-Foto wurde mit zwei Leuchtmitteln und zwei Reflektoren verwirklicht. Von oben gab eine Softbox ein gleichmäßiges Licht ab, von hinten kam gerichtetes von einem Striplight samt Wabe. Dieses fingen zwei Reflektoren links und rechts vom Teller ein. • Die Kamera war mit einem 100-Millimeter-Objektiv bestückt. Als Blende wählte ich f8 und als Verschlusszeit 1/125 Sekunde. Für ein rauschfreies Ergebnis sorgte eine niedrige Lichtempfindlichlkeit von ISO 100. Dank der großzügigen Beleuchtung war auch kein höherer Wert notwenig. • Per Augenmaß forcierte ich die Überbelichtung. Schlussendlich landete ich bei einer Belichtungskorrektur von plus zwei Blendenstufen. Das unten abgebildete Ergebnis spricht für sich. Aus einem strahlenden Gesamtbild treten die einzelnen Bestandteile klar und detailliert hervor.“ Tipp 5: Nachbearbeitung „Ein Bild sollte bereits während der Aufnahme stehen. Doch darf man durchaus in ‚Adobe Photoshop‘ etwas nachwürzen. In wenigen Schritten erhielt die Erdbeere etwas frischere Farben. Mancher ist versucht, hierfür einfach zum Regler ‚Farbton/ Sättigung‘ zu greifen, dem visuellen Gegenstück zu Glutamat. Er lässt die Kolorierung oft unnatürlich wirken. Der folgende Trick verstärkt sie schonender: 1. Mit dem Mauszeiger markiert man die Hintergrundebene und zieht sie bei gedrückter Maustaste auf das Symbol mit dem Notizzettel (unten in der Palette). Dadurch entsteht eine Kopie. 2. ‚Filter – Weichzeichnungsfilter – Gaußscher Weichzeichner“ mit dem Wert 50 lässt das Motiv stark verschwimmen. 3. Die Ebeneneigenschaft ‚Ineinander kopieren‘ mit verringerter Deckkraft erzeugt eine leuchtende Frucht. 4. In ‚Adobe Lightroom‘ habe ich noch im Menü ‚HSL/Farbe/Graustufen‘ den Reiter Luminanz gewählt und die Helligkeit einzelner Farben gesteuert. Vor (kleines Foto) und nach (großes Foto) der Bearbeitung in „Adobe Photoshop“. Das Bildschirmfoto links zeigt die Ebenenpalette. Über der blau markierten Hintergrundkopie findet man Ebeneneigenschaften und Deckkraft. Hilfsmittel Fixieren: Zahnstocher Fotoknete Klebeband Klammern Verschönern: INGO HILGER Der Küchenmeister und Food-Fotograf Ingo Hilger gibt sein Wissen in kulinarischen Workshops weiter. In ihnen werden Augen und Gaumen verwöhnt: Passend zur Saison kocht man mit Hilfestellungen ein Menü und lichtet es an verschiedenen Beleuchtungssets ab. Beispielweise kann man an einem exklusiven „Cook and Shoot“ aus Sardinien teilehmen. Die Termine sind auf Ingo Hilgers- oder auf der Photokitchen Webseite nachzulesen. Web: www.ingohilger.de oder www.the-photokitchen.com Wattestäbchen Pinzetten Pinsel-Set Sprühflasche Papiertücher Lebensmittelfarben wie Kurkuma et cetera) Beleuchtung: Kleine Spiegel Hartschaumplatten in Weiß und Schwarz Reflektoren Blitz und Diffusor FOTOHITS 4/2015 37